DER MAI 1958
3. Jahrgang, Heft 6
In diesem Monat war der Spielplan der Staatsoper durch kluge Disposition gekennzeichnet. Die Zeit der Österreichwoche bei der Weltausstellung in Brüssel und der damit verbundenen Abwesenheit der Wiener Philharmoniker und der Besten unseres Ensembles, eine Zeit also, wo das Haus am Ring „Hinterland“ bedeutete, während die künstlerischen Leistungen nach Brüssel verlagert waren, wurde zum Großteil geschickt überbrückt, und in der zweiten Hälfte des Monats erfreute sodann ein künstlerisch hochwertiges Programm, getragen von Höchstleistungen.
Wir dürfen auf dieses Monats stolz sein. Innerhalb von einer Monatshälfte eine große Premiere, drei großartige Spitzenvorstellungen und ein Repertoire, dessen Niveau zum weitaus größten Teil derzeit wohl an keiner Bühne überboten werden kann, ist ein Grund zur Freude. Zu dieser „Zerstörung der Wiener Oper“ sagen wir voll und ganz ja.
FIDELIO am 1. Mai
Wohl merkten wir, ohne erst einen Blick in unser Orchester werfen zu müssen, schon bei den ersten Takten der Ouvertüre, daß unsere Wiener Philharmoniker abwesend waren. Allerdings zeigte Rudolf Moralt diesmal auch keine Ambitionen, dem Ersatzorchester seinen Willen aufzuzwingen, sondern begnügte sich, die Aufführung ohne allzu unliebsame Zwischenfälle ‚herunterzuspulen!’ Dagegen gaben die Solisten ihr Bestes, und vor allem Christl Goltz war es zu danken, daß man, trotz musikalischer Schwächen vom Orchester her, befriedigt nach Hause ging. Sie bot eine vollendete Leistung, bewältigte an diesem Abend ihre Aufgabe souverän und intonationsrein. Ihr Partner war, wie bei den Salzburger Festspielen, der vergangenen Saison, Giuseppe Zampieri. Er sang die Florestan-Arie vorzüglich, löste durch das breite Strömen seines Organs Erstaunen aus und verpaßte dann bei „Oh namenlose Freude“ seinen Einsatz. Darstellerisch konnte er mit seiner Partnerin nicht Schritthalten (hier fehlt ihm naturgemäß noch die Reife). Für eine Überraschung im angenehmen Sinn sorgte Josef Metternich als Pizarro, der bestätigte, was wir in München bereits feststellten, daß er seine Stimmittel wieder voll in der Hand hat. Allerdings litt auch diesmal die Gesangslinie unter dem allzu vehementen Stimmeinsatz. Ludwig Weber erfreute mit einer schön gesungenen Goldarie, während er im Finale nicht mehr die gleiche Kraft aufbrachte. Murray Dickie (Jacquino) war seinen Partnern in den Nebenpartien (Teresa Stich-Randall und Hans Braun) in künstlerischer wie stimmlicher Hinsicht überlegen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 2. Mai
Diese Mozart-Oper bleibt weiterhin eine unserer besten Repertoirevorstellungen. Sie ist jene Art von „Alltagsvorstellung“, wie wir sie unserem Institut wünschen. An diesem Abend betrat Hilde Güden, zum ersten Mal nach ihrer Erkrankung, wieder die Bühne und überzeugte als Pamina vollends. Sie beherrscht ihr kostbares Organ mit einer solchen Perfektion, daß der Zuhörer unwillkürlich das Gefühl hat, es wäre die leichteste Sache der Welt, eine Pamina zu singen. In der Arie: „Ach ich fühl’s“, die mit Geschmack und Stilvermögen gestaltet wurde, spürte man den lebendigen Herzschlag einer großen Künstlerin. Gleichwertig bestehen konnte neben ihr nur der Papageno Walter Berrys, während die übrigen Solisten nicht dasselbe Niveau erreichten. Rudolf Christs Stimme ist zweifellos zum Mozartgesang geeignet, doch waren Schwierigkeiten in den Höhenlagen nicht zu überhören. In Ludwig Webers Leistung wechselten Licht und Schattenseiten einander ab, sodaß der Gesamteindruck ein uneinheitlicher wurde. Die Königin der Nacht von Mimi Coertse war diesmal noch schwächer als sonst. August Jaresch als Monostatos fiel durch Grimassenschneiden und Falsettieren unangenehm auf. Das Substitutenorchester unter Berislav Klobucar musizierte nicht gerade einen graziösen Mozart-Stil, vom Wienerischen war es weit entfernt.
RIGOLETTO am 3., 9., 11. und 15. Mai, Gastspiel der Mailänder Scala
Mit vier Aufführungen dieser Oper leistete die Scala Milano unserem Institut für die Zeit des Brüsseler Gastspieles eine Überbrückungshilfe. Bühnenbild, Regisseur und der Großteil der Solisten kamen aus unserem südlichen Nachbarland, der Rest wurde aus eigenen Mitteln beigestellt. Das in hergebracht italienischer Weise pompöse Bühnenbild (Nicola Benois) mit Pappendeckelbäumen an den Prospekten, vorbeiziehenden Wölkchen und detailliert ausgeführten Baulichkeiten war für die Hugo’sche Greuelgeschichte ein gangbarer Rahmen. Der erste Akt war in einen Schloßhof verlegt, die Bühne in allen Dimensionen zu einem prächtigen Schauplatz aristokratischer Freuden ausnützend. Die weiteren Akte wichen kaum von der Schablone ab und im dritten Bild wurde das Alter der Inszenierung deutlich. Von einer einheitlichen Regie konnte kaum die Rede sein, die Hauptakteure hatten ihre eigenen mehr oder weniger reifen Auffassungen der Partien. Der Chor wirkte statuarisch und ungeführt. Eine lenkende Hand wurde nur beim Finale des zweites Aktes bemerkbar. Mittelpunkt aller vier Abende war Aldo Protti in der Titelpartie. Seine voluminöse Baritonstimme, die zwar weder das edle Timbre noch die technische Vollkommenheit der seines Kollegen Tito Gobbi ganz erreicht, diesem aber an Stimmstärke überlegen ist, eignet sich geradezu ideal für diese Rolle. Sein darstellerisches Repertoire reicht vom ironisierenden Hofnarren über den liebenden Vater zum unerbittlichen Rächer. An allen Abenden hielt er sich auf gleicher Höhe, wobei er stimmlich niemals einen Wunsch offen ließ. Er scheint überhaupt keine Schwierigkeiten zu kennen. Gianni Raimondi zeigte sich gegenüber dem Alfred des Vorjahres wesentlich verbessert und konnte diesmal mit kräftiger Stimme und todsicherer Höhe aufwarten. Sein Organ hat keine besondere Ausstrahlung, deshalb erzielt er die größte Wirkung mit seinen Spitzentönen, die tieferen und mittleren Lagen klingen (z. B. im Vergleich mit Giuseppe di Stefano) stumpf. Gianni Raimondi stellte einen etwas rustikalen Duce auf die Bühne und – obwohl kein Frauenbetörer – zeigte er solides schauspielerisches Können. Gilda war, italienischen Bräuchen (und Verdis Wünschen) entsprechend, mit einem dramatischen Sopran besetzt. Dadurch gelingt die große E-Dur Arie (caro nome) nicht, wie wir es von den deutschen Gildas gewohnt sind, ansonsten ist der dramatische Sopran im Vorteil, da die Gilda farbiger gestaltete wird und sich dadurch besser in das Geschehen einfügt. Renata Scotto entsprach den Erwartungen. Ihre Stimme ist technisch gut durchgebildet. In den Koloraturen der Arie konnte sie nicht voll bestehen, doch gelang es ihr die Berechtigung der Besetzung der Gilda mit einer dramatischen Stimme, besonders im Duett Gilda-Rigoletto des dritten Aktes, unter Beweis zu stellen, ebenso im Quartett des letzten Aktes. Die Versuche einer Callas-Imitation waren unnötig. Renata Scotto besitzt genügend Material und Technik, um ohne derartige Mätzchen auszukommen. Die Bassisten Constantino Ego (Monterone) und Nicola Zaccaria (Sparafucile) konnten sich nicht ganz behaupten, wobei sich letzterer noch eher bewährte. Er besitzt wenigstens eine halbwegs kraftvolle und angenehm timbrierte Stimme. Für beide Rollen verfügen wir zweifellos über bessere Kräfte. Als Maddalena fiel die in Stimme und Aussehen gleich attraktive Fiorenza Cossotto auf, die mit einer vollen, dunklen Altstimme eine beachtliche Talentprobe ablegte. Weiters war noch der in jeder Beziehung unauffällige Carlo Forti (Marullo) aus Mailand gekommen. Von den bodenständigen Kräften konnte Margareta Sjöstedt (Giovanna) den besten Eindruck erzielen, während besonders Dorothea Frass und Hans Schweiger als Graf und Gräfin Ceprano demonstrierten, daß sie zu den schwächsten Comprimarii unseres Hauses gehören. Selbst in diesen kleinen Partien gelang es ihnen, sowohl in gesanglicher als auch darstellerischer Hinsicht, unangenehm aufzufallen. Gianandrea Gavazzeni mußte sich an den ersten drei Abenden mit einem inferioren Substitutenorchester abgeben. Er zeigte eine flüssige, nicht überhetzte Wiedergabe, wobei er durch Tempoforcierungen an den Aktschlüssen das Spannungsmoment erhöhte. Bis auf den Chor im zweiten Akt waren die Chorstellen infolge des geschwächten Personals sehr ärmlich.
BALLETTABEND am 4. Mai
BALLETTABEND am 5. Mai
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 6. Mai
Dieser Abend war wahrlich „schmale Kost“. Während unsere Oper in Brüssel Triumphe feierte, konnten wir keinen prickelnden Champagner erwarten. Aber eine solide „Hausmarke“ hätte doch an Stelle dieses sauren Weines dem Zuhörer gereicht werden müssen. Endre Koréh ist der Partie des Osmin nicht mehr gewachsen. Außer einigen tiefen Tönen ist sein Register erschöpft. Die in dieser Vorstellung gastierende Dorit Hanak zeigte wie schon einmal im Redoutensaal als Blondchen anmutiges Spiel und eine gut geführte Soubrettenstimme. Waldemar Kmentts Belmonte haben wir schon wesentlich besser gehört. (was ist eigentlich mit ihm los? Immer mehr haben wir den Eindruck, als würde er in seiner Entwicklung plötzlich stecken bleiben, statt weiter voranzukommen!) Mimi Coertse zählt leider in ihrem Niveau immer nur zur zweiten Garnitur oder darunter, und musikalische Exaktheit ist ihr, so scheint’s, ein spanisches Dorf. An einen Vergleich mit unseren Konstanzen Wilma Lipp und Erika Köth darf man gar nicht denken. Wirkliches Wiener Staatsopernformat hatte nur der Pedrillo Murray Dickies, der in seiner Romanze Belcanto-Wirkung erzielte. Das bunt zusammengewürfelte Substitutenorchester unter Rudolf Moralt exerzierte uns einen Mozart aus dem Leierkasten vor.
BALLETTABEND am 7. Mai
DIE ENTFÜHRUNG AUS DES SERAIL am 8. Mai
In dieser Vorstellung sang Ruthilde Boesch, die dem Wiener Publikum wieder in Erinnerung zu bringen, sich die Presse beachtlich bemüht hatte. Mit ihrer Arie produzierte sie einen Versager, der mit einem blamablen Gemisch von tödlichem Schweigen und nur halb unterdrücktem Gelächter beantwortet wurde.
RIGOLETTO am 9. Mai
Es war dies die zweite Aufführung ihm Rahmen des Gastspieles der Mailänder Scala. Renata Scotto und Gianni Raimondi waren diesmal ganz ausgezeichnet disponiert.
LA TRAVIATA am 10. Mai
Endlich stand Violetta wirklich im Mittelpunkt des Abends, während bei den vorangegangenen Aufführungen der Höhepunkt sich auf die beiden Germonts verlagert hatte. Hilde Güden erweist sich immer mehr als die beste Traviata, die wir im neuen Haus hören konnten. Im großen Stil und mit technischer Perfektion glitzerten die atemberaubenden Koloraturen, und im Duett mit Vater Germont hörten wir Schöngesang in Reinkultur. Überraschend war die Kraft der dramatischen Szene des 3. Aktes, die absolut überzeugend gelang. Da der sympathische Alfred von Giuseppe Zampieri auch im Stimmtimbre die richtige Abstimmung zu Hilde Güdens Organ hören ließ, wurden die Duette zu einem wirklichen Ohrenschmaus. Als Vater Germont zog sich Hans Braun geschickt aus der Affäre. Seine Musikalität versöhnte mit den rauh klingenden Tönen der höheren Lagen. Glauco Curiel konnte mit seinem Temperament sogar das Substitutenorchester anstecken und mitreißen.
RIGOLETTO am 11. Mai
Gastspiel der Mailänder Scala. Besprechung wie am 3. Mai.
DON GIOVANNI am 12. Mai
Die Zeiten, in denen man uns den Giovanni in drittrangiger Notbesetzung servierte, sind vorbei. In letzter Zeit gab es schon einige Aufführungen mit Nobelbesetzung, und die Aufführung an diesem Tag setzte diese Reihe fort. Man hörte an diesem Abend: Sena Jurinac (Donna Anna), die sich durch dramatische Spannung, Intensität und beachtliche Profilierung auszeichnete, Lisa Della Casa (Elvira) mit nobler Phrasierung und vollendetem Stil, Irmgard Seefried, die die Zerlina im kleinen Finger hat, aber doch schon langsam daran denken sollte, einmal das Soubrettenfach zu verlassen. Die Herren Eberhard Wächter, Erich Kunz, Waldemar Kmentt, Frederick Guthrie und Harald Pröglhöf konnten ihre bekannt guten bis großartigen Leistungen bietend. Daß der Eindruck des Abends, trotz der exzellenten Besetzung und deren Wissen um Stil und Linie Mozart’scher Musik, doch etwas blaß war, lag wohl, neben der stets mitschuldigen Inszenierung, am Dirigenten Heinrich Hollreiser, der die Partitur mißhandelte und die Mozartkenner und -könner auf der Bühne und (zum Teil) im Orchester durch sein plumpes und steifes, nur auf schnelles Tempo bedachtes Taktschlagen aus dem Konzept brachte. Außerdem lag irgendetwas in der Luft. Keiner der Sänger befand sich in sehr guter Verfassung. Leider konnte also ein „großes“ Ensemble diesen Abend nicht zu einem wirklich großen machen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 13. Mai
An diesem Abend galt das Hauptinteresse der in der schwierigen Partie der Königin der Nacht einspringenden Sängerin Elisabeth Witzmann. Die junge Künstlerin besitzt eine nette, noch etwas kleine, aber gut geführte Stimme. Intonationsschwierigkeiten sind wohl (besonders in der ersten Arie) auf die bei einem solchen Husarenstück begreifliche Nervosität zurückzuführen. Irmgard Seefrieds Stimmkrise nimmt nun bereits hin und wieder tragische Formen an. Die diesmalige Pamina war nur mehr ein müder Abglanz der früher von ihr gehörten Leistungen. Hoffen wir, daß bald eine Wendung in ihrer schlechten Disposition eintritt. Anton Dermota hatte einen ausgezeichneten Tag. Seine Stimme, wir haben es schon einige Male bemerkt, ist aber für diese Partie bereits zu metallisch geworden, weshalb einige Wünsche offen blieben. Walter Berry (Papageno) und Paul Schöffler (Sprecher) waren in Spitzenform und boten vollendete Leistungen. Frederick Guthries Stimme ist für den Sarastro zu hell timbriert. Auch das konnten wir bereits öfters feststellen. Was er jedoch durch seinen kultivierten Vortrag wettmachte. Emmy Loose als Papagena agierte zu geziert, Peter Klein war der gewohnt gute Monostatos. Berislav Klobucars Leitung war sicher. Den Löwenanteil der Publikumsgunst konnten die drei Sängerknaben für sich buchen.
CARMEN am 14. Mai
Wieder einmal näherte sich Sevillas Temperatur bedenklich dem Gefrierpunkt. Carmen wurde – zum wievielten Male eigentlich schon? – von Heinrich Hollreiser getötet. Carmen war Ira Malaniuk, die für diese Rolle zwar ihre attraktive Bühnenerscheinung, ansonsten aber herzlich wenig mitbringt. Auf die Details wollen wir höflicherweise nicht eingehen, immerhin hatte die Sängerin durch ihr Einspringen die Vorstellung gerettet. Der von soviel Schönheit geblendete José hieß Eugene Tobin, der sich mit einigen geschmetterten Spitzentönen zu sagen schien „Meine Pflicht hab ich getan“. Zu wenig, Eugene Tobin! Trotz angekündigter und auch hörbarer Indisposition gefiel Walter Berry als Escamillo noch am besten. Teresa Stich-Randall erwies sich als routiniert lächelnde und singende Durchschnittsmicaela, und auch in den kleineren Partien war nicht alles zum Besten bestellt. Atmosphäre strahlten einzig und allein die Bühnenbilder von Georges Wakhevitch aus.
RIGOLETTO am 15. Mai
Am letzten Abend des Gastspieles der Mailänder Scala hatten sowohl Renata Scotto als auch Gianni Raimondi den besten Abend. Gianandrea Gavazzeni konnte mit den Wiener Philharmonikern eine wesentlich differenzierte Interpretation der Partitur erzielen.
LA BOHEME am 16. Mai
Hilde Güden als Mimi war der Mittelpunkt des Abends und begeisterte sowohl stimmlich, wie auch durch Aussehen und Spiel. Der Liebreiz dieses kleinen Pariser Mädchens ist bezaubernd. Eberhard Wächter als Marcello war die dominierende Persönlichkeit des Künstlerquartetts (in den übrigen Partien Hans Braun und Oskar Czerwenka), Waldemar Kmentt wirkte abermals ermüdet und auch gehemmt. Er war keineswegs ein vollwertiger Partner für Hilde Güden. Gerda Scheyrer steuerte eine äußerst farblose Musette bei, erschreckend unsicher in der Intonation. Berislav Klobucar hatte nicht die Intensität, Chor und Orchester eine einwandfreie Wiedergabe des Werkes abzufordern.
MATHIS DER MALER am 17. Mai, Erstaufführung
Nun hat Hindemiths Oper – seltener Fall eines zeitgenössischen Werkes, das mit gutem Gewissen als „Oper“ in traditionell Sinne anzusprechen ist – auch nach Wien gefunden. Und nun macht sich die große Sünde bemerkbar, die das Hilbert-Salmhofer-Team der Theater an der Wien-Zeit beging, als es der modernen Musik so wenig Platz im Repertoire einräumte. Wenn das schon einmal geschah, war es abrupt und ohne logischen Aufbau, daß es uns rückblickend sehr wundert, wie das Wiener Publikum zu so anspruchsvollen Werken wie z.B. dem Wozzeck überhaupt hat finde können. Dieses Finden ist wohl nur durch die Größe des Musikdramas Wozzeck zu erklären und dadurch, daß das Wiener Publikum, trotz aller konventionellen und traditionsgebundenen Haltung, einen „Riecher“ für das Geniale hat. Format vermag es zu überzeugen (nicht nur bei Komponisten!). Ein konsequenter Plan für die Einführung des Publikums in die neue Musik, die zu hören und kennen zu lernen besonders für die Jugend nach dem Krieg sehr nötig gewesen wäre, hätte den Mathis mit den frühen Strawinsky-Balletten und Einaktern, dem Blaubart, Orff und Egk-Stücken ganz an den Anfang einer Reihe setzen müssen. Statt dessen wurde dem Publikum der begabte, aber unreife Danton an den Kopf geworfen und aus seiner totalen Erfolglosigkeit die Lehre genommen: „Das Wiener Publikum ist unheilbar konservativ“, was sich später als vollkommen unrichtig herausstellte. Mittlerweile hatten aber Snobs und Besserwisser die Moderne entdeckt und benützen sie, ohne tieferes Interesse oder innere Bindung an die Materie, noch heutzutage zur Polemik – wie sattsam bekannt. Und jetzt gelangt das so lautstark und heftig geforderte Werk endlich an der Wiener Oper zur Aufführung – und kommt nicht seht gut an. Nicht einmal bei den Snobs. Was mag an diesem zwiespältigen Eindruck schuld sein?
Vom Hörer wird sehr viel Konzentration verlangt. Hindemith hat in diesem Werk schon lange seine „wilde“ Zeit hinter sich gebracht, in der er als Bürgerschreck alle Traditionen umzustürzen schien. Er ist abgeklärter und reifer geworden und seine Meisterschaft im Handwerklichen, die er mit typisch deutscher Gründlichkeit zur Schau stellt, interessiert zwar den mitlesenden Kenner und Liebhaber, nicht aber das übliche Premierenpublikum. Hindemiths selbstverfaßter Text ist überdies sprachlich ungeheuer kompliziert und gleitet manchmal – trotz allen gebotenen Respektes sei es ausgesprochen – etwas ins Schwülstige ab. Und dann kommt noch der Moment, in dem der Musiker Hindemith über den Komponisten triumphiert. Das Werk gewinnt von Akt zu Akt an Bedeutung und in der Visionsszene erhebt sich Hindemith zur vollen künstlerischen Gestaltungskraft, die auch die stille, entsagungsvolle Schluß-Szene auszeichnet.
Die Aufführung konnte die schwächeren Szenen des Werkes nicht beleben. Sie blieb von der Regie her durchaus konventionell, wobei Adolf Rotts Ungeschicklichkeit in der Chorführung besonders unangenehm auffiel. Die bei allen Mathis-Aufführungen, die wir bis jetzt (in Linz und Graz) hörten, angewendete Einfügung des Werkes in einen szenischen Rahmen, der Motive des Isenheimer Altars benützt, wurde – traditionsgemäß auch von Robert Kautsky, aber eher schwächer, farbloser und uninteressanter als anderswo, auf die Bühne gestellt, bzw. projiziert.
Die beiden Damen Wilma Lipp und Lisa Della Casa waren stimmlich und optisch der erfreulichste Eindruck des Abends. Auch darstellerisch wußten sie mit den Rollen der Regina und Ursula einiges anzufangen. Frau Lipp mit der Innigkeit des schlichten Mädchens, Lisa Della Casa mit dem Stolz der klugen, mit offenen Augen in die Welt blickenden Bürgerstochter.
Paul Schöffler gestaltete in der ergreifenden Schlußszene mit der reifen Meisterschaft seiner Schauspielkunst einen Menschen und sein Schicksal. Ansonsten schien er mit dem Meistern der – allerdings gewaltigen – stimmlichen Probleme so beschäftigt daß er in seinen ersten Szenen nicht das bei ihm gewohnte Profil hatte.
Karl Liebl ist in der Charakterrolle des Erzbischofs von Mainz wesentlich besser am Platz als in stimmstrapazierenden Heldentenorpartien. Hier kamen ihm gute Phrasierung und vor allem die tadellose Beherrschung der Rolle, die er im kleinen Finger hat, sehr zustatten. Er dürfte in dieser Oper, ungleich allen anderen Kollegen an diesem Abend, schon gesungen haben.
Elisabeth Höngen war in der kleinen und wenig ergiebigen Partie der Gräfin Helfenstein zu hören. Oskar Czerwenka charakterisiert den reichen Bürger Riedinger und dessen politische Ambitionen sicher und war auch musikalisch in dieser ersten Baßpartie durchaus am Platze. Gute Episondenfiguren stellten die Herren Anton Dermota (dem man sehr viel gestrichen hatte), Laszlo Szemere, Edmond Hurshell und Hans Braun. Karl Terkal fiel dagegen ab. Der Chor schien recht gut studiert, aber immer mehr machen sich im Sopran einige grelle, tremolierende Stimmen unangenehm bemerkbar, die ausgesprochen häßlich wirken.
Karl Böhm hatte das Werk jederzeit in der Hand und brachte es mit den willig mitgehenden Philharmonikern zu einer großflächigen, etwas lautstarken, aber sicheren Wiedergabe. Weniger Forte hätte auch hier, wie schon oft, nicht geschadet. Beim Halleluja, dem Höhepunkt der Visionsszene und damit der ganzen Oper, wischte er Schöfflers G und Karl Liebls H vollkommen weg, obgleich sich die Herren mit diesen heiklen Spitzentönen viel Mühe gegeben hatten. Es ist doch eigentlich nicht Aufgabe eines Sängers, gegen Orchester und Dirigenten anzukämpfen.
Das Werk hatte den ihm gebührenden Achtungserfolg. Es mußte natürlich auch an der Wiener Staatsoper gespielt werden und wir hoffen, daß es alljährlich doch einige Male im Spielplan erscheinen wird. Wenn es zehn Jahre früher in Wien aufgeführt worden wäre, hätte es sicher mehr Wirkung erzielt.
BALLETTABEND am 18. Mai
DON CARLOS am 19. Mai
Die Verwahrlosung dieses Werkes dokumentiert sich stets aufs Neue. So auch in dieser Vorstellung. Von geordneten Verhältnissen konnte im Orchesterraum überhaupt nicht, auf der Bühne kaum die Rede sein. Berislav Klobucar konnte es trotz größter Anstrengungen zu keiner wirklichen musikalischen Leitung bringen, und auch der Chor leistete sich wieder einmal einen glatten Ausfall. Trotz guter Einzelleistungen bei den Solisten konnte von einer einheitlichen Darbietung keine Rede sein. Paul Schöffler imponierte durch seine burgtheaterreife Interpretation König Philipps. Seine Stimmittel reichten diesmal allerdings nur bis zur großen Arie. Christl Goltz erwies sich zweifellos als die derzeit beste Besetzung der Elisabeth, und bewältigte trotz der für diese Partie zu dramatischen Stimme die Partie überlegen. Margarita Kenney hingegen entsprach den Anforderungen der Eboli abermals nicht. Ivo Zidek als Carlos zeigte sich weitgehend verbessert. Es ist erfreulich zu sehen, wie harte Arbeit ihre Früchte trägt. Eberhard Wächter war ein überzeugender Posa. Der Sänger war in blendender Verfassung und wartete mit einigen Spitzentönen auf, die mit ihrem metallischen Glanz einem Heldentenor Ehre gemacht hätten. Der Großinquisitor Edmond Hurshells wirkte diesmal weniger verfehlt, und Frederick Guthrie bewies, daß er nach wie vor die Idealbesetzung für den Mönch darstellt.
DIE ZAUBERFLÖTE am 20. Mai
In dieser Vorstellung befriedigte die musikalische Leitung Berislav Klobucars, während das paar Pamina-Tamino abermals leicht enttäuschte. Elisabeth Witzmann verriet erneut viel Talent und noch fehlende Reife. Frederick Guthrie wiederholte seine Leistung vom 13. Und vor Walter Berrys Leistung und der der drei Sängerknaben verstummt die Kritik. Das ausverkaufte und zum größten Teil von Ausländern besuchte Haus schien animiert und äußerst beifallsfreudig.
DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 21. Mai
Dieses lang entbehrte Werk wurde diesmal mit zwei Gästen gespielt. Grace Hoffman aus Stuttgart sang die Amme mit großem, hellem, schönen Mezzo, vorzüglicher Technik und ausgezeichneter Höhe (in der Tiefe klingt die Stimme allerdings nicht). Sie würde auch schauspielerisch gefallen haben, wenn einem nicht die unvergleichliche Schauspielkunst von Kammersängerin Elisabeth Höngen in dieser Partie immer vor Augen stände. Der Hamburger Walter Geisler ließ eine gut geführte Tenorstimme mit etwas stumpfer Höhe hören und erwies sich als solider, geschmackvoller Sänger. Übrigens hatte er am meisten unter Karl Böhms Superfortissimo zu leiden, das dieser ohne Rücksicht auf die Sänger an diesem Abend in besonders starkem Maße forcierte. (Hier wäre es einmal am Platz, von einem Richard Strauss-Konzert mit Singstimmenbegleitung – soweit Stimmen überhaupt noch hörbar – zu sprechen). Karl Böhm hat es offensichtlich in Amerika verlernt, einen Unterschied zwischen Klangintensität und Hineindreschen zu machen, etwas, was er früher sehr wohl konnte. Vierstündiges fff ist zwar mitreißend, farbig und temperamentvoll, aber die Stimmen der Sänger sind wohl für solche Beanspruchung zu kostbar. Besonders galt das für Leonie Rysanek und Christl Goltz, die mit schwelgerischem Wohlklang und stählerner Härte sangen. Ludwig Weber begann gut, war aber frühzeitig mit seinen Kräften zu Ende und Edmond Hurshell begann schlecht und war sogleich fertig. Das Orchester zeigte sich in hervorragender Verfassung. Den größten Eindruck des Abends hinterließ die weihevolle Schönheit der Wächterszene, wo das Gleichgewicht zwischen Bühne und Orchester vollkommen war.
SIEGFRIED am 22. Mai
Diese Aufführung erfreute sich besonders im Orchester unter Herbert von Karajans Leitung kaum überbietbarer Präzision und Klangschönheit (ohne Probe!).
Das Eindrucksvollste an unserem Siegfried ist seine künstlerische Geschlossenheit, der vollkommene Zusammenklang von Orchester und Ensemble und (vom zweiten Akt ab) auch der Inszenierung. Der erste Akt macht es dem Siegfried (dem derzeit einzigen Siegfried!) Wolfgang Windgassen, der sich in hervorragender Verfassung befand und seine Phrasen nicht nur wie sonst durchdacht und schön, sondern auch mit fast schon heldentenoralem Glanz sang, schwer. Sein Auftritt und Abgang gehen fast unter, weil er nicht in den Zuschauerraum sondern gegen einen Vorhang singt. (Abgesehen davon sieht man von ihm auf der Galerie nur die Beine.) So ist der Hörer im ersten Akt etwas benachteiligt. Daß man nichts sieht, mag noch hingehen, es gibt viele Inszenierungen, die nur für das Parkett gebaut sind. Aber hören sollte man doch auf allen Plätzen. Im zweiten Akt, auf der großen offenen Bühne, sind alle Sänger noch besser: der grandiose Wanderer Hans Hotters, der seine saisonbedingte stimmliche Rauheit souverän übersang, der hervorragende Mime Peter Kleins, an den man immer neue Züge intelligenter Gestaltung erkennt. Ludwig Weber sang den Fafner ausdrucksvoll, und seine Persönlichkeit war sogar durch das Mikrophon spürbar. Gustav Neidlingers Alberich imponierte wie stets.
Im dritten Akt tritt der an der Wiener Oper so seltene Fall ein, daß man von der Inszenierung gefesselt ist. Die düstere Mächtigkeit der Erda-Szene (Jean Madeira sang mit prachtvoll dunkler Stimme) ist nur die Vorbereitung für den lodernden Feuerzauber, aus dessen Glut der Walkürenfelsen herauswächst. Und das Verblassen des Feuers, hinreißend wie eine Szene Wieland Wagners, sein letztes Aufflackern und Verlöschen und die Wandlung von glühendem Rot zum kalten, klaren Blau der seligen Öde.
Wieland Wagners Schule brachte auch Martha Mödl mit auf die Bühne, vollendet in Erfassung, Gestaltung und Erscheinung. Die Intensität ihres Gesanges brachte in das Liebesduett Spannung und Dramatik, obwohl ihr, was seit langem bekannt ist, die Siegfried-Brünnhilde stimmlich Schwierigkeiten macht.
MATHIS DER MALER am 23. Mai
Die zweite Aufführung des Werkes war, vermutlich wegen der geringeren Nervenbelastung der Sänger, was das Stimmliche betrifft, besser als die Premiere. Vor allem übertraf Lisa Della Casa sich diesmal selbst. Paul Schöffler vermochte, obwohl er sich als indisponiert entschuldigen ließ, durchaus zu überzeugen. Aus dem übrigen Ensemble fielen Wilma Lipp und Anton Dermota neuerdings positiv auf.
AIDA am 24. und 28. Mai
An beiden Abenden sang das gleiche Ensemble und vor allem: Herbert von Karajan stand am Pult. Das hat diese Oper, die seit der verunglückten Neueinstudierung unter Kubeliks Leitung nur beim Gastspiel von Antonino Votto musikalisch voll ausgeschöpft wurde, auch dringend nötig gehabt. In vollkommener Plastik und Durchsichtigkeit wurde das Gefüge der Stimmen hörbar und die geringste Unsicherheit eines Orchestermusikers, die sonst im üblichen Aida-Brei untergeht, erbarmungslos bloßgelegt. Groß im Aufbau und in der Steigerung hatten die Aufführungen jenes Format, das eine große Oper verlangt und das die verfehlte Inszenierung ihr schuldig bleibt. Und selbst langjährige Opernbesucher hörten in dieser Aida viele Feinheiten, die sie noch nie vernommen hatten.
Leontine Price, als Bess hier gut bekannt, bringt eigentlich nicht das richtige „Kaliber“ für eine Aida mit. Aber wer hat das schon, außer Tebaldi, Rysanek oder Stella? Nach anfänglicher, heftiger Nervosität, die ihre stimmliche Leistung ein wenig unsicher machte (erste Arie), ging sie ganz aus sich heraus und zeigte eine wunderschön timbrierte, tragfähige, technisch vollendet beherrschte Stimme und eine kluge schauspielerische Gestaltung mit Gefühl und Würde. (Kaum glaublich, nach ihrer heißen, eruptiven Bess!) Giulietta Simionato, die Einmalige, warf einen mit der Kraft und Schönheit ihrer phänomenalen Stimme, beinahe um. Es wird wenige Sänger geben, die in ihrem Fach so absolut konkurrenzlos sind wie die Simionato.
Neben diesen beiden Gesangskünstlerinnen fiel die voluminöse Naturstimme von Carlo Guichandut natürlich ab. Sein schweres Organ ist schwer zu führen. Außerdem traten einige technische Schwächen auf, die den guten Eindruck, den er in der Tempelszene und dem Triumph-Finale hinterließ, bedenklich schwächen. Überdies schwankte er bei lang ausgehaltenen Tönen leicht in der Tonhöhe und verursachte im Nilakt einen Riesen-Schmiß. Unglücklicher Weise trug er noch dazu ein Kostüm und eine Perücke, mit denen selbst Apollo persönlich nicht gut ausgesehen hätte.
Aldo Protti bewies, daß man auch mit einer großen Stimme klangvoll richtig und schön singen kann.
Ludwig Weber war leider sehr schwach, um so besser dafür Frederick Guthrie. An einen Thronfolger zu denken, hat dieser Pharao nicht nötig.
SALOME am 25. Mai am Nachmittag
Am Pfingstsonntag fand eine geschlossene Nachmittagsvorstellung statt, in einer Superbesetzung, wie man sie noch vor zwei Jahren nicht einmal zu festlichen Anlässen hätte erwarten dürfen. Daß eine Reihe von Leuten, die nach unerforschlichem Ratschluß in den Besitz von Karten gekommen waren, das Gänsehäufel dem Opernhaus vorzogen, und das Theater daher eine ganze Anzahl freier Plätze aufwies, während die Stammbesucher mit langen Gesichtern vor dem Haus standen, war bei einer solch hochwertigen Aufführung mehr als schade. Das Ensemble der Prominenten bewies, daß es für sie keine unwichtige Vorstellung gibt. Christl Goltz und Hans Hotter waren bestens disponiert, dachten keinen Augenblick daran, sich zu schonen und leisteten vollen Einsatz. Jean Madeira und Max Lorenz charakterisierten energiegeladen das Tetrarchenpaar mit gewohnter Intensität. Karl Terkal als Narraboth war stimmlich gut, der Nazarener Oskar Czerwenkas immerhin weit besser, als letztens. Berislav Klobucar leitete die, auch vom Orchester her, durchaus erfreuliche Vorstellung sicher und behutsam.
MADAMA BUTTERFLY am 25. Mai am Abend
brachte Gigliola Frazzoni als Mailänder-Gast in der Titelpartie. Sie bestätigte den Eindruck, den wir von ihr bereits an der Scala gewonnen hatten: sie hält den Vergleich mit unserer Sena Jurinac nicht aus. Damit soll nicht gesagt sein, daß sie keine gute Cho-Cho-San sei. Nach nervösem, unsicheren Beginn (Auftritt und erster Akt) wußte sich die Künstlerin mit ihrer im Piano weichen und im Forte sehr durchschlagskräftigen Stimme, der es an Modulationsfähigkeit fehlt, die Sympathien des Publikums zu erwerben, wenn auch die scharfen und nicht immer einwandfreien Spitzentöne nicht zu überhören waren. Gigliola Frazzoni erwies sich als theaterbesessene Schauspielerin, man spürte ihr Temperament und bewunderte ihren Rampeninstinkt und wurde dabei doch nicht warm. Giuseppe Zampieri und Eberhard Wächter behaupteten sich als ihre Partner glänzend. Berislav Klobucar erwies sich diesmal wieder als sehr guter Butterfly-Dirigent und als umsichtiger Begleiter. Wir sind der Direktion für den Austausch (Sena Jurinac sang zu gleicher Zeit an der Scala die Butterfly) dankbar, denn sie ermöglichte uns einen interessanten Vergleich und berechtigt uns zu der Frage: hat Sena Jurinac in dieser Partie derzeit überhaupt eine gleichwertige Konkurrenz?
DON GIOVANNI am 26. Mai am Abend
Diese Aufführung erreichte einen seltenen Grad von Vollkommenheit. Karl Böhm, das Orchester und die Sänger waren aufs beste disponiert und demonstrierten dem hauptsächlich aus Ausländern bestehenden Feiertagspublikum besten Wiener Mozartstil. Sena Jurinac und Lisa Della Casa übertrafen sich gegenseitig an Schönheit der Stimmen und der Erscheinung. Sena Jurinac – diesmal frei von Nervosität – sang und spielte ihre zweite Wiener Anna mit größtmöglicher Ausdruckskraft. Hinreißend die erste Arie mit dem vorangegangenen Rezitativ. Ähnlich vollkommen ist die Elvira von Lisa Della Casa. Irmgard Seefrieds bäurisch schlaue Zerlina ist bestens bekannt, bewies aber erneut, daß die Sängerin für diese Partie nun doch schon zu reif ist. Eberhard Wächter ist der Glücksfall eines Don Giovanni. Dasselbe gilt für Walter Berrys ausgezeichneten Leporello. Immer wieder freut man sich über die Entwicklung, die diese beiden jungen Sänger genommen haben. Die von Anton Dermota herrlich gesungene Ottavio-Arie und die erstaunliche Verfassung Ludwig Webers als Komtur waren weitere Positiva einer prächtigen Vorstellung.
DIE WALKÜRE am 27. Mai
Es war ein schwerer Schlag für die orthodoxen, unduldsamen Superwagnerianer, für die jeder Strich eine Schändung des Werkes bedeutet – im zweiten und dritten Akt wurde nämlich gestrichen. Auch der Musikfreund, der über seiner Wagnerliebe noch nicht den Verstand verloren hat, ist natürlich gegen Striche. Sie sind absolut abzulehnen, wenn ein Hotter den Wotan singt, sie sind bei einer oder der anderen Besetzung der Partie in Erwägung zu ziehen, aber unbedingt nötig, wenn sich Otto Edelmann als Gott versucht. (Diesmal sprang er wenigstens ein.) Er gab also seinen bekannten, breitspurigen, bürgerlichen und unbedeutenden Wotan und man war froh, daß einige Partiturseiten von Edelmann diesmal nicht zu hören waren.
Martha Mödl ist Brünnhilde, die Künstlerin macht jeden Abend zu einem Erlebnis, an diesem Abend wirkte sie noch stärker, wenn man ihren farblosen Vater betrachtete.
Wolfgang Windgassen und Leonie Rysanek sangen das Wälsungenpaar – ein seltener Fall von wirklichem Wagnergesang. Jean Madeira, die als Fricka schon sehr gut zu hören war, hatte einen sehr schlechten Abend, und neben ihrer verheerenden Aussprache schädigte auch die Rauheit ihrer Stimme den Eindruck. Gottlob Frick war der hervorragende Hunding.
So lag die Wirkung des Abends größtenteils beim Orchester und seinem Dirigenten Herbert von Karajan, aber nach wie vor fängt die Oper erst beim Schwertmonolog und dem nachfolgenden Duett zu leben an. Die langsamen Tempi zu Beginn, sind Geschmackssache.
AIDA am 28. Mai
unter Herbert von Karajan wurde gemeinsam mit der Aufführung am 24. Mai besprochen.
TOSCA am 29. Mai
Die hohen Erwartungen, die wir in diesen Abend setzten, erfüllten sich nur zum Teil, trotz der glänzenden Namen auf dem Programmzettel. Denn obwohl Gigliola Frazzoni, Giuseppe di Stefano und George London auf der Bühne standen, gab es im Haus nur wenig echte Begeisterung. Dazu mag allerdings auch das von der Hitze ziemlich mitgenommene Orchester und Glauco Curiel Schuld getragen haben. Wir konnten es kaum glauben, daß derselbe Dirigent, dessen spannungsgeladene Tosca wir noch im Ohr hatten, am Pult stand. Er machte diesmal einen zerfahrenen und konzeptionslosen Eindruck, konnte keinen Kontakt mit der Bühne finden und war sich mit Giuseppe die Stefano öfters über die Zeitmaße nicht einig. Auch ansonsten vermißten wir sein Temperament, seine Steigerungen, die seine bisherigen Aufführungen interessant machten. Giuseppe di Stefano erwies sich als kultivierter, echter Belcantosänger, tat aber in dieser Hinsicht während der beiden ersten Akte etwas zuviel des Guten. Es schien, als wolle er demonstrieren, daß es auch italienische Tenöre gäbe, die die Kunst des Mezzavoce und des Piano zum Pianissimo beherrschen. Seine fast filigrane Darstellung erzielte keine mitreißende Wirkung. Die große Klasse bestätigte der Sänger erst im dritten Akt. In „e lucevan le stelle“ brachte er das seltene Kunststück fertig, seine eigenen Schallplattenaufnahmen an Qualität und Schöngesang noch zu übertreffen. George London, am selben Tag in Wien aus dem Flugzeug gestiegen, sprang für die erkrankten Scarpias Hans Hotter, Walter Berry und Paul Schöffler ein und setzte sich diesmal voll ein. Er hatte im zweiten Akt überragende Momente. Sein Scarpia war brutal und hemmungslos, mit sadistischen Zügen ausgestattet (hin und wieder, wie bei den Schilderungen der Folter, etwas zu dick aufgetragen). Die Tosca der Gigliola Frazzoni ist zwar keine Primadonna der ersten italienischen Garnitur, dazu ist ihr Stimme zu ungleichmäßig geführt. Gut gefiel das tiefere Register, während manche Spitzentöne scharf und falsch intoniert klangen. Ihr Spiel und ihre attraktive Erscheinung aber rundeten den Gesamteindruck solide ab. Ungewollte Heiterkeit ins blutrünstige Finale brachte Erich Majkut als Spoletta, der sich so sehr an die eingeprobten Regieanweisungen hielt, daß er, ohne einen Stoß von Tosca zu erhalten, brav die Stufen herabkollerte, so wie es ihm eingedrillt worden war. Wollte er damit beweisen, daß er der einzige war, der sich noch der Regie erinnerte?
WOZZECK am 30. Mai
Eines, wenn nicht das wichtigste Schlüsselwerk zur Moderne, beginnt langsam auch dem Wiener Publikum etwas zu sagen. Es hat sich bereits bis zu den Abonnenten herumgesprochen, daß auf der Opernbühne nicht unbedingt im Dreivierteltakt gestorben werden muß, daß auch lyrische Stimmung gezeichnet werden kann, ohne sich schwelgerischer Gemeinplätze zu bedienen. Natürlich ist Alban Berg weder der erste, noch der einzige, der dies bewies, aber wohl der kompromißloseste. Man hatte den Eindruck, daß der Dirigent etwas dämpfte, wodurch das Stimmgeflecht etwas durchscheinender wurde, trotzdem war er andererseits einige Male nahe daran, die Sänger zu decken. Wozzeck war ein Gast aus München, Albrecht Peter, der die Partie in jeder Hinsicht beherrschte, sie musikalisch und darstellerisch voll zu erfassen vermochte und sich – ein weiteres Plus – sehr geschickt in die Inszenierung und das Ensemble einfügte. Die anderen Partien waren nach dem üblichen Standard besetzt. Christl Goltz als Marie bot ihre bekannt großartige Leistung. Unter den Chargendarstellern bemühte sich Murray Dickie um stimmliche Wirksamkeit, während die anderen Comprimarii sich mehr auf das Darstellerische verlegten, und unter ihnen wieder nahm sich Karl Dönch mehr Freiheiten heraus, als selbst dieses Werk gestattet! Immerhin stand ein künstlerisch hochwertiges Ensemble spiel- und einsatzfreudig im Dienste der Sache. Nur Polly Batic verletzte leider den guten Geschmack gröblichst. Es ist ausgesprochen gewöhnlich, selbst Gewöhnlichkeit dermaßen zu outrieren.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 31. Mai
Den Abschluß des auf beachtlicher künstlerischer Höhe stehenden Monats und der Beginn der diesjährigen Festwochen war leider weder ein würdiger Schlußpunkt, noch ein festlicher Auftakt. Das Mißgeschick nahm von Otto Edelmann her seinen Lauf, denn neben langweiligem „Runterratschen“ der Sachspartie, verzerrte er auch durch ungebührlichen Humor die Gestalt des Schusterpoeten ins Lächerliche. Einen schwarzen Tag hatte Irmgard Seefried. Von ihrem so schönen Stimmtimbre war kaum mehr etwas zu bemerken! Eine Pause wäre für diese Künstlerin dringend erforderlich, um ihr derzeitiges Tief zu überwinden. Leider war sie auch darstellerisch vom Goldschmiedtöchterlein in Deutschlands Mitten weiter entfernt denn je. Mit der Magdalena war Jean Madeira eine Partie anvertraut, der sie hilflos gegenüber stand. Bemühen zeigte wenigstens Karl Liebls Stolzing, wenn es auch unzureichend blieb. Halsiges Singen und geringe Technik vereitelten den Erfolg. Karl Dönch hatte für seinen Beckmesser wieder alle Unarten mitgebracht, von denen wir wünschen würden, daß er sie endgültig vergessen möge. Kurt Böhme hatte mit der Höhe zu kämpfen. Der Lichtblick des Abends war der stets muntere und stimmlich einwandfreie David Murray Dickies. Keine erhebende Bilanz! Rudolf Moralt war um eine umsichtige Orchesterführung bemüht. Daß es dabei an Ambition fehlte, ist durch das müde Geschehen auf der Bühne erklärbar.
Dessen ungeachtet dürfen wir auf das Resümee dieses Monats stolz sein. Innerhalb von einer Monatshälfte eine große Premiere drei einmalige Spitzenvorstellungen und ein Repertoire, dessen Niveau zum weitaus größten Teil derzeit wohl an keiner Bühne überboten werden kann, ist ein Grund zur Freude. Zu dieser von den Kritikern propagierten „Zerstörung der Wiener Oper“ sagen wir voll und ganz ja!
WIENER KÜNSTLER IN BRÜSSEL
Eindrücke von der Österreichwoche der Weltausstellung
In der Vielzahl der Bauten, die auf der Brüsseler Weltausstellung zu sehen sind und deren Stile von der konservativen Messehalle bis zu bereits wieder leicht kitschigen Espresso‑Modernismus reichen, hat sich Österreich mit einem in ruhiger Linienführung gehaltenen Pavillon und klug ausgesuchtem und mit Verständnis aufgestelltem Inhalt sehr gut gehalten Die Brüsseler Veranstalter haben die beteiligten Nationen auch zu künstlerischen Darbietungen eingeladen und in der Zeit von Mitte April bis September wird man die Scala Milano, das Bolshoi‑Theater, die Prager Oper, die Pekinger Oper, eine Reihe international bekannter Ballettensembles, die Berliner Philharmoniker, Londoner Symphoniker, Warschauer Philharmoniker, Solisten, Chöre und Theaterensembles hören und sehen können.
Im Rahmen dieses Festival Mondial gastierte die Wiener Staatsoper mit der HOCHZEIT DES FIGARO und SALOME, die Hofburgkapelle mit der Mozart’schen Krönungsmesse und die Wiener Philharmoniker mit Beethovens 9. Symphonie und einem Johann Strauß‑Konzert. Die Österreichwoche in Brüssel war, wie nicht anders zu erwarten, ein voller Erfolg, und man nahm deshalb eine langweilige Woche in Wien in Kauf. Spielplanbeschränkungen in Wien sind bei den diversen Auslandsgastspielen der Oper seit 1947 an der Tagesordnung gewesen (einmal, beim ersten London‑Gastspiel der Staatsoper, im Herbst 1947, sperrte das Theater an der Wien überhaupt zu) und man erträgt sie, der Reputation unserer Künstler im Auslande wegen, mit Geduld.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 5. und 9. Mai im Palais des Beaux Arts
Unser Glanz‑Figaro, den wir in der Mozart‑Woche im Jänner in Wien hören konnten, wurde nur musikalisch, szenisch jedoch nicht zur Gänze in das Palais des Beaux Arts verpflanzt. Die grandiose Rennert-Maximowna-Inszenierung konnte, der sehr kleinen Bühne wegen, nur teilweise verwendet werden. Der Konzertsaal, den der große zweitausend Menschen fassende Saal nun einmal darstellt, zwang zum Improvisieren. Die Bühnenbilder wurden durch Vorhänge oder (Garten!) durch Lichteffekte ersetzt; Rennerts Regie steckte noch immer in den Sängern, von denen sich nur einige (es sind ohnedies immer die Gleichen) zu hemmungslosem Outrieren und Geblödel hinreißen ließen. Wie oft muß man eigentlich darauf hinweisen, daß auch einige bewährte Mozartsänger besser daran täten, kultivierten Mozart statt parodierten Nestroy zu spielen? Elisabeth Schwarzkopf war der ruhende Pol der Aufführung. Ihre Gesangskultur, ihr Ausdruck, ihr Spiel sind gleichermaßen vollendet, und es dürfte heutzutage kaum eine Sängerin geben, die die zweite Gräfinarie so gestaltet. Eberhard Wächter, der Graf, war gesanglich hervorragend. Er ist seit den Wiener Aufführungen stimmlich noch gewachsen und darstellerisch gelöster. Christa Ludwig sang einen hervorragenden Cherubino. Wie in Wien, waren auch in Brüssel Irmgard Seefried, Erich Kunz, Peter Klein, Hilde Rössel-Majdan, Oskar Czerwenka, Ljubomir Pantscheff und Anny Felbermayer in ihren Standardrollen zu hören.
Herbert von Karajan am Pult stellte wieder den Idealfall einer Mozart-Interpretation dar, in der zwischen Bühne und Orchester vollkommenes Gleichgewicht herrschte, mit genial durchdachtem und durchleuchtetem Aufbau der Ensembles. Geist, Charme und Musizierfreude setzten dem herrlichen Werke funkelnde Glanzlichter auf. Das bunt zusammengewürfelte Nobelpublikum, das teilweise zu spät kam und dadurch den Dirigenten nach wenigen Takten der Ouvertüre zum Abklopfen zwang, war unruhig und unkonzentriert.
Ludwig van Beethoven, 9. Symphonie am 6. Mai
Die wirklichen Musikfreunde schienen sich hier (wie die beiden Figaro-Aufführungen war auch die „Neunte“ seit zwei Monaten restlos ausverkauft) ein Stelldichein gegeben zu haben. Dieser Abend zählt zu den Schönsten, die uns Herbert von Karajan in den langen Jahren seiner Tätigkeit geschenkt hat. Die machtvolle Konzentration und Klarheit, die das gigantische Werk ausstrahlte, riß das Publikum zu Beifallstürmen hin. Ja selbst auf der Straße, beim Verlassen des Hauses wurden unsere Künstler noch umjubelt. Sie gaben auch alle ihr bestes, vor allem das vollendete Solistenquartett: Lisa Della Casa, Hilde Rössel-Majdan, Anton Dermota und Hans Hotter, die großartigen Wiener Philharmoniker, aber auch der Wiener Staatsopernchor, obgleich dieser die makellose Leistung des Singvereines nicht vergessen machen konnte. Der belgische König, Bundespräsident Schärf und mehrere österreichische Minister waren unter den Besuchern dieser denkwürdigen Aufführung, die als der absolute Höhepunkt der Österreich-Woche in Brüssel bezeichnet wurde.
Wolfgang Amadeus Mozart, Krönungsmesse am 7. Mai
Im Gelände der Weltausstellung fand in der ganz modernen Vatikan-Kirche eine Wiedergabe der Krönungsmesse im Rahmen eines von Erzbischof Dr. König zelebrierten Pontifikalamtes statt. Bestritten wurde die Aufführung von der Wiener Hofburgkapelle (Wiener Sängerknaben, Philharmoniker, Staatsopernchor). Das Sopran- und Altsolo wurde von Sängerknaben gesungen, wobei besonders der Sopranist eine unbeschreiblich schöne und innige Stimme hören ließ. Der sehr gut disponierte Anton Dermota und Hans Braun ergänzten das Solistenensemble. Karl Böhm war der ausgezeichnete Leiter dieser musikalischen Weihestunde.
Galakonzert mit Werken von Johann und Josef Strauß am 7. Mai
Es fand im Grand Auditorium des Messegeländes, einem prachtvollen Konzertsaal, statt. Nach langer Zeit spielten die Wiener Philharmoniker diese Musik wieder einmal unter der Leitung eines Dirigenten, und zwar unter Herbert von Karajan, der zwar schon vor Jahren mit den Philharmonikern Plattenaufnahmen gemacht hat, aber erstmals in einem Konzert bewies, wie meisterhaft er auch Walzer und Polkas wiederzugeben vermag. Das Programm enthielt lauter Neujahrskonzert-Gustostückeln: Von der glitzernden und funkelnden Fledermaus-Ouvertüre über den Kaiserwalzer, Annen-Polka, Unter Donner und Blitz, der Pizzicato-Polka, der Jagdpolka (deren Pistolengeknalle auch in Brüssel einen großen Heiterkeitserfolg auslöste) bis zu dem von Hilde Güden unbeschreiblich schön gesungenen Frühlingsstimmen-Walzer und dem in der Originalfassung vom Männergesangsverein interpretierten Donauwalzer und zum (selbstverständlich!) draufgegebenen Radetzkymarsch herrschte sowohl im Auditorium, in dem Fracks mit Orden und bezaubernde Abendkleider vorherrschten, als auch bei den Ausführenden die allerbeste Stimmung. Es war wie zu Clemens Krauss’ Zeiten. Eleganz, nicht Blödelei war die Devise. Man ließ den Humor, die Klangpracht und den Zauber der Musik wirken und unterließ das Klamaukmachen, das zwar gut gemeint, aber gar nicht nötig ist. Es geht auch ohne angeklebte Bärte, hochgestellte Kragen und Ähnliches. Hoffentlich wird sich ein solches Strauß-Konzert auch außerhalb der Expo wiederholen.
SALOME am 8. und 10. Mai
unter Karl Böhm war der zweite Beitrag der Wiener Staatsoper. Zu der Glanzbesetzung Christl Goltz, Jean Madeira, Hans Hotter kam Ramon Vinay, der den Herodes sang. Karl Böhm hat für die Salome alles verlangt (und bekommen!) was gut und teuer ist. Herr Vinay befand sich (wie auch seine Wiener Kollegen) in bester Verfassung und so machte die Vorstellung durch die profilierten Leistungen der Sänger-Darsteller und die großangelegte musikalische Konzeption starken Eindruck.
Die Wiener Staatsoper hat also, nach einigen Jahren freiwilligen Gastier-Pausierens (was angesichts ihres Niederganges in den Jahren 1955 und 1956 sehr am Platze war) mit den beiden ersten Auslandsgastspielen der Ära Karajan (Die Walküre in Mailand war das erste) vor einem kritischen Forum bestens bestanden und Zeugnis abgelegt für den glücklich begonnenen Wiederaufbau. Gastspiele in Wiesbaden oder ähnlichen zweitrangigen Festival-Städten werden in Zukunft nicht mehr nötig sein, denn nun kann man ruhig verlangen, daß derjenige, der die Wiener Oper hören will, nach Wien fahren möge. Der große Erfolg auf der Expo hat dazu beigetragen, daß das internationale Publikum, das sich aus den oft sehr merkwürdigen Berichten in- und ausländischer Herkunft über das Wiener Musikleben und speziell über das Niveau der Wiener Oper kaum ein richtiges Bild machen konnte, aus eigener Anschauung die seit 1957 in Wien geleistete Arbeit und den daraus resultierenden Fortschritt kennenzulernen vermochte, Es war (wie man auch aus den belgischen Pressestimmen entnehmen konnte) sehr beeindruckt von den Leistungen der Wiener Künstler.
EINE GLOSSE ZU KARAJANS FLUGLEIDENSCHAFT
Wir zählen absolut nicht zu jenen Leuten, denen der Humor abhanden gekommen ist, allerdings sind wir uns der Grenzen zwischen Witz und Geschmacklosigkeit bewußt, ein Standpunkt, den einige Tageszeitungen schon lange überwunden haben. So widmete ein Wiener Boulevardblatt (wir erwähnen den Vorfall als Musterbeispiel) die Riesenschlagzeile seines Titelblattes dem Artikel
„KARAJAN ALS VERKEHRSPILOT“ und schilderte darin den Vorfall, daß der Chef, als Flieger allseits bekannt, die Verkehrsmaschine mit den Wiener Philharmonikern von Bars nach Brüssel steuerte. Als kleine Anekdote an Rande ist dies recht illustrierend und nett, die große Aufmachung, mit bestimmter Absicht gelenkt und in spitzem Ton gehalten, war wieder einmal äußerst deplaciert. Für Sensationsmeldungen sollte man lieber bei den bewährten Klatschthemen bleiben.
Wenn wir dann dort lesen, daß Karajan natürlich nichts „anstellen“ konnte, da ja alle Hebel automatisch geschaltet waren, so möchten wir einen dringenden Wunsch an den Verfasser das Artikels aussprechen. Wir würden uns herzlich freuen, wann er unter den gleichen Bedingungen sich selbst hinter den Knüppel setzen, alle Presselaute artverwandten Geisteshaltung in die Passagierkabine einladen und mit dieser kostbaren Fracht losbrausen würde.
Wir wünschen Ihnen guten Flug!!