SALIGE, WEISSE & WILDE FRAUEN

 

Von der verheissenen Zeit

Als die DrachInnen schon alt und die Menschen noch jung waren, da war das Land im Gebirge noch ein blühender Garten. Bis weit hinauf zu den Gipfeln erstreckten sich grüne Hügel. Es gab noch keine Berge, keine tiefen Täler. Blumenbestickte Wiesen breiteten sich aus, grünende, üppige Haine mit herrlichen Bäumen voller Früchte und lichte Laubbäume, Linden, Buchen und Ulmen. In der Mitte lag ein riesiger See. Rosen blühten an seinem Ufer, schimmernde Lilien und Himmelschlüssel, so weit das Auge reichte.

Gämsen weideten friedlich und ganze Herden von weißen Einhörnern grasten unter den Bäumen. Schwäne glitten über den See, Pfauen schlugen ihr türkisfarbenes Rad. In den Bächen glitzerten Forellen mit goldenen Schuppen. Otter und Murmeltiere spielten ohne Scheu. Der Sand am Ufer war reines Gold. Und die Quellen sangen ein klingendes Lied, weil die Goldkörner darin aneinanderstießen.

In diesem Land herrschte ewiger Frühling. Und ewiger Friede. Das uralte Volk, das vor uns dort lebte kannte keinen Krieg, kein Leid und keine Not. Das waren die Saligen. Sie waren gutartig und freundlich. Ihre Königin war die große Hala, die Holde. Andere nennen sie Sörla oder Vispa, wieder andere Samblana.

Weithin strahlend sitzt sie auf dem höchsten, Hügel auf einem Thron aus weißschimmerndem Bergkristall. Auf dem Kopf trägt sie eine Krone,die ist aus einem einzigen Saphir geschnitten, der ist blau, so blau wie der Himmel. So ragt sie weit hinauf, bis in die Wolken, denn sie ist eine Riesin. Ihr linkes Auge ist der Mond, ihr rechtes Auge ist die Sonne.

Ihre ersten Töchter und Söhne waren die DrachInnen. Ihr schönster Sohn wohnte tief unten im Innersten der Erde, wo es so heiß ist, dass niemand es aushält dort, außer ihm. Manchmal kitzelte er seine Mutter, die große Hala an den Fußsohlen, denn ihre Beine ragen tief hinunter in die dunkle Erde, so dass sie lachen mußte und zu tanzen begann. Dann zitterte der Boden. Täler brachen auf und wilde Schluchten, Ein ganz neuer See entstand und die Flüsse veränderten ihren Lauf.

Später kamen die stillen Felsenriesen und die ZwergInnen. Sie bauten sich wuchtige Burgen aus gewaltigen Steinen auf den Kuppen der Hügel. Sie sangen gern und tanzten viel und tranken honigfarbenen Apfelwein aus mächtigen Krügen. In riesigen Booten fuhren sie über den riesigen See. Man hat später weit oben bei den Gipfeln und Graten riesige eiserne Ringe gefunden, daran hatten sie ihre Boote festgemacht.

Aber dann kamen die Menschen. Und alles wurde anders.

Die große Hala sagte zu ihren Kindern, den Riesen: "Ihr legt euch schlafen. Die Menschen werden euch nicht achten. Sie werden euch töten und eure Burgen zerstören. " Und zu den Zwerginnen sagte sie: "Ihr versteckt unser Reich unter der Erde. Hütet die Schätze dort unten. Es wird wohl nichts nützen. Die Menschen werden das Gold und das Silber finden. Das könnt ihr ihnen lassen. Sie können keinen Schaden anrichten damit. Aber wehe, wenn sie das Eisenerz finden. Verhindert, dass sie das Eisenerz finden. Ich bitte euch."

Und so geschah es, daß das schimmernde Reich vom Erdboden verschwand. Die Riesen gehorchten und legten sich schlafen. Seither gibt es die Berge in unserem Land. Mächtig liegen die Leiber vom alten Jochgrimm, vom wilden Kaiser, von der Riesin Munthe, ihrem Bruder Gilfert um den blauen See. Man kann hier und da ein Knie, eine Glatze, die kantige Nase erkennen, wie sie emporragt über dem dunklen Tannenwald. Manchmal rühren sie sich im Schlaf. Ab und an dreht sich einer sogar um. Dann krachen Lawinen zu Tal und riesige Felsblöcke kollern in die Felder.

Die Menschen im Land im Gebirge gewöhnten sich daran.Und schließlich vergassen sie das alte Volk ganz. Sie fällten die Bäume, gingen auf die Jagd und sie gruben Löcher in die Felsen, bohrten und sprengten mit Feuer und Wasser bis sie schließlich auch das Eisenerz fanden. Da half alles nichts.

Alsbald schmiedeten sie Schwerter und Lanzen, Speere, Hacken und scharf schneidende Messer. Und auch die Pflugschar. Seitdem gibt es den Krieg auf der Welt und das Leid und die Not. Das war die eiserne Zeit.

Aber eines Tages wird das Reich der Menschen zusammenstürzen. Die gewaltige Gebirgskette im Norden wird aufbrechen, die RiesInnen werden sich erheben und die ZwergInnen werden wieder hervorkommen aus der Finsternis unter der Erde und die Quellen werden wieder ihr Lied singen.

Das blaue Felsentor im Osten wird sich öffnen und die große alte Hala wird mit ihren lieblichen Töchtern ganz still im Boot über den See rudern.

Dann wird die verheißene Zeit gekommen sein.

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