Das Waldweiblein von
Wilhelmsdorf
In Wilhelmsdorf hatte sich bei einer Bäurin
ein Waldweibchen einquartiert, das in der Wirtschaft mehr leistete
als die beste Magd. Abends nach der Arbeit saß es immer
auf seinem Platz hinter dem Ofen und gab von da aus den Leuten
allerlei zum besten. So sagte sie:
"Piep kein Brot,
Schäl keinen Baum,
Erzähl keinen Traum,
Back keinen Kümmel ins Brot,
So hilft dir das Waldweiblein gern aus aller Not."
"Piepen" bedeutet, dass man mit den
Fingerspitzen vor dem Backen ein Kreuzzeichen in das Brot macht.
Und sowas kann das Waldweiblein überhaupt nicht leiden. Und
stark riechende Würzkräuter wie Kümmel, Lauch und
Thymian mag sie auch nicht so sehr, weil Waldweiblein nämlich
einen sehr ausgeprägten Geruchssinn haben und ihr so intensive
Düfte in der Nase wehtun.
Manchmal aber ärgerte sich die Bäuerin auch über
das Waldweibchen: So holte es sich, ohne zu fragen, das Essen
aus dem Topf und das Brot aus dem Ofen, und alles Schelten und
Zanken half nichts.
Da meinte die Bäuerin zuletzt, diesen Unfug
wolle sie dem Waldweiblein doch austreiben, buk Kümmel in
die Brote und piepte sie ganz gehörig. Sobald das kleine
Wesen von dem neuen Brot gekostet hatte, wurde es sehr böse,
lief aus dem Hause weg in den Wald und schrie dabei:
"Sie haben mir gepiept das
Brot,
Das bringe diesem Hause Not."
Seitdem ging es mit dem Wohlstand auf diesem
Hof bergab; die BewohnerInnen verfielen in Armut und Not und zählten
bald zu den ärmsten Leuten im Dorf.
Die Bäuerin hat es später noch oft
bitter bereut, dass sie das Waldweiblein so verärgert hatte.
zur Übersicht
|