SALIGE, WEISSE &
WILDE FRAUEN
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Die Saligen Frauen und
der ungehorsame Jäger
Unter den zauberischen Gestalten, die in den
Bergen Tirols beheimatet sind,
nehmen die saligen oder seligen Fräulein, auch Wald- oder
Bergfrauen
geheißen, die erste Stelle ein. Die saligen Fräulein
wohnen zuhöchst im Gebirge, wo sich im Innern der Berge unter
Felsen und Gletschern ein herrliches Reich erstreckt.
Nur selten vergönnen sie dem Sterblichen,
ihren geheimnisvollen
Aufenthaltsort zu betreten. Wen sie aber für würdig
erachten, ihr Gesicht zu
schauen, dem erweisen sie Liebe und Huld. Doch wehe dem Menschen,
der darüber nicht Stillschweigen bewahrt, der Zorn der verratenen
Bergfrauen ergießt sich über
den unvorsichtigen Schwätzer, ihre Strafe wird ihn ereilen.
Einst befand sich eine arme Hirtenfrau aus dem
Ötztal mit ihrem kleinen Sohn
auf dem Weg zur Alm, auf der ihr Mann die Schafe hütete.
Während sie
unterwegs bei einer kleine Kirche ein kurzes Gebet verrichtete
und das Kind eine
Weile unbeaufsichtigt blieb, stürzte sich ein Lämmergeier
aus den Lüften herab
und entführte den Jungen. Der Zufall wollte es, daß
sich der Geier mit seinem
Raub auf einem Felsblock unweit der Stelle niederließ, wo
der Hirte seine
Herde weidete. Mit Steinwürfen verscheuchte der Mann den
Vogel und wurde so
Retter seines eigenen Kindes, das er seit dem Frühjahr nicht
mehr gesehen hatte.
Was aber ein glücklicher Zufall schien,
war in Wahrheit dem hilfreichen Wirken der drei saligen Fräulein
zu danken, die oberhalb der Alm unter einer mächtigen Felswand,
die Mohrin genannt, ihren Wohnsitz hatten. Diese waren dem Geier
entgegengetreten und hatten den Räuber gezwungen, mit seiner
Beute den Felsblock in der Nähe der Hirten aufzusuchen; auch
hatten sie die Steinwürfe des Hirten richtig gelenkt, die
den Vogel verjagten.
Von da an trieb eine unstillbare Sehnsucht den
heranwachsenden Jungen stets
nach den Höhen der Berge. Er wurde im Laufe der Zeit ein
mutiger Bergsteiger
und verwegener Schütze, der die unzugänglichsten Felsen
und Hänge erklomm und
mit sicherem Schuß die flüchtigen Gemsen erlegte. Ein
geheimnisvoller Trieb
zog ihn immer wieder in die Gegend der Mohrin. Dort, auf einer
eis- und
schneebedeckten Felsplatte über der Mohrin, gebe es Gemsen
in Scharen, so erzählte das Volk, auch Steinböcke sollten
da noch hausen, aber kein Jäger könne
dahin gelangen.
Den wagemutigen Knaben ließ dieses Märchen
nicht ruhen, er wollte das Wagestück unternehmen und kletterte
eines Tages die steilen Wände hinan. Aber sein gefährliches
Wagnis endete damit, daß er weder vorwärts noch rückwärts
konnte, bis sein Fuß jeden Halt verlor und er aus schwindelnder
Höhe in den Abgrund stürzte, wo er besinnungslos liegen
blieb.
Als der Jäger wieder zum Bewußtsein
kam, ruhte er, auf Speik und Edelweiß gebettet, im kristallenen
Palast der drei saligen Fräulein, die ihn zum
zweitenmal das Leben gerettet hatten. Strahlend von himmlischem
Liebreiz standen sie an seinem Lager, und ihr Anblick ließ
ihn alle Wunden und Schmerzen
vergessen und verlieh ihm ein wonnesames Gefühl von Freude
und Wohlsein. Drei Tage ließen sie ihm die vorzüglichste
Pflege angedeihen; er durfte in allen Hallen
und Räumen umhergehen und alle Wunder und Herrlichkeiten
des Feenpalastes
besehen und ihre Gärten und Tiere bewundern.
Nach drei Tagen sagten sie ihm, nun könne
er wieder zu seinen Eltern zurückkehren, nahmen ihm aber
vor dem Verlassen ihres Wohnsitzes ein dreifaches Versprechen
ab, das er einhalten müsse, wenn er sie je Wiedersehen oder
drunten im Tal glücklich sein wolle. Vor allem musste er
geloben, zu niemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sprechen,
dass er die saligen Fräulein gesehen und bei ihnen im Berg
gewesen sei.
Sodann musste er schwören, nie ein Alpentier
zu töten oder zu verfolgen, weder Gämse noch Alpenhase
oder Schneehuhn. Das dritte war: keinem Sterblichen je den Weg
zu weisen, der zu ihrem Palast führte und den sie ihm nun
zeigen würden. Ein viertes Versprechen, nämlich den
saligen Fräulein die Liebe und Ehrfurcht zu bewahren, die
er ihnen im Berg stets erwiesen habe, und keinem irdischen Mädchen
in Liebe zugetan zu werden, verstand sich, wie die Saligen meinten,
von selber ohne Schwur und Gelöbnis.
Nachdem der Jäger sein Versprechen mit einem
feierlichen Eid besiegelt hatte, nahmen sie zärtlich Abschied
von ihm und brachten ihn zu einer abseits gelegenen Stelle ihres
Reiches, wo sich eine gähnende Kluft auftat, die bis auf
den Grund des Berges hinabreichte. Unten aber, wo die brausende
Ache ihren Anfang nimmt, öffnete sich unter dichten Alpenrosenbüschen
ein schmaler Ausgang aus der Kluft ins Freie hinaus.
Bevor sie ihn in den düsteren Schlund hinabließen,
sagten sie ihm noch, daß er sie in jeder Vollmondnacht besuchen
und drei Tage bei ihnen verweilen dürfe. Wenn er durch die
Öffnung in die Schlucht getreten sei, brauche er ihnen nur
ein bestimmtes Zeichen zu geben, und sie würden zur Stelle
sein. Als der Jüngling nach Hause kam, war er wie umgewandelt.
Es war ihm, als habe er geträumt, und wie in einem Traum
befangen ging er umher. Bald nannte man ihn auch den Träumer;
denn er zog sich von jedem lustigen Treiben der Jugend zurück,
suchte keinen Tanzplatz mehr auf, keine Jagd konnte ihn reizen,
unbenützt hing sein Stutzen in der Kammer.
Aber in jeder Vollmondnacht eilte er zur Felsenkluft
unter der Mohrin hinauf und schlüpfte zwischen den blühenden
Alpenrosen in die dunkle Öffnung hinein, die den Zugang zum
Reich der Saligen Fräulein bildete. Drei Tage war er der
Gast der bezaubernden Frauen, deren lieblichen Gesang er verzückt
stundenlang lauschte.
Daheim aber schlich er müde und matt umher,
seine bisher kraftvolle Gestalt verfiel, farblos und bleich wurden
seine blühenden Wangen. Wenn die Eltern und Freunde, die
mit Schrecken diesen unerklärlichen Wandel bemerkten, in
ihn drangen, er möge ihnen doch sagen, was ihm fehle, wehrte
er ungeduldig ab und meinte, es fehle ihm nichts, er habe doch
alles, was er brauche und wünsche, in Hülle und Fülle.
Mit der Zeit kamen die Eltern dahinter, daß
er in jeder Vollmondnacht das Haus verließ und erst nach
drei Tagen zurückkehrte. Da schlichen sie ihm einmal nach
und kamen bis hart an den Eingang zum Reich der Saligen Fräulein.
Als die Mutter sah, wie ihr Sohn durch die dunkle Öffnung
in das Berginnere hineinschlüpfen wollte, rief sie in beschwörendem
Ton seinen Namen.
Aber im selben Moment erklang ein donnerndes
Krachen, Felsbrocken und Steingeröll fielen ringsum vom Berge
herunter, und vor den Augen des entsetzten Jünglings rückten
die Felsen zusammen und verschlossen den Eingang zur Stätte
seiner Sehnsucht.
Niemals fand er ihn wieder, so oft und so eifrig
er auch danach suchte. Trübsinnig und verschlossen ging der
Unglückliche in seinem Heimatort umher, achtete weder auf
die Tränen der Mutter noch auf das Schimpfen des Vaters,
hörte auf keinen ermunternden Trost und wollte von keiner
Zerstreuung wissen. Keine Arbeit konnte ihn locken, vor sich hin
grübelnd, hing er nur seinen düsteren Gedanken nach
und verfluchte sein unseliges Schicksal. Das dauerte den ganzen
Sommer hindurch, bis der Herbst kam, die Herden ihre Almen verließen
und wieder ihre Ställe in den Tälern aufsuchen mussten.
Als aber der Winter über die Berge kam und
der Saum seines Schneemantels schon bis an die Almen herabstreifte,
kamen ein paar alte Freunde in das Haus des Hirtensohnes und begannen
vom Wild zu erzählen und von den Freuden der Gebirgsjagd.
Sie wollten einen Jagdgang zur Platte bei der Mohrin unternehmen
und hofften, reiche Beute nach Hause zu bringen.
Da leuchteten die Augen des jungen, bleichen
Schützen zum erstenmal wieder, die Jagdleidenschaft, die
Wildererlust, bisher zurückgedämpft, doch nie ganz erloschen,
regte sich wieder. Vielleicht war es auch ein anderer Gedanke,
der ihn antrieb, sich den Freunden anzuschließen. Er sollte
hinaufgehen in jenes Gebiet, wo die Saligen Fräulein lebten.
Noch einmal wollte er versuchen, dort einzudringen,
wohin es ihn mit allen Fasern seines Herzens zog, und ginge es
auch auf Leben und Tod. Gelang sein Wagnis, so bedeutete das für
ihn Leben und Glück, fand er aber den Tod, so war er von
Qual und Herzeleid frei.
So brachte der Jüngling sein Jagdzeug in
Ordnung, entlehnte sich einen Stutzen - denn der seine war damals
zerschellt, als die Steintrümmer herabstürzten und das
Felsentor vor seinen Augen verschwand - und schloss sich am frühen
Morgen dem Pirschgang der anderen Wilderern an. Erst ging er mit
ihnen, dann eilte er voraus, rascher und rascher, stieg höher,
immer höher, wie von einer unwiderstehlichen Macht angezogen,
und fand sich endlich allein im schroffen Felsengewirr der Ötztaler
Berge.
Es war ihm so leicht ums Herz wie schon lange
nicht, die freie, frische Gebirgsluft ließ ihn aufatmen.
Allzulange wohl hatte die enge, dumpfe Luft des Tales seine Brust
bedrückt. Da tauchte auch schon die erste Gämse vor
seinen spähenden Blicken auf, aber mit einem Pfiff verschwand
das wachsame Tier hinter dem Felsen, auf dem es gestanden. Den
Grat erklimmend, sah der Jäger nicht weit unter sich, aber
außer Schussweite, auf einer kleinen Matte ein starkes Rudel
Gämsen.
Nur eine war ihm ziemlich nahe, und diese zu
erjagen, wandte er alle Kunst und Kraft auf. Von Fels zu Fels
sich schwingend, jagte er dem flüchtigen Tier nach und verfolgte
es unablässig, bis das geängstigte Tier nicht mehr weiter
konnte und vor einem breiten Abgrund stillstand, den der Schütze
in seinem Jagdeifer gar nicht bemerkte. Mit freudiger Genugtuung,
die Gämse nun endlich schussgerecht vor sich zu haben, legte
er den Stutzen an - da erklang in der stillen Bergeinsamkeit ein
Ton wie von einer klagenden Mädchenstimme.
Aber der Jäger in seiner Leidenschaft hörte
nichts, er zielte scharf, schoss. . .
Da strahlte plötzlich ein heller Lichtschein
auf, und mitten in dem Glanz stand unverletzt die Gämse.
Vor ihr aber schwebten in weißleuchtenden Gewändern
die drei Saligen Fräulein, ein wunderbarer Schimmer ging
von ihnen aus. Mit strengen, finsteren Blicken kamen sie auf ihn
zu.
Und wie sie der Jüngling nun zum erstenmal
nicht mit gewinnender Huld und milder Güte im Gesicht wie
bisher, sondern mit zürnender Miene erblickte, da erfasste
ihn kaltrieselndes Grauen, er wankte zurück, die Hände
zur Abwehr von sich streckend, tat noch einen Schritt - und stürzte
mit einem dumpfen Aufschrei in die bodenlose Tiefe hinab, und
loses Gestein und Geröll polterte dröhnend hinter ihm
drein, den unseligen Schützen für immer unter sich begrabend.
So straften die saligen Fräulein den frevelhaften
Ungehorsam des Mannes, den sie mit soviel Güte und Liebe
bei sich aufgenommen hatten.
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