Juttas Mathe-Newsletter

Nr. 15 / August 2006

"Das macht nach Adam Riese ..."

Diese Redewendung haben sicher alle von euch schon gehört oder selbst benutzt. Aber die wenigsten wissen über den Rechenmeister Bescheid, auf den sie sich bezieht. In diesem Urlaub hatte ich Gelegenheit, das Adam-Ries-Haus in Annaberg im Erzgebirge (Sachsen) zu besuchen. Daher möchte ich euch ein bisschen etwas über diesen Mann erzählen.

Leben

Adam Ries(e) (die Schreibweise von Namen war damals noch nicht so eindeutig festgelegt) wurde 1492 in Staffelstein (Franken) geboren. Nach einigen Wanderjahren ließ er sich zunächst 1518 in Erfurt als Rechenmeister nieder. 1523 zog er nach Annaberg, wo er als hoher Bergwerksbeamter angestellt war und eine Rechenschule betrieb. Er starb 1559 als wohlhabender Mann und hinterließ acht Kinder; sein Sohn Abraham führte die Schule weiter.

In der Renaissancezeit gab es einen großen Aufschwung im Handel. Es bildete sich eine neue Schicht von reichen Kaufleuten - zuerst in Italien, wenig später auch in Deutschland -, die an einer guten Ausbildung für ihre Söhne interessiert waren. So entstanden in allen größeren Stadten Rechenschulen. Annaberg war durch den Silberbergbau eine der reichsten Städte Sachsens geworden (größer als Leipzig) und konnte sich den damals schon bekannten Rechenmeister Adam Ries leisten.

Ries veröffentlichte drei Rechenbücher:
"Rechnung auff der linihen ..." (1518)
"Rechnung auff der linihen und federn ..." (1522)
"Rechnung nach der lenge, auf den Linihen und Feder" (1550; das Porträt oben stammt von Titelblatt dieses Buches).
Vor allem das zweite Buch war ein großer Erfolg und wurde in den folgenden 200 Jahren immer wieder nachgedruckt. Dieses Werk möchte ich kurz vorstellen. Ich werde dabei alle Zitate in heutiges Deutsch übersetzen.

Rechnung auf der Linien

Adam Ries lehrte vor allem das "moderne" Zifferrechnen mit arabischen Ziffern, die "Rechnung mit der Feder". Aber zu seiner Zeit waren die römischen Ziffern noch weit verbreitet, die zum schriftlichen Rechnen eher unpraktisch waren. Man rechnet daher bis ins 18. Jahrhundert hinein auch noch "auf der Linien", mit dem Abakus. Das war aber nicht das Gerät mit den verschiebbaren Kügelchen, das Schulanfänger noch manchmal benutzen, sondern ein Linienschema, das auf einen Tisch oder ein Brett gezeichnet wurde. Die Zahlen legt man darauf mit Metallmarken, sogenannten Rechenpfennigen.

Die unterste Linie stand für die Einer, die nächste für die Zehner u.s.w. Ein Pfennig in einem Zwischenraum (spatium) bedeutete 5 Einheiten. Wollte man zum Beispiel zwei Zahlen addieren, so legte man sie beide auf und fasste sie zusammen. Dann ersetzte man jeweils 5 Pfennige auf einer Linie durch einen im darüberliegenden Zwischenraum und 2 Pfennige in einem Zwischenraum durch einen auf der nächsthöheren Linie. Einen genauere Erklärung findet sich auf der Seite von Tino Hempel: http://www.tinohempel.de/info/mathe/ries/ries.htm. Auf diese Art konnten auch Analphabeten rechnen, und man brauchte kein Papier, das damals noch sehr teuer war. Der Nachteil ist, dass die Zwischenergebnisse nicht erhalten bleiben und man die Rechnung daher nicht so gut überprüfen kann.

Adam Ries erklärt alle Grundrechnungsarten zuerst auf der Linie und dann mit der Feder. Dabei ist es interessant, dass er sechs Grundrechnungsarten kennt: Addieren, Subtrahieren, Duplieren (Verdoppeln), Medieren (Halbieren), Multiplizieren und Dividieren.

Die "Regula de tri"

Dabei handelt es sich um den Dreisatz, in Österreich auch als Schlussrechnung bekannt. Diese Rechentechnik nimmt den Großteil des Rechenbuchs ein. Ries erklärt sie so:

"Ist eine Regel von drei Dingen. Setz nach hinten das, das du wissen willst, das wird die Frage genannt. Das von den anderen beiden, das den gleichen Namen hat, setz nach vorn, und das andere in die Mitte. Danach multiplizier das hintere und mittlere miteinander. Das Ergebnis dividier durch das vordere, dann weißt du, wie teuer das dritte kommt."

Beispiel: 36 Pfund kosten 8 Gulden 9 Groschen. Wieviel kosten 8 Pfund?
Man verwandelt die Gulden in Groschen (1 Gulden = 21 Groschen, 1 Groschen = 12 Pfennig) und schreibt:

36 (Pfund)       177 (Groschen)       8 (Pfund)

Das Ergebnis ist 8 × 177 : 36 = 391/3 Groschen = 1 Gulden 18 Groschen 4 Pfennig.

Es folgt eine Unmenge von Übungsaufgaben, vor allem aus dem Alltag des Kaufmanns: Preise, Gewichte, Umrechnen in andere Währungen (damals gab es in allen Teilen Deutschlands unterschiedliche Währungssysteme!), Gewinn und Verlust, Feingehalt von Gold und Silber, Aufteilen des Gewinns in einer Gesellschaft ... Erschwert werden die Aufgaben dadurch, dass man oft erst verschiedene Einheiten umwandeln muss. (Jede Art von Waren wurde in eigenen Einheiten gemessen, und wie wir oben gesehen haben, benutzte man bei der Umrechnung meist nicht das Dezimalsystem.) Außerdem erhält man oft komplizierte Bruchausdrücke als Ergebnis (in einem Einschub erklärt Ries die Regeln für die Bruchrechnung). So soll in einem Beispiel ein Fass Heringe auf drei Personen aufgeteilt werden. Dabei erhält der erste 59644/61 Heringe, der zweite 44733/61 und der dritte 25545/61! (Ries gibt bei allen Aufgaben das Ergebnis an.)

Fast alle Beispiele gehen von einem direkt proportionalen Verhältnis aus. Nur in einer Aufgabe kommt ein indirektes Verhältnis vor:
"Wenn das Korn 14 Groschen kostet, bäckt man ein Pfennigbrot, das 34 Lot wiegt. Wie schwer soll man es backen, wenn es teurer wird und 17 Groschen kostet?"
(Der Preis für ein Brot betrug immer einen Pfennig. Wenn das Getreide teurer wurde, buk man einfach kleinere Brote.)
Ries schreibt dazu einfach: "Machs durch Umkehrung, setz

17 (Groschen)       34 Lot       14 (Groschen)"

Als Ergebnis erhält man 14 × 34 : 17 = 28 Lot.

Die "Regula Falsi"

Im dritten Teil seines Rechenbuchs behandelt Adam Ries Aufgaben, die wir heute mit Gleichungen lösen würden. Damals war aber die algebraische Schreibweise noch sehr kompliziert (mehr dazu siehe unten). Er benutzt daher eine Methode, die schon den chinesischen und arabischen Mathematikern bekannt war (und noch Ende des 19. Jahrhunderts an österreichischen Gymnasien gelehrt wurde): den doppelten falschen Ansatz. Dabei setzt man zwei beliebige Zahlen in die Angabe ein und notiert sich den Fehler (die "Lüge") - mit einem "plus", wenn das Ergebnis zu groß ist, sonst mit einem "minus".

"Alsdann zieh eine Lüge von der anderen ab, was übrig bleibt, wird dein Teiler. Danach multiplizier kreuzweis eine falsche Zahl mit der anderen Lüge. Zieh ein Ergebnis vom anderen ab, und was übrig bleibt, teile durch den vorhin erhaltenen Teiler. So erhältst du die richtige Antwort."

Beispiel:
"Einer spricht: Gott grüß euch, ihr 30 Gesellen. Antwortet einer: Wenn wir noch einmal so viel und dazu noch halb so viel wären, wären wir 30. Wie viele sind es gewesen?"
Ries setzt zuerst 16 ein: 16 + 16 + 16/2 = 40, also 10 zu viel. Dann probiert er es mit 14 und erhält um 5 zu viel. Das ergibt folgende Schema:

16 plus 10 5
14 plus 5

(Ganz rechts steht die Differenz der beiden Fehler.)
Die Lösung ist (14×10 - 16×5) : 5 = 12.

Adam Ries rechnet mit den Absolutbeträgen der Fehler - plus und minus werden noch nicht als Vorzeichen im heutigen Sinn aufgefasst. Wenn eine falsche Zahl zu viel, die andere zu wenig ergibt, muss man daher addieren statt subtrahieren:

"Jemand dingt einen Arbeiter für 30 Tage. Wenn er arbeitet, so gibt er ihm 7 Pfennig. Wenn er aber feiert, rechnet er ihm 5 Pfennig ab. Als die 30 Tage vorbei sind, ist keiner dem anderen etwas schuldig. Wie viele Tage hat er gearbeitet und wie viele gefeiert?"
Für die Anzahl der Arbeitstage wird zuerst 15, dann 10 gesetzt:

15 minus 30 60
10 plus 30

Er hat also (10×30 + 15×30) : 60 = 12½ Tage gearbeitet und 17½ Tage gefeiert.

Die Coss

Adam Ries war nicht nur ein einfacher Schulmeister, der die Grundrechnungsarten und Schlussrechnungen beherrschte - Stoff, den man heute in der Volksschule lernt. Er war mathematisch auf der Höhe seiner Zeit und verfasste auch ein Manuskript über die "Coss" (Algebra), das aber zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt wurde. (Es wurde erst 1855 wieder entdeckt und 1992 veröffentlicht.)

Die Bezeichnung "Coss" kommt aus dem Italienischen. Die italienischen Algebraiker bezeichneten die Unbekannte in einer Gleichung mit "cosa" (Ding, Sache). Dieser Name wurde im Deutschen auf das ganze Gebiet übertragen. Bedeutende deutsche Cossisten waren u.a. Michael Stifel (1487 - 1567), Christoff Rudolff (1499 - 1545) und Adam Ries' Sohn Abraham. Sie beschäftigten sich mit der Auflösung von Gleichungen - linearen, quadratischen und Gleichungen höheren Grades, die sich auf quadratische zurückführen lassen. Die Lösungsformel für die allgemeine Gleichung 3. Grades wurde erst 1545 vom italienischen Mathematiker Girolamo Cardano veröffentlicht (siehe auch http://members.chello.at/gut.jutta.gerhard/geogl4.htm). Ries erwähnt Cardano im zweiten Teil der Coss, den er in seinen letzten Lebensjahren geschrieben hat.

Adam Ries - wie auch die anderen Cossisten - benutzt für jede Potenz der Unbekannten eigene Bezeichnungen (radix, census, cubus, ...) und eigene Symbole, die ich hier leider nicht darstellen kann. (Einige dieser Zeichen sieht man auch in einem Buch von Stifel: http://www-history.mcs.st-and.ac.uk/~history/Bookpages/Stifel4.gif.) Er verwendet zum Teil Rechenzeichen wie + und -, zum Teil drückt er die Rechenoperationen verbal aus (das Zeichen = kennt er noch nicht). Man kann sich vorstellen, dass dieses Kapitel damals für die meisten Menschen sehr schwer verständlich war - Adam Ries hat es in seiner Rechenschule ja auch nicht unterrichtet.

Die heute übliche algebraische Notation (x, y, z für die Unbekannten, hochgestellte Zahlen für die Potenzen) wurde erst ein Jahrhundert später von Descartes eingeführt. Damit wurden algebraische Umformungen viel einfacher, und heute kann jeder vierzehnjährige Schüler Gleichungen lösen. Das wäre aber wohl nicht möglich, wenn Rechenmeister wie Adam Ries nicht vorher für eine solide mathematische Grundbildung gesorgt hätten.

Ich wünsche euch noch einen schönen restlichen Sommer!

Jutta


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E-mail: gut.jutta.gerhard@chello.at

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