SALZBURGER FESTSPIELE 1958
3. Jahrgang, Heft 8/9
Musik in Salzburg
Obwohl die ersten Jahre der Salzburger Festspiele durch dominierende Stellung des Schauspiel-Sektors gekennzeichnet waren und die Musik hauptsächlich durch Gastspiele der Wiener Staatsoper vertreten, keine Hauptrolle in Salzburgs Programm spielte, hat sich doch im Lauf der Jahre ein überwiegen des Musikalischen herauskristallisiert, an dem die heftigsten Bemühungen, Neues und Interessantes auf dem Theater zu bieten, offenbar nichts mehr zu ändern vermögen. Auch das in Salzburg, der wunderbaren Stadt - die auch ohne Festspiele durchaus einen Besuch wert ist, was man von anderen Festspielstädten nicht immer in gleicher Weise behaupten kann - vorherrschende Touristenpublikum zeigt sich mit dieser Linie durchaus einverstanden, und so ging auch heuer der festliche Glanz in erster Linie von den großen Opernaufführungen aus.
DON CARLOS in der Felsenreitschule
Die Ansetzung des Don Carlos rief bereits à priori die alljährlich mit eherner Gesetzmäßigkeit auftretenden Kritiken und Polemiken hervor. Auch der gelernte Wiener Opernbesucher wunderte sich im Geheimen sehr über diese Wahl - ist ihm doch gerade dieses Werk als verschlampter, abgedroschener Repertoirefüller in übelster Erinnerung und gerade die Mitarbeiter des „Merker“ stöhnten immer aufs Neue auf: „O weh, schon wieder ein Carlos“, wenn sie das bittere Los traf, dieses Werk wieder einmal in einer völlig unzureichenden Interpretation hören zu müssen. Denn den Don Carlos ausgerechnet dann einzustudieren, wenn man sowieso nicht die geeigneten Sänger dazu hat, war die typische Idee eines Ahnungslosen. Sie führte selbstverständlich dazu, daß dem Stammpublikum das Werk auf die Nerven ging.
Wir stehen nicht an, freimütig zu bekennen, daß wir uns dessen schämen. Wir hatten den Eindruck, den Don Carlos in der Felsenreitschule zu entdecken – wir haben die Oper viele Male mitgemacht, jedoch in Salzburg zum ersten Male gehört und gesehen.
Wer angesichts dieser Aufführung noch sagt, dieses Werk sei für Salzburg ungeeignet, den kann man nur der Voreingenommenheit oder sogar Böswilligkeit zeihen. Gustav Gründgens erfüllte den stimmungsvollen Raum der Felsenreitschule, die soviel Atmosphäre hat, daß man niemals versuchen sollte, dagegen zu inszenieren, was in den vergangenen Jahren (speziell mit Mozart), des öfteren geschehen ist. Ungleich vielen anderen Schauspielregisseuren, die sich hin und wieder auch einmal mit einer Oper befassen, was dann meistens ein übles Ende nimmt, führt Gründgens sehr musikalisch Regie. Die Bewegung steht völlig mit der Musik im Einklang, und er versucht nie, die Sänger auf der Bühne hin und her zu hetzen und zu Schauspielern zu machen, wenn sie eben nur Sänger (große Sänger!) sind. So ließ er beispielsweise Ettore Bastianini ruhig stehen und singen – er hat soviel Ausdruck, Linie und Kraft in seiner wunderbar timbrierten Stimme, daß man das Bühnenblutes in diesem Falle auch einmal vergessen kann.
Caspar Neher stellte einige zierliche Gitter (die den spanischen Königshof als goldenen Käfig sehr geschickt und dezent kennzeichnen) und eine geschwungen Treppe auf, die zwar natürlich die Form der Redoutensaal-Treppe hatte, was aber diesmal kaum störte. Prachtvoll gelangen ihm die Kostüme, wobei besonders der Kontrast zwischen den puppenhaft-prunkvoll in Gold und Pastellfarben gekleideten kirchlichen Würdenträgern beim Autodafé, den in grellem, häßlichem Rot erscheinenden Henkersknechten und den fahlen Ketzern von großer Eindringlichkeit war. In natürlicher Abhängigkeit von dem großen Raum der Felsenreitschule erschien überhaupt nicht wie sonst die Philipp-Arie und die anschließenden Szenen im Mittelpunkt des Werkes zu stehen, sondern eben das Autodafé, fromme Erbauung und grausames Volksfest einer erbarmungslosen Zeit gleicherweise vereinend. Es geht einem durch und durch, wenn man fühlt wie treffend Verdi mit dem melodiösen Mta-ta seines Blechs die gespenstische Atmosphäre charakterisiert und mit der weitgespannten Schönheit seiner Melodienbögen die Grausamkeit verklären das Leiden heiligt, den Haß menschlich verständlich macht und das Gefühl erblühen läßt.
Der große Vermittler von Verdis großer Musik war Herbert von Karajan, der die Kraft und Persönlichkeit für eine vollkommene musikalische Interpretation hat. Wir erwähnen besonders das Duett Elisabeth-Carlos im ersten Akt, die spannungsreiche Dramatik des Terzetts Eboli-Carlos-Posa, die Wucht der großen Chorszenen, das Vorspiel zur Elisabeth-Arie.) Wie immer war er den Sängern ein verständnisvoller Helfer und sie lohnten es ihm.
Sena Jurinac, deren Stimme immer mehr das dunkle Fundament einer richtigen Zwischenfachsängerin gewinnt, gestaltete die Königin mit Güte und Herzenswärme, damenhafter Noblesse und anmutigem Stolz. Stimmlich bei der Premiere noch etwas befangen, wuchs sie in späteren Aufführungen so in die Partie hinein, daß man sie wohl als Idealinterpretation bezeichnen darf.
Giulietta Simionato, das unerhörte Stimmphänomen, ist noch dazu eine Künstlerin von großer Intensität. Obwohl sie äußerlich gar nicht viel macht, ist sie imstande einen durch die Kraft ihrer dramatischen Ausbrüche einfach wegzufegen, wobei aber die Prachtstimme immer ausgeglichen, immer mühelos leicht bleibt (sie erreicht die gefürchteten Höhen der Eboli, als wäre sie ein Sopran).
Das größte Format unter den Herren hatte zweifellos Cesare Siepi. Ganz abgesehen von seiner weichen, in der Tiefe und in der Höhe gleich runden und vollen Baß-Stimme unterschied er sich auf das augenfälligste von den biederen, breitspurigen Königen, die wir bis jetzt zu hören bekamen. Er ist ein Herr, ein Herrscher, nicht ohne südländisches Temperament, ungeduldig, nervös, doch in der Bewegung erstarrt, gefroren, ein glühendes Herz unter einem Panzer von Eis. Das war nicht mehr die Hauptfigur einer Verdi-Oper, hier ist es gelungen, eine historische Gestalt in höchster Treue neu erstehen zu lassen. So muß Philipp II. gewesen sein – hier haben wir eine weitere Idealinterpretation des Abends.
Ettore Bastianini fehlt wohl die große Persönlichkeit, allein seine edle Stimme und seine hohe Musikalität entschädigen dafür.
Eugenio Fernandi, ein Lückenbüßer anstatt Carlo Bergonzi, dessen Engagement nicht zustande kam, sang wesentlich besser und kultivierter, als wir ihn je zu hören bekamen, konnte aber doch das Forcieren nicht lassen, das bei einer solchen Riesenstimme vollkommenen unnötig erscheint. Ihm dürfte leider trotz seines überdurchschnittlichen Materials Intelligenz und Disziplin für eine wirklich große Karriere fehlen (doch bei Tenören geht es manchmal auch ohne das!)
Nicola Zaccaria ist ein Durchschnittssänger mit schönem Organ, das er jedoch nicht immer in der Hand hat. Sogar in der relativ kleinen Partie des Mönches waren seine Leistungen ungleichmäßig und seine Neigung zum Distonieren (höflich ausgedrückt!) befremdlich. Karajan, der schon früher manche Bässe sehr überschätzt hat (Edelmann und Petri) ist im Begriff, bei Zaccaria der gleichen Fehler zu machen.
Marco Stefanoni sang als Großinquisitor mit mächtiger Stimme drauflos, wobei er das „Belcanto“ einige Male vernachlässigte. Eine Gestaltung der Partie blieb er schuldig.
Der verstärkte Staatsopernchor leistete – abgesehen von den bekannten, tremolierenden Sopranistinnen, deren einige sich den Ruhestand schon verdient haben – Vorzügliches, auch die Wiener Philharmoniker zeigten sich auf der Höhe ihrer Aufgabe.
An diesem Abend, der die Salzburger Festspiele einleitete, ereignete sich der paradoxe Fall, daß die Interpretation einer italienischen Oper ein Niveau erreichte, das sie nicht einmal in Italien selbst hätte haben können. Seit in Italien Toscanini, de Sabata und Cantelli nicht mehr zu hören sind, fehlen die Dirigenten, die imstande sind, aus einer guten eine große Aufführung zu machen. Auch die Regisseure, die große Opern in modernem Geist zu neuem Leben erwecken, haben Seltenheitswert. Giorgio Strehler inszeniert ja nur Kammeropern, und das neuerdings so gepriesenen Visconti-Talent hat die Bewährungsprobe an einer großen Aufgabe vor einem internationalen Forum noch nicht bestanden. In diesem Sinne war also Don Carlos eine richtige Festspieloper. Schade, daß er nächstes Jahr nicht wiederholt wird. Er wäre, nach einer eventuellen Umbesetzung der Titelpartie und des Großinquisitors (vielleicht mit einem deutschen Sänger, denn ein Italiener vom Range eines Hotter würde kaum eine so kleine Partie wie den Großinquisitor singen, und das wäre aber zur Abrundung des Eindrucks unbedingt nötig) wieder ein festliches Ereignis gewesen. Gegen Verdi bei den Salzburger Festspielen anzukämpfen, ist ein Snobismus ersten Ranges – wir könnten uns eine Fortsetzung der Linie Falstaff - Don Carlos durchaus vorstellen.
ARABELLA im Festspielhaus
Arabella fand nach neun Jahren wieder den Weg ins Festspielprogramm. Und bei der zweiten Premiere hatte man schon den Eindruck, daß die Festspiele des Jahres 1958 die ausgeglichensten seit Jahren waren. Die Festspiele sind schließlich nach der Eröffnungspremiere nicht zu Ende – auch die weiteren Aufführungen verlangen höchste Qualität. Musterbeispiele für eine solche Qualitäts-Aufführung war die Arabella.
Joseph Keilberth ist ein hervorragender Straussdirigent. Die Arabella dirigiert er mit Temperament und Geschmack, schwungvoll und doch zart die breiten Ströme der Strauss’schen Melodie voll auskostend.
Eine dezente, unaufdringliche, geschickte Inszenierung Rudolf Hartmanns in eleganten, zartfarbigen Bühnenbildern Stefan Hlawas, in der sich die Sänger vollkommen natürlich bewegten und dabei mit Charme die bezaubernden Kostüme Erni Knieperts trugen. Sie bringt für solche Modellkleider Chic und Geschmack mit und zeigte die vollendete Zusammenarbeit des leitenden Teams.
Daß Lisa Della Casa die vollkommene Verkörperung dar Arabella ist, wissen wir seit Jahren – doch schien ihre Leistung noch gesteigert, wahrscheinlich durch die Einwirkung der in ihrer Art ebenso idealen Partner. Das Trio Lisa Della Casa, Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau hören und sehen zu dürfen, war eines der größten Erlebnisse dieses Festspielsommers. Unbewußt hintergründig ist diese elegante junge Dame Arabella, demütig ist sie in all ihrem Stolz und voll heißer Liebessehnsucht hinter kühler Koketterie. Ein bezauberndes Geschöpf, diese schöne Arabella, diese schöne Lisa Della Casa.
Dietrich Fischer-Dieskau ist der Richtige für den Mandryka. Der Sänger wirkt in manchen Rollen überzüchtet. Beim Mandryka hingegen ist kein Platz für stimmliche Kunststücke. Den ganzen ersten Akt hindurch muß er aufpassen, daß er über die Orchesterfluten dominiert, was ihm dank der Tragfähigkeit seiner Stimme stets gelingt. Im Duett hat er dann Gelegenheit, sein vollkommenes Piano einzusetzen und der dritte Akt bietet keine Gelegenheit mehr zu übertriebener Phrasierung. Und so stellt sich wie von selbst plötzlich die große Linie ein, deren Fehlen man zeitweise bei diesem Künstler so sehr bedauert.
Anneliese Rothenberger sang und spielte eine reizende Zdenka, voll Innigkeit, Gefühl und Charme, auch stimmlich ruhig, gelöst und sicher geführt.
Das Elternpaar, die „etwas zweifelhaften Existenzen“ fand in Ira Malaniuk und dem diesmal vollsaftigen, schlauen und stets „das Gesicht wahrenden“ Otto Edelmann ausgezeichnete Sänger-Darsteller.
Mit einer überdurchschnittlich schönen und gut sitzenden Stimme sang Kerstin Meyer die Kartenaufschlägerin.
Der Matteo war leider mit dem stocksteifen, mit einer ebenso steifen, kalten Stimme bedachten Kurt Ruesch fehlbesetzt. Von den drei Freiern stellte Helmut Melchert als Elemer die beste Type auf die Bühne, ansonsten waren noch der geschniegelte Georg Stern (Dominik) und der weiche Knabe Karl Weber (Lamoral) zu sehen.
Mit der unsingbaren, peinlichen Partie der Fiakermilli, deren beste Interpretation wäre, sie möglichst weitgehend zu streichen, wurde Eta Köhrer recht gut fertig.
Durch zauberhafte, traumhaft schöne, in philharmonischem Glanze schwelgende Realisierung des Orchesterparts taten die Philharmoniker das ihre, diesen Abend unvergeßlich zu machen.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO im Festspielhaus
Die Vollendung dieser Aufführung war die Sensation der Salzburger Festspiele des Vorjahres und es war nur recht und billig, daß diese Glanzaufführung, die auch in Wien und Brüssel Begeisterung erweckt hatte, noch einmal im Spielplan der Festspiele erschien, um dann endgültig dorthin heimzukehren, wohin sie gehört: in die Wiener Staatsoper.
Günther Rennert, dem Regisseur, ist etwas gelungen, was sehr schwer sein muß: die Wiener Mozartsänger zu einer ernsteren Auffassung ihrer Rollen zu bringen und das leidige Blödeln um des Blödelns willen fast ganz zu verbannen. Um wieviel geistvoller, vornehmer, eleganter und vergnüglicher wird das Spiel dadurch! Großartig war heuer die musikalische Interpretation des Werkes.
Karl Böhm, der voriges Jahr zweifellos nach dem Hausherren-Schema dirigierte (ich bin der Mozartapostel Dr. Böhm und niemand kommt mir gleich) ist mittlerweile offenbar daraufgekommen, daß die Zeit der Abonnements bestimmter Künstler auf bestimmte Werke Gott sei Dank, vorbei ist – er hat die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. Ein Künstler von Format ruht nicht auf bereits erworbenen Lorbeeren aus, er bemüht sich bei jeder Aufführung das Publikum stets von Neuem zu erobern. So hat er den Figaro gründlich neu poliert. Die Besetzung blieb, von Kerstin Meyer, die Sieglinde Wagner ersetzte, abgesehen, die des Vorjahres.
Dieser Abend brachte uns das im Gesang und im Spiel so ideal aufeinander eingespielte und zusammen-
passende Grafenpaar Elisabeth Schwarzkopf - Dietrich Fischer-Dieskau, den stimmlich in bester Form befindlichen und allen Übertreibungen diesmal standhaft widerstehenden Erich Kunz und Irmgard Seefried als Susanne.
Obwohl Christa Ludwig längst die Grenzen des typischen Spiel-Mezzo, die im allgemeinen Cherubino und Dorabella singen, überschritt, hat sie doch ihre Prachtstimme stets in der Hand und so ist sie ein stimmlich, darstellerisch und stilistisch gleich großartiger Cherubino.
Besonders gut war diesmal das Paar Marcellina-Dr.Bartolo, von Kerstin Meyer und Georg Stern als richtige Intriganten mit intelligenten Köpfen. Stimmlich hat Murray Dickie als Basilio wohl kaum eine Konkurrenz. Anny Felbermayer und Alois Pernerstorfer sind als Barbarina und Antonio stets verläßliche Stützen der Aufführung.
Man konnte sich nicht nur an der prächtigen musikalischen Darbietung erfreuen, sondern stellte neuerdings fest, daß man sich an den wunderschönen Bühnenbildern und Kostümen nicht sattsehen konnte und mußte immer wieder die durchdachten Aktionen des klugen Regisseurs bewundern. Die Erwerbung dieser Aufführung durch die Wiener Staatsoper wird diese ein schönes Stück Geld kosten, trotzdem wird das Wiener Publikum glücklich darüber sein, daß Figaro dem Redoutensaal-Exil entronnen ist. Auf Wiedersehen in der Staatsoper, Figaro!
FIDELIO in der Felsenreitschule
erschien in der gleichen Inszenierung und nahezu der gleichen Besetzung wie im vergangenen Jahr in der Felsenreitschule, und es verstärkten sich die Eindrücke, die man im letzten Jahr mit nach Hause nahm. Bei allen den FIDELIO-Inszenierungen, die wir sehen konnten (und es sind deren schon einige gewesen), konnten die Bühnenbilder nicht jenen starken Eindruck erzielen, den die Naturkulisse bietet, in welchem Stil auch immer sie entworfen waren. Und wieder empfinden wir den ersten Akt dieser Oper, von Herbert von Karajan inszeniert, als sehr glückliche Lösung, das Fehlen der Attribute des bürgerlichen Lebens (charakterisiert durch kleine bis große Wäsche, Bügeleisen oder Klöppelkissen), das auch den Marzellineszenen etwas Großangelegtes, Starkes gibt, das Darüberstehen Leonores über der Welt des Bürgerlichen beim Quartett (was leider akustisch nicht sehr günstig ist), der Auftritt Pizarros, der seine Soldaten inspiziert (hervorragend ausgeleuchtet), das Hervorquellen der grauen, namenlosen Masse der Gefangenen aus den unterirdischen Kerkern, die wohltuend unpathetische Gruppierung beim Gefangenenchor und das gut aufgebaute Finale. Nach diesem ersten Akt wirkt die Kerkerszene konventionell, und das überraschende Hellwerden mit dem Anblick der gelbgekleideten Menge ist ein Knalleffekt, der in jeder anderen Oper eher am Platze wäre als bei Fidelio, der so etwas nicht gut verträgt. Im Fidelio kann man nichts machen, jede große Geste, jeder Effekt wirkt sofort theatralisch – und theatralisch darf dieses Werk nicht gespielt werden. Noch dazu führt das jähe Hereinbrechen des Finales zu einem Strich, der einem wirklich durch und durch geht. Wir hätten eigentlich eine Änderung des zweiten Aktes erwartet.
Christl Goltz, die früher eine ganz andere Auffassung der Leonore hatte, fand sich im zweiten Jahr noch besser als im ersten in der Zeichnung der Gestalt zurecht, wie sie Karajan vorgeschwebt haben mag. Sie läßt alles Äußerliche beiseite, und ihre geballte Energie verströmt sie in ausdrucksvollem Gesang und nicht mehr in der diesmal auf ein Mindestmaß reduzierten Bewegung. Sena Jurinac singt eine sehr menschliche, sehr innige Marzelline, fern jeder Konvention.
Giuseppe Zampieri tat sich heuer schwerer als voriges Jahr, als er durch eine schöne und gediegene Gesangsleistung überraschte und verblüffte. Heuer, nachdem die erste Überraschung vorbei ist, merkte man erst, wie er sich plagen muß, wie sehr ihn die deutsche Sprache behindert. Offenbar hat er kein Sprachtalent, denn seine Aussprache ist schlechter als letztes Jahr.
Paul Schöffler bot mit der Charakterisierung des Pizarro wieder eine Meisterleistung seiner großen, reifen Künstlerschaft.
Otto Edelmann als Rocco war stimmlich sehr gut, seine Prosa jedoch etwas provinziell. Nicole Zaccaria erwies sich erneut, trotz seines zweifellos schönen Materials, als Fehlbesetzung für den Minister. Rudolf Christ sang dezent und gepflegt den Jacquino. Das Schicksal Christs ist schon paradox. Jahrelang an der Volksoper dem Publikum als guter Buffo bekannt, doch – mit zwei Ausnahmen – nie an der Staatsoper mit Rollen bedacht, mußte er erst auf dem Umweg über seine erfolgreichen Orff-Aufnahmen bei Columbia Karajans Aufmerksamkeit erwecken, um in Salzburg (und wahrscheinlich auch in Wien, denn Karajan ist Sängern, mit denen er einmal gut zusammengearbeitet hat, bekanntlich sehr treu) eingesetzt zu werden.
Die musikalische Leitung durch Karajan war stark, dramatisch, doch immer von klassischer Klarheit und klassischen Ebenmaß, gipfelnd in einer wunderbar aufgebauten, hinreißenden Leonoren-Ouvertüre. Orchester und Chor waren in ihren Leistungen den in Wien oft gehörten und gewohnten turmhoch überlegen und besonders der Männerchor vermittelte mit dem Gefangenenchor einen der stärksten Eindrücke des Abends.
COSÌ FAN TUTTE
Wir hatten ein ganz anderes kritisches Echo dieses Abends erwartet, rief doch schon die Bekanntgabe der Besetzung einen Sturm im Wasserglas hervor. Aber der Generalangriff ist eigentlich ausgeblieben. War die Aufführung (mit einer bedauerlichen Ausnahme) vielleicht doch zu gut?
Für diejenigen die es noch nicht oder nicht mehr wissen: Così fan tutte erlebte im Jahre 1943 mit der damals neu engagierten Irmgard Seefried, Martha Rohs, Alda Noni, Anton Dermota, Erich Kunz und Paul Schöffler unter Karl Böhm, Regie Oscar Fritz. Schuh, in Dekorationen und Kostümen von Caspar Neher eine stark bejubelte Premiere im Redoutensaal und übersiedelte 1947 in das Theater an der Wien und zum ersten Mal nach Salzburg. So ging es jahrelang weiter. Die Aufführung übersiedelte in Salzburg vom Landestheater in den Residenzhof und bei Schlechtwetter in den Karabinierisaal und in Wien wieder an den Originalplatz zurück. An Besetzungsänderungen hörte man Dagmar Hermann als Dorabella, Lisa Ott und Rita Streich als Despina sowie in Wien Lisa Della Casa und später Elisabeth Schwarzkopf als Fiordiligi. Nach dem Abgang von Josef Krips dirigierte nur noch Karl Böhm das Werk, bis es im Vorjahr auch von Rudolf Kempe übernommen wurde. Gleich blieb die Regie, gleich blieb seit 1943 die Besetzung bei den Herren.
Das Publikum hätte ganz gerne eine neue Inszenierung gesehen, eine andere Besetzung gehört - aber das Publikum wurde nicht gefragt. Die Maßgebenden und die Presse fanden, es müsse alles beim Alten bleiben. Daher der Sturm im Wasserglas bei Bekanntwerden der neuen Besetzung. Diese ist keinesfalls willkürlich zusammenengagiert, wie von mancher Seite angenommen wurde, sondern (abgesehen von Christa Ludwig) die Besetzung der Piccola Scala im Mozartjahr, die von Guido Cantelli in fanatischen Proben zusammengeschweißt wurde.
Caspar Neher entwarf diesmal ein paar neue Kostüme für die Herren, steckte Don Alfonso im Gegensatz zur Rokokopracht der Damen und den weißen Zopfperücken der beiden Liebhaber in einen braunroten Frack mit dem hohen Kragen des beginnenden Aufklärungszeitalters und ließ ihn mit kurzem Haar und Zylinder gehen.
Leider war Franco Calabrese nicht imstande, der Partie jene Bedeutung zu geben, die wir durch Paul Schöfflers Darstellung gewohnt waren. Er spielte einen trockenen alten Intriganten in italienischer Buffomanier. Bedauerlicherweise war Calabrese auch stimmlich vollkommen unzulänglich und hat sich seit dem Gastspiel von Matrimonio segreto sich sehr verschlechtert.
Und nun zu den positiven Eindrücken, die nicht unerheblich überwiegen:
Auch Oscar Fritz Schuh hat überflüssiges Geblödel eliminiert, wobei ihm der Austausch der Besetzung sehr zustatten kam, da die in kalter Routine durch übertriebene Kasperlhaftigkeit erzielten Lacher von selbst wegfielen.
Besonders durch Elisabeth Schwarzkopfs ernstere, beseelte Auffassung lag ein Hauch von Poesie über dem Spiel, der zum Beispiel der Abschiedsszene und dem Quintett des ersten Aktes mehr tiefere Bedeutung und herzlicheres Gefühl gab, als man es gewohnt war. Aber nicht nur im Ernst der Liebenden, Verlassenen lag Frau Schwarzkopfs Stärke, sie spielte auch all ihren Charme und die vielen Nuancen bezaubernder Schalkhaftigkeit aus, die seit jeher ihre Stärke waren. Christa Ludwigs Dorabella ist der richtige Kontrast zur Schwarzkopf, schwankender in ihren Neigungen kostet sie der neue Liebhaber lange nicht so viele innere Konflikte, wie sie die seelenvolle Fiordiligi durchzustehen hat, noch mit welcher Pikanterie, mit welch leicht ironisierendem Charme macht sie das! Wie vollendet haben die beiden Sängerinnen auch ihre musikalische Linienführung einander angeglichen, wie ideal paßt der klare Mezzo Frau Ludwigs zur Silberstimme der Schwarzkopf. Graziella Sciutti war das reizvollste Kammerzöfchen, das je über die Bühne des Residenzhofes getrippelt ist. Ihr leichtes, süßes Stimmchen wird immer delikat und kultiviert eingesetzt, sogar in den Doktor- und Notarszenen, in denen sich manche Despina zum Outrieren verleiten ließ. Auch sie war eine Augenweide - es gab viele schöne Frauen in diesem Sommer auf den diversen Salzburger Opernbühnen!
Das eindrucksvollste an den beiden neuen Liebhabern Luigi Alva und Rolando Panerai war die mühelose Leichtigkeit, die Anmut, mit der sie ihre Partien sangen – Belcanto in allen Lagen. Es kam einem wieder einmal in den Sinn, daß Mozart seine italienischen Opern für italienisch geschulte Stimmen geschrieben hat und wie ganz anders es klingt, wenn der italienische Text auch von Italienern gesungen wird. Alvas leichte, helle, schmiegsame Tenorstimme mag man etwas unbewohnt empfunden. Keine Einwände gibt es jedoch gegen den kraft- und temperamentgeladenen, dennoch immer kultivierten Panerai, dem es gelang, lustig, ohne Wurstelhaftigkeit zu sein, der einen trotzdem durch überraschende neue Einfälle erheiterte und der wieder einmal eine Eifersuchtsszene hinlegte, die wie diejenige des Ford ganz ernst gemeint und gespielt, doch so hinreißend komisch wirkte - und der seine schöne Stimme immer mit Gefühl und Verstand einsetzte. Sein Zusammenspiel mit Luigi Alva ließ ebenfalls keinen Wunsch offen, denn auch der Tenor ist
ein ausgezeichneter Schauspieler mit gepflegtem und dezentem Humor, und so beteiligte sich auch einmal Ferrando aktiv am Spielgeschehen ohne immer (wie gehabt seit 1943) einige Sekunden später die Witze des Partners zu imitieren.
Es gab viel Heiterkeit in dieser Aufführung, die von Karl Böhm wieder in vollendeter Meisterschaft, wieder ganz konzentriert dem Werke dienend, leitete.
VANESSA ODER WARTEN AUF ANATOL
Der Künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele hat wohl an diesem Abend einige graue Haare mehr in seinem ihm ohnedies zu Berge stehenden Schopf bekommen, als er betrachtete, was ihm die Metropolitan Opera da ins Haus geliefert hatte. Zweifellos erscheint diese Geschichte rein musikalisch beim Studium der Partitur vorerst nicht so schrecklich und die zuerst vorgesehene Besetzung mit Sena Jurinac hätte die Angelegenheit auch etwas weniger peinlich gemacht.
Seit man sich auf Ur- bzw. Erstaufführungen festlegte, haben die Salzburger Festspiele mit den zeitgenössischen Werken wenig Glück gehabt, wenn man von der Antigone des stets interessanten und fesselnden Orff und natürlich von Wozzeck absieht
Gian-Carlo Menotti hat seine geschickt gemachten Stücke immer zu Erfolgen machen können, drei davon wurden selbst zu Wien aufgeführt. So verfaßte also Menotti neuerlich ein Textbuch und ließ die Musik von seinem Freund Samuel Barber schreiben, um diesem auch einmal zu einem internationalen Erfolg zu verhelfen. Barber hat sein Handwerk wohl studiert, ist renommierter College-Professor, seine Stücke fanden Anklang, sofern sie in Europa überhaupt gespielt wurden und hatten auch gute Kritiken, selbst in Wien. Um so mehr wird er sich jetzt wundern, geschieht ihm recht, warum muß er sich auf einem so heißen Boden erstaufführen lassen!
Cecil Beaton entwarf die Dekorationen und wir haben kaum jemals solch einen vollkommen ernstgemeinten, mongolischen Kitsch gesehen.
Inmitten dieses Kitsches sitzt Vanessa und wartet auf ihren Anatol. Kein Wunder, daß der kluge Mann auf und davon ist, bei diesem Haus mit diesen Bewohnern! Ganz abgesehen von der seit zwanzig Jahren in dunkelrotem Samt gekleideten Vanessa beherbergt das Haus noch die Mama, der ihre Familie derart auf die Nerven geht, daß sie permanent durch alle hindurchsieht – und schweigt. Kein Wunder, daß die Dritte im Bunde, die junge Erica, dem erstbesten normalen Mann, der ins Haus geschneit kommt, es ist Anatol jnr., an den Hals springt. Allerdings geht es dann nicht so normal und folgerichtig weiter. Schließlich bekommt die Alte – nicht die Junge (!) – den jungen Mann. Das ungleiche Ehepaar zieht nach Paris, und Erica wartet an Vanessas Stelle weiter.
Man bewundert den Mut der Autoren, so etwas auf die Opernbühne zu stellen, was nicht einmal für einen Heimatfilm geeignet wäre: Die super-naturalistische Holzschögel-Regie, (von Menotti selbst). Man stellt fest, daß die gut und gekonnte Musik trotz einiger bekannter Melodien mit Abstand das Beste an diesem Stück ist. Man bedauert ausgezeichnete Sänger wie Rosalind Elias, Giorgio Tozzi und Nicolai Gedda, wünscht Sena Jurinac heimlich Glück, daß dieser Kelch an ihr vorbeigegangen ist und bedauert, hören zu müssen, daß Eleanore Steber offenbar ihren Höhepunkt überschritten hat. Ira Malaniuk ist dazu verdammt, das Hauskreuz einer Nonna spielen zu müssen.
Dimitri Mitropoulos nahm sich des Werkes an, als wäre ein Stück von ihm. Schade, daß solch ein Künstler keinen besseren Geschmack hat.