Das Zapfenweib
Zwischen Oberkappel und Kollerschlag erstreckt
sich ein Waldrücken, in dessen felsdurchsetztem Unterholz
ein Schar von Winzlingen hauste. Der Wald gehörte den Wichtelinnenn,
Koboldinnen und Zwerginnen. Es war ihr Reich, und die wenigen
Begegnungen mit den Eindringlingen vom Stamm der Menschen empfanden
sie teils als ärgerliche Störung, teils als willkommene
Abwechslung. Es kam vor, dass sie jemand beschenkten oder auch
dass sie jemanden einen Denkzettel verpassten.
Ein Einschichtbauer hatte in der kühlen
Morgenluft im Holz gearbeitet. Zur Brotzeit setzte er sich auf
einem Baumstumpf nieder, aß Brot und Speck und trank den
Most aus der Flasche. Er hätte sich beinahe verschluckt,
als er über den angesetzten Bluzer hinweg unter den Bäumen
jemanden geschäftig herumsuchen sah. Ein kaum kniehohes Weiblein
mit uraltem Gesicht warf mit flinken Händen Fichten- und
Tannenzapfen über die Schultern in einen übergroßen
Buckelkorb. Sie schien ganz in ihre Tätigkeit vertieft, so
daß der Bauer heftig erschrak, als er aufgefordert wurde,
die Last des vollen Korbes auf sich zu nehmen.
"Sei so gut, trag mir die Kraxn nach!"
krächzte das knorrige Weiblein, setzte sie vor ihm ab und
machte mit einer Geste deutlich, daß er ihr folgen sollte.
Der Bauer ließ jedoch Jause und Werkzeug liegen und rannte
heimwärts.
Schon am nächsten Tag sollte ihm seine Ängstlichkeit
sehr leid tun. Nachdem die Sonne den Tau vom halbdürren Grummet
geholt hatte, ging der Bauer mit ein paar Helfern zur Waldwiese,
um die Schober zu zerstreuen.
Aber wie fanden sie diese vor? Sie war dicht
übersät mit vielen Tausend Zapfen, ein Schuppenteppich
lag da ausgebreitet. Die HeuerInnen nahmen die Rechen von den
Schultern und stemmten kopfschüttelnd die Arme in die Hüften;
der Bauer führte seinen Blick den Waldrand entlang, aber
das Weiblein sah er natürlich nicht. Sie mußten eine
Plache holen, wie sie zum Einbringen von Waldlaub verwendet wurde.
Damit trugen sie die Zapfen weg. Zum Heuen kamen die Leute erst
in der größten Mittagshitze.
Das kleine Weiblein wird sich über diesen
Streich noch ein bißchen krummer gelacht haben, als es ohnehin
schon war.
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