Gruppengeflüster

 

 
 

 

2. Gruppengeflüster

(Bruchstücke und Impressionen aus einer mehrjährigen Zeitreise)

(1)

Die große alte Dame, ganz in weiß gekleidet, humpelte mit ihren Stock würdevoll in den großen Saal. Die Schar der Jünger aus allen möglichen Glaubens- und Wissensrichtungen betrachteten sie ehrerbietig. Sie hatte schon einige große medizinisch bedeutsame Institutionen geleitet bevor sie sich mehr den esoterischen Kreisen zuwand. Sie hatte schon zuviel Wissen um diese Jobs noch mit gutem Gewissen auszuüben. Die Klangschalen wechselten die Hände verschiedener Benutzer, einige Jünger schwebten in Tai chi - ähnlichen meditativ langsamen Bewegungen durch den Raum, und in den Nebenräumen ertönten obertonreiche Chorgesänge zu fremdartig, aber behaglich anmutenden Geistesstimmungen. Doch dies war ja alles erst viele Jahre später und warum sollten wir nicht am Anfang beginnen?

Anfang? Gab es einen Anfang? Waren wir nicht schon immer da und wußten wir nicht schon von Anfang an alles? Ein geistiger Lehrer sagte uns einmal, daß wir schon mit dem gesamten Wissen auf die Welt gekommen wären, und wir nur erst wieder lernen müßten uns an alles zu erinnern.

Viele Geschichten und viele Bilder reihten sich aneinander, und zwischen vielen von ihnen gab es wie aus einem unsichtbaren Netz gesponnene Querverbindungen, aber von einem Anfang zu sprechen und diesen auch noch zu konkretisieren war wirklich schwierig.

Manchmal wenn man dachte, daß man den Anfang all dieser Geschichten gefunden hatte, merkte man plötzlich, daß dieser vermeintliche "Anfang" nur eine Auswirkung von anderen Geschichten und Ereignissen war, welche sich erst viele Jahre später ereigneten;

So als hätten sich die Kosmischen Zeitbanditen ein Stückchen von der Zukunft ausgeborgt, um es bereits in der Vergangenheit zu verwenden.

So gesehen ist es eigentlich auch ganz egal wo wir mit unserer Zeitreise beginnen.

(2)

Der große Saal der Universität war gestopft voll, doch hatten wir zum Glück noch einen guten Platz ergattert. Als Rogers das Auditorium betrat, verstummte jedes Gemurmel in dem Saal und alle blickten nur mehr ehrfürchtig nach vorne. Viele konnten es noch immer nicht fassen, daß er wirklich gekommen war. Wir lauschten jedem seiner Worte und versuchten soviel wie nur möglich von allem auch noch zu behalten. Wie immer bei solchen Veranstaltungen versetzte einem das elektrische Licht des Raumes in eine Art hypnotische Trance, welche die Helligkeitsunterschiede noch stärker hervortreten ließ, und uns die Ereignisse besser einprägen ließ.

Als wir nach dem Vortrag unsere Fragen stellen durften, wurde Rogers von einem der Zuhörer immer wieder gefragt, ob er denn nicht Dieses oder Jenes oder vielleicht wenigstens das Eine oder Andere Buch gelesen hätte. Der sichtlich erheiterte Rogers antwortete mit folgendem Satz: "Junger Mann, wenn sie sich in ihrem Leben mit einer Sache ernsthaft auseinandersetzen wollen, werden sie sich irgendwann in ihrem Leben die Frage zu stellen haben, wofür sie ihre Zeit verwenden wollen, - Bücher zu lesen oder Bücher zu schreiben?-Nun gut, ich habe mich für das Zweite entschieden."

Zufrieden und fröhlich verließen wir den Vortragssaal.

Im Rückengepäck noch ein sehr gutes Buch von Rattner, sowie von einigen anderen sehr guten Theoretikern und Praktikern, waren wir guter Dinge und voller Hoffnung, daß wir nun alle unserer Projekte, in perfekter Weise geschult und vorbereitet, in die Tat umsetzen könnten.

Es sollte die Synthese aller bis jetzt erforschten Methoden sowie deren von uns entwickelten Weiterentwicklungen sein. Aller ideologischen Engstirnigkeiten entledigt, sollten sich die verschiedenen Methoden und schulischen Konzepte in Theorie und Praxis ergänzen.

Es war eine Zeitepoche in der es geradezu modern war Gruppen und neue esotherisch- philosophisch- oder psychologisch Schulen oder Glaubensrichtungen zu gründen, Aber der Großteil dieser neuen "Schulen" hatte nur eines im Sinn : "Möglichst viel Geld zu verdienen"

Frei nach dem Motto:"Gestern noch Automechaniker, Versicherungsvertreter oder Pizzaverkäufer - heute schon Reinkarnationstherapeut mit Luxusvilla oder Esoterikguru mit einem neuen möglichst mystisch klingenden Namen"

Dies sollte jedoch nicht den Wert jener vielen neuen Gruppierungen schmälern, welcher in meist idealistischer und oft kostenloser Pionierarbeit die Vielfalt des gesellschaftliche Lebens bereicherten und vielen Menschen auch eine tatsächliche Hilfestellung boten.

In allen möglichen, zuvor oft jahrelang leerstehenden Kellerlokalen, entstanden plötzlich Gruppenzentren, welche an meist kostenlosen offenen Abenden, ihre Methoden und neuen Theorien darboten.

Selbstverwirklichung und Bewußtseinserweiterung wurde zu einem gesellschaftlichen und geselligen Ereignis. Viele neue Bekanntschaften und Verbindungen wurden geknüpft, und mit neuen Denk- und Verhaltensweisen wurde experimentiert.

Viele, in der Enge ihres Alltags gefangene, befreiten sich bei den offenen Spontantheater-abenden von einseitigen Denk- und Verhaltensweisen, mancher entdeckte dabei auch zum ersten Male welch ein kreatives Potential in ihm steckte.

Die vielen Termine der Veranstaltungen die es da zu erforschen gab, waren gar nicht mehr so richtig in den Terminkalender einer Woche unterzubringen.

Freitag beim Spontantheater im Kulturatelier, zwischendurch bei Krishna, Bagwan oder Maharaji, oder vielleicht doch lieber auf ein "Auditing" bei Scientology oder ein kreativer Abend im Zentrum "Light for the future"?

Auf dem Weg dorthin begnete man dann vielleicht noch, den immer fröhlich werbenden Mädchen der "Kinder Gottes", oder wurde von der Munsekte auf ein Essen eingeladen.

Am interessantesten waren dann aber vielleicht doch, die eher wissenschaftlich arbeitenden Anbieter von psychologischen Gruppen- und Lehrveranstaltungen, wie Universitäten, Volksbildungsinstitute und private psychologische Vereinigungen.

Nach einigen Jahren diese "Studierens" an den Universitäten, Bildungsinstitutionen, Spelunken und alternativen Kultur- und Bewußtseinszentren, dachten wir, - nun sei die Zeit reif dafür, all diese Methoden und Theorien, in einem Zentrum und verschiedenen Arbeits- und Experimentiergruppen darzubieten.

Im großen Kreis der Freunde und Mitexperimentierenden immer wieder erprobt und getestet schienen einige Methoden erfolgversprechend zu sein.

So arbeiteten wir weiter an unseren Konzepten und verfeinerten die Methoden bis wir uns entschlossen ein Projekt zu starten, mit welchem wir vielleicht die Knoten und Verstrickungen, in den Gehirnen der Wesen lösen könnten, welche der "große Nonsense- Geist" immer wieder in ihnen hervorzurufen versucht.

Das Projekt, welches zuerst aus vielen kleinen Einzelgruppenprojekten, in eher privaterem Rahmen bestand, sollte nun zu einem öffentlich dargebotenen werden.

Schon sehr bald nach den ersten enthusiastischen Vorbereitungen und Vorveranstaltungen zeigte sich, daß es anscheinend auch Kräfte im gesellschaftlichen wie auch geistigen Bereich gab, welche gar nicht so sehr daran interessiert waren, daß da irgendwelche Knoten und Verstrickungen in den Gehirnen mancher Individuen gelöst würden, was zwar unsere Arbeit sehr behinderte, uns aber auch eine Menge neue Erkenntnisse über die Interessen und Arbeitsmethoden der gesellschaftlichen und geistigen Hintergrundkräfte lieferte.

(3)

In unterschiedlichen Zusammensetzungen starteten wir verschiedene Versuchsgruppen, und als uns dann auch noch ein Kulturzentrum eine Räumlichkeit zur Verfügung stellte, begannen wir mit einer größeren Gruppe, an der sich bis zu 30 Leute beteiligten.

Interessant war, daß des öfteren auch Leute auftauchten, die auf Grund von Inseraten in bestimmten Zeitungen gekommen waren, in denen es aber seltsamerweise nie Inserate von uns gegeben hatte, und welche behaupteten, daß sie sich nur "außer Konkurrenz" beteiligen wollten.

Manchmal hatte man den Eindruck, daß sie die Bewacher ihrer "mitbenützen" und beeinträchtigten Opfer waren, denen sie die Teilnahme an der Gruppe verwehren wollten, und welche sie manchmal, nach heftigem, scheinbar "fürsorglichem" Zureden, aus der Gruppe entfernten (hinausbegleiteten).

Manche Gruppenmitglieder und Leute welche in dieser Zeit Kontakt hatten, wurden direkt unter Druck gesetzt, und einige von ihnen hatten, selbst Jahre danach Angst, bei zufälligen Begegnungen, erkannt zu werden.

Die Gruppenkonzepte waren so harmlos, daß man sich da fragen könnte, was da wohl damals so alles an Hintergrundinszenierungen in den Köpfen gelaufen ist ?

(4)

Eine kurze Darstellung aus den Programmpunkten einiger Gruppenkonzepte:

1.Systematische Auflockerungsübungen für alle Körperregionen

2.Atmung und Entspannung

3.Selbstdarstellung und kurze Lebensanalyse

4.Ausführlichere Lebensanalyse gegliedert nach Zeit- und Themenbereichen

(Kleinkindalter, Kindergarten, Schulzeit, Bezugspersonen, Träume, freudige und traumatische Ereignisse, Ziele und Bedürfnisse, usw......)

5.Kreativitäts- und Ausdrucksfördernde Techniken

(Videoexperimente, Rollenspiele, Stimm-und Gesangsexperimente, Kreisgeschichten, freier Ausdruckstanz)

6.Persönlichkeitsstrukturierung durch Schwerpunkts- und Zielsetzung (Selbstanalyse)

 

(5)

Wie dem auch sei. Das Zeitalter des Psychobooms und der überall propagierten Selbstverwirklichung schien (wer weiß wie oft schon in der Geschichte der Menschen?) wieder einmal dem Ende zu zugehen, und die meisten dieser philosophischen, spirituell oder psychologisch motivierten Bewußtseinszentren verschwanden genauso schnell wieder aus der städtischen Kulturlandschaft, wie sie entstanden waren.

Als ich einige Jahre später, die wenigen noch länger existierenden Gruppierungen besuchen wollte, mußte ich feststellen, dass sich die meisten von ihnen in solide gewinnbringende Betriebe verwandelt hatten, welche Genossenschaftshäuser bauten, Versicherungen verkauften oder Managemants- und Marketingkurse anboten und welche mit ihrem ursprünglichem Gedankengut nicht mehr das geringste zu tun hatten.

Bei meinem letzten Versuch, wenigstens etwas, von dieser verlorengegangen Vergangenheit, der bewußtseinserweiternden Selbstverwirklichungsideologien zu retten, traf ich dann die wunderbare alte, ganz in weiß gekleidete Dame, wie sie mit ihrem Stock in der Hand, zwischen Klangschalen und Obertonstimmen sich ihren Weg zwischen den vielen jungen, hoffnungsvollen Gesichtern und Augen bahnte.

Hie und da stellte sie eine Frage und begegnete der Antwort mit ihrem wohlwollenden Lächeln.

Als sie bei mir vorbeischritt stellte sie auch mir eine freundliche Frage, und in der Aufregung und Freude darüber, daß ich ihr noch einmal begegnen durfte, fiel meine Antwort so tollpatschig aus, daß ich den Eindruck hatte, daß sie mich falsch verstanden hätte.

Ich wollte mich zwar noch korrigieren und ihr meine Freude über dieses Wiedersehen zum Ausdruck bringen, aber da war sie schon wieder weitergegangen.

Es tat mir leid, denn sie war sicher die eindrucksvollste und fähigste Therapeutin der ich je begegnet bin.