DER SEPTEMBER 1959

4. Jahrgang, Heft 10

 

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 1. September

„Fanget an!"

Ausgepumpt von den Strapazen der Salzburger Festspiele kommen die Mitglieder der Wiener Staatsoper am 1. September an den heimatlichen Herd zurück – Probenarbeit für eine glanzvolle Eröffnung ist somit unmöglich. Man fängt halt irgendwie an. Die typischen „Saisoneröffnungsopern" für Wien (Fidelio, Don Giovanni und Meistersinger) sind zudem so miserabel inszeniert, daß eventuell entstehende Festesstimmung sofort wieder beeinträchtigt wird. Heuer waren es wieder, wie im Vorjahr, die Meistersinger, die den Auftakt geben sollten. Man hatte auch eine ausgezeichnete Besetzung dafür zusammengestellt, welche die Inszenierung wenigstens halbwegs vergessen hätte lassen sollen. Doch das Unglück schreitet schnell. Der vorgesehene Dirigent Joseph Keilberth, Opernchef in München, mußte dort selbst statt des erkrankten Fricsay im Figaro einspringen, und so war die Saisoneröffnung musikalisch bedroht, denn welcher Dirigent könnte in Wien schon einspringen? Hollreiser, Zallinger, Loibner....

Da tat Herbert von Karajan etwas, was ihm sicher wider den Strich gegangen ist und was er Zeit seines Lebens wahrscheinlich nur höchst selten getan hat. Er stieg in die verschlampe, seit einem halben Jahr nicht mehr gespielte und völlig ungeprobte Aufführung ein und ersetzte den Kollegen, der in Erfüllung seiner Chefes-Pflicht absagen mußte, nach echter, rechter Chefes-Sitte und ohne jede Eitelkeit! Die Herren Keilberth und Karajan haben so gehandelt, wie der vernünftig denkende und fühlende Stammbesucher es von den Chefs der Staatsopern München und Wien erwarten kann und muß. So gehört es sich!

Offenbar hatte sich die Gerüchteküche diesmal ruhig verhalten, denn niemand schien vor der Aufführung auch nur die geringste Ahnung vom Wechsel am Dirigentenpult zu haben. Als dann der gefürchtete „Scheinwerfer" aufflammte, gab es nur unfreundliches Geraune. Zur allgemeinen Überraschung erschien André Mattoni, Karajans rechte Hand, vor dem Vorhang, ohne daß eine Ahnung aufdämmerte. Mattoni genoß seinen Auftritt, teilte die Absage Keilberths mit und schloß mit der fanfarenhaften Ankündigung: „Es dirigiert: Herbert von Karajan!". Darauf gab es eine kurze Pause, da man das Gehörte überdenken mußte. Dann freilich machte das Publikum seiner Freude Luft.

Der Beginn der Meistersinger war durch allgemeine Nervosität auf der Bühne, im Orchester und im Zuschauerraum gekennzeichnet. Nur Herr von Karajan am Pult bewahrte offensichtlich Ruhe. Die Philharmoniker waren durchaus gewillt, alles zu geben, aber beim Vorspiel klappte es nicht. Der Klang war stumpf, die Instrumentengruppen fielen klanglich auseinander und Steigerungen und Höhepunkte fehlten. Murray Dickie, der sonst bombensichere David, war nicht gut bei Stimme und hing fortwährend in der Luft, auch Wolfgang Windgassen als Stolzing konnte sich zuerst mit Karajans raschen Tempi nicht befreunden. Das Meistersinger-Ensemble war schlecht wie immer und der neu engagierte Bassist Arnold van Mill, der doch sonst eine schöne, voluminöse Stimme hat, enttäuschte als Pogner sehr. Er war nicht wiederzuerkennen – wir haben ihn in schon früher in viel besserer Form gehört.

Die erste Bresche schlug da plötzlich Wolfgang Windgassen mit einem prächtig gesungenen „Stillen Herd". Dann folgte Eberhard Wächter mit einer herrlichen „Belcanto-Tabulatur", bei der er souverän das Tempo diktierte und Karajan ihn sorgsam begleitete. Und allmählich, mit dem Nachlassen der Nervosität, zog Karajan, der perfekte Psychologe, die Zügel an. Die herrliche Musik gewann Form und Gestaltung, Feuer und Brillanz. „Fanget an" und das Finale des ersten Aktes gelangen schon prächtig.

Der zweite Akt war der schönste, den wir in neuen Haus bisher gehört haben, was nichts gegen die Herren Keilberth und Kempe besagen soll, die die Aufführung ja auch ungeprobt übernehmen mußten!

Hier wuchsen der überlegene, prachtvoll singende Sachs von Otto Wiener und das innig herzliche Evchen der Sena Jurinac, deren Prachtstimme ein ganz neues und schönes dunkles Timbre bekommen hat, mit dem immer mehr in Fahrt geratenen Karajan am Pult und den herrlich spielenden Philharmonikern zu schönster Einheit zusammen. Das Resultat war echteste, blühende Romantik und eine selten erlebte Dichte der Atmosphäre – ein Jammer, daß die Inszenierung da absolut nicht adäquate war. So konzentriert, wie bei der Prügelfuge hat man Karajan noch kaum jemals erlebt. Er arbeitete wie ein Wilder, mit Händen, Armen, dem ganzen Körper und nicht zuletzt mit dem Kopf. Und so legte das Orchester eine exquisite, klare und harte Prügelfuge hin, bei der auch der Chor, etwas schwächlich zwar doch immerhin weit über seiner sonstigen Meistersinger-Form, gut mitkam.

Auch das Vorspiel zum dritten Akt, Wahnmonolog, Preislied und Quintett hatten Glanz und Stimmung, besonders durch die Kraft, Stimmschönheit und herzenswarme Klugheit des in dieser Partie wahrscheinlich derzeit besten Sachs Otto Wiener und trotz des Nachlassens des in bester Form begonnen habenden Wolfgang Windgassen und eines durch ihre übliche Quintett-Nervosität etwas geschärften „b" von Sena Jurinac.

Scheußlich klingen die Fanfaren der Festwiese durch die Lautsprecheranlage - unsere Bläser müßten doch eigentlich genug stark auf der Lunge sein, um ohne Verstärkung den Vorhang durchblasen zu können. Der Chor erwies sich für die Schlußszene leider zu klein und zu schwach und war der groß angelegten Konzeption Karajans eindeutig nicht gewachsen. Wie wäre es, wenn man einmal 250 Mann Singverein auf der Bühne postiert, statt der in drei Etagen aufgereihten, Fahnen und Blattwerk schwingenden Statisten? Selbst Karajan, der Zurückhaltende, kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus, ließ sich aber auch durch den Chor nicht behindern, die Aufführung im großen Stil zu Ende zu bringen.

Erwähnenswert ist noch, daß sich Beckmesser Karl Dönch unter des Chefs wachsamen Augen ungewohnter Zurückhaltung befleißigte und dadurch besser war als bei seinem sonstigen Klamauk, und daß sich die Magdalene von Hilde Rössel-Majdan über den langjährigen Durchschnitt erhob.

Der Jubel des Publikums galt natürlich in erster Linie dem Hans Sachs und dem Dirigenten, auf dessen erste geprobte Meistersinger man sich wahrlich jetzt schon freuen kann.

 

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 2. und am 4. September

Wie schnell der Zauber einer glanzvollen Premiere in eine alltägliche, fast uninteressante Aufführung hinübergleitet, demonstrierte zu unserem Leidwesen diese Aufführung, in der nur Giulietta Simionato und Wilma Lipp im alten Maßstab das Interesse des Publikums noch aufrechterhalten konnten. Das Übel begann schon mit Berislav Klobucar, dem wir bestimmt nicht sein Wollen absprechen, doch hielt das Wollen mit dem Können an diesem Abend nicht Schritt. Zugegeben, das Orchester war nicht in Laune, der Chor schien während der Festspielzeit den Text vergessen zu haben – von seiner derzeitigen stimmlich schwachen Verfassung ganz abgesehen. Beamte bleiben eben Beamte, was bei solchen, die doch Künstler sein sollen, deprimierend auffällt. Ein musikalischer Leiter darf jedoch nie resignieren. Berislav Klobucar tat es. Die grelle Musikpartitur Pietro Mascagnis verwandelte sich in seinen Händen zu einem Leierkastenreigen. Giulietta Simionato war die Santuzza, die mit ihrer Stimme Leidenschaft, Liebe und Haß bestens ausdrücken konnte. Was sie mit einem Minimum an Bewegung als Darstellerin erreichte, ist einzig dastehend. Leider hatte sie mit ihren Partnern wenig Glück. An diesem Abend sang Karl Terkal den Turiddu, unbeholfen wie immer und ohne die dazugehörige Dramatik. Walter Berry sang wie immer mit hinreißendem stimmlichen Einsatz. Rosette Andays Wunsch nächstes Jahr ihre jahrzehntelange Hauszugehörigkeit zu feiern ist verständlich. Unser Wunsch ist jedoch, endlich wieder jemanden als Mutter Lucia zu hören, der mit Stimme gesegnet ist. Lotte Rysanek gefiel durch ihr attraktives Aussehen und gute Ensembleleistung. Im Bajazzo hielt, wie schon erwähnt, Wilma Lipp das Premierenniveau. Ihre Darstellung ist vielleicht noch intensiver geworden und – zumindest gegenüber Eugene Tobins Canio, der wohl eine durchschnittlich gute Gesangsleistung mit kraftvollen Spitzentönen zu Gehör brachte – zur Hauptfigur des Dramas avancierte, denn Eugene Tobin ist nur Sänger und kein Gestalter. Die Tragik des Canio bleibt ihm letzten Endes fremd. Kostas Paskalis war ein rauher Tonio, dem es im Vortrag des Prologs nicht an musikalischer Auffassung fehlte, der jedoch Mängel an Tiefe und rein angesetzten Höhen bekundete. Claude Heater machte ihm (Silvio) an Rauheit des Organs Konkurrenz, während Murray Dickie als Beppo sehr zufrieden stellend war.

Am 4. September übernahm die Partie des Turiddu ein Gast: Arturo Sergi, doch erinnerte nur sein Name an einen Italiener. Man war erstaunt, daß ein Mann mit einer Riesengestalt eine so kleine Stimme besitzt, der spezielles Timbre und Durchschlagskraft fehlt. Welchen der beiden Turiddu man als Schauspieler den Vorzug geben sollte, bleibt dem Geschmack des Einzelnen überlassen. Wir fanden beide nicht in der Lage einen geeigneten Widerpart für die große Giulietta Simionato abzugeben.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. September

Die Realisierung dieser Oper durch das Team Karajan-Rennert ist vollkommen. Das nennen wir Mozartstil! Die Vorstellung trug noch dazu kräftige Züge von Probenarbeit, und so bereitete dieser elegant-wirbelnde und dabei doch mit Mozart Seele reich bedachte Abend ungetrübtes Vergnügen. Sena Jurinac packt die Gräfin jetzt ganz anders als früher an, sie hält die Stimme nicht mehr ängstlich zurück, sondern läßt sie strömen. Auch darstellerisch hatte sie ihrer Gräfin noch einige neue Glanzlichter Aufgesetzt. Eberhard Wächter sang und spielte den Grafen großartig, und lebendig. Auch die dramatische Konzeption der großen Arie, in der ihm früher die Schlußphrase einige Mühe machte, hat er sich jetzt völlig zu angeeignet. Hilde Güden ist eine charmante, jeglicher Übertreibung abholde Susanne mit imponierender stimmlicher Vollkommenheit. Wie wunderbar paßte auch ihr Silbertimbre zum dunklen Sopran der Jurinac im Briefduett, wie schwebend-gehaucht erklang das Duettino Cherubino-Susanna im zweiten Akt. Christa Ludwig sang die verzierte Fassung der Cherubino-Arie mit souveräner Stimmbeherrschung und schönem, metaIlischem Timbre und spielte einen echt wienerischen Pagen. Erich Kunz, unser Standard-Figaro, zeigte wieder alle seine Vorzüge. Die Herren Alois Pernerstorfer, Peter Klein und Ljubomir Pantscheff ergänzten die Besetzung trefflich, während Hilde Rössel-Majdan anfangs eher markierte. So gelang unter der Leitung von Herbert von Karajan ein großartiger Abend.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 4. September

wurde mit der Aufführung am 2. September besprochen.

 

AUCH EINE STRAUSS-FESTWOCHE

So ähnlich haben wir uns das vorgestellt. Wir haben in weit zurückliegenden Nummern des Merker die Verantwortlichen um eine zeitgerechte Planung für eine Strauss-„Fest"-Woche der Wiener Staatsoper kniefällig angefleht! Natürlich geschah nichts. Wir können uns diese „Festwoche" nicht anders erklären, als dadurch, daß für die italienischen und deutschen Aufführungen an der Wiener Staatsoper verschiedene Leute verantwortlich sind, die völlig verschiedene Maßstäbe haben! Aber einmal müssen doch die divergierenden Auffassungen

über Niveau in der Wiener Staatsoper auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden! Ein Beispiel: Frau Zadek ist nicht gut genug zum Einspringen als Tosca (ist sie ja auch nicht, im Vertrauen gesagt). Man holt sich dafür die an sich ja wirklich besser geeigneten Damen Roberti oder Curtis-Verna. Wer sagt allerdings, daß Frau Zadek für eine festliche Ariadne oder Chrysothemis gut genug ist? Weiters wurde auch die Bariton-Frage akut. Wo blieb ein wahrlich festlicher Mandryka oder Jochanaan? Herr Alexander ist bestenfalls Repertoire-Durchschnitt, Herr Uhde stimmlich trotz seiner imponierenden Persönlichkeit - auch nicht mehr.

Am traurigsten war allerdings das (letzte!) Dirigentenaufgebot. Herr von Karajan ist in die völlig verschlampten Meistersinger souverän hineingesprungen – er hätte das auch mit dem wesentlich besser sitzenden Rosenkavalier auch tun können. Man verzeihe uns die guten Ratschläge aber der Chef des Hauses hat noch immer keinen Strauss dirigiert, nicht einmal die typische Wiener Chef-Oper Rosenkavalier, die noch dazu gut besetzt war und dann von Herrn Hollreiser mißhandelt wurde. Oder: Der sogenannte Strauss-Apostel Karl Böhm hat es nicht der Mühe wert gefunden, an seinem Stammhaus auch noch eine andere Strauss-Oper als „seine" Frau ohne Schatten zu dirigieren, obwohl die Ariadne z.B. für den Abend vorher angesetzt war und der Rosenkavalier zwei Tage später! Die Elektra hätte eigentlich Dimitri Mitropoulos dirigieren sollen. Aber man wußte lange genug, daß er sich werde schonen müssen, und es spricht für die beamtenhafte Sturität der Verantwortlichen, daß ihnen sonst niemand als ausgerechnet Herr Hollreiser als Ersatz eingefallen ist. Herr Kempe, der prächtige Strauss-Dirigent, weilte gerade in Edinbourgh, um dort ausgerechnet Symphoniekonzerte zu dirigieren. Das hätte sich terminmäßig doch wirklich vereinbaren lassen. Etwas frühzeitiger natürlich, nicht erst am 25. August. Warum hat man sich nicht rechtzeitig etwa um die Herren Cluytens oder Rossi umgesehen, die in Konzerten einen so prächtigen Strauss dirigieren? Eine Salome oder Elektra müßte unter diesen beiden eine Ohrenweide sein. Und jetzt das Albernste: Es fiel niemandem ein, den ohnedies in Wien engagierten Lovro von Matacic, dessen Elektra fast allgemein als seine beste Leitung bezeichnet wird und der sowieso an 5. September mit seiner Münchener Festspieltätigkeit fertig war, für Strauss nach Wien zu rufen. (Beim Maskenball dachte man daran!) Einen Gast gab es zwar: Herrn Märzendorfer – aber den hätte man sich leicht sparen können.

ELEKTRA am 5. September

Sie bildete den Auftakt er Strausswoche unter der unpräzisen und bis zur Verzweiflung bekannten Leitung von Heinrich Hollreiser. Mittlerweile hat es sich so ziemlich herumgesprochen und bestätigt, daß er nicht der Mann ist, für den man ihn anfänglich gehalten hat, daß er die Erwartungen enttäuschte und weiterhin enttäuscht. Zumindest meistens, denn hin und wieder leistete er Gutes, was wir auch immer vermerkten. Trotzdem – wir hörten Herrn Hollreiser in der vergangenen Saison sechzig Mal (!), und zumeist waren ihm Aufgaben übertragen worden, denen er nicht gewachsen war. Christl Goltz in der Titelpartie bot nicht nur ihre gewohnte Leistung, sie wirkte auch ausgeruht, ihre Stimme klang klar und strahlend. Hilde Zadek hatte als Chrysothemis einen recht guten Abend, konnte allerdings im Kampf mit den von Holreiser angefachten Orchester-Klangmassen nicht bestehen. Jean Madeira als Klytämnestra leistete sich schauerliche Klangimprovisationen, während sie mit übersteigerten Gesten darstellerisch die Rolle verzeichnete. Sehr gut war Hermann Uhde als Orest. Auch das Mägdequintett konnte sich hören lassen.

ARABELLA am 6. September

Es dirigierte Joseph Keilbert, der seine oft gerühmte Interpretation wieder mit Meisterschaft zur Tat werden ließ. Mit Lisa Della Casa und Anneliese Rothenberger wurde die Aufführung zum Höhepunkt der Strauss-Repertoire-Woche. Lisa Della Casa wirkte zwar stimmlich etwas überanstrengt. (Sie hatte gerade in dieser Woche besonders viel zu singen und für die beiden Wiener Verpflichtungen wurde natürlich wieder einmal sehr spät angefragt!) Aber natürlich war sie trotz alledem eine bezaubernde, alle feinen Regungen dieser in unzähligen Facetten schillernden Figur voll ausschöpfende Arabella. Anneliese Rothenberger als Zdenka zeigte sich wieder von der allerbesten Seite, während der mit Eleganz und Intelligenz sich durch die Partie schwindelnde Carlos Alexander wohl nur jenen gefiel, die Fischer Dieskau nicht gehört haben. Ivo Zidek gefiel in der undankbaren „Wurzen" des Matteo, abgesehen von einem etwas verwackelten Ton, in jeder Hinsicht, während Karl Terkal nur stimmlich zufrieden stellte. Otto Edelmann und Elisabeth Höngen waren das prächtige, gräfliche Elternpaar, während sich die ansonsten todsichere Fiakermilli Mimi Coertse sehr schonte, verzeihlich, sang sie doch zum ersten Mal nach einer schweren Operation.

ARIADNE AUF NAXOS am 7. September

Diese Aufführung war fast unverzeihlich. Michael Gielen wurde dieses Stück wieder einmal für seine Dirigier-Lernstunden zur Verfügung gestellt. Wir haben im Laufe der Jahre schon einige katastrophale Dirigentenleistungen miterlebt, aber wir sagen es frei heraus: Niemals noch haben wir einen so absoluten Tiefpunkt einer Dirigentenleistung erlebt wie den Auftritt des Bacchus, der auf ganz grauenhafte Weise vernebelt wurde. Im Vorspiel ließen sich die Sänger durch die Einwirkung des Herrn Gielen nicht sehr stören. Aber die Oper! Gielen kennt kein goldenes Mittelmaß. Sogar bescheidenes Sängerbegleiten, auf das die Dirigiertätigkeit von Nicht-Persönlichkeiten doch meistens hinausläuft, ist ihm absolut fremd. Entweder er hetzt die Sänger zu Tode oder er schleppt, daß den Armen ebenfalls die Luft ausgeht. Hilde Güden tut sich mit der Zerbinetta-Arie nicht mehr so leicht wie vor zwei, drei Jahren, obwohl sie natürlich alles hat. Die Stimme ist doch schon zu lyrisch geworden. Trotzdem bleibt ihre Technik und Stimmbeherrschung bewundernswert. Auch ist sie bezaubernd anzusehen und brilliert besonders im Vorspiel, das bei den anderen Zerbinettas öfters fast unter den Tisch fällt. Christa Ludwig sang den Komponisten, und es ließ sich bei dieser stimmlich und technisch hervorragenden Sängerin erneut feststellen, daß der Komponist keine Mezzopartie ist, weil die zarten, subtilen Piano-Stellen eher leichte, lyrische Stimmen verlangen. Ivo Zidek, der Brave und Verläßliche, sang einen überraschen guten Bacchus. Die geringfügigen Unebenheiten gehen hauptsächlich auf Gielens Konto, der ihn unmittelbar vor seiner schwersten Stelle im Duett gehörig aus dem Tritt brachte. Hilde Zadek ist eine ganz durchschnittliche Repertoire-Ariadne, wurde jedoch von Herrn Gielen durch die unsinnigen Tempi bei ihrem großen Monolog noch sehr stark belastet. Erich Kunz ist als Harlekin nicht mehr gut. Murray Dickie, Kurt Equiluz und Ljubomir Pantscheff (abgesehen von der Höhe) waren die stimmlich guten und einfallslos herumhüpfenden weiteren Mitglieder des Buffoquartetts. Anneliese Rothenberger führte sicher das Nymphentrio. Paul Schöffler als Musiklehrer beherrschte das Vorspiel.

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 8. September

stand unter der Leitung von Karl Böhm. Was die Philharmoniker unter seiner Leitung in dieser Oper leisteten, ist wahrscheinlich in der ganzen Welt einzig dastehend. Es war ein Schwelgen im Strauss’schen Orchesterklang, ein Fest des Klanges. Das Kaiserpaar: Maud Cunitz aus München und Walter Geisler aus Hamburg zeigten, daß sie mehr zu leisten vermögen, als es in den vergangenen Aufführungen den Anschein hatte. Großartig wie immer Elisabeth Höngens Studie der Amme. Christl Goltz und Paul Schöffler als Färberpaar imponierten wieder durch klug geführte Stimmen und großartige Darstellung. Im Schlußquartett gingen die Solisten jedoch in den aufrauschenden Orchesterwogen unter. Edmond Hurshell als Geisterbote klang leider noch immer unkultiviert, während die drei Wächter der Stadt sich schließlich doch, trotz eines kleinen Unfalles, auf ihren Posten zurechtfanden. Nicht endenwollender Beifall dankte dem Dirigenten, den sich bis zum Äußersten bemühenden Sängern und Richard Strauss, in dessen Gedenken diese musikalisch herrliche Aufführung stand.

TOSCA am 9. September

wurde nach der Strauss-Woche besprochen

DER ROSENKAVALIER am 10. September

Das Plus dieser Vorstellung und die angenehme Überraschung des Abends war der restlose Einsatz aller Ausführenden. Dies fiel besonders bei Heinrich Hollreiser auf, der wohl einige „Schwimmpassagen" nicht vermeiden konnte, davon abgesehen sich aber mit Erfolg um Kultur bemühte und das Orchester stellenweise bis zum pp dämpfen konnte. Das Frauenterzett Lisa Della Casa, Christa Ludwig und Hilde Güden bewies eine hervorragende Leistung. Lisa Della Casa wächst in die Partie der Marschallin immer mehr hinein. Hilde Güden erreichte ihren Höhepunkt erst im dritten Akt. Auch an dem Lerchenauer Otto Edelmanns war diesmal nichts auszusetzen. Mit stimmlicher Kraft und ohne darstellerische Übertreibungen konnte er überzeugen. In den kleineren Partien erfreuten durchwegs Anton Dermota, Erich Kunz, Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein.

SALOME am 11. September

Die letzte der „Fest"-Aufführungen zur Feier von Richard Strauss’ zehntem Todestag war diese Oper. Von einer festlichen Salome konnte allerdings keine Rede sein. Man kann, das Resümee vorausnehmend, die Aufführung im Ganzen als höchstens brav bis mittelmäßig (mit einzelnen noch darunter liegenden Teilen) klassifizieren. Die musikalische Leitung hatte Ernst Märzendorfer. Er ließ erkennen, daß er durchaus erfreuliche Beziehungen zur musikalischen Welt Richard Strauss’ hat, wenn seine Arbeit an der Salome auch noch nicht zu einem auch nur einigermaßen ausgereiften Ergebnis geführt hat. Neben einem gedämpften Beginn, klar und durchscheinend, und einem trotz leicht übersteigerter Lautstärke recht imposanten Jochanaan-Auftritt steht ein ziemlich diffuses Judenquintett und ein zwar lauter, aber nicht ausgewogener Schluß. Im übrigen merkte man einige Male genau das „Umschalten" von lyrisch auf dramatisch, von gedämpft auf übersteigert, sodaß die Salome, die man an sich wohl als Stück aus einem Guß bezeichnen kann, künstliche Zäsuren aufwies. Die Orchesterbeherrschung des Dirigenten ist hinreichend, aber nicht frei von Mißverständnissen (Holzbläser!). Auch mit der Bühne gab’s mitunter Differenzen. Christl Goltz hatte in der Titelrolle stimmlich nicht gerade ihren besten Tag. Trotz streckenweise hörbarem Sparen ging sich’s gerade noch mit der Kraft aus, die Schwierigkeiten in der Höhe – immer an denselben Stellen – werden allmählich fühlbarer. Ihre Gestaltung der Partie ist eindrucksvoll, aber trotz der bekannten Hektik in Gefahr zu erstarren. Hermann Uhde stellte einen energiegeladenen, niemals passiven, sondern von heiligem Eifer erfüllten Propheten auf die Bühne, dem man ansah, daß ihm nur die Mittel, nicht aber der Wille fehlten. Vor allem in der Höhe muß man für ihn zittern. Er bringt es aber fertig, mit ungeheurem Einsatz und einem faszinierenden Ausdruck über sich selbst hinauszuwachsen. Max Lorenz bot durch Mimik, Geste und Bewegung eine Charakterstudie des Herodes, von der etliche noch heute einiges lernen könnten, doch mit der stimmlichen Leistung ist es nun leider wohl vorbei. Stimmlich untadelig war einzig Anton Dermota (Narraboth), schön, aber etwas zu wenig intensiv Walter Kreppel (Nazarener), völlig richtig – und das ist sehr wichtig, denn es hält das Quartett zusammen – Peter Klein (1. Jude). Weiters fiel noch der Page von Margareta Sjöstedt angenehm auf.

 

TOSCA am 9. September

Das einzige Auftreten von Renata Tebaldi, die alle anderen Abende absagte, bewies, daß sie sich in einer Krise befindet. Sie schien sehr nervös und wenig selbstsicher zu sein, was sich am Ende des zweifellos schön gesungenen Gebetes bereits in der leicht vibrierenden Schlußphrase äußerte. Die Mittellage der Stimme war herrlich wie einst, ebenso die Tiefe, die an Volumen zugenommen hat. Aber mit den Höhen war es traurig bestellt.

Dagegen war Tito Gobbi in prächtiger Verfassung. Man hörte deutlich heraus, daß sein Name auf den diversen Festspielprogrammen in diesem Sommer gefehlt hat. Es war der alte Gobbi, wie wir ihn bei der Premiere vor zwei Jahren ins Herz geschlossen haben. Neben seiner im Tedeum mühelos über das Orchester strömenden Stimme imponierte er besonders im zweiten Akt, in welchem er nicht nur der große Singschauspieler war, sondern auch mit seiner Stimme eine ganze Palette gesangstechnischer Kunststücke den verblüfften Hörern darbot. Interessant, wie dieser große Künstler seine Gestaltung jeweils seinen Partnern und der musikalischen Auffassung anpaßt. Eugenio Fernandi, in seinem Spiel nur wenig Ähnlichkeit mit einem Maler habend, sang sehr schön die erste Arie des Cavaradossi, verfiel dafür beim „Vittoria" in seinen alten Fehler des Brüllens, sodaß man regelrecht Angst für seine Halsadern bekam. Bei „E lucevan le stelle", das er mit gutem Piano begann, brachte er sich im zweiten Teil abermals durch die erwähnten Brülltöne um die Wirkung und um den Applaus.

Am Pult stand Herbert von Karajan, der intensiv und präzise Puccinis Effekte großartig und spannungsgeladen zur Explosion brachte.

Die von Kritikern und Modernisten so sehr geschmähte Tosca hielt die Zuhörer so sehr in Bann, daß nach Fallen des Vorhanges der Jubel kein Ende nehmen wollte.

Am 10. und 11. September: Aufführungen der Strauss-Woche

TRISTAN UND ISOLDE am 12. September

stand unter Herbert von Karajans Leitung. Seine groß angelegte Interpretation hatte – wie immer – fast symphonischen Charakter, und die Sänger taten sich teilweise schwer. Karajan ist doch ein Meister im Herausarbeiten der Stimmen, und die von ihm dirigierten Werke sind in höchstem Masse klar und durchsichtig.

Wenn die Sänger (besonders wenn sie weiter rückwärts postiert sind, wie im Liebesduett) trotzdem gedeckt werden, so muß man einmal etwas dagegen unternehmen. Es gibt in keinem Opernhaus, das wir kennen (und wir kennen deren mehrere) mit einem derart hoch liegenden Orchesterraum wie in Wien, der offenbar bei großer Orchesterbesetzung unbedingt um einen Meter versenkt gehört. Das wird sich doch irgendwie machen lassen!

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß Karajan auf Martha Mödl besonders im ersten Akt viel Rücksicht nahm. Sie gingen mit intuitiver Sicherheit aufeinander ein, und Frau Mödl entwickelte eine subtile Feinheit und Differenzierung im Ausdruck, die sehr eindrucksvoll wirkte. Wolfgang Windgassen war im ersten Akt im Takt nicht ganz sicher und hielt im Liebesduett zurück, sang aber dafür einen ungeheuer intensiven dritten Akt, den Martha Mödl mit einem wunderbar verklärten Liebestod krönte. Gottlob Frick sang einen

prachtvollen Marke und bot eindeutig die geschlossenste stimmliche Leistung des Abends. Hilde Rössel-Majdan zeigte sich als Brangäne sehr verbessert. Paul Schöffler war stimmlich in bester Verfassung und imponierte durch die Ausstrahlung seiner großen Persönlichkeit, die aus dem treuen Kurwenal eine Gestalt voll Kraft und Leben formte. Hermann Uhde war wieder der ausgezeichnete Melot.

Das Orchester spielte herrlich – es ist schwer, für den Tristan der Wiener Philharmoniker unter Karajan genügend Superlative zu finden.

AIDA am 13. September

Renata Tebaldi, auf die das Programm des Monats September abgestimmt war, hat die Wiener Oper in eine schöne Patsche gebracht! Sie sang von vorgesehenen sieben Abenden nur einen. So hörte man in ihren vorgesehenen Rollen alle möglichen Nachfolgerinnen. Die erste in der Reihe war die Gloria Davy, eine farbige Sängerin, die wir aus dem Konzertsaals bereits kennen. Sie hielt sich gut und gefiel. Ihre Stimme ist zwar nicht so wunderbar wie die ihrer Kollegin Leontyne Price, auch ihr Spiel ist äußerlicher, aber ihre Technik ist überlegen. Geschmack und Musikalität hat sie in hohem Maße und mit ihrer Gestaltung vermag sie, zu fesseln, wenn auch nicht zu faszinieren. Faszinierend ist Giulietta Simionato, wann immer sie die Bühne betritt – auch an diesem Abend war ihre Amneris hinreißend gesungen und erlebt. Carlo Bergonzi ist lyrischer, als der Radames gemeinhin zu sein pflegt, und diese Rolle ist ein Grenzfall für ihn (Alvaro, Gabriele im Simone, Carlos, Richard, das müßten die Bergonzi-Partien sein), denn er ist der typische Fall eines kultivierten Tenors. Das zeigte sich schon in seiner wunderschön gesungenen Romanze. Seine ausgeglichene, durchgebildete, schön timbrierte Stimme macht es vergessen, daß er (speziell im Finale des Triumphaktes) nicht hörbar war, und auch die Gerichtsszene und der Nilakt hätten kräftiger sein können – aber wir kommen noch darauf zurück. Das Schlußduett sang er mit wunderbarem Piano so schön wie kaum ein Radames-Kollege. Übermäßig ausdrucksstark ist sein Spiel nicht gewesen, aber immerhin wirksam.

Tito Gobbi befindet sich in prächtiger stimmlicher Form und war als Amonasro um Klassen besser als bei seinen enttäuschenden Abenden im Juni. Agostino Ferrin, der Gast-König, sang ebenfalls kultiviert, und Walter Kreppel hat als Ramphis sehr gewonnen – er singt viel offener, mit mehr Kraft, die Stimme wird wesentlich breiter. Er muß seine Gesangstechnik ziemlich umgekrempelt haben. Gerda Scheyrer fügte sich als Priesterin gut in den Rahmen der Aufführung ein.

Am Pult stand Herbert von Karajan. Da er die Oper mit den Wiener Philharmonikern und einem Großteil des auf der Bühne versammelten Ensembles auf Platten aufnahm, mußte er sich nicht auf Kleinigkeiten konzentrieren. Er begann mit feiner kultivierten Gestaltung, doch dann passierte es ihm, daß er sich selber durchging. Das haben wir von ihm eigentlich noch nie gehört. Man entdeckt im Repertoirebetrieb doch auch an Karajan immer Neues. Er knallte eine dramatische, harte, grelle Aida hin und wurde von dem jungen Musiker, der das Becken schlug, noch darin unterstützt. Auch Nilakt und Gerichtsszene waren auf diese Art dramatisch, laut, ja von steter Explosionsgefahr erfüllt. Aber, aber Maestro! Was ist denn da in Sie gefahren! Für diese Art von Aida hätten wir die Nilsson, Protti und Usunow haben müssen. Für die Linien-Sänger Davy, Bergonzi und Gobbi war das nichts. Nur der göttlichen Simionato machte die entfesselte Klangflut im Orchester nicht das Geringste.

DON GIOVANNI am 14. September

Eine interessant besetztes Werk wurde von Heinrich Hollreiser am Boden zerstört! Wir sind der ewigen Wiederholungen schon langsam müde. Die gastierende Joan Sutherland aus London erwies sich in der Partie der Donna Anna als perfekter dramatischer Koloratursopran. Sie brillierte besonders in der zweiten Arie, setzte aber ihre schlanke, kühle, klare Stimme auch im ersten Akt auf das Geschickteste ein. Hilde Güden sang die Zerlina natürlich wunderschön – wie immer, während Gerda Scheyrer als Elvira sich besonders mit den Arien und einigen hoch liegenden Ensembles (Maskenterzett) überfordert zeigte. Eberhard Wächter und Walter Berry beherrschten die Bühne als Herr und Diener und sangen beide prächtig. Anton Dermota hatte einen unglücklichen Tag. Die erste Arie sang er zum Beispiel vom Anfang bis zum Ende vollkommen zu tief. Walter Kreppel war ein stimmlich stark gewachsener, ausdrucksvoller Komtur und Kostas Paskalis versuchte sich als Masetto. Er hat offenbar solchen Respekt vor dem Wiener Mozartstil, daß er sich kaum getraute, überhaupt Stimme zu geben. Der Korrepetitor, der die Partie auf diese Weise mit ihm studiert hat, gehört offenbar zum Ballett, denn vom Singen versteht er nichts. Aber Paskalis soll die Partie nur öfter singen. Er wird schon selbst dahinter kommen, wie viel Stimme er zu geben hat!

DON CARLOS am 15. September

An diesem Abend stand Don Carlos am Programm, dessen unglückselige Inszenierung und verfehlte Regie das Gelingen eines außergewöhnlichen Abends stets verhindern. Uns war es daher verständlich, daß Alberto Erede lustlos am Werk zu sein schien und lange nicht die von ihm gewohnte Leistung bot. Die Besetzung wies zwei Glanzlichter auf: Giulietta Simionato, die nach etwas schwächerem Beginn mit ihrer großen Arie den Erfolg des Abends für sich buchen konnte und ebenso ausgezeichnet Ettore Bastianini, der nach anfänglichen Intonationsschwierigkeiten mit strahlenden Spitzentönen aufwartete und allerbesten Eindruck hinterließ. Hermann Uhde stellte einen schauspielerisch ideal durchdachten Philipp auf die Bühne. Er ist einer der wenigen, die sich nicht nur mit den stimmlichen Anforderungen der Partie auseinandersetzen. Gesanglich hielt er leider nur bis zu seiner Arie durch, dann starb er in Schönheit. Eugenio Fernandi bewegte sich auf der Szene so herum, wie es dem Infanten von Spanien nicht zugebilligt werden kann. Er wirkte manchmal sogar leicht vulgär. Außer glanzvollen Höhen, die leider wieder meistens gebrüllt waren, zeigte er ansonsten nicht allzu viel. Hilde Zadek war die farblose Elisabeth und Nicola Zaccaria als Großinquisitor sang zu oft falsch, Franz Bierbach als Mönch selten richtig! Endloser Jubel für Giulietta Simionato!

TOSCA am 16., 21. und 24. September

gab es – vor allem durch die Absage von Renata Tebaldi – in verschiedenen Varianten. Ihnen gemeinsam war die musikalische Leitung durch Dimitri Mitropoulos, der dieses Werk sehr breit und trotzdem sehr dramatisch, sehr feurig, sehr intensiv dirigierte und aus der Musik ein Maximum an Ausdruck herausholte.

Am 16.2. sprang Margherita Roberti als Tosca ein. Sie hat eine eher kühle, schlanke, nicht unbedingt als italienisch zu bezeichnende Stimme, obwohl sie in Italien alle großen Partien ihres Faches singt. Ganz große Persönlichkeit ist sie natürlich keine, aber das, was sie macht, macht sie geschickt und routiniert.

Giuseppe di Stefano sang einen Cavaradossi, den man nur in den höchsten Tönen preisen kann. Seine Goldstimme hat sich an die etwas gröbere Behandlung, die durch die dramatischen Rollen selbstverständlich gegeben ist, offenbar gewöhnt - sie hat jetzt auch in vollem Einsatz ihre einmalige Schönheit. Und die Pianissimo-Feinheiten in der Sternenarie sind geradezu atemberaubend. Obwohl er uns durch Absagen weidlich ergrimmt hat, können wir ihm nicht allzu lange böse sein, wir schlucken alle seine „Mucken", denn er ist einmalig. Wo gibt es noch einen Tenor, der eine so herrliche Stimme, eine solche Technik, solchen Ausdruck und solches Spiel vereint und dabei noch großartig aussieht.

Tito Gobbi war ein stimmgewaltiger, mit ungeheurer Bühnenwirksamkeit ausgestatteter Scarpia. Er zeigte eine bis ins kleinste Detail überzeugende Studie eines ganz großen Menschengestalters.

Am 21.9 sprang kollegialerweise Birgit Nilsson ein, obwohl sie den Abend vorher gesungen hatte und triumphierte mit ihrer einmaligen Prachtstimme, wenn auch das Spiel etwas konventionell blieb. Eugenio Fernandi war in guter Form, benahm sich aber auf der Bühne ziemlich ungeschickt. Das war interessanterweise bei Ettore Bastianini nicht der Fall, von dem man eigentlich angenommen hatte, er werde vollständig farblos sein. Doch dies war er absolut nicht. Von Gestaltung in Sinne eines Gobbi, Hotter, London oder Schöffler war natürlich nicht die Spur zu sehen. Aber er wirkt bei alledem keinen Moment ungeschickt, ja nicht einmal unbeteiligt. Er spaziert dekorativ über die Bühne, macht einige wirksame Handbewegungen und schlägt sogar in einem ungewohnten Anfall von Temperament mit der Faust auf den Tisch. Und er singt den Scarpia, ohne mit der Wimper zu zucken, ja ohne den Mund nur ein wenig weiter aufzumachen. Er singt ohne einen einzigen Brüller, er ist ein Belcanto-Scarpia. Und er stirbt auch sehr eindrucksvoll, wenn auch wenig oder gar nicht dämonisch. Aber das stört selbst den anspruchsvollen Besucher nicht, denn dieser ist in den Wohlklang von Bastianinis männlich-schöner, großer, weicher und doch tragfähiger Stimme förmlich eingewickelt.

In der Tosca am 24. September sang wieder Ettore Bastianini, der stimmlich womöglich noch besser war als beim ersten Mal und auch im Ausdruck einige neue Nuancen brachte. Daneben gab es eine ausgefallenen Gästebesetzung: Maria Curtis-Verna in der Titelrolle und Roberto Turrini als Cavaradossi. Der Sopranistin Organ ist dunkel timbriert, etwas kehlig, und die Spitzentöne bohrt sie ein wenig an. Roberto Turrini ist ebenfalls gute zweite Garnitur.

DIE ZAUBERFLÖTE am 17. September

unter Karl Böhm, mit Mimi Coertse, Hilde Güden, Waldemar Kmentt, Walter Kreppel und Erich Kunz wurde nicht besprochen.

EIN MASKENBALL am 18. September

An diesem Abend schwelgten wir in wahrer Festesfreude. Die Besetzung lautete: Birgit Nilsson, Erika Köth, Giuseppe di Stefano und Ettore Bastianini. Man kann darüber streiten, welches Giuseppe di Stefanos beste Partie ist. Sicher jedoch ist, daß derzeit kein Tenor in der ganzen Welt lebt, der es ihm als Riccardo auch nur annähernd gleichzutun imstande wäre. Das ist wahrhaftig eine Attraktion, ein Ohrenschmaus, bei dem der Zuhörer den Atem anhält, und aus dem ungläubigen Staunen nicht herauskommt. Da singt Birgit Nilsson eine Amelia, die vollendet ist, die nicht nur bei der ersten großen Arie und dem Duett hinreißt, nein – diese Amelia ist ebenso bestechend vorhanden in den prachtvoll gesungenen Phrasen des Ulricaaktes. Wie sie mit einer Kadenz in der zweiten Arie aufwartet, deren wie ein silberner Glockenton gesungenes Ces es geradezu unwahrscheinlich erscheinen läßt, daß eine Hochdramatische mit diesem Heldensopran über derartige, geradezu instrumentale Feinheiten verfügt. Ein Ettore Bastianini, der zu Beginn immer wirkt als wäre der erste Akt für ihn gerade das Richtige, um sich einzusingen, legt dann in seiner großen Szene mit soviel makelloser Schönheit an Klang und Ausdruck los, daß er damit das bestimmt nicht leicht zu bestechende Stammpublikum restlos bezaubert und die Kritik verstummen macht. Erika Köth singt ihren Part mit bewundernswerter Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit. Nur Jean Madeira fällt aus diesem Rahmen und langsam tut sie dies nun schon etwas zu oft. Die Sängerin erhielt eine fünfundzwanzigprozentige Gagenerhöhung, bei der Carmen, die ohnedies mit Sonderhonorar entgolten wurde, macht somit nun die Erhöhung 40% aus. Womit will sie nun diese Mehrbezahlung künstlerisch rechtfertigen? Ihre laufenden gesanglichen Unsauberkeiten, geschmissenen Höhen, unkultivierten Töne und die Gesten „made in Hollywood" kommen der Wiener Staatsoper reichlich teuer! Lovro von Matacic lieh der Aufführung sein bekanntes, überschäumendes Temperament, geballte Dramatik, Lust und Schmerz in sinnenhafter Fülle.

LA TRAVIATA am 19. September

Bei dieser Aufführung zeigte Alberto Erede eine sichere, schwungvolle Leitung. Hilde Güden war die schon allseits bekannte und oft in Rezensionen gewürdigte Violetta. Diesmal standen ihr neue Partner gegenüber. Eugenio Fernandi als Alfredo erzielte hier den besten Eindruck und übertraf damit seine anderen Partien. Er bemühte sich um kultivierten Gesang. Er verzichtete auf das bei ihm sonst schon zur Manie gewordene Forcieren und erreichte dadurch Entfaltung und Schönheit der Stimme. Jetzt wär’s Zeit, daß er auch einmal lernt, wie man sich mit Kultur auf einer Opernbühne bewegt. Kostas Paskalis war ein sicherer Vater Germont, dessen rauhe Stimme für die Partie zwar nicht prädestiniert ist, aber geschickt eingesetzt wurde.

EIN MASKENBALL am 20. September

Welch jäher Wechsel aber geschah an diesem Abend nach der herrlichen Aufführung zwei Tage zuvor? Giuseppe di Stefano sagte ab. Ein Grund zum Ärger, sicherlich, aber doch um Himmelswillen kein Grund, das Niveau der Staatsoper Wien deshalb so herunterschrauben zu lassen, daß es – musikalisch gesehen – weit hinter St. Pölten rangierte. Wir haben nun in dem so geliebten Haus am Ring schon manches Bittere im Laufe der Jahre serviert bekommen, aber seit wir die Oper besuchen und dies ist nun immerhin schon zwanzig Jahre her, hörten wir noch niemals einen Sänger, der seine Partie so improvisierte, wie Aldo Bertocci, der als Riccardo einsprang. Bisher wagte es auch noch niemand, auf der Bühne der Staatsoper Wien aus dem Klavierauszug zu singen, wie Aldo Bertocci in seiner Romanze, das Duett seiner Partnerin so gut wie allein zu überlassen und örtlich völlig desorientiert (Ulrica-Akt) über die Szene zu wandeln, es den Kollegen anheim stellend, mit aller Gewalt ein endgültiges Debakel zu verhindern. Es gab nur einen einzigen Lichtblick in dieser Aufführung: die Szene Renato-Amelia und die anschließende Verschwörung samt Oscars Auftritt. Denn da blieb uns Riccardo gottlob erspart. Hier hörte man auch endlich wieder, daß die Wiener Philharmoniker unter der Leitung eines Dirigenten von Format spielen, doch währte dieses Aufatmen und die eben aufgekommene Stimmung im Zuschauerraum ja leider nur bis zum nächsten Aktbeginn. Daß Riccardos „Addio" im Finale dem Publikum vom Souffleur zur Kenntnis gebracht wurde, erweckte Heiterkeitsstürme auf der Galerie, die sich in den Galgenhumor gerettet hatte. Fazit des Abends: deprimierend! Absolut nicht deprimiert wirkte ein Herr aus dem Generalsekretariat, der in der Loge Platz genommen hatte. Als Meistertelefonist bei Jung und Alt im ganzen Land bekannt, erschien er eher zufrieden damit, daß dank seiner hingebungsvollen Tätigkeit dieser Abend überhaupt stattfinden konnte, und beruhigt darüber, daß es zu keinem „Skandal" kam. Denn Skandal bedeutet für einige Leute des Generalsekretariates nach wie vor nur der Tumult im Zuschauerraum, nicht aber die Katastrophe auf der Bühne! Im Übrigen können wir hinzufügen, es gab nicht deshalb keinen Skandal, weil er nicht am Platze gewesen wäre oder deshalb, weil jene „Tabulatur", die das Mitbringen von Hunden und Katzen untersagt, auch Mißfallenskundgebungen verbietet, es fürchtet sich aber keiner, und um einen Opernskandal zu verhindern, würde selbst der Einsatz des Bundesheeres nicht ausreichen (dies nur nebenbei!). Er fand einzig und allein deshalb nicht statt, weil Birgit Nilsson und Ettore Bastianini so sehr und so ganz ihr Letztes gaben und mit allen Mitteln versuchten, das Debakel auszugleichen, daß man darüber einfach nicht hinwegsehen konnte. Noblesse oblige – zumindest noch immer auf der Galerie! Lovro von Matacic am Dirigentenpult tat den Abend über nichts mehr anderes, als das vorzeitige Fallen des Vorhanges zu verhindert, auf Riccardo zu warten oder ihm nachzulaufen und dem Ausbrechen musikalischer Panik vorzubeugen. Wahrscheinlich hätte nicht jeder dieses Kunststück überhaupt vollbracht.

TOSCA am 21. September

wurde zusammen mit der Aufführung am 16. September besprochen.

DIE ZAUBERFLÖTE am 22. September

Eine gute Aufführung dieses Werkes konnte man an diesem Abend hören, die Karl Böhm leitete und alles hatte, was der Salzburger Festspielaufführung fehlte, obwohl sie nicht ganz so exakt und präzise und um einen Gedanken weniger sauber war als die George Szells. Aber es geht halt doch nichts über einen berufenen Mozartdirigenten, der nicht nur die Musik schön aufführt, sondern auch Stimmung und Atmosphäre zu erzielen imstande ist. Hilde Güden und Waldemar Kmentt sangen Pamina und Tamino, Hilde Güden mit erlesenem Stimmwohlklang und feiner Schattierung, Waldemar Kmentt, dessen beste Partie der Tamino zweifellos ist mit gut geführter Stimme und angemessenem Ausdruck. Walter Kreppel war wieder ein hervorragender Sarastro, in Gesang, Sprache und Erscheinung gleich vortrefflich. Walter Kreppel ist eines der wertvollsten Neuengagements der letzten Zeit. Erika Köth sang gut, verpaßte aber einen Texteinsatz. Erich Kunz war als munterer Papageno-Kasperl zu hören. Kurt Equiluz, der sich als sehr verwendbar erweist, sang einen sauberen Monostatos. Darstellerisch war er natürlich eine Klein-Kopie (aber eine gute!). Paul Schöffler gab den Worten des Sprechers Gewicht und Bedeutung. Indiskutabel sang das Damenterzett Hilde Zadek, Elisabeth Höngen, Georgine Milinkovic und Emmy Loose ist der Papagena nun auch schon einigermaßen entwachsen.

RIGOLETTO am 23. September

Wieder stand Ernst Märzendorfer am Pult, dessen Gasttätigkeit bei uns nun chronisch zu werden scheint. Er beherrscht die Partitur, aber er verfügt über keinerlei Temperament, und - anscheinend um diesen Mangel zu verdecken – verfällt er in die extremsten Tempischwankungen. Er wird beispielsweise so langsam, daß sogar einem Ettore Bastianini die Luft weg bleibt, und anderenteils so schnell, daß die Sänger gezwungen sind halbe Silben zu verschlucken. Ernst Märzendorfer gibt zwar jeden Einsatz, aber er ist nicht in der Lage, das richtige Gleichgewicht zwischen den Orchesterstimmen herzustellen und die Fortissimo-Lust unserer Bläser weise zu beschränken. Hilde Güden war eine ausgezeichnete Gilda. Besonders in der Stretta zeigte sie eine großartige Disposition. Ettore Bastianini beglückte und bestach wie immer durch sein einmaliges Timbre in allen lyrischen Passagen dieser Partie. Dort wo er sich zum ‚Loslegen’ veranlaßt sieht, schleichen sich Schönheitsfehler in der Intonation ein. Gianni Raimondis Herzog war ganz auf Nummer sicher ausgerichtet. Jean Madeira spielte die Maddalena so, als ob sie sich damit für ein Engagement im Moulin Rouge bewerben wollte. Gesanglich lieferte sie mehrere Male Eigenproduktion, die nur sehr entfernt mehr von Verdi entlehnt schien. Ludwig Welter konnte den Monterone nur mit wenig Höhe ausstatten und Walter Kreppel triumphierte über seine Vorgänger mit spielender Leichtigkeit, wenn er auch ein Sparafucile deutschen Gepräges ist.

TOSCA am 24. September

wurde zusammen mit der Aufführung am 16. September besprochen.

CARMEN am 25. September

Wir besuchten eine geschlossene Vorstellung, in der uns verschiedenes interessierte. Nicht die zerfahrene musikalische Leitung Berislav Klobucars zwar, auch nicht die langsam uninteressant werdende Carmen von Jean Madeira, die nicht nur die Höhe total verloren hat, sonder im Begriff ist, auch die obere Mittellage ab f einzubüßen, natürlich auch nicht Traute Richter, die die Micaela in ihrer aufdringlich-betulichen Art mit kräftigem Tremolo sang (sogar auf französisch!) und dabei eher wie Don Josés Mutter aussah, denn als seine stille Liebe. Daß uns das nicht erspart geblieben ist! Sie wurde zwar als Präsenz-Dienst, als chronische zweite Garnitur verpflichtet, aber über Beschaffenheit einer solchen zweiten Garnitur sind die Besucher mit der künstlerischen Leitung und auch mit dem Generalsekretariat offenbar verschiedener Ansicht. Nun gut, es war eine geschlossene Aufführung (für den österreichischen Gewerkschaftsbund). Aber wozu strapazierte man dann Dimiter Usunow? Dieser ist ein unwahrscheinliches stimmliches Phänomen, wie vor ihm seine ebenfalls bulgarischen Kollegen Todor Mazaroff und Wenko Wenkoff. Und die prachtvollen Naturstimmen dieser Bulgaren haben alle eine gewisse Ähnlichkeit. Die Mittellage hat ein verschieden starkes Tremolo, die knallige Höhe ist manchmal leicht überhöht – und die Kraft ist unwahrscheinlich, allerdings waren die Stimmen von Mazaroff und Wenkoff nicht sehr dauerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die aggressive, raumfüllende, explosive, metallische Stimme Dimiter Usunows in zehn Jahren auch nicht mehr so klingt wie heute, aber wir können uns jetzt dafür umso mehr an ihr erfreuen. Er sang sogar die lyrischen Teile des ersten und zweiten Aktes zwar laut aber schön (Mario del Monaco hat das z. B. absolut nicht so sicher!) und war im dritten und vierten Akt in seinem Element, wo er die dramatischen Phrasen nur so ins Auditorium schleuderte. (Denn dadurch unterscheiden sich die slawischen Natursänger höchst vorteilhaft von den mitteleuropäischen vom Schlage eines Karl Terkal oder Karl Friedrich: Sie haben ein natürliches, musikalisches Gefühl!). Übrigens ist Dimiter Usunow, im Gegensatz zu seinen vorher genannten Kollegen, auch auf der Bühne nicht ungeschickt. Er hat eine gewisse innere Intensität, eine gewisse Geschicklichkeit darin, diese auch äußerlich auszudrücken. Er bewegt sich geschmeidig und rollte seine schwarzen Augen. Diesen Sänger können wir schon gut brauchen! Und jetzt folgt das vom Leser vielleicht schon erwartete große Loblied auf Ettore Bastianini, den allzeit Getreuen. Er sang innerhalb der Woche vom 18. – 24. September nicht weniger als sechsmal, und wie! Man hatte den Eindruck, seine Stimme werde von Abend zu Abend schöner. Wenn er es so gehalten hätte, wie seine italienischen Tenorkollegen und Soprankolleginnen, hätte der September der Wiener Oper leicht zu einem ungeheuren Fiasko werden können. So war nur eine Vorstellung ein solches, der Bertocci-Maskenball, den „Basti" ja auch in seinem Akt herausriß. Sein Einsatz ist bewundernswert und seine Leistung für die Wiener Oper der höchsten Ehren wert. Offenbar ist er gern in Wien – denn sonst hätte er nicht eine Woche lang das Repertoire gehalten. Und das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, denn wir hören ihn ebenso gerne, wie er gerne hier ist. Den dritten Abend en suite singend, legte er nach Rigoletto und Scarpia einen prachtvollen Escamillo hin. Sein Französisch ist allerdings ein wenig merkwürdig. Die gefürchteten Tiefen des Toreroliedes bewältigte er ebenso elegant, wie – was ja selbstverständlich ist – die Höhe. Er sieht fabelhaft aus und spielt einen lustigen, unkomplizierten, eleganten, beweglichen Torero, ohne die Dämonie, die manchmal wissentlich in die Partie hineingetragen wird und die gar nicht drinnen ist. Man verspürt den Wunsch, ihn in ein paar anderen freundlichen Partien, etwa als Rossini-Figaro oder Ford, ebenfalls zu hören.

DIE ZAUBERFLÖTE am 26. September

Das Interesse an der Aufführung an diesem Abend galt in erster Linie dem Debüt Fritz Wunderlichs als Tamino. Der Sänger verfügt über eine männliche, lyrische Tenorstimme, die in allen Lagen gut ausgebildet ist, ein beachtliches Stilgefühl, das nie merken ließ, daß er erstmals auf der Bühne dieses Hauses stand, sowie gefälliges Aussehen und sicheres Auftreten. Nach diesem Abend, an dem man das Gefühl nicht los wurde, den kommenden Mann in diesem Fach vor sich zu haben, ist zu hoffen, das „als Gast" hinter seinem Namen möge möglichst rasch vom Programm verschwinden! Mimi Coertse war eine sichere, gut disponierte Königin der Nacht, hingegen leistete sich Otto Edelmann als Sprecher einen Totalausfall. Die übrige Besetzung blieb die gleiche wie am 22. und die Leistungen adäquat.

MADAMA BUTTERFLY am 27. September

Diese Puccini-Oper unter Dimitri Mitropoulos bedeutet Musikdrama, in dessen Mittelpunkt das Orchester steht. Deutlich war zu hören, daß Proben dieser Aufführung vorangegangen waren. Dimitri Mitropoulos erwies sich erneut als faszinierender Orchesterbeherrscher, der herrlichsten Wohlklang und dramatische Steigerungen nur so aus dem Ärmel schüttelt. Nicht ganz das für seine Konzeption erforderliche Format hatten die Solisten auf der Bühne, die zwar recht brav sangen, aber nicht die Persönlichkeit aufwiesen, um mit dem Maestro Schritt zu halten. Gerda Scheyrer bemühte sich als Hauptdarstellerin sehr, doch wäre eine weniger helle, schlanke, dafür aber an dramatischem Ausdruck reichere Stimme eher von Vorteil gewesen. Ihr größter Pluspunkt war die einwandfreie, gewissenhafte Einstudierung der Partie. Eugenio Fernandis Pinkerton ähnelte sehr einem eben aus der Kadettenschule entlassenen Offizier, der noch gar nicht die Erfahrung eines Frauenhelden mitbringen konnte. Ebenso unfertig war seine gesangliche Leistung, bei der Licht und Schattenseiten einander abwechselten. Das Liebesduett war gut gesungen – das „Addio fiorito asil" mit der in Provinztheatern üblichen endlosen Fermate abgeschlossen. Claude Heater gefiel durch sein Äußeres. Wenn wir doch einmal über seine Stimme ebenfalls etwas Positives schreiben könnten! Derzeit geht es beim besten Willen noch nicht. Die Nebenrollen waren wie üblich besetzt, nur Norman Foster kam in der bisher von Alfred Jerger kreierten Rolle hinzu und blieb unhörbar.

BALLETTABEND am 28. September

PALESTRINA am 29. September

‚Geschlossene Aufführung des Theaters der Jugend, restliche Stehplatzkarten gelangen zum Verkauf’, stand auf dem Programmzettel zu lesen. Das sah dann so aus, daß die Sitzplätze nur zu zwei Drittel besetzt waren, während am Stehplatz gähnende Leere, beim Großteil des Publikums gähnende Langeweile herrschte. Nichts gegen das Theater der Jugend, aber ein so großes, schweres und selten gespieltes Werk wie Palestrina ist für den überwiegenden Prozentsatz der jugendlichen Besucher kein Gewinn, da es ihnen am nötigen Verständnis hiefür mangelt, für das übrige Publikum, das erzwungenermaßen vor den Türen bleiben muß, aber ein empfindlicher Verlust. Ein Verlust ist es auch, daß für Rudolf Moralt noch immer kein Ersatz gefunden wurde, und so leitete auch diese Aufführung Meinhard von Zallinger. Er konnte allerdings diesmal das Werk mit Routine über die Distanz bringen, vermochte aber auch diesmal nicht aus der unendlichen Fülle des Klangbereiches Klanggebilde zu formen, die den Zuhörer emporheben und über sich selbst hinauszutragen, geschrieben wurden. Neu war Karl Liebl in der Titelpartie, die er stimmlich zum größten Teil bewältigte, während der Darstellung, die allzu vital ist, noch die abgeklärte Ruhe und Reife fehlte. Nun, Ersatz für Julius Patzak zu sein, ist sicherlich kein leichtes Problem! Aus dem Ensemble der kirchlichen Würdenträger ragte nur Hans Hotter als Borromeo heraus. Alfred Poell ist nach wie vor der spanische Grande. Anny Felbermayer als Ighino und Margarete Sjöstedt als Silla konnten gefallen und Walter Kreppel als Papst sogar überzeugen. Es gab nur wenig Beifall, wer hätte denn auch klatschen sollen? Leute, die sich durch drei Akte Palestrina gequält haben, sind von Herzen müde und haben es eilig, heim zu kommen!

MADAMA BUTTERFLY am 30. September

Dieses Werk beschloß den September und abermals dominierte das Orchester unter Dimitri Mitropoulos, das den Rahmen zu einem packenden, großen Drama schuf, den die Interpreten auf der Bühne weder gesanglich noch als Persönlichkeit voll ausfüllen konnten. Es muß aber immerhin festgehalten werden, daß Gerda Scheyrer und Claude Heater sauber und korrekt gesungen haben. Die Ausstrahlung fehlte beiden, dem Bariton sogar im besonderen Maße. Eugenio Fernandis Ziel schien es, die Orchesterbrandung stets siegreich zu übertönen. Darin hatte er zwar Erfolg, aber einige der mit viel zu viel Kraft hervorgepreßten Spitzentöne klangen unsauber. Hilde Rössel-Majdan und diesmal überraschenderweise auch Erich Majkut (Goro) sangen ihre kleinen Rollen gut.

 

Das Operngeschehen im September macht einen zusammenfassenden Rückblick erforderlich. Die Programmgestaltung war absolut in Ordnung, mit zwei Wagner-, sechs Strauss-, fünf Mozart-Abenden, denen sich noch zwei im Redoutensaal hinzugesellten, einem Palestrina, einer Carmen und einem Ballettabend, während die übrigen Aufführungen Mascagni, Leoncavallo, Puccini und Verdi zur Verfügung standen, ist der Spielplan gerechtfertigt und kann sich sehen lassen. Auch die Tatsache, daß dem Repertoirebetrieb Dirigenten wie Erede, Karajan, Keilberth, Matacic und Mitropoulos zur Verfügung standen, ist erfreulich. Weniger sehen lassen konnte sich die „vorausschauende" Planung, über die wir im Zusammenhang mit der Strausswoche bereits sprachen.

Daß Sänger auch Menschen sind und keine Maschinen, ist klar. Daß sich daraus die größten Schwierigkeiten ergeben können, ist das Leid jeder Intendanz. An solchen Absagen hatten wir zu verzeichnen: eine von Rita Gorr, eine von Fernandi, zwei von di Stefano und sechs von der Tebaldi, wovon die letzeren Änderungen des Programmes Tosca statt Manon Lescaut und Tosca statt Butterfly nötig machten. Die größte Verlegenheit löste wohl die Indisposition von Giuseppe di Stefano aus. Dabei kann nun einiges passieren und dafür ist Nachsicht geboten. Es ist aber in diesem Zusammenhang einiges passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Und die Schultragenden daran stehen nicht vor dem Publikum – nach wie vor sitzen sie in den Kanzleien auf ihren Sesseln. So kommt es, daß ein di Stefano am 19. 9. gegen Mittag abgesagt hat, aber noch am Aufführungstag (20. 9.) um 18.00 Uhr in der telefonischen Ansage der Bundestheaterverwaltung als Riccardo gemeldet wird. Ebenso konnte man am 24. 9. zwar bereits in den Frühnachrichten um 6.45 Uhr von der Programmänderung von Manon Lescaut auf Tosca hören, während die telefonische Ansage noch um 9.00 Uhr hartnäckig Manon Lescaut als Abendvorstellung meldete. Und der Fall Bertocci ist unentschuldbar. Wie kann es den passieren, daß jemand, der die Partie nicht beherrscht, auf die Bretter der Wiener Staatsoper gestellt wird? Daß er eingesprungen ist, ist für diese Leistung keine Entschuldigung.

 

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