DER JÄNNER 1958

3. Jahrgang, Heft 2

 

MOZART ZU EHREN!

Die Mozartwoche 1958

Dieses Thema würde weit über den Rahmen eines Leitartikels hinausgehen; wenn wir es trotzdem an dieser Stelle diskutieren wollen, dann deshalb, weil es für Wien und speziell für den Opernfreund gegenwärtig große Bedeutung erlangt hat. Diese Bedeutung verlieh ihm die Mozartwoche 1958 der Staatsoper Wien. Wir konnten uns selbst davon überzeugen, daß dieser 202. Geburtstag Mozarts am 27. Jänner 1958 für die Geschichte der Wiener Oper ein denkwürdiger Tag bleiben wird. Daher ein kurzer Rückblick auf die Mozartwoche 1956.

Die zweihundertste Wiederkehr von Mozarts Geburtstag wäre wohl ein Anlaß für die damalige Direktion der Wiener Oper gewesen zu beweisen, daß die Vorschußlorbeeren, die in überreichem Maß gespendet worden waren, auch nur zu einem kleinen Teil ihre Berechtigung hatten. Es galt, unter Beweis zu stellen, ob es wirklich richtig war, Karl Böhm für Mozart und sein Werk als allein kompetent zu erklären und eine freiwillige Zusammenarbeit von vielen Künstlern von Format zum Verdienst eines einzelnen zu stempeln. Diese Vermessenheit hat sich bitter gerächt. Die Leidtragenden waren aber natürlich nicht jene, die tatsächlich die Schuld am tiefsten Niedergang unseres Hauses trugen. Leidtragend war die Wiener Staatsoper und ihr Ruf, leidtragend der Ruhm Wiens als Kulturstadt. Mit der Nichtaufführung von „Figaro“ und „Così fan tutte“ und den ausgesucht üblen Besetzungen der drei Repertoireopern, die Karl Böhm gnädig dem Publikum vorsetzte, war das Maß voll. Die sogenannte „Mozartwoche“ 1956 brachte die jämmerlichsten Aufführungen, die wir als langjährige Besucher von Mozartvorstellungen je gehört haben. Das einzig Positive war ein Gastspiel von Birgit Nilsson, die als Donna Anna Format hatte, wiewohl sie mit ihrem Heldensopran natürlich keine Mozartsängerin sein kann.

Karl Böhm zog es vor, sich nach Salzburg abzusetzen wo er Idomeneo als Generalprobe für die sommerlichen Festspielveranstaltungen abhielt. Der Mozartapostel Karl Böhm hatte auf seinem ureigensten Gebiet, das er völlig für sich und seine Stammsänger abonniert zu haben schien, Bankrott gemacht. Dieses Versagen wird das Wiener Publikum nie vergessen können!

Dem neuen künstlerischen Leiter der Staatsoper fiel es zu, wieder ganz von vorne anzufangen. Er hat sich damit aus der Perspektive des Kenners einige Zeit gelassen. Man konnte das nicht recht verstehen, aber Karajan hat nie etwas erzwungen und erstritten, er hat immer Zeit gehabt zu warten und diesmal, wie meistens, wieder Recht gehabt. Mit Josef Krips und Rudolf Kempe mußten zuerst die Dirigenten verpflichtet werden, die die Mozartabende in Abwesenheit des Chefs selbst und Karl Böhm leiten.

Und das Wichtigste von allem – in Günther Rennert wurde der Regisseur gefunden, der mit wachem Geist, mit Sinn für Farbe und für Form, mit einem klaren Blick für das Schöne und feinem Empfinden für das bildhafte und choreographische Element das, in Mozarts Wunderwelt enthalten ist, zwei  Neuinszenierungen herausbrachte: Die Zauberflöte und als Übernahme von den Salzburger Festspielen 1957 Die Hochzeit des Figaro.

Daneben gab es am 23. Jänner im Redoutensaal eine umjubelte Così fan tutte. Rudolf Kempe dirigierte die vorwiegend aus Mitgliedern des „Wiener Mozartensembles“ bestrittene Aufführung: Anton Dermota, Erich Kunz und Paul Schöffler, dazu Emmy Loose und Christa Ludwig. Neu im Ensemble war Elisabeth Schwarzkopf. Und so konnte man einen der schönsten Abende der neuen Ära erleben.

Im Redoutensaal spielte man am 28. Jänner auch „Die Entführung aus dem Serail“. Auch hier war Rudolf Kempe am Pult. Wilma Lipp, Dorit Hanak (die für Emmy Loose einsprang), Waldemar Kmentt, Murray Dickie und Gottlob Frick waren die Interpreten.

Dazu gab es am 28. Jänner in der Staatsoper einen Don Giovanni mit Rudolf Moralt am Pult: Eberhard Wächter (der am 1. Jänner 1958 sein Rollendebüt hatte), Walter Berry, Anton Dermota, Ludwig Weber, Rita Streich und Therese Stich-Randall erhielten mit Elisabeth Schwarzkopf  eine neue Partnerin.

 

Der erste Monat des neuen Jahres stand im Zeichen Wolfgang Amadeus Mozarts und unter diesem Stern gelang der Schritt vom relativ guten Repertoire zu großen Vorstellungen, die zum Teil den Stempel des Einmaligen trugen.

 

DON GIOVANNI am 1. Jänner

In gewissem Sinne war die erste Aufführung des Jänner 1958 für die Situation der Oper im Jahre 1957 charakteristisch – denn die eigentlich sorgsam vorbereitete Aufführung wurde schließlich durch Absagen und Krankmeldungen zu einer Art Improvisation. Gott sei Dank, diesmal zu einer geglückten. Glauco Curiel überraschte als Mozartdirigent. Abweichend von der weichen Art, in der Mozart bei uns meistens interpretiert wird, wirkte sein Don Giovanni dramatisch und scharf akzentuiert, voll Spannung und Intensität. Glauco Curiel hat sich mit dieser Aufführung als überdurchschnittlicher Dirigent empfohlen. Er könnte viel zur weiteren Hebung des Niveaus der Repertoireaufführungen in der Wiener Oper beitragen. Der Mittelpunkt des Abends war Eberhard Wächter, der zum ersten Mal in Wien den Don Giovanni sang. Am treffendsten kann man seine Leistung mit der Feststellung charakterisieren, daß er die Partie „hinlegte“. Seine immer mehr an Glanz und Farbe gewinnende Baritonstimme imponierte ebenso wie sein kluges, temperamentvolles Spiel. Er hat die schwierige Partie in jeder Hinsicht voll erfaßt. Erich Kunz, der mangels Ersatz trotz seiner Grippe auftreten mußte, entfesselte Beifallsstürme, zumal er sich die Krankheit nicht anmerken ließ. Indisponiert schien vielmehr Anton Dermota, der sich nicht entschuldigen ließ. Dank seiner Technik meistere er die Partie des Ottavio trotzdem. Ludwig Weber und Harald Pröglhöf waren wieder erfolgreich in ihren wohlbekannten Partien eingesetzt. Von den Damen überzeugte am meisten die reizende, mit kleiner Stimme gesungene Zerlina Rita Streichs. Hilde Zadek war diesmal besser als ihre Annas sonst zu sein pflegen. Bei einer Rolle, die dieser Sängerin absolut nicht liegt, ist wohl die Tagesverfassung ausschlaggebend. Neu war Gerda Scheyrer als Elvira. Sie hat die Partie sorgfältig studiert und korrekt gesungen, was im Verein mit ihrer guten Erscheinung dem in letzter Zeit in punkto Elvira nicht gerade verwöhnten Mozartfreund wohltat. Diese Vorstellung war ein beweis dafür, daß auch in Wien niemand eine Rolle oder Vorstellung zu pachten braucht, daß letzten Endes fast jeder – wenn es sein muß – ersetzbar ist und daß neue Kräfte unseren Mozartaufführungen neue Impulse und neues Leben verleihen können.

MANON LESCAUT am 2. Jänner

Auch an diesem Abend leitete der junge talentierte italienische Dirigent Glauco Curiel die Aufführung und zeichnete für einen musikalisch sehr spannenden Abend verantwortlich. Auch er bevorzugt das Fortissimo, das aber bei ihm nicht klobig sondern scharf gesetzt klingt. Die Solisten auf der Bühne fielen im Gegensatz zur musikalischen Führung merklich ab. Carla Martinis produzierte am Laufband falsche Töne, sodaß nicht nur das Publikum sondern anscheinend auch der Vorhangzieher Nervenzustände bekam und während des Intermezzos den Vorhang munter aufzog und wieder herunterließ. Auch Rudolf Schock war äußerst schwach disponiert, auf der Galerie mußte man angestrengt die Ohren spitzen, um überhaupt etwas von ihm zu hören.

SALOME am 3. Jänner

fand in der bekannten Besetzung der aufgefrischten Aufführung vom Vormonat statt: Christl Goltz, Elisabeth Höngen, Max Lorenz, Paul Schöffler in den Hauptpartien. Die Aufführung bestätigte im allgemeinen das bereits im Vormonat Gesagte. Die musikalische Leitung (George Szell) steigerte sogar noch Tempo und Lautstärke, nicht zum Vorteil der Vorstellung. Die Sänger waren aus „Selbsterhaltungstrieb“ gezwungen, mit voller Kraft „auf die Tube“ zu drücken, was sich absolut nicht als Plus auszuwirken braucht! Notabene weist die Partitur der Oper ganz charakteristische Phrasen auf, die durch den Verzicht auf das breite Ausladen, sie zugleich ihrer klanglichen Wirkung stark berauben (z. B. „er ist in einem Nachen…“ remember Hans Knappertsbusch!) Und das alles zusammen macht dann Abende, die wohl Niveau haben und trotzdem nicht beglücken!

TRISTAN UND ISOLDE am 4. Jänner

Rudolf Kempe zwang die anfänglich nicht gerade aufmerksamen Musiker zur Konzentration und steigerte so die packende Intensität dieser Wagneraufführung von Akt zu Akt bis zum Höhepunkt des Abends im dritten Bild, das mit fiebriger Glut und heißem dramatischen Atem musikalisch gestaltet wurde. Unsere Tristanaufführung hat diese Auffrischung vom flachen Repertoirecharakter zu einer Vorstellung von hohem Rang schon dringend nötig gehabt. Martha Mödls Isolde hatte neben ihrer Größe in Ausdeutung und Darstellung auch stimmlich hohes Niveau. Christa Ludwig enttäuschte als Brangäne. Sie wirkte unruhig und unausgeglichen in Stimme und Spiel. Der beste Sänger hat Partien, die ihm nicht liegen und in denen er sein sonstiges Format nicht erreicht. Für Christa Ludwig ist die Brangäne eine solche. Große Wagnerstimmen brachten die in dieser Aufführung angesetzten Herren mit, zugleich auch Intelligenz und künstlerische Gestaltungskraft. So waren Ludwig Suthaus, Gustav Neidlinger und Josef Greindl von größter Wirksamkeit und die geschlossene Ensembleleistung machten diesen Tristan zu einem der bemerkenswertesten im Großen Haus.

BALLETTVORSTELLUNG am 5. Jänner am Nachmittag

ARIADNE AUF NAXOS am 5. Jänner am Abend

George Szell gestaltet jede Oper mehr vom Orchestralen her. Seine Interpretationen haben musikalisch eine große Linie. Auf eine Profilierung der einzelnen Partien ihrer Charaktere und Gestaltung ihrer persönlichen Schicksale geht er jedoch wenig ein. (Gerade das ist aber ein typisches Merkmal großer Operndirigenten!) Bei der kammermusikalischen Durchsichtigkeit der Ariadne ergab sich jedoch eine Einheit und Unteilbarkeit von Orchester und Stimmenklang quasi von selbst, so daß die ursprünglich eigentlich gar nicht vorgesehene Ariadne George Szells einen wesentlich größeren Eindruck als die Salome machte. Es war eine tänzerisch beschwingte, im Vorspiel charmant turbulente und in der Oper (etwa beim Auftritt des Bacchus) ekstatisch aufblühende Gestaltung. Die genial erdachten Figuren des Komponisten und des Musiklehrers wurden wieder von Irmgard Seefried und Paul Schöffler mit Leben und Persönlichkeit erfüllt. Hilde Zadek sang eine ausgezeichnete Ariadne. Besonders der Monolog gelang ihr sehr gut. Rudolf Schock ist nahezu ein idealer Bacchus. Bis auf zwei oder drei gepreßte Töne war er stimmlich vollkommen und wirkte durch Erscheinung und Spiel. (Endlich wieder ein Bacchus, der nicht gleich über die eigenen Füße stolpert, wenn er die Bühne betritt!) Rita Streich ist eine typische Soubrette. Sie sang die Zerbinetta kultiviert und gepflegt, mit Anmut und Grazie. Sie kam allerdings weder der bravourösen, blitzenden Koloratur der Erika Köth, noch der strahlend-lyrischen Stimmentfaltung der Hilde Güden nahe. Die Herren Erich Kunz, Murray Dickie, Oskar Czerwenka und August Jaresch sowie die Damen Anneliese Rothenberger, Gerda Scheyrer und Dagmar Hermann (letztere entsprach leider nicht vollständig) bevölkerten Ariadnes wüste Insel. Alfred Jerger verkündete mit gespreizter Würde die Aufträge des reichsten Mannes von Wien.

BALLETTVORSTELLUNG am 6. Jänner am Nachmittag

SALOME am 6. Jänner

Dieselbe Besetzung wie am 3. Jänner.

FIDELIO am 7. Jänner

Ludwig Suthaus sang den Florestan. Er bot eine angenehme Überraschung und vermittelte dem Opernfreund die Freude, diese Partie endlich wieder von einem Heldentenor hören zu können. Als Leonore war Margarita Kenney eingesetzt. Während im vorigen Jahr bei ihrem Fidelio noch die Debütnervosität als Entschuldigungsgrund ins Treffen geführt werden konnte, zeigte sie nunmehr, daß weder das Stimmaterial noch eine besonders schauspielerische Begabung den Fachwechsel rechtfertigen oder gar verlangen. Nicht nur die hohen Töne sind falsch intoniert, auch die stimmliche Kraft und das künstlerische Verständnis der Sängerin reichen für diese Partie nicht aus. Irmgard Seefried wirkte als Marzelline diesmal müde. Sie sang die Partie zwar korrekt, aber glanzlos. Paul Schöffler hatte einen sehr guten Abend und brachte einen eindrucksvollen Pizarro zu Gehör. Weiters waren Gottlob Frick, Walter Berry und Murray Dickie auf der Bühne. Josef Krips dirigierte wie immer: etwas weich, aber mit Umsicht, Einfühlungsvermögen und, wenn es nötig ist, doch mit Kraft.

ARIADNE AUF NAXOS am 8. Jänner

In der von George Szell geleiteten Aufführung sang Josef Gostic den Bacchus. Er war ausgezeichnet bei Stimme, den „Gott“ konnte er jedoch keineswegs glaubhaft machen. Hilde Zadek bot als Ariadne ihr Bestmögliches. Besonders der Monolog bildete wieder einen Höhepunkt und erfreulicherweise konnte sie auch im Finale mit ihrem stimmgewaltigen Partner Schritt halten. Rita Streich vermochte auch diesmal nicht zu begeistern, zumal sich in ihrer Arie noch einige schwere Patzer hinzugesellten, während Paul Schöffler und Irmgard Seefried das Vorspiel meisterhaft zu gestalten wußten. Ein Lob gebührt dem Komikerquartett, hingegen war Nachsicht für das schwächliche Damenterzett geboten.

SALOME am 9. Jänner

Dieselbe Besetzung wie am 3. Jänner.

AIDA am 10. Jänner

Wieder einmal verschlang die Rott’sche Finsternis jede Stimmung und erstickte von vorn herein jeden Glanz, den dieses Werk Verdis verlangt. Hilde Zadek sang mit Sicherheit und Können eine in keiner Weise aufregende Aida. Wesentlich mehr Temperament und Theaterblut zeigte Christa Ludwig als Amneris. Gesanglich war sie ausgezeichnet disponiert. Trotzdem wird der versierte Zuhörer dabei nicht das Gefühl los, der Künstlerin nahe legen zu müssen, diese Partie nicht zu oft zu singen. Sie ist für eine junge Sängerin sehr anstrengend. Hans Hopf erreichte seinen bekannten „Wiener Standard“. Woran es liegt, daß er seine Glanzabende fast ausschließlich der Münchner Bühne weiht, ist rätselhaft. In der Nilszene sparte er für die Schlußszene, um mit dem wirkungsvollen „Priester, ich bleibe dir“ dann zu entschädigen und zu verblüffen. Im Schlußakt gefiel er besser als sein italienischer Vorgänger und überraschte abermals mit dem stilvoll gesungenen Schlußduett (piano bis zum b). Amonasro war Gustav Neidlinger. Das Wiener Publikum weiß, daß dieser Sänger eine Riesenstimme hat. Wozu sie also so aufdringlich zu Gehör bringen? Wir müssen dies immer wieder betonen, denn Gustav Neidlinger hat ganz bestimmt alle Voraussetzungen, ein Sänger erster Ordnung zu sein. Solange er eine Partie mit Kultur gestaltet, erfüllt er diese Forderung, mit Stimmprotzertum degradiert er sich selbst. So wäre auch hier weniger Stimmgebung dem Gesamteindruck gut bekommen. Gottlob Fricks Ramphis wurde schon oft gewürdigt, auch diesmal war er glänzend in Form, was man vom König Endre Koréhs leider nicht behaupten kann. Berislav Klobucar erwies sich als aufmerksamer Dirigent.

BALLETTABEND am 11. Jänner

TURANDOT am 12. Jänner

Während der junge Dirigent Glauco Curiel mit temperamentvoller, wenn auch manchmal etwas ungezügelter Leitung dem Werk eine Puccini gemäße Atmosphäre schaffen konnte, wußte keiner der Solisten voll zu entsprechen. Gertrude Grob-Prandl zeigte diesmal ein anerkennenswertes Bemühen um Details, besonders im dritten Akt. In dieser Hinsicht wurden wir von ihr bisher nie verwöhnt, aber andauernde Intonationsschwierigkeiten verhinderten eine wirklich gute Leistung. Eugene Tobin enttäuschte mit seinem Kalaf neuerlich. Abgesehen von der mißlungenen Arie konnte er speziell in den Ensemble-Stellen des zweiten Aktes keinerlei Durchschlagskraft zeigen und war wieder frühzeitig am Ende seiner Kräfte. Teresa Stich-Randall ließ außer schrillen, scharfen Spitzentönen herzlich wenig hören. (Die Clownkostümierung der Liu scheint man beibehalten zu wollen, scheinbar zur Aufheiterung der durch das billige Niveau gedrückten Publikumslaune). Oskar Czerwenka fehlte es für den Timur an Höhe. Ausgezeichnet disponiert war das Ministerterzett (Eberhard Wächter, Murray Dickie, Peter Klein).

ELEKTRA am 13. Jänner

In der Serie prächtiger Strauss-Vorstellungen nimmt auch diese einen beachtlichen Platz ein. Der Abend stand unter der musikalischen Leitung von Rudolf Moralt, der nach seinem Triestgastspiel wieder freudig begrüßt wurde. Er dirigierte das Werk mit großen Steigerungen und markanter Herausarbeitung der musikalischen Spannungen. Christl Goltz war in hervorragender Verfassung. Ihre Stimme war diesmal ausgeruht und hatte metallischen Glanz. Elisabeth Höngen, die von Grauen und Furcht gejagte Klytämnestra, erfüllte ihre Partie vollkommen. Hilde Zadek hatte es neben diesen beiden Kolleginnen schwer, zeigte sich aber der Chrysothemis durchaus gewachsen. Gustav Neidlinger leistete diesmal stimmlich Hervorragendes, nur ist er leider kein Heldendarsteller. Seine bei Charakterrollen so scharf ausgeprägte Charakterisierungskunst versagt beim Orest. Ludwig Suthaus war ein stimmlich und gestalterisch guter Aegisth.

DER ROSENKAVALIER am 14. Jänner

Rudolf Kempe machte diesen Abend zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Der satte Glanz der lyrischen Passagen, die lustige Turbulenz der Chorszenen, der elegante „Schmiß“ der Walzer und die bei allem Temperament und Schwung stets gewahrte Durchsichtigkeit und Plastik in der Stimmführung begeisterten restlos und man wird mit dem Kopfschütteln nicht fertig, „wo er doch kein Wiener ist“. Drei großartige Sängerinnen verliehen den Hauptrollen Leben. Leonie Rysanek ist als Marschallin große Dame, liebende Frau und charmante Wienerin zugleich. Ihre Ausdrucksskala reicht vom silbernen Glanz der „silbernen Rose“ bis zur majestätischen Würde des „…wenn eine Sach’ ein End’ hat…“ und zur spritzigen Walzerseligkeit des „Quinquin, es ist nur Besuch!“ Erschütternd ist ihr Abgang nach dem Terzett, bei dem sie sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischt – Abschied von Jugend und Liebe. Christa Ludwigs Mezzo bekommt immer mehr Fülle und Farbe. Ihr Oktavian ist hinreißend. Über ihr Mariandl haben wir schon oft genug geschrieben. Es ist für unser Gefühl noch immer überspielt. Erika Köth, die eine für einen Koloratursopran ganz ungewöhnlich schöne und tragfähige Mittellage hat, die ihr bei der Sophie sehr zustatten kommt, war eine reizende Bewohnerin des Palais am Hof, das Gustav Neidlinger mit seiner Riesenstimme erfüllte. Dieser Sänger ist ein Phänomen. Bei keinem anderen Sänger sieht man so deutlich wie bei ihm, daß er gerne singt. Allerdings ist die Gefahr des Überfordertwerdens bei solcher Art der Stimmführung besonders groß und führt häufig zu einer engen Höhe. So kommt es, daß Gustav Neidlinger manchmal schön und manchmal nicht schön „brüllt“. Diesmal war das erster der Fall und die humorvolle Gestaltung hatte auch etwas für sich. Sein Faninal war die beste Leistung der männlichen Besetzung an diesem Abend. Kurt Böhme hat viel an Stimmvolumen verloren. Sein Ochs wirkt noch immer zu dick aufgetragen. Besonders störend sein Gelächter und jo-jo-na-na-Geschrei! Eugene Tobin kann die schwere Sängerarie vorläufig nicht meistern. Hoffentlich kommt er bald in gute Hände, sonst geht wieder eine große Begabung und damit eine schöne Stimme verloren.

FIDELIO am 15. Jänner

In dieser Aufführung wirkte die Leonore von Gertrude Grob-Prandl relativ betrachtet besser als die von Margarita Kenney. Daß die mächtige Stimme von Gertrude Grob-Prandl an Volumen eingebüßt hat, gereicht ihr eher zum Vorteil. Im ersten Akt gefiel sie durch richtiges Singen, fiel aber dann im Finale des zweiten Aktes etwas ab. Abgehackte Riesentöne waren das Ergebnis der Pizarro-Auffassung von Gustav Neidlinger. Für den erkrankten Josef Greindl sprang Gottlob Frick mit großem Erfolg ein. Waldemar Kmentts stimmschöner Jacquino und Else Liebesbergs mit tremolierender Stimme gesungene Marzelline vervollständigten den Abend, den Rudolf Moralt, gemächlich am Dirigentenpult sitzend, trotzdem in sichtlicher Eile mit D-Zugstempo herunterkurbelte. (Daß er es auch anders kann, hat er schon oft bewiesen!). Wer nicht dabei war, hat wahrlich nichts versäumt!

ARIADNE AUF NAXOS am 16. Jänner

Diesmal stand Rudolf Moralt am Pult. Ihm kam seine Beziehung zu Richard Strauss zustatten, und so konnte seine Leistung befriedigen. Es kam eine echte Wiener Straußaufführung zustande. Gegenüber den beiden Abenden unter George Szell gab es Besetzungsänderungen. Wohl sangen auch diesmal Hilde Zadek und Josef Gostic die seriösen Hauptpartien, an die Stelle von Paul Schöffler und Irmgard Seefried traten jedoch Karl Dönch und Christa Ludwig. Der Musikmeister Karl Dönchs stellt eine beachtliche Leistung dar, ohne allerdings die große künstlerische Persönlichkeit Paul Schöfflers erreichen zu können. Der Komponist Christa Ludwigs gefiel durch impulsives Spiel und schöne Stimmführung, die der Partie vollauf gerecht wurde. Als Zerbinetta war diesmal wieder Erika Köth zu hören. Mit welcher Brillanz und Mühelosigkeit sie die gefürchtete Arie meisterte, verdient restlose Bewunderung, entschuldigt aber nicht den zu früh angestimmten Szenenapplaus einer kleinen Gruppe.

DER ROSENKAVALIER am 17. Jänner

stand völlig unter dem Eindruck Leonie Rysaneks Marschallin. Sollte sie bei der ersten Vorstellung aus mangelnder Erfahrung vielleicht einige allzu leise Piani gesungen haben, so wirkte diesmal jeder Ton und jede Phrase richtig nuanciert; und mit der enormen Spannweite ihrer Stimme scheint diese Frau berufen, die Reihe der großen Wiener Marschallinnen (Lotto Lehmann, Anni und Hilde Konetzni und Maria Reining) fortzusetzen. Der Octavian Hanna Ludwigs erweckt tatsächlich den Eindruck eines jungen Herrn aus großem Haus, und wenn die Stimme auch nicht sehr modulationsfähig ist, so wird sie doch mit viel Intelligenz eingesetzt. Rita Streich legte ihre Sophie etwas sehr kokett an. Das mag vielleicht Hofmannsthals etwas oberflächlicher Auffassung der Gestalt entsprechen, nicht aber der musikalischen Profilierung, mit der Richard Strauss ein ausgesprochen liebenswertes Bild malte. Rein stimmlich bewältigt sie die Partie einwandfrei. Oskar Czerwenka ist als Ochs ein Mensch mit vielen Schwächen und nicht sehr passendem Benehmen, aber er ist keine Karikatur – wie der Ochs ansonsten derzeit leider oft gebracht wird und mitsamt seinen Fehlern sympathisch. Stimmlich ist er zudem in dieser Partie imstande, vergessen zu lassen, daß er gerade keine „gute Zeit“ hat. Der Faninal Karl Kamanns und das Intrigantenpaar Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein sind ausgesprochene Kabinettstückeln. Joao Gibin, der sich als Sänger vorstellte, hat eine nicht sehr große, aber doch hinreichend klingende Stimme mit einer entsprechenden Höhe, nicht aber mit entsprechender Gesangskultur. Ein lichter „Knödel“ und nasales Singen entstellen das an und für sich nicht schlechte Material. Rudolf Moralts Leitung garantierte einen schwungvollen, sicheren und wienerischen Rosenkavalier. Auffallend leider eine Unsicherheit im Orchester, nicht einmal so sehr in den Hörnern als im Holz, dessen Klangreinheit und Schönheit bei vielen Substituten sehr zu wünschen übrig läßt.

TOSCA am 18. Jänner

Mit dieser Vorstellung hat Rudolf Kempe seine erfolgreiche Tätigkeit an unserem Institut fortgesetzt. Wie vielseitig ist dieser Dirigent, dem sich das Orchester ohne viel Probenarbeit willig unterordnet, der die Sänger mit Empfindung begleitet und der doch dabei sein musikalisches Konzept streng einhält! Als Cavaradossi gastierte der berühmte Richard Tucker. Die Anerkennung über die technische Beherrschung und mühelose Stimmführung seines dunkel gefärbten, schönen Organs und die elegante Phrasierung konnte jedoch nicht in Begeisterung ausarten. Ihm fehlt die Ausstrahlung einer Persönlichkeit und damit die mitreißende Wirkung. Er stellt seine Stimme und seine Technik zur Schau, ist aber darauf bedacht, nicht sich selbst zu verschenken, wie es die Art der besten italienischen Tenöre (Benjamino Gigli und Giuseppe di Stefano) war bzw. ist. Auf der Bühne herrschte ein merkwürdiges Sprachengewirr. Hilde Zadek und Paul Schöffler haben ihre Partien beide schon auf italienisch gesungen. Es wäre also an der Zeit gewesen, die bequemen Sänger der kleinen Rollen ihre Miniaturparts, statt aus einer Sprache in die andere zu fallen, endlich in der Originalsprache studieren zu lassen. Es sah so aus, als habe der Abendregisseur versucht, den Gast absichtlich zu isolieren, denn wenn nicht böse Absicht der Grund war, ist ein solches Vorgehen wie im Falle Tosca völlig unerklärlich. In der demzufolge uneinheitlichen Aufführung konnte Paul Schöffler mehr durch seine überzeugende Charakterisierungskunst als durch stimmliche Wucht imponieren. Hilde Zadek war Primadonna nur auf dem Papier. In der Tat zeigte sie die Theatergesten einer guten Durchschnittssängerin, wobei sie sich noch dazu stimmlich etwas übernahm und zum Schluß ins Distonieren geriet – merkwürdigerweise sang sie zu hoch.

TANNHÄUSER am 19. Jänner

Mit diesem Abend erlebten wir endlich eine gute Aufführung, wie sie in Anbetracht der äußeren Umstände (über die Inszenierung wurde oft genug gesprochen) nur sein konnte. Rudolf Kempe hatte Chor und Orchester energisch in Ordnung gebracht. Er ließ uns die Erotik des Venusberges miterleben, brachte uns das Fest des Sängerkrieges ohne die sattsam bekannten Schwimmübungen nahe und konnte uns Tannhäusers Romfahrt und Erlösung miterleben lassen, wie wir es in Wien schon lange nicht mehr gehört haben. Der nicht immer schön, aber heldisch singende Titelrollenträger Ludwig Suthaus, ist keine Idealbesetzung für den Tannhäuser, versteht aber die Partie zu gestalten. Da er stimmliche Schwächen mit beispielhafter Hilfe des Dirigenten und durch eigene Geschicklichkeit und Routine überbrückte, bot er bei der derzeitigen Tannhäuser-Not eine geradezu erstklassige Leistung. Leonie Rysanek sang die Elisabeth mit blühender Stimmfülle, aber auch mit den bereits berühmt gewordenen Pianissimotönen und sehr innigem Ausdruck. Eberhard Wächter war ein Wolfram mit jugendlicher Stimme, aber reifer Überzeugungskraft, Elisabeth Höngen übertraf diesmal alle Vorgängerinnen in dieser Partie durch ihre imponierende Stimmführung. Waldemar Kmentt blieb als Walther farblos, Edmond Hurshell zeigte sich in der kleinen Partie des Biterolf stark verbessert.

TOSCA am 20. Jänner

Diese Aufführung, die Rudolf Kempe musikalisch leitete, war schlecht besucht. Neben einem aufgefüllten Parkett, den von den Freunden der Bundestheaterverwaltung bevölkerten Logen waren Teile des Balkons und der Galerie leer und auch die Stehplätze waren nicht ausverkauft. Die erhöhten Preise waren für diese Aufführung kaum berechtigt.

 

DIE ZAUBERFLÖTE am 21. Jänner, Neuinszenierung

„Welch ein  Glück, wenn wir uns wiedersehn!“ konnte man  anläßlich der neuinszenierten Zauberflöte denken. In Zusammenarbeit mit Georges Wakhevitch ist eine wirklich zauberhafte Wiedergabe dieses kostbaren Werkes gelungen. Wakhevitch, sonst sehr kosmopolitisch eingestellt, hat offenbar zeitgenössische Darstellungen von Wiener Theateraufführungen des 18. Jahrhunderts genau studiert. Er war sich, und das stand nicht von vornherein fest, genau stand nicht von vornherein fest, genau darüber in Klaren, daß eine Mozartaufführung in Wien anderen Gesetzen folgen und anders aufgebaut sein muß als überall anderswo. Er gibt der Oper den barocken Rahmen und erfüllt die historische Form mit modernem Geist (seine  kühn hingeworfenen Hintergrundprospekte sind prachtvoll!) und seine Kostüme sind subtil in den Farben und trotz der Stilgebundenheit kleidsam und schön. Das einzige den Rahmen sprengende erste Sarastro-Kostüm (es geriet etwas zu feldherrnmäßig) wurde inzwischen weggelassen. Da ist keine Rede mehr vom Einheits-Grau-Beige der alten Zauberflöte, und Papageno trägt seinen bunten Federnfrack mit guter Laune –hat er doch vom Bühnenbildner gar den Baum hingestellt bekommen, aus dessen Wurzeln seine schnäbelnde gefiederte Genossin auftaucht, wenn all die Prüfungen zu Ende sind.

Das naive Zaubermärchen stellt große Anforderungen an die Phantasie des Regisseurs. Günther Rennert hat das seine dazu getan, die volkstümliche Frische der Papagenoszenen, die weihevolle Stimmung der Priesterszenen und die Nöte und Prüfungen des liebenden Paares zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Das Schwierige ist ihm gelungen.

Es ist lange her, seit Josef Krips seine letzte Premiere an der Wiener Oper geleitet hat. Er ist in seiner Arbeitsweise ganz unverändert geblieben - er folgt einem klaren Konzept und arbeitet doch alle Einzelheiten der kostbareren Musik sorgfältig heraus, er führt sein Ensemble zu geschlossener Einheitlichkeit.

Leider  waren einige Sänger der Premierenbesetzung, sei es aus Nervosität, Übermüdung oder Indisposition, nicht sehr gut bei Stimme, was sich aber bei so klugen, stilvollen und technisch durchgebildeten Sängern weit weniger auswirkt, als bei knalligen Naturstimmen. Erika Köths Stimme blitzte in der Höhe wie ein elegant geführtes Florett, aber ihre Mittellage klang etwas belegt. Anton  Dermotas schwerer gewordene Stimme hatte (etwa bei dar Flötenarie) manchmal Schwierigkeiten mit den lyrischen Stellen dieser Partie, er war aber zum Beispiel in der Sprecherszene wieder ausgezeichnet (das edle Timbre seiner Stimme ist es,  das immer wieder aufhorchen läßt). Irmgard Seefried ist darstellerisch über das „Seelchen“ Pamina längst hinaus. Ihr Bemühen, eine Charakterrolle daraus zu machen, hatte nicht den gewünschten Erfolg! Obwohl sie derzeit eine gewisse Krise durchzumachen hat, hielt sie den Part mit souveräner Technik und sicherer Musikalität durch. Gottlob Frick sang den Sarastro kultiviert und mit ruhiger, schöner Stimmführung. Eberhard Wächter war trotz seiner Jugend ein vornehmer, stilvoller Sprecher mit Persönlichkeit, wenn man sich auch bisher immer eine dunklere, dramatischer Stimme für diese Rolle vorgestellt hat. Erich Kunz erschien diesmal ganz anders als sonst. Rennert hat ihm alles Kasperlhafte genommen, und es ist ein Beweis für das Schauspieltalent dieses Sängers, daß ihm der herzliche, volkstümliche neue Papageno so gut gelang, ein kleiner Mann im Federnkleid, der wider seinen Willen in Geschehnisse hineingezogen wird, die er nicht versteht und nicht begreifen kann. Seine bezaubernde Papagena sang Anneliese Rothenberger. Die kleineren Rollen waren mit den Damen Gerda Scheyrer, Christa Ludwig, und Hilde Rössel-Majdan (einem idealen Damentrio), drei reizenden Sängerknaben (welch ein Vorteil gegenüber Sängerinnen!), dem scharf profilierten Peter Klein und den Herren Josef Gostic, Franz Bierbach und Erich Majkut, Hans Schweiger besetzt.

 

OTHELLO am 22.1. 1958

Wir hörten wieder einen Othello in der Standardbesetzung. Carlos Guichandut begeisterte wieder in den dramatischen Ausbrüchen, besonders wenn er ein Orchesterfortissimo zu übersingen hatte. Sonst erfuhr man, wenn man es noch nicht wußte, daß stimmliche Zurückhaltung ihm wenig liegt, darstellerisch verzichtete er diesmal größtenteils auf südländische Übertreibungen und erzielte so einen eindrucksvollen Gesamterfolg. Paul Schöffler bot seine großartige Verkörperung das Jago. Da er seit dem Neujahrstag bereits zum zehnten Mal aufgetreten war, zeigten sich gewisse Ermüdungserscheinungen. Leonie Rysanek sang ihre stimmlich  und darstellerisch großartig abgerundete und profilierte Desdemona und Hilde Rössel-Majdan, Anton Dermota und Oskar Czerwenka hielten in den kleineren Rollen zufriedenstellendes Niveau.

Unter der Stabführung Herbert von Karajans, die intensiv war wie am ersten Tag, konnte der ambitioniert singenden Chor und das ebenso spielende Orchester mit einer ausgefeilten Leistung aufwarten. Den Othello hat das sonst unausbleibliche Schicksal aller Repertoirevorstellungen, Staub anzusetzen und unansehnlich zu werden, noch nicht ereilt.

 

COSÌ FAN TUTTE am 23. Jänner im Redoutensaal, Neueinstudierung

Die zweite Aufführung der Mozart-Festwoche war der erste Höhepunkt dieser festlichen Aufführungsreihe und wird allen, die diesen Abend miterleben konnten unvergeßlich bleiben. Das leider nur allzu selten gespielte Juwel ist die einzige Oper, die wirklich in den Redoutensaal paßt. Die musikalische Leitung des Abends war Rudolf Kempe anvertraut und bei ihm in besten Händen. Er erwies sich als Mozartdirigent von hohem Range und riß die Wiener Philharmoniker zu einer großartigen Leistung mit, die das Fundament dieser Prachtaufführung war. Während der ganzen Aufführung herrschte bester Kontakt zwischen Orchester und Bühne, und selten waren die Sänger so animiert wie an diesem Abend. Das Wiener „Così-Ensemble ist bekannt und oft gerühmt worden, die drei männlichen Hauptpartien haben seit den Kriegsjahren die gleichen und bewährten Sänger Anton Dermota, Erich Kunz und Paul Schöffler inne. Anton Dermota war ausgezeichnet disponiert, nur ist sein Ferrando um eine Spur zu dramatisch, Erich Kunz ist immer aufs Neue bestechend in der Partie des Guglielmo, und nach wie vor laufen alle Fäden der Handlung durch Paul Schöfflers Hand. Sein Alfonso ist eine Meisterleistung. Auch Emmy Loose ist seit vielen Jahren (seit dem Abgang von Alda Noni) die muntere Despina, die auch in den Verkleidungen als Doktor Eisenbart und Notar köstlich ist. Nach Marta Rohs hat unsere Oper in Christa Ludwig eine Idealverkörperung der Dorabella gefunden. Diese blitzgescheite Künstlerin bezaubert immer wieder in dieser Partie und singt berückend schön. Zu all diesen mit der Inszenierung bestens vertrauten Künstlern kam nun eine neue Fiordiligi. Es ist bestimmt eine schwere Aufgabe innerhalb kürzester Zeit gerade in diese Aufführung „einzusteigen“, in der jede Handbewegung und jeder Abgang sitzen müssen, abgesehen von den gesanglichen Anforderungen dieser Ensembleoper. Elisabeth Schwarzkopf kam erstmals in dieser Partie zu uns und erzielte einen Sensationserfolg. Die lange, viel zu lange vermißte Sängerin übertraf die hochgespannten Erwartungen. Die Stimme der Künstlerin ist von den tiefen Lagen bis zu den höchsten Tönen makellos geführt, die Gesangskultur unübertrefflich. Ihre beiden Arien und das Duett mit der ihr bestens sekundierenden Dorabella waren der Höhepunkt des Abends. Darstellerisch brachte Elisabeth Schwarzkopf neue Züge in diese Aufführung. Es gab keine Spur von Manieriertheit, sondern natürlichen Charme, feinen Humor und eine in jedem Augenblick glaubhafte Charakterisierung. Eine Fiordiligi, die blendend aussieht und immer Dame ist. Es scheint nicht vermessen zu behaupten, daß Elisabeth Schwarzkopf die größte Mozartsängerin unserer Zeit ist und wir freuen uns, sie endlich wieder, wenn auch nur für einige Aufführungen, in unserem Ensemble zu wissen. Mögen ihrer ersten so idealen Fiordiligi bald weitere in Wien folgen! Man sieht mit Freuden der Salzburger Festspielaufführung 1958 mit ihr und Christa Ludwig entgegen, denn diese beiden Künstlerinnen, die konkurrenzlos in diesen Partien sind, machen durch ihre Mitwirkung Così zu einer Festaufführung! Der Abend wurde begeistert aufgenommen, alle Künstler mit Rudolf Kempe stürmisch gefeiert und Elisabeth Schwarzkopf auf das herzlichste begrüßt und wieder als zu uns gehörig gefeiert. Wir erlebten einen der schönsten Abende der neuen Ära unseres Institutes.

 

DIE ZAUBERFLÖTE am 24. Jänner

Bei der zweiten Aufführung hörte man Wilma Lipp als Pamina. Die Entwicklung dieser Sängerin ist eine der interessantesten, die wir miterleben konnten. Anfangs ein typischer Koloratursopran mit gestochener Höhe und ohne nennenswerter  Mittellage, hat sie im laufe der Zeit eine weiche, ausdrucksvolle, ausgeglichene lyrische Stimme mit einem wunderschönen Timbre bekommen. Ihre Gestaltung der Pamina war einfach, natürlich und herzlich, und außerdem sah sie reizend aus. Rudolf Schock ist, wenn er in seinem Fach bleibt und seine schöne klangvolle Stimme nicht durch Forcieren, Stemmen und Pressen zu vergrößern trachtet, ein hervorragender Sänger mit Intelligenz, Kultur und Geschmack. Für den Tamino kommt  ihm noch  seine das Durchschnittsniveau von sprechenden Sängern erheblich überragende Sprechtechnik zugute. Walter Berry ist als Papageno von entwaffnender Natürlichkeit, von Sing- und Spielfreude. Seine Stimme beherrscht er so, daß man ihn im Moment für einen idealen Buffo hält (bis man an Escamillo oder Dappertutto denkt). Dieser junge Sänger kann einmal die enorme Vielseitigkeit eines Schöffler erreichen.

 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 25. Jänner, Übernahme aus Salzburg

Günther Rennerts „Figaro“ wurde bei den Salzburger Festspielen 1957 zum ersten Mal gezeigt und  hat eine Vorgeschichte. Als der neue Leiter der Salzburger Festspiele anordnete, daß die „Redoutensaalkomplex-Inszenierung“ Schuh-Neher von 1956 durch eine Neuinszenierung ersetzt werde, gab es große Aufregung allenthalben. Den von Karajan vorgesehenen Regisseur Strehler akzeptierte man dann notgedrungen. Giorgio Strehler sagte ab und Günther Rennert wurde engagiert. Daraufhin gab es neuerlich großes Geschrei bei Adabeis und Besserwissern: „Ein Deutscher“ inszeniert den Salzburger Figaro, was kann denn da schon daraus werden! (Daß Schuh und Neher lediglich der Staatsbürgerschaft nach Österreicher sind, vergaß man in diesem Zusammenhang.)

Die Hochzeit des Figaro von Günther Rennert und Ita Maximowna hatte einen triumphalen Erfolg – und plötzlich überstürzte sich die Presse in wahren Begeisterungsexzessen (vor Tische las man es anders!), ohne allerdings zu erwähnen, daß der Hauptanteil an diesem Erfolg, auf das Konto der künstlerischen Leitung der Festspiele ging, die die beteiligten Künstler engagiert hatte. War es schon nicht sehr nobel, diesen Umstand absichtlich zu vergessen, so gab es würdelose Haßausbrüche, als bekannt wurde, daß die kostbare Aufführung keinen Winterschlaf halten werde, sondern in Wien dem Wiener Publikum Freude bereiten und dem Publikum der Brüsseler Weltausstellung einen Eindruck von Wiener Opernkultur (denn etwas anderes ist ja diese Salzburger Festspielaufführung nicht) geben  werden. Die Herren Kritiker mögen dabei nicht vergessen, daß sich nicht das gesamte Wiener Publikum in Salzburg treffen kann. Wenn also unsere Kritiker auf eine solche Spitzenaufführung nicht neugierig sein sollten, so ist das ihre Sache. Sie mögen aber die Güte haben, dem Publikum, das sich  erlaub, gegenteiliger Ansicht zu sein, nicht die gute Laune durch böse Worte zu vergällen. Die Wiener Musikkritik sitzt seit neuestem in einem gläsernen Turm. Die Rezensionen sind für einen kleinen Kreis von Wissenden ein interessanter Aufschluß über „Interessen“, die zu vertreten, und die „Linien“, die einzuhalten sich die Herren verpflichtet fühlen. Die wahre Aufgabe der Musikkritik, objektiv über Werk und Wiedergabe zu referieren, ist ziemlich in den Hintergrund getreten. Das Wiener Publikum ist allerdings Gott sei Dank imstande, auf die Ratschläge der Presse zu verzichten und sich an Ort und Stelle von der Qualität einer Opernaufführung zu überzeugen.

Dabei ist unserer Presse ein großes Mißgeschick passiert. Während sie schreiben und schreien, hat sich, vom Wiener Publikum gebührend gefeiert, im Jahre 1958, in dem man die 202. Wiederkehr von Mozarts Geburtstag feiert, ein Ereignis vollzogen, dessen Tragweite für die Oper und ihre internationale Geltung nicht abzusehen ist: Das Werden eines neuen Mozartstils.

Ita Maximowna beherrscht die große und selten gewordene Kunst, die Bühne mit ihren Bildern nicht anzuräumen, sondern einen Rahmen für das Spiel zu schaffen. Mit welcher Delikatesse sie die Palette beherrscht, den Räumen Atmosphäre und Gliederung verleiht den großen Saal des Grafen mit zauberhafter Farbharmonie erfüllt und im vierten Akt einen Irrgarten von spinnwebenhafter Zartheit hinzaubert, ist einmalig. Die Kostüme sind nicht nur Gewänder in denen die Sänger für einen Abend stecken, sie sind charakteristisch für die Personen der Handlung und betonen deren Stellung im Verlaufe der dramatischen Aktion. Das gilt für das aggressiv-orange Jagdkostüm des Grafen ebenso, wie für Basilios flachen Faunschädel. Und der den ganzen Abend hindurch in Rot erscheinende Figaro bekam von Günther Rennert die ihm gebührende Stellung zurück: nicht mehr Hauskasperl des Grafen zu sein, sondern der Gegenspieler aus dem Volk, der im Bewußtsein seines guten Rechtes den Mächtigen zu einem Tanz auffordert. Diesem für uns etwas ungewohnten, aber eigentlich selbstverständlichen Gesichtspunkt des „Figaro“ entsprach das ganze, Regiekonzept des Abends. Die Führung der Sänger-Darsteller war von souveräner Selbstverständlichkeit und doch voll neuer überraschender, stets dem musikalischen Ausdruck entsprechend. Heutzutage, wo große Opernregisseure fast schon die Seltenheit von Wagnertenören haben, ist solche Musikalität besonders kostbar.

Herbert von Karajans musikalische Linienführung entsprach in jedem Takt, in jeder Phrase der Arien, in jedem Ton der hervorgesprudelten Rezitative dem Konzept Rennerts, und man hatte den Eindruck, die beiden Meister in ihrem Fache hätten nur aufeinander gewartet, um in vollkommener Übereinstimmung eine absolute Interpretation des Werkes zu geben. Vom ersten Takt der Ouvertüre an, einer großen Linie folgend,  führte Karajan Ensemble, Chor und Orchester zu außerordentlicher Leistung (wir erwähnen besonders die subtile, militärische Klangkulisse der Bläser im „Non piu andrai...“, den anmutigen Klang der philharmonischen Zaubergeigen im Vorspiel zum zweiten Akt, den atemberaubenden Aufbau des Finales des zweiten Aktes, die süße Wehmut des „Dove sono“ , die traumhaft zarten Pizzicati der Rosenarie, den strahlenden Glanz des Finales – Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt.

Elisabeth Schwarzkopf ist nunmehr unüberbietbar in der Vollendung ihres Gesanges. Das kostbare Timbre ihrer vollen und stärker gewordenen Stimme schwingt sich in silberner Klarheit empor und im Spiel ist sie, ohne die zu jedem Scherz bereite Rosina von einst ganz vergessen machen zu wollen, eine seelenvolle Frau und eine große Dame. Irmgard Seefrieds Susanna ist fast ihre vollkommenste Leistung, besonders in dieser Inszenierung, in der sie wesentlich ernstes ist, als man sie sonst kannte, was den pikanten Reiz rokokohafter Sinnlichkeit und die Meisterschaft im Setzen und Fallenlassen von Pointen noch mehr zur Geltung bringt. Christa Ludwig zeigt mit der klug gebändigten Klangfülle ihres Mezzo und der nunmehr anmutigen Burschikosität ihres Spiels einen vollendeten  Cherubino.

Erich Kunz war diesmal der Gegenspieler des Grafen, in dessen Händen die Fäden der Intrige zusammenlaufen – er wirkte konzentriert, zurückhaltend und trotzdem humorvoll. Eberhard Wächter ist im Begriffe, einen neuen Baritontyp zu kreieren, dem wir bisher an der Staatsoper noch nicht begegnet sind – nämlich den des jungen Herrn aus großem Haus. Alle derzeit gestalteten Rollen zeigen diesen ruhigen, vornehmen, aber gleichzeitig doch jugendlich-temperamentvollen Charakter: der Posa ebenso wie Wolfram und vor allem die drei Mozart-Rollen, die er jetzt in dieser Festwoche an der Staatsoper singt. Die musikalische Gestaltung der Partie erschien klug, überlegen und kultiviert, wenn er auch an manchen Stellen (Arie) die erforderliche Dramatik noch nicht besitzt.

Die musikalisch und darstellerisch stark profilierten Typen von Hilde Rössel-Majdan, Oskar Czerwenka, Peter Klein, Ljubomir Pantscheff und Erich Majkut waren lebendig und wirksam. (Das Duett der beiden Bauernmädchen könnte man einmal auch in Wien von Solistinnen singen lassen, kleinere und unwichtigere Rollen sind manchmal mit solchen besetzt).

Das Wiener Publikum war glücklich über den dem Exil entronnenen wiedergewonnenen Figaro,  der hoffentlich, falls er einmal in Salzburg nicht mehr gebraucht werden sollte, ganz nach Wien übersiedeln kann. Wir waren glücklich, diese wunderbare Aufführung, die den neuen Wiener Mozartstil, den Stil des neuen Hauses einleitete, in Wien gehört zu haben.

 

ARIADNE AUF NAXOS am 26. Jänner

stand zwischen den Mozartaufführungen nochmals auf dem Spielplan. Unter der umsichtigen und stilkundigen Leitung von Rudolf Moralt überraschte Gertrude Grob-Prandl durch eine verhalten gesungene Ariadne, mit der sie wesentlich bessere Wirkung als mit ihren früheren Brüllorgien erreichte. Rudolf Schock ließ sich (durch den Lautsprecher) wegen Indisposition entschuldigen. Er war auch schwächer als sonst in dieser Rolle. Erika Köth erfreute uns wieder mit gestochener Koloratur und humorvoller Lebendigkeit. Christa Ludwig zeigte sich mit dem Komponisten von der besten Seite.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. Jänner

war die Wiederholung der umjubelten Aufführung vom 25. Jänner unter Herbert von Karajan.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 28. Jänner im Redoutensaal

Mit dieser Aufführung spielte die Wiener Staatsoper die vorjährige Festspielaufführung in Salzburg glatt an die Wand. Rudolf Kempe erbrachte (wenn das noch nötig ist!) einen Beweis seiner Vielseitigkeit. Er setzt sich mit jedem Werk, mit jedem Stil jeden Abend aufs Neue auseinander und zieht den Hörer immer wieder in seinen Bann. Der Wunsch, Rudolf Kempe möglichst oft an der Wiener Oper zu hören, wird an jedem seiner Abende stärker. Er ist wie Wenige dazu berufen, Verschlampungen zu verhindern, beamtenhaft-salzamtmäßiges Desinteresse zu steuern und einmal erreichtes Niveau unerbittlich zu wahren. Überdies ist er mit Orchester und Ensemble bereits in vorbildlicher Weise zusammengewachsen. Wie wenig andere Dirigenten könnte er das musikalische Niveau der Staatsopernvorstellungen bewachen und behüten und somit die Stellung halten, wenn der Chef außer Landes ist. Aber wir wissen natürlich ganz genau, daß er viel zu bekannt, beliebt und international gefragt ist, um solch ein saures Amt auf sich nehmen zu können. Doch würde eine Koordination zwischen den Terminen Herbert von Karajans und Rudolf Kempes genügen, um den Spielplan interessant zu machen.

Auch gesanglich hörten wir durchwegs erstklassige Leistungen. Wilma Lipps Konstanze gehört zu den Wiener Mozart-Spezialitäten. Man wird nicht müde, ihre vornehm-dezente Gestaltung, den stilvollen und kultivierten Gesang zu bewundern. Sie ist eine Konstanze, die nicht nur Belmontes Herz, sondern auch das des Publikums gefangen nimmt. Gottlob Fricks Osmin, für uns ebenfalls ein Begriff, war ein weiterer Höhepunkt des Abends. Mit dem satten, vollen Klang der in seinem Fach einzig dastehenden Stimme erfüllt er die Partie vollkommen und durch seinen Verzicht auf allzu billige Effekte wirkte er lustig und humorvoll, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Murray Dickie ist für den Pedrillo (ebenso wie für den David) eine Idealbesetzung. Er agiert schwungvoll und mit viel Charme und seine sorgfältige musikalische Formung der gar nicht so einfachen Partie (siehe Belcanto bei der Romanze!) verdient höchstes Lob. Waldemar Kmentt gefiel, obwohl er momentan in seiner Entwicklung stecken zu bleiben scheint. Dorit Hanak rettete den Abend durch ihr Einspringen für Emmy Loose. Sie verdient einmal mit mehr Probemöglichkeit einem größeren Hörerkreis vorgestellt zu werden, denn ihre Gesangsleistung (mit gut sitzenden Spitzentönen) und ihr frisches Spiel erweckten allgemein Aufmerksamkeit. Leider hatte der schöne Abend nicht die Publikumsresonanz, die er verdient hätte. Der Saal war halb leer (kein Wunder bei den hohen Preisen für Sitze, auf denen man weder gut sieht noch hört). Es wäre wirklich an der Zeit, daß auch unsere Bundestheaterverwaltung zu der Einsicht kommt, die das Publikum durch sein Fernbleiben erneut an den Tag gelegt hat, daß der Redoutensaal kein Opernhaus ist. (Wir fürchten sehr für den Revisor, es wird fast niemand hineingehen!) Einzig die Così-Aufführung war ausverkauft.

 

WAS IST MIT DEM THEATER AN DER WIEN? WARUM DER REDOUTENSAAL?

Es ist wieder sehr ruhig um das Theater an der Wien geworden. Man sollte aber gerade eine erfolgreiche Mozartwoche nicht vorübergehen lassen, ohne die verantwortlichen Stellen daran zu erinnern, daß da an der Wien ein Haus verfällt, in dem die schöne Entführung und die beglückende Così mehr zum Ruhme der Wiener Oper beigetragen hätten, als in dem kalten, prunkvollen Tanzsaal. Das Theater an der Wien wäre mit einem verkleinerten Fassungsraum (mit rund 700 Sitzen, einem Stehparterre für 100 Besucher und ebenfalls 100 Galeriestehplätzen) der ideale Raum für ein kleines Haus der Bundestheater. 10 mal im Monat Ballett, fünf bis zehnmal Oper (je nach Besetzungsmöglichkeiten) und der Rest Vorstellungen des Burgtheaters. So wäre allen geholfen. Der Akademie, weil sie ihr Theater wieder zurückbekäme und nicht mehr die Schüler der Opernklasse ins Engagement entlassen müßte, ohne daß diese auf der Bühne auch nur stehen können (selbst ein Talent wie Eberhard Wächter mußte das erst im Engagement lernen!) Es wäre ferner den Sängern geholfen, die nicht mehr gegen die tückische Akustik des Redoutensaales zu kämpfen hätten, wobei es für das Publikum reine Glückssache ist, ob es etwas hört. Es wäre dem Ballett geholfen, das sein in den letzten Jahren erworbenes Können öfter und in den verschiedenartigsten Programmen unter Beweis stellen könnte. Nicht zuletzt wäre es von Vorteil für das Publikum, auf das man eigentlich am wenigsten Rücksicht nimmt. Es sollte doch auch etwas von den Aufführungen haben, nicht nur den Anblick einer stilvollen Architektur! Man muß von Seiten der Staatsoper endlich die Konsequenzen ziehen!

 

DON GIOVANNI am 28. Jänner in der Staatsoper

Man saß am gleichen Abend in dieser Aufführung und wagte nicht, die Augen zu öffnen – in der sicheren Annahme, die Inszenierung würde einem nach Figaros Hochzeit und Zauberflöte noch grauenhafter vorkommen. Man ließ eine ungenau und lustlos musizierte Ouvertüre eines Orchesters der dritten Besetzung an sich vorüber gleiten, registrierte, daß Walter Berry auch in italienischer Sprache sicher seine Pointen setzte und erschrak heftig, als Teresa Stich-Randall gleich das erste Terzett durch einen verhauten Einsatz durcheinander bracht. Vor Schreck riß man die Augen auf; und nun brach das Furchtbare in seiner ganzen Entsetzlichkeit über uns herein. Wir erblickten sie wieder, die zum Alpdruck gewordenen Treppen, die klobigen Türme, die fahlen Farben. Der absolute Tiefpunkt nicht nur jeder Mozart-Regie, sondern jedes Inszenierens überhaupt ist die Friedhofsszene, in der die Statue des Komturs (berühren verboten) hinter einer Kette steht, die ihn offenbar vor neugierigen Touristen schützen soll (wie das in unseren Breiten beim Maria-Theresien-Denkmal z. B. der Fall ist). Die Kirchhofsatmosphäre soll durch Schädelpyramiden angedeutet werden, bei deren Anblick einem unwillkürlich jenes Lied aus Kreneks: „Reisetagebuch“ einfällt, in dem der Karner eines kleinen Dorffriedhofes geschildert wird (…und nicht einmal ewig währt die so gestörte Ruhe…). Es wäre fast am besten, das alte Theater an der Wien-Bühnenbild, das auch nicht sonderlich inspiriert, aber immer noch besser war, im Depot auszugraben, neu anzustreichen und solange zu verwenden, bis Günther Rennert mit Georges Wakhevitch oder Ita Maximowna eine Neuinszenierung der Oper herausbringen kann. Rudolf Moralt, auch einmal in einer Festaufführung am Pult, was ihm noch nicht oft widerfahren ist, hätte sich aus diesem Grunde schon etwas mehr Mühe geben können. Andere Dirigenten zwingen auch unaufmerksame Substituten zur Konzentration. Auch Rudolf Moralt kann das, wenn er sich voll einsetzt. Er bewies es schon öfter. So waren es die Sänger, die den Abend interessant machten. Elisabeth Schwarzkopfs Aufstieg von der guten zur großen Sängerin kann man an keiner anderen Partie so genau verfolgen, wie an der Elvira. Gestaltete sie vor zwölf Jahren noch eine schmerzlich-wehmütige, enttäuschte Frau, die die wichtige Funktion, Gegenspielerin Giovannis zu sein, fast mehr Donna Anna überließ, ist sie jetzt ganz die beleidigte stolze Dame, ein schwarzer Engel der Rache, der nur noch selten dem Zauber des einst Geliebten verfällt und das verlorene Glück betrauert. Sie ist in dieser Partie von absoluter Vollkommenheit des Stimmlichen, Technischen, Klanglichen, Ausdrucksmäßigen und Darstellerischen. Vom ersten Auftritt bis zum Schlußensemble beherrscht sie die Bühne mit der psychologisch unerhört fein erfaßten und durch überraschende neue und fesselnde Nuancen zu blutwarmem Leben erweckten Gestalt. Die im forte glanzvoll strahlende, im piano anmutig schwebende Stimme wieder hören zu können, war allein den Besuch der Aufführung wert, in der aber auch sonst einige prächtige Leistungen geboten wurden. Eberhard Wächter und Walter Berry sind auf dem besten Wege, in die Spitzengruppe der Sängerschaft vorzustoßen. Beiden gemeinsam ist die Konzentration auf die Rolle, der kompromißlose Einsatz, die intelligent geführten schönen, jungen Stimmen für die sie eine solide technische Basis haben und die sorgfältige Formung der Phrase. Eberhard Wächter und Walter Berry haben ihre Rollen auch darstellerisch völlig erfaßt und musikalischen und mimischen Ausdruck zu schöner Einheitlichkeit entwickelt. (Besonders auffällig erschienen uns noch die ausgefeilten Rezitative). Ludwig Weber hat sich erfreulicherweise wieder erholt und sang den Komtur mit der Stimmfülle, die ihn jahrelang zum besten Vertreter dieser kleinen, aber doch so wichtigen Partie machten. Rita Streich und Harald Pröglhöf boten als Buffopaar ihre gewohnt verläßlichen Leistungen. Die beiden Arien des Don Ottavio waren jahrelang die Glanzstücke in Anton Dermotas Repertoire. Woran es wohl liegen mag, daß er jetzt so viel Mühe mit ihnen hat? Sein Niveau war aber immer noch beachtlich. Aus dem Rahmen fiel abermals Teresa Stich-Randall. Sie hat sich nie durch besondere Gestaltungskraft oder Persönlichkeit über den Durchschnitt erhoben, war aber, solange sie ein hoher Sopran blieb, eine gute Sängerin. (Auch als Donna Anna ist sie in den schwierigen Koloraturen der zweiten Arie oder des Sextetts im zweiten Akt dank der aus ihrer Gilda-Zeit erhalten gebliebenen Geläufigkeit der Gurgel, am besten). Die Künstlerin befleißigte sich damals mit Erfolg einer ganz instrumentalen Stimmführung. Rollen des dramatischen Zwischenfaches mit eben derselben Tongebung singen zu wollen, ist ein absurder Einfall. Die Anna verlangt eine blühende, volle, lebendige Stimme. Die von Teresa Stich-Randall ist im Piano von vogelhafter Steife und Leblosigkeit, ihr Forte ist grell, spitz und scharf und vollends ihre Schwelltöne tragen sirenenartigen Charakter. Sie ist der typische Fall einer Sängerin, die aus beachtlichem Material nichts machen kann. Diese Aufführung war die uneinheitlichste der Mozartfestwoche. Wir müssen aber feststellen, schon wesentlich schlechtere gehört zu haben. Vor Jahresfrist wären wir vielleicht mit einem solchen Giovanni sehr zufrieden gewesen. Daß wir es trotzdem nicht sind, beweist, daß wir schon wieder in der glücklichen Lage sind, hohe Ansprüche stellen zu können. Bei Mozart ist der einzuschlagende Weg, Gott sei Dank!, vorgezeichnet.

TURANDOT am 29. Jänner

Birgit Nilsson hob diese Aufführung über den Durchschnitt einer Repertoirevorstellung. Für diese Rolle bringt die Künstlerin ihre imponierende Gestalt mit und ihr dramatischer Sopran, der in der Höhe besondere Leuchtkraft ausstrahlt, erfüllt alle Voraussetzungen der eminent schwierigen Partie, mühelos. Sieghaft strahlt ihre Stimme über Chor und Orchester. Wir können uns kaum eine bessere Turandot vorstellen. Der als Kalaf zum ersten Mal in einer Hauptrolle auf der Bühne stehende Joao Gibin (den Walter Legge, der Columbia-Chef, als eine der vielversprechenden Stimmen, die es derzeit gibt, bezeichnet hat) hatte es neben einem solchen Stimmphänomen natürlich besonders schwer. Trotzdem zog er sich mit Anstand aus der Affäre. Natürlich muß er in die Partie erst im Laufe von Jahren hineinwachsen. Der Kalaf ist keine Anfängerrolle, besonders für Joao Gibins Stimmcharakter, der eher zum lyrischen tendiert (man sollte es einmal mit Pinkerton versuchen). Seine biegsame, dunkel timbrierte, allerdings etwas nasale Stimme ist von besonderer Schönheit und hat derzeit ihre Stärke in der Mittellage. Die Höhe ist wohl klangvoll, aber nicht metallisch. Manchmal klingen die Spitzentöne gepreßt, was durch die Nervosität des Debütanten bedingt sein kann. Pluspunkt des Sängers sind seine Musikalität und seine gute Bühnenerscheinung. Er würde aber dringend einen Regisseur brauchen. Bemerkenswert war die Disziplin des jungen Tenors, der den Kalaf immer sang und nie zum Brüllen ausartete. Wir sind davon überzeugt, daß aus ihm etwas werden kann. Teresa Stich-Randall ist als Liu bekannt. Sie sang wie immer, wobei der Hang zum Schleppen wieder deutlich hörbar wurde. Ludwig Weber stattete den Timur mit wieder gewonnener Kraft aus. Das Orchester hatte keinen besonders guten Tag und auch der Dirigent Glauco Curiel ließ die Stimmung vermissen, die wir bei ihm schon gewöhnt waren.

TANNHÄUSER am 30. Jänner

Diese Vorstellung war alles, nur keine reine Freude. Zählen wir zuerst die Aktiva auf: Marianne Schech aus München sang die Venus mit Intelligenz und schöner Stimme, die nur keine genügend profunde Tiefe aufweist. Leonie Rysanek gab der Elisabeth ihr gewohnt gutes Format. Gottlob Frick ist mit Abstand der beste Landgraf, der bisher im neuen Haus zu hören war. Julius Patzak schließlich macht die Randfigur des Walther zu einer großen, bedeutenden Partie. Im Sängerkrieg und in den Ensembles dominierte er in allen Belangen haushoch über alles rundherum. So gestaltet ein Künstler eine Rolle, mag sie in den Augen seiner Kollegen noch so undankbar erscheinen. Das Einzige, was Karl Liebl für den Tannhäuser mitbringt, ist eine gute Aussprache und hie und da eine passable Phrase. Bei einer Stimme aber, die nach Umfang und Charakter bestenfalls für einen Novagerio oder einen Schuiski geeignet erscheint (ob er diese Charakterpartien gestalten kann ist eine andere Frage) ist das entschieden zu wenig. Josef Metternich hingegen war nie ein Freund von differenziertem und den Gehalt der Phrasen ausschöpfenden –Singen, wodurch allein schon die Besetzung der Partie des Wolfram mit ihm, fehl am Ort scheint. Da er aber in seiner derzeitigen Verfassung der Partie nicht einmal soweit gewachsen ist, daß er sie wenigstens recht und schlecht heruntersingen könnte, war das Ergebnis katastrophal. Edmond Hurshell brüllte sich wieder einmal heiser und Rudolf Moralts Leitung hatte normales Repertoireniveau – werkgetreu, aber etwas derb.

FIDELIO am 31. Jänner 1958

Der letzte Tag des Monats brachte ein bemerkenswertes Ereignis: Herbert von Karajan stürzte sich kopfüber ins Repertoire! Gerade Fidelio fordert zu solchem Beginnen heraus, war die Aufführung doch diejenige, mit der die Serie von Enttäuschungen, die uns das neue Haus bescherte, ihren Anfang nahm. Bei einem Fidelio wurde auch der Schlußstrich unter die Periode des unwürdig Dahinvegetierens gesetzt. Erst voriges Jahr rettete Josef Krips die Aufführung musikalisch und brachte die erste Interpretation des Werkes im neuen Haus zustande, die Eindruck hinterließ.

Wenn jetzt Karajan die inzwischen wieder total aus den Fugen geratene Einstudierung erneuerte, fand er dabei die gleichen Voraussetzungen vor, wie jeder andere Dirigent seines Hauses. Der chronische Probenmangel bringt es mit sich, daß auch Karajan, der gewohnt ist, in intensiven Proben genauestens vorzubereiten und die Stimmen- und Instrumentenführung bis zu einem Maximum an Vollkommenheit zu feilen, gezwungen ist, mitten in der Aufführung Korrekturen anzubringen, zu phrasieren, zu formen und etwaige Unfälle zu überbrücken. (Karajan dürfte nicht gewußt haben, daß „Leonore, was hast du für mich getan? Nicht, nichts mein Florestan!“, gestrichen ist und war über die eingetretene Pause sehr erstaunt.)

Er hatte dabei wie seine Kollegen am Pult ein zum Teil von Substituten durchsetztes Orchester zur Verfügung, und  ähnliche Besetzungen haben wir schon gehabt. Und doch ist ein von Karajan dirigierter Repertoire-Fidelio etwas ganz anderes. Die Ouvertüre war klanglich noch nicht ganz ausgeglichen, aber schon beim Quartett hatte Karajan das Orchester vollkommen in der Hand. Immer neu und immer interessant ist die durchdachte musikalische Formung, die Karajan dem Fidelio zuteil werden läßt. Von klarem, klassischem Geist erfüllt und doch von aufwühlender Dramatik und intensiver Anteilnahme, entsteht vor uns eine Wiedergabe, in der sich die Tempi absolut logisch auseinander entwickeln, die transparente Stimmführung auch im „fff“ erhalten bleibt und Stimmen und Orchester zu einer Einheit verschmolzen sind.

Birgit Nilsson war die Leonore mit leuchtender Stimme. Wilma Lipp die Marzelline von liebevoller Herzlichkeit. Giuseppe Zampieri ist der ausgezeichnete Florestan geblieben, mit dem er so überraschte. (Wo ein Kritiker die Stimmen finden will, die zu Dutzenden der von Zampieri ebenbürtig seien, ist uns nicht ganz erfindlich. Wahrscheinlich in Graz, dort ist immer alles besser!) Hermann Uhde, nach längerer Pause wieder auf die Bühne zurückgekehrt, war  stimmlich nicht ganz ausgeglichen. Eines ist jedoch seit seinem ersten Wiener Auftreten besser geworden, nämlich sein Registerwechsel. Darstellerisch bot er, selbst an Maßstäben von Hotter und Schöffler gemessen, eine Meisterleistung! Josef Metternich als Minister ist das traurige Beispiel für den Niedergang einer einst großen und schönen Stimme. Waldemar Kmentt sang einen guten Jacquino.

 

Man kann es gar nicht so recht glauben, daß dieser Fidelio eine richtige Repertoire-Aufführung war, noch dazu eine, bei der das halbe Haus an das Theater der Jugend vergeben war. Sie beschloß einen  ereignisreichen Monat, in dem der Spielplan interessant zusammengestellt, und für jeden Geschmack etwas zu finden war. Einige Abende im Zeichen Mozarts wurden zu wahren Festspielereignissen, und das Niveau der Vorstellungen erreichte einen im neuen Haus  ungewöhnlich hohen Standard. Das vom  dauernden Opernbesuch erschöpfte Stammpublikum gesteht: So einen Jänner haben wir schon lange nicht mehr erlebt. Wie wird es erst in den Festwochen werden? Dabei erhebt sich gleichzeitig auch die Frage, wird die Oper auch in der Zwischenzeit ihr Niveau halten können?

 

 

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