DER SEPTEMBER 1957

2. Jahrgang, Heft 10

 

TOSCA am 1. September

Die Eröffnungsvorstellung erinnerte eher an die traurigen Zeiten im November vorigen Jahres. Wieder waren die Wiener Philharmoniker abwesend und der Dirigent des Abends Berislav Klobucar hielt die Substituten keineswegs in Zucht und Ordnung. Auch in Lautstärke und Tempo übertrieb er zeitweise. Von den Sängern konnte nur Paul Schöffler eine dem Anlaß würdige Leistung bieten, obwohl er sich in Anbetracht der folgenden schweren Wochen schonte. Eugenio Fernandi zeigte seine schöne voluminöse Stimme und einige strahlende Spitzentöne. Eine technische Verbesserung seiner an sich reichen Mittel hat er jedoch noch nicht erzielt. Ohne eine solche wird er aber kaum die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen können. Carla Martinis, statt Inge Borkh in der Titelrolle eingesprungen, erschien gegenüber ihren Leistungen in der vorigen Saison verbessert, hat aber noch immer Intonationsschwierigkeiten. Die Eröffnung des Hauses sollte sich durch zumindest einigermaßen festlichen Charakter auszeichnen und der aus unerfindlichen Gründen abgesagte Fidelio hätte weit besser gepaßt.

LA BOHEME am 2. September

In einer wieder recht lebendigen Repertoireaufführung stand Hilde Güden im Mittelpunkt. Ihre poesievolle Mimi gab dem Publikum eine Demonstration erlesener Gesangskultur, verbunden mit der ihr eigenen diskreten und noblen Schauspielkunst. Karl Terkals Rudolf besitzt zwar nicht das Einfühlungsvermögen und die Technik seiner Partnerin, konnte aber trotzdem – besonders in der Arie – durch seine schöne Naturstimme gefallen. Alfred Poell, Oskar Czerwenka und Walter Berry waren mit viel Eifer am Bühnengeschehen beteiligt. Zu ihnen gesellte sich Anneliese Rothenbergers zarte, muntere Musette. Berislav Klobucar begleitete die Sänger aufmerksam.

FIDELIO am 3. September

Die Aufführung in der Besetzung, die auch für die Eröffnungsvorstellung ausersehen gewesen wäre, hielt trotz der noch abwesenden Wiener Philharmoniker beachtliches Niveau. Josef Krips, von seiner ihn in Salzburg zur Absage zwingenden Erkrankung offenbar wieder ganz genesen, leitete den Ablauf des Abends so sicher, straff und musikalisch, wie wir es von ihm gewöhnt sind. Inge Borkh überzeugt in der Titelrolle stets mehr durch die durchdachte und dramatische Aktion als durch ihre stimmliche Leistung, der manchmal die Ausgeglichenheit fehlt. Sena Jurinac kam in Salzburg fast besser zur Geltung als in Wien, da ihre Stimme für die Marzelline wohl schon ein wenig zu gewichtig ist. Doch bleibt sie auch hier, wie stets, eine Künstlerin im Ausdruck und in der Phrasierung. Anton Dermota sang den Florestan unter schonungslosem Einsatz seines klangvollen Organs. Paul Schöffler, Gottlob Frick, Walter Berry und Waldemar Kmentt waren weitere Aktivposten dieser Aufführung, die als ein Musterbeispiel für eine gepflegte Repertoire-Aufführung gelten kann.

CARMEN am 4. September

In dieser Aufführung ging es schon etwas bunter zu. Die Solisten singen wie beim Gastspiel Giuseppe di Stefanos weiterhin in einer Sprache, die entfernt an das Französische erinnert, der Chor ist beim soliden Deutsch geblieben. Man sollte meinen, daß unser Chor auch eine französische Carmen einzustudieren in der Lage sein sollte, wo er doch in italienischer und manchmal sogar in lateinischer, althochdeutscher oder griechischer Sprache zu singen pflegt. Zu Ende der vorigen Saison konnte man annehmen, das Studium habe wegen Arbeitsüberlastung nicht erfolgen können und man begnügte sich schon im Hinblick auf die großartige Vorstellung am 19. Juni mit der improvisierten Zwischenlösung. Nun wäre es allerdings an der Zeit, etwas zu unternehmen. Entweder Französisch oder Deutsch, nicht jedoch beide Sprachen an einem Abend! Der größte Gewinn der Aufführung war Hilde Güden als Micaela. Jean Madeira hatte einen guten Abend, auch Mimi Coertse und Hilde Rössel-Majdan sangen geschmackvoll und kultiviert. Der gastierende Tenor Frank Eckart bewies Sicherheit und Empfindung im Vortrag, wurde aber weder stimmlich (er hat beachtliches, aber rauhes und sprödes Material) noch darstellerisch mit der Partie des Don José fertig. Michele Roux haben wir schon anläßlich Karajans konzertanter Carmen im Musikverein, als Durchschnittsänger mit für unsere Begriffe provinziellem Niveau kennen gelernt. Spitzensänger scheinen in Frankreich sporadischer aufzutreten, denn anderswo. Die Offiziere Frederick Guthrie und Alfred Poell, sowie die Schmuggler, Murray Dickie und Harald Pröglhöf, holten aus ihren Rollen heraus, was nur herauszuholen ist. Carmen ist bekanntlich die Aufführung mit den bestbesetzten kleinen Rollen. Berislav Klobucar, dem dieses Werk immer gut lag, stürzte sich mit Temperament ins spanische Volksleben, wobei allerdings durch einige allzu rasch genommene Phrasen der Kontakt mit der Bühne in Verlust geriet.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 5. September

Anläßlich dieser Aufführung konnte der Bayreuth-Heimkehrer feststellen, was wir den dortigen Festspielen voraus haben: den Hans Sachs Paul Schöfflers. Viel bewundert und oft gewürdigt, gewann er der Partie wieder neue Nuancen ab und zwar besonders im Zusammenspiel mit Karl Schmitt-Walter, dem Bayreuther Beckmesser, der endlich der bei uns stets bis ins Klamaukhaft-Blödelnde verzerrten Figur wieder glaubwürdig menschliche Züge gab, ohne deshalb je trocken oder humorlos zu wirken. Irmgard Seefried sang nach langer Pause wieder im Haus am Ring. Ihr Evchen war diesmal viel weniger verspielt und überspitzt als sonst, sodaß sie – zumal auch stimmlich in allerbester Verfassung – eine Leistung, wie aus einem Guß bot. Wolfgang Windgassen war ein Stolzing mit blühender Stimme; Gottlob Frick, Murray Dickie, Alfred Poell und Frederick Guthrie waren verläßliche Diener am Werk. Meistersinger-Ensemble und Chor hielten unter der korrekten Stabführung von Rudolf Moralt solides Niveau.

BALLETTABEND am 6. September

FIDELIO am 7. September

In dieser ersten Vorstellung war nur die Partie des Ministers (im Vergleich zum 3. September) umbesetzt. Alfred Poell sang sie mit Würde und Ausdruck. Besonders gute Leistungen hörte man an diesem Abend von Sena Jurinac, Anton Dermota und Gottlob Frick.

DON CARLOS am 8. September

Merkwürdig genug erscheint uns der Versuch, dieses Werk mit Gewalt zu einer Repertoireoper machen zu wollen. Besonders in Hinblick auf die leicht festzustellende Tatsache, daß absolut nicht zieht, das Haus vielmehr immer mühsam angefüllt werden muß. Die selbst in Italien nur selten auf den Spielplänen zu findende Oper verlangt in den wichtigsten Rollen sechs Sänger-Schauspieler. Wann und wo stehen diese jemals für eine Repertoirevorstellung zur Verfügung? Das Resultat ist meistens dementsprechend!

Hermann Uhde hat sich für seine Wiederkehr den Philipp ausgesucht. Er stellte auch mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit eine durchaus glaubhafte Figur auf die Bühne. Leider ist er stimmlich untergewichtig, was sich natürlich ganz besonders in der großen Arie auswirkt, obwohl er sie gegen alles Herkommen fast durchwegs piano sang. Bei Alfred Jergers Großinquisitor war der Eindruck einer hauptsächlich vom Schauspielerischen herrührenden Rollengestaltung zwangsläufig noch stärker. Martha Mödl hatte mit ihrer dramatischen, tragischen und gesanglich ausgezeichnet gestalteten Eboli wieder einen ganz großen Erfolg, während Hilde Zadek und Theo Baylé farblos und uninteressant blieben. Ivo Zidek hat sich seit dem Vorjahr in der Partie des Carlos sehr verbessert. Er ist sichtlich und hörbar eines der fleißigsten Ensemblemitglieder. Berislav Klobucar schien an diesem Carlos, wie an vielen vorausgegangenen, völlig desinteressiert zu sein.

PALESTRINA am 9. September

Dieses Werk ist selten auf dem Spielplan und wird daher vom Ensemble immer mit besonderer Anteilnahme gestaltet. Rudolf Moralt, ein Kenner und Liebhaber des Pfitznerschen Werkes, war der ausgezeichnete Dirigent des Abends. Julius Patzak in der Titelpartie, ist nach wie vor, eine der idealen Besetzungen einer Opernpartie überhaupt. Hier muß jede Kritik einer manchmal vielleicht etwas schwächeren Leistung, angesichts der musikalischen Gestaltung schweigen. Immer noch wird Julius Patzaks stimmliche Konzeption den Schwierigkeiten der Partie vollauf gerecht. Aus dem harmonischen Ensemble, wie ein gleiches selten in einer anderen Inszenierung zu finden ist, ragten besonders Sena Jurinac, der stets verläßliche Karl Kamann und Paul Schöffler, heraus. Letzterer demonstrierte überdies, wie ein Sänger großer Klasse seine angesagte und zweifellos auch vorhandene Indisposition überdecken und meistern kann.

BALLETTABEND am 10. September

TRISTAN UND ISOLDE am 11. September

Um es gleich vorwegzunehmen, es war eine ganz gute Repertoire-Aufführung. Sollte Tristan und Isolde an der Wiener Staatsoper aber nicht mehr sein? Das Werk ist nicht für den Alltagsspielplan da, es verlangt sowohl auf der Bühne, als im Orchester festlichen Glanz. Die bewährte und routinierte Hand Rudolf Moralts, konnte diesen Glanz aus dem Orchester nicht herausholen. Karl Liebl, im Vorjahr noch Gast, sang den Tristan als Antrittsrolle. Im Zeichen des herrschenden Heldentenormangels zu Anerkennung und guten Kritiken gelangt, bewies er deutlich, daß nicht alles an unserer Oper paßt, was anderswo gut kritisiert wird. Seine Stimme ist im Umfang beschränkt, in der Technik nicht ganz sattelfest und im Timbre wenig ansprechend. Wenn man schon auf metallischen Glanz einer schweren Heldentenorstimme verzichten muß, kann man doch wenigstens einen tadellos singenden und technisch durchhaltenden Sänger verlangen. Das jedoch gelingt Karl Liebl nicht, noch weniger ist er ein Darsteller. Martha Mödl, die Tragödin der deutschsprachigen Oper, machte als Isolde wieder großen Eindruck. Gottlob Frick war als Marke in besonders guter Verfassung, Elisabeth Höngen sang die Brangäne mit Anteilnahme, Paul Schöfflers meisterhafte Charakterisierungskunst kam dem treuen Kurwenal zugute.

ELEKTRA am 12. September

Sie stand – wie alle von ihm geleiteten Opernabende – ganz im Zeichen von Dimitri Mitropoulos. Im Gegensatz zu der bei uns üblichen Auffassung des Werkes, einfach eine Oper von Strauß zu dirigieren (was nicht ausschließt, daß dies bei uns in vollendeter Weise geschieht), versucht Mitropoulos, eine klassische Tragödie daraus zu formen. Es gelingt ihm auch, so schwierig dieses Unterfangen durch Hofmannsthals Jugendstil-Atridendrama gemacht wird. Die musikalische Gestaltung ist klarer, durchsichtiger und intellektueller als etwa die von Karl Böhm. Diese eher klassische Auffassung teilt sich auch den Sängern mit. Inge Borkh als Elektra ist eine Leistung von höchster Eindringlichkeit und Überzeugungskraft, gewaltig gesteigert vom Anfang, der sie einsam, verschlossen und müde zeigt, bis zu dem dadurch um so mehr wirksamen wilden Ausbruch des Hasses und der innig und menschlich gestalteten Orest-Szene. Faszinierend ist ihr Rachetanz, aus dem sie herausgerissen, wie von unsichtbarer Kraft niedergeschmettert, zu Boden stürzt. Auch ihre helle und starke Stimme dominiert im Ensemble, in dem Hilde Zadek die Chrysothemis gab. Jean Madeira sang die Klytämnestra, was wir eigentlich bis jetzt von ihr gar nicht gewöhnt waren. Ihr Spiel war erfreulicherweise frei von Übertreibungen. Es scheint, als würde sich die Sängerin gewisse mitgebrachte Amerikanismen in der Gestaltung ihrer Rollen bald ganz abgewöhnt haben, was der Künstlerin nur zum Vorteil gereichen würde. Es fehlt ihr in dieser Rolle allerdings die deklamatorische Prägnanz, die zur Charakterisierung der Gestalt nötig ist. Das Klirren der Edelsteine und das Lastende einer grauenvollen Angst brachte eher das herrliche Orchester als die Sängerin zum Ausdruck. Hermann Uhde überzeugte als Orest in Stimme, Spiel und Erscheinung und formte aus der kleinen Rolle eine große Charakterstudie. Die kleineren Partien waren mit Ausnahme von Max Lorenz, Hilde Rössel-Majdan und Christa Ludwig schlecht besetzt.

BALLETTABEND am 13. September

DER ROSENKAVALIER am 14. September

hatte absolut nicht jenes Niveau, mit dem wir durch Aufführungen dieses Werkes an der Wiener Oper verwöhnt wurden. Diesmal lag es nicht am schwungvoll und zugleich subtil spielenden Orchester, auch nicht an dem ausgezeichneten Dirigenten Rudolf Moralt, sondern an der Besetzung, aus der nur Christa Ludwig als stimmschöner und charmanter Oktavian herausragte. Teresa Stich-Randalls Sophie ist eine Zumutung an die Hörer. Ihre Stimme, die ehedem, da noch leichter und soubrettenhafter, ganz gut geklungen hat, wird immer steifer und spitzer und das vorsichtige Anbohren mit darauf folgendem sirenenartigem Anschwellenlassen des Tones verstärkt noch den schlechten Eindruck, den die Sängerin derzeit macht. Überdies ist sie alles andere als ausgerechnet eine Sophie. Hilde Zadek sang wieder die Marschallin, Otto Edelmann war wie üblich, ein grober, steifer und fader Ochs. Karl Kamann hielt als lustiger Faninal die Stellung.

 

FALSTAFF am 15. September

Nach leider langjähriger Pause hielt dieses Werk wieder Einzug in die Wiener Staatsoper, diesmal in der mailändisch-salzburgischen Inszenierung Herbert von Karajans. Die Freude, dieses geniale Meisterwerk wieder hören zu können, wurde übertroffen von der Freude über die großartige Aufführung, die im Vergleich zu den Salzburger Aufführungen (in Mailand konnten wir sie wegen der für uns ungünstigen Termine leider nicht hören) noch geschlossener und schwungvoller geworden  ist. Uns erschienen auch die gesanglichen Leistungen eindrucksvoller als in Salzburg. Es ist allerdings möglich, daß dieser Umstand auf die wesentlich bessere Akustik des Wiener Hauses zurückzuführen ist. Allein wegen der gräßlichen Akustik des Festspielhauses Salzburg, erscheint uns der Bau eines neuen Hauses unbedingt gebracht. Die Polemiken gegen diesen Gedanken sind sachlich betrachtet kein Dienst an den Festspielen! Doch zurück nach Wien: Noch mehr mit der Rolle des feisten Sir John schien Tito Gobbi verwachsen zu sein. Rolando Panerai überraschte durch eine ausgewogene stimmliche Gestaltung und temperamentgeladenes Spiel. Luigi Alva sang so kultiviert und geschmackvoll, daß man ihm die reizende Nanetta Anna Moffo von ganzem Herzen gönnte. Giulietta Simionato ist eine köstliche Mrs. Quickly. Jede Handbewegung, jeder Bückling sitzt und der todernste Gesichtsausdruck, mit dem sie ihr „Povera Donna“ serviert, ist großartig, ebenso wie ihre dunkle, satte Kontraaltstimme mit fast unhörbarem Registerwechsel. Diese Stimme ist eine Kostbarkeit. Mario Petri und Renato Ercolani (der beinahe schon zum Ensemble unserer Oper gehört) sind ein unübertreffliches Buffopaar. Auch Anna Maria Canali ist liebenswürdig und heiter. Elisabeth Schwarzkopf sang zum ersten Mal im Neuen Haus. Es klang, als wäre der Raum eigens für sie erbaut worden. Zu ihrem eigenen Schaden hat die Wiener Oper diese Künstlerin durch neun Jahre entbehren müssen. Nun haben wir sie wieder, und es spricht für Frau Schwarzkopf, daß sie, die wohl jede Bombenrolle erhalten hätte, in einer der vielen Rollen einer typischen Ensembleoper wiederkehrte. Wiederbegegnungen mit Sängern, die man jahrelang nicht hören konnte, sind meist eher schmerzlich, hier jedoch ist die Stimme noch voller, runder, satter im Timbre und müheloser im Technischen geworden. Wir hoffen, daß wir Frau Schwarzkopf jetzt öfter und länger in unserer Oper haben werden!            

Herbert von Karajan hat den Falstaff mit Humor und sicherem Bühneninstinkt inszeniert. Die musikalische Leitung des Abends lag ebenfalls in seinen Händen. Es wird kaum jemanden geben, der wie er dieses so schwerelos, bald graziös-schwebend, bald munter-polternd, schwelgerisch die Phrasen auskostend und humorvoll pointierend interpretiert. Der Beifall kannte keine Grenzen.

 

ELEKTRA am 16. September

Auch die zweite Vorstellung stand wieder ganz im Zeichen von Dimitri Mitropoulos.

FALSTAFF am 17. September

fand in der Premierenbesetzung unter Herbert von Karajan statt.

FIDELIO am 18. September

Durch Anton Dermotas Absage wurde auch dem Wiener Publikum Herbert von Karajans geglücktes Experiment, Giuseppe Zampieri als Florestan, vorgestellt. Er war leider durch die am Vormittag des gleichen Tages gesungene Madama-Butterfly-Generalprobe ermüdet und vermochte sich nach der gut gesungenen Arie nicht mehr so richtig durchzusetzen. Von der Aufführung dieses Abends ist weiter wenig Positives zu berichten. Weder Inge Borkh, noch Paul Schöffler hatten ihren besten Tag. Und für Otto Edelmann wäre es nur von Vorteil gewesen, wenn die Goldarie, wie dies in Salzburg der Fall war, gestrichen worden wäre. Man kann nicht mehr umhin, zu vermuten, daß dies ohnehin nur seinetwegen geschehen ist. So blieb uns nur Irmgard Seefrieds innig gesungene Arie der Marzelline und die leider durch einige Blechkickser gestörte Dritten Leonoren-Ouvertüre im Gedächtnis haften; etwas wenig für einen Fidelio an der Wiener Oper. Der sachkundigen Leitung von Josef Krips war es zu danken, daß das Niveau der Aufführung nicht völlig unter das der beiden vorangegangenen Wiedergaben dieses Werkes sank.

 

MADAMA BUTTERFLY am 19. September, Neuinszenierung

Madama Butterfly, die erste Neuinszenierung dieser Saison ging in einer großartigen Wiedergabe durch Dimitri Mitropoulos über die Bretter unserer Staatsoper. Der geniale und eigenwillige Dirigent verstand es, aus dem bisher für unsere Ohren zu sentimentalen Werk Puccinis ein erschütterndes Musikdrama zu gestalten. Schon im ersten Akt gab er den dramatischen Akzenten mehr Raum als den Lyrismen, die durch Mitropoulos Straffheit an süßem Ausdruck verloren, dafür aber echtes Gefühl ausstrahlten. Man spürte schon in den ersten Takten beklemmend das Schicksal der Butterfly. Mit großer Spannung und fühlbarer Dynamik baute er die musikalischen Linien Puccinis, die sich teilweise zu symphonischer Dichte konzentrierten, als ein Ganzes auf.

Für diese Interpretation, die ein Frauenschicksal aus der Partitur entstehen ließ, war Sena Jurinac wie geschaffen. Diese große Künstlerin, die immer ihre Partien mit Herzenswärme gestaltet, übertraf sich selbst und hat mit der Cho-Cho-San einen Höhepunkt ihrer Laufbahn erreicht. Ihre Auffassung zeigte sich mit der Mitropoulos identisch. Auch sie wich im ersten Akt von der schablonemäßigen Darstellung ab, sie war kein verspieltes rührseliges Geschöpf sondern eine durch Liebe gereifte Frau. Mit ihrer herrlichen, immer mehr ins jugendlich-dramatische Fach übergehenden Stimme enthüllte sie alle Gefühlsregungen einer liebenden, glaubenden und dann so sehr enttäuschten Frau.

Neben Sena Jurinac’ vollendetem, seelenvollem Gesang und Spiel mußten die übrigen Rollenträger (nicht nur des Librettos wegen) abfallen. Den durch den Zauber der Montur wirkenden Pinkerton, der allerdings mehr mit dem Dirigenten, als mit seiner Partnerin liebäugelte und trotzdem manchmal schneller als Mitropoulos war, sang Giuseppe Zampieri. Mit seiner gefälligen, kultivierten Stimme brachte er gut die Oberflächlichkeit des gewohnten Herzensbrechers zum Ausdruck. Hilde Rössel-Majdan spielte diskret und sang mit schönem Organ die Suzuki, während Roland Panerai durch seinen kultivierten Vortrag dem Konsul eine persönliche, charmante Note verlieh. Renato Ercolani gefiel wieder durch seine meisterhaft gezeichnete Charakterisierung. Unsere Ensemblemitglieder Hans Schweiger und Endre Koréh fielen in ihren Miniaturauftritten sehr aus dem Rahmen. In dezenten und geschmackvollen Bühnenbildern  Foujitas zeigte Josef Gielen eine im großen und ganzen ziemlich unaufdringliche Regie, die aber durch einige Geschmacklosigkeiten im letzten Akt  gröblich gestört wurde.

 

FALSTAFF am 20. September

In dieser Aufführung unter Herbert von Karajan sang Giuseppe Zampieri den Fenton, der die Arie im 3. Akt ausgezeichnet sang, dem aber der jugendlich-charmante Übermut von Luigi Alvas Spiel fehlte. Die übrige Besetzung blieb unverändert.

CARMEN am 21. September

Herbert von Karajan bewies mit der Carmen, daß er auch Repertoirevorstellungen zu normalen Preisen zu leiten gewillt ist.

Als Don José gastierte Nicola Filacuridi, der in dieser Partie gefallen konnte. Seine im Timbre allerdings nicht sehr interessante Stimme zeigte sich gut geführt und in der höheren Mittellage des dritten und vierten Aktes ziemlich durchschlagskräftig. Dazu besitzt er noch Ansätze zu einem guten Piano und eine starke dramatische Intensität in Stimme und Darstellung. Mit der Höhe hatte er allerdings kein Glück. George London hielt sich stimmlich stark zurück, wie immer, wenn er in Wien ist. Er hat es nicht mehr nötig, alles zu geben, er findet auch so sein Publikum.

Jean Madeira ist eine ausgezeichnete Besetzung der Titelpartie. Hilde Güden sang wie schon so oft eine makellose Micaela und stellte diese unbedeutende Rolle in den Mittelpunkt des Publikumsinteresses.

Frederick Guthrie und Alfred Poell, Mimi Coertse und Hilde Rössel-Majdan, gut wie immer, hatten in dem witzigen Renato Ercolani einen neuen Kollegen im Ensemble, der mehr als sein Wiener Schmugglerkumpan Harald Pröglhöf darstellerisch und vor allem stimmlich in Erscheinung trat und sich vollkommen ins Ensemble einfügte. Er ist ein schönes Beispiel dafür, daß man als gut spielender und charakterisierender Tenorbuffo auch Stimme haben kann, was man in unseren Breiten nicht häufig findet. Karajan hat uns durch seine „Carmen“-Interpretation dazu gebracht, daß wir diese Oper von keinem seiner derzeit in Wien wirkenden Kollegen mehr hören können, es sei denn, er importierte André Cluytens, wenn die Aufführung während seiner Abwesenheit ihr Niveau behalten soll.

MADAMA BUTTERFLY am 22. September

war in der Premierenbesetzung wieder unter der Stabführung von Dimitri Mitropoulos zu hören. Der Kontakt von Dirigent, Solisten, Chor und Orchester war naturgemäß noch enger als in der Premiere. Sena Jurinac war an diesem Abend eine rührende liebende und leidende Butterfly. Rolando Panerai, der heuer wesentlich besser ankommt, als vorige Saison mit seinem faden Vater Germont, ein ausgezeichneter Vertreter der Vereinigten Staaten im Lande der aufgehenden Sonne. Giuseppe Zampieri hat sich die ungerechtfertigten und schäbigen Verrisse seiner Leistung bei der Premiere offenbar sehr zu Herzen genommen, denn er sang einen prächtigen Pinkerton. (Wir fanden das jedenfalls, denn wir sind nicht so verwöhnt, wie unsere löbliche Kritik, die sicher in Graz schon andere Pinkertons gehört hat!).

FALSTAFF am 23. September

wurde in Originalbesetzung unter Herbert von Karajans Leitung gespielt.

DON GIOVANNI am 24. September

Verwöhnt allerdings sind wir bei Mozart! Darum fand auch diese Vorstellung nicht unsere Anerkennung. Rudolf Moralt stand am Pult und dirigierte routiniert eine Aufführung ohne Glanzlichter. George London beherrscht seine Partie und das Publikum. Das mag ihm genügen, uns nicht. Er läßt, seit er berühmt ist, jeden Einsatz vermissen und die Wiener Oper bedeutet ihm nicht mehr als jeder x-beliebige Saal in Dallas/Texas, Cleveland/Ohio oder gar die Festspiele von Tanglewood oder Cincinnati! Schade um ihn! Walter Berrys Leistung stand dazu in diametralem Gegensatz. Er legte einen prachtvollen Leporello hin. Von den Damen war lediglich Irmgard Seefried in Stimme und Gestaltung mit dem Mozartstil vertraut. In der ersten Arie klang sie etwas belegt, konnte sich aber dann frei singen und „Wenn du fein fromm bist“ war von allen Sopranarien des zweiten Aktes der einzige ungetrübte Genuß. Judith Hellwig war eine sichere, aber farblose Elvira, Hilde Zadek wurde mit ihrer schlechtesten Rolle auch diesmal nicht fertig.

MADAMA BUTTERFLY am 25. September

war in der Premierenbesetzung wieder unter der Stabführung von Dimitri Mitropoulos zu hören.

TOSCA am 26. September

In dieser Aufführung sang Inge Borkh zum ersten Mal in Wien die Titelpartie. Ihre etwas spröde Stimme ist natürlich für diese Rolle nicht gerade ideal, trotzdem sang sie mit Ausdruck und durchdachter Nuancierung. Darstellerisch blieb sie diesmal merkwürdigerweise etwas farblos – die veristische Oper verträgt nicht so viel dezente Zurückhaltung. Starke Effekte in der Darstellung, Farbe, Dramatik, all das vermißte man bei dieser Tosca. Hier geht es nicht darum, sich mit einer Rolle auseinanderzusetzen, man muß fest zupacken und Theater spielen. Hier war George London in seinem Element. Er stellte einen Theaterbösewicht auf die Bretter, an dem man seine Freude haben konnte. Seine stimmgewaltige, musikalische Profilierung war ebenso effektvoll, wie sein lebensgefährlicher Todesfall. Eugenio Fernandi, den wir endlich einmal auch in einer anderen Partie hören wollen, zeigte, wenn man so sagen darf, seine Stimme her. Wir wissen bereits, daß sein Material prächtig ist. Leider scheint er nicht die Persönlichkeit zu sein, die daraus etwas Großes machen kann. Berislav Klobucar geriet auch diesmal einiges zu dick und wuchtig, ohne daß dies aber an diesem ‚Abend, in Anbetracht der stimmkräftigen Besetzung, Nachteile mit sich gebracht hätte.

DER ROSENKAVALIER am 27. September

Auch diese Aufführung erreichte nicht jenes Niveau, das wir gewöhnt sind. Von einer Homogenität der Besetzung ist leider nichts mehr zu merken. Der Großteil der Akteure beschränkt sich auf Routineleistungen und das Verschmelzen der Rolle mit der Persönlichkeit der Künstler, gerade in dieser Oper so nötig, wollte sich nicht recht einstellen. Ludwig Weber sprang in dankenswerter Weise für Oskar Czerwenka ein. Hilde Zadek hat die Erwartungen, die man vor einigen Jahren in ihre Marschallin setzte, nicht erfüllen können. Das Hineinwachsen in die Partie, das nur eine Frage der Zeit zu sein schien, ist bis heute nicht erfolgt. Sie ist immer noch so farblos wie bei ihrer ersten Wiener Marschallin im Theater an der Wien. Daran ändern nicht einmal Fred Adlmüllers farbige Kostüme etwas. Da Christa Ludwig diesmal etwas unkonzentriert schien (was am Vorabend ihrer Hochzeit allerdings verständlich war und eher sympathisch wirkte) und der Faninal Alfred Poells durch eine Indisposition behindert war, blieb es Hilde Güden vorbehalten, durch ihre hervorragend gesungene, reizende Sophie der Aufführung Glanz zu verleihen. Ivo Zidek ist der technisch so schwierigen Sängerarie nicht gewachsen. Rudolf Moralt tat alles, was ihm möglich war, um der Aufführung den nötigen Zusammenhalt zu geben.

BALLETTABEND am 28. September

TURANDOT am 29. September

Gerade bei dieser Aufführung hätten wir uns Dimitri Mitropoulos ans Pult gewünscht! Wir sind durch seine Butterfly sehr verwöhnt worden. Was könnte er aus dieser grandiosen Partitur herausholen, in der sich die Puccinische Kantilene so selbstverständlich aus den Dissonanzen des Ministertrios und der stampfenden Wildheit der geradezu strawinskymäßigen Instrumentation herausentwickelt. Traurig stimmt auch die Inszenierung. „Grau in grau, schwarz in schwarz, schmutzig in dunkel verwischt“, es scheint, als wäre Nestroys Winkeladvokat Schnoferl unter den Besuchern dieser Inszenierung gewesen. Inge Borkh war eine prachtvolle Turandot. Diese italienische Partie, die Italienerinnen nur höchst ungern singen, scheint eine Spezialrolle für deutsche hochdramatische Sängerinnen zu werden. Inge Borkh hatte die kalte, helle tragfähige Stimme, die sichere Höhe und die künstlerische Intelligenz, die die Turandot haben muß. Auch sonst blieb die Aufführung ohne die in letzter Zeit so viel geschmähte italienische Unterwanderung. Das Resultat war dementsprechend. Karl Terkal ist schauspielerisch eigentlich gar nicht vorhanden, seine leere Stimme für den Kalaf viel zu wenig dramatisch und das eingelegte C im zweiten Akt konnte ihn auch nicht herausreißen. Anny Felbermayer wirkt in größeren Rollen stets etwas provinziell, an diesem Abend versuchte sie sich noch dazu in einigen Italianismen, wie gehauchten Piani und Schwelltönen, die durchwegs misslangen. Solche Feinheiten sind schwieriger, als man annimmt (vor allem schwieriger als die Kritiker annehmen!). Das Trio der Minister (Waldemar Kmentt, Murray Dickie und Eberhard Wächter) bot auf eigene Faust ein Beispiel gepflegter Ensemblekultur im Zusammenklingen der Stimmen und im Zusammenspiel. Sie hatten sich ganz offensichtlich selbstständig gemacht. Berislav Klobucar dirigierte. Er hat sich bestimmt sehr bemüht, aber wenn wir an Dimitri Mitropoulos’ Puccini-Interpretation denken,…

TRISTAN UND ISOLDE am 30. September

Den Abschluß des Septemberprogrammes bildete diese Aufführung. „Ende gut, alles gut“? Leider nein! Karl Liebl gab den Tristan farblos und ohne auch nur mit einer einzigen Phrase, einer einzigen Geste aus dem Rahmen des routinemäßig  Einstudierten zu fallen. Wie traurig, daß solch ein Sänger, der nun gewiß mit dem Etikett Wiener Staatsoper versehen, in alle Lande reisen wird, überhaupt in die Gilde der renommierten Wagnersänger aufgenommen wurde! Martha Mödl gestaltete ihre faszinierende Isolde voll Größe der Persönlichkeit und Stärke des Ausdrucks in jeder Phrase und Geste. Wie schön, daß es noch solche Künstler gibt! Überrascht waren wir diesmal von Gustav Neidlinger, dessen Stimme voll und schön klingt, wenn er singt, statt zu forcieren. Er ist der erste Sänger, den wir in Wien besser als in Bayreuth gehört haben. Wärme des Ausdrucks und stilvolle Gestaltung verbanden sich mit der für uns neuen kultivierten Stimme zu einer sehr schönen Gesamtleistung. Ira Malaniuk war eine gute und sichere Brangäne. Ludwig Weber ist einmal ein großer Marke gewesen… Rudolf Moralt, diesmal mit ziemlich raschen Tempi, leitete die Vorstellung. Interessant ist es, sich daran zu erinnern, daß die Kulissen (von einer Inszenierung kann gar nicht die Rede sein) aus dem Jahre 1946 stammen. In dieser Zeit hatten wir 4 Carmen-Inszenierungen, 3 Martha-Inszenierungen, 3 Traviata-Inszenierungen, 3 Fidelio-Inszenierungen u. s. w.. Die nicht vorhandene Inszenierung überdauerte große Wagnersängerinnen, berühmte Tenöre, zwei Chefs der Bundstheaterverwaltung und zwei Operndirektionen. Es ist an der Zeit, daß unter der dritten Operndirektion die Pappendeckelbäume auf den Scheiterhaufen wandern. Es ist nicht das Einzige, was dem Opernchef zu tun bleibt.

 

Im ersten Monat der neuen Saison standen übergangslos grandiose Vorstellungen neben fast unterdurchschnittlichen. Große Künstler neben Sängern, die nicht einmal gut sind. Bei dreihundert Opernabenden im Jahr wird es immer Niveauunterschiede geben, sie dürfen aber nicht so kraß sein. Eines stimmt uns traurig: Das Repertoire ist auf den Geschmack von Lieschen Müller (oder deren Gegenstück unter dem Opernpublikum) zugeschnitten. Wir sind keinesfalls so weltfremd, daß wir einen Wochenspielplan etwa von der Zusammensetzung: Montag: Pelleas und Melisande, Dienstag: Moses und Aaron, Mittwoch: Julius Caesar, Donnerstag: Falstaff, Freitag: Die Frau ohne Schatten, Samstag: Wozzeck, Sonntag: Orfeo, fordern. (Was sich ungefähr ergäbe, wenn man diese Wünsche der Journalisten, Adabeis und Besserwisser berücksichtigte). Aber sieben Puccini-Abende pro Monat sind ein wenig zu viel! Zu wenig waren uns allerdings die vier Falstaff-Aufführungen. Wir freuten uns, daß wir dieses herrliche Werk in so großartiger Wiedergabe hören konnten und sehen den versprochenen Reprisen im Juni nächsten Jahres mit Ungeduld entgegen. Elektra war zweifellos die beste Aufführung einer deutschen Oper in diesem Monat. Die Abonnenten trafen es diesmal gut, sie bekamen einige Aufführungen von Festspielformat serviert.

 

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