DER OKTOBER 1959

4. Jahrgang, Heft 11

 

Bonjour tristesse

Nun sind sie wieder unterwegs, unsere vielgeliebten philharmonischen Zugvögel - wie alljährlich, wenn sich die rauhen Herbstwinde erheben. Und weil sie diesmal auch noch mit unserem Chef Karajan reisen, tun sie es gleich in großem Rahmen. Sie lernen Asien und den fernen Osten kennen, werden jenseits des Ganges ein Wiederhören mit Pandit Nehru feiern, der sie ja schon von einem Salome-Besuch im Theater an der Wien kennt, und kehren dann via Amerika nach langer Zeit wieder nach Hause.

Die Auswirkungen dieser Tour verspüren wir offenbar volle zwei Monate, denn euch schon der Oktober, in dessen Beginn das Orchester ja noch hier war, zeichnete sich durch ein eher langweiliges Programm aus, denn Wozzeck am 8. Oktober, der als ein Zuckerl unter fünf Verkauften Bräuten, dreimal Cavalleria rusticana und Bajazzo und sieben Durchschnittsverdis hätte gelten können, war ausgerechnet eine geschlossene Vorstellung für das „Theater der Jugend", was von besonders intelligenter Planung zeugt. Die Aufführung fand vor gähnender Leere statt. Und diejenigen, die ihre Karten nützten, wußten mit dem Stück Wozzeck auch nichts anzufangen. Warum hat man die Jugend nicht lieber am Sonntagnachmittag in eine Entführung aus dem Serail geschickt? Da hätte sie mehr davon gehabt.

Puccini rutschte auf eine (!) Aufführung herunter, „Sträusse" gab es zwei und Wagner drei, drei Mozartabende, die sich aus der Zauberflöte zusammensetzten, einen programmatisch allerdings vorzüglichen Ballett-Abend und je einmal Fidelio und Carmen. Na ja, es war ja nicht anders zu erwarten...

Am interessantesten in diesem glanzlosen Monat waren natürlich die beiden Rennert-Premieren Verkaufte Braut am 1. und Angelina um 25. Oktober, mit denen die „kleinen Dinge" Einzug in das große Haus feierten. Smetana erfreut sich regen Zuspruchs auf den Sitzplätzen, während er den Stehplatzlern offenbar zu minder ist. Die Angelina-Premiere fand bedauerlicherweise überhaupt bei fast ausverschenktem Hause statt. Es wäre im Interesse dieser bezaubernden Aufführung sehr wünschenswert, wenn die Wiener einmal ihren bekannten „Was der Bauer nicht kennt..."-Standpunkt aufgäben. Überhaupt findet das Publikum in diesen beiden Aufführungen Musterbeispiele starloser Ensemblekunst vor, die es doch, laut Presse, allem Starkult unbesehen vorzieht. Ist dem vielleicht gar nicht so und gehen die Wiener nicht vielleicht doch wegen di Stefano, wegen der Nilsson und wegen Karajan in die Oper? Ei, ei, was werden denn da die liebe Presse und der liebe Rundfunk dazu sagen?

 

DIE VERKAUFTE BRAUT am 1. Oktober, Neuinszenierung

Diese Neuinszenierung der Verkauften Braut ist eine der modernsten Inszenierungen, die wir sahen, und zwar nicht deshalb, weil etwa ausgefallene Einfälle sie belebten. Sie ist deshalb so modern, weil sie genau das erfüllte, was das Operntheater der Gegenwart braucht: Die Übersetzung der Musik in Licht, Farbe und Bewegung auf der Bühne.

Die Szene wird bei Günther Rennert zu einer entzifferten Partitur, da sozusagen das Klanggewebe zu visuellem Ausdruck gebracht wird. Und dabei ereignete sich der Glücksfall, daß der Regisseur in Jaroslav Krombholc einen Dirigenten zur Verfügung hatte, mit dem er völlig konform ging. Leni Bauer-Eczys Bühnenbild ist in Pastellfarbe gehalten: das helle, wie von Sonne überstrahlte Grün, der blaßblaue Frühlingshimmel, die ersten Blätter am Baum in delikater Zartheit, sie geben den Hintergrund für die Farbenpracht der Kostüme. In Krombholc’ musikalischer Interpretation lebt ähnliches Empfinden. Hier wirkt alles gelöst, locker, verinnerlicht, und was an slawischer Schwermut neben überschäumender Lebensfreude darin zum Durchbruch kommt, hebt sich ebenso leuchtend ab im Klang wie in der Farbe.

Es gibt keine statuarisch und mit „Gesten" gesungene Arien und Duette, man möchte sagen, es gibt sie überhaupt nicht mehr im Sinne alter Operngewohnheiten, wo Arie und Duett dann anmuten, als wären sie nur dazu da, prominenten Sängern Gelegenheit zu geben, an die Rampe zu treten und stimmliche Qualitäten zu demonstrieren, während Handlung und Wesen des Stückes nur als Staffage dienen. In Rennerts Verkauften Braut leben Menschen, sie scherzen miteinander und lachen miteinander, sie streiten und lieben, und Gesang und Musik hemmen sie darin nicht. Das ist ein Musterbeispiel für den Weg, den das moderne Operntheater gehen muß. Dies tat beispielsweise in vollendeter Weise Karajan in seinem Falstaff. Dies tut Wieland Wagner im neuen Bayreuth.

Die verkaufte Braut ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Ensembleoper, und eine Anzahl unserer Stammsänger wußte die Chance zu nützen, dem abgegriffenen Wort „Ensemble", das einem beim bloßen

Hören oder Lesen schon Übelkeit verursacht, eine neue, positive Bedeutung zu geben. Günther Rennerts Meisterhand formte aus dem manchmal steifen Waldemar Kmentt einen springlebendigen Naturburschen, ebenso wie ihm das Kunststück gelang, Irmgard Seefried, deren Personalstil in den letzten Jahren leider gänzlich in der gewissen „Hasch mich, ich bin der Frühling-Richtung" festgefahren war, zu einer ruhigen, nicht überspitzen, aber durchaus von echtem Ton erfüllten Rollenauffassung zu bringen. Oskar Czerwenka ist darstellerisch eine köstliche Type, die Bauernschlauheit, Gschaftlhuberei und auch einen tüchtigen Schuß Grobheit auf das Beste vereint.

Murray Dickies Wenzel ist weniger auf „Dorftrotte" gespielt, wie wir ihn immer auf die Bühne gestellt bekamen. Auch hier wirkte sich Rennerts Tendenz zur Vermenschlichung aus. Dickies Wenzel war so lieb und arm und klein, daß er ungeheuer sympathisch wirkte.

Die beiden Elternpaare waren mit Elisabeth Höngen-Hans Braun und Hilde Rössel-Majdan-Ludwig Welter ausgezeichnet besetzt. Es dominierte aber eindeutig die Persönlichkeit von Frau Höngen, die eine großartig geschäftige, gluckhennenhaft umhertrippelnde Ludmilla auf die Bühne stellte.

Erich Kunz hatte dankenswerterweise die winzige Partie des Zirkusdirektors übernommen, in der er sich aber einmal richtig austoben konnte. Die Zirkusszene war durch das Zusammenwirken von Kunzens trocken-böhmakelnder Komik mit den hinreißenden Regie- und Choreographie-Einfällen Günther Rennerts (Frau mit Schlange! Gewichtheber! Pferdchen-Cancan! Ringer im rosa Kraftleiberl!) geradezu zwerchfellerschütternd.

Gesungen wurde größtenteils ausgezeichnet, besonders von Irmgard Seefried, deren Stimme richtiggehend gesund, voll und schön klang. Wir hoffen sehr, daß Frau Seefried den mit der Blanche und der Marie so glücklich begonnenen Weg fortsetzt und noch einige neue Partien studiert (auch wenn das keine Premieren sein sollten!). Denn das ungesunde Verharren auf den seit fünfzehn Jahren gesungenen Partien hat ihr sehr geschadet.

Auch Waldemar Kmentt sang vorzüglich. Die Entwicklung der Stimme, von der man ja in den letzten Jahren nicht genau wußte, wohin sie führen werde, scheint eindeutig in Richtung Freischütz-Max, Erik zu tendieren. Auch sein Oratoriengesang weist darauf hin. Herr Kmentt sollte die erwähnten Partien einmal an irgend einer kleineren Bühne ausprobieren, damit man klarer sieht.

Oskar Czerwenka mangelt es an einer profunden Tiefe, die der Kezal eigentlich brauchen würde - auch mit seiner Höhe ist es nicht weit her, das wissen wir ja. Kezal dominiert diesmal eindeutig als Schauspieler.

Der Männerchor der Staatsoper hatte in der Wirtshausszene eine erfreulich gute Leistung zu bieten,

auch die Damen hielten sich diesmal wacker – nur im Schlußensemble kamen sie einige Sekunden lang ins Schwimmen.

Herr Kurt Honolka ist ein Stuttgarter Musikkritiker, der uns bisher nur von grimmigen Kommentaren unserer deutschen Freunde und durch die Kontroverse mit Wieland Wagner im heurigen Sommer bekannt war. Er unterscheidet sich von den Wiener Musikkritikern dadurch, daß er Operntexte zu übersetzten pflegt. In dieser Eigenschaft kam er bei der Verkauften Braut auch bei uns ins Gespräch. Nun, die „Sammetpfötchen" etc. gingen uns zwar sehr ab, aber wir wollen noch nichts dazu sagen. Kommt aber einmal der Augenblick, daß jemand von der studierten Premierenbesetzung absagt und niemand verfügbar ist, der den neuen Text kann, dann werden wir uns aufregen.

Bei der Premiere saß jedenfalls alles vorzüglich und man kann der bezaubernden Aufführung nichts anderes wünschen, als daß sie lange Zeit so lebendig, so natürlich und so gut bleibt.

 

CARMEN am 2. Oktober

Mit Interesse sahen wir dem nochmaligen Auftreten des bulgarischen Tenors Dimiter Usunow als Don José entgegen. Auch diesmal hatte er mit seiner Naturstimme mehr im dritten und vierten Akt, wo er unbekümmert drauflos pfeffern konnte, Erfolg, als in den ersten beiden, für die es ihm an Technik fehlt. Wie es zumeist bei Naturstimmen der Fall ist, kam es in diesem Teil zu Intonationsschwierigkeiten. Diese versuchte er durch ein im fff gesungenes hohes C, das wie eine Rakete über Orchester und Chor knallte, im Finale des zweiten Aktes auszugleichen. Im Spiel ist er genau so, wie es seinem Gesang entspricht, nämlich draufgängerisch und wenig stilvoll. Stil kann man auch beim besten Willen nicht Jean Madeira als Carmen nachsagen. Die Sängerin befindet sich in einer Stimmkrise und versucht dies durch amerikanischen, aus der Konserve entnommenen tiefgekühlten Sex-Appeal zu kompensieren. Dadurch sind allerdings die scharfe Höhe und der Ausdruck, der nur noch bissig ist, wenn man nur zuhört und nicht auf die Bühne sieht, nicht auszugleichen. Vorzüglich ist die Micaela Hilde Güdens, die in dieser Partie zeigte, wie man mit Geschmack und Kultur singt. Walter Berry kam als Torero auf die Bühne und entschied sich, es Hilde Güden gleichzutun. Stil- und kraftvoll sang er sein „Auf in den Kampf" und war auch in den beiden anderen Szenen jederzeit ein bühnenbeherrschender Caballero. Heinrich Hollreiser dirigierte mit Eifer, ja sogar im dritten Akt zufrieden stellend, während er im vierten allerdings bei einer relativ leichten Stelle mit dem Chor auseinander kam, doch das passiert ja auch größeren Dirigenten und nicht nur einem Kapellmeister. Der Chor, dem es an jeglicher Selbstdisziplin zu mangeln scheint, hat den französischen Text noch nicht erlernt und wir zweifeln, ob er ihn jemals erlernen kann.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 3. Oktober

Ebenso wie bei der Premiere herrschte auch bei der ersten Wiederholung dieser überaus erfolgreichen Neuinszenierung beste Stimmung auf der Bühne und im Zuschauerraum. Die Besetzung war unverändert (Irmgard Seefried, Waldemar Kmentt, Murray Dickie, Oskar Czerwenka, Elisabeth Höngen, Hilde Rössel-Majdan, Ludwig Welter und Erich Kunz), die Sänger durchwegs gut disponiert und Oskar Czerwenka war stimmlich sogar besser als am Premierenabend. Bei Irmgard Seefried schlich sich leider gegen Ende der Vorstellung wieder ein ungebührliches Übertreiben und neckisches Gehaben ein, das ihre ausgezeichnete gesangliche Leistung trübte. Großartig wieder das Philharmonische Orchester unter Jaroslav Krombholc.

AIDA am 4. Oktober

Eine recht gute Repertoire-Vorstellung war diese Aida. Berislav Klobucar hat sich nach seinen enttäuschenden ersten Abenden wieder etwas gefunden. Er hielt das Orchester recht gut in Schranken, hatte durchwegs vernünftige Tempi und arbeitete auch Steigerungen recht gut heraus. Als Amneris gastierte Biserka Cvejic, die schon unser Münchner Berichterstatter beim Gastspiel der Beograder Nationaloper beim Wiesbaden-Festival erwähnt hat. Sie ist ein Mezzo von überdurchschnittlichen Qualitäten und ist unserer Standard-Amneris Giulietta Simionato eigentlich fast nur in den tiefen Lagen und dann natürlich als Persönlichkeit unterlegen. Die bildschöne Königstochter hat aber eine sichere, weiche schöne und durchschlagskräftige Stimme, die eine tadellose Höhe aufweist. Die Darstellung ist vernünftig und wirksam, wenn auch nicht sehr inspiriert! Achtung, ihr Generalsekretäre, Sekretäre und sonstigen Ratgeber! Achtung auf diese junge Dame! Birgit Nilsson sang eine prächtige Aida, verfiel aber leider im Nilakt in den Fehler, den auch Leonie Rysanek macht – sie singt zuviel Piano, was einzelne Phrasen völlig leblos macht. Außerdem entspricht der Aufwand nicht immer dem Erfolg. Ein schönes Mezzavoce ist einem verkrampften Pianissimo wie beim Nilarien-C noch immer überlegen! Eugenio Fernandi hatte einen guten Abend. Er sang wesentlich schöner als bei seinen früheren Radames-Versuchen. Nur im Schlußduett wollte einer den anderen an Lautstärke übertreffen, sodaß Feldherr und Sklavin gemeinsam fortissimo starben. Aldo Protti war der sichere, wuchtige Amonasro, Walter Kreppel ein schön singender Ramphis, der auch leider gerade in dieser Partie Intonationsschwierigkeiten hat, Ludwig Welter ein verbesserter König.

DER ROSENKAVALIER am 5. Oktober

Diese Vorstellung entsprach nicht ganz unseren Erwartungen. Allerdings muß der Liebhaber des Werkes schon froh sein, wenn er (nach Heinrich Hollreiser, Wilhelm Loibner und Meinhard von Zallinger) auf dem Programm den Namen eines Strauss-Dirigenten von Rang und Namen verzeichnet findet. Leider blieb an diesem Abend Karl Böhm seinem Ruf manches schuldig. Die Einleitung ließ Schlimmes ahnen. Sie klang verhetzt und unsauber. Nur wenige Stellen z. B. die Überreichung der silbernen Rose – bereiteten wirklichen Genuß. Die Feinheiten der Partitur wurden aber nur selten herausgearbeitet, viele Gesangsstellen gingen in den wogenden Orchesterfluten unter. Leider auch die schönste Stelle, das berühmte Terzett. Auch die Solisten zeigten sich nicht von ihren besten Seiten. Hilde Konetzni hatte einen schwachen Tag. Sie gestaltete die Marschallin wohl ergreifend wie immer, der Monolog im ersten Akt gelang ihr auch stimmlich bestens, doch klang ihre Stimme im dritten Akt angegriffen und ermüdet. Von den Damen zog sich Wilma Lipp am besten aus der Affäre. Sie hatte die Höhen sicher, die Stimme wurde gut geführt, nur in der höheren Mittellage klang sie manchmal etwas belegt. In schlechter Verfassung zeigte sich Christa Ludwig. Ihre Stimme klang glanzlos und sie legte, um diese Mängel zu vertuschen, die Partie ganz auf Ausdruck an und da tut sie entschieden des Guten zuviel. Übertreibungen wie sie im dritten Akt produziert werden, wirken wohl auf ein naives Publikum, zeugen aber nicht von künstlerischer Rollenauffassung. Daß Otto Edelmann Schwierigkeiten mit der Höhe und Tiefe hat, ist längst kein Geheimnis mehr. Trotzdem ist er zur Zeit unser bester Ochs. Es wäre aber auch an der Zeit, diese für Wien so bedeutende Oper gründlich aufzufrischen. Falsche Töne stören nicht nur in den Hauptpartien, sondern auch in den Nebenrollen (Erich Kunz als Faninal war sehr schwach) und Chorstellen. Der „höllische Filou" ging höllisch daneben. Oder war es nur der „Blaue Montag", der auf der Bühne und im Orchester nur selten echt wienerische Rosenkavalier-Stimmung aufkommen ließ?

TOSCA am 6. Oktober

Die Tosca-Tradition des Vormonats wurde an diesem Abend mit einer wirklich großen Vorstellung unter Dimitri Mitropoulos’ dramatischer, hinreißender Leitung fortgesetzt. Als dritter des italienischen Bariton-Dreigestirns sang nun auch Aldo Protti den Scarpia. Seine Mammutstimme eignet sich für die Partie ganz besonders. Ein derart siegreich Orchester und Chor überdonnerndes Tedeum wird selten zu hören sein. Leider nimmt sich der Sänger einen Teil der Wirkung selbst, weil es ihm an Schattierungsmöglichkeiten fehlt und er den ganzen Abend das volle Volumen der Stimme einsetzt. Im ersten Akt spielte er durchschnittlich konventionell, im zweiten machte er einen übernervösen Polizeichef, einen Bösewicht mit Managerkrankheit sozusagen (eine durchaus akzeptable, konsequent durchgehaltene Auffassung, die dem Wesen des Sängers klug angepaßt ist). Birgit Nilsson war eine diesem Scarpia stimmlich ideal entsprechende Tosca. Eugenio Fernandi sang, wie meistens auch sonst, die beiden Arien recht gut. Wie man die „dolci mani" singen soll, wird er wahrscheinlich nie lernen. Sein Spiel wirkt leider nur auf seinen Teenager-Anhang, sonst erscheint er wie die Karikatur eines Tenors, der den Cavaradossi spielt. Hans Braun und Karl Dönch waren passable Comprimarii.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 7. Oktober

fand in der Premierenbesetzung statt.

WOZZECK am 8. Oktober

unter Karl Böhm, mit Christl Goltz und Walter Berry wurde nicht besprochen

EIN MASKENBALL am 9. Oktober

Dieser Abend hatte erfreulicherweise einen Klassedirigenten. Dimitri Mitropoulos hatte wesentlich leichteres Spiel, da er noch mit den Wiener Philharmonikern arbeiten konnte. Sein Maskenball ist persönlicher, glänzender, effektvoller. „Wir habens ja"! Besonders im Baritonfach. Aldo Protti mit seiner Riesenstimme sang einen tadellosen Renato. Liselotte Maikl sang einen braven Oscar, ebenso konnten die Verschwörer Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff gut gefallen. Gianni Yaia sang den Riccardo, ein sichtlich wenig routinierter Sänger mit an sich angenehmer, von Technik allerdings weitestgehend unbelasteter Stimme. Er benötigte auch das erste Bild zum Einsingen und war im letzten völlig am Ende seiner Kräfte, sodaß es trotz klangvoller Höhen zu mehreren Unebenheiten kam. Darstellerisch wirkte er unbeholfen. Birgit Nilsson sang nicht nur wiederum ihre hervorragende Amelia, sondern allerdings auch im Liebesduett ihren Partner in Grund und Boden, der hier gerade seine besten Momente gehabt hätte. Sie hat aber in dieser Saison bisher (außer einmal Giuseppe di Stefano im ersten Maskenball des Jahres!) fürchterliches Pech mit ihren Partnern gehabt, denn es konnte wirklich keiner ein Gegengewicht bilden. Hilde Rössel-Majdan bot eine gediegene Leistung als Ulrica, stimmlich hat sie die Partie sicher – allerdings ohne eine Spur Dämonie – bewältigt.

SALOME am 10. Oktober

Bei Heinz Wallberg war die Direktion der Staatsoper ungewöhnlich vorsichtig. Er mußte erst an zwei Abenden gastieren, bevor er jetzt Gott sei Dank doch endlich engagiert wurde – (wir haben es ja wieder einmal schon längere Zeit gesagt!). Da sind schon ganz andere Leute ohne Ausprobieren an die Wiener Staatsoper engagiert worden, die aber dann unnötigerweise auch noch hängen geblieben sind! Heinz Wallberg kam aber auf Grund des Gastspiels wenigstens zu Orchesterproben für diese Salome und so saß die Aufführung präzise und war sicher wie schon lange keine mehr. Auf den hoch liegenden Orchesterraum der Staatsoper und die Klangfülle eines voll mitgehenden Orchesters wird er sich allerdings erst einstellen müssen, denn er war manchmal sehr laut, immer jedoch plastisch, durchsichtig und korrekt. Außerdem zeigte er Persönlichkeit, denn er machte die Musik mitreißend-dramatisch, farbig und packend gesteigert – ein viel versprechender Anfang sozusagen. Christl Goltz sang eine – von einigen Intonationsschwankungen abgesehen – gute Salome und auch die Damen Elisabeth Höngen und Margareta Sjöstedt hatten in ihren Rollen viel zu bieten. Hans-Günther Nöcker sang einen recht guten Jochanaan, der zwar nicht gerade von Persönlichkeit strotzte, aber immerhin wirkungsvoll war – eine ganz gewaltige Überraschung! Max Lorenz blieb fast unhörbar und riß sich erst bei seiner letzten Phrase „Man töte dieses Weib!" zusammen. Was hat doch dieser Sänger einmal für eine einmalige Stimme gehabt!

DIE ZAUBERFLÖTE am 11. Oktober

Tags darauf stand Heinz Wallberg wieder am Pult, und es trat der erfreuliche Fall ein, daß er überhaupt nicht wie ein eben hereingeschneiter Gast wirkte. Auch diesmal war überlegter Aufbau und immerwährender Einsatz zu bemerken. Viel Interesse von ihm selbst und daraus resultierendes Interesse der Sänger und Musiker, viel Stilgefühl und viel Selbstdisziplin im beispielhaft sauberen Begleiten der Arien. Im Mittelpunkt des Abends stand die bezaubernde, innige und märchenhafte Pamina von Wilma Lipp. Der vorzügliche Sarastro mit Prachtstimme, Gottlob Frick, war ein souveräner Beherrscher des „mächtigen Sonnenkreises", dem seine Feindin, die Königin der Nacht (Mimi Coertse) stimmlich diesmal nicht recht gewachsen war, ein krasser Schmiß am Schluß der ersten Arie, Nervosität und Unsicherheit bei der zweiten. Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Hilde Rössel-Majdan sangen die Damen endlich wieder so gut, wie es sich gehört. Anton Dermota und Erich Kunz waren in ihren Standardpartien einmal mehr erfolgreich.

DIE WALKÜRE am 12. Oktober

Abgesehen vom Auftreten Birgit Nilssons bereitete der Abend nur wenig Freude. Sie ist derzeit die hochdramatische Sopranistin. Am liebsten hätte man bei den prachtvollen Walkürerufen mitgejubelt! Leuchtend und über das Orchester triumphierend waren sie das Erlebnis des Abends. Sie vermochte auch der Gestalt der Brünnhilde Wärme einzuhauchen und bot eine großartige gesangliche Leistung. Schade, daß sie diesmal keine ebenbürtigen Partner hatte. Vor allem Otto Edelmann war alles andere denn göttlich. Bieder und unbeteiligt stand er auf der Bühne. Ohne jemals einen Gesichtsmuskel zu verziehen und ohne Gefühlserregung zu zeigen, sang er den Part herunter. Bei seiner monotonen Erzählung im zweiten Akt konnte man bei aller Liebe zu Wagner kaum das Gähnen unterdrücken. Dabei hatte er im Vergleich zu seinen anderen Wotans, die er hier gesungen hatte, einen besseren Tag, weil ihm wenigstens einzelne Höhen gelangen, die zwar nicht voll klangen, aber immerhin da waren. Man sollte eigentlich schon in der Direktion zur Erkenntnis gelangt sein, daß Otto Edelmann kein Heldenbariton und kein Wagnergestalter ist, und ihn nicht mehr in solchen Partien ansetzen. Dies wäre für ihn und das Publikum von Vorteil. Das Wälsungenpaar war mit Regine Crespin und Ludwig Suthaus besetzt. Regine Crespin gefiel durch ihre schöne warme Mittellage, durch eine tragfähige und füllige Tiefe und durch deutliche Diktion. Ihr Spiel war unaufdringlich und gekonnt. Etwas fiel dagegen die teilweise unreine Höhe ab. Im Gesamten gesehen war sie eine eher lyrisch betonte Sieglinde, etwas ungewohnt, aber nicht uninteressant. Ludwig Suthaus hat den Höhepunkt seiner Karriere überschritten. Seine baritonal gefärbte Stimme besitzt nicht mehr das erzene Metall eines Heldentenors. Die untere Lage der Stimme hat stellenweise einen so dunklen Klang bekommen und klang manchmal dunkler aus Otto Edelmanns Organ. Außerdem sang Ludwig Suthaus nicht sehr sauber und verhaute das Schluß-A. Gottlob Frick war der düstere Hunding mit dem entsprechend düsteren Timbre. Hilde Rössel-Majdan sang zum ersten Mal die Fricka, ohne dafür eine Probe erhalten zu haben. Sieht man von ihrer Darstellung ab, (das Hoheitsvolle fehlt ihrer sympathischen Bühnenerscheinung) bot sie unter diesen Umständen eine brave gesangliche Leistung. Nur gegen Ende des Dialoges mit Wotan klang sie etwas flackernd. Heinrich Hollreiser dirigierte spannungslos und dahinplätschernd, so daß der erste und zweite Akt kein Ende nehmen wollte. Man muß ihm aber zuerkennen, daß er volle Rücksicht auf die Sänger nahm und deren Diktat der Tempi akzeptierte. Sein dritter Akt war passabel, weil er endlich zügiger und bestimmter dirigierte. Der Schlußbeifall galt der großen Birgit Nilsson und nicht den mit ihr vor dem Vorhang erscheinenden Herren, die sich sichtlich in ihrem Glanze sonnten.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 13. und 15. Oktober

Dimitri Mitropoulos nahm sich der beiden veristischen Zugstücke an und drückte ihnen den Stempel seiner Persönlichkeit auf. Etwas breit die Melodie auskostend, war er der Dirigent, der neue interessante Details aus der Partitur für uns erschloß. Wie stets unter seiner Leitung waren die Sänger auf der Bühne gezwungen, Farbe zu bekennen und ihr Letztes zu geben. Am meisten konnte dadurch Karl Terkal profitieren, der – abgesehen von seinem doch bestimmt auszubessernden Sprachfehler – einen guten Turiddu sang. Besonders seine Phrasierung war bedeutend verbessert. Seine Stimme hatte einen schönen vollen Klang und erstaunlich viel Durchschlagskraft. Die verschmähte Santuzza war Christl Goltz, die ihre hektische Spielleidenschaft zügelte und dadurch an Wirkung noch gewinnen konnte. Ihre metallische echt deutsch klingende Stimme kommt zwar wenig der südländischen Leidenschaft der Santuzza entgegen, aber wie sie die Partie singt, bleibt bewundernswert. Für Walter Berry sprang in dieser Aufführung Aldo Protti ein, der mühelos mit seinem Riesenorgan dominierte und temperamentvoll spielte. Georgine Milinkovic sang endlich wieder die Mutter Lucia, was nach Rosette Anday Ohr und Aug’ erfreute.

Im darauf folgenden Bajazzo, den Aldo Protti mit einem prachtvoll gesungenen Prolog einleitete, folgte ein Beifallssturm für den Bartion, der seine Stimme weit ausschwingend durch das Haus dahinströmen ließ. Die Nedda macht Wilma Lipp viel Freude. Sie weiß ihr immer mehr an intensiver Darstellung und mitreißendem Gesang abzugewinnen. Ihre Nedda ist eine interessante und moderne Operninterpretation. Antonio Annaloro, ein Durchschnittstenor aus dem Süden, mit etwas heiserer Mittellage und sicher angesetzten Spitzentönen hat zwar nicht die erforderliche Schwere der Stimme für den Canio, macht dies aber durch impulsives komödiantisches Spiel und durch Intensität des Singens wett. Leider reichen seine Mittel nicht aus bis zu ‚Nein, ich bin Bajazzo nicht mehr’, bei welcher Stelle er unterging. Claude Heater sang den Silvio, gekonnt, aber rauh. Es gab viel Jubel für Dimitri Mitropoulos, den wir hoffentlich nächstes Jahr wieder am Pult der Wiener Oper begrüßen dürfen.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 14. Oktober

Zur gleichen Zeit fand im Musikvereinssaal das Philharmonische Abonnementkonzert unter Herbert von Karajan statt, und so saßen nur wenige Mitglieder der Wiener Philharmoniker im Orchesterraum, die durch Schüler und Substituten verstärkt wurden. So war also der Holländer von vornherein belastet. Dirigent war Wilhelm Loibner, der nach dem Zeitlupentempo des Premierendirigenten allzu sehr ins Rennen kam und im dritten Akt die Chöre tüchtig durcheinander brachte. Lohnend wurde der Besuch der Aufführung durch die phänomenale Senta Birgit Nilssons, die keinen Wunsch offen ließ. Mit dieser Rolle verabschiedete sich die Künstlerin bis Mitte Mai von dem Wiener Publikum und wir werden sie sehr vermissen! Hermann Uhde als Holländer sagte ab, für ihn sprang Randolph Symonette von der Deutschen Oper am Rhein ein, der einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Er begann den Monolog ausgezeichnet, um dann im zweiten Teil desselben unsicher zu werden, dagegen sang er einen guten zweiten Akt, offensichtlich von Birgit Nilsson mitgerissen. Auch der dritte Akt hatte weitaus mehr positive als negative Momente. Ohne Zweifel hat Randolph Symonette, der einen sympathischen Eindruck macht, unter Debütnervosität gelitten und so würden wir ihn, um ein endgültiges Urteil über ihn abgeben zu können, gerne nochmals hören. Die Stimme scheint noch nicht ganz durchgebildet, ist groß und das Timbre ansprechend. Ludwig Suthaus bemühte sich sehr als Erik und war gesanglich zufrieden stellend. Leider ist er optisch für den Erik gar nicht geeignet. Er sah eher wie Daland aus und seine hektischen und nervösen Gesten in der Spinnstube ließen ihn als norwegischen Herodes erscheinen. Kurt Böhme war als Daland passabel. Elisabeth Höngen spielte eine prachtvolle Mary und Karl Terkal sang den Steuermann ausgezeichnet. Erfreulich war diesmal der Spinnchor, was wir besonders vermerken wollen, da der Frauenchor der Oper ohnedies oft Anlaß zu Klagen gibt. Der Beifall am Ende der Aufführung war sehr lebhaft und galt vor allem Birgit Nilsson.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 15. Oktober

fand in der Besetzung der Aufführung vom 13. Oktober statt.

RIGOLETTO am 16. Oktober

Glücklicherweise hat Alberto Erede diese Vorstellung wieder übernommen. Da ihm dieses Werk besonders gut liegt, gelang ihm trotz der Substituten eine lebendige, interessante Aufführung. Teresa Stich-Randall war eine unentwegt lieblich und chlorodontisch lächelnde Gilda, die manchmal durch scharfe Spitzentöne von nicht immer einwandfreier Tonhöhe aufhorchen ließ. Gianni Poggi, der sichere, hatte diesmal keinen besonders guten Abend. Am Anfang preßte er seine Höhen und im Quartett unterlief ihm ein kapitaler Schnitzer. Ettore Bastianini kam in Bombenform nach Wien zurück. Diesmal gelang ihm wieder ein großartiger Rigoletto mit strahlenden Spitzentönen, die durchwegs saßen. Arnold van Mill war ein unsicherer Sparafucile, der zwar über eine profunde Tiefe verfügt, sonst aber herzlich wenig zeigte. Georgine Milinkovic fand sich mit der Rolle der Maddalena gut zurecht und Edmond Hurshell war ein vom dauernden Verfluchen offenbar heiser gewordener Monterone.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 17. Oktober

Michael Gielen übernahm erstmals diese Aufführung, obwohl es geheißen hat, Jaroslav Krombholc werde für alle Vorstellungen extra nach Wien kommen. Aber da im Zuge der Philharmoniker-Tour wahrscheinlich ohnehin niemand von der geprobt habenden Orchesterbesetzung übrig geblieben war, fand man das offenbar nicht lukrativ. So wirkte der Abend diesmal leider wie eine erste Verständigungsprobe. Im Orchester ging es drunter und drüber, die Sänger und auch Tänzer (in dem ohnedies so rhythmisch eindeutigen Furiant!) mußten den Takt angeben, die Verwirrung kannte keine Grenzen und im Sextett wurde im Takt aneinander vorbei gesungen. Die Besetzung war bis auf die Eltern des bedauernswerten Wenzel die gleiche (gute). Als Hata mußte Irmgard Barth aus München geholt werden, deren stimmlicher Zustand ein Alter von weit über 70 vermuten läßt. Außerdem hörte man den völlig farblosen Franz Bierbach meistens nicht. Irmgard Seefried erfreute zum Abschied vor ihrer USA-Tournee mit einer stimmlich herrlichen Marie mit vollen, runden Spitzentönen. Waldemar Kmentt, Murray Dickie, Elisabeth Höngen, Oskar Czerwenka, Hans Braun und Erich Kunz boten die gewohnt guten Leistungen.

FIDELIO am 18. Oktober

Während unsere Wiener Philharmoniker mit dem Chef des Hauses rund um die Erde kreisen, sind die Substituten bemüht, das musikalische Geschehen in der Wiener Oper aufrechtzuerhalten. Das ist gar keine dankenswerte Aufgabe, denn der ständige Besucher vermißt den edlen orchestralen Klang und vergleicht sehr gerne. Was dabei herauskommt, das hört man in verschiedenen Kommentaren, je nach Temperament des einzelnen. Gewiß, das Substitutenorchester ist kein Weltformatorchester, aber immerhin wären einige andere Opernhäuser, die man so gerne mit unserem Haus vergleicht (weil sie ein „Ensemble" haben oder weil sie mehr Uraufführungen bringen und dergleichen mehr) froh, wenn ihnen ein solcher Orchesterapparat ständig zur Verfügung stünde. Unter Wilhelm Loibner, der zwar größeres Augenmerk auf die Sänger als auf eine orchestral detaillierte Zeichnung legt, spielten sie gar nicht so schlecht, wie man es ihnen gerne in die Schuhe schiebt! Wir haben schon ganz andere Orchester Beethoven spielen gehört! Wilhelm Loibner erwies sich dabei als gewandter Opernpraktiker. Schade, daß er gegen Ende der ansonsten gut aufgebauten Leonoren-Ouvertüre den Faden verlor, wodurch die Wiedergabe an Spannung einbüßte. Auf der Bühne stand nach längerer Zeit wieder Gertrude Grob-Prandl als Leonore. In visueller Hinsicht blieb sie unverändert, unverändert auch ihr zu geringes Darstellungsvermögen. Das heutige Publikum erwartet sich anderes von einer Leonore, als nur Turner-Hoppenstedt-Stellung mit gespreizten Beinen. In gesanglicher Hinsicht hat die Stimme gewonnen, weil manche Schärfen des Organs geglättet wurden. Die große Arie war mit einiger innerer Anteilnahme gesungen. Der positive Gesamteindruck von Gertrude Grob-Prandl wurde nur durch das Finale etwas getrübt, weil sie dort in ihren alten Fehler verfiel, alle niedersingen zu wollen und dabei die Stimme im Forte wieder zu scharfe Formen annahm. Den Florestan sang mit bewährter Meisterschaft Wolfgang Windgassen. Hermann Uhdes Pizarro ist eine interessante Gestalt, von einer echten Theaterpersönlichkeit getragen. In schauspielerischer Hinsicht überraschte Oskar Czerwenka durch diskrete Zurückhaltung ohne komische Zutaten. Auch gesanglich hat er die Partie aufpoliert. Als Marzelline stellte sich Hanny Steffek vor. Mit ihrer schön timbrierten Stimme, die eine Ähnlichkeit mit der von Hilde Güden hat, gefiel sie außerordentlich gut. Darstellerisch war sie sehr gelöst und erfreulich frisch. Wir hoffen, daß es bald ein Wiedersehen mit dieser charmanten Sängerin gibt und daß ihr Gastspiel kein vorübergehendes Einspringen war. Walter Berry sang mit seinem Prachtorgan einen menschlichen, noblen Minister und Peter Klein, der allzeit Getreue, einen liebenswerten Jacquino.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 19. Oktober

Manchmal sterben sogar Hausherren. Und so passierte es Ettore Bastianini an diesem Abend, daß er im Bajazzo-Prolog das As schmiß. Er war offenbar ziemlich unkonzentriert, verhaspelte sich schon am Anfang des Prologes, wurde dann ruhiger, sang sehr schön bis zum As, setzte es an, hörte wieder auf, blieb mit offenem Munde erstarrt stehen und schwindelte sich dann per Kopfton wieder ins richtige Geleise. Wahrscheinlich war er mehr erschrocken als das brave Abonnementpublikum, dem der Schmiß vielleicht gar nicht aufgefallen ist, um so mehr als er die Scharte mit einem grandiosen G auswetzte und dann den ganzen Abend hindurch vorzüglich sang. Claude Heater, der den Silvio sang, freute sich natürlich ungeheuer, als er sein As erwischte – nicht schön zwar, aber immerhin, er hatte es. Antonio Annaloro und Mimi Coertse sind als Canio und Nedda jetzt schon gute Bekannte, es gibt nichts Neues über sie zu berichten. In der vorhergegangenen Cavalleria sang Hilde Zadek die Santuzza, stimmlich sauber und sorgfältig. Es fehlte nur an der erforderlichen Dramatik. Im Spiel blieb sie farblos und außerdem war sie ungünstig frisiert und angezogen. Rötliche Löckchen, roter Modeschmuck in den Ohren und eine schwarze Sammetkorsage machten aus der Santuzza eine Pseudobäuerin, die ebenso unecht war die ihre Leidenschaft. Ermanno Lorenzi sprang als Turiddu ein und bewährte sich besser als seinerzeit bei dem mehr Gesangeskunst erforderlichen Alfred. Seine Stimme ist nicht groß, aber in der Mittellage recht angenehm, in der Höhe überschreit er sich allerdings leicht und klingt dann nicht sehr schön. Immerhin war er passabel. Über Edmond Hurshell als Alfio gibt es nur zu berichten, daß er über die Distanz kam. Berislav Klobucar hatte die Aufführung recht gut in der Hand und nahm rasche und zügige Tempi. Für den Opernfan war die Aufführung eher langweilig, die Abonnenten waren aber offenbar zufrieden.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 20. Oktober

In dieser Aufführung hatte sich das Blatt wieder gewendet. Dem Dirigenten Michael Gielen passierte kein ernstliches Malheur, abgesehen von ein paar kleinen Chor-Schwimmereien und einigen unvernünftigen Tempi – aber es ging immerhin. Allerdings hat sich die Struktur des Klanges nicht unerheblich vergröbert, was besonders Oskar Czerwenkas Mittellage zu schaffen machte und auch Gerda Scheyrer, die die Marie erstmals im Hause am Ring sang, ziemlich behinderte. Davon abgesehen, sang sie sauber und einwandfrei und spielte konventionell nett – eine brave Marie fürs Repertoire. Mit viel mütterlichem Gefühl stattete Hilde Konetzni die Ludmilla aus, während man die Hata wieder mit einem eilends herbeigeholten Gast besetzen mußte. Man verfiel dabei ausgerechnet auf Olga Levko-Antosch, die schon im alten Haus am Ring kein Atom Stimme mehr gehabt hatte. Vielleicht könnte man doch die Güte haben, die Partie etwa mit den Volksopern-Mezzos Sonja Draksler oder Elisabeth Sobota doppelt zu besetzen, statt von irgendwo Stimmruinen herbeizuholen. Peter Klein sprang statt des erkrankten Murray Dickie mit viel Glück und Geschick in die neue Aufführung und in den neuen Text hinein und brachte eine andere, schärfere, aber natürlich hervorragende Profilierung des armen kleinen Wenzel.

DIE ZAUBERFLÖTE am 21. Oktober

Der Substitutendompteur Nr. 1, Alberto Erede, übernahm an diesem Abend auch die ihm weniger liegende Zauberflöte. Sie wurde, der Persönlichkeit des Italieners entsprechend, etwas zu wuchtig und zeigte die überraschendsten Tempi. Seiner Klasse entsprechend, brachte er aber natürlich eine unfallfreie, mit mancher schönen Einzelheit ausgestattete Aufführung zustande. Für die erkrankte und daher absagende Hilde Güden sprang Teresa Stich-Randall ein, die wie üblich getragene, gezogene Phrasen und Gänsehaut erzeugende Spitzentöne servierte. Hans Hopf wurde zur Feier seines Re-Engagements die ihm kaum liegende Partie des Tamino zugeteilt. Halsiges Singen und ziemliche Unkenntnis des hierorts gebräuchlichen Mozart-Stils waren die Kennzeichen seiner Leistung. Welcher Superregisseur ihm wohl angeraten haben mag, beim Erklingen der Flöte, seine „Zauberflöte" um Armeslänge vom Körper weg haltend, über die Bühne zu spazieren? Erika Köth hatte keinen übermäßig guten Abend. Die Mittellage scheint nicht in Ordnung zu sein, die Koloraturen gelangen erst in der zweiten Arie in gewohnter Qualität. Walter Kreppel wächst als Sarastro stetig. Erich Kunz war ein vortrefflicher Papageno. (Die junge Konkurrenz in dieser Partie scheint ihn wohl zur Konzentration anzuregen!). Hans Braun sang einen guten Sprecher. Von den übrigen Nebenrollen waren der überlegen singende 1. Geharnischte von Gerhard Stolze (muß er wirklich seine Abende in lauter „Bäumen" verplempern?) und der oft gewürdigte Monostatos von Peter Klein ihren Kollegen turmhoch überlegen.

RIGOLETTO am 22. Oktober

An diesem Tag wurde diese Oper, wieder unter Alberto Erede, ein recht guter Abend. Der Dirigent schien sich infolge der Probenarbeit für Angelina mit den Substituten vertraut gemacht zu haben, die wieder eine recht ordentliche Leistung hinlegten. Dafür versagten die Bühnenmusiker leider ganz. Nach dem ersten Akt befürchtete man Schlimmes. Ettore Bastianini sang an Stelle von Kostas Paskalis zur Freude des Stammpublikums die Titelrolle. Er begann in großem Stile und sein „Pari siamo" war dramatisch impulsiv gesungen. Nicht ganz so gut gelang ihm der dritte Akt, wo er einige Male falsch intonierte. Doch man verzeiht diesem Sänger wegen des herrlichen Wohlklanges der Stimme viel. Auch scheint es uns, daß er in der Darstellung dazu gewonnen hat. Gianni Poggi war ein sicher singender Herzog, dem man infolge seiner gemütlichen Darstellung nicht den Herzensbrecher glaubt. Sein an und für sich etwas nasales, trockenes Timbre ist zwar nicht jedermanns Sache, aber dafür kann er nichts. Sein technisches Können, seine Fähigkeit, mezza voce und piano zu singen und – die Spitzentöne wirkungsvoll ins Publikum zu schmettern, sichern ihm auch die Sympathien derer, die sein Organ nicht als absolute Qualitätsstimme bezeichnen. Mimi Coertse als Gilda hatte zu Beginn im Duett mit Rigoletto schöne Momente. Ihre Koloraturen haben an Sicherheit gewonnen, auch ihr Piano ist ausdrucksvoller geworden. Leider hatte sie das Pech, in „Caro nome" musikalisch glatt auszusteigen. Für das Racheduett fehlt ihrer Stimme der dramatische Ausdruck. Ludwig Weber als Sparafucile war schwach und Edmond Hurshells Monterone wurde Gott sei Dank von Alberto Erede durch orchestrales fff glatt weggewischt. Als Maddalena bot Georgine Milinkovic eine ansprechende Leistung.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 23. Oktober

Eine zweite Aufführung dieser Wagneroper gab es an diesem Abend. Dieses Werk steht und fällt mit der Besetzung der Titelpartie. Das stellten wir schon anläßlich der Premiere fest und diese Feststellung bewahrheitete sich, als wir nun endlich Hans Hotter in dieser tragenden Partie hören und sehen durften. Ja durfte müssen wir sagen, denn was uns dieser Künstler an gesanglicher und darstellerischer Leistung an diesem Abend schenkte, wird einmal zu den Sternstunden der Wiener Operngeschichte zählen. Er ist und bleibt der Holländer. Vielleicht, weil die überhohe, dunkle Gestalt das bleiche, markante Profil und die mächtige Orgelstimme so sehr dem optischen und akustischen Bild entsprechen das man sich von diesem Wagnerhelden machte. (Oder hat Hans Hotter dieses Bild in uns erzeugt?). Seine Riesenstimme kam erst jetzt im großen Haus richtig zur Geltung. Sie strömte mühelos vom berühmten Mezzavoce (Duettbeginn 2. Akt!) bis zum verzweiflungsstarken ff (Arie!) in ihrer dunklen Färbung, die so gut zur Dämonie des Holländers paßt. Wir waren über die mühelose Bewältigung vielleicht deshalb so erstaunt, weil ja bekanntlich Hans Hotter seit längerem versucht, langsam ins Baßfach hinüberzuwechseln. Nun, er ist Gott sei Dank noch immer Heldenbariton! Und noch etwas Erfreuliches ist von dieser Aufführung zu berichten: Statt des absagenden Gottlob Frick durften wir Ludwig Weber wieder einmal als Daland hören. Er sang in seiner gemütlich-biederen, unkomplizierten Art mit warmer Stimme und besonders guter Höhe. Der herrliche Zusammenklang der dunklen, vollen Stimmen Ludwig Webers und Hans Hotters erweckte schöne Erinnerungen an vergangene Holländer im Theater an der Wien. Leider konnten die Sänger der anderen Partien nicht an diese beiden Leistungen anknüpfen. Hilde Zadek sang als Senta zwar brav, doch fehlte ihr in der Höhe die Durchschlagskraft, und ihr Timbre klang (besonders in der Ballade) nicht schön. Hans Hopf, im Spiel von der Beweglichkeit eines Obelisken, war auch stimmlich kein überwältigender Erik. Seine mangelnde Phrasierung machte sich in dieser Partie besonders bemerkbar. Gerhard Stolzes Stimme wieder eignet sich besser für profilierte Charakterrollen als für den Steuermann, eine typische Steh- und Sing-Partie. Sehr gut sang Hilde Rössel-Majdan die Mary. Am Pult brachte Wilhelm Loibner das zuwege, was Karl Böhm versagt blieb: er dirigierte einen frischen, etwas rauhen, aber nie lauten, unproblematischen Holländer und versuchte nicht, aus dieser romantischen Oper ein psychologisches Seelendrama zu bauen. Für die katastrophale Leistung des Substitutenorchesters, das oft Töne produzierte, die in keiner Holländerpartitur der Welt verzeichnet stehen, konnte Wilhelm Loibner wohl nichts. Die Ouvertüre ging vollkommen daneben, dagegen gelangen der zweite und dritte Akt relativ gut. Als Hans Hotter am Schluß der Aufführung vor den Vorhang kam, wußte ihm das ganze Haus spontan zu danken, denn er machte diese Aufführung zum Fest!

LA TRAVIATA am 24. Oktober

In dieser Aufführung sangen Erika Köth und Gianni Poggi zum ersten Mal im Haus am Ring die Hauptrollen. Erika Köth hatte als liebenswürdige Einspringerin für Hilde Güden das schwere Handicap auf sich genommen, in einer italienisch studierten Aufführung deutsch singen zu müssen, was sie vor allem im ersten Akt hemmte. Sie sang sehr offen und man spürte förmlich an dem Flackern der Stimme die Nervosität der Künstlerin. Dazu wollte es infolge der Zweigleisigkeit der Sprache mit ihrem Partner Gianni Poggi, der sich dabei als vollendeter Kavalier erwies, nicht recht klappen. Bedeutend besser war sie im zweiten Bild, wo die Stimme viel ruhiger klang. Daß sie noch immer nicht das von ihr gewohnte Format hatte, hörte man aus ihren Piani, die nicht so schwebten, wie es sonst bei ihr der Fall ist. Am besten gefiel sie im letzten Bild, wo sie zu Herzen gehende Töne hatte und darstellerisch rührenden Ausdruck. Gianni Poggi, äußerlich wenig für den Alfred prädestiniert, sang technisch einwandfrei. Doch hatte er in der Stretta, die er als erster im neuen Haus sang, das Pech, daß ihm das Schluß-H in die Kehle rutschte. Etwas unsicher in seiner Intonation war er im Schlußduett. Kostas Paskalis als Vater Germont begann recht gut mit dem Duett. Er zwang seine Stimme zu kultiviertem Gesang, doch leider fühlte er sich bemüßigt, in der großen Arie die Spitzentöne hinaufzuschleifen, so daß der Stil seines Vortrages einige Unebenheiten bekam. Die zahlreichen Comprimarii-Partien erzielten Heiterkeit beim Publikum. Eine Ausnahme bildete der Tenor Ermanno Lorenzi, der als Gaston besser als zuletzt als Alfred eingesetzt war. Am Pult stand Alberto Erede, der mit Schwung und Animo das Ersatzorchester überwachte, allerdings ohne die Schwächen der einzelnen Instrumentengruppen im dritten und vierten Bild unhörbar machen zu können. Es gab viel Jubel für Erika Köth, der man in dieser Partie gerne in italienischer Sprache wieder begegnen würde, denn wir sind fest davon überzeugt, daß sie als Violetta noch mehr als diesmal leisten könnte.

 

ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 25. Oktober, Neuinszenierung

Ein Sujet, das oftmals abgehandelt wurde, ein Libretto, das auf den ersten Blick hin leicht antiquiert wirkt, eine Musik, dem breiten Publikum unbekannt: Aus diesen nicht unbedingt erfolgversprechenden Möglichkeiten formte die Hand eines Meisterregisseurs eine kleine Kostbarkeit, ein Juwel für Kenner und Liebhaber. Für Feinschmecker gedacht, darüber hinaus aber für alle, die das Theater lieben und denen es ein Begriff ist.

Angelina ist eine schwer zu besprechende Aufführung, denn hier vermag nur das unmittelbare Erlebnis den ganzen Eindruck zu geben und Beschreibungen bleiben unzureichend. Gerade die Atmosphäre macht den Zauber dieses Abends aus. Es wurden geschickte Striche vorgenommen und es stand eine sehr gute Übersetzung zur Verfügung, der kleine Korrekturen noch Glanzlichter aufsetzten.

La Cenerentola in der Aufführung am Ring wirkt so, als hätte ein Magier in der Geisterstunde das ganze Theater zum Leben erweckt. Und nun spielt alles mit, die Versatzstücke und die Soffitten, die Kulissen und der Zuschauerraum. Sie sind keine Hilfsmittel mehr, sondern Akteure. Die gemalten Figurinen Ita Maximownas wurden von einem Zauberstab berührt, schwebten hinunter zur Rampe und treten an zu einem charmanten Reigenspiel. Die Welt wurde zur Bühne, und die Bühne zur Welt und beide treiben miteinander ihre Possen, überhöhen sich gegenseitig, als würden ihre Bilder verwechselt und verwandelt, wie in einem Spiegelkabinett. Das Märchen steht Pate, und Wilhelm Busch und Moliere haben unsichtbar am Regiepult Platz genommen. Und Spielleiter Günther Rennert schwelgt in guter Laune. Er läßt alle „Stückeln" spielen, er demonstriert Macht und Möglichkeiten der Regie aller Richtungen und belächelt sie gleichzeitig. Er bedient sich aller Illusionen, ist ganz bewußt großer Magier und amüsiert sich dabei in Selbstironie. Und dies alles aus der Musik heraus, in der die große Italianità zwar nicht beinhaltet ist, mit der zugleich aber Maestro Rossini hier den Beweis antritt, daß er nicht nur - wie die Historie berichtet - beim Speisen ein Gourmand war. So stimmen in dieser Aufführung Rossini und Rennert gemeinsam ein homerisches Gelächter über die Banausen an, die die Oper totsagen wollen.

Wenn wir schon öfters den Satz zitierten und für richtig erklärten, daß ein Orchester eben so gut oder so

schlecht sei wie der Mann am Pult, dann scheint es, als könnten wir nun diesen Ausspruch dahingehend erweitern, daß eine Oper ebenso lebendig oder überholt erscheint, wie der Regisseur, der sie in Szene setzt.

Das Substitutenorchester unter Alberto Erede hielt sich bewundernswert. Und dies bedeutet zugleich eine Auszeichnung für den Dirigenten, der trotz der Ersatzmusiker das hohe Niveau halten konnte. Dafür sei Erede ebenso bedankt wie der gute Wille und die von Erfolg gekrönte Mühe der Substituten.

Wenn man der Aufführung musikalisch nicht hundertprozentig das gleiche Lob zollen kann wie der szenischen Lösung, so liegt das nicht an dem stilistisch bestens versierten Maestro und auch größtenteils nicht an den Sängern. Hier sind wir nun einmal an einer Grenze angelangt, die Wiener Aufführungen eben nicht mehr überschreiten können. Wir sind so weit, daß die großen italienischen Opern und Musikdramen bei uns vielleicht sogar bessere Aufführungen als in Italien selbst erreichen, dann nämlich, wenn die Zusammenarbeit großer Persönlichkeiten auf der Bühne, hinter der Szene und am Pult ihre Früchte trägt. Der Gebrauch der Originalsprache ist natürlich für einen solchen Glücksfall unbedingt Voraussetzung. Buffo-Opern sind aber ausschließlich zur Unterhaltung des Publikums verfaßt und die Textverständlichkeit ist hier Voraussetzung.

Daher brachte man die Angelina in deutscher Sprache, in einer, wir wiederholen es, vorzüglichen Übersetzung, die gar nicht besser sein könnte. Aber sie ist eben nur eine Übersetzung. Und die deutsche Sprache ist die Sprache für tiefe, edle Gedanken (manchmal auch für hohle Phrasen!) die Sprache für zarte lyrische Stimmungen (oder zackige Marschkommandos!) – aber eines kann man nicht auf Deutsch: Italienische Buffoopern mit der nötigen Geschwindigkeit schnattern. Das geht nur auf italienisch. Und so legt man den hüpfenden, kollernden, huschenden Phrasen ein bißchen die Zügel an. Aber des ist eben nicht anders zu machen und bedeutet keinerlei Vorwurf. Es ist auch kein Vorwurf für einzelne Sänger, etwa für Waldemar Kmentt, der wieder munter und gut aufgelegt über die Bühne sprang und seine koloraturengespickte Partie mit vorzüglicher Technik bewältigte, obwohl er natürlich nicht das nötige weiche, süße Timbre dafür hat, auch nicht für Karl Dönch, der in der Rolle des Don Magnifico vom Geblödel zur Charakterkomik vorstieß, aber dessen Stimme profunde Gewichtigkeit absolut fehlt und der manchmal, wenn er im Zuge ist, ziemlich kraß gegen die Gesangslinie verstößt. Aber für unsere Verhältnisse sind die Leistungen der beiden Herren als vorzüglich zu bezeichnen, umso mehr, wenn man bedenkt, daß es in Italien selbst keinen Baßbuffo vom Format des Signor Baccaloni und keinen Koloraturtenor von den Qualitäten des Signor Schipa mehr gibt.

Über alles Lob erhaben war jedoch unsere Christa Ludwig und dies in jeder Beziehung. Zuerst schon in der Rollenauffassung, da sie in der Titel- und Aschenbrödelrolle jede naheliegende Larmoyanz vermied. Sie war schlicht und innig mit Humor und Charme und seelenvoll mit Grazie. Stimmlich war sie vollkommen – sie sang mit strömender, klangvoller Mittellage, gleich vorzüglicher Tiefe und Höhe und eleganten, todsicheren Koloraturen. Walter Berry, der liebenswürdige Diener Dandini, dem das Herrenspielen ungeheuren Spaß macht, sang ebenfalls mit sorgsam geführter, voller, schöner Stimme.

Emmy Loose war als böse Stiefschwester Clorinda bestens eingesetzt, konnte sich so richtig austoben und sang sicher und stilistisch einwandfrei, während Dagmar Hermann als Tisbe wohl eher als Typ und als Schauspielerin zur Geltung kam. Mit einer tremolofreien, dunkleren Stimme hätten die Damen-Ensembles eine wesentlich bessere Stütze gehabt. (Das wäre etwas für die als Amneris hier erfolgreich gastierende jugoslawische Sängerin Biserka Cvejic zum Eingewöhnen ins Wiener Ensemble.). Ludwig Welter spielte den kostümierten Abendregisseur und Drahtzieher, eine Figur, die wohl hauptsächlich auf Günther Rennert zurückgeht, ganz köstlich und mit lustigem Augenzwinkern. Gesanglich hatte er wenig zu tun, aber man muß einmal mehr feststellen, daß die Stimme an sich durchaus das Kaliber für das erste Fach besäße wenn der Sänger nicht das leidige Loch in der oberen Mittellage hätte, das er hoffentlich noch einigermaßen wird polieren können.

Aber alle diese Einwände sind Einwände von ganz kritischen Ohren und traten bei der Premiere gar nicht so zu Tage wie bei öfterem Hören.

 

DIE ZAUBERFLÖTE am 26. Oktober

Zum Tag der österreichischen Fahne wählte man eine unserer besten stehenden Inszenierungen und hier am leichtesten zu besetzenden Mozartopern. Nachdem man mit einer etwas dröhnenden Bundeshymne die Vorstellung eingeleitet hatte, kam richtige Stimmung ins Haus. Berislav Klobucar holte sehr viel aus dem Orchester heraus und war diesmal mit Erfolg darauf bedacht, seinen Willen durchzusetzen. Abgesehen vom Klang des Bleches war alles in Ordnung. Auf der Bühne zeigten sich Hilde Güden und Anton Dermota als ein ideales Paar, wobei Anton Dermota durch heldischen Klang und Hilde Güden durch perfekte Stimmkultur und bezauberndes Aussehen einander ideal ergänzten. Erich Kunz war der fröhliche und quicklebendige Papageno, der sofort die Sympathien der Zuhörer auf seiner Seite hatte. Die beiden Gegenpole, die Königin der Nacht und Sarastro, wurden von Erika Köth und Ludwig Welter treffend skizziert. Erika Köths erste Arie geriet allerdings ein wenig farblos. Den Koloraturen fehlte die Köth’sche Brillanz und bei der zweiten Arie schien die Mittellage etwas belegt zu sein. Dafür waren aber die Koloraturen leuchtend gesungen. Doch welcher Künstler vermag an jedem Tag seine Höchstform zu erreichen? Ludwig Welter scheint eine Hoffnung in dem immer schon allzu sehr verwaisten Baßfach zu werden. Seine große und vorteilhafte Bühnenerscheinung gab dem Sarastro würde und Überlegenheit. Seine an dunklem Klang zunehmende Stimme hat ihre Stärke in der breiten Mittellage, wobei die Tiefe an Qualität in letzter Zeit gewonnen hat, während die Höhe noch einer weiteren Pflege bedarf. Seine Arien waren ausdrucksvoll gesungen und gaben Anlaß, dem jungen Sänger eine weitere günstige Entwicklung vorauszusagen. Nobel und mit beispielhafter Diktion sang Otto Wiener den Sprecher, ein würdiger Anwalt seines „Chefs". Ruthilde Boesch hat während ihrer langen Abwesenheit kaum an Charme dazu gewonnen und war eine unbedeutende Papagena, während die Sängerknaben die Sympathien des Hauses gewannen. Die schwachen Punkte der Aufführung waren die drei Damen Hilde Zadek, Margareta Sjöstedt und Georgine Milinkovic, von denen die erste schrill, die zweite zu unpersönlich und die dritte zu übertreiben war und die im übrigen stimmlich gar nicht zueinander paßten.

ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 27. Oktober

fand in der Premierenbesetzung statt

EIN MASKENBALL am 28. Oktober

Alberto Erede mußte erst die Substituten zähmen, was ihm aber hervorragend gelungen war, weil er allgemach schon Übung darin hat. Er ist im Tempo straffer und für die Sänger wesentlich angenehmer als Dimitri Mitropoulos. Ettore Bastianini hat als Renato in dieser Aufführung mit einer selbst für seine Verhältnisse besonders hinreißenden Leistung seinen Vorgänger Aldo Protti übertroffen. Gianni Poggi erschien nach Gianni Yaia in der vorangegangenen Aufführung dieser Oper als Richard wie die personifizierte Sicherheit und Verläßlichkeit. Diesmal sang das „Ensemblemitglied" Gertrude Grob-Prandl die Amelia mit messerscharfer, überlauter Stimme und so ziemlich bar jeglichen Stils. Sandra Warfield als Ulrica zeigte eine gut geführte, in allen Lagen sichere Stimme ohne aufregendes Timbre.

ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 27. Oktober

fand in der Premierenbesetzung statt

BALLETTABEND am 30. Oktober

RIGOLETTO am 31. Oktober

An diesem Tag gab es zum Abschluß des farblosen Monats wieder Verdis Zugstück. Alberto Erede stand souverän über der Sache und hatte das sehr diszipliniert spielende Substitutenorchester jederzeit in der Hand. Seine elegante, elastische, federnde und die Melodie breit ausströmen lassende Rigoletto-Interpretation sucht ihresgleichen! Hilde Güden sang die Gilda kultiviert, subtil und innig. Gianni Poggi war ein gesanglich perfekter Herzog. Kostas Paskalis gab einen größtenteils sehr guten Rigoletto mit Intensität und vorzüglicher Phrasierung. (Sein Piano hat er sehr verbessert!) Leider gelingt es ihm nicht immer, die Spitzentöne bis zur richtigen Tonhöhe zu stemmen, aber wenn er diese hat, dann knallt es! Die Comprimarii waren mit Ausnahme der Damen Georgine Milinkovic und Margareta Sjöstedt und der Herren Walter Kreppel und Kurt Equiluz unter jeder Kritik.

 

ZURÜCK