DER APRIL 1960

5. Jahrgang, Heft 5

 

Nein, so schwach und flau dürfte es nicht mehr sein. Einen Monat, in dem sich fast nichts tat, in dem organisatorische Mängel wieder mit grausamer Deutlichkeit zu Tage traten, Gäste nicht deshalb engagiert wurden, weil sie interessierten, sondern weil man einfach keine „Eigenbau-Besetzung" zustande brachte, und somit ein recht guter und relativ abwechslungsreicher Spielplan durch Notlösungen auf der Bühne und am Pult sehr viel an Wirkung einbüßte, dürfte es in Wien nicht mehr geben.

Einige böse Beispiele: Ein halbes Jahr oder länger stehen die beiden ausgezeichneten Heldenbaritons Hans Hotter und Otto Wiener der Staatsoper zur Verfügung und singen teilweise „Bäume", weil man sie nur in großen Rollen einfach nicht beschäftigen kann. Was geschieht nun, wenn einmal einen Monat lang beide nicht in Wien sind? Prompt gibt es zwei Walküren mit Otto Edelmann als Wotan, obwohl diese Besetzung sowohl dem Werk wie dem Ruf des Künstlers selbst sich stets von neuem als schädlich erweist. Dafür werden dann in kommenden Monaten wieder die beiden ersten Heldenbaritons gleichzeitig hier sein und einander auf die Füße steigen. Planung!

Ein anderer Falls: Es ist sehr schwierig, Christl Goltz laut ihrem Vertrag in voller Abendanzahl zu beschäftigen, weil die hochdramatischen Opern, in denen sie ihre Glanzpartien findet, in Wien selten gegeben werden. Ist es erstens wirklich notwendig, daß man für Elektra irgendwelche Gäste engagiert? Und zweitens, warum singt Frau Goltz eigentlich nicht Sieglinde? Die von uns stets hochverehrte Frau Kammersängerin Hilde Konetzni hat nichts davon, wenn sie zu oft angesetzt wird und dann doch absagen muß, und die gastierende Frau Cunitz ist – zumindest für Wiener Begriffe – als Sieglinde fehl am Ort. Planung!

Oder: ein faux pas besonderer Art: Elektra wird ausgerechnet einen Tag nach dem Antritt einer Auslandsreise von Frau Kammersängerin Elisabeth Höngen, die als Klytämnestra noch immer unersetzlich ist, mit der dieser Rolle nicht gewachsenen Frau Milinkovic gespielt. Planung!

Weiters: Man spielte am nächsten Tag Ariadne auf Naxos mit Frau Zadek am übernächsten Fidelio mit Frau Stich-Randall als Marzelline. Warum, um alles in der Welt, besetzte man nicht die Chrysothemis mit Hilde Zadek und die Ariadne mit Teresa Stich-Randall, eine Besetzung, die immerhin angängig ist? Man hätte sich damit zwei Dinge erspart, einen Gast als Chrysothemis und eine schlechte Marzelline. Planung!

Außerdem war das Osterprogramm nicht sehr festlich, und wir verwahren uns energisch gegen einen so unzulänglich abgespielten Palestrina, der dem Niveau des Wiener Opernhauses nicht entspricht,

Auch mit den Dirigenten waren wir im Monat April übel dran. Der Chef steckte einmal seine Nase herein und das ausgerechnet in den Mord in der Kathedrale, wo seine Qualitäten verschwendet erscheinen. (In dem Stück tut’s auch ein Hauskapellmeister!). Karl Böhm muß man wirklich dankbar sein, daß er in diesem Monat mit einigen ausgezeichneten Mozart- und Strauss-Vorstellungen, den Meistersingern und dem Wozzeck sozusagen die Stellung hielt. Sonst gab es neben Heinz Wallberg und einem erfreulich verbesserten und energischen Berislav Klobucar nur noch Swarowsky, Hollreiser und Gielen in gewohnter Form. Nello Sanft dürfte mit seiner Boheme neuerlich bewiesen haben, daß er höheren Orts überschätzt wird.

 

DER ROSENKAVALIER am 1. April

Mitten im Repertoirebetrieb wollen wir kurze Rückschau halten: Seit seiner Wiener Erstaufführung am 8. 4. 1911 ging der Rosenkavalier mehr als 500 mal über die Bretter der Wiener Staatsoper, eine stolze Bilanz! Es kann eigentlich gar nicht anders sein, denn der Rosenkavalier ist die Wienerische Oper par excellence. Diese zierliche Rokokokomödie für Musik, die spielerische Freude und huschendes Durcheinander so glücklich neben stille, resignierende Größe stellt, mußte im Wien Maria Theresias spielen, mußte wienerisch gesungen werden und mußte, last but not least, zu einer Lieblingsoper der Wiener werden. Heute bei der 501. Aufführung haben wir es wieder empfunden: hier haben sich Hugo von Hofmannsthal und Richard Straus zu völliger Einheit zusammengefunden, wurden Dichtung und Musik vollkommen adäquat, schrieben sich Dichter und Komponist Ureigenstes von der Seele, ein Kunstwerk entstand. Heute zählt der Rosenkavalier (neben Elektra, Palestrina und Wozzeck) zu den einsamen Höhepunkten der Opernliteratur des 20. Jahrhunderts. Karl Böhm der Heimkehrer, stand am Pult und musizierte mit unserem pachtvollen Orchester einen Rosenkavalier, der nicht nur seine mäßigen Aufführungen im Theater an der Wien vergessen ließ, sondern alle Erwartungen übertraf. Während das Vorspiel noch etwas zerfahren und nervös klang, folgte dann ein Höhepunkt dem anderen (auf einsamer Höhe stand Karl Böhm bei der Überreichung und den Einleitungstakten zum Terzett im dritten Akt). Eine schlechthin ideale Frauenbesetzung ließ dieses Terzett auch zum gesanglichen Kulminationspunkt werden: Lisa Della Casa als Marschallin sang makellos schön, hatte zahlreiche starke Momente, wenngleich sie auch oft zu kühl und distanziert schien. Überdies sieht sie noch viel zu jung aus und wirkte vor allem in der Frühstücksszene wie Sophies ältere Schwester. Ihr bester Akt ist wie in Arabella der dritte. Christa Ludwig als Quinquin besser als als Mariandl, denn der Wiener Charme liegt ihr weniger. Ihre stimmlich besten Momente hat sie in der tieferen Mittellage (vor allem das „Marie Theres" vor dem Terzett). Anneliese Rothenberger gab wieder eine bezaubernde Sophie, die sie uns mit Temperament und Quecksilbrigkeit so liebenswert macht. Oskar Czerwenka (der aus New York wieder Heimgekehrte) war Ochs von Lerchenau. Seit Fritz Krenn dürfte kein Sänger den Ochs mit so viel köstlichem, aber doch nie übertriebenem Humor ausgestattet haben, wie er. (Das Spiel seiner Zehen, während der Doktor seine Wunde behandelt, das Tippen an den Kopf, wenn der Doktor dem am Arm Verwundeten in den Hals schauen will, das ist echter, intuitiver Humor und nicht Blödelei um ihrer selbst willen!). Zudem war Oskar Czerwenka gut bei Stimme und so blieb fast kein Wunsch offen. In den Nebenrollen Alfred Poell als etwas leiser Faninal, Peter Klein als gut profilierter Valzacchi, Margareta Sjöstedt als auffallend junge Annina. Der in letzter Minute eingesprungene Anton Dermota quälte sich mit Erfolg durch die Sängerarie. Wie schon oft gehabt: Judith Hellwig als Duenna (gibt es wirklich keine andere und bessere Duenna?) Über Fritz Sperlbauers Leistung (Wirt) sei der Mantel des Schweigens gebreitet.

AIDA am 2. April

Hoch schlugen an diesem Abend die Wellen der Begeisterung für die Sänger, doch leider dirigierte Hans Swarowsky so trocken und temperamentlos, daß im Triumphakt keine orchestrale Steigerung zustande kam und im zerdehnten Nil-Akt träges Brackwasser müde zu plätschern schien. Gloria Davy zeigte sich in der Titelpartie verbessert und im Spiel intensiv, doch blieb noch einige Unsicherheit in der Intonation hörbar. Biserka Cvejic als Amneris machten die trägen Tempi des Dirigenten zu schaffen und brachten sie um die Wirkung, die ihr beim Debüt sicher gewesen war. Jon Vickers eroberte mit seinem Radames das Publikum einmal mehr im Sturm. Bemerkenswert wie er diesmal den ganzen Triumphakt mit voller Stimme durch sang. Aldo Prottis Amonasro bewies erneut, daß diese Partie zu den Paraderollen des Künstlers zählt und Gottlob Frick (Ramphis) ergänzte mit seinem Edelbaß das Solistenensemble. Schade, daß der Abend vom Pult aus nicht günstiger beeinflußt wurde.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. April

Eine Aufführung, die uns nicht ganz glücklich machte. Den Grund dafür anzugeben ist schwierig. Es war, als hätte man ein in zarten Farben hin gehauchtes Aquarell erwartet und an seiner Stelle ein Ölbild vorgefunden, aus der Tube direkt auf die Leinwand gedrückt. Das Orchester unter Dr. Karl Böhm spielte etwas dick und klebrig. Es fehlte die Transparenz und Eleganz, die wir bei Herbert von Karajan und Heinz Wallberg gewohnt sind. Es fehlte auch die Ausgeglichenheit der Tempi zueinander. Irgendwie schienen die Proportionen verloren gegangen zu sein. Das wirkte sich auch auf der Bühne aus. Jeder forcierte auf seine Weise. Der eine stimmlich, der andere schauspielerisch, mancher so hier wie dort. Es begann mit Walter Berry. Noch nie haben wir von ihm einen Figaro gehört, der 1.) so gebrüllt und 2.) so an die Rampe gespielt war. Dabei hat Walter Berry weder das eine noch das andere nötig. Oskar Czerwenkas Bartolo setzte diese Linie fort. (So schreien kann man bestenfalls an der Met – Wiener Ohren sind da weit sensibler!) Christa Ludwig spielte einen Teenager in Hosen und wirkte stimmlich diesmal sehr unruhig. Graziella Sciutti fand erst in der Rosenarie (die wieder prachtvoll war), zu ihrer von uns so geschätzten Susanne. Teresa Stich-Randall forcierte bei den Arien, was – wie allerorts bekannt – nicht gerade wohltuend klingt. Eberhard Wächter war stimmlich sehr gut, wurde darstellerisch jedoch durch die hektische Fröhlichkeit angesteckt und demonstrierte streckenweise Schmierenkomödie. (Aber, aber!). Bei der Oper muß man auch der Musik Raum lassen, humorvoll zu sein. Dieser Humor ist allerdings diskreter und kann sehr leicht, wie an diesem Abend, zu Tode getrampelt werden. Gut waren Elisabeth Höngen und Peter Klein. Es wäre Zeit, daß Günther Rennert die Regie wieder überarbeitete. Viel zu viel Unfug ist schon wieder hineingekommen. Gags, die weder mit dem Text, noch mit der Musik etwas zu tun haben und einzig dazu da sind, ein verschlafenes Zufallspublikum zum Lachen zu bringen. Dafür sind Mozart und die Wiener Oper nicht zuständig!

OTHELLO am 4. April

Nello Santi hielt sich an diesem Abend – so weit es ihm eben möglich war – zurück und war immerhin schon etwas leiser als bei seiner ersten Interpretation des Stückes. Für Ordnung und Sauberkeit sorgte er mit starker Hand wie bereits gewohnt. Die Titelrolle sang Dimiter Usunow, der als Mohr von Venedig intensiv, dramatisch und stimmkräftig ist. Über den bei Heldenrollen auffälligen Mangel an baritonaler Mittellage kann man ruhig hinwegsehen. Erfreulicherweise ist Dimiter Usunow weniger Formschwankungen unterworfen, als dies eigentlich bei Naturstimmen üblich ist. Seine Frau, Ekaterina Georgiewa, die als seine Bühnengattin Desdemona gastierte, kann hingegen nicht staatsopernreif genannt werden. Die Stimme ist zu klein und zu schlank für das jugendlich-dramatische Fach, wird (bei gutem piano) jedoch scharf und steif im forte. Die Darstellung ist allzu konventionell und eine gewisse musikalische Unsicherheit führte zu einem krassen Schmiß im zweiten Akt. Gäste kamen und Gäste gingen… Aldo Protti donnerte seinen Jago mit gewohnter Sicherheit und gewohnter Stimmentfaltung und hatte nur in der Traumerzählung mit dem piano Schwierigkeiten. Der beste Comprimario war Ermanno Lorenzi als Rodrigo, während sich die übrigen Sänger kleiner Rollen nicht mit Rum bedecken konnten. (Dagmar Hermann, Anton Dermota, Oskar Czerwenka und Hans Schweiger.) Besonders im Falle Emilia kann man nicht umhin, mit Sehnsucht an die Anna Maria Canali zurückdenken. Sie ist nach den Erfahrungen mit unseren heimischen Sängerinnen geradezu eine Super-Emilia gewesen, wenngleich sie solche Stürme im Wasserglas hervorgerufen hat. Höchste Zeit für Biserka Cvejic, diese Partie zu studieren!

DIE ZAUBERFLÖTE am 5. April

Ein schöner Abend, der eine fein ausgewogene Wiedergabe bedeutete. Es dirigierte Karl Böhm. Teresa Stich-Randall war diesmal eine sehr kultivierte Pamina, ihre Partner: Anton Dermota, Erich Kunz und Graziella Sciutti, das Buffopaar, dem die Herzen zuflogen. Mimi Coertse wartete mit einer tadellosen Rachearie auf und Arnold van Mill sang mit weicher sonorer Baßstimme einen beachtlichen Sarastro.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 6. April

Von Nello Santi, dem Dirigenten, läßt sich außer zahlreichen verschleppten Tempi, großer Vorliebe fürs ff und einigen Differenzen mit dem Chor nichts Besonderes berichten.

In der CAVALLERIA sang Hilde Zadek eine sichere Santuzza. Karl Terkal, schon durch eine schön gesungene Sicilliana auffallend, war ein guter Turiddu (nur die Stelle „Bada, Santuzza, schiavo non sono" müßte man seines S-Fehlers wegen für ihn umdichten). Mit durchschlagender Höhe und großer Stimme sang Kostas Paskalis den Alfio. Wenn auch im Spiel kein Walter Berry… Rührend einfach gezeichnet die Mama Lucia von Georgine Milinkovic, unauffällig und doch da. Lola war Gundula Janowitz, die (durch Lampenfieber?) das halbe Auftrittslied mit staunenswerter Konsequenz neben dem Orchester sang.

Mit Recht freute man sich auf den BAJAZZO Jon Vickers! Fleiß wird bei diesem Künstler bestimmt groß geschrieben. Er hat seit der Wiener Premiere an seinem Canio gefeilt und gebessert: die Spitzentöne leuchten noch strahlender, die Stimme ist noch größer geworden, die Verhaltenheit im Spiel hat sich noch mehr verinnerlicht, um dadurch nur umso packender zu wirken. Wenn der Künstler das berühmte „Vesti la giubba" singt, ohne Lachen im Rezitativ, ohne billiges Schluchzen am Schluß, mit halber Kraft und erschütterndem Schmerz in der Stimme, dann vergißt man, daß diese Arie der größte Schluchzeffekt italienischer Tenöre ist, vergißt man ihre Abgedroschenheit und freut sich an der ausgesprochen modernen Gesangskunst und Gestaltungskraft Jon Vickers. Mimi Coertse sang ihre verläßliche Nedda. Aldo Protti eroberte sich wie schon so oft gleich mit dem Prolog sein Publikum. Claude Heater hatte als Silvio einen guten Tag. Ermanno Lorenzi fiel als Beppo unangenehm auf. Die Dramatik der Bajazzo-Musik lag Nello Santi besser als die mehr lyrische Melodik der Cavalleria. In beiden Werken blieben aber, wie schon eingangs erwähnt, zahlreiche Wünsche offen.

LA BOHEME am 7. April

Nun wurde endlich auch die Boheme, Publikumsoper schlechthin, an der Wiener Oper, zum Teil leicht mehrfach besetzbar und immer eines soliden Niveaus gewiß, auf Italienisch umgestellt. Bis auf Manon Lescaut hätten wir’s ja nun im italienischen Programmsektor geschafft. (Vielleicht bietet sich im nächsten Jahr Gelegenheit dazu. Es ist schade um die gute Inszenierung, wenn sie brach liegt, und mit Sena Jurinac, Giuseppe Zampieri, Walter Berry ist so etwas wie eine Idealbesetzung gegeben.) Nello Santi hatte die Aufführung mit gewohnter Sicherheit musikalisch überholt, hatte zeitweise wunderbare Phrasen, viel Schwung und Herz – und war natürlich wieder um etliche Phon zu laut. Jetzt könnte er ja das Wiener Haus allgemach soweit kennen, daß er den geplagten Sängern nicht die Mittellage wegwischt. Der für dieses Jahr engagierte so genannte Hausregisseur Wolf-Dieter Ludwig, der sich eigentlich recht wenig bemerkbar gemacht hatte, stand als Regisseur auf dem Programmzettel und zeichnete für ein Übermaß an Geblödel verantwortlich (2. Akt.). Denn daß die Sänger ihre Rollen ausgezeichnet charakterisierten, war wohl größtenteils ihr eigenes Werk. So zum Beispiel die glückliche Identifikation der vier Bohemiens mit den vier Temperamenten, unter denen Eberhard Wächter der temperamentgeladene, persönlichkeitsstrotzende Choleriker war (die Rolle des Marcello wird von ihm derart „hingelegt", daß man ihm sogar einige Überspieltheiten konzediert, weil sie durchaus sinngemäß sind). Ebenfalls großartig charakterisierte Walter Berry den Phlegmatiker des Quartetts, den philosophisch-stoischen Colline mit würdevoller Grandezza und einer Toulouse-Lautrec-Maske. Giuseppe Zampieri war als melancholisch-schwärmerischer Rodolfo auf dezente und sympathische Weise gut am Platze. Nur Hans Braun, der Schaunard, der die Aufgabe gehabt hätte, den Sanguiniker zu geben, ließ völlig aus. Für unsere Verhältnisse wäre der passendste Vertreter der Partie natürlich Kostas Paskalis gewesen. Er hätte in jeder Weise besser zu den anderen Herren gepaßt. Blendend gespielt waren auch die Randfiguren, Peter Klein als Hausherr und Laszlo Szemere als reicher Kavalier. Wenn man sich die Partie der Mimi ganz lyrisch vorstellt, was man nicht unbedingt tun muß, ist Hilde Güden mit ihrer meisterhaft geführten, schlanken, schönen Stimme, rührendem Ausdruck und bombensicherer Höhe eine ideale Vertreterin der Rolle. Demjenigen, der eine dramatische Stimme lieber hat, wird sie vielleicht ein wenig kühl vorkommen – dies ist letzten Endes dem persönlichen Geschmack des Hörers unterworfen. Allerdings hätte kaum eine andere Stimme so gut zu Giuseppe Zampieris weichem, edlen Organ gepaßt, der (nach seiner obligaten Premierennervosität) zu großer Form anlaufend, den Rudolf mit wirklich beispielgebendem Wohllaut, prachtvoller Phrasierung und viel echtem Gefühl sang. Graziella Sciutti ist wie die meisten Vertreterinnen des Soubrettenfaches mit der Musette stimmlich überfordert, weil besonders der zweite Akt jede Sängerin zum Schreien animiert. Immerhin hat jedoch die leichtlebige Musette im vierten Akt Gelegenheit, ihr gutes Herz zu offenbaren, was gerade von den Soubretten gern ausgenützt wird, die hier Gefühl und Innigkeit zeigen können. Auch Graziella Sciutti tat desgleichen. Der Walzer gehört jedoch unbedingt von einer sinnlicheren Stimme gesungen. Eine Ljuba Welitsch kommt nicht wieder! Schauspielerisch zeigte Graziella Sciutti ihr charmantes Temperament. Sie sah auch bezaubernd aus. Die edle Prachtstimme ihres Partners Eberhard Wächter dominierte jedoch eindeutig. Mit der Italianità hat dieser ungemein intelligente und stilvolle Sänger ebenso wenig Schwierigkeiten wie Walter Berry, der eine so prachtvolle Mantelarie sang, wie wir sie in Wien seit unserer Anfängerzeit nicht gehört haben, und sich in dieser Rolle geradezu als Idealbesetzung präsentierte. Mit dem Duett Rudolf-Marcel im dritten Akt und der Mantelarie sind die musikalischen Höhepunkte der Neueinstudierung genannt. Hans Braun war auch stimmlich schwach. Die Mitarbeiter des Merker schätzen, da sie ja, wie bekannt, in der Wiener Oper täglich Präsenzdienst haben, die Bohème als Repertoire-Oper ganz außerordentlich. Eine kurze Bohème in guter Interpretation ist um vieles angenehmer zu hören als etwa ein endloser mittelprächtiger Don Carlos!

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 8. April

An diesem Abend hatte man sich von der typisch repertoiremäßig besetzten Aufführung auch nicht viel versprochen, wurde aber mit einer schwungvollen Aufführung unter Berislav Klobucars Leitung, in der alle Mitwirkenden ihr Bestes gaben (auch der Chor, der diesmal mit lobenswerter Präzision und Stimmentfaltung sang), überrascht.

In der CAVALLERIA befand sich Hilde Zadek in ausgezeichneter stimmlicher Verfassung und auch ihre Darstellung hat sich – offenbar in Anlehnung an große Vorbilder – sehr verbessert. Ermanno Lorenzi sprang statt Karl Terkal als Turiddu ein, bewährte sich stimmlich sehr gut, zeigte aber einen Hang zum Schleppen, wobei er (beim Trinklied) von Berislav Klobucar mit ungewohnter Brutalität zurechtgewiesen wurde. Der Abschied von der Mutter konnte sehr gut gefallen. Darstellerisch ist Ermanno Lorenzi allerdings hölzern und anfängerhaft. Kostas Paskalis sang – abgesehen von einigen tiefen Tönen – einen ganz vorzüglichen Alfio. Dieser Sänger hat sich seit seinem Debüt in geradezu unglaublicher Weise entwickelt. Gundula Janowitz und Georgine Milinkovic waren in den beiden kleinen Frauenrollen ausgezeichnet.

Im BAJAZZO dominierte wieder die Persönlichkeit von Jon Vickers, obwohl er sich nicht in bester Form befand und gegen Schluß stimmliche Ermüdungserscheinungen zeigte, die er jedoch mit Technik und Intelligenz zu kaschieren wußte. Hatte man in Cavalleria gedacht, daß die Stimme von Kostas Paskalis in den höheren Lagen schon fast Protti’sche Dimensionen annehme, so bewies Aldo Protti im Bajazzo, daß seine Stimme doch noch größer, breiter und mächtiger ist. Mimi Coertse als vorzügliche Nedda, Claude Heater und Kurt Equiluz waren gute Comprimarii.

OTHELLO am 9. April

Heinz Wallberg dirigierte diese Aufführung. Seine Stärke liegt in der Prägnanz des melodischen Details, die er voll und ganz ausschöpft, in der harten, typisch „deutschen" Dramatik, die aber bei ihm – Gott sei Dank – nicht in zischenden Beckenschlägen und knallendem Fortissimo ihren Niederschlag findet, sondern aus der dieser Musik innewohnenden Spannung herauswächst (vergleiche Nello Santi!), ferner in deutlicher, wenn auch manchmal aufgezwungener Führung der Sänger und des Chores. Besonders vermerkt sei sein herrliches Racheduett, endlich im vorgeschriebenen „molto sostenuto". Da Heinz Wallbergs Zeichengebung klar und exakt ist, müssen wir den jämmerlichen Schmiß im vierten Akt vor dem „Niun mi tema" dem Orchester zuschreiben, das zu sehr von den Vorgängen auf der Bühne abgelenkt war. Ein erster Geiger blieb leider auf der Strecke und war durch sein ungewollt solistisches Auftreten so nervös, daß sich seine Phrase wie das Herunterstimmen einer Saite anhörte. Es war schaurig interessant! Der Titelrolle lieh Dimiter Usunow seinen substanzreichen, in der Höhe im Tremoloformat Carlo Guichanduts, blieb er im ersten Akt noch etwas unsicher, was bei der Partnerschaft von Carla Martinis allerdings begreiflich war. Desdemona sang so grundfalsch, daß der Zuhörer versucht war, die Schuhbänder zu lockern, wurde aber im dritten und vierten Akt besser. Diese Verbesserung führte auch Othello zu einer interessanten Steigerung von Akt zu Akt: seine Intensität wuchs mit zunehmender Sparsamkeit im Spiel. Der letzte Akt hinterließ stimmlich und darstellerisch stärksten Eindruck. Auch Paul Schöffler war darstellerisch besser, als gesanglich. Es ist immerhin schwer, sich durch italienische Partien zu schwindeln. Paul Schöffler spart alles fürs Credo, begreiflich, aber das ist halt stimmlich doch etwas zu wenig. Leider wird auch der Unterschied zwischen seinen und Verdis Notenwerten bei hohen Tönen immer größer und nicht jeder Dirigent hat die Absicht, diese Freiheiten mitzumachen. Als Persönlichkeit jedoch ist Paul Schöffler noch immer einsame Klasse. Anton Dermota sollte keinen Cassio mehr singen, da er dieser Partie schon längst entwachsen ist. Sehr gut Ermanno Lorenzi, besser diesmal Dagmar Hermann.

MORD IN DER KATHEDRALE am 10. April

Wieder war Herbert von Karajan der musikalische Leiter. Das Stammpublikum besucht die Aufführung Hans Hotter zuliebe, dessen überragende Leistung und Persönlichkeit das Erlebnis des Abends darstellt. Die Premierenbesetzung belebte die Bühne, mit Ausnahme von Walter Kreppel, der durch Ludwig Welter zufriedenstellend ersetzt wurde. Dem Ensemble gebührt ein Pauschallob für gute Leistungen in meist undankbaren Partien.

DER ROSENKAVALIER am 11. April

An diesem Abend war Heinz Wallberg der prachtvolle musikalische Leiter des Straussabends, dem diesmal leider nicht ein so gutes Ensemble zur Verfügung stand wie in den beiden ersten Aufführungen, die er in Wien leitete. Hilde Zadek sang die Marschallin brav. Leider war die „silberne Rose" am Schluß des ersten Aktes um etliches zu tief. Darstellerisch ist über sie nichts Neues zu sagen. Christa Ludwig wirkte stimmlich gut, neigte aber wieder zu starken Übertreibungen. Im ersten Akt warf sie zwar den Degen hinter’s Bett, ließ dafür jedoch ihr Kostüm beim Auftritt des Mohammed auf dem Sessel liegen. Außerdem ist es nicht notwendig, daß sie als Quinquin und Mariandl silberlackierte Fingernägel trägt. Dazu kam leider, daß diesmal auch die sonst großartige Wilma Lipp als Sophie indisponiert war. Oskar Czerwenka diesmal stimmlich reichlich schwach, „haperte" es in der Höhe und in der Tiefe. Der Faninal Alfred Poells wird leider gesanglich immer dürftiger und Anton Dermota machte die Sängerarie neuerlich zu schaffen. Ausgezeichnet allerdings das Intrigantenpaar Margareta Sjöstedt und Peter Klein. Das Publikum war hellhörig und dementsprechend war bei diesem Rosenkavalier die Stimmung weit weniger groß als bei anderen Aufführungen.

DIE WALKÜRE am 12. April

Die Ehren der Aufführung an diesem Abend gingen mit vollem Recht an die Wiener Philharmoniker und ihren Dirigenten Heinz Wallberg, die zur Freude der Zuhörer musizierten. Nicht ebenso verhielt es sich bei den Gesangssolisten. Die Leistungen auf der Bühne fielen gegen die des Orchesters beschämend ab. Relativ gut kann noch der erste Akt genannt werden, in dem das Gast-Wälsungenpaar Maud Cunitz und Hans Beirer die Szene belebten, und Kurt Böhme mit geradezu „schwarzem" Baß einen trefflichen Hunding sang. Maud Cunitz erwies sich erneut als routinierte Sängerin, deren Leistung immer einen gewissen Respekt wachruft. Bei Hans Beirer lösten Licht- und Schattenseiten der Leistung einander in buntem Wechsel ab. Beachtlich sein Schwertmonolog und „Siegmund heiß ich…", während man bei der Wolfserzählung und seinem zweiten Akt den Eindruck hatte, daß der Tenor nicht weiß, was er singt. Außerdem mißfällt die unfreiwillig komische Art des „Helden", ein Schwert wie einen Holzprügel anzufassen. Wann wird der Sänger sein echtes Heldenmaterial schmieden können? In seiner „Komik" wurde er allerdings noch von Otto Edelmann als Wotan überboten, doch finden wir solche Heiterkeit eher zum Weinen als zum Lachen. Mit dem Wotan deklassiert Otto Edelmann sich selbst und Wagners Oper zu gleichen Teilen. Warum um alles in der Welt singt er immer wieder diese Partie, sodaß bereits nach Ende des zweiten Aktes im Zuschauerraum Massenflucht einsetzt? Martha Mödl, deren Walkürenrufe „da" waren, kam diesmal nicht so zur Wirkung, denn ihr intensiver Ausdruck prallte an Wotans Teilnahmslosigkeit ab. Nur wer Otto Edelmann an diesem Abend gehört hat, kann unsere Deprimiertheit über seine Leistung verstehen. Ira Malaniuk als Fricka hatte einen stimmlich guten Abend. Daß die Wotan-Fricka-Szene dennoch ohne Wirkung blieb, war nicht ihre Schuld. Das Walkürenensemble wurde nur durch Lotte Rysanek zusammengehalten, ein für Wien unhaltbarer Zustand.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 13. April

Bei vollkommen ausverkauftem Stehplatz ging Günther Rennerts Meisterinszenierung wieder über die Bühne. Michael Gielen stand wieder am Pult und war trocken wie in allen vorhergegangenen Aufführungen dieses Werkes. Der Chor sang mit halber Stimme. Die zahlreichen Nebengeschäfte wirken sich eben aus (!) und Waldemar Kmentt und Oskar Czerwenka bewiesen, daß sie in stimmlicher Hinsicht momentan keine glückliche Zeit haben. Gerda Scheyrer war mehr „Mariechen" als Marie. Rein vom Stimmlichen her betrachtet steht sie noch im Schatten der großen Maries der Wiener Staatsoper Hilde Konetzni, Maria Reining, Maria Müller oder Sena Jurinac. Trotzdem weiß Gerda Scheyrer mit ihrem schlanken, weißglänzenden Sopran, den sie auch technisch zu behandeln versteht, die Rolle auszufüllen. Wir hoffen, daß eines Tages auch aus dem Mariechen eine Marie wird. Peter Klein stellte mit dem Wenzel erneut eine seiner liebenswerten Charakterstudien auf die Bühne und Erich Kunz bucht nach wie vor die Lacherfolge des Abends für sich.

TOSCA am 14. April

Unter der sicheren und temperamentvollen Leitung von Berislav Klobucar gab es nach langer Zeit wieder einmal Tosca. Um den Tosca-Mangel im eigenen Haus zu steuern, mußte man wieder Margherita Roberti als Gast einladen. Sie ist eine gute Vertreterin der gehobenen internationalen zweiten Garnitur, die der Rolle Profil gab und recht gut – im Forte etwas scharf – sang. Dimiter Usunow war als Cavaradossi nicht mehr als gut. Speziell im ersten Akt hatte er wenig zu bieten (Naturstimmen brauchen eine Anlaufzeit). Im zweiten Akt schmetterte er ein endloses „Vittoria" und im dritten brachte er so etwas wie Mezzavoce in sein ansonst chronisches Forte (Piano konnte man es eigentlich nicht nennen). Wir sind in Wien allerdings durch den kunstvollen Gesang Giuseppe di Stefanos und die noble Phrasierung Giuseppe Zampieris gerade in dieser Rolle außergewöhnlich verwöhnt. Anderswo mag Dimiter Usunow vielleicht besser gefallen. Aldo Protti war stimmlich natürlich wieder einmal der Mann des Abends. Kein Tedeum kann so laut sein, daß es Aldo Protti nicht übersänge, ohne Spur von Anstrengung noch dazu. Er macht nur gerade den Mund ein wenig weiter auf. Schauspielerisch ist er auf konventionelle Weise routiniert, ohne natürlich die scharfe Charakterisierungskunst mancher Kollegen zu besitzen. Erich Kunz und Kurt Equiluz waren typische Beispiele ausgezeichneter Leistungen in kleinen Rollen: wirksam, doch nicht übertrieben. Besonders über die endlich erfolgte Umbesetzung Spolettas war man glücklich. Vielleicht findet man eines Tages auch für Angelotti doch einen besseren Sänger als Karl Weber.

KEINE VORSTELLUNG am 15. April, Karfreitag

PALESTRINA am 16. April

Pfitzners musikalische Legende zählt heute, ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung, zu den einsamen Gipfelwerken der Opernbühne, ja sie nimmt, ähnlich dem Parsifal, insofern eine Sonderstellung ein, als sie nie zur Repertoireoper geworden ist. Das hat verschiedene Gründe: die schwere Zugänglichkeit des Werkes, bedingt durch den hohen ethischen Ernst seiner Aussage, die ganz eigene, herbe Musik, in der Thematik, Kontrapunkt und Polyphonie eine größere Rolle spielen als die Melodieerfindung, eine gewisse Breite in Ausdehnung und Tempo und der etwas spröde, doch dabei besonders reizvolle Orchesterklang. Alle diese Komponenten verlangen ein aufnahmewilliges, ernstes und geschultes Publikum in entsprechender Stimmung. Leider glich der Stehplatz am Karsamstag einer Frühjahrsmodenschau. Langsam gewöhnen wir uns ja an die von musikalisch unbelasteten Elementen mit Kindern angefüllten Abende ‚leicht verständlicher’ Werke wie Wozzeck, Frau ohne Schatten, Elektra und eben auch Palestrina. Die Schuld daran, daß sich die gewisse Stimmung diesmal auch bei alten Pfitzner-Aposteln nicht recht einstellen wollte, lag vor allem beim Dirigenten des Abends. Hans Swarowsky hatte die große Chance, mit dem Palestrina sein Meisterstück als Gast an der Staatsoper zu liefern. Er hat sie nicht genützt. Zwischen der Leitung einer Dirigentenklasse an der Akademie und der Leitung eines Klasseorchesters, dem nach langer Verwaisung (seit Rudolf Moralts Tod) erst wieder die romantische Klangwelt Pfitzners durch eine Dirigenten-Persönlichkeit entlockt werden müßte, ist ein gewaltiger Unterschied. Ein bebrillter Herr, den Kopf entgegen Bülows Rat, stets in der Partitur, schlug brav Takt (wer verlangt von einem Kapellmeister schon mehr?), schwamm zeitweise mit Sängern und Chor nach Noten und brachte das Werk schließlich über die Distanz; mehr nicht! Er stand nicht über dem Werk, sondern mußte mit ihm kämpfen, um nicht von ihm erdrückt zu werden. Daß dabei keine Zeit blieb, sich um Sängereinsätze, um Nebenstimmen, um dynamische Schattierungen zu kümmern, ist klar. Erschreckend das Vorspiel in seiner breiig dicken Lautstärke, von etwaigem Dämpfen des Orchesters im weiteren Verlauf zu Gunsten der Singstimmen keine Spur. Hans Swarowsky kam diese Rücksichtnahme innerhalb von vier Stunden nicht einmal in den Sinn, auch ein Rekord! (So z. B. war der eingesprungene Ludwig Weber, für jedermann, also auch für den Dirigenten erkennbar, schwach bei Stimme und einfach unhörbar. Wer war hier mehr schuld!) Wir wollen dieses Kapitel mit dem Wunsch beschließen, der Herr Gastprofessor möge Werke dirigieren, deren wesentlichste Aussage nicht im Orchester liegt und die weniger Probleme aufwerfen als Pfitzners Meisterwerk. Wie sehr vermißten wir Rudolf Moralt, der im Palestrina bis heute unersetzlich geblieben ist. Julius Patzak und Hans Hotter beherrschten im ersten und dritten Akt die Bühne. „Vertraut – von je vertraut" möchten wir mit Palestrina rufen, so eins geworden sind wir mit ihnen wie sie mit ihren dargestellten Figuren. Hier die Gestalt des einsamen, ruhigen, weltabgewandten Meisters, dort die hohe, herrische, weltzugewandte Figur des Kardinals. Hier Julius Patzaks fast tonlos ruhige Diktion, dort Hans Hotters beschwörende, aufbrausende Stimmgewalt. Sein Abgang ist ein Höhepunkt an musikalisch dramatischer und darstellerisch mitreißender Wirkung. Beide Künstler waren prächtig bei Stimme und gewannen den Kampf gegen die geballten Klangmassen des Dirigenten souverän. Anny Felbermayer sang sicher, aber unpersönlich den Ighino, Margareta Sjöstedt distonierend den Silla. Die Meister überraschten durch allgemeines Schönsingen und Sicherheit, besonders Waldemar Kmentt und Alfred Poell. Die Engel sangen weniger engelhaft. Das Kyrie Rita Streichs ist in keiner Weise eine „Stimme von oben". Der Konzilakt ließ nicht nur im Geschehen der Handlung, sondern auch in den vielen Einzelleistungen der hier Beschäftigten große Unterschiede erkennen. „Die Gegensätze all zu einen" gelang hier im künstlerischen Gesamteindruck nicht nach Wunsch. Paul Schöffler vermochte dank seiner hohen Darstellungskraft über manch stimmliche Schwierigkeiten hinwegzutäuschen, die fehlenden Höhen Laszlo Szemeres ersetzte Peter Kleins köstlicher Budoja mit einigen sehr lauten Spitzentönen. Alfred Poell sang Spaniens Orator nicht mehr so bezwingend wie früher wenn auch für das Auge nach wie vor spanischer Grande vom Scheitel bis zur Sohle. Wir haben eine Idealbesetzung im eigenen Haus: Eberhard Wächter! Wann wird er wohl endlich den Luna studieren? Das durch Marjan Rus berühmte „non placet!" hörte man leiser und weniger rauh von Alois Pernerstorfer. In der hohen Lage sägte sich Edmond Hurshell durch die Nerven der Zuhörer, in der Tiefe schwieg er. Hugo Meyer-Welfing krähte zittrig seinen Theophilus. Auf gewohnter Höhe Erich Kunz (Lothringer), als „deutscher Bär" (Madruscht) gut charakterisiert Otto Edelmann, nur stimmlich zu wenig durchschlagskräftig. Brav der Abdisu Erich Majkuts und Harald Pröglhöf erreichte nicht das Format seines Vorgängers Walter Berry. Ludwig Weber, schon eingangs erwähnt, danken wir für sein Einspringen. Die Regie bedürfte einer dringenden Erneuerung, besonders im ersten Akt, ebenso die Beleuchtung. Der Abend hinterließ leider nicht jenen tiefen Eindruck, den sich Kenner des Werkes erwartet hatten.

DIE ZAUBERFLÖTE am 17. April

Dieser Abend war wirklich eine Feiertagsaufführung, die keinen Wunsch offen ließ und vom (hauptsächlich ausländischen Publikum) mit Begeisterung aufgenommen wurde. Karl Böhm hielt nicht nur besten Kontakt zwischen Orchester und Bühne, sondern riß darüber hinaus Orchester und Sänger zu einer außerordentlichen Leistung hin. Mimi Coertse war diesmal eine ausgezeichnet disponierte Königin der Nacht, der beide Arien großartig gelangen, Wilma Lipp ein Idealfall einer Pamina, gesanglich großartig und auch in der Prosa überzeugend (sie hält in dieser Partie jeden Vergleich aus). Anton Dermota sang sehr heldisch timbriert den Tamino und tat sich bei der Flötenarie hörbar schwer. Johannes Kathol verlieh dem Sarastro Würde. Peter Klein erfreute als großartiger Monostatos. Die drei Damen waren mit Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Dagmar Hermann sehr gut besetzt. Die drei Sängerknaben gefielen ebenfalls ausgezeichnet und Hans Hotter gab dem Sprecher starke Persönlichkeit und edle Stimme. Helle Begeisterung löste das paar Papageno-Papagena aus, Erich Kunz und Anneliese Rothenberger. Sie waren aber auch einfach hinreißend. Erstaunlich wie Erich Kunz in jeder Aufführung neue Gags findet (am Ostersonntag war’s natürlich der Osterschinken). Nicht auf gleich hohem Niveau standen die beiden Priester (Hugo Meyer-Welfing und Hans Schweiger) und die beiden Geharnischten (Karl Friedrich und Alois Pernerstorfer). Man sollte auch in Wien daran denken, hier endlich eine Verjüngungskur durchzuführen. Der Chor war passabel.

LA BOHÈME am 18. April

Auch die Reprise der Neueinstudierung an diesem Abend hatte viel Stimmung und Animo. Neben Hilde Güden, Giuseppe Zampieri und Eberhard Wächter, die ihre ausgezeichneten Leistungen wiederholten - Eberhard Wächter hatte sich sogar im zweiten Akt darstellerisch etwas Zurückhaltung auferlegt – sang Mimi Coertse eine sehr gute Musette. Daß sie im zweiten Akt auch ins Forcieren kam, hat sie bei ihrer großen und auch in der Mittellage tragfähigen Stimme nicht nötig. Auch darstellerisch gab sie der Rolle Profil. Planung! Offenbar ließ man keine alternierende Besetzung in den übrigen Rollen italienisch studieren. So hatte Ludwig Welter die undankbare Aufgabe, statt des erkrankten Walter Berry in deutscher Sprache als Colline einzuspringen, was natürlich der Geschlossenheit der Aufführung im Stilistischen starken Abbruch tat – nicht nur allein des holprigen Textes wegen sondern auch aus musikalischen Gründen. Die Mantelarie pp zu flüstern, als sei sie ein Schuberlied, hat nichts mit Kultiviertheit zu tun. Das ist stilistischer Unsinn. Walter Berry hat bewiesen, daß man auch dann, wenn man Stimme gibt, mit Kultur singen kann. Ludwig Welter sei eine Korrektur seiner Auffassung dringend empfohlen. Berislav Klobucar dirigierte mit Schwung und Gefühl, wenn er auch im zweiten Akt nicht ganz Nello Santis Präzision erreichte.

BALLETTABEND am 19. April

BALLETTABEND am 20. April

LA TRAVIATA am 21. April

Ernst Märzendorfer stand nach längerer Pause wieder als Gastdirigent am Pult. Sein großer Aufwand an dramatischen Gesten zeitigte jedoch nur eine „zackige", harte und gefühlsarme Vorstellung. Seine Tempi kämpften mit denen der Sänger und brachten sie in arge Not. Hilde Güden, stimmlich gut disponiert, sang ihren bisher unsichersten ersten Akt und auch Giuseppe Zampieri ließ sich von der allgemeinen Nervosität anstecken. Kostas Paskalis bewies, daß er Fortschritte macht. Als Flora war Gundula Janowitz zu hören, über die sich noch kein abschließendes Urteil fällen läßt. Während sonst – selbst in ausgezeichneten Vorstellungen – weniger Beifall vom Parkett gespendet wurde, als säßen lauter Einarmige dort, wurden von dorther Ernst Märzendorfer Beifallslorbeeren gespendet, während die Galerie in tödlichem Schweigen verharrte.

WOZZECK am 22. April

war eine etwas al fresco musizierte Aufführung. Dieses Stück sollte man ohne ausgiebige Proben überhaupt nicht spielen. Daß dann doch nichts passiert, ist eigentlich beim Schwierigkeitsgrad der Berg’schen Musik nahezu ein Wunder. Man ist froh, wieder Karl Böhm im Wozzeck zu hören, denn die Musik hat soviel Farbe und Ausdruck, wie es Kapellmeister nie herausholen können und das Drama wickelt sich in steter Steigerung und immer wachsender Intensität ab. Walter Berry ließ sich entschuldigen. Man merkte ihm die Indisposition auch an. Er wirkt aber immerhin als Wozzeck schon allein darstellerisch ungemein einprägsam. Für sein tapferes Durchhalten der Partie sei ihm besonders gedankt. Christl Goltz war als Marie gut wie immer. Einen neuen Doktor lernte man in dem stimmlich ausgezeichneten Kieth Engen von der Münchner Oper kennen, der aber darstellerisch farblos und auf einige eingelernte stereotype Gesten beschränkt blieb. Peter Klein sang wieder seinen hervorragenden Hauptmann und Ivo Zidek hat sich als Tambourmajor stark verbessert. Dagmar Hermann ist nach Polly Batic in der kleinen Partie der Margaret direkt eine Erholung.

DON GIOVANNI am 23. April

Nach langer Zeit gab es wieder einen Don Giovanni, noch dazu in einer wirklich guten Besetzung. Karl Böhm am Pult sorgte für eine präzise, von mozartschem Geist erfüllte Aufführung. Die Wiener Philharmoniker musizierten prächtig und die Sänger bemühten sich nach Kräften, gleiches zu tun. Herrlich die Frauen! Sena Jurinac als Donna Anna, stimmlich ausgezeichnet und schauspielerisch von einer Ausdruckstiefe, wie sie nur diese Künstlerin besitzt, die fast zu liebliche Elvira Wilma Lipps und Hilde Güdens charmante Zerlina. Eberhard Wächter ließ sich zwar wegen Indisposition entschuldigen, sang aber trotzdem – wenn auch vorsichtig – klangschön und intensiv im Ausdruck. Die Nachsicht, um die er ersuchte, hätten Waldemar Kmentt und Ludwig Weber weit eher zu erbitten nötig gehabt. Beide kämpften sich heldenhaft durch die Akte. Vor allem Waldemar Kmentt befindet sich derzeit in einer stimmtechnischen Krise, die ihm die saubere Bewältigung der Koloraturen unmöglich macht. Erich Kunz war stimmgewaltig und zu schauspielerischen Übertreibungen geneigt. Verläßlich wie immer der Masetto Harald Pröglhöfs. Am Rande vermerkt: Die ohnedies spärliche Lichtregie der häßlichen Inszenierung funktioniert nicht mehr richtig. Manches kommt zu früh, etliches zu spät und vieles überhaupt nicht. Außerdem sollte Eberhard Wächter vor den Salzburger Festspielen sein Italienisch überholen. Er hat in dieser Partie nach wie vor die gleichen Aussprachefehler wie vor zwei Jahren, was gerade bei ihm nicht notwendig ist. Er kann’s auch anders!

DIE WALKÜRE am 24. April

Auch an diesem Abend wiederholte Otto Edelmann seine negative Leistung. Erfolg. Schlechter Besuch auf den Rängen, jammervolle Stimmung, diesmal noch vertieft durch schlechte Disposition von Hilde Konetzni und Heinrich Hollreiser am Pult. Wolfgang Windgassen begann gut, gab aber bald auf und beendete dann nur noch pflichtgemäß seinen Part. Georgine Milinkovic war eine schwache Fricka und Martha Mödl war nicht in so hervorragender Disposition, wie an ihren vorhergegangenen Abenden. Die Wiener Philharmoniker halfen dem Dirigenten zeitweise, indem sie die richtigen Tempi diktierten, die jedoch nicht von der Stabführung des Mannes am Pult ausgingen und die Besucher hüllten sich in taktvolles Schweigen. Traurige Bilanz eines Wagnerabendes. Nur im Walkürenensemble gab es mit Gundula Janowitz endlich eine junge frische Stimme.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 25. April

Sporadisch angesetzt, büßte das Werk nie etwas von seiner Wirkung ein, stellt einen guten Repertoireabend dar, der geschlossene Ensembleleistung präsentiert, auch wenn gesanglich hie und da Wünsche offen bleiben, doch ohne den Gesamteindruck zu schmälern. Es gelang Emmy Loose als Schwester Blanche, eine – besonders in der Schlußszene – sehr eindrucksvolle Leistung zu bieten. Elisabeth Höngen als Priorin macht durch einmalige Gestaltung und Persönlichkeit stimmliche Schwierigkeiten vergessen, während dies Hilde Zadek schon bedeutend schwerer fällt. Christl Goltz’ Mutter Maria ist sicherlich eine ihrer interessantesten Gestaltungen und Anton Dermota als Beichtvater des Karmel wiederholte seine schon oft besprochene Leistung. Unausgeglichen wirkte Ivo Zidek – großartig hingegen wieder Anneliese Rothenberger. Es war eine erfreuliche Aufführung, nicht verschmiert, sauber, in Ordnung, für deren musikalische Präzision Heinrich Hollreiser am Pult sorgte.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 26. April

Zum ersten Mal im neuen Haus leitete Karl Böhm wieder eine Meistersinger-Aufführung, jenes Werk, das ihm von allen Wagneropern als einziges liegt – und gefiel sehr gut. Die ersten beiden Akte waren prachtvoll musiziert, besonders im zweiten war viel Stimmung. In der Schusterstube allerdings war die Lautstärke schon zu groß, und auf der Festwiese gab es befremdende schnelle Tempi. Trotz der kleinen Einwände war es nach den niederschmetternden Interpretationen eines Hauskapellmeisters eine Freude, endlich wieder einen Dirigenten von Format in dieser Oper zu hören. Nach der Absage von Otto Edelmann übernahm Paul Schöffler den Sachs, der vor allem durch seine eminente Persönlichkeit überzeugte. Gesanglich wußte er seine Stimmittel klug einzusetzen. Auf der Festwiese allerdings war er sichtlich erschöpft. Sena Jurinac war großartig disponiert, und auch Wolfgang Windgassen gefiel gut, besonders auf der Festwiese. Daß man immer wieder bei ihm spürt, wie er seine Stimme zurückhält und er nie alles gibt, stimmt traurig. Erich Kunz sang nach (zu) langer Pause wieder den Beckmesser, und obwohl auch er manchmal des Guten etwas zuviel tut, war er nach Karl Dönchs Beckmesser-Serie eine Augen- und Ohrenweide und wurde mit Recht vom Publikum demonstrativ gefeiert. Selbst die Wiener Philharmoniker konnten auf der Festwiese kaum einen Blick von der Bühne wegtun, als Erich Kunz sich als Meistersinger produzierte. Kurt Böhme war der stimmgewaltige Pogner. Schwach war Georgine Milinkovic als Magdalena, noch schwächer der rauhe Kothner Hans Braun’s, dessen „Tabulatur" einem Nervenkitzel für den Zuhörer gleichkommt. Neu für Wien war der David: Gerhard Unger. Er sang zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper und war so prächtig in Gesang und Darstellung, daß er seinen Wiener Standardkollegen in den Schatten stellte. Sehr erfreulich war, daß nach langer Zeit auch Karl Terkal wieder den Kunz Vogelgesang übernahm und so das Ensemble der Meister gut angeführt wurde. Der Chor war passabel. Die Stimmung im Haus war ausgezeichnet und es gab viele Vorhänge. Wie sehr das Niveau einer Wagner-Aufführung eben auch vom Dirigenten abhängt, bewies aufs Neue dieser Abend.

ELEKTRA am 27. April

Statt der erkrankten Gerda Lammers sang aus Berlin herbeigeholt, Sigrid Ekkehard die Titelpartie und debütierte hier in ihre Lieblingsrolle mit Erfolg. Sie brachte eine vor allem in der Mittellage (bis g) imponierende Riesenstimme mit, die jedem Orchesterfortissimo spottete. Leider klingt aber die Höhe, obwohl sicher vorhanden, oft gedrosselt und scharf, und hat nicht mehr die Durchschlagskraft der Mittellage. Das Timbre hätte wärmer sein können, besonders für die lyrischen Stellen in den Monologen. Interessant waren das durchdachte, ausdrucksstarke Spiel, bewundernswert die bestechende Musikalität. Dies imponierte uns auch beim zweiten Gast des Abends, Liane Synek: ihr danken wir eine schön gesungene und fraulich empfundene Chrysothemis. Sie hinterließ in dieser Partie einen wesentlich stärkeren Eindruck als im Mathis und Maskenball. Die strahlenden Spitzentöne in der Schlußszene („ich muß bei meinem Bruder stehn“) ließen diesmal wirklich aufhorchen. Neben diesem Geschwisterpaar war Georgine Milinkovic als Klytämnestra völlig unbefriedigend. Sie war weder stimmlich noch darstellerisch da. Auch bei ihr alles im piano wie bei Regina Resnik, auch sie streckenweise unhörbar. Sollte das ein neuer Stil sein, die Klytämnestra nur zu flüstern, oder konnte Georgine Milinkovic nicht lauter singen? Die Idealbesetzung des Orest war wieder Hermann Uhde. Eine schmale, jugendlich wirkende Gestalt, klar profiliert und nur im Stimmlichen manchmal zu wenig im Vordergrund. Max Lorenz sang den Aegisth sehr frei. Von der restlichen Besetzung ließ nichts aufhorchen. Heinrich Hollreiser rührte auch diesmal wieder seinen bekannten dicken Orchesterbrei an, doch hatte er auch einige gute Momente. Kaum löst er sich an mancher Stelle von der Partitur und teilte sich den Musikern mit, kam auch Plastik und Ausdruck in die Musik. Ergo: Heinrich Hollreiser müßte über den Werken stehen, die er dirigiert, müßte die Partitur (so wie Hans Knappertsbusch) nur als Sicherheitskoeffizienten betrachten, aber keine Leseübungen darin veranstalten. Welcher Orchestermusiker fühlt sich persönlich angesprochen, wenn der Dirigent seinen Kopf stets fleißig in der Partitur versenkt?

ARIADNE AUF NAXOS am 28. April

Stand wieder unter der musikalischen Leitung des bewährten Karl Böhm. Vor allem in der Oper waren die Steigerungen sehr schön aufgebaut – was Richard Strauss halt so aus sechsunddreißig Musikern herausholt! Die Sängerleistungen waren höchst unterschiedlich, wie auch gesagt werden muß, daß bei einigen die Eignung für ihre Partien höchst zweifelhaft erscheint. Im Vorspiel dominierte die herrliche, in bester stimmlicher Verfassung befindliche Sena Jurinac. Ihr Zusammenspiel mit Paul Schöffler (Musiklehrer) einerseits, und dessen Reflexionen auf die Pointen des Haushofmeisters (Alfred Jerger) andererseits sind Musterbeispiele für meisterliche Schauspielerleistungen bei Sängern. Ansonsten fiel im Vorspiel nur Hugo Meyer-Welfing auf, und zwar so unangenehm wie nur möglich. Peter Klein (Brighella), der die Partie des Tanzmeisters so oft bestens ausgefüllt hatte, war – wie sich in der Oper dann herausstellte – am falschen Platz. Von den übrigen Comedia-dell-arte-Figuren bot Ludwig Welter die beste, Erich Kunz eine gute und Kurt Equiluz eine passable Leistung. Rita Streich fehlt für die Zerbinetta einiges. Zunächst verlangt diese Partie eben eine vollsaftige Koloratursopranistin und keine Soubrette, die Rita Streich ihrem Stimmcharakter und -umfang nach nun einmal ist. Außer einigen Unsauberkeiten in den Koloraturen, Schwierigkeiten in der exponierten Höhe und vor allem mit auszuhaltenden Tönen, konnten weder die karikiert-lyrischen noch die verspielt-dramatischen Passagen ihr rechtes Gewicht gewinnen. Die einheitlichste Leistung bot das Damenterzett (Anneliese Rothenberger, Anny Felbermayer, Margareta Sjöstedt), dessen makelloser Wohlklang und vorbildlicher Einsatz gar nicht genug gerühmt werden können. Hilde Zadek bot eine bis auf ein paar schrille Höhen recht erfreuliche Leistung. James McCracken als Bacchus sorgte schon bei seiner Ankunft für eine Sensation. Man hörte ihn nämlich – und das ist bei dieser Inszenierung noch nicht vielen gelungen und wenn war es meist keine Freude, sie zu verstehen. Der neue Tenor hat eine Riesenstimme mit metallischem Timbre und schöner, sicherer Höhe. Er kann aufdrehen, ohne zu schreien, hat in der Mittellage auch Mezzavoce und Piano, hat nur beim Übergang von der Mittellage zur Höhe mitunter einige Schaltgeräusche zu verzeichnen. Dies und einige Amerikanismen in der Aussprache (vor allem das R) dürften zu beheben sein, zumal man den Eindruck hat, daß der Sänger immerhin weiß, worum es geht, wenn er auch kein impulsives darstellerisches Talent besitzt. Wir sind auf weitere – und längere – Partien sehr neugierig.

FIDELIO am 29. April

war ein lustloser Beethovenabend. Martha Mödls Darstellung nötigte Interesse ab, stimmlich ließ sie sich als indisponiert entschuldigen, doch wir hörten sie, unentschuldigt, in der Partie der Leonore schon wesentlich schwächer als diesmal. Wolfgang Windgassen brachte mit Kultur und Einsatz seine Arie und zog sich dann in vornehme Reserviertheit zurück. Den Pizarro spielte blendend Hermann Uhde. Stimme brachte er nur wenig zu Gehör und intonierte leider auch mehrmals daneben. Darin machte ihm Otto Edelmann als Rocco lebhafte Konkurrenz. Teresa Stich-Randall sang die Marzelline mit Glamourlächeln und gedrosselter Stimme, bis sie im Finale ihrem Organ freien Lauf ließ. Daraufhin plädieren wir für gedrosselte Stimme – das macht’s erträglicher. Der Dirigent Heinrich Hollreiser kämpfte mit dem Substitutenorchester, das Orchester mit der Bühne, die Bühne mit beiden, und lebte Beethoven und wäre dabei gewesen, hätte er wahrscheinlich mit Fäusten dreingeschlagen.

BALLETTABEND am 30. April

 

AUS DER REDAKTION GEPLAUDERT

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 5

Eine Zeitung ist im allgemeinen als Geschäft gedacht. Der Merker ist kein Geschäft und will es auch nicht sein, nur ist eines hierbei natürlich Bedingung: er muß sich selbst erhalten, und dieses Prinzip ist sowohl materiell wie ideell wohlbegründent, denn dies und nur dies garantiert seine Unabhängigkeit, Unbeeinflußbarkeit und damit die Wahrung seiner idealistischen Tendenzen. Über die Aufgaben, die sich der Merker gestellt hat, ist genug geschrieben worden; es ist den laufenden Nummern fortgesetzt zu entnehmen, worum es uns eigentlich geht, sodaß wir uns an dieser Stelle alle Wiederholungen ersparen können.

Die praktische Seite der Redaktionsarbeit des Merker ist es, die wir heute einmal abhandeln wollen, weil uns dies aus verschiedenen Gründen, auf die wir noch eingehend zu sprechen kommen werden, angezeigt erscheint.

Von Idealisten herausgegeben, von Idealisten verfaßt und wahrscheinlich auch zum überwiegenden Prozentsatz von Idealisten gelesen, stellt er somit etwas wie ein Kuriosum dar, was ihn aber andererseits nicht der Routinearbeit und allgemeinen redaktionellen Probleme und Schwierigkeiten enthebt, die natürlich gerade durch seine Ausnahmestellung oft beeinträchtigt sind. Es sei also nochmals erwähnt, daß niemand in der Redaktion des Merker finanziellen Nutzen aus seiner Arbeit zieht, daß alle Mitarbeiter – vom Berichterstatter im Ausland bis zum verantwortlichen Redakteur – ihre Dienste kostenlos zur Verfügung stellen, und alle diese Leute ihr täglich Brot anderwärts verdienen. Auch dies gehört zu unseren Grundsätzen, denn wenn auch Idealisten, so sind wir nicht weltfremd genug um zu wiesen, daß die Ideale zu wanken beginnen und die Unbestechlichkeit an Auszehrung leidet, wenn der Magen knurrt und die Schuhe Löcher haben.

Wir möchten es uns andererseits allerdings verbeten haben, aus diesem Umstand heraus als Laien oder Dilettanten hingestellt zu werden. Es heißt zwar, die Gage mache den Künstler – ein Sprichwort das wir nicht in jedem Fall bejahen möchten – aber es kennzeichnet nicht den „Fachmann" und den „Nichtfachmann" in den Reihen der Kritiker, daß der eine ein beträchtliches Honorar für seine Episteln bezieht und der andere seine Meinung unentgeltlich zu Papier bringt, ohne eine politische Partei, ein Bankinstitut oder einen hohen Gönner vorerst befragen zu müssen, ob er mit dem Gesagten auch die „Linie" gehalten habe und ohne über einer Schlagzeile zu sinnen, die – durch sensationelle Balkenlettern gekrönt – die Kauflust des Publikums in die Höhe treiben könnte. Es gibt außerdem weder einen Gesellen- noch Meisterbrief für Journalisten – fast möchte man sagen leider. Lapidar erklärt ist der Vorgang so: Es beginnt jemand zu schreiben, meistens als freier Mitarbeiter, und dann, sobald er Veröffentlichungen nachweisen kann, bietet er seine Dienste einer Redaktion an. Sodann sammelt er die praktischen Erfahrungen, um dann dort im Zuge der Zeit – soweit die Dienstgeber mit seinen Leistungen zufrieden sind – eines Tages Redakteur zu worden. Die Vorkenntnisse, die er in diese Redaktion mitbringt, sind sehr oft nicht mehr als das Reifezeugnis. Dies nur als kurzen Hinweis, weil sich einige „große" Kollegen der Tagespresse ebenso wie andere Leute (beispielsweise die Bundestheaterverwaltung) usw. usw., die uns aus gutem Grunde nicht zu ihren Freunden zählen, in Äußerungen über die Redaktion des Merker mit Worten wie „Maturablättchen" oder unfeineren Ausdrücken wie: „Wer nimmt das schon ernst", „Dilettantenzeitung" und dergleichen ergehen und uns zu diffamieren versuchen. Mittlerweile ist man allerdings schon allseits dahintergekommen, zugegeben oder auch nicht zugegeben, daß der Merker von maßgeblichen Stellen und Persönlichkeiten des Musiklebens wesentlich ernster genommen wird als die Kulturseite so mancher Tageszeitung mit Hunderttausend-Auflage.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß alle Mitarbeiter des Merker fachliches Wissen und Erfahrung im Musikleben mitbringen müssen. Wir könnten unbeschadet eine Wette darüber eingehen, daß manche von ihnen mehr Fachkenntnisse (so zum Beispiel ein abgeschlossenes Musikstudium, umfassende Kenntnisse der Opernliteratur, den Besuch der bedeutendsten Opernhäuser des Auslandes und besuchte Vorstellungen im eigenen Institut von 1000 Abenden aufwärts, mit beispielsweise fast 100 Rosenkavalier-Aufführungen, mit 50 Walküren, ebenso vielen Fidelios, allen Aufführungen des Wozzeck nach dem Kriege in Wien usw. usw. in den verschiedensten Besetzungen) aufweisen als so mancher Kritiker mancher anderen Redaktion. Zur weiteren Beruhigung der Gegenseite: der verantwortliche Redakteur hat das „Journalistenhandwerk" fleißig und brav erlernt. Dies sei nur deshalb erwähnt, um der geheiligten Tradition Genüge zu tun.

Es besteht allerdings keine Absicht, den Merker wie eine andere Zeitschrift oder Zeitung auszurichten. Eine Stimme des traditionsreichen Stammpublikums sollte dieses Blatt sein, und deshalb wird darin auch so geschrieben, wie dort geredet wird. Dies kann ohnedies nur in gemilderter Form der Fall sein, da ansonsten die Redaktion Stammgast im Grauen Haus würde und anstelle des Merker bestenfalls einen Häferlkurier herausgeben könnte. In gewissen Grenzen haben wir uns auch jederzeit gehalten, andererseits lehnen wir es ab, die Berichte stilistisch grundlegend und einheitlich zu überarbeiten, und nehmen lieber dabei ein Negativum in Kauf, wenn wir dadurch gleichzeitig die nahe Verbundenheit, Lebendigkeit und den unmittelbaren Erlebnisgehalt in den Vordergrund rücken können, ohne der Schablone anheimzufallen.

Ein weiterer Punkt, der bei uns eine Mangelerscheinung darstellt, sind Tippfehler, das Setzen von Interpunktionszeichen, manchmal sogar Fallfehler. Ja hin und wieder stellten wir selbst ärgerlich fest, daß durch Irrtümer bei der Niederschrift eine fälschliche Satzänderung entstanden war. Dies ist –vollkommen zugegeben – ein Mißstand, wir wollen ihn nicht entschuldigen, dafür aber sein Zustandekommen erklären. Obwohl der Merken nur einmal monatlich er scheint, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, immer aktuell zu bleiben. Wir bringen also unsere Berichte über Ereignisse im Opernleben nicht, wie bei anderen Fachzeitschriften oft üblich, bis zu drei Monate später (wie dies ist sogar bei Opera manchmal der Fall ist). Und bei einigem guten Willen kann sich gewiß jeder Leser ein Bild davon machen, was dann bei Redaktionsschluß los ist, wenn im letzten Augenblick noch Auslandsberichte, Premierenkritiken usw. eingebaut werden müssen. Ganz abgesehen von dem laufenden Monatsbericht über unser Haus am Ring.

Es ist für den Leser des Nachdenkens wert, wenn man beachtet, daß die Redaktionsmitglieder des Merker dreißig mal im Monat das Opernhaus zu besuchen haben, und zwar nicht so, wie einige Kritiker der Tageszeitungen dies sogar bei den Presseaufführungen handhaben, daß sie nämlich beim zweiten Akt verschwinden oder erst vor dem dritten kommen. Wenn sie von Kopfschmerzen oder Leibgrimmen geplagt werden, dann lassen sie die Gattin die Kritik schreibt, unter die der anerkannte Rezensent mit ruhigem Gewissen den prominenten Namen setzt. Unsere Redaktionsmitglieder sind diejenigen, die ehrlich jede – auch die miserabelste – Aufführung vom ersten bis zum letzten Takt anhören und ansehen – schlafen dürfen sie nämlich dabei auch nicht. Und welche Arbeitsleistung es dann ausmacht, aus dreißig Berichten einen Überblick zu geben, der das Wesentliche zum Resümee erhebt, kann man sich wohl vorstellen.

Aus diesem Grunde sieht der redaktionelle Vorgang so aus, daß nur die Manuskripte redigiert werden können, und das können manchmal sogar handgeschriebene sein. Und diese Manuskripte kommen sofort zur Reinschrift beziehungsweise Vervielfältigung. Eine nochmalige Korrektur ist aus zeitlichen Gründen unmöglich. Mit Recht stoßen sich einige Leute daher an unseren Schreibfehlern. Wir haben dem nur hinzuzufügen, daß wir in absehbarer Zeit diesen Mangel nicht abschaffen können, ohne daß Niveau, Gehalt und Aktualität des Merker leiden würden. Trotzdem sitzt in der Redaktion des Merker – wir versichern es eidesstattlich – kein Analphabet, wir besitzen sehr wohl den großen Duden und die einschlägigen Nachschlagewerke (großes Ehrenwort!). Trotzdem, wir sehen unsere Fehler ein, wir bedauern sie, wenn wir auch vorläufig nicht versprechen können, sie durchgreifend auszumerzen. Wenn uns aber ein anderes Blatt vorhält, daß man für 14 DM im Jahr verlangen könne, daß der Merker korigiert (mit einem r!) werde und in derselben Ausgabe uns an anderer Stelle etwas von der „Rainessance" erzählt, so hat der Tippfehlerteufel dabei vor Vergnügen so lauf aufgequietscht, daß wir hoffen, es könnte ihn vor Freude der Schlag treffen.

Ein nächster Punkt ist die Redaktionspost. Der Posteinlauf ist bei uns ziemlich groß und macht es daher unmöglich, alle Zuschriften zu beantworten. Dies wieder besagt nicht, daß wir sie nicht zur Kenntnis nehmen oder unhöfliche Leute sind, die den guten Ton durch verletzendes Schweigen ignorieren. Es ist zeitlich und technisch nicht möglich, Verpflichtungen nachzukommen, wie dies für einen Privatmann eine Selbstverständlichkeit darstellt. Und natürlich finden wir bei negativen Besprechungen einzelner Aufführungen in unserer Post einerseits Empörungsschreie von Verehrern einzelner Künstler, andererseits Stimmen, die uns in unserer Meinung unterstützen.

Grundsätzlich läßt sich dazu das Folgendes erklären: Wir müssen uns auf eine Kritik der künstlerischen Leistung beschränken. Wir können nur dort Nachsicht üben, wo dies fachlich begründet werden kann. Wir können aber nicht „menschliche" Gründe in diesem Urteil berücksichtigen. So hart dies klingt, dies ist ein unbedingtes Erfordernis, wenn nicht alle Maßstäbe ins Wanken geraten sollen. Es ist eine menschliche Tragödie, wenn ein Sänger seine Stimme verliert; das ist eine persönliche Tragik, die wir sehr wohl verstehen, weil wir sie ja auch bis zu einem gewissen Grad miterleben. Aber man kann nicht verlangen, daß dies nicht vermerkt wird. Es ist undenkbar, daß wir über der Pietät die Leistung vergessen, daß wir einem berühmten Namen konzedieren, was wir der zweiten Garnitur sogar ankreiden würden, und es ist undenkbar, daß jemand bis an sein Lebensende von früheren Lorbeeren lebt. Wir möchten noch am Rande vermerken, daß wir manches harte Urteil zu Papier gebracht habe, das niederzuschreiben uns gar nicht so leicht gefallen ist, wie manche Leute annehmen, denn auch wir haben unsere Künstler, denen wir unvergeßliche Abende verdanken. Wir haben im Rahmen der Redaktion unerbittlich gegen alle jene Tendenzen gesteuert, die sich in blinde „Verehrung" hineingesteigert haben, und sie mit viel Ärger und Verdruß ausgemerzt. Wir geben uns Mühe, niemandem persönlich nahezutreten, und bisher hat der Merker auch eine weiße Weste. Es gab noch kein Gericht, das uns eines Vergehens schuldig zugesprochen hätte.

Man hat uns weiters angekreidet, daß eine Überheblichkeit darin liege, wenn wir die unbeweisbare Behauptung aufstellen, Wien besitze das beste Opernhaus der Welt. Leider haben unsere Kritiker uns nicht verraten, wo sie ein besseres gefunden hätten. Vielleicht fällt es ihnen noch ein, wir sind gerne bereit, diesen Fall dann sachlich zu untersuchen. Wir haben eine Zeit erlebt, von der wir uns nicht zu bekennen gescheut haben, daß die Staatsoper Wien unter Provinzniveau gesunken war und wir würden uns nicht scheuen, dies abermals zu vermerken, wenn dies – der Himmel bewahre uns davor – jemals wieder der Fall sein sollte. Schon aus diesem Grunde könnte man die Wahrhaftigkeit unserer Behauptung anerkennen.

Es ist weiters unrichtig, daß sich die Redaktion des Merker mit Stimmungsmacherei oder der Organisation von Opernskandalen abgibt. Der Vorgang ist nämlich gerade umgekehrt. Durch genaue Kenntnis der Stimmung unter dem Stammpublikum, zu dem wir ja schließlich gehören, und durch langjährig gesammelte Erfahrungen im Opernleben, haben wir oft und oft Prognosen gestellt, die sich in vielen Fällen bewahrheitet haben. Wir haben vorausgesagt, wir haben gewarnt, und einige Fachleute haben darüber gelächelt, solange bis dann eine dieser hochbrisanten Bomben zum Platzen kam. Dann hörte man zu lachen auf, wurde zornig und erhob drohend den Zeigefinger gegen den bösen Merker, der nach Meinung gewisser Leute das Debakel verursacht hat. Fortlaufende Wiederholungen dieses Vorganges werden nach und nach langweilig. Es würde nicht lohnen, sich darüber zu verbreitern, wenn nicht durch die Gegebenheiten der augenblicklichen Situation wieder einmal etwas „in der Luft hängen" würde.

Nehmen wir also wieder einmal folgendes vorweg: Seit Tagen läuft die Propagandawalze unserer Tageszeitungen auf Hochtouren, um aus Schwierigkeiten in den Verhandlungen zwischen dem Österreichischen Fernsehen und der Direktion der Salzburger Festspiele einen Konflikt zu machen. Dabei geht es den Verfassern dieser Artikel wohl nicht so sehr um das Anliegen des Fernsehens im Sinne des Musik liebenden Staatsbürgers, denn als wir seinerzeit auf den Mißstand fehlender Rundfunk- und Fernseh-Übertragungen hingewiesen haben, hat keine einzige österreichische Zeitung, über vage Randbemerkungen hinausgehend, sich ernstlich mit dieser Sache beschäftigt. Es ist bloß wieder einmal eine soooo schöne Gelegenheit, einen „Krach um Karajan" zu inszenieren, die Kampagne gegen den Chef erneut aufleben zu lassen. Wir beabsichtigen nicht, über diese Sache zu diskutieren, bzw. hierzu Stellung zu nehmen, bevor Herbert von Karajan sich nicht persönlich dazu geäußert hat. Wohlgemerkt, wir sind kein Sprachrohr der Direktion, obwohl dies so gern von verschiedenen Seiten behauptet wird - aber wir möchten an dieser Stelle den Ausspruch eines prominenten Dirigenten zitieren, den dieser nach der ersten Neuinszenierung, die er in unserem Haus

musikalisch leitete, tat. Er sagte wörtlich: „Kein Opernhaus der Welt besetzt einen solchen Chef und Wien besaß keinen solchen mehr seit Gustav Mahler!" Nun, der betreffende Generalmusikdirektor tat diesen Ausspruch privat, und er hat es nicht nötig, damit um die Gunst des Chefs zu buhlen, er tat ihn spontan und aus Erfahrung heraus, die er schließlich als internationaler Spitzendirigent zu sammeln reichlich Gelegenheit hat. Wir konnten uns von der Richtigkeit dieser Behauptung selbst immer wieder überzeugen, und daher ist das gesamte Wiener Stammpublikum auf der Hut. Wir stellen also erneut

eine Prognose: Sollte die Angelegenheit Salzburg-Fernsehen durch sattsam bekannte Zeitungsmethoden soweit auf die Spitze getrieben werden, daß es zu einer ernstlichen Gefährdung der Aufbauarbeit in der Wiener Staatsoper kommen könnte, so versichern wir unseren Herren von der Presse heute schon, daß Wien einen Skandal erleben wird, wie dies bisher noch niemals der Fall war. Und zwar nicht deshalb, weil die Redaktion des Merker jetzt bereits „Liquidierungskommandos" anwirbt, sondern einzig und allein deshalb, weil die Volkswut haushohe Wellen schlagen wird.

Ebenso wie seit Monaten in zunehmendem Maß von Seiten der Boulevardblätter eine Hetze gegen den Chef entfacht wird, besteht von Seiten des Stammpublikums aus der Wunsch, einzelnen Herren dafür die Quittung zu präsentieren. Im Hause der Wiener Staatsoper ist die Presse keine „Macht", man schlage sich diese Anmaßung aus dem Kopf, und falls es Kämpfe gibt, werden sie nicht auf den Kulturseiten, sondern in der Oper entschieden. Dies zur Instruktion. Das Wiener Opernleben

kann nämlich ausgezeichnet blühen und gedeihen, auch wenn die Herren Rezensenten auf eine wüste Insel auswandern würden, aber es würde den Garanten seiner gegenwärtigen Hochblüte mit Herbert von Karajan verlieren.

Den „Fall Böhm" entschied nämlich auch nicht die Wiener Presse, wie man jetzt so gerne durchblicken lassen möchte, es entschied ihn ausschließlich Dr. Böhm selbst und das Stammpublikum. Und jeden etwa möglichen „Fall Karajan" entscheidet neuerlich Herbert von Karajan persönlich und das Publikum.

Den Lesern des In- und Auslandes, den Künstlern und ihren Anhängern, den Fachleuten und Nichtfachleuten können wir abschließend über die Führung unserer Redaktion nicht mehr sagen, als unseren Leitsatz zu zitieren – die Verse aus den Meistersingern von Nürnberg:

„Der Merker werde so bestellt, daß weder Haß noch Lieben das Urteil trübe, das er fällt!"

 

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