DER MÄRZ 1960
5. Jahrgang, Heft 4
Frühlingserwachen in der Staatsoper
Der März war ein guter Monat. Er brachte so die richtige Mischung von Ensemble und interessanten Gästen, ein bunt gemischtes, recht abwechslungsreiches Programm, eine an sich allerdings uninteressante Premiere von Pizettis Mord in der Kathedrale, die nur durch die überragende Persönlichkeit Hotters Wirkung gewann, eine ausgezeichnete Ballett-Neueinstudierung mit Prokofieffs Romeo und Julia, die schon bei der Premiere so beifällig aufgenommen wurde, daß man wieder daran denken muß, ob das Ballett, das ja wenige Abende zur Verfügung hat, nicht lieber in der Mehrzahl abendfüllende Ballette, wie z.B. den kompletten Schwanensee, bringen sollte, als die Divertissements-Salat-Platten. Und letzten Endes gab es natürlich auch die obligaten „Fische", ohne die kein Monat in Wien vergeht: Z.B. eine hochinteressant besetzte Don Giovanni-Aufführung am 14. März (mit Ingrid Bjoner, Lisa Della Casa, Graziella Sciutti und Eberhard Wächter) fiel wegen Erkrankung von Wächter und Kmentt ins Wasser. Die dafür zusammengestoppelte Zauberflöte war hart an der Grenze des Skandalösen. Auch der chronische Mandryka-Mangel machte sich wieder sehr unangenehm bemerkbar. Wenn wir keinen Mandryka haben, hätte man nicht so unvernünftig sein dürfen, Walter Berry die Rolle nicht zu geben. Wenn er sie fünfmal im Jahr singt, würde er sich schon nicht ruinieren. Und wenn nächste Saison Fischer-Dieskau zur Verfügung stehen wird, werden garantiert Frau Della Casa und Frau Rothenberger in Amerika sein – das sehen wir schon jetzt, wie wir die Planung kennen! Vielleicht sehen wir uns doch einmal um eine alternierende Besetzung um: z.B. Leonie Rysanek-Hannelore Steffek oder Irmgard Seefried-Graziella Sciutti bevor es zu spät ist, aber keinesfalls Carla Martinis, wie der Probenzettel zeigt!
Oder: Warum singt eigentlich Otto Edelmann seine heuer ohnedies spärlichen Abende nicht mit Kezal, Waldner und Ochs ab, alles Partien, wo er fast immer gut war? Sein Leporello, sein Wotan und Wandere sind wahre Alpträume. Das kann er doch in Wien nicht singen!
Oder: Warum dirigiert, wenn Krombholc und Matacic nicht hier sind, ausgerechnet Michael Gielen die slawischen Opern, die doch Herrn Klobucar auf jeden Fall besser lägen?
Oder: Warum werden die Herren Wächter und Wiener nicht ersucht, den Escamillo französisch zu lernen? Beide haben die Partie schon gesungen und beider Französisch ist sehr gut (besser als das Prottis!).
Warum dirigiert Herr Swarowsky ausgerechnet italienische Opern, wo er außer Gewissenhaftigkeit und Partiturkenntnis nichts zu bieten hat? Deutsche Opern liegen ihn doch jedenfalls besser!
Und warum erscheinen die Herren Kempe und Curiel, die wir beide im Vorjahr sehr gebraucht haben und die uns heuer sehr abgehen, aus undurchsichtigen Gründen nicht am Pult der Staatsoper?
Und warum, last but not least, haben wir solch ein schauerliches Walküren-Ensemble? Herr Wallberg sah sich zu Nutz und Frommen der Ohren des Publikums am 27. März (nachdem eine hör- und sichtbare Unruhe das Auditorium erfaßt hatte) genötigt, durch fffff die Walküren von der Bühne zu fegen – was aber natürlich keine Ideallösung ist. Falls der Direktion kein Walküren-Ensemble einfällt, hier ist eines: Gundula Janowitz, Gerda Scheyrer, Lotte Rysanek, Sonja Mottl-Preger, Margareta Sjöstedt, Sonja Draksler, Elisabeth Sobota, Georgine von Milinkovic. Diese Damen waren z.B. im März durchwegs in Wien!
ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 1. März
als Fernseh-Generalprobe unter der sehr gekonnten und sicheren Leitung des jungen Korrepetitors Peter Ronnefeld, von dem man aber auch einmal etwas anderes hören möchte, eröffnete an diesem Abend den Reigen der Aufführungen. Aus der gewohnten Besetzung ragten das Ehepaar Christa Ludwig-Walter Berry – wie gewohnt – hervor. Waldemar Kmentts typisch deutscher Stimme kommt die Partie des Fürsten nicht sehr entgegen. Da wäre doch der ursprünglich vorgesehene Fritz Wunderlich, dessen Engagement aus undurchsichtigen Gründen heuer ins Wasser fiel, weit besser gewesen.
DON CARLOS am 2. März
Eine gute Repertoireaufführung von Verdis Werk brachte erneut die Begegnung mit Raphael Arié als König Philipp, der diesmal am Beginn etwas schwächer war, jedoch im Laufe des Abends in die Rolle hineinwuchs. Der Vortrag seiner großen Arie ist hervorragend. Leider fehlte ihm in der Großinquisitor-Szene der kongeniale Partner, denn was Edmond Hurshell gesanglich und darstellerisch wieder zeigte, paßte eher in die Provinz als an ein Opernhaus vom Format Wiens. Sena Jurinac war die innige Königin, deren Leistung lediglich durch einige scharfe Höhen beeinträchtigt wurde. Statt der erkrankten Grace Hoffman sang die junge Jugoslawin Biserka Cvejic die Eboli und konnte auch in dieser Partie ungeteilten Beifall finden. Dem Vernehmen nach soll die Künstlerin diese Partie zum ersten Mal gesungen haben – eine Leistung, die anerkannt werden muß. Sie wäre zweifellos ein Gewinn für unser Haus. Sie könnte hier ein größeres Betätigungsfeld in kleineren und großen Partien (Kontschakowna, Ulrica, Olga, Meg, Bersi und Emilia) finden. Also nicht zuwarten, sondern zugreifen! Giuseppe Zampieri, der Titelheld, war gesanglich sehr gut, nur beim Tempo konnte er sich mit dem Dirigenten nicht immer ganz einigen. Ausgezeichnet war diesmal Kostas Paskalis als Posa. Er war der Partie gesanglich vollkommen gewachsen und spielte überzeugend. Der stürmische Beifall des Hauses war vollauf berechtigt. Ludwig Welter sang Karl V. zufrieden stellend und Karl Friedrich versagte auch in der winzigen Szene des Herolds. Er setzte um etliche Partiturseiten zu früh ein, um nach einigem vernehmbaren Zischen des Chores wieder aufzuhören und dann endlich richtig einzusetzen. Berislav Klobucar brauchte eine längere Anlaufzeit und war dann ein umsichtiger, um guten Kontakt zwischen Orchester und Bühne bemühter Dirigent.
ANGELINA (LA CENERENTOLA )am 3. März
An diesem Abend fand die dritte Angelina innerhalb einer Woche statt und damit wurde wohl der Fernsehübertragung Rechnung getragen, damit nur ja alles, auf Hochglanz poliert, wie am Schnürchen vor der Kamera abschnurre. Nun, es klappte vorzüglich. Davon konnte sich das Publikum vor dem Fernseher überzeugen. Wir fanden nur befremdend, daß Alberto Erede, gegen dessen künstlerische Leitung an sich natürlich nichts einzuwenden ist, die Vorarbeiten dem jungen Peter Ronnefeld überließ und dann das Fernsehhonorar einkassierte. Kam er nur deswegen nach Wien? Peter Ronnefeld dirigierte mit Erfolg die beiden vorangegangenen Vorstellungen der Oper, weil Alberto Erede mit der Lady Macbeth von Mzensk beschäftigt war. Schade, daß das nicht länger gedauert hatte, denn dadurch hätte Peter Ronnefeld die Chance gehabt, einem größeren Forum bekannt zu werden. Doch wenn es sich um Gage und Publicity handelt, kennt auch ein Generalmusikdirektor keine Kollegialität! Dann verzichtet er sogar auf die Lady Macbeth von Mzensk. Der Abend selbst verlief äußerst stimmungsvoll. Im Mittelpunkt des Jubels stand die charmante Christa Ludwig, die mit der Angelina eine Glanzrolle gefunden hat. Wie sie ihre schöne, klare Stimme beherrscht, die schwierigen Koloraturen perlen läßt, ist höchster Bewunderung wert. Ebenso prächtig disponiert war Walter Berry als Dandini, der ebenfalls einen großen Abend zu verzeichnen hatte. Dagegen fiel Waldemar Kmentt als Fürst etwas ab. Wäre Waldemar Kmentt in Deutschland engagiert, sänge er wahrscheinlich bereits Max und Lohengrin. Natürlich bereiten ihm die manchmal stoßweise angesetzten Spitzentöne manche Schwierigkeiten. Dieses Manko glich er allerdings durch immense Spielfreudigkeit aus. Karl Dönch stand zu sehr im Banne der Fernsehkamera. Er war in puncto Outrage einfach nicht mehr zu halten, schnitt Grimassen en suite, spielte mit soviel Getue, daß ihm der Schweiß vor lauter Anstrengung herunter rann. Auf die Gesangslinie vergaß er völlig. Schade, denn der Musikliebhaber hat wirklich das Anrecht darauf, die Rolle des Don Magnifico richtig gesungen zu hören. Den Reigen der fröhlichen Lustspielfiguren schlossen die übrigen Rollenträger Emmy Loose, Dagmar Hermann und Ludwig Welter. Alberto Erede dirigierte mit Schwung, doch wie gesagt…
ARABELLA am 4. März
An diesem Abend stand wieder Lisa Della Casa in der Titelrolle auf der Bühne. Die Künstlerin, deren Aussehen und Spiel für diese Rolle wie geschaffen ist, hatte leider wieder einmal Pech mit ihrem Auserwählten, Mandryka, den Rolf Polke darzustellen und zu singen versuchte. Seine Stimme, die einen recht weichen Klang besitzt, hat nicht das notwendige Volumen und den Umfang und er produzierte einige gehörige Schmisse, die das Publikum nicht so tragisch und vor allem nicht so schadenfroh zur Kenntnis nahm, wie die beiden amerikanischen Hausbaritons in der Künstlerloge, die mit lächelnden und schadenfrohen Mienen vor dem Ende des ersten Aktes gemeinsam die Loge verließen. Es hätte ihnen schon gar nicht geschadet, Rolf Polke bis zum Ende anzuhören, denn viel besser als Rolf Polke, der immerhin noch auf einer relativ kleinen Bühnen zu Hause ist, sind die beiden trotz der Etikette Staatsoper Wien auch nicht! Anneliese Rothenberger war herrlich bei Stimme. Sie ist geradezu ein Idealfall einer Besetzung. Mimi Coertse sang die Fiakermilli mit knalligen Koloraturen, aber auch Otto Edelmann und Elisabeth Höngen als Elternpaar hatten großes Niveau. Etwas enttäuschend diesmal Ivo Zidek, der sich mit dem Matteo hart tat. Heinrich Hollreiser versenkte seinen Kopf in die Partitur, sodaß nur die Hände sichtbar waren. Zu seiner Ehre sei aber gesagt: Seine Interpretation klang besser als beim ersten Mal.
CARMEN am 5. März
Das Ereignis des Abends war Regina Resnik in der Titelrolle. Neben der makellosen Meisterung des Gesangsparts spielte sie die Rolle derart differenziert, daß man nur staunen konnte: eigenartige Mischung von primitiver Koketterie, Naivität und Triebhaftigkeit. Sie ist so vollkommen Carmen, daß sie auch ihre Partner vor allem den sonst im Spiel eher zurückhaltenden Giuseppe Zampieri, auf volle Touren brachte und die Liebesszenen durchaus glaubhaft gerieten. Vom Escamillo Aldo Protti kam zunächst nur der Hut, dann längere Zeit nichts außer verzweifeltem ‚Plim-plim’ des Orchesters zum Vorschein. Schließlich bahnte er sich doch einen Weg durch die Kulissen. Doch leider war nun Heinrich Hollreiser so auf’s ‚Plim-plim’ eingestellt, daß der Auftritt total ins Wasser fiel. Aldo Protti schien dann auch in seinen weiteren Leistungen leicht irritiert. Erfreulich die beseelte, natürliche Micaela Sena Jurinacs. Die übrige Besetzung bot gewohnte Leistungen. Heinrich Hollreiser schien leicht abgelenkt und beschränkte sich aufs „Takt geben". Der Chor sang noch immer deutsch. Vielleicht könnte man ihn gelegentlich bei besonderen Carmen-Aufführungen durch den Chor des Singvereines ersetzten, der seinerzeit (Oktober 1954) den Part französisch lernte (obwohl es damals nur zwei konzertante Aufführungen gab!)
MADAMA BUTTERFLY am 6. März
erhält durch Sena Jurinac in der Titelrolle besonderen Glanz. Unsere beliebte Künstlerin ist als Cho-Cho-San ständig in stimmlicher Hochform. Sie weiß durch ihre erlebte Darstellung, durch nuancierten und doch dabei aus dem Herzen kommenden Gesang immer aufs Neue das Publikum zu begeistern. Auch diesmal war es nicht anders. Nach einer Glanzleistung lag ihr das Publikum nach dem Fallen des Schlußvorhanges zu Füßen. Ein stilvoller Partner war der sehr kultiviert singende Giuseppe Zampieri, aber auch Hilde Rössel-Majdan sekundierte gut als Suzuki. Neu war Kostas Paskalis als Konsul. Abgesehen von einigen hochgeschliffenen Spitzentönen zog er sich gut aus der Affäre. Er wirkte zwar weniger vornehm, aber es soll auch Konsule geben, die die Vornehmheit durch Jovialität ersetzen. Berislav Klobucar war nicht nur Begleiter, sondern wußte auch dem Orchesterklang Dramatik und Intensität abzugewinnen.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 7. März
In dieser Aufführung brachte Jaroslav Krombholc das unglaubliche Kunststück zuwege, fünf Monate nach der Premiere seine Einstudierung (ohne Probe!) Sängern, Chor und Orchester so zwingend mitzuteilen, daß man auch nicht das kleinste Sandkörnchen im Räderwerk des Routinebetriebes feststellen konnte. Man glaubte, der Premiere beizuwohnen. Mit federnder Eleganz zauberte er „Böhmens Hain und Flur" auf die Bühne und ins Orchester. Die Wiener Philharmoniker spielten beispielsweise die Ouvertüre und die drei bekannten Tänze einfach hinreißend, plattenreif. Gäbe es nur solche Dirigenten, die durch ihre Persönlichkeit und ihr Können die Repertoire-Vorstellungen vor Verschlampung bewahren, dann… Die Solisten waren durchwegs gut: Irmgard Seefried als ausdrucksstarke Marie und Waldemar Kmentt als ungezwungener sympathischer Hans waren prächtig bei Stimme. Ludwig Welters Kezal fehlt zwar auch für diese Partie das nötige Stimmvolumen (wann werden wir endlich einen auch stimmgewaltigen Kezal hören?), sang aber sicher und musikalisch und schöpfte die schauspielerischen Möglichkeiten dieser dankbaren Partie gut aus. In den weiteren Rollen: Murray Dickie als rührend komischer Wenzel, Elisabeth Höngen als bewundernswürdige einfältige Katinka und Hans Braun als schön singender Kruschina (Sextett!). Erich Kunz als Zirkusdirektor hatte wie immer die Lacher aus einer Seite. Liselotte Maikl und Hilde Rössel-Majdan ergänzten das Ensemble.
AIDA am 8. März
In dieser Aufführung begann Lucine Amara als äthiopische Sklavin ihr Wiener Gastspiel. Die Künstlerin bringt eine schön geführte lyrische Stimme mit, die in der Höhe und in der Mittellage ihre Stärke hat. In der Gestaltung bevorzugt sie zuviel hektische Handbewegungen, die ihrer Aida einen gewissen Grad Nervosität verliehen. Bewundernswert war es, daß Lucine Amara trotz fehlender Dramatik in der Stimme beim Triumphakt zu hören war. Ihr Partner stellte sich ebenfalls als Neuling für Wien vor: Piero Miranda Ferraro. Seiner Stimme kann man kein besonders edles Timbre entnehmen. Zuweilen klingt sie auch rauh und ungeschliffen. Aber dafür entpuppte er sich als Draufgänger, der alles gab, was er hatte, wodurch ihm einzelne Stellen, z. B. der Nilakt, wirklich gut gelangen. Warum sollte man gerade von ihm ein Piano verlangen, wo auch berühmtere und höher im Kurs stehende italienische Tenöre dieses nicht besitzen? Regina Resnik war die Dritte im Bunde, die sich zum ersten Mal an diesem Abend in einer neuen Rolle in Wien vorstellte. Sie ist eine ungemein intelligente Sängerin, die unserer Meinung nach zu Unrecht an der Met nicht zum Zug kommt. Ihre Amneris hatte großes Format, und einen Höhepunkt bedeutete die hervorragend gesungene Gerichtsszene, in der sie mit fast hochdramatischen Höhen das Publikum zu Beifallsstürmen hinriß. Aldo Protti orgelte mit seinem breiten Organ den Amonasro. Den Ramphis sang Walter Kreppel, ebenfalls das Forte betonend. Am Pult stand Hans Swarowsky, der durch sein Können geschickt jedes Malheur zu verhindern wußte. Zu beneiden war er um seine Aufgabe nicht, denn mit Neulingen einen Abend (womöglich ohne Proben) zu übernehmen, verlangt solides Wissen und Mut. Der Gesamteindruck allerdings litt unter Spannungslosigkeit. Man hat da ganz andere Aidas im Ohr.
MORD IN DER KATHEDRALE am 9. März, Neuinszenierung
Wir gestehen, daß wir die Aufführung von Ildebrando Pizettis Weihrauchstück nicht als notwendig betrachten.
Wir sind nun zweifellos nicht so geartet, daß wir das Stück aus falsch verstandenem Modernismus ablehnen. Die modernen Stücke, die wirklich etwas zu sagen haben, sind außerordentlich rar, darüber täuscht auch die zahlenmäßig ja doch ziemlich beträchtliche Produktion nicht hinweg. Aber es gehört auch bei Karajan schon zum guten Ton, unbedingt und um jeden Preis alljährlich etwas Neues
in Wien und in Salzburg bringen zu müssen. Das wäre an sich ja recht lobenswert, wenn sich in den Schreibtischladen der unverstandenen Komponisten die herrlichen unaufgeführte Werke nur so anhäuften. Aber dem ist nicht so. Das Zeug, das die deutschen Bühnen aufführen, bekommen wir Gott sei Dank in Wien kaum zu hören. Aber Ricordis alten Pizetti haben wir auch nicht notwendig gehabt. Uns kann man wirklich nicht den Vorwurf machen, wir seien reaktionär eingestellt. Wir haben uns über den Wozzeck, den Mathis der Maler, die Gespräche der Karmeliterinnen, den Oedipus Rex, die Trionfi und die Johanna auf dem Scheiterhaufen gefreut. Jetzt fehlt eigentlich ohnedies nur mehr Herzog Blaubarts Burg.
Doch zurück zu der Aufführung mit dem Titel: „Zum ersten Mal in deutscher Sprache".
Schon der Text: „Originaltext von T. S. Eliot nach einer italienischen Fassung des Monsignore Alberto Castelli für die eigene Musik bearbeitet von Ildebrando Pizetti, ins Deutsche übertragen von Heinrich Schmidt und Leo Uher". Daß da überhaupt noch etwas übriggeblieben ist? Die Vertonung nahm der alte Maestro mit Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit und man ist versucht zu sagen „deutschem Ernst", schließlich führt er ja einen langobardischen Vornamen, vor. Das wirkt irgendwie sympathisch: Pizetti erklärt nicht à priori das Publikum für lauter Banausen, was unsere präpotenten Zwölftonjünger so gern tun, sondern versucht, ihm nahezukommen. Leider kam dabei nicht mehr heraus als eine unauffällige Begleitmusik, die immerhin zeitweise bühnenwirksam wird. Aber das betrachten wir nicht als Faktor für Qualität.
Die Aufführung überhöhte das Stück nicht unbeträchtlich. Man sah eine interessante Raumlösung auf der Bühne durch Piero Zuffi, der seinen guten Ruf auch in Wien bestätigte, das Bühnenbild war trotz Verwendung schöner Farben und edler Formen moderner als das ganze Stück. Wie Wakhevitch bewies auch Zuffi, daß moderne Bühnengestaltung nicht unbedingt mit Häßlichkeit gleichzusetzen ist, wie uns Caspar Neher immer weismachen will. Schade daß Zuffi nicht Oedipus Rex und Mathis der Maler gemacht hat. Blaubart wäre eine Sache! Obwohl sich Margarethe Wallmann unserer Ansicht nach zu sehr auf Weihrauch-Opern festlegt, überzeugte auch diesmal ihre gediegene Inszenierung, in der wieder einige phantastische, choreographisch durchdachte Massenballungen auffielen.
Er war das Ereignis des Abends: Hans Hotter nämlich! Nicola Rossi-Lemeni, der Sänger der Uraufführung, hat sich mit der Partie schon durch ganz Italien und halb Spanien und Portugal gesungen – wir würden Hans Hotter Ähnliches für den deutschsprachigen Raum wünschen, obwohl wir nicht daran glauben, damit er die Partie nicht nur für die wenigen Wiener Aufführungen lernen mußte. Hotter gab dem streitbaren Erzbischof sein markantes Künstlerprofil und eine derartige Fülle von Klugheit, Gedankenreichtum, Begeisterung und Herz, daß man wieder einmal ganz aus dem Häuschen geriet.
Und in seinem Schatten stand die ganze Aufführung, obwohl besonders die vier Ritter und Versucher (Gerhard Stolze, Paul Schöffler, Walter Berry und Walter Kreppel) als Typen hervorragend, als Schauspieler außerordentlich wirksam und stimmlich prächtig und absolut wortdeutlich waren. (Nur Kreppels Hang zum Distonieren zeigte sich wieder einmal.) Der Chor war gut studiert und wurde von Christa Ludwig sehr gut und von Hilde Zadek gut angeführt,
Warum Herbert von Karajan ausgerechnet dieses Stück selbst machte und nicht die Karmeliterinnen, die Johanna oder die Trionfi dirigiert, wenn er schon etwas Zeitgenössisches machen will, wird uns ziemlich unerfindlich bleiben.
Der greise Komponist wohnte der Premiere bei und konnte für freundlichen Beifall am Ende der Aufführung danken.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 10. März
Was ein erstklassiger Dirigent am Pult ausmacht, bewies Jaroslav Krombholc, der Gott sei Dank wieder im Lande aufkreuzte auch an diesem Abend. Mit ihm kam der Premierenschwung und die Premierenleistung in das Haus zurück. Wie frisch und natürlich klang die Ouvertüre, wie spielten sich fröhlich die Holzinstrumente in den Vordergrund! Der musikalische Schwung, den er mitbrachte teilte sich auch den Sängern mit, von denen besonders Irmgard Seefried zu gefallen wußte. Irmgard Seefried scheint wieder ganz groß im Kommen zu sein. Sieht man von einer gewissen Härte in den Spitzentönen ab, bot sie eine erstklassige gesangliche Leistung. Die Stimme hat die herrliche Färbung wiederbekommen. Darstellerisch war sie gelöst, voll von Übermut und guter Laune, auch ein Schuß Melancholie fehlte nicht. Waldemar Kmentt war der an Schlauheit nicht zu schlagende Hans. Er sang verläßlich, plagte sich aber oft mit den exponierten Stellen der Partie. Ludwig Welter nahm seine Chance, die durch die Abwesenheit Oskar Czerwenkas entstand, wahr. Er wächst immer mehr in die Rolle hinein. Erich Kunz steigerte durch aktuelle Gags als Zirkusdirektor die Stimmung zur Fröhlichkeit. Ein ausgelassener, herrlicher Opernabend, der jedem, der mit offenem Ohr zu hören wußte, gute Laune vermittelte.
MORD IN DER KATHEDRALE am 11. März
fand noch in Premierenbesetzung unter Herbert von Karajan statt. Bei öfterem Hören zeigte es sich, daß der zweite Akt eine weit stärkere Wirkung auf den Hörer ausübt als der erste. Die Weihnachtsansprache, das Requiem und die Mordszene gewinnen durch Hans Hotters überragende Persönlichkeit immer mehr an Intensität.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 12. März
Das war eine herrliche Aufführung unter der Leitung von Herbert von Karajan, der diesmal wesentlich ruhigere Tempi wählte, was zur Folge hatte, daß die Aufführung eher noch lebendiger war, als Karajans sonstige rasend schnelle. Die Sänger singen nämlich noch schöne, wenn sie sich nicht dauernd darauf konzentrieren müssen, nicht aus dem Takt zu kommen.
Graziella Sciutti sang zum ersten Mal in Wien Susanna und setzte ihre Silberglöckchenstimme mit soviel Technik, Geschmack, Gefühl und Intelligenz ein, daß man wieder einmal ganz weg war. Und darstellerisch riß sie überhaupt zu Begeisterungsausbrüchen hin, mit resolutem Charme, die Gags oft mit unbeschreiblichen Mienen servierend. Sie war auf eine herbe, gar nicht soubrettenhafte Art bezaubernd. Eine ganz große Leistung dieser kleinen Italienerin, die nach der Rosenarie endlos bejubelt wurde.
Lisa Della Casa sang eine hervorragende Gräfin und ließ sich nur einmal durch Christa Ludwig aus ihrem dezenten Spiel reißen, als sie nämlich im zweiten Akt eine Art Flirt-Szene mit Cherubino spielte, Das können die beiden Damen in Amerika machen, für Wien wirkt es zu dick aufgetragen.
Christa Ludwig erliegt manchmal dem Hang zum Geblödel, der in Wiener Mozartaufführungen immer eine gewisse Gefahr darstellt. Sie sang allerdings ganz vorzüglich, besonders die koloraturgespickte Fassung des „Voi che sapete". Aber nun ein ernstes Wort: Wir hätten es lieber, daß Frau Ludwig die normale Cherubino-Arie singt. Dem Freundschaftsdienst für die Entdecker der Arie ist Genüge getan – Sensation war es sowieso keine. Daß Frau Ludwig Alt-Koloraturen prächtig singt, wissen wir schon.
Eberhard Wächter und Erich Kunz waren als Graf und Figaro in allerbester Verfassung.
In den kleineren Rollen waren wieder Peter Klein, Alois Pernerstorfer, Ljubomir Pantscheff, Erich Majkut, Hilde Rössel-Majdan und Anny Felbermayer eingesetzt.
Die Aufführung löste Jubelstürme aus, nur nach besagter Cherubinoarie bewies das Wiener Publikum mit schwächerem Beifall die Hellhörigkeit.
AIDA am 13. März
Der mit einigen (und auch vom Chef selbst anläßlich einer Pressekonferenz) mit Vorschußlorbeeren bedachte Nello Santi hielt an diesem Abend mit Aida seinen Einzug in der Wiener Oper. Sein Handwerk versteht er. Das muß man ihm lassen. Er beherrscht die Werke, die er dirigiert, vollkommen. Das sieht und hört man sofort. Er ist energisch und weiß sich durchzusetzen. Nur sein Klangsinn ist offenbar etwas schwach geraten, denn trotz der Plastik des Klanges („Orchesterbrei" gibt es bei größter Lautstärke bei ihm nicht), wirkt er oft brutal, derb, ja vulgär. Einmal zeigte er brennende Intensität, wobei man auf die Lautstärke ganz vergißt, weil sie ja Sinn und Zweck hat. Und ein andermal kommt nur leeres Gedresche heraus. Ganz objektiv betrachtet, ist er zwar vielleicht routinierter und auch energischer als der grundlos verstoßene Glauco Curiel. Letzterer ist zweifellos der bessere Musiker. Die Debüt-Aida begann, wie das bei neuen Dirigenten üblich ist, mit gegenseitigem Abtasten und etwas Vorsicht und Zurückhaltung im ersten Akt. Das Triumph-Finale war allerdings mitreißend in rasend schnellem Serafin-Tempo (Plattenaufnahme mit Caniglia), so richtig knallend und theaterdonnernd. Lucine Amara sang wieder die Aida mit schöner Stimme, die aber eher für Carlos-Elisabeth oder Troubadour-Leonore oder Amelia in Simone Boccanegra geeignet scheint. Es war immerhin sehr interessant, diese ausgezeichnete Sängerin kennen gelernt zu haben. Regina Resnik ist eine herrliche Amneris, die die Partie bis zum Rande mit Persönlichkeit und einer dramatisch eingesetzten Stimme füllt. Piero Miranda Ferraro sang einen durchschnittlichen, aber passablen Radames. Sein Material ist an sich gut, nur macht er nicht viel daraus. Aldo Prottis Amonasro ist über jedes Lob erhaben. Walter Kreppel und Frederick Guthrie sangen die beiden Baßpartien. Wir haben beide schon besser gehört.
DIE ZAUBERFLÖTE am 14. März
Eingeschobene Abende haben es in sich. Statt des mit großem Interesse erwarteten Don Giovanni wurde wegen Erkrankung Die Zauberflöte angesetzt. Schon allein dadurch sank die Stimmung im Auditorium um einige Grade. Am Ende der Aufführung war sie dann auf dem Nullpunkt angelangt. Nicht einmal Lisa Della Casa als Pamina und die bezaubernde Graziella Sciutti konnten die Kastanien aus dem Feuer holen. Zuviel improvisierte Besetzungen verunzierten den Abend. Rita Streich sang eine gequälte Königin der Nacht, wobei das Publikum mit Recht auf die erste Arie mit tödlichem Schweigen reagierte. Harald Pröglhöf sprang als Papageno ein. Eine Partie, die er seit sieben Jahren nicht mehr gesungen hat. Einen weiteren Kommentar wollen wir uns daher auch ersparen. Der Sarastro zählte selbst in Ludwig Webers Glanzzeit nicht zu seinen Paraderollen. Warum sollte er jetzt mehr Erfolg damit haben? Anton Dermota sang mit heldischem Timbre und überpathetischem Gehabe den Prinzen Tamino. Da auch Judith Hellwig und Rosette Anday schnell für die Damen der sternflammenden Königin geholt wurden, bestand das Damentrio nur aus Christa Ludwig. Otto Edelmanns Sprecher ist bekannt. Daß er wegen seiner Gemütlichkeit der Rolle kein Profil zu geben weiß, ist auch bekannt. Also war auch er nur ein Notnagel. Wilhelm Loibner schlug zu diesem zusammengewürfelten und schnell herbeigeholten „Ensemble" den Takt. Durfte man von ihm eigentlich mehr erwarten? Die Reaktion des Publikums war richtig. Zwei Vorhänge nach dem ersten und mühsame vier nach Ende des Abends.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 15. März
erwiesen sich unter Heinrich Hollreisers Leitung wieder als außerordentlich geglückter Theaterabend. Wie gut das Werk eigentlich ist, wird man im Vergleich mit Mord in der Kathedrale mit Erstaunen gewahr. Die Besetzung war die gewohnt gute, mit Elisabeth Höngen in ihrer aufwühlend gestalteten, meisterhaften Studie, mit der vorzüglich disponierten Irmgard Seefried und der innigen Anneliese Rothenberger, Christl Goltz und Hilde Zadek. Am Rande wie immer ausgezeichnet Anton Dermota, Ivo Zidek und Claude Heater.
MORD IN DER KATHEDRALE am 16. März
Gerda Scheyrer kam in dieser Vorstellung als Erste Chorführerin neu hinzu, entsprach aber leider nicht ganz und sang konstant zu tief. Heinrich Hollreiser dirigierte, das Orchester klang exakt, aber leider nicht so transparent wie unter Karajan was den Sängern die Wortdeutlichkeit sehr erschwerte.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 17. März
An diesem Abend erweckte die Aufführung durch Neubesetzungen und durch Nello Santi am Pult großes Interesse. Vor allem Nello Santi, dem ein ausgezeichneter Ruf vorangegangen ist, galt das Publikumsinteresse. Der Dirigent, der (in allen bisher von ihm geleiteten Aufführungen) ohne Partitur arbeitet, ist ein äußerst versierter Orchesterleiter, der mit Präzision die Einsätze dem Orchester wie auch den Sängern, denen er vorbildlich jede Silbe mit den Lippen vorformt, gab. Mit dem Chor erging es ihm schlechter, denn die Herren und Damen sangen nicht nur den eigenen Takt, sondern schenkten ihm außerdem keine Beachtung. Seine musikalische Auslegung der CAVALLERIA RUSTICANA schien uns ein wenig breit und teilweise zu wuchtig. Vielleicht war das Konzept des begabten Dirigenten durch die teilweise langsamen Phrasen der Sänger umgeworfen worden. Auf der Bühne imponierte vor allem Giuseppe Zampieri, dem die Hilfe des Dirigenten besonders zustatten kam. Man erfreute sich nicht nur an dem herrlichen Timbre des Tenors, sondern war auch rhythmisch mit ihm durchaus einverstanden, was nicht immer der Fall ist. Eine ganz hervorragende Leistung des Tenors, von dem eines Tages nicht nur Wien begeistert sein wird! Christl Goltz sang diesmal die Santuzza und war gegenüber ihrer letzten Leistung nicht wieder zu erkennen. Schauspielerisch legte sie ihrem Temperament Zügel an, was ihr zum Vorteil gereichte. Aber auch stimmlich wirkte sie wohl vorbereitet und gut disponiert. Den Alfio sang diesmal leider Edmond Hurshell, dessen heisere Höhe wie Peitschenschläge auf die Ohren wirkte. Er hätte gar nicht mit der Peitsche knallen müssen! Er hat unserer Meinung nach mit einem Gesangspädagogen von vorn zu beginnen. Die Mama Lucia sang Georgine Milinkovic, die Lola Margareta Sjöstedt.
Im darauf folgenden BAJAZZO, der mit einem losgepfefferten und mächtig gesungenen Prolog von Aldo Protti eingeleitet wurde; gefiel Nello Santi weitaus besser. Er wirkte zügiger und dramatisch geballter; wenn er auch – das kann man nicht verschweigen – teilweise zu sehr das Forte bevorzugte. Gianni Poggi spielte den Canio. In der Darstellung imitierte er einen seiner berühmtesten Vorgänger ohne dessen Format zu erreichen. Seine Stimme ist letzten Endes doch zu lyrisch für den Part. Besonders hörte man dies in seiner letzten Arie. Etwas mehr erwartet hatten wir uns von Lucine Amara nach ihrer letzthin gehörten Aida. Die Stimme klingt angenehm, doch wo bleibt die Tiefe? In ihrem Vogellied vermißte man außerdem Ausdruckskraft. Der Gesamteindruck von Lucine Amara in dieser Rolle war sehr guter Durchschnitt, aber nicht mehr. Claude Heater sang den Silvio. Seine gute Erscheinung überragt bei weitem seine Stimme, wie auch sein temperamentloses Agieren auf der Bühne. Eine Prachtleistung am Rande bot Luigi Alva als springlebendiger Beppo. Seine lyrische und fürs Ohr angenehme Stimme kam in der Serenade herrlich zur Wirkung. Reicher Beifall dankte den Sängern. Vor allem Giuseppe Zampieri und Aldo Protti waren die auserkorenen Lieblinge des Publikums.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 17. März im Redoutensaal
Für diesen Abend wurde sehr zum Ärger des Publikums eine exquisit besetzte Così fan tutte-Aufführung wegen Erkrankung von Lisa Della Casa abgesetzt und dafür ebenfalls wieder Die Entführung aus dem Serail gespielt. Unter der Leitung von Lovro von Matacic wurde wieder eine sehr gute Aufführung geboten, in der auch diesmal wieder Anneliese Rothenberger und die Herren Anton Dermota und Kurt Equiluz ausgezeichnete Leistungen boten. Als Osmin war Ludwig Welter eingesetzt, der eine gute Leistung bot. Stimmlich bestens disponiert, darstellerisch sehr publikumswirksam, konnte er sehr gefallen, während gegen das Blondchen von Rita Streich einiges einzuwenden ist: „Viel Lärm um Nichts" könnte man kurz umrissen Rita Streichs Gestaltung dieser Partie nennen, denn im Spiel gab es viel Getue und im Gesang viel „heiße Luft".
OTHELLO am 18. März
Der Dirigent Nello Santi war derart laut, wie wir noch nie einen Dirigenten gehört haben. Außerdem kann man ein großes Meisterwerk wie den Othello sehr wohl edler, vornehmer, nicht so gewöhnlich und vulgär machen. Nello Santi gab auf der Galerie zu Wortwitzen ungefähr des Inhalts… „der Nello macht Othello mit Tschinello" etc. Anlaß, die durchaus berechtigt waren. Wenn es ein Dirigent fertig bringt, zwei solchen Riesenstimmen, wie denen von Dimiter Usunow und Aldo Protti das Überleben sauer zu machen, hört sich der Spaß auf. Vielleicht spielt er in Zürich nur mit vierzig Mann und wundert sich dann, warum er in Wien bei achtzigköpfiger Orchesterbesetzung so laut ist? Dimiter Usunow sang also Othello, mit strahlender Stimme und einer inneren Intensität, die ihn direkt selbst zittern macht und die er auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen vermag. Er ist als Feldherr, als Liebender und als Rasender durchaus überzeugend und sieht gut aus. Er wußte auch mit dem Othello seine in überraschend kurzer Zeit erworbene Stellung als Wiener Publikumsliebling zu halten. Aldo Protti sekundierte ihm in der gleichen Weise, ließ seine Riesenstimme strömen, bewies aber Kultur und Technik in einer prächtigst gehauchten Traumerzählung und versuchte, sich den Jago in einer ihm liegenden Auffassung zurechtzubiegen, was ihm recht gut gelang. Sena Jurinac war die bildhaft schöne, innige, herbe Desdemona des Abends, in dem Giuseppe Zampieri und Ermanno Lorenzi ausgezeichnet, Dagmar Hermann, Alois Pernerstorfer und Hans Schweiger weniger gut die kleineren Rollen sangen.
FIDELIO am 19. März
Es war eine gut besetzte Aufführung. Christl Goltz als Leonore hat zwar an Stimmschönheit eingebüßt, überzeugte aber trotzdem in Spiel und Ausdruck. Ganz hervorragend wieder Wilma Lipp als Marzelline, die zu einer ihrer besten Partien zählt und sich würdig an die Reihe ihrer berühmten Vorgängerinnen anschließt. Anton Dermota als Florestan hatte einen sehr guten Abend. In der gefürchteten Arie zeigte sich seine Gesangskunst sowohl im kraftvollen Forte als auch in den lyrischen Phrasen, denen er den ganzen Schmelz seiner Stimme verlieh. Die stärkste Persönlichkeit auf der Bühne wie schon so oft, Hans Hotters Pizarro. Neben seiner eindringlichen Prosa faszinierte uns wie immer die Kraft seiner Stimme und seine dämonische Gestaltung. Einer seiner bezwingendsten Momente ist sein zweiter Auftritt „Verwegner Alter", wo seine Stimme wahrhaft gebieterisch die Orchesterfluten übertönt. Gottlob Frick war ein verläßlicher und guter Rocco, Otto Wiener ein würdevoll menschlicher Minister, und auch Kurt Equiluz paßte sich dem Niveau des Abends an. Unbedeutend in der erschütternden Szene des ersten Gefangenen Karl Terkal. Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ Joseph Keilberth als Dirigent der Aufführung. Einige herrliche Momente standen neben längeren Leerläufen. Unangenehm auffallend der dicke Orchesterklang, der keine Wärme ausstrahlte und nur selten Beethovens Glut und Dramatik spüren ließ. So war z. B. das Quartett „Er sterbe…" erstaunlich undramatisch und verschleppt (hier versuchte Hans Hotter vergeblich das Tempo zu korrigieren!), hingegen überraschte uns das schon lange nicht so stimmungsvoll gehörte Duett „Nur hurtig fort…!" und das Finale des zweiten Aktes. Trotzdem, durch ausgezeichnete Sängerleistungen, ein guter Abend.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 20. März
Die Rückkehr der „Giulietta Divina" wurde zu einer neuerlichen Cavalleria-Bajazzo-Serie ausgenützt. In dieser CAVALLERIA war Giulietta Simionato in einer derart einzigartigen Form, wie sie die Santuzza in Wien noch nicht gesungen hat. Hervorragend ist sie ja immer, aber diesmal…! Ihr Gefühl, ihre Intensität, ihre Phrasierung und ihre herrliche Stimme machen eine Cavalleria mit ihr zu einem Erlebnis und diese Aufführung mehr denn je. In ebenfalls hervorragender Verfassung befand sich auch Giuseppe Zampieri, der innerhalb eines Jahres ein herrlicher Turiddu geworden ist. Man hat manchmal das Gefühl, daß sich sein Stimmvolumen seit der Premiere verdoppelt hat. In der kleinen Partie der Lola zeigte Gundula Janowitz eine Stimme mit apartem, dunklem Timbre und Georgine Milinkovic ist als Mama Lucia ausgezeichnet. Edmond Hurshell als Alfio fiel dagegen, wie sich jeder, der den Sänger kennt, vorstellen kann, sehr stark ab. Er kommt aber immerhin jetzt manchmal über die Distanz, ohne sich heiser zu brüllen.
Der BAJAZZO war zwangsläufig der schwächere Teil des Abends, trotz des phänomenalen, einem Naturereignis gleichenden Prologes und anschließenden flic-flacs von Aldo Protti. Lucine Amara singt eine sehr gute Nedda, reicht aber in Ausdruck und Spiel nicht an Wilma Lipp heran. Ihre Stimme ist allerdings wirklich sehr schön. Gianni Poggi ist auch als Canio solid und verläßlich, wiewohl er darstellerisch ziemlich antiquiert wirkt. Claude Heater und Kurt Equiluz vervollständigten die Besetzung des Abends, den Nello Santi mit Feuer, Temperament und Gefühl leitete.
AIDA am 21. März
Große Erwartung und große Spannung konnte man aus den Gesichtern des Publikums im zum Bersten gefüllten Haus ablesen und leises Getuschel gab die allgemeine Erregung des Hauses wieder. Dimiter Usunow war in der Phantasie des Publikums seit der unvergeßlichen Aida der vergangenen Saison zu einem legendären Wunder-Tenor geworden. Er erwies sich in dieser Aufführung aber wieder als ein blendend aussehender Radames und als ein Feldherr des Fortissimo. Nach einer allerdings stillos vorgetragenen „Celeste Aida" war er der Siegreiche, der mit trompetenartigen Schmettertönen die Dunkelheit der Adolf Rott’schen Inszenierung beinahe ausglich. Seine impulsive, draufgängerische und kraftstrotzende Stimme, die er keinen Augenblick schont, übte eine mitreißende Wirkung auf die Zuhörer aus, welche begeistert die Pause nach dem Nil-Akt durchklatschten. Der eigentliche Star des Abends aber hieß Hans Hotter, der mit seinem markanten Bariton und wahrhaft königlichem Spiel als Amonasro der Mittelpunkt des Abends war. Bei diesem großen Künstler scheint einfach die Zeit still zu stehen. Wer erinnert sich nicht an seinen ersten Wiener Amonasro unter Vittorio Gui mit Set Svanholm Daniza Illitsch und Elena Nikolaidi? Man möge uns nicht der Übertreibung bezichtigen, aber trotz der seither vergangenen Jahre, die manches im Gedächtnis verklärten, fanden wir Hans Hotter noch reifer und noch großartiger als damals. Er riß auch in der Nilszene seine Partnerin Gloria Davy aus der Schablone ihrer Darstellung. Sie hatte ihre besten und ergreifendsten Momente in der Szene mit ihm. Ansonsten war sie nur eine Durchschnitts-Aida, die nicht immer richtig intonierte und stellenweise durch vulgäre Art, vor allem beim Ansetzen der Töne, den Gesamteindruck beeinträchtigte. Christa Ludwig sang die Pharaonentochter. Sie war eine sehr schön singende Amneris und ihr Stil imponierend. Aber eine Amneris im Sinne Verdis ist sie doch nicht. Sie hat für diese Partie nicht das notwendige große Volumen. Am deutlichsten kam das in der Gerichtsszene zum Ausdruck, für deren Bewältigung die Künstlerin ihre ganzen physischen Kräfte in Anspruch nehmen mußte. Wir schätzen die sympathische Künstlerin sehr, doch manchmal haben wir Angst wegen ihres Ehrgeizes. Christa Ludwig ist noch jung und die Zeit für die Amneris wird kommen, ohne daß man die Anstrengungen so deutlich merkt. Gottlob Frick war ein wuchtiger Ramphis, dem zwar ein kleiner Schönheitsfehler in der Priesterszene unterlief, der aber dafür weitgehend durch die dunkle, wohlklingende Stimme, die in puncto Qualität derzeit einsam dasteht, versöhnte. Für ungewollte Heiterkeit sorgte der Bote Erich Majkuts. Seine arithmetisch ausgerechneten Gliederverrenkungen und sein Drang, sich in den Vordergrund zu spielen, erinnerten an schlechte Stummfilme. Anstatt die Bühne nach überbrachter Schreckensbotschaft zu verlassen, gebärdet er sich in den Armen zweiter Soldaten wie ein eben gehenkter Sträfling. Nello Santi brachte ein wunderschönes Vorspiel zustande. Später allerdings frönte er seinem Hang zum Fortissimo, das schließlich doch die Stimmen auf der Bühne besiegte.
ARABELLA am 22. März
Auch in der zweiten Aufführung sang wieder Rolf Polke, seines Zeichens Heldenbariton in Graz, der als Mandryka einfach nicht da war! Abgesehen von einer vollkommen unprofilierten Darstellung (er war noch weniger als ein halber Bauer!) blieb er der gewiß schwierigen Rolle Höhe und Tiefe schuldig und der Rest dazwischen klang sehr kehlig. Kein Mandryka also! Man dachte nicht nur an Carlos Alexander, sondern vor allem an Dietrich Fischer-Dieskau, der uns ja im Juni zeigen wird, wie man diese Partie gestaltet und singt. Neben Rolf Polke sang jedenfalls Otto Edelmann seinen köstlichen Grafen Waldner mit wahrer Heldenbaritonstimme. Das sagt eigentlich alles! „Heilige Mutter Gottes, laß es nicht geschehn", daß Dagmar Hermann noch einmal die Adelaide singt! Das war zuviel an undefinierbaren flackernden Tönen. Man fürchtete sich vor jeder über dem E liegenden Phrase. In ihrem Duett mit der Kartenaufschlägerin gab noch dazu Margareta Sjöstedt unnötig viel Stimme, sodaß der Beginn der Oper nicht gerade viel versprechend war. In der Titelrolle bot Lisa Della Casa ihre gewohnt ausgezeichnete Leistung und steigerte diese von Akt zu Akt. Nur im Duett (Ballakt) mit Mandryka wirkte sie nervös. (Vor einiger Zeit passierte ihr ja hier in der Schlußphrase beim hohen H ein Mißgeschick). Am besten liegt ihr zweifellos der dritte Akt. Prachtvoll wie immer Anneliese Rothenbergers Zdenka, deren Silbersopran mühelos über dem Orchester schwebte. Sie dürfte derzeit in dieser Partie ziemlich konkurrenzlos sein. Immer wieder freut man sich auf das herrliche Duett der beiden Frauen im ersten Akt" „Aber der Richtige…" und wird nie enttäuscht. Ivo Zidek war wieder in guter stimmlicher Verfassung und lieh dem Matteo besonders im Schlußakt seinen substanzreichen Tenor. Von den drei Verehrern Arabellas fiel nur Karl Weber unangenehm auf: Er besitzt zweifellos trotz seiner Jugend eine der häßlichsten Stimmen unseres Ensembles. (Man spiele sich zur Erholung daheim den Querschnitt mit Walter Berry als Lamoral vor!). Sehr gut Mimi Coertse als einzig erträgliche Fiakermilli. Die Perle des Abends war aber zu guter Letzt kein Sänger, keine Sängerin, sondern der Mann am Pult, der unseren herrlich musizierenden Wiener Philharmonikern alle Feinheiten, allen bezaubernden Klang dieser meisterhaften Strausspartitur entlockte: Joseph Keilberth. Wir haben von ihm noch nichts Besseres, noch nichts Authentischeres gehört als seine Arabella. Wer’s nicht glaubt, gehe hin und höre sich mit offenen Ohren diese transparente Klangfarbenpalette an: von der zartesten Holzbläserkantilene über die schwungvollen Walzer bis zum rauschenden Vorspiel zum dritten Akt wird er alles bestätigt finden. Und wie ästhetisch wirkt ein Dirigent, der mit sparsamsten Bewegungen Bühne und Orchester so souverän unter seiner Kontrolle hält. Wie wird uns Joseph Keilberth in den Festwochenaufführungen mit Dietrich Fischer-Dieskau fehlen!
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 23. März
Nicht so gut war Nello Santi an diesem Abend. Beide Opern erschienen spannungslos und nur laut, aber exakt. Er hat sogar den in CAVALLERIA stets schwimmfreudigen Chor auf Vordermann gebracht. Allerdings passierte zum Ausgleich wieder folgendes: Der Korrepetitor, dem die Aufgabe oblag, das Harmonium zu schlagen, fand das Instrument verschlossen vor. Er eilte hinaus, obwohl er ohnedies schon reichlich spät dran war, um einen Schlüssel zu suchen, verpaßte seinen Einsatz und erschien erst wieder mit rotem Kopf und Schlüssel, als die zittrigen Greisenstimmchen, die hinter der Bühne für den Osterchor eingesetzt werden schüchtern bereits einmal „Halleluja" tremoliert hatten und wieder verstummt waren, weil eben das Harmonium fehlte. Dann ertönte eine sonore Stimme im Lautsprecher: „Noch einmal", der Einsatz wurde mit mehr Glück wiederholt. Man sang halt a capella. Dann stürzte, wie schon beschrieben, der Harmoniumschläger herein, schloß sein Instrument auf, verkroch sich dahinter und fiel dann doch ein. Nello Santi sah sich die ganze Bescherung mit grimmer Cäsaren-Miene an und das Publikum hatte seinen Spaß. Schließlich kommt es doch selten vor, daß es in der Wiener Oper zugeht, wie in Kratzenbach an der Pleite. Aber einige zornige junge Männer werden sicherlich sagen: „Da ist nur der Karajan schuld, warum schließt er das Harmonium nicht selbst auf?" Davon ganz abgesehen, dominierten wieder Giulietta Simionato und Giuseppe Zampieri in Cavalleria. Walter Berry intonierte zwar beim Alfio zeitweise zu hoch, aber immerhin ist ein guter Sänger, der einen schwachen Abend hat, einem schwachen Sänger, der für seine Verhältnisse sehr gut ist, weit vorzuziehen. Georgine Milinkovic und Lotte Rysanek vervollständigten die Besetzung.
Im BAJAZZOS sang Dimiter Usunow seinen mit Spannung erwarteten Canio und enttäuschte etwas, vor allem weil zutage trat, daß er keine Tiefe hat. Das ist natürlich für einen Tenor mit einer solchen Bombenhöhe zuviel verlangt. Trotzdem verliert der Gesang an Spannung, besonders bei „No, Pagliaccio non son". „Recitar…" geriet allerdings sehr gut und schluchzergespickt. Er weinte noch in den Zigeunerwagen hinein, auf dessen Stufen er dekorativ zusammengebrochen war. Schauspielerisch war er intensiv und konzentriert wie immer und die Spitzentöne knallten. Aber die sind ja beim Canio nicht so häufig. Die Bühnenszene spielte er mit einer Art Marcel Marceau-Maske, die sich mit dem Commedia-dell arte-Gehaben des übrigen Teams schlug, da er anfangs auch noch stilisierte, tänzerische Bewegungen anwandte. Er muß offenbar einmal in einen sehr modernen Bajazzo hineingeraten sein. Aldo Protti, Mimi Coertse, Claude Heater und Ermanno Lorenzi, der kleinere Partien, wie z. B. den Beppo sehr gut singt, waren seine Kollegen und sorgten für einen dramatischen Opernabend.
CARMEN am 24. März
An diesem Abend dirigierte Nello Santi, der endlich einmal überzeugte. Er begleitete die Sänger äußerst delikat und holte dabei noch selten gehörte Details aus der Partitur. Seine Vorspiele zeichneten sich durch große Elegance aus. Regina Resnik spielte nicht die Carmen, sie ist sie einfach. Die Habanera und die Seguidilla sind bei ihr keine Gesangsnummern, sondern Ausdruck ihrer Persönlichkeit, mit der sie die Männer, die die Bühne bevölkern, aus dem Gleichgewicht bringt. Dabei geht sie mit sehr viel Geschmack zu Werke. Ihr Sex Appeal liegt in der Kehle und das ist in der Oper das Entscheidende. Kein Wunder, daß Don José in Gestalt von Jon Vickers ihr verfiel. Jon Vickers spielte einen etwas verschlossenen Sergeanten, der erst in der Blumenarie, die er ganz auf lyrisch mit einem Piano-B anlegte, seine Gefühle enthüllt. Der Tenor hatte genug große Momente in den beiden letzten Akten, wobei die Intelligenz des Künstlers nicht ganz rein angesetzte Töne raffiniert vertuscht. Allerdings: Wie Jon Vickers seine große Stimme zu beherrschen weiß, verdient uneingeschränkte Bewunderung. Aldo Protti ist als Escamillo mehr Bullfighter als Matador. Die Elegance, sowie die französische Sprache sind nicht seine Sache. Gerda Scheyrer wurde mit der Micaela betraut, die sie mit schlanker Stimme brav sang. Das obere Register müßte noch verbessert werden. Der Chor befindet sich weiterhin in passiver Resistenz. Er singt stur den deutschen Text weiter und verscherzt sich dadurch mehr und mehr die Sympathien des Publikums. Wie kann der Wiener Staatsopernchor zu außertourlichen Schallplatten-Aufnahmen herangezogen werden, wenn er mit der Repertoire-Arbeit, die in einem Opernhaus von Weltrang zwangsläufig gewaltig ist, nicht zu Rande kommt?
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 25. März
Trotz fast unveränderter Besetzung der Hauptrollen kam es zu keiner Wiederholung der Glanzvorstellung vom 12.3. Schuld daran trug zunächst einmal eindeutig der Dirigent Wilhelm Loibner, der es nicht schaffte, eine Differenzierung des Orchesters zustande zu bringen. Die einzelnen Instrumentengruppen standen nicht im richtigen Verhältnis zu den Stimmen. Die Oper wurde ohne Präzision heruntergeratscht, und das ist absolut unzulässig. Dadurch wurden auch die Künstler auf der Bühne in ihren Leistungen behindert. Weder Graziella Sciutti noch Lisa Della Casa oder Eberhard Wächter konnten sich in ihrer zuletzt gezeigten Glanzform präsentieren. Christa Ludwig verzichtete auf die verschnörkelte zweite Cherubinoarie (wegen des Dirigenten?) und erntete mit der gewohnten Fassung derselben doppelten Applaus. Wenn sie doch nur einmal auf die schauspielerischen Übertreibungen im zweiten Akt verzichten könnte, dann würde sie als Cherubino keinen Wunsch offen lassen. Walter Berry sang einen gutmütigen Figaro, der mit seiner Stimme verschwenderisch umging. Bei „non piu andrai" war der Kanonendonner auch in seinem Organ hörbar, aber er sang immer mit Stilgefühl. Georgine von Milinkovic fühlte sich in der Rolle der Intrigantin Marcellina sichtlich wohl, während Ludwig Welter mit der Bartolo-Arie seine liebe Mühe hatte.
Wir hätten gerne auf eigenhändige Cembalobegleitung des Herrn Loibner zugunsten einer besseren Dirigentenleistung verzichtet.
BALLETTABEND am 26. März
DIE WALKÜRE am 27. März
Heinz Wallberg dirigierte eine hervorragende Aufführung. Dieses Riesenwerk hatte die ihm gemäße große Linie, die Dramatik, die Spannung, aber auch lyrische Ruhepunkte und romantisches Schwelgen. (Winterstürme!) Martha Mödl, die am Tag vorher Götterdämmerung in Zürich gesungen hatte, weswegen man eigentlich ein wenig besorgt war, befand sich in hervorragender Verfassung, hatte sogar die exponierten Spitzentöne und sang dazu noch, ganz abgesehen von ihrer hochintelligenten Gestaltung, einige Szenen, wie z. B. die Todesverkündigung und die Szene mit Wotan so wunderschön, daß es kaum zu fassen war. Otto Wiener hatte ebenfalls einen herrlichen Abend. Wir haben ihn noch kaum auch in einer anderen Partie als dem Wotan, so stark, so kraftvoll und mit solchem Ausdruck singen gehört. Das Wälsungenpaar sangen Hilde Konetzni und Jon Vickers, zwei richtige, voluminöse, breite kraftvolle Wagnerstimmen. Besonders der Tenor entfachte Jubelstürme im Publikum. Seine herrliche Mittellage, die kraftvollen Spitzentöne, die Intensität des Spiels und die Intelligenz des Singens und Phrasierens machen ihn zu einem Ausnahmefall. Da ist wieder einmal einer, der mit seiner Riesenstimme auch etwas anzufangen weiß! Ein Beispiel: Das zweite „Wälse" blieb ihm stecken, es kam zu früh und zu tief. Er nahm den Ton zurück, korrigierte die Tonhöhe und ließ dann einen Schwellton vom Stapel, der einen vom Sitz fegte. Oder der Aufbau der Phrase „So grüße mir Walhall!" in der Todesverkündigung, das herrliche Piano der Winterstürme, das donnernde „Wälsungenblut" und das unerreichte „Nun weißt du, fragende Frau". Wir warten mit Sehnsucht auf die Siegfrieds, den Tannhäuser und den Othello von Jon Vickers! Hoffentlich studiert er diese Partien bald. Regina Resnik war eine interessante, wiewohl etwas zu unruhige Fricka. Im deutschen Fach erreicht sie derzeit noch nicht die Leistungen, die sie mit Carmen und Amneris bietet. Aber die Partien sind alle neu für sie, es könnte schon noch kommen. Gottlob Frick befand sich als Hunding ebenfalls in bester Verfassung und so beherrschte – abgesehen von den Walküren, die wir schon erwähnt haben (Christa Ludwig fiel durch Krankheit aus und Hilde Rössel-Majdan war nicht in Wien), eitel Glück und Wonne im Haus. So ein großer Wagner-Abend ist schon etwas Beglückendes! Der Beifall nahm bereits nach dem ersten Akt geradezu Formen von Raserei an, die aber nach einem solchen Liebesduett, wie es von Hilde Konetzni und Jon Vickers gesungen wurde, durchaus berechtigt erscheinen. Die Zahl der Vorhänge war an diesem Abend nicht mehr zu zählen und Heinz Wallberg konnte sich mit Martha Mödl, Hilde Konetzni und Otto Wiener am Schluß ebenfalls für die stürmischen Ovationen bedanken.
DER ROSENKAVALIER am 28. März
Eine sehr schöne Aufführung hörten wir an diesem Abend, den wieder Heinz Wallberg dirigierte und wieder mit Temperament, Intensität und spürbarer innerer Spannung und Beteiligung am Werk war. Lisa Della Casa, Wilma Lipp und Christa Ludwig stellten ihre männlichen Kollegen weit in den Schatten. Den outrierenden Kurt Böhme nämlich, dessen Ochs ganz und gar unwienerisch und ohne jeglichen Charme ist und Alfred Poell, den wir als Faninal schon weit besser gehört haben. So waren auch die Szenen der Damen die stärksten des Abends, der Monolog der Marschallin, die Szene im ersten Akt „Ach du bist wieder da…", die Rosenüberreichung, „zu ihm hab ich ein Zutraun…" und dann natürlich das Schluß-Terzett und –Duett. Christa Ludwig muß sich nur davor hüten, die Mariandl-Phrasen im dritten Akt musikalisch so zu verzerren, daß es „eh alles ans" klingt. Anton Dermota, gut disponiert als Sänger, die Annina der Margareta Sjöstedt und der glänzende Valzacchi von Peter Klein rundeten den schönen Abend angenehm ab.
CARMEN am 29. März
An diesem Abend sang Giulietta Simionato wieder die Carmen und war diesmal in bester gesanglicher Disposition. Es gelang ihr einfach alles und man war vom ersten Auftritt an gefesselt. Phänomenal war ihre Kartenszene, die unvergeßlich bleiben wird. Darstellerisch vermochte sie mit ihrer Auffassung zu überzeugen und so war es natürlich, daß das volle Haus sie mit Ovationen überschüttete. Hilde Güden, die Heimkehrerin aus Amerika, sang wieder ihre Glanzpartie, die Micaela, makellos und zu Herzen gehend. Jon Vickers bot als José eine gute Leistung, obwohl ihm diese Partie weit weniger als beispielsweise der Siegmund liegt, denn in den lyrischen Teilen der Oper muß er seine große heldische Stimme drosseln und das ist immerhin den halben Abend hindurch der Fall. Format bekommt sein Don José dann im dritten und vierten Akt. Schauspielerisch überzeugt der Künstler vollkommen. Aldo Protti liegt der Escamillo nicht besonders, überdies war er diesmal nicht gut disponiert. In den kleineren Partien bewährten sich Liselotte Maikl, Margareta Sjöstedt, Murray Dickie, Harald Pröglhöf, Ljubomir Pantscheff und Claude Heater. Wilhelm Loibner war der routinierte musikalische Leiter der bejubelten Aufführung, deren schwächster Punkt der Chor war, nicht nur deswegen, weil die Chormitglieder noch immer deutsch singen, sondern weil viele Einsätze verpatzt wurden und man stellenweise das Gefühl hatte, als seien überhaupt nur zwanzig Chormitglieder auf der Bühne.
FÜRST IGOR am 30. März
In dieser Aufführung waren zwei interessante Neubesetzungen zu hören. Christa Ludwig hatte die Kontschakowna übernommen. Weit besser als ihre Vorgängerin, sowohl in der Stimme, die prächtig klang (die auch ihr fehlende Tiefe konnte sie gut kaschieren) als auch im Spiel, sah sie auch prachtvoll ‚asiatisch’ aus. Allerdings ist auch sie nicht die richtige Wildkatze, sondern nur ein hübsches wildes Kätzchen. Walter Berry hatte die Verpflichtung, Hans Hotter den Galitzky nachspielen zu müssen. Regisseur Paul Hager hätte mit ihm eine andere Rollenauffassung proben müssen. Der rein körperliche Größenunterschied zwischen beiden läßt sich nicht allein durch kürzen des Kostüms überbrücken. So quält sich Walter Berry mit einer Rollenauffassung, die ihm nie liegen wird und steckt tief in der Schablone. Gesanglich ist er ausgezeichnet, obwohl auch er auf ‚russisch’ forciert. Die übrige Besetzung war die der Premiere. Eberhard Wächter, stimmlich sehr kräftig, ohne zu brüllen, war schauspielerisch äußerst gelöst (der Schatten Hans Hotters, der bisher über ihn fiel, war weg, was sich für ihn äußerst günstig auswirkte). Gottlob Frick hatte das banale „das ist ein Kerl" nun endlich mit einigen weniger lächerlichen Worten getauscht, Giuseppe Zampieri auch schauspielerisch freier, sang schön wie immer. Hilde Zadek ist nach wie vor mit der Partie überfordert. Peter Klein wie immer prächtig, Karl Dönch und Erich Majkut wie immer outrierend. Michael Gielen dirigierte. Er war sehr laut (gut daß die Sänger so prächtig disponiert waren), außerdem auch sehr schnell, immer knapp an der Grenze des Verhetzens. Ein Wunder, daß nichts passierte, aber der Chor (ihm muß man dafür Lob sagen) hielt sich bei den zungenbrecherischen Tempi ausgezeichnet. Der Beifall wurde in allen Registern gespendet, vom bloßen Höflichkeitsapplaus für den Dirigenten bis zu Jubelstürmen für die Solisten und die Tänzer (nach dem Polowetzerakt).
DIE VERKAUFTE BRAUT am 31. März
Als guter und verläßlicher Kassen- und Spielplanfüller zeigte sich Smetanas liebenswürdige Oper auch an diesem Abend. Zwar stand wieder der hart und kantig schlagende und eines richtigen slawischen Gefühls mit seiner Mischung aus Fröhlichkeit und Melancholie nicht mächtige Michael Gielen am Pult. Er verdarb aber wenigstens nichts. Allmählich bekommt er etwas Routine. Was sich aber eigentlich in der Provinz hätte vollziehen sollen! Der Orchesterklang war frisch, aber leider kompakt, dick und undurchsichtig, was den Sängern manche Mühe bereitete. Gerda Scheyrer ist eine stimmlich und schauspielerisch gute und herzliche Marie, Waldemar Kmentt als Hans wesentlich besser eingesetzt als in italienischen Partien (die italienischen Mozart-Rollen mit einbegriffen!) und daher auch ausgezeichnet und Ludwig Welter weiß als Kezal sehr zu gefallen. (So souverän donnern, wie dies seinerzeit Ludwig Weber zuwege brachte, wird ihn ja sobald kein Baß.) Gegenüber Oskar Czerwenka ist Ludwig Welter seiner profunden Tiefe wegen durchaus vorzuziehen. Peter Klein brillierte als Wenzel. Im Zirkus der tänzerisch wieder ausgezeichnet war (die Schlangentänzerin und die beiden rosafarbenen Kraftleiberlträger sind eine Quelle ungetrübter Heiterkeit) gab es ein großes Schwimmfest, da Hans Schweiger offenbar als Springer eingesprungen war und keinen Text konnte und auch Harald Pröglhöf als Muff das gleiche passierte. Das wollen wir aber Hans Schweiger weniger übelnehmen, als den schonungslosen Einsatz seiner unschönen Tremolostimme im Terzett, was schwer zu ertragen war. Von den beiden Elternpaaren sangen die Kruschinas (Hilde Konetzni und Alfred Poell) um Klassen besser als die Michas (Dagmar Hermann und Franz Bierbach). Man kann die Beobachtung machen, daß die Plätze in der Verkauften Braut stets gefüllt sind und beste Stimmung herrscht. Damit ist auch die merkwürdige Besorgnis, die ein als Umblätterer bei Liederabenden bekannter Nachwuchskritiker kürzlich äußerte, daß nämlich das Wiener Publikum derart durch die Italiener verwöhnt sei, daß es die Feinheiten der Verkauften Braut nicht mehr zu würdigen verstünde, ad absurdum geführt. Auch die Zauberlehrlinge lernen von ihren „Meistern" den Slogan, der für alles paßt: Karajan ist schuld! Und das bringen die zornigen jungen Männer allen Ernstes so vor: „Der Karajan ist dran schuld, daß nur mehr Fleischhacker in die Verkaufte Braut gehen". Wortwörtlich! Das sind schon pathologische Fälle, baldige Besserung!