DER NOVEMBER 1959
4. Jahrgang, Heft 12
Während der Welttournee der Wiener Philharmoniker unter Karajan hatte man Gäste eingeladen.
DAS GASTSPIEL DER STUTTGARTER OPER vom 1. bis 8. November
Aus dem reichhaltigen Programm des Stuttgarter Institutes hatte die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper eine interessante Auswahl getroffen. Der PARSIFAL war etwas für die ganz seriösen Wagnerianer, die auf eine eigene Wiener Aufführung wahrscheinlich noch zwei Jahre werden warten müssen, Händels JEPHTA für die Raritätensammler und Janaceks JENUFA für die Freunde handfester Opernrealistik. Die Stuttgarter Gäste kamen mit eigenem Chor und Orchester, fanden aber mit ihrem eigenen Ensemble nicht ganz das Auslangen. Sie brachten als Gast-Kundry Gerda Lammers aus Kassel mit und den Dirigentengast Fritz Rieger. Auch der Tenor Fritz Uhl ist nicht fix engagiert, sondern nur Gast in Stuttgart.
Wir kennen das Stuttgarter Orchester von unseren Besuchen in seinem Stammhaus sehr gut - wir haben auch dort Wagner gehört und müssen feststellen, daß das gediegene, disziplinierte und klangschöne Orchesterspiel für uns eigentlich die größte Überraschung dieser deutschen Stagione war. Auch der Chor bot eine ausgezeichnete Leistung. Die meisten Sänger des Institutes konnten wir ja in Wien bereits kennenlernen und der Stamm-Regisseur Günther Rennert ist wohl jedem Freund modernen Musiktheaters ein Begriff.
PARSIFAL am 1., 2., 5. und 8 November
Ihm galt natürlich das größte Publikumsinteresse, wurde er doch seit 1944 in Wien nicht mehr gegebenen. Die Stuttgarter Staatsoper hatte zu Ostern dieses Jahres ihr Parsifal-Premiere, deren Regisseur der auch in Wien bekannte Paul Hager war. Wir, die wir nur seinen Bajazzo kennen, konnten uns einen Parsifal von ihm von vornherein nicht gut vorstellen. Die Tatsachen gaben unseren Ahnungen recht – die Premiere wurde zu einem Mißerfolg bei Presse und Stammpublikum. Die Stuttgarter inszenierten also den „Parsifal" für Wien völlig neu (!) – er gelangt in Stuttgart erst zu Ostern 1960 zu Aufführung – und wählten dafür das den Adabeis von der Salzburger Welt auf dem Mond bekannte Team Georg Reinhardt (Regie) und Heinrich Wendel (Bühnenbilder).
Um es in einem Satz auszudrücken: Die beiden ambitionierten Herren sind mit dem Parsifal nicht fertig geworden. Die Tücken und Fallen dieses für die Bühne etwas heiklen Stückes sind hinlänglich bekannt, wir müssen sie hier nicht schildern. Mit einer Bayreuth-Kopie, die sich im zweiten Akt noch zu einem gutbürgerlichen rosafarbenen Realismus verflacht, kann man diesem Drama, das so viele Fragen aufwirft und zu verarbeiten sucht, nicht beikommen. Bühnenbilder und Kostüme war im ersten Akt im typischen Preetorius-Graublau gehalten, an dem wir uns auch schon langsam sattgesehen haben, die Blumenmädchen-Szene wurde in eine, an die schon erwähnte Welt auf dem Mond erinnernde, pappendeckelne Mischung von Wieland’scher Scheibe und Wendel-Treppe gestellt und viel zu kraß, zu direkt und phantasielos ausgeleuchtet. Und gar die Blumenaue entbehrte jeder Atmosphäre, jeglichen Hauches vom Atem der Natur, der aus Wagners Werken (auch in der Motivik!) nicht wegzudenken ist. Am besten gelang die Klingsor-Szene, in der dieser deutsche Luzifer in einer geheimnisvoll-unbestimmten Spirale stand und einen Glücksfall von einem roten Samtkostüm trug, ein Kostüm, das dem sinnlichen, sich aufbäumenden Klingsor-Motiv ganz adäquat ist.
Mit der Personenregie war es nicht weit her. Sofern die Sänger nicht von sich aus Persönlichkeit geben konnten, blieben sie farblos und drangen nicht über die Rampe. Auch Reinhardt machte den offenbar nicht auszumerzenden Fehler, in unrealistischen Kulissen realistische Bewegungen und Gruppierungen ausführen zu lassen. Wir möchten dazu ergänzend feststellten, daß dies etwa dem wegen seines Regie-Hobbys oft mit mitleidigem Lächeln durch den Kakao gezogenen Karajan noch nie passiert ist!
Den Parsifal sang Wolfgang Windgassen, der aber in der Gestaltung der Rolle durch die Regie etwas behindert wurde. So wirkte er im ersten Akt viel zu primitiv, zu auftrumpfend, nicht Parsifal, der reine Tor, sondern Parsifal, der Halbstarke. Im zweiten und dritten Akt, als sich Windgassens eigene Auffassung durchsetzte, kam er weit mehr zur Wirkung: in einer ungemein intensiven und stimmlich sehr dramatisch gestalteten Kundry-Szene und in einem ernsten, schön und edel gesungenen und empfundenen dritten Akt.
Otto von Rohr scheint der Gurnemanz ganz besonders gut zu liegen. Er hatte noble Phrasierung und männliches Gefühl ebenso zu bieten, wie eine besonders in der Tiefe breit strömende seriöse Baßstimme. Er dürfte derzeit einer der besten Vertreter dieser Partie überhaupt sein.
Der Kundrys gab es drei. Die erste sang Grace Hoffman, die mit ihrer metallischen Stimme und glanzvollen Höhe die ungemein schwierige Partie schier mühelos meisterte und mit ihrer intelligenten Gestaltung und Phrasierung und einer für eine Nicht-Deutsche bemerkenswert guten Diktion sehr zu interessieren vermochte. Gerda Lammers, die Kundry der zweiten und dritten Aufführung, hat eine starke, ausgeglichene, wenn auch nicht hochdramatisch zu bezeichnende, doch immerhin sehr dramatische Sopranstimme, bemühte sich auf der Bühne sehr, war jedoch eigentlich aus Mangel an Persönlichkeit nicht vorhanden. Doch ist sie stimmlich um Klassen besser als etwa die Münchener Brünnhilde Marianne Schech oder die Stuttgarter Dramatische Maria Kinas. Wir wundern uns, warum sie immer noch in Kassel singt. Den letzten Abend sang Martha Mödl. Und hier konnten die Wiener, sofern sie es nicht schon bei der Isolde erkannt haben, lernen, warum diese Sängerin so berühmt geworden ist. Sie konnten die fast unheimliche Verwandlung einer im Privatleben urwüchsig-natürlichen Frau miterleben, das Hineinwachsen der Künstlerin in dieses merkwürdige Fabelwesen, das sich Wagner da - von Nietzsche-Anwandlungen nicht ganz frei – zwischen lodernder Sinnlichkeit und tiefster Demut, zwischen wildem Haß und kalter Askese hin- und hergezogen, erdacht hat. Die Kundry ist eine schwer zu gestaltende Partie, eben weil sie so vielschichtig ist, und wenige werden mit ihr fertig. Martha Mödl vermag in dieser Rolle zu faszinieren. Überdies befand sie sich in hervorragender stimmlicher Verfassung, und das herrliche, dunkle Timbre ihrer ganz auf Linie gesungenen Kundry-Erzählung war einfach hinreißend. Die gefürchteten Sopranhöhen gelangen fast besser als auf ihrer eigenen Platte aus dem Jahre 1951. Vor allem das „...lachte!" hatte es in sich. Sie hatte nur Schwierigkeiten mit dem eingelegten Schluß-H, weil sie durch die Intensität ihrer Gestaltung und ihres Singens natürlich ermüdet war.
Es ist uns schleierhaft, warum alle Baritons so gerne den Amfortas singen, denn dieser ist ja eine wahre Jammergestalt von einem Gralskönig – schwach, unköniglich, feige, aber wunderschön zu singen, wenn man die richtige Art von Stimme dafür hat. Gustav Neidlinger – der hervorragende Klingsor in Bayreuth – hat sie nicht, denn sein Riesenorgan, das noch dazu in der Höhe steif wird, ist nicht modulationsfähig, nicht ausdrucksvoll genug für den Part des siechen Ritters. In der letzten Aufführung sang Raymond Wolansky den Amfortas mit schöner Stimme aber wenig Ausdruck.
Da ist der Klingsor eine andere Rolle! Eine der schwärzesten Figuren, die je auf einer Bühne standen, Prinzip des Bösen, Sinnbild aller dunklen Triebe, aber wie konsequent musikalisch gezeichnet! Hans Günther Nöcker überraschte durch scharfe Profilierung und ausgezeichnetes stimmliches Charakterisieren.
Das Ensemble der Blumenmädchen war zufriedenstellend, leider konnte man auf den ernten Blick die Sängerinnen von den Tänzerinnen unterscheiden.
Der Stuttgarter Chef Ferdinand Leitner war der Dirigent zweier Aufführungen (1. und 5. November). Stilgefühl, starker Formwille und feierlicher Ernst waren die Kennzeichen seiner gediegenen Leistung, die von Fritz Rieger, dem Dirigenten der beiden anderen Abende, nur im zweiten Akt durch intensivere, schwelgerische musikalische Farbgebung übertroffen werden konnte.
JEPHTA am 3. und 4. November
Das ist ein typischer Fall dessen, was wir in Wien (Gastspiele natürlich ausgenommen) nicht unbedingt auf der Bühne der Staatsoper sehen müssen. (Es wird ja auch kaum mehr so bald dazu kommen.) Wohl ist die Musik in ihrem klirrenden Rhythmus und ihrer rauschenden Schönheit herrlich, aber das bringt wohl auch nur der Regisseur Günther Rennert fertig, daß man in einem szenischen Oratorium gespannt auf die Bühne starrt, was jetzt wohl geschehen werde. Das heißt, man weiß genau, daß nichts geschieht, aber man will wissen, was der Regisseur jetzt macht. Hervorragend war die Führung des kleinen Bewegungschores und die Ausdrucksfähigkeit einzelner Solisten. Das Bühnenbild und die Kostüme stammen von Caspar Neher, der natürlich nichts Neues bot, was ja auch niemand erwartet hat. Es war eine Mischung aus Trionfi d’Aphrodite und Oedipus Rex, und die Kostüme bestanden – wie gehabt – aus atemberaubend häßlichen Kopfbedeckungen und barockisierten, mißfarbigen Kartoffelsäcken. Daß die Realisierung dieses szenischen Oratoriums so interessierte, ist also einzig und allein Verdienst des Regisseurs, der allerdings seither in der Verwendung des Balletts noch eine Menge hinzugelernt hat. Hier ist es ihm noch nicht ganz geglückt.
Auf der Bühne dominierten unter den fast durchweg stilvollen Sängern (nur Fritz Linke, der auch als Titurel nicht am Platz war, erwies sich als stimmstarker, aber unkultivierter Buffo): die Altistin Margarethe Bence mit pastoser Stimme und intelligentem Vortrag und Friederike Sailer mit heller, klarer Sopranstimme. Josef Traxel sang die Titelrolle, ein Sänger mit großartiger Technik (seine Koloraturen waren atemtechnische Kunststücke!) und einer Stimme mit enormem Umfang, deren Timbre sehr weich ist, deren Höhe aber direkt knallig wirkt. Allerdings ein Timbre für deutsche Musik ist das nicht und für italienische (für unsere Begriffe) schon gar nicht. Fritz Wunderlich, der nur eine kleine Arie hatte, in der er auch wenig zeigen konnte, fiel wieder durch den Wohlklang seiner Stimme auf. Raymond Wolansky zeigte wieder eine schöne aber ausdrucksarme Stimme.
Bei Ferdinand Leitner könnten viele Dirigenten Nachhilfeunterricht im Leiten von Händel-Werken nehmen. So hervorragend, spannend, dramatisch und klangschön musizierte der Stuttgarter „General" mit seinem Orchester.
JENUFA am 6. und 7. November.
Wer Günther Rennert und Leni Bauer-Eczy von der Verkauften Braut her zu kennen glaubte und annahm, die Jenufa werde wohl so ähnlich ausgefallen sein, wunderte sich sehr, als der Vorhang aufging. Man hat das Stück weitgehend der Folklore entkleidet und ein Dorfdrama daraus gemacht, wie es überall – und nirgends – vorkommen könnte. Doch war es interessant zu beobachten, wie klug der Regisseur jeder Typisierung aus dem Weg ging, wie sich Menschen und Schicksale aus den schon so vielfach abgewandelten Opernklischee-Figuren herausschälten, wie sich aus jedem Statisten und jeder Choristin ein lebendiger Mensch entwickelte und mit welcher Kraft und Energie das Stück auf seinen dramatischen Höhepunkt hin aufgebaut war.
Janacek erlebt momentan eine ausgesprochene Renaissance, und wir haben mit dem Stuttgarter Gastspiel auch einen Teil davon abbekommen, waren aber trotzdem nicht ganz glücklich darüber.
Das Stück hat seinerzeit im Theater an der Wien, als es von einem tschechischen Team (Jaroslaw Krombholc am Pult, Ludek Mandaus als Regisseur und Karl Svolinsky als Kostüm- und Bühnenbildner) und mit Ljuba Welitsch in der Titelrolle herausgebracht wurde, einen ungleich größeren Eindruck auf uns gemacht, als diese auf knorrig-erdhaft zurechtgemachte Aufführung es vermochte. Wir hatten die Jenufa immer als theatralisches Erlebnis ersten Ranges im Gedächtnis bewahrt (sie wurde übrigens damals, anno 1948, wegen totalen Publikummangels nur viermal gespielt!); und nun ist sie nichts als eine recht gute Oper. Wir waren etwas enttäuscht.
Vielleicht mag es auch daran liegen, daß Lore Wissmann, eine gute und intelligente Sängerin, nicht die ideale Vertreterin der Titelrolle ist. Schon stimmlich, weil sie trotz schöner Szenen nicht dramatisch genug ist und manchmal in den höheren Lagen in ein ziemlich heftiges Tremolo verfällt. Es fehlt auch ihrer Gestaltung etwas. Sie ist irgendwie zu brav, zu bieder, es mangelt an der urwüchsigen Freude am Leben, die auch in dem von Angst überschatteten ersten Akt noch sicht- und hörbar sein muß, an der starren Kraft zum inneren Leiden.
Die Küsterin wurde von Grace Hoffman sehr intellektuell angelegt, wie es eben ihrer starken Persönlichkeit entspricht, nur wird die Geschichte dadurch etwas unwahrscheinlich. In der Jenufa regieren die Triebe, nicht der Intellekt. Aber stimmlich war Frau Hoffman ganz hervorragend intensiv, und man bewunderte erneut die Fähigkeit der Künstlerin, die fürchterlichsten Schrei-Partien ganz einfach zu singen. Frau Hoffman müßte die Ortrud sein!
Die beiden Tenöre des Stückes wurden von Josef Traxel und Fritz Uhl gegeben, die treffend charakterisierten und vorzüglich sangen. Herr Traxel sang den Laca mit weicher Stimme und dem betulichen Eifer des nicht allzu sehr Geliebten und Geachteten. Herr Uhl war der Stewa mit kräftigem Heldentenor und aufstampfender Männlichkeit. Eine interessante Studie bot die Altmeistern Res Fischer mit ihrer Buryja. Unter den kleineren Rollen dominierte Margarethe Bence und – diesmal richtig eingesetzt – Fritz Linke.
Ferdinand Leitner bewies mit der hervorragend spannenden und dramatischen, die slawische Melodie voll auskostenden Leitung dieser Oper enorm Vielseitigkeit, künstlerisches Empfinden und großes Können.
GASTSPIEL DES CUEVAS-BALLETTES vom 9. bis 15. November
BALLETTABEND am 16. November
BALLETTABEND am 17. November
BALLETTABEND am 18. November
ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 19. November
Diese Aufführung, unmittelbar anschließend an das Amerika-Gastspiel von Christa Ludwig und Walter Berry trägt alle Kennzeichen solidester Maßarbeit. Es sind keine Verstöße gegen Günther Rennerts großartiges Regiewerk zu verzeichnen, und wie es jetzt aussieht, dürfte auch in Zukunft jeder Mitwirkende bestrebt sein, nichts von dem zu zerstören, was so wundervoll aufgebaut wurde. Einige kleine Eigenbau-Scherze der Interpreten passen durchaus in den gesteckten Rahmen. Alberto Erede am Pult, sorgte an diesem Abend dafür, daß auch der musikalische Teil unverändert spritzig, präzis und doch locker blieb. Wir haben es doch immer geahnt, daß nicht die zweite Garnitur im Orchester allein schuld ist, wenn ein Stück auseinander fällt oder gar nicht zur Einheit wird, seit wir erlebt haben, was und wie lange andauernd ein Dirigent von Persönlichkeit aus unserem Substitutenorchester an Höchstleistungen herauszuholen imstande ist (übrigens auch aus dem Chor), wissen wir es sicher. Unverändert stimmlich und schauspielerisch-charmant herrlich Christa Ludwig. Prächtig mit leichter Höhe und vergessen lassend, daß er ein Tenor ist, Waldemar Kmentt. Von übersprudelnder Laune, mit ironischen und selbstironischen Glanzlichtern, die er sich mit dieser Stimme wahrhaftig leisten kann, Walter Berry. Nicht nur stimmlich wacker mitmischend, sondern auch szenisch immer mehr aus sich herausgehend und eigenständigen Humor verratend, Ludwig Welter. Aus kleinen Nöten und der für Parlando ungeeigneten deutschen Sprache das bestmögliche machend, Karl Dönch. Die ihnen gestellten, stimmlichen nicht allzu hervortretenden Aufgaben solide erfüllend, Emmy Loose und Dagmar Hermann. Die Leistungen des Balletts – dessen grundsätzliche Bedeutung für das Stück in dieser Inszenierung bereits gebührend behandelt wurde – haben an Präzision nichts eingebüßt. Im übrigen freut es einen, zu sehen, wie dieses Stück in seinem Erfolg beim Publikum langsam, aber stetig steigt. Man scheint draufgekommen zu sein, daß sich hier nicht alltägliches ereignet hat.
DIE ZAUBERFLÖTE am 20. November
Man kündigte die Vorstellung wichtigtuerisch als Festvorstellung für einen Kulturkongreß, der in Wien tagte, an, spielte aber dafür unterdurchschnittliches Repertoire, das ein durchaus ungünstiges Echo bei den ausländischen Besuchern hinterließ. Das Hauptübel war das bunt zusammen gewürfelte Orchester, das einen verheerenden Mozart spielte. Heinrich Hollreiser, als Festdirigent nominiert, machte gar nicht den Versuch, die Musiker an die Kandare zu nehmen, sondern verfolgte zumeist willenlos und phlegmatisch den Lauf der Dinge. Auch wir sind der Ansicht des Heinrich Hollreiser: daß die meisten der an diesem Abend im Orchester sitzenden Musiker nicht die nötige Qualität für die Wiener Oper besaß. Aber wir sind der Ansicht, daß Heinrich Hollreiser, dem diese Qualifikation ja auch fehlt, Pflicht und Schuldigkeit gehabt hätte, zumindest das Bemühen zu zeigen, den Haufen zu ordnen und mit ihm zusammenzuarbeiten, was er jedoch überhaupt nicht tat. Wahrscheinlich waren auch die Solisten auf der Bühne ebenso entsetzt über das Orchester wie wir, sodaß kaum einer seine Höchstform ausspielen konnte. Anton Dermota war zwar als Tamino sehr lautstark, strengte sich aber in seiner Paraderolle derart an, daß manche forcierten Töne den Gesamteindruck beeinträchtigten. Seine Pamina, Teresa Stich-Randall, drosselte ihre Stimme und hatte damit Erfolg. Sie sang geschmackvoll und nach ihrer schön vorgetragenen Arie hatte sie verdienten Szenenapplaus. Erich Kunz versuchte, durch glänzende Pointierung des Textes Stimmung ins Haus zu bringen, was ihm jedoch nur teilweise gelang. Mimi Coertse war in gewohnter Verfassung, das heißt, ihre zweite Arie war besser als die erste. Walter Kreppel, dessen Organ ständig an Volumen zunimmt, sang einen wuchtigen Sarastro. Leider sprach er die Prosa mit rasender Geschwindigkeit, sodaß sie teilweise unverständlich blieb. Anneliese Rothenberger fand auch in der kleinen Partie der Papagena sofort Kontakt mit dem Auditorium. Die Damen- und Knaben-Szenen litten unter den Einsätzen des Kapellmeisters. Otto Wiener war der ausgezeichnete Sprecher des Abends, der beim Festspielpublikum allgemeine Enttäuschung in sehr matten Schlußapplaus widerspiegelte. Damit haben sich die amtsführenden Herren in Herbert von Karajans Abwesenheit wieder einmal ausgezeichnet!
LA BOHEME am 21. November
In dieser Vorstellung galt das Hauptinteresse dem Wiederauftreten von Carla Martinis. Wir haben schöne Abende aus den Anfängen dieser Sängerin in Erinnerung und bedauern sie sehr. Aber es geht wirklich nicht mehr. Die Stimme hat ihren früheren Glanz fast völlig verloren und Carla Martinis ist in keiner Phase Herrin über ihr Organ. Karl Terkal sang einen sehr guten Rudolf. Die Partie liegt ihm nach wie vor am Besten und war zumindest rein gesanglich fehlerfrei. Künstlernatur wird er ja keine mehr bekommen. Eberhard Wächter dürfte einen zumindest in deutschen Landen, unüberbietbaren Marcel darstellen und war mit seiner lebendigen und warmherzigen Partnerin Anneliese Rothenberger ein Lichtblick auf der Bühne. Kurt Böhme und Hans Braun gaben die beiden übrigen Mitglieder des Boheme-Quartetts in jeder Beziehung ziemlich steif. Der Dirigent Berislav Klobucar war zwar nicht immer völlig Herr über das Geschehen, paßte sich jedoch den Sängern gut an.
BALLETTABEND am 22. November
ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 23. November
Für diese Vorstellung sagte Alberto Erede, der an der Rheinoper beschäftigt war, kurzfristig ab. Wir, die wir schon alle möglichen Einspringer gehört haben und meist die traurigen Erfahrungen machen mußten, daß die zweite bis zehnte Garnitur häufig das mit vieler Mühe Erarbeitete in kürzester Frist wieder durcheinander zu bringen imstande ist, erlebten die angenehme Überraschung, daß der blutjunge Korrepetitor Peter Ronnefeld als Helfer in höchster Not auftrat und (nach einer auswendig dirigierten Ouvertüre) das Stück sicher und musikalisch leitete. Er hat allerdings die meiste Probenarbeit geleistet und wirkte bei den Aufführungen am Cembalo. Wir könnten uns durchaus vorstellen, daß dem couragierten jungen Mann vielleicht hin und wieder auch noch andere Aufgaben anvertraut werden könnten. Das Sängerensemble war unverändert
FIDELIO am 24. November
Eine der schwächsten Aufführungen der letzten Zeit hörten wir an diesem Abend, und die Beethovenliebhaber konnten sich über die unpräzise und improvisierte Wiedergabe der Substituten unter Heinrich Hollreiser mit Recht empören. Wieder fiel die Interesselosigkeit des Dirigenten auf, der sich derart als Star fühlte, daß er gar nicht die Substituten dirigieren wollte! Dies wäre für uns nur ein Vorteil gewesen, denn jeder Andere hätte zumindest mehr Ehrgeiz besessen als Heinrich Hollreiser. Wem zuliebe wird er nur so oft angesetzt??? Das Publikum hat ihn jedenfalls gänzlich abgeschrieben! Die beste Leistung auf der Bühne bot Anton Dermota als Florestan. Seine Stimme ist schwerer geworden und eignet sich derzeit vorzüglich für die Rolle. Die Titelpartie war mit Hilde Zadek notbesetzt. Ihr fehlt es vor allem an dramatischer stimmlicher Kraft. Ihre Bühnengestaltung ist eher langweilig, man glaubt ihr keinen Augenblick die Tatkraft und den Idealismus der liebenden Gattin. Paul Schöffler erwies sich wieder als der große Routinier der Opernbühne, der mit seiner Intelligenz mehr als mit der Stimme, den Pizarro gab. Unbedeutend der Rocco des Otto Edelmann und die Träger der kleinen Rollen.
ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 25. November
Diesmal dirigierte wieder Alberto Erede die Premierenbesetzung
RIGOLETTO am 26. November
In dieser Vorstellung war ein Großteil der Hauptpartien mit Nachwuchskräften besetzt. Ermanno Lorenzi sang erstmals den Herzog und setzte seine nicht unhübsche Stimme größtenteils geschickt ein, konnte aber natürlich die Tücken der Partie nicht zur Gänze meistern. Es gab auch Schmisse. Darstellerisch wirkte er teils unbeholfen, teils wie ein schüchterner Liebhaber. Kostas Paskalis gelang an diesem Abend überhaupt nichts, dadurch sah er sich zum Forcieren veranlaßt, und seine Stimme bekam noch dazu einen unangenehmen Klang. Auch er steht noch neben der Rolle. Mimi Coertse sang eine gute Gilda. Die Arie gelang sehr sauber. Allerdings hatte die Sängerin zu Beginn ihrer Karriere eine vollere Höhe. Jetzt ist ihre Stimme von Schärfen nicht ganz frei. Die beste Leistung bot der diesmal sehr sichere Walter Kreppel als Sparafucile. Edmond Hurshell kann man nicht mehr gut als Nachwuchs bezeichnen, noch weniger berechtigt er – im Gegensatz zu den vorher Genannten – zu Hoffnungen. Georgine von Milinkovic sang die Maddalena. Diese Partie würde sich allerdings besser für junge Mezzos (Sonja Draksler, Biserka Cvejic, Kitsa Damassioti) eignen. Berislav Klobucar hatte seinen temperamentlosen Tag. Ein Rigoletto ohne Spannung und ohne Steigerung ist eine mehr als uninteressante Angelegenheit!
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. November
Heinz Wallberg dirigierte – noch immer als Gast! (Die Herren des Generalsekretariats wollten offenbar ihren „Stamm"-Dirigenten Michael Gielen und Heinrich Hollreiser nicht weh tun!) Heinz Wallberg erwies sich auch an diesem Abend wieder als Kenner und Könner, als Musiker mit Konzentration und natürlichem Gefühl für die Phrase, als anpassungsfähiger Begleiter und als vorzüglicher Beherrscher des Apparates. Die beiden jungen Mozart-Baritone unseres (in gutem Sinne!) Ensembles, Walter Berry als Figaro und Eberhard Wächter als Graf, zeigten sich in hervorragender stimmlicher Verfassung und blendender Spiellaune. Es ist immer wieder ein Vergnügen, den beiden Herren zuzusehen und zuzuhören! Hilde Güden sang und spielte wieder eine charmante Susanne, mit ausgefeilter Gesangskultur und Teresa Stich-Randall war, abgesehen von einigen spitzen Spitzentönen in der C-Dur Arie eine gute Gräfin. Jetzt hat Margareta Sjöstedt schon genug bewiesen, daß sie durch couragiertes Einspringen als Cherubino einen Figaro retten kann. Als ständige Besetzung ist sie wohl zu farblos und zu indifferent. Vielleicht könnte man doch einmal – da Wilma Lipp auch die Susanne italienisch singt und eine Susanne daher nicht so unbedingt nötig ist, Anneliese Rothenberger mit dem Cherubino betrauen. Sie hat ja die Rolle – allerdings deutsch – auch schon gesungen. Georgine Milinkovic und Oskar Czerwenka stellten köstliche komische Randfiguren, wurden aber durch den großartig intrigierenden Basilio von Peter Klein an Charakterisierungskunst weit übertroffen.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 28. November
Es ist betrüblich, daß eines der schönsten Werke Wagners so selten angesetzt wird! Dabei erfreut sich dieses Werk gerade bei der breiten Masse des Opernpublikums größter Beliebtheit. Es müßte doch möglich sein, die Meistersinger öfters anzusetzen! Unser Wagner-Spielplan ist ja ohnehin dürftig genug. Mittelpunkt und Höhepunkt des Abends war Paul Schöffler als Hans Sachs. Er gestaltete die Rolle ergreifend wie immer, mit der ganzen Kraft seiner großen Künstlerpersönlichkeit. Keine der vielen Möglichkeiten, die diese Partie gesanglich und darstellerisch bietet, läßt er ungenützt, immer wieder überrascht er mit neuen Nuancen in Spiel und Gesang. Gerade dadurch wirkt er unmittelbar auf den Hörer, sehr menschlich und fern jeder Schablone. Da er auch stimmlich in guter Verfassung war, blieben keine Wünsche offen. Auch in den anderen Partien standen Sänger auf der Bühne, die viel zum Gelingen des Abends beitrugen. Lore Wissmann war ein hübsches Evchen. Sie spielte und sang frisch und natürlich, hat eine wohltuend unkomplizierte Auffassung von der Rolle und erreichte einen schönen Höhepunkt in den Szenen mit Sachs. Wolfgang Windgassen ist wohl zur Zeit der beste Stolzing, hatte aber nicht seinen besten Tag. Er wirkte oft unkonzentriert, war textlich nicht immer sattelfest und hatte Mühe, den Orchesterfluten Widerstand zu leisten. Karl Dönch bot als Beckmesser nichts Neues. In Gesang und Spiel übertrieb er weniger, als wir es von ihm gewöhnt sind. Walter Kreppel stellte einen würdigen Pogner auf die Bühne und sang ausgezeichnet und sehr sicher. Diese Sicherheit vermißte man bei Murray Dickie, von dem wir schon bessere Davids gehört haben. Er ließ sich immer wieder aus dem Konzept bringen und kämpfte dauernd mit dem Orchester. Eberhard Wächter ist ein idealer Kothner. Er singt die schwierigen Koloraturen einwandfrei und legt die Partie sehr ernst an. Georgine Milinkovic war verläßlich wie immer, was man leider von unseren Meistern, die mit wenigen Ausnahmen schon Jahrzehnte die Bänke der Singschule drücken, nicht behaupten kann. Dank der Sängerleistungen in den Hauptrollen stand dieser Abend weit über dem üblichen Repertoireniveau. Ein Dirigent von Format hätte mit Leichtigkeit die Aufführung zum Ereignis gemacht. Heinrich Hollreiser aber zeigte wieder einmal, daß er kein Wagnerdirigent ist. Er machte es Sängern und Orchester wahrlich nicht leicht, verhetzte die Tempi (Vorspiel!) und entfesselte Orchesterfluten, deren Lautstärke manchmal direkt Ohrenschmerzen bereitete. Im zweiten und dritten Akte wurde es dann etwas besser, obwohl eine unklare Zeichengebung und unmotivierte Temposchwankungen oft zu Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester führten. Besonders die großen Ensembles wurden wahre Schwimmfeste.
ARIADNE AUF NAXOS am 29. November
Ist das Ereignis des Abends… findet der Musiklehrer. Nun, ganz so großartig war ja diese Aufführung nicht, aber doch immerhin recht gut, im Vergleich zu dem, was wir an Ariadnes in diesem Haus schon erlebt und durchlitten haben. Berislav Klobucar bot natürlich keine gleichmäßige Leistung und hatte einige unsichere Momente, machte aber weite Strecken des Werkes dann wieder sehr schön. Die Komikerszenen gerieten zwar etwas derb, hatten aber viel Schwung und in den ekstatischen Ausbruch beim Auftritt des Bacchus legte er bemerkenswert viel Intensität. Die Titelrolle sang weit besser, als man es sich hätte vorstellen können, Teresa Stich-Randall, die die Partie ganz lyrisch anlegte, aber doch auch genügend Mittellage dafür hat. Auch schauspielerisch konnte sie besonders im Vorspiel, gefallen. Nur ihr Hang zum Schleppen trat wieder deutlich hervor. In James McCracken lernte man einen Tenor mit bemerkenswert kräftiger und sicherer Stimme – man könnte fast sagen, Heldenstimme – kennen, der die gefürchteten Höhenlagen der Partie bewältigte, ohne mit der Wimper zu zucken. Aussehen tut er allerdings nicht gerade wie ein junger Gott, wozu natürlich auch das unmögliche Kostüm beiträgt. Sein Spiel beschränkte sich auf einige Andeutungen von schüchternem Lächeln und das bewährte Wechseln des Thyrsus-Stabes zwischen linker und rechter Hand. Mimi Coertse sang die Zerbinetta zwar nicht gerade brillant (sie hat ja eigentlich nicht eine funkelnde, typische Koloraturstimme) aber sonst durchaus ansprechend. Lore Wissmann, die als Komponist gastierte, brachte den idealistischen Überschwung, um dessentwillen man unseren Komponisten manches Tremolo und manche scharfe Höhen verzeiht, nicht mit, sie wirkte solide brav – und etwas vorsichtig. Komiker (Erich Kunz, Murray Dickie, Oskar Czerwenka und Kurt Equiluz), Nymphen (Anneliese Rothenberger, Gerda Scheyrer und Dagmar Hermann) und im besonderen Maße Alfred Poell als Musiklehrer und Peter Klein als Tanzmeister standen auf der Höhe ihrer Aufgaben.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 30. November
Man kann zu dem Werk stehen wie man will, doch Hans Hotter in der Titelrolle zu hören und sehen, bietet eines der großen Opernerlebnisse unserer Tage. Geheimnisvoll in seinem großen Monolog im ersten Akt, erschütternd im Kniefall vor Senta und aufwühlend in der Schlußszene bietet der Künstler eine Gesamtleistung, vor der jede Kritik verstummen muß. Walter Kreppel sang einen vorzüglichen, zu hell timbrierten Daland. Hilde Zadek hatte als Senta nicht das nötige Stimmvolumen, um Hans Hotter eine adäquate Partnerin zu sein. Wolfgang Windgassen sang mit halber Stimme den Erik. Am Pult Wilhelm Loibner.