Das Weidwiesenweiblein
bei Bad Reichenhall
In den Jahren 1782 und 1783 war in Bad Reichenhall
viel Gerede vom Weidwiesenweiblein. Es war dies ein ganz winziges
Weiblein mit schwarzem Gewand und mit einem kleinen Tiegel in
der Hand, in dem ein Lämpchen brannte. Das Gesicht sah man
nicht; man meinte eher, sie hätte keines, denn ein großer
Hut lag ganz flach auf ihren Schultern.
Wenn nun die Leute bei Nacht über die Weidwiesen
nach Hause gingen, so war oft auf einmal und ohne dass man sehen
konnte, woher es gekommen sei, das Weidwiesenweiblein da, ging
nebenher und leuchtete ihnen den Heimweg. Dies tat sie meistens
recht getreulich und zuverlässig; zuweilen aber, wenn die
Menschen gemein waren, führte sie sie an ganz abgelegene
Orte, wo sie gar nicht hin wollten und ließ sie da einfach
stehen.
Sie sprach nichts, und doch hatte niemand Angst vor ihr, vielmehr
kam es allen so vor, als wenn es so sein müsste. Niemals
dankte ihr jemand für ihre Hilfe und ihre Begleitung.
Einmal aber brach einem Fuhrmann in finsterer Nacht beim Kalkofen
ein Rad, und da stand plötzlich das Weiblein neben ihm und
leuchtete mit ihrem Lämpchen. Dem verzweifelten Fuhrmann
war dies so ein großer Trost, dass er sagte: "Tausend
Dank!"
Darüber freute sich das Weidwiesenweiblein sehr und jubilierte:
"Hätte an EINEM Dank schon genug gehabt - doch nun gleich
TAUSEND! Ab jetzt sieht mich niemand mehr!".
Dann war es verschwunden und von dieser Stund
an hat sie niemand je wieder gesehen.
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