DER JÄNNER 1960

5. Jahrgang, Heft 2

 

Eines muß man zu Beginn des neuen Jahres in der Wiener Staatsoper mit einer gewissen Freude feststellen: Katastrophen, wie sie früher an der Tagesordnung waren, gibt es keine mehr. Wohl sind die Aufführungen von unterschiedlicher Qualität – das ist bei dreihundert Abenden im Jahr wohl auch nicht anders möglich – aber immerhin ist auch an schwächeren Abenden der Großteil der Mitwirkenden gut und die Leistungen, die man nicht als gut bezeichnen kann, sind in den meisten Fällen noch passabel. (Für unsere Verhältnisse versteht sich – anderswo könnten sie vielleicht noch als über dem Durchschnitt liegend bezeichnet werden.) Dies bezog sich allerdings auf die Sänger. Bei den Dirigenten hat sich nicht viel verändert. (Man kann darüber in allen unseren Monatsberichten herzbewegende Klagen lesen, wir brauchen sie nicht erst detailliert zu wiederholen.) Immerhin ist die Anzahl der Abende Michael Gielens auf ein Minimum reduziert. Dafür scheint Heinrich Hollreiser umso öfter auf dem Programmzettel (im Jänner zwölfmal) auf. Im übrigen erklärte unlängst ein Fachmann rügend, daß wir uns irrten und Herr Hollreiser ein guter Dirigent wäre. Wir halten uns keineswegs für unfehlbar und wollen daher auch nicht demagogisch widersprechen. Ist nun der Fachmann im Recht und wir im Unrecht, so ergibt sich als einzig logischer Schluß, daß es dann die Philharmoniker sind, die unter Hollreisers Leitung so elend spielen! Speziell die Meistersinger hat man nun Hollreiser, keineswegs zu deren Nutz und Frommen, anscheinend total überantwortet! Ist es nötig, daß z.B. Herr Cluytens sauer ist, weil man ihm die Meistersinger versprach und ihn dann keine dirigieren ließ? Ist es nötig, daß Herr von Matacic schon Wochen vorher, allerdings ohne ihn zu fragen oder zu informieren, angesetzt und denn zu Gunsten Hollreisers wieder abgesetzt wurde? Und dann mußte man plötzlich Herrn Swarowsky als Gast für die Aufführung am 31. Jänner gewinnen, weil Herr Hollreiser offenbar weder Zeit noch Lust hatte, seine Abonnement-Oper wieder zu dirigieren. Was sagt denn da der Herr Minister dazu, wo er doch der Meinung ist, es sollen unsere eigenen Ensemblemitglieder verwendet

werden? Matacic und Cluytens sind zweifellos solche! Fürwahr, ein Meisterstück der Planung! Diesbezüglich hat sich überhaupt wieder einiges getan. Jeder Künstler, der sich dann wutentbrannt in die Direktion begibt, um sich über Unzulänglichkeiten zu beschweren, erhält als Antwort mysteriöse Andeutungen etwa des Inhaltes: „Da sind noch ganz andere Sachen vorgekommen!" Fesch muß es in unserem Generalsekretariat zugehen, wenn der Chef außer Landes ist. Und warum bleibt noch immer Herr Mattoni nicht zu Hause, um derlei zu verhindern? So weit, so ungut.

 

DER ROSENKAVALIER am 1. Jänner

Das war ein einmalig schöner Abend und ein sehr gutes Omen für das Jahr 1960 und wir vergaßen alle unsere finsteren Gedanken, denn diese Aufführung wir wahrhaft festlich, würdig und prächtig. Es scheint uns diese Aufführung die schönste im großen Haus seit der Eröffnungsvorstellung unter Knappertsbusch gewesen zu sein.

Im Mittelpunkt des Abends stand Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin, eine vollendete und vollkommene Verkörperung dieser Gestalt. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man die stimmliche und technische Perfektion der Künstlerin rühmen. Wir erwähnen nur die wunderbar breitgesponnene Pianophrase des „hab mir’s gelobt ..." im Terzett, das verhauchende Pianissimo der „silbernen Rose" im ersten Akt oder die fast hochdramatische Wucht von „wenn eine Sach ein End hat!" Das Faszinierende an der Opernsängerin Elisabeth Schwarzkopf ist das unglaubliche Einfühlungsvermögen in die Rolle: sie gibt dieser vielschichtigen Figur einfach alles. Den hinreißenden Charme und die Zärtlichkeit der schönen, reifen Geliebten, die Angst, den Zweifel, die resignierende Demut, den Stolz der großen Dame, den Stolz eines gekränkten Frauenherzens und schließlich doch das Verzeihen einer großen Seele, das aber Schmerz und Verbitterung zurückläßt. (Auch das konnte man sehen! Ein Zucken der Schultern beim Abgang nach „Ja, ja!" konnte alles das deutlich machen.) Welch ein Glück, daß die Schwarzkopf endlich einmal auch in Wien als Marschallin zu hören war, wohin sie eigentlich von jeher gehört hätte. Wir glauben nicht, daß man – bei aller Wertschätzung der großen internationalen Opernhäuser und ihrer ebenfalls sehr geschätzten Kritiker und Auditorien – diese einmalige, im höchsten und schönsten Sinne moderne Gestaltung der Marschallin anderswo ähnlich und ihrem wirklichen Wert adäquat würdigen kann, als bei uns in Wien.

Sena Jurinac ist der große Octavian unserer Tage, elegant und vornehm, temperamentvoll und charmant, voll Intensität und Gefühl und gesanglich wahrscheinlich durch die dramatische Verdunkelung des Timbres, ideal zu nennen und besser und schöner denn je.

Anneliese Rothenberger (Sie ließ sich wegen einer Erkältung entschuldigen, man merkte aber, außer einigen Tönen in der Mittellage, kaum etwas davon .) war eine gefühlvolle, innige, gleichfalls sehr intensiv empfindende Sophie. Darin eben paßte dieses Damen-Trio so gut zusammen, im Sinne eines idealen Ensembles nämlich!

Otto Edelmann sang den Ochs sorgfältig, mit reduziertem Stimmvolumen – was aber absolut nicht stört, im Gegenteil – auch darstellerisch dezent und gemäßigt. Ein herrlich urwüchsig und stimmlich geradezu idealer Mal wir Otto Wiener, der in dieser Partie immer wieder mit neuen Ideen aufwartet – köstlich fanden wir, wie er, ein rechter Hausherr, seinem zukünftigen Schwiegersohn die Architektur seines Empfangssaales zeigen wollte. Giuseppe Zampieri sang einen ganz ausgezeichneten Sänger. Unter den Comprimarii ist besonders der elegante Intrigant Valzacchi Peter Kleins erwähnenswert, der durch sein witziges Spiel ebenso wie durch seine aufgeklebte spitze Nase größte Heiterkeit erregt.

Heinz Wallberg, der ohnedies schon ein ausgezeichneter Dirigent ist, scheint das Zeug in sich zu haben, mit den Aufgaben noch zu wachsen. Von den prachtvollen Leistungen auf der Bühne offenbar inspiriert, steigerte er sich zu einer ungeheuren Intensität, die die Aufführung so besonders auszeichnete, gipfelnd in einem traumhaften Terzett, dem schwierigen Prüfstein eines echten und rechten Rosenkavalier-Ensembles, das an diesem Abend dem Zuhörer direkt den Atem nahm.

ORPHEUS UND EURYDIKE am 2. Jänner

Wenn die leidigen Klosettmuscheln von der Bühne verbannt worden wären (das ließe sich doch ohne weiteres machen, das Ballett könnte auch so hereinspazieren!), hätte man das Gefühl gehabt, der eigentlichen Wiener Orpheus-Premiere beigewohnt zu haben. Herbert von Karajan hatte seine Wucht und Intensität wieder, die in Salzburg die Oper so erregend gemacht hatte. Man gewann nicht mehr den Eindruck, einem alten Stück zuzuhören, diese dichte, herbe, starke Art der Interpretation sprach unmittelbar an und machte das Werk lebendig, lebendiger als manches jüngere. Allerdings erwies sich die starke Heerschar der herrlich spielenden philharmonischen Streicher manchmal als zu mächtig, selbst für die voluminöse Mittellage von Giulietta Simionato, die aber ihren schönsten und besten Wiener Orpheus sang.

Wilma Lipp, die prachtvolle Eurydike, hatte einen ganz hervorragenden Abend. Anneliese Rothenberger ist noch immer mit der Partie des Eros nicht ganz glücklich.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 3. Jänner

Im Mittelpunkt der Aufführung stand Otto Wiener der Sachs, der so ehrlich und genau singt, wie kein anderer und der die Gestalt des Schusterpoeten mit Würde, Herz und Humor verkörpert – ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht, sicheres Fundament eines echten Ensembles. Letzteres war aber an diesem Abend nicht immer zur Stelle. Sebastian Feiersinger als Junker Walter gab den Beweis, daß er ein solider Sänger ist. Mehr ist über ihn nicht zu sagen. Irmgard Seefried sang vom B im Quintett abgesehen, ein überraschend gutes, auch darstellerisch ruhigeres Evchen. Walter Kreppel sang und war ein würdiger Interpret des Pogner. Peter Klein wußte durch Persönlichkeit und Intelligenz das stimmliche Überfordertsein teilweise auszugleichen. Über Karl Dönchs Beckmesser ist nichts Neues zu sagen. Hans Braun und die übrigen Meistersinger konnten sich wie üblich nicht mit Ruhm bedecken. Die Aufführung leitete Heinrich Hollreiser. An diesem Abend setzte er sogar Otto Wiener durch wahre Orchesterfluten arg zu.

DER ROSENKAVALIER am 4. Jänner

Unsere Kritiker, die am Neujahrstag wirklich etwas versäumt haben, schickte man unerklärlicherweise (Oder wollte man ihnen Zeit zum Ausschlafen geben?) in die zweite Aufführung unter Heinrich Hollreiser, der sich dem Diktat der Bühne beugte, aber sonst natürlich die Klasse der Aufführung etwas drückte, obwohl sich auf der Bühne nicht viel verändert hatte. Den Faninal sang Alfred Poell.

Es ist kaum glaublich, aber wahr Elisabeth Schwarzkopf vermochte im dritten Akt ihren Ausdruck und ihre Intensität noch zu steigern. Sena Jurinac war wieder der Oktavian Anneliese Rothenberger und Giuseppe Zampieri sangen fast noch besser als bei der Aufführung am Neujahrsabend, die uns als eine der schönsten und geschlossensten Aufführungen im Gedächtnis bleiben wird, obzwar wir gerade in dieser Oper an Vergleichsmöglichkeiten keinen Mangel haben.

DON GIOVANNI am 5. Jänner

Diese Aufführung brachte einen Repertoire-Giovanni unter Heinrich Hollreiser (bei diesem nichts neues!). Auf der Bühne dominierte das prächtige Paar Eberhard WächterWalter Berry als Giovanni und Leporello, obzwar sich ersterer – wahrscheinlich im Hinblick auf den Tags darauf singenden Grafen unter Herbert von Karajan – ein wenig schonte. (Er ließ sein berühmtes A unter den Tisch fallen.) Teresa Stich-Randall sang die Ensembles passabel, die Arien jedoch schrill, hektisch und ohne jeden Stil. Sie sollte die beiden Arien lieber auslassen, ist sie doch damit schwerstens überfordert – übrigens auch das Publikum! Wilma Lipp wächst immer mehr in die Partie der Elvira hinein und brilliert besonders mit der großen Arie. Man bedauert es aber immer wieder, daß die bezauberndste Zerlina, die wir hatten, seit ihrem Elvira-Studium verloren gegangen ist. Rita Streich ist in dieser Rolle blaß und unbedeutend und ihre Mittellage – offenbar durch das dauernde auf-die-Stimme-Hauen zwecks Volumen-Vergrößerung bereits ziemlich kräftig tremolierend. (Dafür ist sie die publicity-süchtigste Sängerin, die es überhaupt gibt. Man kann nicht einmal den „Innviertler Heimatboten" aufschlagen, ohne ein Interview von Rita Streich samt Söhnchen Franklin darin zu finden!). Anton Dermota schien stark indisponiert zu sein. Warum er aber aus diesem Grunde die erste und nicht die zweite Arie ausließ, die doch viel schwieriger ist, wird uns ewig ein Rätsel bleiben. Walter Kreppels Stimme wächst stetig. Seine Intonationsschwankungen werden aber leider auch immer größer. Der Sänger sollte doch nicht täglich an einem anderen Opernhaus auftreten.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 6. Jänner.

Interessante Rückblicke beschwor diese Aufführung herauf. Herbert von Karajan hatte dieselbe Damenbesetzung wie anno 1948 zur Verfügung, als er zum ersten Mal in Salzburg mit seinem wirbelnden Figaro Furor machte: Schwarzkopf-Seefried-Jurinac.

Elisabeth Schwarzkopf hat sich von einer Gräfin, die damals sehr aufhorchen ließ (Es war ihr zweiter Schritt ins „große lyrische" Fach nach der Elvira!), zu einer wahrhaft vollkommenen Vertreterin dieser Rolle entwickelt. Wie sitzt da jede Note, jede Phrase, wie ist da Gefühl und Wesen der Rolle souverän aus dem Musikalischen heraus entwickelt! Übrigens überraschte sie dadurch, daß sie „Porgi amor" nicht mehr im Piano sondern in einem herrlichen Mezzavoce sang. Sena Jurinac ist, obzwar sie sich ein ganz anderes Fach erobert hat, ein herrlicher Cherubino, charmant, frech, verspielt. Das alles mit dezenter Feinheit, von frischem Temperament und gefühlvoller Innigkeit, stimmlich – von zwei „Fröschen" bei „Voi che sapete" abgesehen, die aber wirklich nicht störten – tadellos, und überhaupt sieht sie aus wie siebzehn. Irmgard Seefried, die stilvolle Mozartsängerin, hatte es in dieser Nachbarschaft schwer. Man merkte zu deutlich wie sie sich (Finale zweiter Akt, Briefduett!) plagen muß. Die Partie ist eben für eine leichtere Stimme gedacht. Immerhin macht Frau Seefried die Rosenarie, die ja tiefer liegt, zu einem Kabinettstück beseelten Mozartgesanges.

Erich Kunz sang einen guten Figaro, und Eberhard Wächter, der zu der Zeit, da seine Kollegen 1948 bereits von sich reden machten, noch auf die Akademie ging, erwies sich erneut als hervorragender Sänger und Persönlichkeit von Format, bestes Ergebnis der „Wiener Schule".

Unter Herbert von Karajans souveräner, meisterlicher Leitung gab es so einen wirklich prachtvollen, echt wienerischen Mozartabend.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 7. und 30. Jänner

Sie gab mehr dem Auge als dem Ohr. So sehr die farbenprächtigen Bühnenbilder, die brillante Regie und das temperamentvolle Spiel der Akteure Atmosphäre ausstrahlten, so wenig konform ging damit Michael Gielens musikalische Interpretation. Das sorgfältige Studium der Partitur sei nicht angezweifelt, aber der junge Dirigent bringt viel zuviel Nüchternheit für die slawische Oper mit. Smetanas volksliedhaft strömende Melodien wollen gefühlsbetont musiziert werden. Trocken, und ohne den Details Wärme und Liebe angedeihen zu lassen, leitete er den Abend und das Fazit: Glanzlosigkeit, Langeweile. Es sangen: Irmgard Seefried, die eine gewisse Anlaufzeit brauchte und dann mit einer sehr schönen Arie aufwartete, wenn auch etwas langsam im Vortrag. Waldemar Kmentt sang den Hans, bei den hohen Tönen leider ziemlich belegt, den Wenzel Peter Klein, jene Partie in der er vor fast zwanzig Jahren die ersten Gastierversuche an unserem Haus unternahm und damals außerordentlich gefiel, und noch heute kann man ihm das nachsagen. Ludwig Welter kämpfte unüberhörbar mit Schwierigkeiten in der Höhe und von den kleineren Partien erfreute Hilde Konetzni durch den Seltenheitswert ihres mächtigen Soprans.

CARMEN am 8. Jänner

Die Carmen-Aufnahme unter André Cluytens hat, als sie herauskam, einen ungeheuren Eindruck auf uns gemacht, weniger wegen der uninteressanten Sänger (von der Opera comique Paris) als wegen der hinreißenden Leistung des Dirigenten, der aus der Partitur alle Feinheiten, allen Schwung und alle Eleganz herausholte. Als er nun Carmen an der Wiener Oper dirigierte, war man gespannt, wie sich das wohl in natura anhören würde. Nun, man soll nicht immer mit Herbert von Karajan vergleichen, aber bei diesem Stück ist es offenbar doch nötig, da dem Wiener Publikum bei André Cluytens offenbar Karajans Rasanz und blutvolle Dramatik fehlte. Es dürfte sich allerdings dabei um Dinge handeln, die Karajan aus der Carmen herausholte, obwohl sie vielleicht gar nicht drinnen sind. Er kann das manchmal. Es scheint ein Kennzeichen der französischen Musik zu sein, daß es ihr – für unser Gefühl selbstverständlich – an Kraft fehlt, an Härte, an Dynamik und daß dem Wiener Hörer ein Fehlen dieser Merkmale im Allgemeinen als Manko des Dirigierenden erscheint. Zweifellos hatte die Aufführung nicht die Stimmung beim Publikum erzielt, die Karajans Carmen im allgemeinen hervorrufen. Uns selbst gefiel – wahrscheinlich im Widerspruch zur vox populi – die Auffassung von André Cluytens, die ja wahrscheinlich die authentischere ist, ausgezeichnet. Es wurde mit Geschmack, Feinheit, Eleganz und Gefühl musiziert – und schließlich – es muß ja nicht immer knallen – Abwechslung tut gut, auch bei hervorragenden Leistungen. Die Besetzung harmonierte stilistisch zum allergrößten Teil mit der Linie des Dirigenten auf das vortrefflichste, was sich besonders bei der Carmen, Giulietta Simionato, auswirkte. Sie ist eine Carmen, die singt. Unerhört ist ihre pastose Tiefe, unglaublich sicher die Höhe (ein eingelegtes C im Finale des zweiten Aktes!). In der Mittellage klang sie (besonders an diesem Abend) nicht so rein und sicher wie sonst. Indispositionen wirken sich bei Giulietta Simionato offenbar merkwürdigerweise nur dort aus. Darstellerisch ist sie ungemein interessant. Sie zeigt keine Spur der intellektuellen Salon-Schlangen-Carmen (eine Auffassung, die durch eine Persönlichkeit vom Format Regina Resniks auch durchaus interessant und glaubhaft gemacht werden kann). Sie erinnert am ehesten an ihre große Landsmännin Dusolina Giannini. Wie diese beginnt sie die Carmen frech, gewöhnlich, lustig. Ganz natürlich entwickeln sich daraus Leichtfertigkeit, Gewissenlosigkeit, eine gewisse Überheblichkeit, resultierend aus dem Gedanken an das Nächstliegende, Entflammbarkeit der Sinne – gepaart mit völliger Gefühllosigkeit – und alles das doch schon leicht überschattet vor der Angst, vor einem abergläubisch vorausgeahnten Schicksal. Eine unglaublich durchdachte, völlig bruchlose und – wie wir annehmen – wahrscheinlich die richtigste und sowohl der Novelle als auch der musikalischen Charakterisierung durch Bizet adäquateste Auffassung – allerdings vielleicht nicht die effektvollste. Doch darauf kommt es ja nicht an. Mit dem Don José gelang unserem Hausitaliener Giuseppe Zampieri ein ebenso großes wie unerwartetes Bravourstück. Man hatte annehmen können, daß er einen ausgezeichneten ersten Akt und eine gute Blumen-Arie würde singen können. Daß er aber ebenso souverän mit der Dramatik des dritten und vierten Aktes fertig werden, tadellos sitzende Spitzentöne schmettern und bei allem noch das Jussi Björling-artige Timbre seiner schönen weichen Stimme auf das beste zur Geltung zu bringen imstande sein würde, war eine ebenso große wie erfreuliche Überraschung. Auch darstellerisch wurde er mit diesem Helden ohne Heldentum, diesem weichen Mannsbild in ebenso unpassender Militär- wie Schmuggler-Gewandung (Don José hätte seinem Charakter nach ein biederer Gärtner oder Bäcker werden müssen) durchaus fertig. Virginia Zeani ist absolut keine lyrische Sopranistin. Wenn sie Butterfly, Manon Lescaut, ja sogar Tosca sänge, würde die Stimme wachsen und leichter und frei werden. Auch ihrer starken Bühnepersönlichkeit entspräche das dramatische Fach weit besser. Aber sie hat den leidigen Komplex, unbedingt das Callas-Fach singen zu müssen. Wie sie die Puritani oder die Sonnambula bewältigt, weiß die Muse Polyhymnia allein! Als Micaela war die schöne Stimme nicht richtig eingesetzt. Sie klang stoßweise, unruhig und viel zu kurzatmig. Das ist ein interessantes Kennzeichen für Stimmen, die in ein zu lyrisches Fach gezwängt werden!. Walter Berry, Escamillo dieser Aufführung, geriet beim Torerolied ins Forcieren. Das hat er doch wirklich nicht nötig, sang aber den dritten und vierten Akt vorzüglich und mit voller, schöner Stimme. Die Comprimarii Liselotte Maikl, Margareta Sjöstedt, Claude Heater, Ljubomir Pantscheff, Kurt Equiluz, Harald Pröglhöf sangen brav und sauber.

DON GIOVANNI am 9. Jänner

An diesem Abend übernahm Elisabeth Schwarzkopf die Partie der Elvira und dies bedeutete eine Idealbesetzung. Nicht ebenso ideal war manches andere. Teresa Stich-Randall hatte diesmal den Ehrgeiz, in den Ensembles dominieren zu wollen, was den Ohren des Publikums keineswegs wohl tat. Und der Ottavio Waldemar Kmentts dokumentierte diesmal stimmliche Ermüdungserscheinungen. Otto Edelmanns Leporello konnte, abgesehen von stimmlichen Mängeln, dem Publikum nicht einmal ein Schmunzeln entlocken. Auch ist die Zerlina Irmgard Seefrieds ist nicht mehr die glanzvolle Interpretation von einst. Dazu war sie wieder so überaus geschäftig, daß sie im Ballakt sogar das Bühnenorchester dirigierte. Dominierend dagegen Eberhard Wächter und zufrieden stellend Walter Kreppel als stimmgewaltiger Komtur. Heinrich Hollreiser dirigierte – wie gehabt.

ARIADNE AUF NAXOS am 10. Jänner

Hans Swarowsky, der als Gast diese Vorstellung dirigierte, kam vom Nachmittagskonzert zu dieser Aufführung herübergestürzt, und weil er schon so in Schuß war, raste er nach Schluß der Aufführung mit einer derartigen Geschwindigkeit hinter die Bühne, daß er bereits beim zweiten Vorhang mit herauskam. Auch ein Rekord. (Er wird darin nur von Michael Gielen überboten). Im deutschen Fach erzielt Professor Hans Swarowsky weit bessere Wirkung als im italienischen. Hier kann man doch mit Partiturkenntnis, Gewissenhaftigkeit und Routine relativ mehr erreichen. Für die Ariadne wirkten sich die genannten Eigenschaften sogar recht günstig aus. Die Aufführung ist ja, wie schon oft erwähnt, ungeheuer verschlampt gewesen. Beim Vorspiel allerdings, das etwas schwunglos und akademisch geriet, dominierte eindeutig die Bühne. Besonders durch Sena Jurinac und Paul Schöffler, die die Rollen des Komponisten und seines getreuen Lehrers meisterhaft ausfüllten. Bei der Oper selbst wirkte sich Hans Swarowskys Routine sehr gut aus. Hier kam jeder Einsatz mit der größten Pünktlichkeit. Mit solch sicherem technischen Rückhalt gewann der Abend zusehends an Stimmung und Atmosphäre. Wenn man uns fragt, uns ist ein solider Kapellmeister, der mit Ruhe und Kenntnis seines Amtes waltet, wesentlich lieber als einer, der dasteht und auf die Inspiration wartet, die dann meistens sowieso nicht kommt. Und wenn schon! Was hat man davon, wenn von 3467 Phrasen einer Oper 28 inspiriert sind und die anderen total unter das Pult fallen? Ruth-Margaret Pütz sang eine glockenreine Zerbinetta-Arie und bewährte sich auch in den Ensembles aufs Beste. Auch darstellerisch war sie recht lieb und nett. Hilde Zadek und Rudolf Schock sangen das seriöse Paar nicht ohne Anstrengung, aber mit größtenteils gutem Erfolg. Das Komikerquartett (Peter Klein, Kurt Equiluz, Erich Kunz, Ludwig Welter) litt zur Gänze an der „Höhenkrankheit". Angenehm fielen aber die persönlich gefärbten Blödeleien von Peter Klein (der leider als Tanzmeister durch den unzulänglichen Hugo Meyer-Welfing ersetzt wurde) und einige schöne tiefe Töne von Ludwig Welter auf. Anneliese Rothenberger dominierte wie immer unter den Nymphen. Man könnte ihr schon einmal bessere Kolleginnen zugesellen.

CARMEN am 11. Jänner

Die Besetzung war weitgehend ident mit der Aufführung vom 8. Jänner und brachte wieder ausgezeichnete Leistungen der Interpreten. Mit einer Ausnahme: Wenn der Morales Claude Heater sich allerdings über den Escamillo wagt, wie in dieser Vorstellung, dann ändert sich das Blatt! Er brachte es zuwege, noch schlechter als Premisl Koci bei der seinerzeitigen Premiere (der dann spurlos verschwand) zu sein. Damit ist eigentlich schon alles über ihn ausgesagt. Warum das Generalsekretariat ausgerechnet ihn mit dem Escamillo betraute (während Otto Wiener zur Verfügung gestanden wäre), und noch dazu Claude Heater selbst die Herren bat, ihn in dieser Rolle nicht einzusetzen, wirft wieder einmal ein bezeichnendes Licht auf die Fähigkeiten der in der Abwesenheit des Chefs amtierenden Beamten.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 12. Jänner

Mit etwas bangen Gefühlen ging man dagegen in diese Aufführung. Doch siehe da, Heinrich Hollreiser hatte einen guten Abend, bemühte sich um Durchsichtigkeit und Schonung und war der Aufführung ein umsichtiger Leiter. Sena Jurinac hatte das Gewand des Cherubin mit dem der Gräfin vertauscht und hatte einen großen Abend. Mit ihrer herrlichen Stimme, ihrem Ausdruck und dem so menschlichen und beseelten Spiel stellt sie wahrlich eine Idealbesetzung dar. Wien kann sich glücklich schätzen, innerhalb einer Woche zwei so große Künstlerinnen wie Elisabeth Schwarzkopf und Sena Jurinac als Gräfin gehört zu haben. Hier verstummt jeder kritische Vergleich. Es bleibt nur der Stolz und die Freude, diese beiden Sängerinnen zu unserem Ensemble zählen zu dürfen. Eberhard Wächter war ein temperamentvoller Graf und brillierte wieder mit seiner großartig gesungenen Arie. Auch Giulietta Simionato ist nun in den Wiener Figaro hineingewachsen, gab mehr Stimme und wirkte viel gelöster, als in den vorherigen Aufführungen. Erich Kunz, unserem bewährten Figaro, hätte man eine andere Susanne als Rita Streich gewünscht, die die einzige Enttäuschung des Abends war. Sie blieb in der Mittellage unhörbar und tremolierte in der Höhe. Ira Malaniuk erstmals im großen Haus als Marcellina zu hören, ist eine begrüßenswerte Neubesetzung und sang und spielte ausgezeichnet. Endre Koréh war ein kurzatmiger, aber passabler Bartolo und Peter Klein bot seine bewährte Charakterstudie als intriganter Musikmeister.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 13. Jänner

Das chronische Ansetzen zeitigte seine Früchte: Das Haus war schwach besucht, im Auditorium herrschte wenig Stimmung. Ungerechterweise, denn die Aufführung besaß gutes, ja teilweise sehr gutes Niveau. André Cluytens, der Charmeur des Taktstockes, dirigierte mit Überlegenheit und musikantischem Rhythmus, wobei ihm das Orchester willig folgte. In der Titelrolle begeisterte Otto Wiener, der über sich selbst hinauswuchs und voll großer Intensität die Partie gestaltete und sang. Neben seiner schon sprichwörtlich gewordenen vorbildlichen Diktion hatte er ganz große Momente im zweiten Akt, wo er mit technischer Meisterschaft mit herrlichen Schwelltönen im Duett aufwartete. Aber auch Hilde Zadek war mit Feuereifer bei der Sache. Sie spielte intensiver als sonst und gab auch stimmlich ihr Bestes. Leider hatte sie ausgesprochenes Pech mit ihren Spitzentönen. Ausgerechnet auf der Silbe „Treu" wollte es nicht klappen. Das Glück war der Künstlerin an diesem Abend nicht treu. Sebastian Feiersinger sang einen guten zweiten Akt und einen schwachen dritten, wo ihm die Stimme bei der schwierigen Stelle „Die Versicherung meiner Treu" in den Hals rutschte. Doch dieses Malheur ist schon viel berühmteren Tenören passiert. Walter Kreppel gefiel als Daland im ersten Akt, während ihm die Legatostellen des zweiten weniger lagen. Karl Terkal sang mit Frische und Begeisterung sein Steuermannslied und Elisabeth Höngen schenkte ihre große Kunst der Mary. Die schöne Vorstellung hätte wirklich mehr Beifall verdient.

JULIUS CAESAR am 14. Jänner

litt wieder unter der Inszenierung Oscar Fritz Schuh – Caspar Neher und der undifferenzierten musikalischen Leitung Heinrich Hollreisers. Umso bedauerlicher, als die Sängerleistungen in dieser Oper durchwegs ausgezeichnet sind. An der Spitze muß Eberhard Wächter genannt werden, der nun in die Partie ganz hineingewachsen ist und sie mit herrlicher Stimme und einem Maximum an Ausdruck interpretiert. Auch Irmgard Seefried darf die Kleopatra zu ihren Glanzrollen rechnen. Daran ändert auch die etwas schwache Mittellage nichts, weil hier endlich einmal Gelegenheit gegeben ist, daß die Stimme der Irmgard Seefried sich trotzdem voll entfalten kann. Ira Malaniuk sang mit Stilgefühl die Cornelia, Gottlob Frick war ein ausgezeichneter Ptolemäus und bewältigte besonders die schwierigen Koloraturen seiner ersten Arie souverän.

CARMEN am 15. Jänner

Wiederum gab es hervorragende Leistungen von André Cluytens, Giulietta Simionato, Giuseppe Zampieri und Walter Berry. Leistungen, die wir am 8. Jänner ausführlich gewürdigt haben.

OTHELLO am 16. und 18. Jänner

Der Dirigent André Cluytens hatte das Orchester straff in der Hand, und sein Othello ist hinreißend. Sowohl die dramatischen Stellen wie auch die lyrischen Momente kommen voll zur Geltung. Ihm ist es zu danken, daß uns diese Aufführung fesselte, obwohl es auf der Bühne nichts Neues gab. Sena Jurinac war nicht in bester Verfassung. Die Stimme klingt überanstrengt, manche Spitzentöne scharf. Sehr schön gelang ihr der letzte Akt, innig und ergreifend das Lied von der Weide und das Gebet. Der „ewige" Othello Carlo Guichandut nahm es mit der Tonhöhe und den Notenwerten nicht sehr genau. Mangelnde Gesangskultur läßt sich eben nicht durch Kraft allein wettmachen. Daß man den Othello auch singen kann, haben schon andere Sänger bewiesen. Aldo Protti war gut disponiert. Seine Gestaltung wird der Partie leider nicht gerecht. Ermanno Lorenzi fiel durch darstellerische Hilflosigkeit und gesangliche Unzulänglichkeiten unangenehm auf.

LA TRAVIATA am 17. Jänner

fand unter der Leitung des erfolgreich aus Chicago heimgekehrten Dirigenten Lovro von Matacic statt. Man hätte sich eine Vorstellung für ihn ausdenken können, die ein etwas stimmungsvollerer Beginn gewesen wäre. Immerhin aber ließ sich Lovro von Matacic dadurch seine Laune nicht verderben. Gab er im ersten Akt dem langsamen Tempo, das die schwer gewordene Stimme der Virginia Zeani für die Koloraturen brauchte, als Kavalier der alten Schule wahrhaft gentlemanlike nach, so diktierte er in den drauffolgenden Akten sein Konzept, und dieses war eindrucksvoll und stark genug, um die von Bühnenbild und Kostüme ausgehende degoutierende Atmosphäre auszulöschen, ja sogar die uns heute nicht mehr richtig liegende Geschichte der schwindsüchtigen Halbweltdame zu dem zu machen, was nicht dem wechselnden Geschmack der Zeit unterliegt: zur glaubhaften menschlichen Tragik. Damit ging voll und ganz die Leistung Virginia Zeanis konform. Wir sagten es schon, die Stimme ist schwer geworden, sicher auch schon für die Violetta zu schwer, aber das Timbre dieser Stimme ist bestrickend, und die Darstellung dieser schauspielerisch schwierigen Partie großartig. Nichts ist hier verkitscht, nichts gleitet ins Sentimentale ab, hier ist wahrhaftiges Gefühl. Das Sterben dieser Violetta ist echt und groß. Virginia Zeani stand in Giuseppe Zampieri ein ausgezeichneter Partner gegenüber. Wie hat doch die Stimme dieses jungen Sängers, über den die Tagespresse vor noch gar nicht so langer Zeit immer herzufallen pflegte wie der Hund über den Knochen, sich entwickelt und gewonnen. Darüber hinaus zeigt er sogar schon Temperament, natürliche und eindrucksvolle Gestik, eine anerkennenswert gute Leistung. Kostas Paskalis konnte dieses Niveau nicht halten. Er sangbrav und mit dem bekannt rauhen Timbre, aber er blieb unberührt

OTHELLO am 18. Jänner

wurde mit der Vorstellung vom 16. Jänner besprochen

BALLETTABEND am 19. Jänner

EIN MASKENBALL am 20. Jänner

An diesem Abend riskierte Carla Martinis einen abermaligen Comeback-Versuch, vor dem wir eigentlich ziemlich Angst hatten, um so mehr als sich dieser im Rahmen einer Giuseppe di Stefano-Aufführung abspielte. Die Sängerin hat uns aus diesem Grund einigermaßen angenehm überrascht, weil sie nicht so drauflos sang, wie wir es früher von ihr gewöhnt waren, sondern mit einigem Erfolg versuchte, die Stimme unter Kontrolle zu halten, was ihr zum Teil gelang, ihrem Gesang aber jede Linie nahm. Sie sang praktisch ohne Phrasierung, jeden Ton einzeln. Das in den Kopf hinauf geschleuderte Piano hat sie allerdings immer gehabt. Doch wurde dies in den Theater an der Wien-Zeiten als „italienischer Stil" deklariert, und wenn sich einige Schallplattensammler oder autostoppende Italienbesucher gegenteilig äußerten, wurde ihnen damals nicht geglaubt. Nun weiß es auch schon die breite Masse, wie ein Italiener singt, da man Giuseppe di Stefano daneben hörte, der mit Schmelz, Gefühl, Intelligenz und Kraft die Schönheit seiner Stimme voll entfaltete und mit der Kraft seiner Persönlichkeit wie immer kam, sang und siegte. Aldo Protti ließ seine mächtige Stimme über die Rampe strömen, daß es nur so eine Freude war. „Eri tu" wurde so zu einem Naturereignis, dem ein ebenso erdbebenhafter Applaus folgte. Liselotte Maikl und Hilde Rössel-Majdan wirkten verdienstvoll als Oscar und Ulrica. Ein großes Kompliment, wenn man weiß, daß oft prominentere Kolleginnen mit diesen beiden Partien nicht viel anfangen können. Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff sangen die beiden Verschwörer „mit des Baßes Grundgewalt". Sie sind bei weitem die beiden besten Verschwörer, die wir in Wien je gehört haben. Am Pult stand, freundlich willkommen geheißen, Lovro von Matacic, der einen feurigen, sinnlichen Verdi dirigierte – abgesehen vom Vorspiel. Bei dem war er noch nicht in Schwung.

DIE ZAUBERFLÖTE am 21. Jänner

wurde von Heinrich Hollreiser entzaubert. Mit Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit bemühte er sich, schnell über die Distanz zu kommen. Die Leidtragenden waren die Zuhörer, die Mozart anders kennen. Wie sehr Heinrich Hollreiser mit seinen Gedanken anderswo weilte (wahrscheinlich eilten sie schon zum am gleichen Abend stattfindenden Philharmonikerball) bewies sein Herumblättern in der Partitur nach der großen Papagenoszene, um rasch zu schauen, wie viel er noch zu dirigieren habe. Auch eine Einstellung! Die zweite große Enttäuschung des Abends war Rudolf Schock als Tamino. Zwar brachte er für diese Rolle seine vorzügliche Erscheinung, seinen künstlerischen Ernst, den er zweifellos immer besitzt, und sein durchdachtes Spiel mit, aber auf eines vergaß er ganz und gar, auf das Wichtigste der Opernbühne, nämlich auf die Stimme. Soweit man ihn überhaupt hörte, dachte man dabei stellenweise an die Nebengeräusche einer seiner Platten, wenn man sie fünfzigmal gespielt hat. Dabei hätte Wilma Lipp als Pamina sich wirklich einen singenden Tamino verdient. Ihre Stimme wird immer blühender und die Arie sang sie bezaubernd schön. Neben ihr war Walter Berry der Lichtblick des Abends. Mit seinem jung naiven Charme eroberte er sich mühelos das Haus und verstand mit netten Einfällen die musikalische Eintönigkeit aus dem Orchester aufzulockern. Mimi Coertse sang die erste Arie der Königin der Nacht unsauber und mit dem obligaten Pipser, die zweite gelang dafür wesentlich besser. Gottlob Frick hatten wir auch schon besser und in der Tiefe fülliger als Sarastro gehört. Anneliese Rothenberger sah allerliebst als Papagena aus. Ira Malaniuk sang diesmal die dritte Dame mit Erfolg, Elisabeth Höngen die zweite, die ihr weniger liegt als die dritte und Hilde Zadek wie üblich, die erste. Weniger als sonst gefielen diesmal auch die drei Sängerknaben.

EIN MASKENBALL am 22. Jänner

In dieser Aufführung wiederholte Giuseppe di Stefano seinen Riccardo. Obwohl er in den Ensembleszenen sparte, war er doch der viel umjubelte Held des Abends. Er wurde von Lovro von Matacic im wahrsten Sinn des Wortes väterlich betreut. Giuseppe di Stefanos letzter Akt zeigte das immense Können des Künstlers. Hier feierten das edle Timbre seiner Stimme, die Intensität des Ausdruckes und das wahrhaft erlebte Spiel Triumphe. Carla Martinis bemühte sich redlich und nicht ohne teilweisen Erfolg. Allerdings reichte ihre Kraft nur bis zur zweiten Arie. Was sie nachher sang, war viel zu tief. Aldo Protti ließ abermals seine mächtige Stimme durch das Haus klingen und Liselotte Maikl sang sicher den Pagen, den sie nur um einige Nuancen eleganter darstellen sollte. Hilde Rössel-Majdan fehlt der dämonische Ausdruck für die Ulrica, die sie aber verläßlich sang.

DER ROSENKAVALIER am 23. Jänner

war eine gute Durchschnittsaufführung, an der auch diesmal Heinrich Hollreiser Anteil hatte. Er brachte tatsächlich schöne Momente und auch einige orchestrale Steigerungen zustande. Herta Töpper sorgte als Oktavian für Abwechslung in der Besetzung. Sie spielte einen männlichen Quinquin, ergötzte das Auge durch eine gute Erscheinung und fügte geschickt und bruchlos die Mariandl-Szenen, ohne sie zu übertreiben, in das Portrait eines jungen Herrn aus großem Hause ein. Die schöne, warme Stimme kam besonders in der Mittellage und in der Tiefe zur Geltung, während die Höhe stellenweise forciert klang. Hilde Zadek ist als Marschallin bekannt und war stimmlich durchaus zufriedenstellend. Den größten Erfolg der Aufführung hatte eindeutig Wilma Lipp als Sophie, die sich in Superform befand. Die immer mehr an Volumen zunehmende Stimme klang schlackenlos rein bis in die höchsten Regionen der Partie. Dabei nennt die Künstlerin eine virtuose Technik ihr eigen, die ihren Gesang mühelos erscheinen läßt. Otto Edelmann war ein sympathischer Ochs, der – mit Ausnahme eines Falsettones statt eines Forte im zweiten Akt besser und stimmkräftiger als zuletzt sang. Anton Dermota plagte sich mit der Sängerarie. Ansonsten boten die kleineren Rollenträger ihr gewohntes Niveau, leider auch inbegriffen der Trompetenton Fritz Sperlbauers.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 24. Jänner

Im Mittelpunkt der Aufführung stand Otto Wiener als Sachs. Der Stolzing von Rudolf Schock wäre eher als Glücks-Spiel zu bezeichnen. Er kam zwar über die Distanz, es hätte aber auch schief gehen können. Da kommt ein intelligenter Tenor – man kann Rudolf Schock sogar als wirklichen Künstler bezeichnen – der sich bei allem Schallplatten- und Filmrummel noch ein gesundes und natürliches Empfinden bewahrt hat. Und dieser Tenor singt den Stolzing mit Geschmack und Gefühl, mit schöner Phrasierung und echter Teilnahme, spielt ihn wirklich als jungen, stürmischen Ritter, sieht ganz am Rande bemerkt noch besser aus als die anderen Stolzings miteinander – und das emsige Bemühen scheitert daran, daß er einfach zu wenig Stimme hat. Es ist wirklich ein Jammer! Dabei kann man noch Gott danken, daß Rudolf Schock ein so guter Techniker ist, denn sonst wäre vieles schief gegangen. Doch wenn er seine Stimme weiter so behandeln und überfordern wird, sehen wir schwarz für ihn. (Die Form, in der Rudolf Schock in den nachfolgenden und vorhergehenden Mozart-Abenden sang, spricht für unsere Befürchtungen!). Man wird richtig traurig, wenn man daran denkt, welch mächtige Stimmen oft in den riesigen Brustkörben von Sängern stecken, die absolut nichts damit anfangen können und frägt sich, warum ausgerechnet einer, der so viel damit anfangen könnte, so wenig davon hat. Irmgard Seefried sang ein überraschend gutes, auch darstellerisch ruhigeres Evchen. Gottlob Frick war der solide, bürgerliche Pogner mit mächtiger Stimme. Murray Dickie ist noch immer nicht gut bei Stimme. Als Ausgleich dafür bekam er eine extra charmante Lene in Gestalt von Ira Malaniuk.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 25. Jänner

Es war ein von Spannung getragener Abend, sogar ein äußerst stimmungsvoller. An diesem Abend fiel der Bajazzo gegen die Cavalleria ab, und es blieb Lovro von Matacic überlassen, vom Orchester her auszudrücken, was die Stimmen teilweise schuldig blieben. Walter Berrys Alfio glänzte durch Kraft und Frische, wie eh und jeh, und zwischen ihm und dem Turiddu von Giuseppe Zampieri hatte es Hilde Zadek nicht ganz leicht. Die Stimme ist für diese Partie zu schlank, zu wenig explosiv, aber wie die Sängerin die Schwierigkeiten meisterte, zwingt Anerkennung ab. Sie sang klug, sie gab das Letzte, und sie dokumentierte auch eine bemerkenswerte Musikalität, mit der sie widerspruchslos allen italienischen Akzenten nachgab, die Lovro von Matacic mit starker Hand erzwang. Im Duett mit Alfio war freilich die Überforderung herauszuhören. Trotzdem kann die Gesamtleistung eine gute genannt werden. Georgine Milinkovic ist als Mutter Lucia richtig eingesetzt und füllt die Partie aus, während Margareta Sjöstedt als Lola nicht zum Zug kommt. Weder in Erscheinung noch Spiel, noch im Timbre der Stimme schwingt ein Hauch von jener Erotik mit, die das Geschehen verständlich machen könnte. Das Abfallen des Bajazzo lag vor allem daran, daß Antonio Annaloro gleich nach dem Auftritt Canios stimmlich abbaute und Mimi Coertse als Nedda gesanglich wohl gewonnen hat, aber in der Ausstrahlung keineswegs intensiver geworden ist. Nur Aldo Protti als Tonio hielt das Niveau aufrecht.

DON GIOVANNI am 26. Jänner

Die Wiener Oper hat es ja heuer Gott sei Dank nicht gewagt, die Opernaufführungen, die rund um Mozarts Geburtstag stattzufinden pflegen, mit dem Titel „Mozartfest" zu belegen. Besonders bei diesem Giovanni hätten wir uns gegen diese Bezeichnung sehr gewehrt. Die Inszenierung wird – wie wenn sie nicht schon so schlecht genug wäre – von Abend zu Abend abgeschabter und schäbiger und Heinrich Hollreiser dirigierte wieder einmal Mozart. Ach Gott, was soll man da noch sagen! Wir haben mit Eberhard Wächter und Walter Berry geradezu eine Idealbesetzung für Don Giovanni und seinen Diener – aber immer können sie natürlich nicht singen – wollen es vielleicht auch gar nicht. Erst im Vergleich mit einer anderen Besetzung sieht man nämlich, wie gut sie sind. Wir haben, wie wir schon öfter betonten, gar nichts gegen Abwechslung, im Gegenteil. Nur verlangen wir von Gästen das gleiche Niveau wie von unseren eigenen Sängern. Don Giovanni und Leporello wurden aber mit Rudolf Jedlicka aus Prag – im Zusammenwirken mit Otto Edelmann, der nie ein Leporello war, auch keiner ist und nie einer sein wird. Rudolf Jedlicka ist wahrscheinlich zum ersten Mal aus seiner engeren Heimat herausgekommen. Das sei ihm vergönnt. Wir sind ja auch nicht so. Er ist der Besitzer einer angenehmen lyrischen Stimme und eines wohlgeformten Körpers. Darstellerisch aber kam er über durchschnittliche Routine nicht hinaus. Seine Rezitative waren geflüstert und mit ziemlicher stilistischer Ahnungslosigkeit langsam heruntergespult. Es wäre besser gewesen, ihn in der Volksoper als „Barbier" gastieren zu lassen – und überhaupt wollen wir ja unsere heimischen Künstler verwenden, hat auch der Herr Minister gesagt! Wie kam es also zu einem solchen Gastspiel? Vielleicht glaubte man, in ihm eine männliche Jeritza zu entdecken, die ja, wie erinnerlich, auch Jedlicka hieß. Daß er nur auf Grund seines Exterieurs gastiert hat, wollen wir denn doch nicht annehmen. Es wäre aber auch möglich, daß er ein Schützling desselben Oststaaten-Managers ist, der immer das merkwürdige polnische und ostdeutsche Sängervolk an die Volksoper verkauft, der aber auch oft Mitgliedern des Generalsekretariats Regie-Engagements in Italien oder Spanien verschafft. Da hätte man schon eher einen Grund dafür, daß unser einheimischer Künstler Eberhard Wächter so zurückgesetzt wird! Rudolf Schock hatte einen verhältnismäßig guten Abend. Er kämpfte nur bei der zweiten Arie ein wenig, dafür gelang ihm wieder das Bravourstück, die ganze lange Koloraturphrase dieser Arie mit einem Atemzug zu singen. Unter den Damen dominierte eindeutig Wilma Lipp mit ihrer prachtvoll gesungenen Elvira, deren Arie einschlug wie eine Bombe. Sena Jurinac hatte es mit den Arien der Donna Anna nicht gerade leicht. Besonders bei „non mi dir", war aber ansonsten eine dramatische, zornige, tragische Donna Anna. Darstellerisch ist sie zweifellos die beste Interpretin dieser Partie. Rita Streich sang diesmal sehr schlecht, mit fast heiserer Mittellage, ließ sich aber nicht entschuldigen. Es läßt sich also nicht sagen, ob das Indisposition oder Normalzustand war. Gottlob Frick (wieder wuchtig und stimmstark) und Ljubomir Pantscheff vervollständigten die Besetzung dieses seltsamen Repertoireabends.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 27. Jänner

An diesem Abend gab es – plötzlich im großen Haus! – diese Oper unter Heinz Wallberg. Die Kulissen würden auch schon einmal einen neuen Anstrich vertragen, und von einer Regie ist überhaupt nichts mehr zu bemerken. Merkwürdigerweise bestand die Besetzung größtenteils aus avancierten Comprimarii, die zwar ihre Sache recht gut machten, aber ein Idealfall einer Staatsopernbesetzung war das natürlich nicht. Die beiden einzigen Prominenten auf der Bühne waren Ruth-Margaret Pütz als Konstanze und Rudolf Schock als Belmonte. Ruth-Margaret Pütz war zwar stimmlich ausgezeichnet, aber doch nicht so souverän wie als Zerbinetta. Hauptsächlich aus dem Grund, weil sie ausdrucksmäßig zu stark forcierte, zu viel hineinlegen wollte und dadurch die Phrasen manchmal sprengte. Aber wenn Ruth-Margaret Pütz einmal die Konstanze mit einem Dirigenten von Format durcharbeitet, könnte sie die besprochenen Erscheinungen leicht verbannen. Rudolf Schock war – besonders im ersten Akt – geradezu bedauernswert schlecht. Nach der Pause ging es dann besser. Offenbar hatte der Theaterarzt Dr. Kende wieder einmal ganze Arbeit geleistet. (Warum soll dieser nicht auch einmal eine gute Kritik bekommen?) Ludwig Welter ist ein guter Osmin mit verschmitztem Humor, ausgezeichneter Prosa und prächtiger Tiefe. Über einzelne Höhen schwindelt er sich geschickt hinweg. Die hat ohnedies kein Osmin. Augenfällig ist der Geschmack und die Kultiviertheit von Ludwig Welters Spiel, der zwar komisch ist, aber nie ins Klamaukmachen abgleitet. Kurt Equiluz sang den Pedrillo gut und sauber. Er spielt auch recht nett. Sauber sang auch Liselotte Maikl das Blondchen. Sie hatte nur Schwierigkeiten bei „Welche Wonne, welche Lust" - aber die Arie ist ja auch wirklich schwer – blieb jedoch allzu blaß und farblos. Heinz Wallberg dirigierte das frische Jugendwerk Mozarts mit Schwung, Herz und Stilgefühl und bewährte sich wieder ganz außerordentlich.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. Jänner

Heinz Wallberg dirigierte diese Aufführung. Sein Name bürgt für Qualität. Das Orchester folgte willig, da es spürte, daß der Dirigent wußte, was er wollte. Die Tempi waren sehr ruhig, jedoch in den Proportionen zueinander wohl ausgewogen und hatten Mozart’sche Leichtigkeit. Bei den Sängern war es nicht ganz so ausgeglichen, wohl eher bei Graf und Gräfin Almaviva. Sena Jurinac schenkte dieser Partie abermals die herbe Süße ihrer Stimme und das ausdrucksvolle, von fraulicher Empfindung geleitete Spiel. Eberhard Wächter findet immer wieder neue Spielnuancen und ist daher zum Glück weit davon entfernt, in routinierter Schablone zu erstarren. Auch stimmlich war er in Hochform. Die große Arie hat er noch nie so schön gesungen und aus der Situation heraus gestaltet. Figaro hatte in Erich Kunz einen exzellenten Vertreter. Stimmlich bestens disponiert, war sein Spiel diesmal fern von Blödeleien. Rita Streichs Stimme zeigte wieder wenig Glanz und ihrem Spiel glaubt man wohl das Dienstmädchen, nie aber die enge Vertraute der Gräfin, die sie ja sein soll. Auch hat sie die an deutschen Bühnen gebräuchliche Art des Rezitativsingens, die in unseren italienisch gesungen Mozart nicht hineinpaßt. Es ist kein Parlando, was sie singt, sondern sie macht aus dem leicht fließenden Rezitativ dramatischen Sprechgesang mit viel zu viel Stimmentfaltung. An dem selben Übel krankt auch der Cherubino von Herta Töpper. Das war ein viel zu dramatischer, leidender Cherubino. Dabei hat Mozart doch den Charakter der Figur so deutlich gezeichnet. Cherubino ist nicht im geringsten kompliziert. Er schwärmt zwar und schmachtet, aber er braucht für sein Seelenleben keinen Siegmund Freud. Das Timbre von Hertha Töppers Stimme ist vor allem in der Mittellage sehr schön und was bestrickt, sind ihre Pianotöne, die wunderbar schwebend und tragfähig sind. Im Spiel war sie gehemmt und etwas hölzern, was vielleicht auf die ungewohnte Inszenierung zurückzuführen ist, oder vielleicht sind wir gerade beim Cherubin sehr verwöhnt. Anny Felbermayer, Ljubomir Pantscheff, Alois Pernerstorfer und Peter Klein waren in den kleineren Rollen gut. Georgine Milinkovic machte aus der Marcellina eine peinliche Karikatur und störte stimmlich in den Ensembles die Proportionen.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 29. Jänner

Die CAVALLERIA-Besetzung war ident mit der Aufführung vom 25. Jänner: Hilde Zadek, Georgine Milinkovic, Margareta Sjöstedt, Giuseppe Zampieri und Walter Berry. Und wir freuten uns einmal mehr an unserem ‚Zamperl’, denn er sang seinen bisher besten Turiddu, wirkte wohl bei der Sicilliana noch nicht frei gesungen, doch hat sein Trinklied ganz gewaltig gewonnen und das Addio war einfach vorzüglich. Walter Berrys Alfio glänzte durch Kraft und Frische und zwischen diesen beiden Partnern hatte es Hilde Zadek nicht ganz leicht.

Im BAJAZZO sang wieder Antonio Annaloro, der kein Schönsänger ist. Dem Organ fehlt die Fülle, dem Timbre der Wohlklang und die Rollenauffassung ist übersteigert, gleitet zu sehr zum Gaukler hin ab. Er ist nicht Spitzenklasse, aber was er sich selbst an diesem Abend abforderte und bot, ist durchaus akzeptabel. Antonio Annaloro gab, was er nur zu geben hatte, und das reicht auch für eine zweite Besetzung in Wien. Wir waren in früheren Zeiten viel größeren Kummer gewöhnt. Die Nedda Wilma Lipps war souverän und ebenso intensiv, wenn vielleicht auch nicht ganz hervorragend disponiert. Aldo Protti ebenso bewundernswert in der Charakterisierung wie in der verblüffenden Fülle seiner Stimmkraft und Claude Heater ein braver, anständiger Silvio. Ein besonders musikalisches Kabinettstück bot unser Meisterorchester unter Lovro von Matacic’ Leitung im Intermezzo.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 30. Jänner

wurde mit der Aufführung am 7. Jänner besprochen.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 31. Jänner

Paul Schöffler, der wieder seinen viel bejubelten Sachs sang, ließ sich nach einem guten ersten und zweiten Akt, in dem er seine Stimme sehr ökonomisch einsetzte, vor dem dritten Akt wegen einer plötzlichen Fieberattacke entschuldigen, gab aber mehr Stimme als bei seinem letzten Wiener Sachs und hielt schön durch. Hans Hotter ist ein machtvoll-würdiger Pogner, der seinesgleichen sucht. Seine Tochter war mit Sena Jurinac besetzt, die ein herbes, ernstes Evchen mit viel Gefühl sang. (Im Quintett war sie ebenfalls nicht fehlerfrei – dieses muß offenbar unwahrscheinlich schwer zu singen sein. Vor dem B zittern oft Sopranistinnen, die sonst ein C haben!) Herta Töpper ist eine weitere Vertreterin der neuen, jungen, feschen Magdalenen-Generation. Anton Dermota befand sich in prächtiger Verfassung und sang den David wie einst im Mai. Sebastian Feiersinger hielt sich wacker als Stolzing. Karl Dönch und Alfred Poell waren in den übrigen Hauptrollen (Beckmesser und Kothner) zu hören. An diesem Abend gastierte Hans Swarowsky, der die Aufführung jederzeit sicher in der Hand hatte und genau und mit Sorgfalt seines Amtes waltete. Seine Tendenz, den Mitwirkenden seine „Auffassung" aufzwingen zu wollen, was sich bei Konzerten manchmal ungünstig auswirkt, ist in der Oper natürlich nicht durchführbar – nur zum Vorteil der gesamten Aufführung. Nichtsdestoweniger setzte er extrem langsame Tempi bei Davids „Tönegeleis" und extrem schnelle in der Schusterstube durch. Die Sänger fühlten sich aber recht wohl dabei, und es könnte sein, daß dies einvernehmlich geschah. Das Vorspiel zum dritten Akt war aber auf jeden Fall zu langsam und entbehrte der inneren Spannung durchaus.

 

Man könnte abschließend ruhig sagen: „Es war schön, trotz manchem, das uns nicht gefiel, wenn nicht bei diesem „manchem" der Nadelstich spürbar bliebe, daß viele Fehler sich leicht hätten vermeiden lassen. Denn aus falscher Planung worden wir nun einmal nie die „Lehr daraus" nehmen, daß es so sein müsse. Wir nannten in diesem Monat als Dirigenten immerhin Cluytens, Karajan, Matacic und Wallberg unser eigen, und wenn daher gute Vorstellungen in die unrichtigen Hände kamen, so liegt es nicht an mangelnden Möglichkeiten, sondern einzig am guten Willen.

 

AM RANDE DER BUDGETDEBATTE

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 2

Zu unserer nicht geringen Überraschung entnahmen wir einer Tageszeitung vom 27. Jänner nachfolgend zitierten Bericht:

Der Tätigkeitsbericht des Rechnungshofes und der Bundesrechnungsabschluß, beide für das Jahr 1958, wurden beide gestern vom Ausschuß einstimmig angenommen und kommen morgen, Donnerstag, vor den Nationalrat. Heftige Debatten gab es vor allem hinsichtlich der Bundestheater. Die heißen Eisen:

Gesangssolisten und Stargagen: Wenn schon nicht ständige ausländische Spitzenkräfte herangezogen werden müssen, sollte man doch bei der Besetzung von zweiten und dritten Partien auf eigene Kräfte zurückgreifen. 1956/57 gab es 2110 Auftritte von Gastsolisten, im gleichen Zeitraum mußten 1,7 Millionen Schilling an Nichtleistungshonoraren für unbeschäftigte Solisten bezahlt worden.

Unterrichtsminister Drimmel versprach: Künftig wird die Verpflichtung ausländischer Künstler gedrosselt werden. Weiters teilt Drimmel mit: mit dem Rundfunk wurde ein Abkommen über Übertragungen von zehn Aufführungen der Staatsoper getroffen; hinsichtlich von Fernsehübertragungen konnte allerdings keine Einigung erzielt worden.

Uns scheint es unrecht, diese Dinge ausgerechnet im Jahre 1960 den Lesern zur Diskussion zu stellen, denn mittlerweile hat sich, wie bekennt, einiges geändert (der Herr Unterrichtsminister kann ja kaum darüber informiert sein, da er die Bundestheater so gut wie nie besucht).

Saison 1956/57: Das war – wie erinnerlich – das Jahr, in dem Herbert von Karajan seine Tätigkeit begann. Wir haben es seither Gott sei Dank schon wieder fast vergessen, wie gering die Anzahl von Sängern damals war, die das nötige Format für Aufführungen der Wiener Staatsoper mitbrachten. Andererseits verlangten die zuständigen Stellen von Karajan, daß er die Oper wieder schnellstens zu einem Fremdenverkehrsfaktor machen solle. Wenn man sich die deprimierend desinteressierte Stimmung aller Engagierten, seien es nun Solisten, Chor- oder Orchestermitglieder gewesen, von den Dirigenten ganz zu schweigen, ins Gedächtnis zurückruft, dann ist es verständlich, daß man durch Gastengagements unsere einheimischen Kräfte drauf aufmerksam machen mußte sich ebenfalls nach Kräften zu bemühen. Zum Teil war es auch die Umstellung auf originalsprachiges Repertoire, die Gastengagements von Trägern kleinerer Rollen nötig machte.

Die erste Sänger-Garnitur war natürlich innerhalb kürzester Zeit nicht greifbar. So kam es also etwa zur Verpflichtung von Mario Petri als Giovanni, die mehr als unnötig war, zum Engagement der Canali im Othello, das viel böses Blut machte, zum Engagement der Frau Richter, die freilich als Deutsche weniger Anstoß erregte als die armen Italiener. Hier wirkte es sich aus, daß die guten Kräfte, aber im besonderen die vielversprechenden Nachwuchssänger absolut kein Repertoire hatten (was haben nicht Wächter, Berry, Kmentt und Lipp seither an Rollen studiert!) – die davor liegenden Jahre des „Fortwurstelns" hatten böse Folgen.

Das hat sich nun seither nicht unwesentlich gebessert – wenn es auch noch immer genügend zu bemängeln gibt! In unseren Sängern ist nach und nach die Arbeitsfreude wieder erwacht, und jeder gibt alles, was er hat, wenn er auf der Bühne der Wiener Staatsoper steht. Manchmal vielleicht nur aus dem Grund, weil die Konkurrenz zu groß ist, aber die Beweggründe sind in diesem Fall schließlich egal.

Wir sagen: „Unsere Sänger!" Der Herr Unterrichtsminister sagt: „Die Verpflichtung ausländischer Sänger wird gedrosselt." Gegen diesen Satz muß man den Vorwurf der größten Unsachlichkeit erheben.

Wer ist schon ein „inländischer Sänger"? Wir haben da, wenn wir es schnell überschlagen, die Wiener Hilde Konetzni, Hilde Güden, Wilma Lipp, Leonie Rysanek, Hilde Rössel-Majdan, Gerda Scheyrer, Otto Wiener, Eberhard Wächter, Walter Berry, Otto Edelmann, Waldemar Kmentt, Erich Kunz, Hans Braun. Man kann nötigenfalls noch Herrn Beirer aus Wiener-Neustadt und Herrn Feiersinger aus Kirchbichl in Tirol zu den „Einheimischen" zählen. Wie man allerdings mit diesen Sängern ein komplettes Repertoire bestreiten will, leuchtet uns nicht ganz ein. Es kommen also noch österreichische Staatsbürger wie Irmgard Seefried, Paul Schöffler, Peter Klein, Elisabeth Höngen, Gottlob Frick und einige andere dazu. Doch denken wir an die Schweizerin Lisa Della Casa, den Schotten Murray Dickie, die Deutschen Hans Hotter und Wolfgang Windgassen und, als krassestes Beispiel, an Sena Jurinac – Stern der Wiener Staatsoper und ihr stets treu zugetan: geboren in Jugoslawien, italienische Staatsbürgerin. Oder an Elisabeth Schwarzkopf: Deutsche mit englischer Staatsbürgerschaft. Besonders an diesen Beispielen mag man die Abwegigkeit von solch patriotischem Chauvinismus erkennen – der Himmel bewahren uns vor derartigem Kantönli-Geist.

Interessant ist es, daß erst mit dem Auftauchen der Italiener (von denen auch unsere Spitzensänger manchmal noch einiges lernen können!) die Besinnung auf die sogenannten „heimischen" Kräfte begann. In der Ära Hilbert-Salmhofer stieß sich kein Mensch daran, daß hier die Damen Cebotari, Welitsch, Martinis, Milinkovic, Illitsch, Ilosvay, Nicolaidi, Rethy, Zadek usw. die Herren Badescu, Gostic, Koréh, Szemere, Wenkoff, Mazaroff, Neralic aber auch Hollweg, Walter Ludwig, Anders, Metternich, Uhde, Sigurd Björling und wie sie alle hießen einen Großteil des Ensembles bildeten und ebenso aus dem Auslande kamen wie jetzt die so angefeindeten Sänger aus dem Süden. Auf allen Gebieten ist die Tendenz zur Internationalität festzustellen, nirgendwo ist sie aber so leicht zu realisieren wie auf dem Gebiet der Musik. Alle Menschen werden Brüder, wo ihr sanfter Flügel weilt.

Wir möchten also schon sehr darum gebeten haben, daß unsere Sänger nicht in heimische und ausländische eingeteilt werden. Das Publikum ist der Holländerin Brouwenstijn, der Amerikanerin Price, der Italienerin Simionato, der Schwedin Nilsson ebenso dankbar für große Leistungen wie der Lipp oder der Rysanek. Und das Publikum hört den Signor Siepi ebenso gern wie Herrn Kammersänger Fischer-Dieskau, Mr. London ebenso wie Herrn Wächter und Mr. Vickers genauso wie Signore Zampieri. Es kommt immer nur auf die Qualität an.

Es wäre allerdings denkbar, daß durch eine geschicktere Planung die reichen Kräfte, die unserem Hause zur Verfügung stehen, auch diesem voll und ganz nutzbar gemacht werden. Man hat da schon sehr böse Erfahrungen gemacht. Z.B. mit „Maskenball", zugegeben eine schwer zu besetzende Oper. Leider ist es meistens so, daß der Riccardo gut und die Amelia schlecht besetzt sind oder umgekehrt: Die krassesten Fälle: Ein in Hochform befindlicher Giuseppe Zampieri und Claudia Parada a.G. Eine Birgit Nilsson mit Aldo Bertocci a.G. Ein Giuseppe di Stefano mit Carla Martinis u.s.w. Ein anderer, noch traurigerer Fall: Man hörte längere Zeit nichts von der „Capriccio"-Besetzung und dem gelernten Besucher der Wiener Oper schwante Böses. Und richtig! Es stellt sich heraus, daß man zur Zeit der Premiere ein „Figaro"-Gastspiel des Chefs an der Mailänder Scala veranstalten wird. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wenn nicht zwei für „Capriccio" ungemein wichtige Sänger, nämlich Christa Ludwig (Clairon) und Eberhard Wächter (Graf), an dem Gastspiel teilnehmen werden. Wir sehen nun mit Bedauern, wie hier durch ungeschicktes Management (Daß das Gastspiel nicht einige Tage früher oder später stattfinden könnte, wird uns niemand erzählen. Eine derartige Ordnung haben die Scala-Verantwortlichen nun auch wieder nicht, daß das Programm für Mai jetzt schon stehen muß!) die große Chance, den Neidern Karajans und Bekämpfern seiner Linie, ein „Wiener Ensemble" par excellence vorzuführen, versäumt wurde. Es geht nicht an, daß die Wiener Staatsoper durch (noch so gut gemeinte) Gastspiele geschädigt wird. Der flaue heimische Betrieb bei fleißigen Gastspielen hängt uns aus der Ära Hilbert noch zum Halse heraus. Wo sind wir denn eigentlich! Dabei ist die Scala ja noch ein Haus, an dem man mit gutem Wissen gastieren kann, was zum Beispiel für Wiesbaden weder recht noch billig ist. Wie kommt die Wiener Staatsoper, das erste Opernhaus der Welt, dazu, an einer deutschen Provinzbühne, in Gesellschaft von (ausgerechnet!) einer Stagione aus Palermo oder weiß Gott woher und der Oper Beograd, fast eine Woche lang das Repertoire zu bestreiten? Die Zeiten, wo wir Gastspiel in Wiesbaden nötig hatten, sind, dem Himmel sei Dank, vorbei. Unsere Gastpielveranstalter haben da auch wieder einmal die Zeit verschlafen.

Oder sollen wir vielleicht dort Ensemblekultur studieren? Die nämlich dergestalt aussieht, daß eine Reihe von Sängern engagiert ist, die alles singen: deutsche, italienische, französische Opern und die modernen. Und dafür das ganze Jahr brav zu Hause sitzen! Auf unsere Verhältnisse übertragen, wäre ein derartiger Versuch geradezu lächerlich.

Wir werden also, wenn wir ein wirklich großes Opernhaus sein und bleiben wollen, Spezialisten von Format für das eine oder andere Fach heranziehen müssen. Daß solche, zumeist teure Sänger, nicht ganzjährig beschäftigt werden können, ist ziemlich klar. Es wird also auch bei kurzfristigen Engagements etwa für zwanzig Abende oder für drei Monate bleiben müssen, ohne daß die trotzdem herzlich willkommenen Sänger deshalb als „unerwünschte Ausländer" bezeichnet werden dürfen!

Und was „Nichtleistungshonorare" für „unbeschäftigte heimische Solisten" betrifft: Wenn die heimischen Solisten Format haben, werden sie zehnmal im Monat angesetzt und können sich kaum über mangelnde Beschäftigung beklagen. Haben sie dieses Format nicht – ja, warum kaprizieren sie sich dann auf die Wiener Staatsoper? Es gibt gegen das Nichtbeschäftigtwerden ein einfaches Mittel: Weggehen! Oder in Pension gehen!

Wir hoffen, daß wir den merkwürdigen Worte des Herrn Minister in aller Ruhe und Sachlichkeit entgegnet haben. Und, um uns auf das Lieblingsgebiet des Herrn Unterrichtsministers zu begeben: Die Stars sind eben für die Oper genau so wichtig wie für den Sport. Der Herr Minister wird wissen, wieviel Wiener ins Stadion strömen würden, um etwa bei einem Fußballänderspiel Spanien-Österreich den Fußballstar di Stefano stürmen zu sehen - und wie wenige Unverdrossene zu einem Freundschaftsspiel Wulkaprodersdorf gegen Untersumsenbach pilgern würden. In der Oper ist es eben genauso!

 

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