SICHELFRAUEN &
ERDGÖTTINNEN
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Salige verkaufen Sicheln
Unter den seltsamen Wesen,
die das Land einmal bevölkert haben sollen, dürften
die Meerjungfrauen wohl die seltsamsten gewesen sein. Frau wusste,
dass sie sehr schlau waren, hin und wieder wurden sie aber doch
gesehen. Und die, die sie gesehen haben, berichteten, dass diese
Frauen halb, Frau, halb Fisch waren. Meerjungfrauen eben, und
frau fragt sich, wie sie wohl in die Tiroler Bergwelt gekommen
sein mögen. Manche redeten von verborgenen Wasserläufen,
um diese Frage zu beantworten, oder von unterirdischen Seen. Genaueres
aber wussten sie nicht zu sagen. Das Seltsamste aber ist, daß
sie Sicheln verkauften, und wie sie dazu kamen, weiß ebenfalls
keine zu sagen.
Die Meerjungfrauen legten ihre Sicheln auf einen
Felsen aus, und wenn eine vorbei kam und eine haben wollte, legte
sie eine Münze hin und sucht sich eine Sichel aus. Manch
eine von ihnen nahm einen weiten Weg auf sich, um so einen Kauf
zu tätigen, denn keine konnte eine Sichel verfertigen, die
so leicht in der Hand lag und so lange scharf blieb, ohne schartig
zu werden. Dazu verlangten die Meerjungfrauen keinen bestimmten
Preis, jede gab, was sie konnte, und sie waren zufrieden.
Einmal kam eine arme Frau vorbei. Sie sah die
Sicheln schüchtern an, wagte aber nicht, die einzige kleine
Münze, die sie besaß, hinzulegen und zuzugreifen. Da
tauchte wie aus dem Nichts eine Meerfrau auf und sagte: "Ist
schon recht. Kauf nur! Wir sind zufrieden, und auch du wirst zufrieden
sein."
Die Frau erschrak fürchterlich, und nur
langsam fand sie Zutrauen zu dem fremdartigen, freundlichen Geschöpf.
Endlich legte sie doch ihre Münze hin und nahm die Sichel
mit sich. Es dauerte nicht lange, da begann die Frau zu kränkeln.
Jeder Handgriff fiel ihr schwer, und ihre beiden Töchter
waren noch zu klein, um ihr zu helfen. Da war die Sichel ein wahrer
Segen. Wie von selbst schnitt sie Gras, das zum Füttern im
Stall gebraucht wurde, und als die arme Frau schon nicht mehr
aufstehen konnte, macht sich die Sichel wirklich selbständig.
Sie flog zum Fenster hinaus und überall
hin, wo es etwas zu schneiden gab. Aber nicht genug damit, schon
am nächsten Tag lag alles, was sie geschnitten hatte, ob
Gras, ob Korn oder Hafer, in der Scheune. Die Frau dachte oft
an die guten Meerfrauen und nahm sich vor, ihnen ihre Dankbarkeit
zu erweisen, wenn sie nur wieder gesund sein wird. Wie aber sollte
das zugehen? Sie hatte kein Geld für Medizin und auch kein
Geld für eine Ärztin.
Eines Nachts jedoch erwachte sie und sah im Mondlicht
etwas auf dem Boden glitzern. Sie erhob sich müde aus dem
Bett, trat näher und sah die Sichel, die sie gestern abend
in der Scheune niedergelegt hatte, dazu noch ein Büschel
von Kräutern, die sie gar nicht kannte. Sie begriff sofort,
machte Feuer im Herd und bereitete sich einen Tee. Nach wenigen
Stunden spürte sie bereits, dass es ihr besser ging.
Als sie wieder bei Kräften war, band sie
ihr bestes Kopftuch um und ging zu den Meerfrauen. Sie stieg so
hoch sie konnte, dann rief sie laut zu dem Felsen hinauf. "Ich
danke euch!" und wiederholte es noch mehrere Male: "Ich
danke euch!" "Warum willst du mir danken gute Frau?
Du hast ja bezahlt!" antwortete eine Meerjungfrau.
Damit verschwand sie. Die arme Frau wartete noch
eine Weile, dann ging sie kopfschüttelnd wieder den Berg
hinunter. Das Bedürfnis, sich dankbar zu erweisen gab es
bei den Meerfrauen nicht? Wenig später kam ein Bauer vorbei,
ein frecher Lümmel, der sich nahm, was er kriegen konnte,
auch wenn es ihm nicht gebührte. Er hatte von den Wundersicheln
gehört und wollte sich die Arbeit ersparen, auch wenn er
kräftig genug war. Aber er wollte sich auch die kleinste
Münze ersparen. Er ging hin, packte eine Sichel und spuckte
auf den Stein und wollte verschwinden.
Keine weiß genau, wie es zugegangen ist,
jedenfalls fand man ihn einige Tage später, entsetzlich zugerichtet,
als hätten Raubvögel mit ihren messerscharfen Schnäbeln
auf ihn eingehauen, bis er tot war. Die ihn fanden, waren entsetzt.
Erst nach längerer Zeit, als bekannt wurde, daß auf
dem Stein der Meerfrauen keine Sicheln mehr zum Verkauf bereitlagen,
und erst, als sich nach Monaten nichts daran änderte, begannen
einige zu mutmaßen, daß der Tod des Bauern etwas mit
den Sicheln zu tun haben könnte.
Die Meerfrauen waren offenbar längst woanders
hingezogen und die Frauen trauern ihnen noch immer nach.
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