DER APRIL 1958
3. Jahrgang, Heft 4
HERBERT VON KARAJAN ZUM 50. GEBURTSTAG AM 5. April 1958
Er mußte jahrelang warten, bis er in seiner Heimat jene Positionen bekam, die ihm auf Grund seines Formats schon seit geraumer Zeit gebührt hätten. Dafür kann er sich jetzt kaum der Ehrungen erwehren, die anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages von allen Seiten auf ihn niederprasseln.
Das Publikum beobachtet diese Ereignisse mit Humor, es hat ja erkannt, was es an ihm hat. Wenn nicht schon früher, dann im Jahre 1946, als er auf dem Podium des Musikvereines stand, um die Wiener Philharmoniker zu dirigieren.
Diejenigen, die sich wie in Salzburg bemühten, ihn wieder hinauszuekeln, respektive ihn gar nicht zum Arbeiten kommen zu lassen, wie seinerzeit die Wiener Staatsoper, haben dem österreichischen Musikleben einen schlechten Dienst erwiesen, wie in den vergangenen Jahren deutlich zu bemerken war. Diejenigen, die ihn festhielten, haben davon die allergrößten Vorteile künstlerischer Natur gehabt, wie die Wiener Symphoniker und der Singverein der Gesellschaft der Musikfreude in Wien beweisen.
Fünf Minuten vor Zwölf ist man dann darauf gekommen, daß er als Letzter die Rettung für Wien und Salzburg darstellt. Er ist der einzige Künstler, der Autorität, Format und Persönlichkeit für die Ausfüllung solcher schwieriger und nicht gerade angenehmer Posten, wie er sie derzeit bekleidet, mitbringt.
Er kam nach Hause - gestützt auf Berlin und London, auf Mailand und die Schallplattenfirma Columbia -, frei und unabhängig, sein eigener Herr und König und niemandem Rechenschaft schuldig. Er hat die innere Ruhe gehabt, zu warten, bis ihm die großen Aufgaben, die das österreichische Musikleben zu bieten hat, auf dem Präsentierteller serviert wurden.
Er kam an die Oper und alles zitterte vor ihm. Er kam ans Pult der Wiener Philharmoniker und deren Nervosität war grenzenlos. Mittlerweile sind fast zwei Jahre vergangen und die Komplexe haben sich gelegt. Er hat das Nicolai-Konzert dirigiert, das nach alter Tradition derjenige Künstler zu leiten hat, den die Wiener Philharmoniker für den Besten und Würdigsten halten. Er wird in Brüssel mit unserem Meisterorchester ein Johann-Strauß-Konzert geben, das zwar das erste, aber sicher, nicht das letzte sein wird. Er ist also in überraschend kurzer Zeit zu einem richtigen Chef geworden. Leider fehlt ihm ein würdiges Gegenstück auf dem administrativen Sektor in der Staatsoper.
Das Publikum, das ihm immer die Treue gehalten hat, freut sich, ihn in einem so vielfältigen Aufgabenkreis zu begegnen. Man wünscht nur das eine: Er möge sich’s nicht verdrießen lassen. Das Publikum will ihn in Wien haben, und das österreichische Musikleben braucht ihn.
Gefahr laufend, ihm durch die dauernde Erwähnung seines fünfzigsten Geburtstages auf die Nerven zu fallen, wünscht ihm sein Publikum in diesem Sinne allerherzlichst alles Gute für die nächsten fünfzig Jahre
TRISTAN UND ISOLDE am 1. April
Dieses Werk eröffnete den April in der Oper. Rudolf Moralt war der sichere musikalische Leiter. Leider verlor er – und mit ihm das Orchester – im dritten Akt merklich an Interesse und Konzentration. Birgit Nilsson war die Isolde des Abends, wunderbar in ihren Ausbrüchen im ersten Akt und im Liebestod, nur etwas kühl im Duett, ließ sie stimmlich keinen Wunsch offen. Ludwig Suthaus schien als Tristan nicht gut disponiert und schon zur Hälfte des dritten Aktes mit seinen Kräften zu Ende. Ludwig Weber gehört zu den wenigen, die das Gefühl der Trauer und der enttäuschenden Freundschaft in Markes Monolog fühlbar machen können. Da seine arge Stimmkrise wieder überwunden ist, sang er einen stets ausdrucksvollen Marke. Georgine Milinkovic hatte keinen guten Tag, Hermann Uhde war ein Melot mit Persönlichkeit. Edmond Hurshell, der zum ersten Mal den Kurwenal gab, konnte der Partie stimmlich bis auf die ‚He-ha’-Rufe des dritten Aktes gerecht werden. Leider schien er sich über Probleme des Gestaltens keine Gedanken gemacht zu haben und trat völlig ahnungslos an eine sehr schwierig zu spielende Partie heran. Im ersten Akt legte er ein teils herablassendes, teils hochfahrendes Benehmen an den Tag, wobei er durch eine weit ausholende, wegwerfende Handbewegung bei Isoldes „drum such er meine Huld“ (in der Partitur steht „trotzige Gebärde“) besonders auffiel. Beim Aufgehen des Vorhanges zum dritten Akt stand er mit dem Fuß in Tristans Bett. So ist Kurwenals treue Wacht nicht aufzufassen!
ARIADNE AUF NAXOS am 2. April
Der Dirigent des Abends war Karl Böhm, der im Vorspiel und in den ersten Teilen der Oper seinen Höhepunkt hatte, wobei die heiteren Intermezzi etwas vernachlässigt wurden. Lisa Della Casa war wieder eine lyrische, vornehme, schön singende Ariadne, Sena Jurinac der ausdrucksvolle Komponist, Josef Gostic der stimmgewaltige Bacchus und Karl Dönch der Musiklehrer. Ilse Hollweg, aus dem Theater an der Wien her noch bekannt, gastierte erstmals im großen Haus und rutschte von „springlebendig“ manchmal ins „Kesse“ ab, was nicht unserem Geschmack entspricht. Obwohl sie stimmlich stellenweise zu kämpfen hatte, fiel sie infolge totalen Einsatzes nicht aus dem Rahmen. Das Nymphentrio (Anneliese Rothenberger, Anny Felbermayer und Dagmar Hermann) schien durch das völlige Auslassen des Mezzo etwas irritiert und das Quartett Erich Kunz, August Jaresch, Peter Klein und Oskar Czerwenka machte sich wie immer um gute Laune verdient.
TOSCA am 3. April, Neuinszenierung
Aus Gala-Abenden macht sich der Opernfreund wenig, solange der Glanz der Vorstellung nur vom Parkettpublikum ausstrahlt, statt im künstlerischen Ereignis selbst seine Ursache zu haben. Das Opernfest 1955 war ein Musterbeispiel dafür. Seither klingen uns die Bezeichnungen „glanzvolle Premiere“, „Sensationsvorstellung“ und dergleichen mehr, noch abgeschmackter als vorher in den Ohren. Daß dieser Premierenabend seine Größe nicht dem großen Publikum und nicht allein dem Debüt einer Diva verdankt, sondern durch die künstlerische Geltung, durch eine Ensembleleistung im besten Sinne des Wortes, durch eine faszinierende musikalische Leitung und durch den Einzug der „großen Oper“ (und dies im Positiven) in unserem Haus zur Sensation wurde, das machte auch für uns diese Premiere zum Fest.
Das Wort „Genug mit Puccini“ wurde auf der Galerie geprägt. Und gerade auf der Galerie überrascht man einander nun gegenseitig immer häufiger bei Puccini-Abenden, so bei den Butterfly-Reprisen, nun wird es auch bei der Tosca so sein. Das Verdienst ist vor allem in der musikalischen Konzeption Herbert von Karajans zu suchen. Wie unter seiner Leitung die Schwülstigkeit, die an Kitsch gemahnende Süße, reißerischer Effekt und diese gewisse Operettenseligkeit einer Gestaltung Platz machen, die dem Werk liebevoll alle Details beläßt, sie von innen heraus beleuchtet, daß sie wie ein transparent gewordener Bau plötzlich vor uns stehen, dessen Fundament der geistige Gehalt und nicht die Gefühlsduselei darstellt, das alles ist von einer solch mitreißenden Meisterschaft, daß man davon nicht genug hören kann. Wir können nun mit Recht den Opernfreunden in aller Welt sagen: „Ihr müßt nicht nur die vollendete Aufführung von Falstaff und Butterfly, Figaro und Così fan tutte, von Rosenkavalier und Siegfried bei uns suchen, auch die vollendete Tosca findet ihr jetzt bei uns!“
Auch der Begriff „il grande spettacolo“ wurde von uns immer – und meistens berechtigt – mit gewissem Lächeln abgetan. Für diese Neuinszenierung verliert er seine Gültigkeit. Nicola Benois (Bühnenbild) und Margarethe Wallmann (Regie) haben ausgezeichnet zusammengearbeitet, haben der großen Oper Wirkung und Prunk belassen, sie gleichzeitig jedoch von der Geschmacklosigkeit gereinigt. Dabei gelang es ihnen in meisterhafter Weise, etwas sehr Entscheidendes einzufangen und alle drei Akte hindurch bestehen zu lassen: Atmosphäre, die den Zauber Italiens atmet und dies ohne den gefürchteten Reklamekitsch.
Der monumentale Szenenaufbau des Domes im ersten Akt ist von großartiger optischer Wirksamkeit, der Einzug der Prozession ein ausgesprochen glücklicher Regieeinfall. Nicht nur für das Auge, er ist aus der Musik her abgeleitet, denn dadurch wird jener Gegensatz herausgearbeitet, der im dissonanten Aufeinanderprallen des Te Deums mit der zynischen, menschlichen Machtbesessenheit Scarpias liegt. Der Prunkraum des Polizeichefs, bestimmt vom Gepräge italienischer Pracht, gibt der Handlung einen idealen Rahmen. Das Kerzenlicht, das sich auf Skulpturen und Goldstuck widerspiegelt, erscheint glaubwürdiger, und der Mondlichteinfall durch das hohe Fenster bringt wieder unaufdringlich, aber überzeugend, ein Stück vom italienischen Himmel in das Geschehen. Dieser Himmel ist es auch, der das dritte Bild beherrscht. Die Kulisse der Engelsburg, Schauplatz menschlicher Tragödie, mündet gleichsam in die Schönheit und Unvergänglichkeit des Zeitlosen.
Der besondere Wert der Regie liegt einerseits in der widerspruchslosen Einfügung in diese Bilder, andererseits in der engen Verbundenheit mit der Musik. Darüber hinaus sind fachliche Höhepunkte erreicht worden, wie zum Beispiel beim Auftritt Scarpias oder im Zusammenspiel mit seinen Sbirren. Die Regie ist äußerst stark verbunden mit der musikalischen Interpretation: für den Kenner, der Karajans Falstaff genau in Erinnerung behalten hat, ist es klar, daß manche Anregungen dazu vom Dirigentenpult aus erfolgt sein dürfte. Die Kostüme bezeugen Geschmack, Wirksamkeit und Stilgefühl.
Der Abend stand im Zeichen einer Diva. Daß er wesentlich mehr war als nur Staffage um einen Star, macht uns die Aufführung wertvoller. Es wäre für alle, die sich vor lauter Besorgnis um unser Ensemble die Finger wundschreiben, ein Grund zu tiefem Aufatmen gewesen. Die Schreier nach dem Nachwuchs hätten von Rechts wegen jubeln müssen, denn wie dieser junge Italiener Giuseppe Zampieri, einspringend für einen Giuseppe di Stefano – was allein schon eine Tat ist – seinen Cavaradossi hinlegte, das war ein Grund zur Begeisterung. Die Anerkennung des Publikums blieb nicht aus, und die der Presse ist heute bereits ohnedies eine zweifelhafte Angelegenheit geworden. Neben einer Tebaldi seinen Part ohne jedes Forcieren, ohne Übertreibung kultiviert und – man möchte fast sagen – „edel“ zu bewältigen, da beweist ein junger Tenor seine große für die Zukunft vielversprechende Entwicklung. Das Wiener Publikum – das wirkliche, nicht das in Zeitungen schreibende und das ausschließlich Gala-Abende besuchende – ist glücklich über diese vom Chef gemachte Entdeckung.
Es war schwer vorstellbar, wie ein Sänger im Vergleich zu Hotters Scarpia würde bestehen können. Tito Gobbi hat bestanden. Sein Scarpia ist ganz anders angelegt, aber nicht weniger eindrucksvoll. Ein Faun, mit satyrischem Lächeln, maßlos, überheblich, ohne Hemmungen, in keiner Geste Theaterbösewicht, immer überzeugend, stimmlich ohne Makel technisch vollendet.
Die Tosca von Renata Tebaldi ist gesanglich eine Erfüllung. Das Erfassen und Gestalten dieser Partie ist stimmlich so konzentriert, daß man unwillkürlich den Eindruck hat, als sei die ganze Kraft, die ganze Bedeutung von der musikalischen Wiedergabe aufgesogen worden, so daß die Darstellung nichts mehr davon behielt. Die Stimme hat Persönlichkeit und Erlebnis so sehr in sich absorbiert, daß für die schauspielerische Leistung nur mehr leere Gesten übrig blieben. Gesanglich ist Renata Tebaldi die Tosca schlechthin, darstellerisch ist sie nur eine unter vielen anderen. Allein mit dieser Partie hat sich die Künstlerin im Gedächtnis des Wiener Opernpublikums bereits unvergessen gemacht. Ein Grund für uns, über den gewissen „Vorhangzirkus“ mit Blumen, Tränen der Rührung, Kußhändchen und Kniefällen diskret hinwegzusehen.
Nicht zuletzt sei ein Wort der Anerkennung für die Episoden-Darsteller gesprochen: Karl Dönch, Karl Weber, Erich Majkut und Ljubomir Pantscheff gaben ein beredtes Beispiel für Ensemblekunst.
Während im Opernhaus der Jubel kein Ende nehmen wollte, legte dieser und jener Herr der Musikkritik – bezeichnenderweise sind es immer dieselben – bereits die Stirn in Falten und memorierte im Geist Bonmots, wie er mit „gärend Drachengift“ den Becher der reinen Freude trüben und die Behauptung, daß die Wiener die Italiener ablehne, aufrecht erhalten könnte. Vielleicht sollte man einen Neurologen fragen, ob es keine Therapie für den „Anti-Karajan-Komplex“ gibt, nachdem er in den Reihen einiger „löbl-licher Schneiber-linge“ bereits gehörstörend wirkt, was bedenklich erscheint! Erstens für jene Herren selbst (mit der Zeit werden sie sich ein Gallenleiden zuziehen) und zweitens im Hinblick auf das bereits ziemlich ramponierte Ansehen der Wiener Musikkritik, deren Geltung und Tradition es nicht entspricht, durch unwürdige Vertreter der Unsachlichkeit, Unwahrheit und damit der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden.
KEINE VORSTELLUNG am 4. April, Karfreitag
FIDELIO am 5. April
wäre nur eine durchschnittliche Repertoireaufführung gewesen, hätte nicht Birgit Nilsson durch ihre großartige gesangliche Leistung die Aufführung zum Ereignis gemacht. Auch darstellerisch wächst sie nun mehr und mehr in die Rolle hinein. Teresa Stich-Randall, die für Wilma Lipp einsprang, war eine recht gute Marzelline, besonders die Arie gelang diesmal schön. Den Florestan sang Ludwig Suthaus mit großem, oft stumpf klingendem Heldentenor – die Freiheiten im Vortrag, die er sich erlaubt, überschreiten die Grenzen des Zuträglichen erheblich. Im Spiel blieb er durchwegs im Konventionellen stecken, ganz im Gegensatz zu Hermann Uhde, dessen Pizarro ein großes schauspielerisches Erlebnis ist. Leider steht seine stimmliche Leistung nicht auf derselben Höhe. Ludwig Weber fiel nach der gut gesungenen Goldarie im Verlauf des Abends stark ab und Rudolf Moralt, der an diesem Abend mit dem gut disponierten Orchester eine äußerst zufrieden stellende Leistung bot (besonders gut die Leonoren-Ouvertüre), hatte manchmal alle Hände voll zu tun, um ihn wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. In den kleineren Partien wirkten sicher und verläßlich Peter Klein und Alfred Poell.
TOSCA am 6. April
wurde von Herbert von Karajan in der Premierenbesetzung dirigiert.
TOSCA am 12., 19. und 22. April
Die Aufführungen wurden von Glauco Curiel dirigiert. Während des Monats April weilte Renata Tebaldi in Wien. Mit ihr ist nicht ein Star nach Wien gekommen, um seine Abende abzusingen, hier begab sich etwas anderes, Unerwartetes, Überraschendes: Die Befreiung einer großen Oper aus den Fesseln stumpfsinnigen Repertoiregeleiers, die Verwandlung eines abgedroschenen Spielplanfüllers in ein großes theatralisches Ereignis, zu dessen hinreißender Wirkung verschiedene Faktoren beitrugen: eine völlig geglückte Regie, schöne, stimmungsvolle Bilder, eine ideale musikalische Einstudierung durch Karajan selbst, der auch den beiden ersten Aufführungen durch seine souveräne Gestaltungskraft festlichen Glanz verlieh. Dann die Übernahme durch Glauco Curiel, der nicht nur das Übernommene zu hüten verstand, sondern durch interessante Züge einer eigenen Auffassung aufhorchen ließ, die besonders dem zweiten Akt höchste dramatische Spannung gaben. Wenn man die Tosca des 3. April mit der schäbigen Tosca von früher vergleicht, nimmt es nicht Wunder, daß der ständige Opernbesucher etwas gegen Puccini hatte. Der durch schlechte Interpretation anerzogene Snobismus wich bei der Neuinszenierung bald großem Interesse.
Natürlich waren die Abende nicht ganz gleich. Am beständigsten erwies sich Tito Gobbi, der nach seiner großartigen Leistung in der Premiere am 3. April auch in den Aufführungen am 6., 12. und bei seiner Abschiedsvorstellung am 19. mit seiner geschmeidigen, tragfähigen, der feinsten Modulationen fähigen Stimme das Publikum begeisterte und durch seine durchdachte schauspielerische Gestaltung stets aufs Neue fesselte. Er ist ein durchaus glaubhafter Scarpia, ein Emporkömmling, der seine Brutalität hinter der angeborenen Eleganz des Südländers verbirgt, von grausamem Zynismus und zuweilen plötzlich hervorbrechender unbarmherziger Härte. Er ist nicht eine Verkörperung des absolut Dämonisch-Bösen, wie ihn Hotter darstellt, sondern ein böser Mensch.
Renata Tebaldi war zweifellos in der ersten und in der letzten Aufführung am besten. In den dazwischen liegenden Aufführungen traten zeitweise Schärfen in den höheren Lagen auf. Auch verliert die Sängerin manchmal, wenn sie stimmlich nicht bestens disponiert und dadurch gezwungen ist, sich mit technischen Problemen zu beschäftigen, die sonst imponierende Konzentration. Den größten Eindruck hinterlassen immer das wunderbare Timbre, die großartige Tiefe und die technische Meisterschaft, mit der sie (z.B. im Gebet) nach einem strahlenden Forte-Ton ein Pianissimo in derselben Klangfarbe und in der gleich Rundung anschließt.
Giuseppe Zampieri, dem der Cavaradossi natürlich etwas zu dramatisch ist, war am meisten von seiner Abendform abhängig, gewann aber immer die Sympathien der Hörer durch sein stilvolles, kultiviertes Singen, wobei er manchmal durch Kraftausbrüche überraschte. Sein sensationelles „Vittoria“ am 19. April (gesungen, nicht gebrüllt) soll nicht unerwähnt bleiben. Es ist überhaupt merkwürdig, daß italienische Spitzensänger keine Untugenden haben, die manche einheimischen Sänger als Italianità servieren. Hier wird nicht geschluchzt, nicht gestöhnt, nicht geschrien, hier wird gesungen. Belcanto! Für manche klugen, jungen Nachwuchssänger wird es eine Lektion gewesen sein.
So z.B. für Walter Berry, dem in der letzten Tebaldi-Aufführung am 22. April die große Chance zuteil wurde, nach einem großen Sänger wie Gobbi, die schwierige Partie des Scarpia zu übernehmen. Berry errang einen starken persönlichen Erfolg. Natürlich fehlte ihm noch die Ausstrahlung einer großen Persönlichkeit, was sich besonders im ersten Akt bemerkbar machte (allerdings ist das bei seiner Jugend noch kein Manko). In stimmlicher Hinsicht war er beim Kampf mit den Orchesterfluten im Te Deums siegreich. Man war durch die Kraft seiner Stimme überwältigt. Im zweiten Akt hatte er seine Stärken in den lyrischen Kantilenen. Weniger begeisterte seine allzu kräftig gemalte Maske. Ein Sänger mit dem Mienenspiel Berrys kann auf diese Samiel-Augen verzichten. Auch einige allzu groß angelegten Gesten müssen und werden sich beim mehrmaligen Spielen der Partie noch abschleifen. Wir gratulieren Walter Berry zu seinem ersten Scarpia mit der kleinen Einschränkung, er möge nicht den Lobeshymnen einiger Kritiker zuviel Gehör schenken. Große Rollen muß man sich langsam erarbeiten. Wir wollen ihn auch noch in fünfundzwanzig Jahren hören.
LA TRAVIATA am 7. April
Teresa Stich-Randall lauschte jedem ihrer Töne nach und dem temperamentvollen Glauco Curiel, der eine ausgezeichnete Vorstellung dirigierte, wie sie selten zu hören ist, nützte sein heftiges Gestikulieren, mit dem er aufs Tempo drücken wollte, nichts. Dabei waren die Herren ausgezeichnet. Giuseppe Zampieri bringt alle Voraussetzungen für die lyrischen Kantilenen des Alfred mit. Eberhard Wächter ist wesentlich dramatischer im Vortrag als Rolando Panerai es war, aber, bei einem Vergleich mit dem Italiener ist nicht zu überhören, daß er, trotz seines guten Italienisch, einen typisch deutschen Germont singt. Wahrscheinlich fehlt unseren Sängern für die Traviata (gerade für diese Oper!) eine gewisse Naivität, das Singen aus dem Impuls heraus. Zu viel Nachdenken; sonst Voraussetzung für Erfassen und Gestalten einer Partie, ist möglicherweise hier eher ein Nachteil. Für diese Oper muß man geboren sein.
DER ROSENKAVALIER am 8. April
zeigte eine innerlich gewachsene Lisa Della Casa als Marschallin. Man kann es dem Rofrano nicht verzeihen, sie „der ersten besten Jungen“ wegen aufgegeben zu haben. Auch stimmlich wird sie der Partie immer mehr gerecht, wenn sie auch noch nicht ganz die Marschallin ist, wie sie als Sophie war. Um der Vorstellung allerdings einheitliches Niveau zu geben, hätte sie auch die Sophie singen müssen, denn Teresa Stich-Randall fiel aus sattsam bekannten Gründen hoffnungslos gegen sie ab. Christa Ludwigs Oktavian war bis auf einige etwas forcierte Höhen stimmlich untadelig, in der Darstellung ist sie der Idealfall eines Quinquin schlechthin, wenn sie sich, was ihr diesmal fast völlig gelang, vor schädlichen Übertreibungen als Mariandl hütet. Oskar Czerwenka bürgt für eine herzliche und nicht verzerrte Darstellung des Ochs auf Lerchenau. Stimmlich war er in recht guter Form, allerdings ist er, vor allem im zweiten Akt, mit der Melodei streckenweise ein wenig frei, aber doch nicht so sehr, daß es ein arger Fehler wäre. Die hervorragende Charakterisierung des Intrigantenpaares durch Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein, sowie der solide Faninal ‚vom Grund’ Karl Kamanns sind ebenso erfreuliche konstante Positiva wie die Besetzung des Haushofmeisters und der Duenna bei Faninals regelmäßig unmöglich ist. Mit passablen Leistungen warteten die Herren Harald Pröglhöf, Adolf Vogel und Fritz Sperlbauer auf. Eugene Tobin ist entschieden nicht der geeignete Mann für die Sängerarie. Die musikalische Leitung lag in Karl Böhms stilkundigen Händen. Er brachte das Werk mit Delikatesse und Akkuratesse zum Klingen, wenn sich’s um kammermusikalische Feinheiten handelte. Daß er das Terzett im dritten Akt ziemlich breit nimmt, ist bekannt. Bedenklich ist nur, daß die Bevorzugung viel zu langsamer Tempi immer mehr um sich greift, am auffälligsten in der Rosenüberreichung. Bei aller Liebe für’s Detail und bei allem Verständnis für das Ausschwingenlassen der herrlichen Klänge kommt er damit gefährlich in die Nähe des umstrittenen Begriffs ‚himmlische Länge’. Nur zu leicht fällt dann der Himmel weg, und Längen dürfen im Rosenkavalier nicht eingebaut werden. Auf derselben Linie liegt die freundlich-konventionelle Dämpfung der Stellen, an denen der Wiener Walzer auftrumpfen sollte, nicht gerade als harte Kontrastwirkung, aber doch als Gegensatz zu den fein gezimmerten lyrischen Teilen. So ist das Gleichgewicht etwas gestört.
OTHELLO am 9. April
In diese Aufführung ging man hauptsächlich wegen Renata Tebaldi, da man erwartete, ihr werde die eher statische, typische Gesangspartie der Desdemona noch wesentlich besser liegen als Tosca, die große Primadonna. Und hier erwies sich, daß sie als Desdemona in Wien eine wesentlich stärkere Konkurrenz hat denn als Tosca. Durch die Tebaldi fanden wir bestätigt, daß sowohl die Rysanek als auch die Jurinac als Desdemona ganz groß sind. Natürlich hatte auch Renata Tebaldis Gesang Schönheit und Gefühl, besonders im vierten Akt.
Das Ereignis des Abends jedoch war Tito Gobbi als Jago, eine abgerundete profilierte Gestaltung mit bei Shakespeare-Rollen so wichtigen humoristischen Glanzlichtern, und der Wucht und Eindringlichkeit
des finsteren Glaubensbekenntnisses an das Böse. Aber das haben auch Schöffler und Hotter ihrer Jago-Gestaltung geben können; was sie ihr nicht geben konnten, ist die stimmliche Meisterschaft, die glanzvolle
Eleganz des italienischen Gesangsstils. Unglaublich schön gesungen war die Traumerzählung: ein echtes, schwebendes Piano wurde souverän verstärkt zu einem edlen Mezzavoce und wieder zurückgezogen zu einem verhauchenden ppp. Im Trinklied breitete sich Gobbis Stimme über Chor und Orchester, im Schwurduett war er der erste, der dem stimmgewaltigen Carlo Guichandut die Waage hielt. Unvergeßlich wird uns dieser Abend durch Gobbis Jago bleiben, und wir werden in späteren Jahren ebenso davon schwärmen wie heute alte Opernbesucher von Slezak und Piccaver.
Carlo Guichandut hatte einen ausgezeichneten Abend und sein gewaltiges Organ zeigte besonders im zweiten und dritten Akt metallischen Glanz. Othello ist diejenige Staatsopernaufführung, die von der Premiere an stets besser und besser geworden ist. Kaum glaublich, daß das eine stehende Repertoire-Aufführung sein soll! Man spürt in dieser Aufführung besonders die starke Persönlichkeit, die starke Ausstrahlung und die starke Hand unseres Opernchefs Herbert von Karajan, der auch diesen Othello leitete.
TANNHÄUSER am 10. April
Wenn dieses Werk auf dem Programm steht, betreten wir, durch unsere bösen Erfahrungen mit diesem Werk erschreckt, das Haus mit einem unangenehmen Gefühl. Auch diesmal hatte uns unsere Ahnung nicht getrogen. Die Titelpartie war Set Svanholms Nachfolger (!!!) Conny Söderström anvertraut. Armes Stockholm, das diesen Sänger öfters hören muß. Er zählt mit Hans Beirer, Karl Liebl, Wilhelm Ernest Hasso Eschert usw. für uns zu den dunkelsten Kapiteln der traurigen Geschichte von den gastierenden Heldentenören an der Wiener Oper. Selten haben wir einen Tenor mit so dünner Stimme, so geringem Stimmumfang und so schlechter Beherrschung einer Partie gehört. Seine darstellerische Unbeholfenheit wollen wir noch generöser Weise der Nervosität zuschreiben, obwohl er den Tannhäuser schon einmal in der Volksoper sang und wissen müßte, daß das geduldige Publikum miesen Gästen höflich applaudiert, aber froh ist, sie nie mehr zu Gesicht zu bekommen. Seine Textimprovisationen waren nicht zu entschuldigen. Von den übrigen Teilnehmern des Sängerkrieges überraschte Hans Braun durch einen stimmstarken, feierlichen Wolfram. Julius Patzak übernahm wieder einmal die Führung der Ensembles. Josef Greindl sang einen würdigen Landgrafen. Die stimmlich vollendete Elisabeth der Aufführung war Birgit Nilsson. Gertrude Grob-Prandl sang die Venus recht gut. Rudolf Moralt schien von Anfang an mit wenig Lust und Liebe ans Werk gegangen zu sein und so nahmen die diversen Unfälle nicht Wunder. Es wundert einen überhaupt nichts mehr bei diesem Tannhäuser. Man müßte die ganze Inszenierung verheizen. Jede konzertante Aufführung vor schwarzen Vorhängen hätte mehr Stimmung als dieser Alptraum eines Bühnenverbildners.
LA TRAVIATA am 11. April
In beiden Aufführungen (7. und 11. April) war die gleiche Besetzung zu hören, bis auf das Alternieren von Ljuba Welitsch und Erika Feichtinger als Flora. Auch der Gesamteindruck war ähnlich.
TOSCA am 12. April
wurde gemeinsam mit dem 6. April besprochen
DER REVISOR am 12. April im Redoutensaal
brachte die Premierenbesetzung, nur statt Rudolf Kempe stand nun Michael Gielen am Pult. Es ist nichts mehr da von Rudolf Kempes sorgfältiger Einstudierung, in der das Orchester mit wunderbarer Klarheit gleichberechtigter Mitwirkender dieser Komödie, Ensemblemitglied im besten Sinn des Wortes war. Michael Gielen degradiert es zur Geräuschkulisse, und da die Akustik des Redoutensaales nicht gut ist, erzeugt diese Geräuschkulisse Lärm verschiedener Stärkegrade. Die Sänger haben es schwer. Trotz des intensiven Einsatzes aller wird die gewünschte Wirkung nicht erreicht, da die Textverständlichkeit auf ein Minimum beschränkt bleibt. Der dicke Orchesterklang deckt alles zu. Schade um das wirklich nette Werk!
DON GIOVANNI am 13. April
Nicht nur Abergläubische wurden die stille Sorge nicht los, es könnte wieder jemand abzusagen gezwungen sein: diesmal aber ist das unerreichbar Scheinende gelungen. Wir hörten wirklich einen italienischen Giovanni ohne fremdsprachige Beimengungen. Es war, von der Bühne her, eine klanglich so wohl abgerundete Aufführung, daß man sich scheut, einzelne hervorzugehen, denn sie waren gleichwertig. Welche dramatische Sopranistin, außer Birgit Nilsson, singt wohl noch so eine Donna Anna? Wo hört man noch Lisa Della Casa, Wilma Lipp, Eberhard Wächter, Anton Dermota und Erich Kunz in ihren Glanzpartien so vortrefflich zusammenwirken? Wer gibt dem Unheimlich-Unfaßbaren, das vom Standbild des Komturs ausgeht, noch so erschütternden Ausdruck wie Ludwig Weber? Harald Pröglhöf schließlich fügte sich, sein Bestes gebend, vortrefflich ein. Doch leider jede Medaille hat auch eine Kehrseite! Auf dieser stand der Mozartpapst Karl Böhm. Bei aller aufmerksamen, klanglich ausgewogenen Begleitung, bei allem Detailherausarbeiten sollte er doch nicht mit beinahe eiserner Andauer immer im gleichen Ausmaße, aber doch immer spürbar, dehnen! Die Folge ist ein der Spannung abträglicher trockener Unterton, der sich bedauerlicherweise von einer Aufführung zur anderen mehr bemerkbar macht. Bitte um einen Schuß mehr Schwung!
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 14. April
In dieser Vorstellung waren die vier Baritonpartien nach langer Zeit wieder mit Walter Berry besetzt. Wie bei der Premiere konnte der junge Sänger auch diesmal durch schönen Gesang und intelligente Gestaltung erfreuen. Eine wahre Wohltat, wenn man das zweifelhafte Vergnügen genoß, Edmond Hurshell en suite zu hören. Waldemar Kmentt, begann als Hoffmann schwach, verbesserte sich aber erfreulich im Laufe des Abends zusehender. Wilma Lipp und Ira Malaniuk wiederholten ihre bekannt guten und schon öfter gewürdigten Leistungen, während Mimi Coertse, die sich entschuldigen ließ, diesmal erfolgreiche Bemühungen anstellte, wenigstens richtig zu singen. In Nebenrollen gefielen vor allem Christa Ludwig, Peter Klein und ? Weber. Der Kontakt zwischen Bühne und Orchester ließ zu wünschen übrig, was Berislav Klobucar veranlaßte, zu erhöhter Lautstärke Zuflucht zu nehmen. Dieser Umstand war der Aufführung nicht eben zuträglich.
BALLETTABEND am 15. April
CARMEN am 17. April
Diese Vorstellung hat jetzt eine derart frostige Stimmung, daß sie eher in Island denn im sonnigen Andalusien zu spielen scheint. Heinrich Hollreiser schlug den Takt dazu in üblicher Weise und Ira Malaniuk, die zum ersten Mal in Wien die Carmen sang (sie war in dieser Rolle wenige Tage zuvor im Fernsehen gewesen) schien derart nervös, daß ihr die Stimme in den Hals rutschte und ihr Stimmvolumen im ersten Akt fast halbiert war. Nachdem sie noch Josés Säbel in den Orchesterraum geschleudert hatte, zeigte sie sich später beim Kartenlied verbessert. Man müßte sie aber schon noch einmal hören, um ein Urteil abgeben zu können. Sie beherrschte die Rolle nämlich nicht, sondern kämpfte eher mit ihr. Hermann Uhde deklamierte den Escamillo mehr, als er ihn sang und nach dem Torerolied rührte sich keine Hand. Eugene Tobin hatte mit den lyrischen Stellen des José im ersten und zweiten Akt große Schwierigkeiten, überraschte jedoch im dritten Akt durch kraftvolle Spitzentöne, die wieder unsere Hoffnung auf einen guten Tenor entfachten. Die beste Durchschnittsleistung bot Teresa Stich-Randall, was ihr auch verdientermaßen den meisten Applaus eintrug. Es ist höchste Zeit, daß mit der Carmen wieder einmal etwas geschieht!
DER ROSENKAVALIER am 18. April
zeigte ein gegenüber dem 8. April völlig verändertes Gesicht. Rudolf Moralt betonte, wie immer, die kraftvoll-wienerische Note. Er konnte zwar einige kleinere Unfälle nicht vermeiden, zeigte aber einen gerade bei der mittelmäßigen unausgeglichenen Besetzung besonders erfreulichen Schwung. Über die Marschallin von Hilde Zadek ist leider nichts Neues zu berichten: Mittelmäßigkeit in Reinkultur. Lilian Benningsen, die als Oktavian gastierte, betonte im Spiel sehr vorteilhaft die männliche Note, zeigte sich aber den Gefahren, die im dritten Akt hinsichtlich schädlicher Übertreibungen lauern, nicht ganz gewachsen. Gesanglich war ihre Leistung ansprechend, solange sie piano sang. Die Forte-Höhen waren weniger schön, am wenigsten gefiel aber entschieden das falsche Singen in einer der Modulationen am Beginn des Terzetts. Wilma Lipp forcierte einige Höhen (Rosenüberreichung) nicht ganz vorteilhaft, bot aber im übrigen die gewohnt sichere Leistung. Die große, freudige Überraschung war der Ochs Ludwig Webers: zunächst einmal durch die Tatsache, daß er ihn endlich wieder einmal sang, weiters durch die gute stimmliche Verfassung, in der er sich befand und schließlich dadurch, wie er wie eh und je in ‚seinen’ Stellen dem Spielgeschehen seinen Stempel aufdrückte, wie er mit ungewohnten Partner zusammenspielte und jede Nuance zu nutzen wußte. In blendender Verfassung war Alfred Poell als Faninal, weniger blendend Karl Terkal, der Sänger, der über das Heruntersingen nicht hinauskommt (diesmal schlug er, als besondere Feinheit, seine Notenmappe schon etliche Takte, bevor er überhaupt wissen konnte, daß der Krach vom Ochs ihn unterbrechen würde, in höchster Empörung zu: voilà ein hellseherischer Tenor!). Das Intrigantenpaar war mit Dagmar Hermann und Laszlo Szemere besetzt. Sie zogen sich gut aus der Affäre. Das „gehobene Hauspersonal“ bei Faninal war abermals eine Katastrophe.
TOSCA am 19. April
wurde gemeinsam mit dem 6. April besprochen
LA BOHEME am 20. April
Ein neuer Rudolf stellte sich in dieser Vorstellung vor: Josef Traxel, ein sympathischer Sänger mit einer angenehm timbrierten Stimme, deren Mittellage sehr breit ist, deren sichere Höhe aber nicht dieselbe schöne Färbung wie seine Mittelage besitzt. Sie klingt sehr hell. Technisch ist die Stimme gut durchgebildet. Die Unart, exponierte Höhen hinaufzuschleifen, kann sicher noch beseitigt werden. Natürliches und unkompliziertes Spiel rundeten den guten Gesamteindruck ab. Seine Partnerin war Teresa Stich-Randall, die besser als sonst gefallen konnte. Was ein gewissenhafter und ernst arbeitender Künstler aus dem Marcel machen kann, bewies Eberhard Wächter, der die Partie in jeder Hinsicht voll auszuschöpfen weiß. Wilma Lipp gefiel als Musette durch ihre lebendige Darstellung. Stimmlich war die Sängerin bestens disponiert. Ihre Mittellage wird immer voller und verspricht eine sehr gute Mimi. Duncan MacLeod und Andre Koréh waren die schwachen Punkte der von Heinrich Hollreiser diesmal ziemlich korrekt geleiteten Aufführung; ersterer aus Mangel an Timbre, letzterer aus Mangel an Stimme.
DIE ZAUBERFLÖTE am 21. April
Mit dieser Inszenierung hat die Staatsoper, wie diese Vorstellung bewies, einen Haupttreffer gemacht. Trotz aller Umbesetzungen und häufigen Spielens ist sie frisch, lebendig und dezent geblieben. Sie zeigt ein recht gehobenes Repertoire-Niveau, was auch für die musikalische Leitung Berislav Klobucars zu gelten hat. Rudolf Christ ist uns als guter, vielseitig verwendbarer und geschmackvoller Sänger bekannt. Man hat ihm eine Verwendung im seriösen Fach seit den Tagen des Theaters an der Wien versprochen, und er hat sich redlich verdient, daß diese Versprechungen einmal wahr gemacht wurden. Es hätte dazu nicht der unfeinen und massiven Lobeshymnen aus nicht berufenem Munde bedurft, die einen sehr unguten Eindruck machen. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an den ausgezeichneten Otto Wiener, der bei seinem Sachs-Gastspiel an der Wiener Oper derart mit faustdick aufgetragenem Lob übergossen wurde, daß die damaligen Maßgebenden leider annahmen, er habe die Kritiken bezahlt!! Er ist solcherart wahrscheinlich um ein Engagement gekommen, obwohl man ihn an unserer Oper sehr dringend gebraucht hätte und weiterhin brauchen wird (man hat dies übrigens, des „Mathis“ wegen, schon eingesehen!). Man kann also nicht umhin, im Falle Rudolf Christ die expreß verfaßten Panegyriken zu Nutz und Frommen des betroffenen Sängers auf ein normales Maß zu reduzieren. Belcanto-Tenor ist er natürlich keiner, dazu hat er zuwenig Höhe. (Schon beim Tamino ging es nicht ohne einiges Stemmen und etwas Schwindeln bei der Flötenarie ab), aber ansonsten wirkte er stimmlich und darstellerisch sicher und gediegen. Teresa Stich-Randall, der Unermüdlichen, liegt die lyrische Pamina gut. Da kommt ihre klangvolle Mittellage zur Geltung und auch die Pianotöne saßen. Mimi Coertse hatte in ihren sonst gut gesungenen Arien einige merkwürdige, schüchterne Piepstöne. Erich Kunz, der muntere, nette Papageno, Emmy Loose als ebensolche Papagena (ihm ganz gleich!), Frederick Guthrie und Hermann Uhde in ihren bekannten, klug angelegten und ausgefüllten Partien als Sarastro und als Sprecher, boten Beachtliches. Vom umbesetzten Damentrio konnten nur die tiefen Stimmen (Elisabeth Höngen und Georgine Milinkovic) gefallen, das Versagen Hilde Zadeks kann nur durch allerschwerste Indisposition erklärt werden.
TOSCA am 22. April
wurde gemeinsam mit dem 6. April besprochen
DIE ZAUBERFLÖTE am 23. April
hatte wieder erfreuliches Niveau, was sich besonders auf die orchestrale Wiedergabe unter Berislav Klobucar bezieht. Wir hatten das Werk in letzter Zeit auf zwei deutschen Bühnen (Köln und München) gehört und sind zur Erkenntnis gelangt, daß unsere Zauberflöte sowohl in musikalischer, als auch in stilistischer Hinsicht (selbst auf die Gefahr hin, gleich als Lokalpatrioten verschrien zu werden), den deutschen Bühnen weit überlegen ist. Zugegeben, mit gesanglichen Glanzleistungen wurden wir an diesem Abend, ausgenommen Walter Berry, der mit Abstand der beste Vogelfänger weit und breit ist, gerade nicht verwöhnt. Doch hatten wir alle übrigen Mitwirkenden schon besser gehört: Rudolf Schock (Tamino), Ludwig Weber (Sarastro), Wilma Lipp (Pamina) und Mimi Coertse (Königin der Nacht). Künstler sind auch nur Menschen, einmal geht’s besser und einmal weniger gut.
DON GIOVANNI am 24. April
Auch diese Vorstellung unter Karl Böhms Leitung zeigte eine allzu beschauliche Grundstimmung. Dazu kamen einige Unsicherheiten der Choristen und, besonders unangenehm auffallend, der Bühnenmusiker im ersten Akt. Bei den Damen ging nur von Sena Jurinac bezwingende Wirkung in Stimme und Erscheinung aus. Diese Frau erlebt und erleidet, was sie darstellt, und ihre große Gesangskunst in dabei nur Mittel, nie Selbstzweck. Hilde Zadek trug meist ihre larmoyante Einheits-Leidmiene zur Schau, wirklich litten zur die Zuhörer. Es ist wahrlich nicht nötig, die Gestaltung, schon gar nicht die gesangliche Leistung anderer Donna Annas zum Vergleich heranzuziehen. Der unmittelbare akustische Eindruck läßt die Unmöglichkeit dieser Besetzung offenbar werden. Außerdem erlauben wir uns den Hinweis, daß man auch der Donna Anna die zweite Arie eher streichen sollte, als daß man sie zu einem quälenden Hindernislauf ausarten läßt. Emmy Loose als Zerlina krampfhaft um Heiterkeit bemüht, ersparte uns die Arie im zweiten Akt. Eberhard Wächter und Erich Kunz sind dermaßen aufeinander eingespielt, daß sie – bei der gewohnten stimmlichen Beherrschung – die Pointen einander zuwerfen, wie Bälle, und alles wie am Schnürchen klappt. Dabei bleibt aber jener frische, lebendige Theatergeist, der Augenblickseinfällen Raum gibt, jederzeit erhalten. Daß Rudolf Schock der einzige ist, der aus dem Don Ottavio mehr zu machen vermag, als einen blassen Schönsänger, ist bekannt und wurde bestätigt. Er zeigte auch, wie Gesangskultur über – eine zweifellos vorhandene – Müdigkeit der überbeanspruchten Stimme hinweghilft. Die schwierigsten und längsten Koloraturphrasen singt er mit einer – nur ihm selber nicht – den Atem beraubenden Selbstverständlichkeit in einem Zug durch. Frederick Guthrie setzte seine edle Stimme, der nur für den Schluß noch etwas Wucht fehlt, mit Noblesse ein. Harald Pröglhöf schien sich seiner Partnerin anpassen zu wollen. Was den allgemeinen optischen Eindruck anlangt, wird er vollends zum Alp, wenn man die Unvorsichtigkeit begeht, vom Stehparterre aus die Vorgänge genau zu verfolgen. Man entdeckt dabei immer wieder neue Varianten von Beleuchtungsmöglichkeiten, nicht zuletzt auch vor dem Zwischenvorhang. Nach einiger Zeit jedoch hat man vor lauter Stufen nur mehr ein Flimmern vor den Augen.
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 25. April
Seit Fidelio nicht mehr so abgedroschen wird und die Zauberflöte vom Lückenbüßer zu einer Aufführung mit Niveau avancierte, gibt es Hoffmann immer, wenn irgendwelche Verlegenheiten auftreten. Diese Inszenierung verdient eigentlich auch nichts Besseres. Hoffmann ist ein Musterbeispiel dafür, wie schief etwas gehen kann, wenn sich die Tyrannei eines einzelnen (in diesem Falle die des Regisseurs) über alle Vernunft und Logik hinwegsetzt. Dazu kam noch die (milde ausgedrückt!) Bequemlichkeit bei den Proben, die dazu führte, daß die Oper überhaupt nie ganz richtig saß, obwohl bestimmt einiges herauszuholen wäre. Dieser Umstand tritt durch das Wandern der Oper von Kapellmeister zu Kapellmeister immer mehr hervor. Beide Male saß der rasche Michael Gielen am Pult, der bei aller Schnelligkeit doch plump und unelegant blieb. An beiden Abenden hörte man mit Freude Anton Dermotas edles Organ, an beiden Abenden sangen Mimi Coertse, mit ihren bekannten Stärken und Schwächen, Georgine Milinkovic und Dagmar Hermann, deren Niveau leider weit unter „Befriedigend bis tragbar“ blieb, sowie Peter Klein, der Unermüdliche. Teresa Stich-Randall und Wilma Lipp, die ihre gewohnten und oft geschilderten Antonias sangen, alternierten. Am 25. April war Walter Berry zu hören, der mit seiner jungen, gesunden und kraftvollen Stimme die vier Baritonpartien bestens ausfüllte. Am 30. April wurde Edmond Hurshell angesetzt, der den Lindorf und Coppelius bewältigte, aber nach Dr. Mirakels Verschwinden hinter Antonias Großvaterstuhl am besten gleich in der Versenkung geblieben wäre. Die Aufführung muß unbedingt einer sorgfältigen musikalischen Korrektur unterzogen werden. Auch szenische Retuschen könnten einiges retten.
LA TRAVIATA am 26. April
Die Herren Eberhard Wächter und Giuseppe Zampieri mit ihren klangvollen, lyrischen Stimmen sowie der einsatzbereite stil- und schwungvolle Dirigent Glauco Curiel verhalfen dieser Aufführung zu befriedigendem Standard. Die routinierte Teresa Stich-Randall sang den ersten Akt und da besonders die Arie nach ihren eigenen Intentionen und somit in ziemlich freiem Stil. Vielleicht könnte man es doch einmal mit Erika Köth versuchen, die eine ausgezeichnete Lucia ist. Die Partie glaubhaft zu spielen, wird ihr wohl auch nicht gelingen, aber wer, außer bei der Callas, kann das schon. Man könnte sich wenigstens an den Gesang halten.
DER ROSENKAVALIER am 27. April
Allen Gerüchten zum Trotz, die die Zerstörung der Wiener Oper prophezeien, gab es eine hervorragende Aufführung in bestem Wiener Stil. Rudolf Moralt sollte immer soviel Freude, Schwund und Konzentration aufbringen, wie bei seiner Lieblingsoper. Er war an diesem Abend ganz ausgezeichnet. Hilde Konetzni war wieder einmal als Marschallin zu hören und faszinierte durch die Kraft der Persönlichkeit, die Stärke des Gefühls und die Mächtigkeit der unvergeßlichen Stimme. Sena Jurinac, erster und herrlichster aller Oktavians, war eine ideale Vertreterin der Titelrolle. Wilma Lipp sang eine sehr liebe Sophie, nur forcierte sie manchmal ganz unnötig. Ludwig Weber, gut bei Stimme und in bester Laune, sang einen Ochs, den man genauso wie Karl Kamanns Faninal als „vollsaftig“ bezeichnen kann.
BALLETTABEND am 28. April
MADAMA BUTTERFLY am 29. April
Im Mittelpunkt dieser Aufführung stand wieder einmal Sena Jurinac. Ihre Leistung wurde schon oft von uns gewürdigt – wir können sie in der Rolle der Cho-Cho-San nur immer wieder bewundern. Giuseppe Zampieri als Pinkerton hatte einen besonders guten Abend. Seine schön timbrierte Stimme wird zusehends stärker, wobei er niemals in tenorale Unarten verfällt. Eberhard Wächter agierte auf der Bühne so vornehm und edel, daß wir das Gefühl hatten, Sharpless müsse Oxfords Hohe Schule durchlaufen haben – amerikanisch wirkte er gar nicht. Auch in stimmlicher Hinsicht dominierte der Herr Konsul mit vorbildlicher Diktion und nobler Phrasierung. Berislav Klobucar wußte musikalisch Steigerungen aufzubauen, Details gut herauszuarbeiten. Er erwies sich somit als guter Dirigent, der sich diese Oper erarbeitet hat.
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 30. April
wurde mit der Aufführung am 25. April besprochen.
Abschließend möchten wir feststellen, daß wir bei Aufführungen, die Qualität haben, Stil-, Sprach, Ensemble- und sonstige Probleme gänzlich unwichtig sind. Und weiters möchten wir feststellen, daß wir nun schon mehrere Aufführungen haben, die dem Namen „Wiener Staatsoper“ alle Ehre machen, auch dann, wenn der Opernchef Karajan außer Landes ist. Aber sei es das Beispiel des stets einsatzbereiten Chefs selbst oder das Beispiel der Italiener, die keine Lässigkeit kennen, wenn sie auf der Bühne stehen, sei es das Beispiel der jungen, eifrigen, ernst arbeitenden Ensemblemitglieder, die immer alles geben; jedenfalls haben wir es in letzter Zeit kaum mehr erlebt, daß Vorstellungen in dem noch vor Jahresfrist so gefürchteten „Hofratsstil“, also mit schläfriger Langeweise abgespult, stattgefunden haben. Sänger sind keine Schallplatten und sie sind von der Kraft ihrer Nerven und von ihrer Gesundheit ebenso abhängig, wie von ihrer künstlerischen Leistungsfähigkeit. Aber das Bemühen des künstlerischen Personals ist spürbar.
Leider machte sich in der Umgebung der TOSCA-Neuinszenierung immer deutlicher das gespannte Verhältnis zwischen der Wiener Staatsoper, dem Publikum und der Wiener Musikkritik bemerkbar.
0H, DIESE KRITIKER!
Als man in der Pause des ersten Aktes der Tosca-Premiere die Kritiker der Boulevardpresse, Heribert Schneiber und Karl Löbl, im Marmorsaal brüderlich vereint sah, da ahnte das Stammpublikum bereits, was die beiden Herren im Schilde führen. Wir waren am nächsten Tage gar nicht überrascht, die üblichen Karajan-Verrisse dieser beiden Kultur-Kritiker zu lesen, die nach der Kritik über die IX. Beethoven im Nicolai-Konzert von ihren Chefredakteuren schon längst in die Sportabteilung verbannt gehörten. Ob dort ihre Fähigkeiten besser zur Geltung kämen, bleibe dahingestellt. Wahrscheinlich würden sie in diesem Ressort genau so wenig taugen, wie auf der Kulturseite.
Wir hätten den Wunsch, diese beiden Besserwisser – ernst nimmt sie außer ihrer Cliquen sowieso kein Mensch mehr in Wien – endlich einmal nach Italien zu verfrachten, damit sie den italienischen Opernstill an Ort und Stelle begreifen lernen. Es dürfte den Herausgebern jener Zeitungen auf diesen Betrag (bei solchen Millionenverlusten) auch nicht mehr ankommen. Im Gegenteil, man würde den Lesern eine große Freude bereiten, nicht mehr ‘ibe’ und ‘K.L.’ unter unsachlichen und borniert geschriebenen Artikeln gezeichnet zu sehen, die die Unwissenheit über italienische Oper erschreckend dokumentieren . Wo haben denn diese Herren ihr Wissen über Italianità her? Herr Schneiber war schon in seiner Heimatstadt Graz bei Publikum und Künstlern verhaßt und machte sich durch seine Swarowsky-Hymnen dort gänzlich lächerlich. Herr Löbl stand mit uns auf der Galerie (offenbar nicht lange genug) und versucht jetzt, mit seinen Rezensionen Politik zu betreiben. Bei ihm nehmen wir noch an, daß er hören kann, wenn er will. Doch seine Beurteilungen sind in letzter Zeit derart gefärbt, daß man eine Beeinflussung nicht von der Hand weisen kann. Ist Ihnen schon aufgefallen, daß Madeira, Zadek, Schock (den er als einen der Nachfolger Giglis bezeichnete!) bei ihm gar nicht schlecht sein können? Ist Ihnen schon aufgefallen, daß neuerlich Swarowsky, Mimi Coertse und Rita Streich bei nur allen Möglichkeiten auf seiner Kulturseite aufscheinen? Ist Ihnen aufgefallen, daß Herr Christ plötzlich als italienischer Belcantist angepriesen wird? (Auch wir hörten Christ als Herzog und zogen es aus Lokalpatriotismus vor, über seine sogenannte „italienische“ Leistung zu schweigen.) Erinnern Sie sich noch, was Herr Löbl über den ‘Falstaff’ schrieb? Aber das Wiener Opernpublikum hat auch gute Ohren (zumindest sind sie nie verstopft!) und reagierte mit Begeisterung, trotz vernichtender Kritik Herrn Löbls. Es hat diesen Kritiker schon längst durchschaut.
Hätte Michael Gielen mit Hilde Zadek, Rudolf Christ und Marko Rothmüller die Tosca an unserem Opernhaus herausgebracht, dann hätten Sie nicht in großen Lettern „Konzert für drei Sänger und Symphonieorchester“, sondern „Erregende Tosca im großen italienischen Stil“ gelesen.
Wie wäre es, wenn man Herrn Löbl auf ein Jahr beurlauben würde um ihn „italienischen Opernstil“ studieren zu lassen? Wir würden ihn jedenfalls nicht vermissen.
DIE STROHHALME DES HERRN …
Dem unobjektivsten ‘Kritiker’ Wiens herzlichst zugeeignet.
Die Wiener Kritiker unserer Tage und jene, die es gerne sein möchten, unterscheiden sich leider nur wenig von berüchtigten Vorbildern vergangener Jahre und Jahrhunderte, denen es seinerzeit sogar gelungen ist“ heute noch beliebten und durchaus aktuellen Komponisten das Leben sauer zu machen. Den nachschaffenden Künstlern ging es nicht besser. Der feine Unterschied liegt darin, daß selbst das Negative und Böswillige in den seinerzeitigen Kritiken nicht ohne einen gewissen genialen Zug war.
Unsere Kritiker haben und werden nie loben können, selbst dann nicht, wenn außer ein paar nicht erwähnenswerten, läppischen Kleinigkeiten in einer Aufführung nichts zu wünschen übrig bleibt. In diesem Falle ist es in der Branche der Kritiker gebräuchlich, sich an sogenannte Strohhalme zu klammern.
Ein Strohhalm, den der oben erwähnte Herr … häufig zu fassen bekommt, ist die Gagenhöhe einzelner Künstler bzw. die Höhe der Eintrittspreise zu Vorstellungen, über die er nichts anderes zu sagen weiß oder sagen will.
Zunächst sei festgestellt, daß - außer Herrn … – selbst fast niemanden die Höhe der Gagen brennend interessiert, daß ferner niemand bei der Beurteilung einer Leistung sich durch die Summe, die dieser Künstler dafür bekommt, beeinflussen läßt und daß kaum jemand dauernd Vergleiche anstellt, ob der oder jener Künstler „sein Geld wert sei“ oder ob die aus unerklärlichen Gründen von der Wiener Kritik (und nur von ihr!) abgelehnten „Import-Stars“ zu viel bezahlt bekämen, gemessen an den Gagen einheimischer Künstler.
Die Gagenfrage ist eine kommerzielle Angelegenheit. Es gibt internationale Baumwollnotierungen, warum sollte ein Sänger also seinen internationalen Preis für uns unterbieten? Ganz abgesehen davon, daß schon mancher große Star uns einen sehr hohen „Rabatt“ eingeräumt und trotzdem gern an der Wiener Oper gesungen hat. Hingegen bekommen unsere Sänger im Ausland fast immer mehr Gage als hier, was aber nicht der alleinige Grund sein muß, uns immer wieder zu verlassen, wie die Zeitungen uns belehren..
Es gibt seit den Tagen von Jacopo Peri keinen großen Sänger, der ständig an ein Haus gebunden bleibt. Das ist aber kein Grund zum Jammern, denn wir können uns gut vorstellen, daß es einem Künstler großen Auftrieb gibt und ihn mit Stolz erfüllt, nicht nur ein lokales „Sternchen“ zu sein, sondern in aller Welt gleich große Anerkennung zu finden. Es ist auch unser Wunsch und erhöht unsere Freude, wenn wir unsere einheimischen Künstler auch anderswo anerkannt wissen. Auch wir wollen andere Künstler kennen lernen. Wie wäre das aber möglich, wenn jeder Sänger ein Leben bzw. eine Karriere lang in seinem Heimatort oder Umgebung kleben bliebe, seine Leistung an nichts und niemandem messen könnte und ohne Anregung und Freude jahraus jahrein interessante und viel mehr uninteressante Partien wie ein Taglöhner „erledigen“ müßte? Nichts gegen andere Berufe, aber ein Künstler kann doch nicht mit dem Horizont eines Straßenkehrers das Auslangen finden. Hätten - um Beispiele zu nennen - die Herren Schöffler und Hotter nur in Wien zu singen, so wäre das für uns wohl sehr, sehr erfreulich, doch bei der großen Auswahl zwischen BOHEME und HOFFMANN wären sie wohl kaum das geworden, was sie heute sind, bzw. die Abstumpfung würde ihre Leistung bestimmt beeinträchtigen. Unsere Herren Kritiker befinden sich in der bedauernswerten Lage, sich mit seit eh und je gegebenen Tatsachen nicht abfinden zu können, ja mehr noch, sie sträuben sich gegen vernünftige Zustände und Notwendigkeiten in einer Weise, die darauf schließen läßt, daß sie sich wohl selbst nicht mehr ernst nehmen.
Findet nun unsere Operndirektion, daß wir diesen oder jenen Sänger brauchen und hält sie die verlangte Gage für angemessen und tragbar, dann engagiert sie ihn bzw. lädt ihn zu einem oder mehreren Gastspielen ein. Bei den Mißgriffen, die hier aus bekannten tristen (administrativen) Gründen an der Tagesordnung waren, schwieg die Presse sich aus. Wird aber nun ein weltberühmter Star oder ein für uns notwendiger guter oder sehr guter Sänger engagiert, dann fangen die Mühlen zu mahlen an, wobei die Qualität des „Gemahlenen“ erschütternd schlecht ist.
Einmal rückte wohl die Höhe einer Gage für kurze Zeit in den Mittelpunkt des Interesses, als das zweite Gastspiel von Maria Callas nicht zustande kam, weil die Wiener Operndirektion die geforderte Gage zu hoch fand. Wir haben Frau Callas gehört. Wir haben es überlebt, daß das zweite Gastspiel abgesagt wurde. Die Gründe waren einzusehen. Wir werden schon wieder einmal Gelegenheit haben, die Künstlerin zu hören – Schluß der Debatte. Nicht so bei den Herren Kritikern. Das gab fette Schlagzeilen und nicht nur einmal! Noch lange war die Rede von „Skandaldiva“ und „zu hoher Gage“, von Vergleichen mit den Beträgen, die u.a. der Chef pro Konzert bekommt, ja sogar von Vergleichen mit den Gagen einheimischer Künstler, wobei- die Kritiker immer wieder vergessen, daß zu den sogenannten „einheimischen Künstlern“ auch die Namen wie Hellwig, Meyer-Welfing (beliebig fortzusetzen) zählen. Mit einem Wort, alles zwei Seiten hat.
Trotz des Abschlusses der Debatte und längst erfolgter Beruhigung der normalen Gemüter stellen wir für Andersgeartete noch fest: wollen wir einen Künstler hören, müssen wir zahlen, was er verlangt. Scheint es zu hoch, wollen oder können wir nicht zahlen, dann müssen wir es bleiben lassen. Das gilt auch für die Höhe der Eintrittspreise, die kürzlich Herrn … so sehr am Herzen lagen (zweiter Strohhalm der TOSCA-Kritik“, ebenso unnütz und schwach wie der erste).
Herrn … zur Beruhigung sei hier festgehalten, daß nicht ein Wort der Entrüstung oder des Meckerns über die erhöhten Preise zu hören war. Nicht bei der TOSCA und auch nicht anläßlich früherer Vorstellungen. Überdies liegen die Wiener „besonderen“ Preise noch weit unter dem internationalen Preisniveau. Wer die TOSCA hören wollte, kam um Karten (und siehe da, sie wurden sogar zu wenig!), wer sie nicht hören wollte, kam sowieso nicht, und diejenigen, denen die Karten zu teuer waren, die muß Herr … uns erst zeigen. Es gibt nämlich Karten verschiedener Preiskategorien. Warum sollten die Karten auch zu teuer sein? Für minderwertige Gangsterfilme bezahlen selbst einkommenslose Jugendliche horrende, in keinem Verhältnis zur Qualität des Gebotenen stehende Preise; für das gleiche Geld bekommt man mehr als eine Stehplatzkarte und sogar einen Sitzplatz bei erhöhten Preisen, was Herrn … vielleicht deshalb unbekannt ist, weil er seine Karten (Mehrzahl) gratis bekommt. Wir begreifen also nicht, was ihn dazu veranlaßt haben mag, sich plötzlich mit einer an ihm nie gekannten Ultraobjektivität der armen, in Nacht und Kälte wartenden Vollpreiszahler anzunehmen, um so die ganze Frage krampfhaft in ein soziales Problem umzuwandeln, das es nie war und nie sein wird. Es ist viel eher eine Frage des individuellen Geschmacks, wofür man sein Geld ausgeben will. Hausverstand nicht voraussetzen. Schade!!!
Herrn … scheint selbst das Unmögliche als Strohhalm willkommen zu sein. Niemand hat ihn ersucht, solche Themen in – besser gesagt, statt – einer Kritik zu behandeln. Aber auch das ist Geschmacksache, nur sollten allzu schlechtem Geschmack doch Grenzen gesetzt werden, zumal diese kindischen Argumente und Notizchen gedruckt werden. Wenn man nichts Besseres zu schreiben weiß, raten wir erneut zu einem Berufswechsel. Das ist bei Gott nicht angenehm, wenn man nichts Bestimmtes gelernt hat, doch macht es wendig und vielseitig. Es geht nicht an, daß man Kritiken auf die Leute losläßt, die nichts Wesentliches enthalten, nur Verdrehungen, Entstellungen und himmelschreiende Absurditäten – und daß man statt sachlicher, so weit wie möglich objektiver Meinung und Betrachtung nur Geschmacklosigkeiten am laufenden Bande zum besten gibt.
Wir wiederholen, daß die Höhe der Gagen uninteressant ist. Auch im kaufmännischen Leben ist es nicht Brauch, den kleinen und kleinsten Angestellten die Höhe der Einnahmen und des Firmenkapitals per Rundschreiben bekannt zu geben. Der „kleine Mann“ (und dies ist absolut im positiven Sinn gemeint) stellt sich unter Beträgen mit mehr als drei Nullen zwangsläufig viel Geld vor. Ähnlich - aber nur ähnlich - liegt die Sache beim Thema Gagenhöhe und Höhe der Eintrittspreise. Der „kleine Mann“ ist in diesem Falle nicht der kleine den Vollpreis zahlende Sitz- oder Stehplatzbesucher, sondern der Nichtsbesucher. Liest er nun, was ein ihm völlig unbekannter Sänger pro Abend bekommt, legt er diese Summe natürlich um auf sein Gehalt. Den gleichen Leser stören die märchenhafte Beträge, die Romy Schneider pro Film bekommt, wahrscheinlich gar nicht. Und solchen Lesern bzw. Laien gibt Herr … Ziffern preis, die ihnen nur unnützes Kopfzerbrechen bereiten. Wozu? Wenn er für niemanden anderen seine Kritiken schreibt, dann ist es wahrlich schade um das Papier.
Wenn man schon für Zahlen schwärmt, dann soll man auch seine eigenen Daten nicht verheimlichen. Auch uns sind Ziffern geläufig, die Herrn … den Angstschweiß auf die Stirn treiben könnten. Wir kennen nämlich die Höhe seiner Gage, nur haben wir bis jetzt darauf verzichtet, Vergleiche über die Rentabilität anzustellen, im übrigen sprechen gewisse Defizite Bände!). Wir kennen auch den Wert seiner Freikarten, und auch in dieser Hinsicht steht eine Beurteilung noch aus, ob es nicht hinausgeworfenes Geld ist, wenn die Schönheit einer Aufführung an dem Besitzer dieser Gratiskarten ganz und gar spurlos vorbeigeht. Wir wissen ferner ganz genau, seit wann Herr … schon Opernbesucher ist (kein Wunder, es ist nicht allzu lange her, als er rein zufällig vorbeikam, um einmal zu sehen – nicht zu hören – was sich im Theater an der Wien tut. Wir wissen auch, was er alles gesehen und gehört hat und vor allem, was er alles nicht gesehen und gehört hat. Letztere Aufzählung könnte nur in einer doppelt starken Sondernummer wiedergegeben werden.
Was also veranlaßt Herrn …, den Mund so voll zu nehmen, voll mit beileibe nicht schönen und gescheiten und schon gar nicht mit richtigen Dingen?
Kein Werk, keine Wiedergabe und keine Leistung eines Künstlers kann so schlecht sein, daß der Kritiker das Recht hätte, so nebenbei als lästige Pflicht, eine Kritik gewissermaßen hinzuwerfen, indem er Unsachliches, Banales und Unmögliches lässig aneinander reiht. Nicht ungestraft verkauft man seine Leser für dumm.
Wir würden uns freuen, eines Tages Kritiken im eigentlichen Sinn des Wortes lesen zu können, obwohl es allmählich schwer wird, diesen eigentlichen Sinn den jetzigen „Kritikern“ ins Gedächtnis zurückzurufen.