DER MÄRZ 1958
3. Jahrgang, Heft 4
Dem Monat März haftete im Standard der Repertoire-Aufführungen noch einige „Wintermüdigkeit“ an, andererseits aber war schon eine starke, durchaus erfreuliche Tendenz nach aufwärts da. Besonders ab Mitte des Monats wurde die Hebung des Niveaus spürbar.
Einige Herren der „hohen Kritik“ scheinen allerdings anderer Meinung zu sein. Obgleich sie die Repertoireabende gar nicht oder nur äußerste sporadisch besuchen wissen sie es trotzdem besser. Wahrscheinlich haben sie zu diesem Zwecke einen Kursus für Hellsehen und Fernhören absolviert, um nun aus der Entfernung Kritiken über Aufführungen fabrizieren zu können. Dies ist jedoch nicht der Zweck der Übung, zumal es mit dem hellsehen und Fernhören doch nicht zu klappen scheint
BALLETTABEND am 1. März
DON CARLOS am 2. März
Interessant machten den Abend zwei große Leistungen. Gottlob Frick als Philipp und Hans Hotter als Großinquisitor. Zu der ausgezeichneten Gesangsleistung brachte Gottlob Frick diesmal auch, mehr denn vorher, königliche Haltung und Gestaltung der Partie mit. Seine großartig gesungene Arie wurde mit lautem Jubel bedacht. Hans Hotter machte die Partie des Großinquisitors zu einem Mittelpunkt des Abends, sein „Werft Euch nieder“, das wie die Posaune des jüngsten Gerichtes durch das Haus klingt, hat die seltene Qualität, auch die Wirkung glaubhaft zu machen. Weniger eindrucksvoll blieben die übrigen Solisten: Rudolf Schock sang teilweise mehr mit Technik als mit Stimme, Hans Braun ließ sich als indisponiert entschuldigen – seltsamer Weise war seine diesmalige Leistung jedoch wesentlich besser als die letztmalige, unentschuldigte – erhebend war’s trotzdem nicht! Hilde Zadeks kalte Elisabeth bewies wieder einmal mehr, daß Giuseppe Verdi nicht die Domäne dieser Sängerin ist. Die Eboli Margareta Kenneys zeigte schön klingende Mittellage und Tiefe, ließ aber in der Höhe ahnen, daß seit der Umschulung zum dramatischen Fach bereits die ersten Anzeichen von Gefahr sich melden. Berislav Klobucar am Pult konnte dem Orchester keine Höhepunkte abfordern.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 3. März
Rudolf Kempe mußte in dieser Aufführung alle Kräfte aufbieten, um nicht nur das Orchester zum Mitgehen zu zwingen, sondern auch mit dem nicht geprobt erscheinenden Chor einen harten Strauß ausfechten, der in Prügelszene und „Wach-auf“-Chor schließlich zugunsten des Dirigenten entschieden wurde. Aus diesen Gründen gelang es Rudolf Kempe nur, die Struktur des Werkes im Rohbau anzulegen, doch dieses Gerüst stand fest. Vorspiel und Festwiese gerieten trotzdem überdurchschnittlich. Als Stolzing mußte sich das Publikum – anstelle des absagenden Wolfgang Windgassen – sich mit Rudolf Lustig zufrieden geben. Seine gesangliche Leistung glich einem Fiasko. Der Ritter aus Frankenland wurde zum Ritter von der traurigen Gestalt. Daß wenigstens Rudolf Lustig selbst mit diesem Stolzing zufrieden war, konnte man an seinem glücklichen Lächeln erkennen, das den ganzen Abend lang nicht von seinem Gesicht wich. Hilde Zadeks Evchen war Repertoiredurchschnitt. Karl Kamann als Sachs zeigte sich von seiner besten Seite, legte das Hauptgewicht stimmlich auf die Monologe und brachte darstellerisch einen humorvollen, recht schusterlichen Sachs auf die Szene. Karl Dönch sang den Beckmesser, der spielfreudige David war Murray Dickie, Gottlob Frick der würdige Pogner und Frederick Guthries Nachtwächter eine einmalige Leistung.
PALESTRINA am 4. März
Das lang entbehrte Werk stand wieder auf dem Spielplan. Trotz der sicheren Leitung durch Rudolf Moralt war nicht zu überhören, daß eine Aufführung dieses Werkes besonders in Anbetracht der langen Zeitabstände zwischen den einzelnen Vorstellungen, einer gründlichen Vorbereitung bedarf. Man bewunderte wieder die Kraft großer Bühnenpersönlichkeiten. Julius Patzak und Hans Hotter (wobei das rein Stimmliche gar nicht so sehr ins Gewicht fällt) unüberbietbar in der Erfassung und Gestaltung ihrer Partien und man fragt sich bange, wer dereinst Palestrina und Borromeo diesen beiden Künstlern nachsingen soll. Solide und sauber führten Anny Felbermayer und Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel-Majdan, Peter Klein, Murray Dickie, Harald Pröglhöf, Hans Braun und Erich Kunz ihre Rollen aus. Für den leider erkrankten, für eine Aufführung dieses Werkes unerläßlichen Alfred Poell mußten als Ersatz zwei Gäste bemüht werden: Der in Graz wirkende Raymond Wolansky fiel als vierter Meister durch Material und dessen Beherrschung auf; Hans Helm, der Luna, von dem auch wir nicht wissen „woher der Fahrt“, zeigte neben einer blendenden Bühnenerscheinung eine helle, nicht allzu große Stimme. Die exponierten Höhen des Luna gelangen recht gut. Herbert Alsen tauchte als Madruscht aus der Versenkung auf. Edmond Hurshell, Marjan Rus und Laszlo Szemere trugen dazu bei, daß die Mißklänge im Konzilakt nicht nur politischer und kirchenrechtlicher Natur blieben, sondern hin und wieder auch von den musikalischen Phrasen Besitz ergriffen. In den Meister- und Kirchensänger-Ensembles ging es ebenfalls nicht ohne Zwischenfälle ab.
DIE ZAUBERFLÖTE am 5. März
Man kann mit Freude feststellen, daß Günther Rennerts Inszenierung zu einem wesentlichen Pfeiler unseres Spielplanes geworden ist und Mozarts Werk sich an der Wiener Oper derzeit einer sehr guten Wiedergabe erfreut. Die Vorstellung stand unter der Leitung Berislav Klobucars, der sich dieses Werk von Abend zu Abend mehr erarbeitet. Wir bejahten: „Das klinget so herrlich, das klinget so schön“, gerne. Gottlob Frick erwies sich erneut als ein Sarastro, der die Reihe der großen Interpreten dieser Partie an unserem Haus würdig fortsetzt. Wilma Lipp (Pamina) begeisterte stimmlich ebenso, wie durch anmutiges Spiel. Mimi Coertse, gut disponiert, überraschte mit einwandfreier Koloratur (das f klang zwar schüchtern, aber es war da). Hans Hotter verlieh dem Sprecher kraft seiner Persönlichkeit Bedeutung, und die Herren Rudolf Schock, Erich Kunz und Peter Klein, mit sichtlicher Spielfreude am Werk, vollendeten den Eindruck einer wohl fundierten Ensembleleistung.
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 6. März in der Staatsoper
Bei jeder neuen Erzählung des Hoffmann findet man die Inszenierung noch häßlicher und unromantischer als zuvor. Das Rotieren der Bühne, das Drehen des Chors in entgegengesetzter Richtung, es ist so entnervend und stimmungsmordend, daß dadurch allein schon jede Wiedergabe Einbußen erleidet. In dieser Vorstellung schwärmte Anton Dermota mit schöner Stimme, die durch das viele Florestan-Singen deutlich hörbar an Schmelz verloren hat, von seinen Liebesaffären. Sein Gegenspieler war Edmond Hurshell, dem man diesmal deutliches, leider nur von wenig Erfolg begleitetes Bemühen ansah. Gerda Scheyrers Giulietta bleib farblos, Farah Afiatpour war eine kleine, zierliche Olympia, mit steifer Koloratur, sichtlich von Nervosität geplagt. Die liebenswerteste Frauengestalt brachte Wilma Lipp mit ihrer Antonia auf die Bühne, in Gesang und Aussehen ihren Kolleginnen überlegen. Gut in Nebenrollen waren Peter Klein und Ludwig Weber. Michael Gielen dirigierte in schnellem Tempo und mit viel Getöse.
DER REVISOR am 6. März im Redoutensaal
Davon ist zu berichten, daß er sich nach wie vor bester Gesundheit erfreut, also bisher von keinerlei Schlampereibazillen in musikalischer und szenischer Hinsicht infiziert wurde. Die Präzision der Einsätze und der a-capella Stellen ist großartig wie am ersten Tag und die Regie so bildhaft und musikalisch, daß Ensemble und Publikum an dem heiteren Spiel gleichermaßen ihre Freude haben. Werk und Aufführung triumphierten trotz der bereits oft genug bemängelten Akustik des Saales und des skeptischen Auditoriums, das anfangs – gleichgültig ob auf bezahlten Sitzen oder auf Freiplätzen – nicht gerade besten Willens dem Gebotenen gegenüberstand. Man kann nicht umhin, für diese hervorragende Arbeit des Teams Günther Rennert-Rudolf Kempe einen geeigneteren Aufführungsrahmen zu fordern. Jedermann weiß, was damit gemeint ist!
AIDA am 7. März
Diese Aufführung hatte typisch deutschen Charakter: dies nicht nur deshalb weil deutsch gesungen wurde, sondern weil die Sänger an den exponierten Stellen deutlich erkennen ließ, daß die italienischen Sänger erster Garnitur sich in der Bewältigung dieser Partien doch einigermaßen leichter tun, als die Sänger unserer Breiten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Leistung von Christl Goltz höchst beachtlich. Man registriert sofort, mit welcher Konzentration und Intensität sie die Schwierigkeiten meistert. Gustav Neidlingers enormes Material wurde bei den Ausbrüchen im dritten Akt wieder schonungslos eingesetzt: der Amonasro ist eine Partie, die dies bis zu einem gewissen Grad zuläßt. Dennoch erinnerten einige Töne stark an Nibelheim. Eugene Tobin als Radames bot eine ansprechende Leistung, hielt jedoch abermals nicht das, war wir uns beim Debüt dieses Sängers erhofften. Die Romanze wurde von dem Schlußton nicht gerade gekrönt, die Nilszene vorsichtig gesungen, das „Priester, ich bleibe dir!“, war allerdings ein glanzvoller Abschluß. Im Schlußduett zeigten sich die technischen Mängel des Tenors am deutlichsten. Georgine Milinkovic schwächte ihre gute Leistung als Amneris durch scharfe Spitzentöne ab. Berislav Klobucar leitete die Aufführung straff, leider wieder einmal unter zu starker Betonung des Blechs.
FIDELIO am 8. März
Der Ehrgeiz Heinrich Hollreisers war nur von kurzer Dauer. An diesem Abend zeigte er sich erneut von der schon so sattsam bekannten Seite als monotoner Taktschläger. Alles klang einförmig, nur der Kontakt mit der Bühne war ein wechselvoller. Unser Orchester schenkte ihm allerdings auch wenig Beachtung. Daß einige Herren während einer Fidelio-Aufführung Zeit finden, im Orchesterraum ihre Briefpost zu erledigen, laß tief blicken! Die Solisten der kleinen Partien überragten durch ihre Leistungen die Träger der Hauptrollen. Gottlob Frick, Anneliese Rothenberger und Murray Dickie waren mit Freude bei der Sache und setzten ihre schönen Stimmen wirkungsvoll ein. Alles andere war nicht gerade ein Ohrenschmaus. Gustav Neidlinger (Pizarro) schien abermals mit Forte-Tönen sehr freigiebig demonstrieren zu wollen, daß er ein Heldenbariton sei. Man hörte ihm zu und dachte an seinen Alberich. Neu für uns war Hilde Zadek als Leonore und zugleich die Enttäuschung des Abends. Ganz abgesehen von dem geschmissenen H der Arie, klingen die höheren Lagen überhaupt unrein und der Klang der Tiefe – soweit überhaupt hörbar – unschön. Verbleibt einzig und allein die Mittellage, die jedoch auch nicht das nötige Volumen für diese Partie besitzt. Daß die Darstellung nicht zu den Stärken der Sängerin zählt, war bekannt, fiel aber hier um so mehr auf. Zweifellos eine der schwächsten Leonoren, die über die Bühne unserer Oper am Ring seit der Eröffnung gingen. Anton Dermota vermochte unter Aufbietung aller Kräfte der Arie gerecht zu werden. Warum jedoch dieser sympathische Sänger sich mit dieser Partie abplagen und dabei Raubbau an seinen Stimmittel betreiben muß, bleibt unerfindlich. Schwacher Beifall beschloß den noch schwächeren Abend.
SALOME am 9. März
Diese Vorstellung stand unter der Leitung Rudolf Moralts, der wie immer bei Strauss, eine groß angelegte, farbige Wiedergabe erreichen konnte. Die stimmliche und darstellerische Energieleistung von Christl Goltz wurde oft genug gerühmt. Georgine Milinkovic sang nach längerer Zeit wieder die Herodias, eine Partie die ihr liegt. Hans Hotter ist in Erscheinung und Stimmcharakter, in der sparsamen, wohlüberlegten Gestik und in überzeugendem Fanatismus eine Idealbesetzung des Jochanaan. Die mächtige Stimme überdonnerte das Orchester und sprach selbst in den exponierten Höhenlagen an. Max Lorenz, stimmlich in ausgezeichneter Verfassung, brachte, besonders im Zusammenspiel mit Christl Goltz, neue schauspielerische Glanzlichter in die Partie des Herodes. Erfreulich gut zeigten sich zwei junge Sänger, Margarita Sjöstedt und Ivo Zidek, als Page und Narraboth. Gottlob Frick war als Nazarener nicht ganz auf der Höhe, sein Partner Donald MacLeod überhaupt nicht vorhanden. Die kleinen Partien wurden – mit zwei Ausnahmen – von ihren Trägern sicher gemeistert: Hugo Meyer-Welfing wird den ersten Juden nie erlernen, so sehr er sich auch bemüht und Hans Schweiger fällt selbst in der winzigen Partie des Kappadoziers durch sein Tremolo unangenehm auf. Diese beiden „Ensemblemitglieder“ würde man wirklich besser nicht nach Brüssel mitnehmen. Sie sind keine Ausstellungsobjekte.
CATULLI CARMINA – CARMINA BURANA am 10. März
Diese Aufführung stand unter der musikalischen Leitung von Heinrich Hollreiser. „O Fortuna! Launenhafte, wie der Mond so wandelbar!“ Du hast dich abgewendet von der Stätte, die Carl Orffs Trionfi an unserem Haus bereitet ward! Schwimmfeste gab es schon in den Catulli Carmina, wobei auch das Ballett von der allgemeinen Unsicherheit erfaßt wurde. Kunststück, gegen den Wind kann man nicht Klavierspielen und gegen den Takt nicht tanzen! Unglaublich was in den Carmina Burana zusammengespielt wurde! Unglaublich was die Ensemblemitglieder zusammensangen! (Besonders auffällig war dies an Stellen, die bei Konzertaufführungen und den Plattenaufnahmen von Kammerchören gesungen werden, die ihre Aufgabe weitaus besser lösen, als ergraute Stimmwracks oder knödelnde Nochnicht-Ausgebildete!) Rühmliche Ausnahme: die herrliche Wilma Lipp, der ausgezeichnete Ivo Zidek. Seine weiche, feminine Stimme ist nicht Jedermanns Sache, aber er arbeitet wirklich mit Ernst und bemüht sich an jedem Abend, an dem er auftritt. Sehr gut auch Mimi Coertse und Murray Dickie, der das sensationelle Kunststück fertigbrachte, die drei hohen ‚d’ des Schwans mit Bruststimme zu singen (und das auf den Rost geschnallt und mit einem Riemen um den Bauch!) Wir entnahmen dem Festwochenprospekt, daß wider Trionfi aufgeführt werden sollen. Herbert von Karajan, Joseph Keilberth, Rudolf Kempe! Rettet! Helft!
DIE WALKÜRE am 11. März
Hans Hotter, der Wotan schlechthin, wird immer die Inkarnation dieses großen Dulders durch eigene Schuld bleiben. Wie sehr aber auch ihm im letzten Ausdruckskraft im Zusammenspiel versagt bleibt, wenn nicht gleich große Gegenspieler herausfordern, zeigte gerade diese Aufführung: Fricka bleibt nur eine unangenehme Erinnerung, wenn sie nicht von jener geistigen Höhe aus gestaltet wird, die Elisabeth Höngen in all ihren Rollen stets bewies. Wort, Ton und Geste gehen jene Partnerschaft ein, die den Funken des Einmaligen auf das Publikum überspringen lassen. Hilde Konetzni als Sieglinde war auch diesmal von Größe beseelt. Die Spannung, die sie in die welterlösende Macht des „hehrsten Wunders“ legte, wird kaum von anderen arrivierten Kolleginnen erreicht. In solcher Partnerschaft besteht auch der Sänger mit schwächerer Ausdruckskraft, aber gekonnter Konvention. Helene Werth und Franz Lechleitner als Gäste leisteten im Verein mit Heinrich Hollreiser der Vorstellung den Dienst der Aufführbarkeit. Da Karajans Geist noch in den Philharmonikern wirkte, war der Erfolg des Abends abgerundet.
LA BOHEME am 12. März
Von der bekannten Besetzung und den ebenso bekannten Leistungen bewies ein Sänger, daß die Jahre nicht nutzlos an ihm vorüber gegangen sind: Eberhard Wächter. Zwischen damals und heute liegt ein gewaltiger Unterschied von Rollenauffassung und stimmlichem Ausdruck. Man freut sich, daß dieser junge Künstler auch kleinen Partien soviel Aufmerksamkeit schenkt. Im Gegensatz zu ihm hat Duncan MacLeod seine Zeit an unserem Institut vertan. Zwar machte er seiner Freude darüber, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen, durch Herumspringen auf den Mobilien Luft, stimmlich gefiel er aber wohl niemandem, außer vielleicht Egon Seefehlner, der ihn ja engagiert hat. Wilma Lipps kapriziöse Musette und Oskar Czerwenkas Colline sind in gutem Sinn bekannt. Als Mimi hörten wir Teresa Stich-Randall. Sie ist gleichfalls bekannt. Wieder einmal zog sie den ersten Akt sosehr, daß man den Eindruck hatte, daß Mimi nicht von der Schwindsucht, sondern von der Schlafkrankheit befallen sei. Ihr zu tief gesungener Schlußton im Duett und einige Schwelltöne mit Stich’scher Schrillheit weckten uns zeitweise unsanft aus dem Schlummer, in den ihre Interpretation uns sinken ließ. Michael Gielen dirigierte Puccini ohne Brio und Italianità.
TANNHÄUSER am 13. März
Viele Stehplatzbesucher, die knapp vor der Aufführung die Umbesetzung der Elisabeth, für die Elisabeth Grümmer angekündigt wurde, durch Traute Richter erfuhren, verließen wieder enttäuscht das Haus. Die Leistung von Traute Richter ist keineswegs vollkommener geworden, dagegen ihr in allen Lagen vorherrschendes Tremolo noch deutlicher. Ira Malaniuk war nicht in bester Verfassung. Die schrillen Höhen beeinträchtigten störend. Wolfgang Windgassen, auch nicht in bester Form, sang die Titelpartie dennoch schön, sicher und empfunden. Eine wahre Wohltat, gegenüber allen, die sich in den letzten Monaten am Tannhäuser versuchten und versündigten. Hans Braun wurde dem Wolfram nur in den lyrischen Passagen gerecht. Gottlob Frick und Julius Patzak – der eine mit mächtiger Stimme, der andere mit seiner Gesangskultur und seinem bereits legendären, unermüdlichen Einsatz – waren die unerschütterlichen ruhenden Pole im Ensemble. Unerschütterliche Ruhe war auch sehr vonnöten, denn vor allem im zweiten Akt knirschte einiger Sand im orchestralen Getriebe, das von Heinrich Hollreiser weder begeisternd, noch exakt, aber immerhin annehmbar geleitet wurde.
ELEKTRA am 14. März
Der wieder nach Wien zurückgekehrte Karl Böhm dirigierte diese Vorstellung. Er türmte machtvolle Klangquader übereinander, wobei jedoch stets die Transparenz der Stimmführung und das schwelgerische Strömen lyrischer Phrasen gewahrt blieb. Seine Interpretation fand begeisterten Beifall. Zu der Traditionsbesetzung Christl Goltz, Elisabeth Höngen, Hilde Zadek, Max Lorenz trat Hermann Uhdes klassisch-ruhiger Orest, der sich ausgezeichnet in das Ensemble einfügte.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 15. März
Im Ensemble: Gustav Neidlinger, Wolfgang Windgassen, Murray Dickie, Alois Pernerstorfer, Traute Richter und Elisabeth Höngen. Die Aufführung litt unter einer nicht allgemein beglückenden Besetzung. Stehen Kapellmeister am Pult, die der Partitur nicht gewachsen sind, wird ihnen ein ideales Ensemble beschert, waltet ein Meister des Taktstockes, so wird der Abend durch Fehlbesetzungen vergällt!! Zum Verzweifeln! Joseph Keilberth erwies sich jedenfalls als großartiger Meistersinger-Dirigent. Er brachte eine Aufführung zustande, die von äußerster Exaktheit und doch jugendlich-schwungvoll war, mit Herz, Humor und dramatischer Kraft gestaltet. Der Stolzing Wolfgang Windgassens klang manchmal etwas übermüdet – wahrscheinlich hatte er vorher wieder innerhalb von drei Tagen dreimal gesungen – trotzdem dankte man Gott, die Befürchtung los geworden zu sein, statt des erkrankten Ludwig Suthaus Karl Liebl oder Rudolf Lustig beschert zu bekommen. Karl Dönchs Beckmesser ist etwas gemäßigter geworden. Ein weiteres weniger würde ein fortschreitendes mehr bedeuten. Murray Dickie war ausgezeichnet, Alois Pernerstorfer war als Kothner zu hören und leider war Frederick Guthrie, der beste Nachtwächter der Welt, durch Duncan MacLeod ersetzt, der sich zur gesanglichen Unmöglichkeit noch einen Hornschmiß leistete. (Wir haben bereits alle Möglichkeiten von Bläserkicksern gehört, aber ein Nachtwächter-Schmiß war selbst in unserem umfangreichen Register neu!) Leider enttäuschte Elisabeth Grümmer durch eine Absage, für sie sprang Traute Richter als Evchen ein, die mit ihrem ewigen „ach wie lieblich, ach wie niedlich-Spiel“ geschmackstörend wirkte. Elisabeth Höngen übernahm, ebenfalls als Ersatz, die Magdalena. Gustav Neidlingers Sachs war eine Enttäuschung – die Befürchtung wurde leider vollauf bestätigt. Durchaus mit stimmlichen Problemen beschäftigt, fehlte ihm naturgemäß die Zeit zum Gestalten. Die gesangliche Leistung verriet reges Bemühen, hatte aber wenig Erfolg. Interessant erscheint in diesem Fall das Echo der Kritik: Er konnte im Spiegelbild der Wiener Pressestimmen alle Wertgrade verzeichnen – vom Verriß bis zum Superlativ!
DON GIOVANNI am 16. März
Diese Vorstellung war ein schwarzer Tag für das Generalsekretariat der Staatsoper! In den beiden für Nachmittag und Abend angesetzten Giovanni-Aufführungen gab es gleich mehrere Absagen. (Carla Martinis und Alfred Poell für die geschlossene Nachmittagsaufführung, Elisabeth Grümmer und Anton Dermota für die Abendaufführung). Herr Schneider mußte also wieder einmal sein Telefon überbeanspruchen. In der Nachmittagsvorstellung sangen statt Carla Martinis Judith Hellwig die Donna Anna, Hilde Konetzni statt Judith Hellwig die Donna Elvira, Raymond Wolansky statt Alfred Poell. Teresa Stich-Randall sang statt Elisabeth Grümmer. Aus Zürich telefonierte Herr Schneider Ernst August Steinhoff herbei, einen deutsch singenden Ottavio. (Zürich ist anscheinend die neue Tenorquelle unseres Generalsekretariates). Des kleinen Eidgenossen Gesicht drückte, als er die Bühne betrat, nichts aus, als schlotternde Angst. Er tat einem so leid, daß man bewußt weghörte, als ihm bei der ersten Arie die Stimme entglitt (das Material ist durchschnittlich). Die zweite Arie hatte man ihm gestrichen. Das anwesende Messepublikum spendete applausfreudig freundlichen Beifall, obwohl Ernst August Steinhoff anzunehmen schien, er sollte in Wien mit Haut und Haaren verspeist werden. Merkwürdig, daß weder Waldemar Kmentt noch Julius Patzak zur Verfügung gestanden sein sollten! Die beiden haben die Partie schließlich deutsch studiert. Zur Abwechslung hätte man Ivo Zidek den Ottavio tschechisch singen lassen können. In dieser Sprache hat er ihn nämlich schon kreiert. Das wäre eine originelle Abwechslung im obligaten Sprachenbabel gewesen.
BALLETTABEND am 17. März
LA TRAVIATA am 18. März
Die Aufführung leitete Glauco Curiel, der den guten Eindruck bestärkte, den er bei seiner letzten Interpretation dieses Werkes hinterlassen hatte. Sein Verdi klang nie aufdringlich oder monoton. Man spürte förmlich die Liebe des Dirigenten zu Verdis Werk. Die Begleitung der Sänger ist als elegant zu bezeichnen. So verschiedenartige Stellungnahmen gegen das Engagement von Italienern man auch hört, allein der Grund, daß sie nichts vom Hofrat-Stil wissen und sich immer ganz und voll einsetzen, macht sie für unser Haus wichtig. Dies gilt besonders für Giuseppe Zampieri und Rolando Panerai, die dankenswerter Weise auch alle Stimmprotzereien vermeiden und durch kultivierten stimmlichen Einsatz und Vortrag bestechen. Da Teresa Stich-Randall als Violetta darauf verzichtete, allzu oft ihre schrillen Schwelltöne zu produzieren, waren wir mit ihrer Traviata diesmal nicht allzu unzufrieden. Trotzdem müssen wir uns fragen, warum sie ihre Partien, gleichgültig ob Mimi, Violetta oder Liu u.a., dermaßen zerdehnt. Und warum war bis jetzt noch kein Dirigent Manns genug, sich von der Sängerin diese gräßlichen Tempi nicht aufzwingen zu lassen?
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 19. März
Dieser Aufführung war Berislav Klobucar ein umsichtiger Leiter. Ivo Zidek in der Titelrolle zeigte sich erfreulich verbessert. Er gehört anerkennenswerter weise zu jenen Sängern des Hauses, die an sich arbeiten. Edmond Hurshell hingegen zählt nicht dazu. Ausgezeichnet gefielen Wilma Lipp, Ira Malaniuk und Christa Ludwig. Rita Streich sang zum ersten Male die Olympia und hatte anscheinend keinen guten Tag. Zwar bewältigte sie die Partie korrekt, doch ließ ihre Stimme Durchschlagskraft und Glanz vermissen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 20. März
wurde von Berislav Klobucar geleitet. Sie stand im Zeichen der Wiederkehr Lisa Della Casas von der Met. „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, darüber war sich das Publikum gemeinsam mit Tamino, von Anton Dermota sehr heldisch gesungen, einig. Daß Lisa Della Casa ohne Schaden an ihrer Stimme genommen und ohne Konzessionen an den amerikanischen Kunstgeschmack erlernt zu haben, zurückkam, ist sehr erfreulich. Mit der g-Moll-Arie bewies sie, daß sie zu den bedeutendsten Mozartsängerinnen zählt. Trotz wieder gewonnener Stimmstärke dokumentierte Ludwig Weber, daß der Sarastro nie zu seinen besten Partien gehörte. Als Sprecher hinterließ Hermann Uhde mit durchdachter Diktion guten Eindruck. Ansonsten die schon oft rezensierten Leistungen der Damen Mimi Coertse und Anneliese Rothenberger, der Herren Erich Kunz und Peter Klein.
LA TRAVIATA am 21. März
In dieser Vorstellung übernahm für die einer Erkältung wegen absagende Hilde Güden Colette Lorand aus Frankfurt, hierorts als Einspringerin bereits zu hören gewesen, die Partie der Violetta. Sie zeigte Routine, eine operettenhaft timbrierte Stimme und ebensolche Auffassung. Immerhin konnte die Leistung als passable bezeichnet werde.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 22. März
Das Evchen von Lisa Della Casa konnte weit besser gefallen als Traute Richter. Gesanglich und darstellerisch war diese Sängerin, ebenso wie Ira Malaniuk ausgezeichnet. Neben ihnen verdient zunächst Anton Dermota als David erwähnt zu werden, gesanglich bestens disponiert, darstellerisch der Figur längst entwachsen. Gustav Neidlinger abermals: jeder Zoll kein Sachs. Franz Lechleitner als Stolzing eine Notlösung mit dementsprechender Leistung. Der Beckmesser Karl Dönchs abermals erst halb gebändigt, Duncan MacLeods Nachtwächter neuerlich eine Zumutung, Ludwig Weber schlecht disponiert. Am Pult kämpfte Joseph Keilberth mit dem Substitutenorchester und konnte dennoch einen ausgezeichneten dritten Akt zu Gehör bringen. Wenn man dreimal, verhältnismäßig knapp hintereinander, die Inszenierung genau betrachtet, bemerkt man schließlich, besonders im dritten Akt, mit großem Erstaunen, daß Wieland Wagner wie Herbert Graf von den gleichen Gedankengängen ausgegangen sein müssen – mit dem Unterschied, daß der eine hingekommen ist, wohin aber der andere? Es bedurfte zu Herbert Grafs mißlungener Regie zweifellos auch der Ergänzung durch Robert Kautsky, der eine Riesenbühne derart verbaute.
MADAMA BUTTERFLY am 23. März
Diese Aufführung war der Höhepunkt der Vorstellungen im Monat März. Vielleicht werden jetzt einige Wagnerverehrer das Blatt zur Seite legen. Es soll hier jedoch nicht eine bestimmte Kunstform der Musik und ihre Wiedergabe besprochen werden, sondern im allgemeinen das Einfühlungsvermögen und die Künstlerschaft der Großen unseres Opernalltages. Daß die kleine Frau Schmetterling Anspruch auf unser Mitgefühl hat, bewies die Darstellung durch Sena Jurinac im besonderen und die Aufführung im allgemeinen, durch Herbert von Karajan geleitet. Wie schon mehrmals gewürdigt, ist diese Einstudierung ein besonderer Glücksfall (notabene nach der diesmal vorgenommenen kleinen Regieretusche), da von Anfang an Mitropoulos besten Einfluß auf alle Mitwirkenden hatte und Karajan bei seiner Übernahme ein geschultes Ensemble mit hohem Niveau vorfand.
Giuseppe Zampieri und Rolando Panerai agieren und singen mit jener Selbstverständlichkeit, die dem Südländer durch angeborene Musikalität und Stimme zu Eigen ist. Peter Klein, der Charakterschauspieler des Hauses, stellt auch im italienischen Fach seine Charakterisierungsgabe unter Beweis, ob Mime oder Goro, der Ausdruck des Künstlers paßt sich immer den Gegebenheiten an.
Der Höhepunkt des Abends, der alles bisher Geschehene vergessen läßt, heißt Sena Jurinac. Vielleicht ist es auch der Natürlichkeit und großen Kultur dieser Künstlerin zuzuschreiben, daß man die Sprache vergißt und nur das Erlebnis eines tragischen Frauenschicksals aufnimmt. Wir wollen weder dem Andenken der unvergeßlichen Cebotari Abbruch tun, noch an die Leistungen einer Welitsch oder Martinis rühren. Sena Jurinac aber, die uns die Butterfly heute zum Erlebnis macht, ist in ihrer Art einmalig. Weder klein noch sonst irgend wie japanisch, ist sie nur eine Frau und das ist viel? Das ist für diese Tragödie alles. Jeder Künstler hat Partien, die förmlich für ihn geschrieben worden zu sein scheinen und in denen er sich schlafwandlerisch richtig bewegt. Wer hätte gedacht, daß diese Künstlerin innerhalb von drei Jahren eine solche stimmliche wie geistige Wandlung durchmacht? Sie, die in den Jahren des Wiederaufbaues als eine der Jüngsten dem Ensemble eingeordnet wurde, hatte wohl schon im Palestrina mit ihrem Ighino jene Reife erkennen lassen, die uns zu den größten Hoffnungen Anlaß gab, aber ihre eigentliche Domäne, so schien es, lag im Burschikosen. Quinquin und Cherubino waren ihre Rollen, und das Einfühlungsvermögen für die Werke Mozarts war mitbestimmend für den Stil, der sich in der Wiener Oper nach dem Krieg formte. Heute, nach jener Wandlung zum dramatischen Sopran, dem die gesamte italienische Opernliteratur offensteht, gehört Frau Jurinac mit ihrem von Verdi zu Richard Strauss und von Mozart bis Pfitzner reichenden Register zu den gefeiertesten Sängerinnen. Drei Jahre sind eine kurze Spanne in unserer schnellebigen Zeit, doch welche Veränderung können sich in diesem Zeitraum in der Ausdrucksweise eines Künstlers vollziehen? Wahrscheinlich gehört das zu den Wundern des Opernbetriebes, die uns so viele unvergeßliche Stunden bereiten. Frau Jurinac betritt die Szene mit einer technischen Sicherheit ohnegleichen, die das große Handikap des Sängers gegenüber dem Schauspieler vom ersten Ton an aufhebt und dem Zuhörer Gelegenheit gibt, sich nur mehr dem wunderbaren Geschehen hinzugeben, dem als Krönung eine wunderbar geführte Stimme alle Mittel der dramatischen Intensivierung verleiht. Auf einmal ist die Sängerin Jurinac vergessen und in ein kindlich glückliches Mädchen verwandelt, das sich vor unseren Augen zur leidgeprüften Frau entwickelt, die alle Qual und Grausamkeit eines unbarmherzigen Schicksals durchleben muß. Und auf einmal wird aus der kleinen Butterfly der große, um das Leid wissende Mensch, der alle anderen Akteure zu Randfiguren degradiert.
CARMEN am 24. März
Berislav Klobucar zeigte sich nicht als Herr der Lage. Beim Finale des zweiten Aktes ging es drunter und drüber. Man hatte das Gefühl, daß weder Orchester noch Chor, noch Solisten, noch der Dirigent sich mehr zurechtfinden. Der Chor war überhaupt wieder einmal lust- und kraftlos am Werke und diente einen Abend ab. Eugene Tobin stellte sich als Don José vor. Nach seinem Stuttgarter Erfolg hatten wir wesentlich mehr von ihm erwartet. Er kam über eine Durchschnittsleistung nicht hinaus. Sollte dies ein Parallelfall zu Hans Hopf sein, der sich seine Glanzabende auch ausschließlich für sein Stammhaus aufhebt? Außerdem löste Eugene Tobins Darstellung im vierten Akt einen ungewollten Heiterkeitserfolg aus. Er schlug sich mit mächtigen Fäusten so drohend gegen die Brust, daß es den Anschein hatte, als hätte die Orchestertrommel Konkurrenz bekommen! Noch enttäuschender war stimmlich Hermann Uhde als Escamillo. Man zitterte förmlich um sein Torerolied. Während er sich darstellerisch sehr gut aus der Affäre zog. ‚Keep smiling’ schien die Devise von Teresa Stich-Randalls Micaela zu sein. Uns ist bei soviel Schrillheit der Stimme das Lächeln nicht näher gekommen. Wer in die Oper gegangen war, um sich an glutvoller Musik und südländischem Temperament zu erwärmen, schlich ernüchtert und frierend nach Hause.
BALLETTABEND am 25. März
OTHELLO am 26. März
Unter der Leitung Herbert von Karajans sind die lyrischen Stellen des Werkes noch lyrischer und die dramatischen noch dramatischer geworden. Dadurch entstand eine äußerst expressive, farbige Wiedergabe dieser Verdi-Oper. Sena Jurinac lieh der Desdemona ihre wunderbar timbrierte Stimme und große Ausdruckskraft. Paul Schöffler gestaltete seinen großartigen Jago, diesmal stimmlich allerdings nicht auf der Höhe seines Könnens. Carlos Guichandut hinterließ als Othello einen zwiespältigen Eindruck. Im ersten Akt hatte er mit Heiserkeit zu kämpfen. Wo er sein berühmtes Rampensingen forcieren konnte, machte er Eindruck, ansonsten blieb er mittelmäßig. Giuseppe Zampieri ist mittlerweile zu einer Idealbesetzung des Cassio geworden.
DIE ZAUBERFLÖTE am 27. März
Die Leitung lag in den Händen Joseph Keilberths. Ohne die „leichte Hand“, die wir an Mozartdirigenten gewöhnt sind, bestach er durch schöne kraftvolle und konzentrierte Wiedergabe, unterstützt durch das ihm zur Verfügung stehende Ensemble. In dieser Vorstellung wurde die Pamina von Lisa Della Casa mit vollendeter Kunst interpretiert. Mimi Coertse meisterte als Königin der Nacht besonders die zweite Arie gekonnt und schön. Walter Berry war stimmlich und darstellerisch der Idealfall eines Papageno. In Anneliese Rothenbergers Papagena stand ihm eine entzückende Partnerin zur Verfügung. Ludwig Weber als Sarastro hatte stark zu kämpfen. Eberhard Wächter stand an diesem Abend als Sprecher auf der Bühne. Als Vertreter des Nachtreiches wirkten in gewohnter Sicherheit die Damen Gerda Scheyrer, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan.
ARIADNE AUF NAXOS am 28. März
Die Damenbesetzung bildete ein sogenanntes Ensemble. Manchmal kann man dieses abgedroschene und hauptsächlich zur unsachlichen Polemik verwendete Schlagwort nicht mehr hören. Aber Lisa Della Casa, Hilde Güden, Sena Jurinac, Anneliese Rothenberger, Anny Felbermayer und Hilde Rössel-Majdan leisteten im Einzelnen und in der Zusammenarbeit so Vorzügliches, daß wir nicht umhin können, es zu gebrauchen. Keine andere Bühne kann mit hauseigenen Kräften eine Ariadne so besetzen. Und der Zauberer muß erst geboren werden, dem es gelingen könnte, diese Besetzung das ganze Jahr an Ort und Stelle zu halten. Ausgenommen es gäbe wirklich einen solchen Zauberer. Was wäre dann? Wir hörten die Stimmen der Presse und des Publikums: Warum hört man nicht Irmgard Seefried, Christa Ludwig, wann singt Christl Goltz oder Leonie Rysanek die Ariadne, warum besetzt man die Zerbinetta nicht mit Anneliese Rothenberger oder Mimi Coertse (Das haben wir tatsächlich schon gelesen!) Unnötig sind also, um es wieder einmal festzustellen, die ständigen Vorwürfe gewisser Kreise wegen Vernachlässigung der Ensemblekunst. Mit den Herren sind wir nicht so gut dran, und sie waren diesmal auch das eindeutig schwächere Geschlecht. Josef Gostic imponiert seit Jahrzehnten durch sein Material und Karl Dönch stellte einen lakaienhaft beflissenen, unpersönlichen Musiklehrer auf die Bühne. Wenn er versucht, nicht zu übertreiben, ist er überhaupt nicht da. Das Komikerquartett zeigte sich in bester Spiellaune. Ariadne, Zerbinetta und Komponist brillierten also in ihren Glanzpartien mit schönen Stimmen, Charme und Anmut, Empfindung und kluger Gestaltung. Wenn wir Hilde Güden besonders hervorheben, so geschieht es deshalb, weil sie in dieser Rolle ein Phänomen ist. Eine ganz lyrische Sängerin, eine Violetta, Marguerite, Pamina, wird mit der Wahnsinnspartie der Zerbinetta fertig! Eine Lyrische mit einem ‚E’! Es ist kaum zu glauben. Karl Böhm, der ein schwungvolles Vorspiel dirigierte, verfiel im Laufe der eigentlichen Oper in schläfrige Tempi. Da das seit seiner Rückkehr aus Amerika schon mehrmals geschah, muß man annehmen, daß er übermüdet ist.
DIE ZAUBERFLÖTE am 29. März
Auch diese Vorstellung stand unter der musikalischen Leitung von Joseph Keilberth. Elisabeth Grümmer feierte als Pamina in dieser Rolle ihren Antrittsabend im Haus am Ring und erwies sich als Mozartsängerin par excellence. Höchste Pianokultur, feinstes Einfühlungsvermögen und beste Darstellung waren die Komponenten der großartigen Leistung. Mimi Coertse war die Königin der Nacht, Walter Berry der Papageno und Anneliese Rothenberger die Papagena. Ludwig Weber als Sarastro überraschte in dieser Vorstellung durch profunde Tiefe und wesentlich ausgeglichenere Leistung. Als Sprecher stand Hermann Uhde auf der Bühne.
MADAMA BUTTERFLY am 30. März
Über die grandiose Leistung Sena Jurinac wurde schon soviel gesagt und geschrieben, daß keine Superlative mehr übrig bleiben. Diese Butterfly wird in den Annalen des Hauses am Ring einen Ehrenplatz einnehmen. Ein sehr distinguierter Konsul war Eberhard Wächter, der seinen Premierenvorgänger übertraf. Giuseppe Zampieri war der gewohnt gute Pinkerton, trotz der umfangreichen Tosca-Proben. Berislav Klobucar musizierte mit Ambition und Begeisterung.
DON GIOVANNI am 31. März
Keine Begründung oder Entschuldigung gab es für den Dirigenten bei der makellosen Glanzbesetzung am 31. März, in der der Genuß des Hörers vom Dirigentenpult her sehr beeinträchtigt wurde. Karl Böhm neigte abermals sehr zum „Schleppen“, und sein Giovanni nahm tempomäßig (aber auch nur in dieser Hinsicht) fast Furtwänglersche Dimensionen an. Sollte das eine Konzession an die momentan von unserer Musikkritik herausgegebene Direktive sein, daß jedes schnelle Tempo „glatte Perfektion“ oder gar „Sportlichkeit“ wäre? (Wir sehen eine Periode der Trauermarschstimmung herannahen!) Eberhard Wächter sang die Titelpartie, dessen stimmliche Kraft in der Champagnerarie und in der Szene mit dem steinernen Gast aufhorchen ließ. Man beginnt an manche Baritonhelden zu denken, mit deren Gestaltung uns der Künstler überraschen könnte. Eberhard Wächter, der aus dem Stadium des großen Versprechens bereits in das der Erfüllung gekommen ist, hat noch viele große Aufgaben vor sich! Gleichfalls war Wilma Lipp als Zerlina zu hören und ließ keinen Wunsch offen, ebenso Erich Kunz als Leporello mit neuen Späßen, Ludwig Weber und Harald Pröglhöf. Elisabeth Grümmer konnte als Anna besonders im zweiten Akt, alle Vorzüge ihrer Stimmkultur zur Geltung bringen. Sie ist mit ihrer lyrischen Donna Anna geradezu der Gegenpol der Birgit Nilsson, die die dramatischste verkörpert. Lisa Della Casa war eine zärtliche und melancholische Elvira. Als Ersatz für Rudolf Schock sprang Waldemar Kmentt ein, der sich als guter Mozartsänger erwies, mit der Einschränkung, daß er durch fünf Auftritte innerhalb dreier Tage etwas ermüdet schien, und die Partie schon längst hätte italienisch studieren können.