Das
Lebenskräutlein
In der Gegend von Kreutern bei Bad Ischl lebte
vor langer Zeit eine arme Köhlerwitwe mit ihrer Tochter. Die
Mutter war schwer krank, und niemand konnte ihr helfen. Einmal kam
eine altes Weib in die Hütte der Köhlerin. Diese meinte,
es gäbe wohl ein Mittel, das sie von ihrer Krankheit heilen
könne, und zwar das Lebenskräutlein. Es wachse in einer
dunklen Schlucht und könne nur in der Sonnwendnacht von einem
unschuldigen Kind gepflückt werden.
Die Tochter hörte das und nahm sich vor, der Mutter das Kräutlein
zu holen. In der Sonnwendnacht machte sich das Mädchen auf
den Weg. Es ging über Wiesen, durch Wald und über Schutt
und Gestein, und der Mond zeigte ihm den Weg. Endlich stand es vor
einer wilden Felsenschlucht. Weil es schon müde war, legte
es sich ein Weilchen in das duftende Gras und schlief ein. Ihr träumte
von der Zimnitzgeistin, und als sie
erwachte, stand diese wirklich vor ihr.
Das Mädchen erschrak, aber die Geistin war freundlich und winkte
ihr, sie solle ihr folgen. Sie kamen in eine tiefe Höhle, die
von einem matten Schein erleuchtet war. Auf dem Boden standen viele
Blumenstöcke, große und kleine. Die Zimnitzgeistin zeigte
auf einen davon und sagte: Schau, das ist dein Lebenpflänzchen.
Es hat achtzehn frische Blätter, von denen jedes ein Lebenjahr
bedeutet. Der Blumenstock daneben gehört deiner Mutter - er
hat nur noch ein Blatt."
Das gute Mädchen bat die Berggeistin, die Blumenstäcke
zu vertauschen. Das kann ich wohl tun", sprach diese,
aber dann lebst du nur noch ein Jahr, während deine
Mutter an deiner Stelle noch achtzehn leben wird."
Ich will meiner Mutter gern mein Leben
opfern", sprach das Mädchen, wenn sie nur wieder
gesund wird."
Sie sah noch, wie die Zimnitzin die beiden Pflanzen vertauschte,
dann schwanden ihr die Sinne. Als sie wieder zu sich kam, befand
sie sich vor der Felswand, die sich wieder geschlossen hatte. In
ihren Händen aber hielt sie das Lebenskräutlein.
Das Mädchen sprang rasch nach Hause und bereitete der Mutter
daraus einen Trank. Die Mutter fühlte sich bald gesund, während
die Tochter von Tag zu Tag kränker wurde. Als das Mädchen
schon nahe dem Tode war, träumte sie von der Zimnitzgeistin.
Diese reichte ihr einen Apfel und sagte: Du gutes Mädchen,
dein Opfer soll dir vergolten werden. Nimm diesen Apfel! Er wird
dich gesund machen!"
Als das Mädchen aufwachte, hatte es den Apfel
in der Hand. Sie aß ihn und wurde wieder ganz gesund.
Die Mutter und die Tochter lebten noch lange gesund und sehr glücklich
miteinander!
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