DER MAI 1960

5. Jahrgang, Heft 6

 

„Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen", herrschte auch in der Wiener Staatsoper ein mildes Klima. Es gab – bei gemischtem Programm – Aufführungen von recht gut bis hervorragend, eine schöne Premiere von Capriccio und eine Absage von Giuseppe di Stefano, der aber glücklicherweise ohne gänzlichen Niveauverlust, im Falle Radames sogar sehr interessant (durch Flaviano Labo) ersetzt werden konnte. Die Mängel und Unstimmigkeiten die zutage traten, waren diesmal relativ klein. Sie werden aber nicht verschwiegen werden.

Überraschend gut hielt sich die Oper in Wien während des Auslandsgastspieles in Wiesbaden – sonst gibt es doch bei Abwesenheit der Spitzenkräfte oft ein fatales Desaster. Aber diesmal waren genügend Klassesänger hier, um die Stellung zu halten.

 

LA TRAVIATA am 1. Mai

Eine sehr gute Aufführung hörte man unter Nello Santi, der diese Oper wirklich hervorragend dirigiert – subtil, blitzsauer, mit Gefühl, doch ohne übertriebene Sentiments, Mit Hilde Güden und Giuseppe Zampieri standen wieder zwei Sänger auf der Bühne, die allen Schwierigkeiten ihrer Partien aufs glänzendste gewachsen sind, sie mit stimmlichem Wohlklang geradezu überschütteten und geschmackvoll und diszipliniert agierten. Aldo Protti gefiel als Vater Germont nicht so gut wie sonst. Seine Domäne ist der dramatische Ausbruch. In den ruhigen Linien der Rolle klang die Riesenstimme manchmal etwas rauh. Unter den Comprimarii machten sich die jungen, frischen Stimmen von Gundula Janowitz und Ermanno Lorenzi angenehm bemerkbar.

DON CARLOS am 2. Mai

Diese Aufführung hätte eine gute werden können, wäre ein Verdi-Dirigent am Pult gestanden. Die musikalische Leitung durch Hans Swarowsky war aber absolut unzulänglich, langweilig und ohne jegliche Inspiration. Hans Swarowsky, ein Kenner und auf manchem Gebiet zweifellos auch ein Könner, ist bei Verdi fehl am Platz. (Man sollte gar nicht glauben, wie schwer „diese Italiener" zu interpretieren sind!) Sena Jurinac ist ein Bild von einer Königin. Die Stimme klang aber in der Höhe etwas überanstrengt. Grace Hoffman, die doch schon als Eboli gastiert hat und sehr gefallen konnte, hat sich mittlerweile – wohl durch das ständige Wagnersingen – sehr „verdeutscht", was besagen soll, daß die Stimme die vor allem für das Sarazenenlied nötige Modulationsfähigkeit zum Teil verloren hat. In der großen Arie brillierte sie jedoch durch mitreißend-hochdramatischen Stimmeinsatz. Die Intelligenz der Künstlerin, die allen ihren Rollen Profil verleiht, bewährte sich allerdings bei Verdi ebenso wie bei Wagner. Giuseppe Zampieri war als Carlos stimmlich sehr gut. Wir kommen aber nicht darüber hinweg, daß er bei dieser Rolle immer „schwimmt". Er müßte sie noch einmal gewissenhaft durchstudieren. Kostas Paskalis bewährte sich wieder als schwungvoller, feuriger Posa mit Riesenstimme und Bühneninstinkt. (Er ist ein Idealfall einer zweiten Besetzung.) Unverständlich erschien uns die Besetzung von Philipp und Großinquisitor, die besser ihre Rollen getauscht hätten. Hermann Uhdes Stimme ist für den König einfach nicht ergiebig genug. Er ist trotz intelligenten Spieles und einer hervorragenden Maske farblos und „nicht da". Die Philipp-Stimme brachte der imponierende Großinquisitor Raphael Arié auf die Bühne, der der Partie, ohne viel zu spielen, rein vom Stimmlichen her Wirkung verlieh.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 3. Mai

In dieser Aufführung hörte man von Otto Wiener eine prachtvolle Interpretation der Titelrolle. Besonders den zweiten Akt sang der Künstler so schön, wie wir ihn noch selten gehört haben. Immer wieder überrascht die sich in den höheren Lagen immer mehr steigernde Durchschlagskraft der an sich ja eigentlich schlanken Stimme, die mit überlegener Intelligenz geführt wird. Fritz Uhl, der als Erik gastierte, bewies mit dieser Partie, wie nötig wir ihn brauchen. Hier steht ein junger, gescheiter Sänger auf der Bühne, der sich in der Inszenierung so sicher bewegt, als kenne er sie von Grund auf, der sein prächtiges Material mit viel Ausdruck einsetzte und der der an sich nicht eben glücklichen Rolle durchaus Profil gab. Fritz Uhl müßte unbedingt sofort engagiert werden. Ludwig Weber sprang als Daland ein und erinnerte mit ein paar vollen, schönen Tönen an unvergeßliche Opernabende. Nachträglich wird man immer mehr gewahr, daß er einer der größten Bässe war, die die Wiener Staatsoper je gehabt hat, und wer so glücklich war, seine Glanzzeiten mitzuerleben, freut sich, ihn wieder einmal auf der Bühne zu sehen – genau so, wie er sich freuen wird, wenn er wieder Bühnenluft atmet. Last, but not least: Christl Goltz hatte als Senta einen sehr guten Abend und Karl Terkal sang einen ausgezeichneten Steuermann. Heinrich Hollreiser, der mit einem abscheulichen Vorspiel begann, vermochte seine Leistung im Laufe des Abends bis zu einem zufrieden stellenden dritten Akt zu steigern.

BALLETTABEND am 4. Mai

LA BOHEME am 5. Mai

Nello Santi hatte diese Aufführung übernommen und waltete mit Schwung, Energie und großer Lautstärke seines Amtes. Hilde Güden und Giuseppe Zampieri, deren Stimmen timbremäßig ideal zusammenpassen, waren wieder in ihrem Element. Sie sangen das unglückliche Liebespaar mit Gefühl, Kultur, herrlichen Stimmen und gepflegter Gesangslinie. Das Buffopaar fand in Mimi Coertse und Aldo Protti, der sich fröhlich und voll Spielfreude in die ihm neue Inszenierung stürzte, stimmgewaltige Vertreter. Ludwig Welter hat den Colline bereits italienisch gelernt und hielt sich wacker, was man von Hans Braun nicht behaupten kann. Mit Peter Klein und Laszlo Szemere waren auch die Episodenrollen hervorragend besetzt.

FÜRST IGOR am 6. Mai

Warum spielte man eigentlich diese Oper, wenn kein Igor, kein Galitzky und kein Kontschak zur Stelle ist und man diese Rollen mit Gästen oder Halb-Gästen (Carlos Alexander als Galitzky) besetzen muß? Übrigens war Carlos Alexander als Galitzky, abgesehen von dem mit italienischem Schmelz singenden Wladimir Giuseppe Zampieris, der beste Mann auf dem Felde, d.h. auf der Bühne, die er persönlichkeitsstark zu beherrschen wußte. Auch stimmlich war er überraschend gut. Die Partie macht schließlich sogar einem Hans Hotter Schwierigkeiten. Gast-Igor Ivan Popovic hat ein Gesicht von einer etwas brutalen, slawischen Schönheit. Seine Bühnenerscheinung wird aber durch einen unverhältnismäßig dicken Bauch beeinträchtigt. Wir sprechen zuerst von seinem Exterieur, weil wir uns gewünscht hätten, seine Stimme solle so edel wie seine Nase sein. Weit entfernt! Das an sich gute Material mit Tendenz zu einer Art London-Timbre ist total verbildet, rauh, erfüllt mit störenden Nebengeräuschen – mit Sand im Getriebe sozusagen. Nach dem ersten Akt hätten wir eine Katastrophe erwartet. Glücklicherweise besserte er sich bei der Arie und den noch folgenden paar Szenen. Eine Katastrophe war hingegen Helmuth Fehn als Kontschak, der eine farb-, saft- und kraftlose Stimme hat. Man kann das eigentlich gar nicht Stimme nennen. Man hat das Gefühl, einer ersten Gesangslektion beizuwohnen. Dem Lehrer dieses „Sängers" gehört die Lizenz entzogen. Die Ensemblemitglieder Hilde Zadek und Hilde Rössel-Majdan sangen die beiden Damen. Hilde Zadek hatte nicht ihren besten Tag. Übrigens, wenn man im Igor etwas streichen sollte, dann nicht den Polowetzer Akt, sondern die larmoyanten, endlosen Jaroslawna-Arien! Hilde Rössel-Majdan sang die Kontschakowna überraschend schön. Es ist bekannt, daß ihre Stimme im Legato und in breiten Bogen wesentlich schöner klingt, als bei schnellen Passagen. Und bei der Khans-Tochter hatte sie reichlich Gelegenheit zum Legato, noch dazu in ihrer besten, der unteren Mittellage. Peter Klein und Karl Dönch rundeten den Abend heiter ab und Michael Gielen war – wie stets - jeder Zoll kein Dirigent slawischer Musik.

FIDELIO am 7. Mai

Die größten Impulse dieser Aufführung gingen von dem jungen Dirigenten Heinz Wallberg aus, der einen frischen Zug in die Vorstellung brachte. Er dirigierte mit Verständnis für eine Auflockerung der einzelnen Orchesterstimmen und brachte somit einen Fidelio zustande, der sich wohltuend von den letzten erstarrten Repertoire-Aufführungen abhob. In der Dritten Leonoren-Ouvertüre erreichte er durch ruhige Tempi edlen Klang und eine gewaltige Steigerung, die einen Jubelsturm auslöste. Die Gesangssolisten waren ebenso wie die Hornbesetzung im Orchester nicht im Vollbesitz ihrer Kraft. Besonders arg war dies bei Anton Dermota als Florestan zu hören. Seine Stimme war belegt und sehr überbeansprucht. Aber auch Christl Goltz und Wilma Lipp hatten wir als Leonore und Marzelline schon besser disponiert gehört, wogegen wir bei bestem Willen keine schwächere Tagesverfassung bei Otto Edelmann (Rocco) und Hermann Uhde (Pizarro) als Entschuldigung dienen lassen können. Sie sangen nicht sehr genau. Der beste Solist stand mit Otto Wiener als Minister auf der Bühne, der die kleinen Rollen mit ebenso großem künstlerischen Ernst singt, wie seine großen Partien. Ein Rollentausch von Hermann Uhde und Otto Wiener wäre nicht nur für das Publikum, sondern auch für das Renommee des Hermann Uhde von Vorteil gewesen. Das ausverkaufte Haus feierte mehr Heinz Wallberg als die Solisten. Das geschah mit Recht, denn die orchestrale Wiedergabe überragte die Gesangsleistungen beträchtlich.

DIE ZAUBERFLÖTE am 8. Mai

gab uns durch verschiedene Absagen die Möglichkeit, neue Vertreter der Hauptrollen kennen zu lernen. So gastierte Richard Holm aus München als Tamino für den absagenden Rudolf Schock. Richard Holm erwies sich als sympathischer, sich mit Sicherheit auf der Bühne bewegender Tamino. Seine Stimme ist typisch deutsch geschult und entbehrt in der Höhe der Geschmeidigkeit. Diesen Mangel wollte der Tenor durch Kopftöne beschönigen, was allerdings die Gesangslinie ungünstig beeinflußte. Hilde Güden war seine liebliche Pamina, die diesmal ein wenig reserviert wirkte und erst nach der Arie stimmlich ganz aus sich herausging. Daran mag auch der zweite Neuling, Karl Weber als Papageno, Schuld gehabt haben, der für Erich Kunz einsprang. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit erlebte man eine Zauberflöte ohne Papageno. Karl Weber, dessen Stimme für unsere Ohren auch in der Prosa einen penetranten Ton besitzt, fehlt vollständig der Humor für diese Rolle. Mit tänzerischem Gehaben wirkte er wie ein Playboy und seine Auffassung ist grundverkehrt. Sie steht damit im krassen Gegensatz zu dem Naturkind Papageno, wie Mozart und Schikaneder ihn erschufen. Ludwig Welter sprang für den dritten Absager, Arnold van Mill, ein und legte als Sarastro eine viel versprechende Talentprobe ab. Enttäuschend war das Koloratur-Gefunkel von Erika Köth als Königin der Nacht in der ersten Arie, aber auch die zweite war unruhig vorgetragen. Otto Edelmann als phlegmatischer Sprecher, Peter Klein als springlebendiger Monostatos, Ruthilde Boesch als Papagena und Judith Hellwig, Elisabeth Höngen und Ira Malaniuk als die drei Damen vervollständigten die Besetzung. Heinz Wallberg dirigierte mit Stilgefühl Mozart, der auf der Bühne nicht immer getreu geboten wurde.

COSÌ FAN TUTTE am 8. Mai im Redoutensaal

Am 29. September 1943 fand im Redoutensaal eine Neuinszenierung von Mozarts Così fan tutte unter der Leitung des Teams Karl Böhm – Oscar Fritz Schuh – Caspar Neher mit den Damen Irmgard Seefried, Alda Noni, Martha Rohs und den Herren Anton Dermota, Erich Kunz und Paul Schöffler statt. Es war damals ein großer Erfolg. Bei den zahlreichen Auslandsgastspielen der Wiener Staatsoper nach dem Krieg und den Salzburger Festspielen wurde diese Aufführung gezeigt, die Inszenierung aber seither nicht verbessert und nur immer aufgefrischt, wodurch das Ganze immer mehr und mehr in ein Geblödel ausartete, das heute wohl kaum mehr zu übertreffen ist. Höchste Zeit, daß Günther Rennert in Salzburg endlich wieder einen würdigen Rahmen für dieses Juwel schaffen wird. Unverändert gut sind auch noch nach 17 langen Jahren (!) die Wiener Philharmoniker und ihr Dirigent Karl Böhm. Sie boten auch an diesem Abend wieder eine Glanzleistung. Anton Dermota, der Ferrando seit 1943, der erst kürzlich in einer Wiener Zeitung bitter über die Zerstörung des „Wiener Così fan tutte"-Ensembles klagte, hatte einen recht guten Abend. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, daß er dieser Partie bereits in jeder Hinsicht entwachsen ist. Paul Schöffler hält mit seiner großen Persönlichkeit noch immer die Fäden der Handlung geschickt in der Hand. Ansonsten gab es gegenüber 1943 (warum auch nicht, es besteht doch für diese Aufführung auch kein Denkmalschutz!) neue Besetzungen. Allen voran muß wieder die unvergleichliche Fiordiligi von Elisabeth Schwarzkopf genannt werden, wohl die ideale Besetzung unserer Tage für diese Partie. Als Dorabella hörten wir als Gast Consuelo Rubio mit einer prachtvollen Stimme, die aber eher ins schwere Fach tendiert. Die Sängerin fügte sich sehr gut in das Ensemble ein und kann neben unserer Wiener Dorabella Christa Ludwig bestehen. Rita Streich gefiel gut, und der neue Guglielmo Walter Berry ist gesanglich großartig. Leider gibt er manchmal für den Redoutensaal zu viel Stimme. Darstellerisch ist er noch turbulenter als sein Vorgänger. Daraus schließen wir: Es war ein großer Fehler, die Sänger der Premiere von 1943 größtenteils 17 Jahre auf ihren Rollen sitzen zu lassen. Höchste Zeit, daß hier endlich eine Änderung eintritt! Da die Damen der ursprünglichen Besetzung mit viel Erfolg ausgetauscht wurden, könnten doch auch die Herren einmal umbesetzt werden. Mit Fritz Wunderlich, Hermann Prey, Dietrich Fischer-Dieskau, Eberhard Wächter und Otto Wiener ergäben sich ungeahnte Varianten. Und das alles sogar ohne Italiener!

RIGOLETTO am 9. Mai

Statt der Verkauften Braut wurde an diesem Abend Rigoletto gegeben. Die Aufführung stand unter der musikalischen Leitung Ernst Märzendorfers, der zwar ein recht routinierter Kapellmeister ist, jedoch wenig Einfühlungsvermögen in die italienische Oper zeigte. Mittelpunkt des Abends war abermals Aldo Protti, der die Titelpartie mit prächtiger Stimme und stärkstem künstlerischen Einsatz verkörperte. Giuseppe Zampieri, dem man nur im ersten Akt etwas mehr Taktfestigkeit gewünscht hätte, zeigte sich als Herzog stimmlich sehr verbessert. Besonders schön gelang seine Arie im dritten Akt und auch schauspielerisch war er gegenüber früher weitaus beteiligter und ambitionierter. Hilde Güden, die etwas zaghaft begann, erfreute dann durch einen makellos gesungenen dritten und vierten Akt. Eine begrüßenswerte Neubesetzung ist Ira Malaniuk als Maddalena. Ludwig Weber zog sich als Sparafucile recht gut aus der Affäre.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 10. Mai

sind und bleiben Heinrich Hollreisers bisher beste Wiener Arbeit. Hier weiß er die Akzente richtig zu setzen und hier gefällt uns vor allem seine Einsatzbereitschaft. Die Aufführung sitzt vorzüglich und gibt zahlreichen Ensemblemitgliedern große schauspielerische Möglichkeiten, in denen sie zum Teil die stimmlichen Schwächen überdecken können. Elisabeth Höngen und Anneliese Rothenberger finden in dieser Oper sogar Paraderollen, in welchen sie stimmlich und darstellerisch einfach brillieren. Die übrigen Klosterinsassinnen imponieren mehr durch ein durchdachtes Zusammenspiel als durch die einzelnen Stimmen, was aber nicht so sehr ins Gewicht fällt. Freundlicher Applaus danke den Mitwirkenden, denn das Werk findet beim Publikum durch das aktuelle Thema und das Libretto von hohem Ethos mehr Anklang als bei den Kritikern, welche natürlich die Himmelfahrt eines Raumschiffes mit dem Sexualrausch seiner Passagiere marktschreierischer beschreiben könnten.

RIGOLETTO am 11. Mai

An diesem Abend stand abermals Rigoletto mit dem inzwischen in Wien heimisch gewordenen Aldo Protti am Programm. Prachtvoll bei Stimme, war Aldo Protti der ideale Rigoletto, der die Tragik des Hofnarren auch schauspielerisch glänzend auszudrücken weiß. Er gab dem Abend Format. Einen kleinen Schwächeanfall bei „Cortigiani, vil razza dannata" überwand er mit beispielloser Energie, sodaß es kaum von den Zuhörern bemerkt wurde. Neben Aldo Protti stand als Herzog ein weiterer Publikumsliebling auf der Bühne: Giuseppe Zampieri. Man kann nicht oft genug feststellen, wie gut sich der Tenor entwickelt. In der Darstellung ist er bereits gewandter und selbstsicherer und seiner Stimme entlockt er immer voller und runder werdende Töne. Die Arie im dritten Akt gelang ihm ganz vorzüglich, wobei er keine noch so berühmten Vorbilder zu scheuen brauchte. Für Hilde Güden sprang kurzfristig Rita Streich als Gilda ein. Sie überraschte durch eine gediegene Leistung. Wohl war sie anfangs sehr nervös und verzichtete in „Teurer Name" – sie sang deutsch – auf den krönenden Knalleffekt. Doch sie verbesserte sich zusehends und überraschte mit einem schön gesungenen hohen Es im Racheduett, in welchem sie sich übrigens neben der voluminösen Stimme von Aldo Protti durchaus behaupten konnte. Als Sparafucile stellte sich Rigiri Guerrando vor. Er bot eine Durchschnittsleistung, wobei er weder durch Timbre noch durch andere Qualitäten angenehm oder unangenehm auffiel. Ira Malaniuk war eine blendend aussehende Maddalena, die nicht nur des Herzogs Herz höher schlagen ließ. In stimmlicher Hinsicht bietet ihr die Rolle keine Schwierigkeiten, während Ludwig Welter sich sehr und ohne Erfolg mit dem Monterone abquälte. Diese Rolle sollte er sobald wie möglich zurücklegen, denn sein „Maledetta" zeigte deutlich, daß er ein Loch in der oberen Mittellage hat. Ernst Märzendorfer versuchte durch Stargestik Interesse zu erzielen. Sein Versuch mißlang, denn sein Verdi war sehr hart und unitalienisch, wobei man kaum eine kantable Phrase zu hören bekam.

FIDELIO am 12. Mai

Diese Aufführung übernahm Heinrich Hollreiser, der dafür sorgte, daß die musikalische Interpretation wieder zur Routine erstarrte. Der Klang des Orchesters verlor an Aufgelockertheit und nahm die Hollreiser’schen Einheitsformen an. Am deutlichsten war dies beim Marsch vor dem Auftritt Pizarros bemerkbar, der einfach im Gleichschritt herunter gedroschen wurde. Das Ereignis des Abends war Birgit Nilsson als Heimkehrerin in der Titelpartie. Eben von Mailand, wo sie die Aida sang, eingetroffen, war es ihr gewiß nicht leicht, sich auf die Klassik Beethovens umzustellen. Doch alle Einwände verschwinden, sobald die Künstlerin ihren an Kraft und Schönheit unübertroffenen dramatischen Sopran einsetzt. Hans Hotter war ein großartiger Gegenspieler, die Mächte des Bösen in Spiel und Stimme verkörpernd. Damit sind die positiven Punkte des Abends aufgezeigt, denn die anderen Mitwirkenden waren teils schlecht disponiert, teils brachten sie zuwenig Stimme mit. Vor allem Irmgard Seefried hätte sich entschuldigen lassen müssen, denn welchen Eindruck haben die Besucher, die sie zum ersten Male auf der Opernbühne sahen, von ihr gehabt! Kurt Böhme fühlte sich in der Rolle des Rocco sichtlich nicht wohl und Hermann Uhde hatte als Minister stimmlich genauso seine liebe Not, wie als Pizarro in der vorangegangenen Aufführung. Der schwächste Punkt allerdings war Karl Liebl als Florestan, der bei den Worten der Leonore: „Die Stimme dringt in die Tiefen des Herzens" allgemeines Gelächter auslöste. Karl Liebl besitzt höchstens das Stimmvolumen für einen Jacquino, niemals hingegen für einen Florestan. Sein Organ ähnelt durch die Leichtigkeit des Gewichtes einem Operettentenor und wird ab G dünn und fadenartig. Wir vergönnen Karl Liebl gerne seine sonstigen Erfolge, wenn wir sie auch nicht begreifen können, doch möge man das Wiener Opernpublikum vor weiterem Auftreten des Tenors bewahren. Vielleicht zeiht man uns dieser harten Worte wegen der Überheblichkeit, aber wer in der Vorstellung war, wird uns vollkommen Recht geben. Seit Rudolf Lustig haben wir so etwas Lustiges noch nie gehört.

ELEKTRA am 13. Mai

Karl Böhm dirigierte. Wie er die Klangorgien dieses Musikdramas den lyrischen Kantilenen stets im richtigen Verhältnis gegenüberstellt, ist immer wieder bewundernswert. Wie aus einem Guß steht das Werk vor dem Hörer und findet seinen erregenden Höhepunkt im Triumphtanz, der unter seiner Leitung an Schwung und Dramatik nichts zu wünschen übrig läßt. Die Überraschung des Abends war Hildegard Hillebrecht als Chrysothemis. Sie besitzt eine schön timbrierte, große Stimme, deren besondere Reize die dunkle Färbung, die satte Tiefe und die durchschlagskräftige, strahlende Höhe sind. Außer diesen Vorzügen bringt sie noch eine gute Bühnenerscheinung und ein wohldurchdachtes, intelligentes Spiel mit. Diese Sängerin wäre ein großer Gewinn für unser Haus (sie singt auch die Kaiserin!) und sollte möglichst bald fester an Wien gebunden werden. Da auch Gerda Lammers über eine große und wohllautende Stimme verfügt, waren die Zwiegesänge der beiden Schwestern Höhepunkte von besonderem Reiz. Obwohl Gerda Lammers die Partie der Elektra bewundernswert notengetreu singt (mit zauberhaften Piani), bleiben im Gesamteindruck der Partie durch ihr unbewegliches, fast phlegmatisches Spiel doch Wünsche offen. Ein Erlebnis war wieder einmal Elisabeth Höngen als Klytämnestra. Ihre Gestaltung dieser schwierigen Rolle läßt den Zuhörer nie darüber im Zweifel, daß hinter dieser von Gewissensqualen und Traumgesichtern gefolterten Gattenmörderin stets die Königin in Haltung und Erscheinung gegenwärtig ist. Optisch und stimmlich gleich fesselnd, in bewundernswert klarer Wortdeutlichkeit, war Elisabeth Höngens Leistung wohl die vollkommenste des Abends. Hermann Uhde sang wieder seinen persönlichkeitsstarken Orest, der diesmal auch stimmlich überzeugend war. Da auch die Nebenrollen fast durchwegs das hohe Niveau der Aufführung hielten, hinterließ der Abend in seiner Geschlossenheit stärksten Eindruck. Großer Jubel und zahlreiche Vorhänge!

TOSCA am 14. Mai

Diese Aufführung stand im Zeichen Birgit Nilssons. Es ist schon sehr, sehr lange her, daß auf der Wiener Staatsopernbühne eine Primadonna dieses Formats stand. Die Stimme hat anscheinend überhaupt keine Grenzen. Mühelos überstrahlt sie die größten Orchesterfluten, fast mühelos zwingt aber auch die Künstlerin diese Riesenstimme jetzt in ein schwebendes, klingendes Piano. Über diese stimmlich überwältigende Leistung hinaus war Birgit Nilsson auch darstellerisch ausgezeichnet. Man glaubt ihr die Primadonna, man glaubt ihr aber auch die liebende Frau. Nach dem Gebet, das sie mit erschütterndem Ausdruck sang, kannte die Begeisterung des Publikums keine Grenzen. Birgit Nilsson ebenbürtig war Francesco Molinari-Pradelli am Pult. Schwelgend im Wohllaut unserer Wiener Philharmoniker, holte er eine Unzahl Farbnuancen aus der Puccinischen Partitur, ohne aber sentimental oder rührselig zu werden. Nie kommt er ins Säuseln, wie ins Knallen, immer klingt das Orchester. Aldo Prottis Scarpia war stimmlich sehr gewaltig und darstellerisch erfreulich gut durchdacht. Gianni Poggi hatte die undankbare Aufgabe, Ersatz für Giuseppe die Stefano zu sein. Nach kurzer Zeit des Einsingens war seine rein stimmliche Leistung imponierend. Die Töne kamen sicher und klangen schön. Das war aber leider alles. Ausdrucksmäßig und darstellerisch blieb er der Partie des Cavaradossi alles schuldig, den Künstler, den Liebhaber und auch den Helden. Gerade an diesem Abend war aber das ‚nur Schönsingen’ etwas zu wenig.

 

CAPRICCIO am 15. Mai, Premiere, Reprisen am 20. und 23. Mai

Es ist sehr reizvoll, endlich wieder einmal einem Gustostückerl auf der Bühne der Wiener Staatsoper zu begegnen, einem Stück, das auch ein überdurchschnittliches, wissendes Publikum braucht, auf daß der zündende Funke auf die Bühne überspringe, ein Stück, in dem Richard Strauss und Clemens Krauss sich die Sorgen der Opernpraktiker von der Seele geschrieben haben. So zauberhaft ist der Wettstreit zwischen Wort und Ton, zwischen Rhythmus und Melodie in die Handlung eingebettet, so liebenswürdig sind die Menschen gezeichnet, die die Bühne bevölkern, so meisterhaft durch Ensembles, Ballett und Belcanto für Abwechslung in der Diskussion gesorgt und alles mit derart überlegener Meisterschaft geformt und geglättet, daß man, auch wenn man das Werk schon öfter mit Vergnügen gehört hat, aus dem Staunen nicht herauskommt. Und man denkt ganz verschüchtert daran, wie schön es wäre, wenn alle prinzipiellen Probleme, die die Kunstform Oper so mit sich bringt, auf so charmante Weise diskutiert werden könnten. (Nicht mit der immer mehr um sich greifenden Taktik der Holznarkose.)

Wien hat zu diesem Werk immer eine besondere Beziehung gehabt, weit mehr etwa als zu der leider so vernachlässigten Schweigsamen Frau, die auch die so auf Ensemble bedachte Ära Hilbert nicht zusammenbrachte. Nach der Münchner Uraufführung fand verhältnismäßig bald (schon 1944) die Wiener Erstaufführung statt, und auch in Salzburg 1950 wurde das Werk neu inszeniert und dann 1951 nach Wien übernommen.

Mit Karl Böhm und Rudolf Hartmann stand das wohl ideale Team für eine Neuinszenierung des kostbaren Werkes zur Verfügung, das sich auch diesmal wieder auf das beste bewährte. Karl Böhm besorgte die präzise Einstudierung der schwierigen Ensemble, der großen, wunderbar gesponnenen lyrischen Phrase mit seinen Helfern, den Wiener Philharmonikern, die ihren Instrumenten ein Höchstmaß an Klangschönheit entlockten. Auf der Bühne stand eine von Rudolf Hartmann souverän geordnete und geführte Inszenierung, die sich in schönen, pastellfarbenen Dekorationen Rudolf Kautskys und ebensolchen Kostümen Charlotte Flemmings abspielte.

Die Besetzung war gut, aber nicht außerordentlich. Es wurde auch hier schon des öfteren darüber gesprochen, welche Sänger uns in der Besetzung dieser Premiere fehlen – aber eine Aufführung der Wiener Staatsoper steht ja nicht mehr unter Denkmalschutz und es besteht kein Grund, diese Sänger nicht einmal später anzusetzen. (Wir meinen, um oft Gesagtes zu wiederholen: Christa Ludwig, Eberhard Wächter, Fritz Wunderlich und Hermann Prey.)

So gab es auf der Bühne nur eine Leistung, die vollkommen genannt werden kann. Die Gräfin der Elisabeth Schwarzkopf. Die schier mühelose Leichtigkeit alles Gesanglichen geht mit einer so durchdachten, von Charme durchsprühten und von Geist durchleuchteten schauspielerischen Leistung Hand in Hand, daß man nur mehr staunen kann und sich brennend von Frau Schwarzkopf noch einige der diffizilen Strauss’schen Frauengestalten, zum Beispiel die Arabella, wünscht.

Die andere große beherrschende Persönlichkeit auf der Bühne war, wie nicht anders zu erwarten, Paul Schöffler, der wieder alle Register seines ungeheuren Könnens zog – Rolle und Interpretation fließen so ineinander, daß man nicht weiß, wo La Roche aufhört und Schöffler anfängt. Sein wortdeutliches Parlando sucht seinesgleichen, und die Partie war stimmlich ungemein wirksam aufgebaut. Auf diejenigen, die ihn in dieser Partie noch nicht gehört haben, z.B. die eben heranwachsende Stehplatzjugend, muß er einfach umwerfend wirken. Wir, die wir ihn in dieser Partie 16 Jahre lang kennen, wissen natürlich, daß die Zeit nicht spurlos an seiner Stimme vorbeigegangen ist. Aber in diesem La Roche liegt die weise Erfahrung eines großen und reichen Künstlerlebens, unter dessen unzähligen profilierten Leistungen der Strauss’sche und Krauss’sche Theaterdirektor einen Ehrenplatz einnimmt.

Nicht gar so glücklich war man mit der Traditionsbesetzung im Falle Flamand, da Anton Dermota erstens nicht gut disponiert war und er zweitens subtile Differenzierung völlig vermissen ließ, um

mit dem ihm eigenen mürrischen Gesicht über die Bühne zu schreiten.

Da war der Olivier von Walter Berry schon weit eher am Platz, ein moderner Olivier mit prachtvoll leuchtender Stimme, aber vielleicht um einen Grad zu vollsaftig, zu wenig „pastellfarben". Die Persönlichkeit dieses Künstlers verlangt nach unmittelbarer, man könnte sagen explosiver Entladung. Berrys Olivier hätte zweifellos nicht in den Salons charmiert, sondern wäre auf die Barrikaden gestiegen. Gesanglich war er jedoch über jedes Lob erhaben.

Überraschend gut fügte sich Christl Goltz in der Mezzo-Partie der Clairon in die „Welt des Salons". Sie spielte gebändigt und nobel, mußte aber ihr metallisches Organ ständig zurückhalten. Ihr Timbre ist natürlich auch nicht ganz passend.

Hermann Uhde als Graf war der Schwächste des Ensembles, obwohl er in dieser Partie an sich durchaus als gut bezeichnet werden kann. Seine Höhe schien nicht intakt, die vom Grafen so verlästerten „Rezitative" bereiteten ihm nicht unerhebliche Schwierigkeiten, und sein Charme ist nicht eben gräflich, eher solid-bürgerlich.

Vom italienischen Sängerpaar dominierte Giuseppe Zampieri stimmlich und Erika Köth darstellerisch – ein guter, echt österreichischer Kompromiß. Während Frau Köth im Publikum Lachstürme entfesselte, hielt sich Herr Zampieri vornehm zurück – er fand es offenbar deplaciert, sich selbst zu karikieren (was man ihm nachfühlen kann).

Ausgezeichnet der schattenhafte Monsieur Taupe Peter Kleins und der würdevolle Majordomus von Alois Pernerstorfer. Auch dem Diener-Oktett gebührt ein Pauschallob.

Der Erfolg der Reprisen stand dem der umjubelten Premiere nicht im geringsten nach – für seine sechs bis acht Aufführungen im Jahr wird das delikate Capriccio sicher sein Publikum finden.

 

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 16. Mai

Dank der musikalischen Leitung Francesco Molinari-Pradellis spielte das Orchester weit über dem sonstigen Cavalleria-Bajazzo-Durchschnitt und auch der Chor bemühte sich und brachte es bloß auf einen Schmiß.

Die Bühnenleistungen konnten nur in CAVALLERIA ganz befriedigen. Die Überraschung des Abends war Christl Goltz als Santuzza. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit war sie schauspielerisch sehr verhalten; trotzdem oder gerade deshalb von einer überzeugenden Intensität. Man glaubt ihr die Santuzza völlig. Auch stimmlich war sie ausgezeichnet. Giuseppe Zampieris Turiddu hatte gewohnt gutes Niveau. Kostas Paskalis’ Alfio wird immer besser. Er hat es nicht nötig zu brüllen. Die Stimme ist groß genug, und er bemüht sich auch mit Erfolg um eine persönliche Profilierung der Figur. Margareta Sjöstedt (Lola) und Georgine Milinkovic (Lucia) waren gut wie immer.

Im BAJAZZO gab es außer dem Orchester nur zwei Lichtblicke. Aldo Prottis Tonio, die Paraderolle des Sängers und der solide Harlekin Ermanno Lorenzis. Alles andere war Durchschnitt und auch darunter. Gianni Poggi ist kein Canio. Für diese Partie genügt Schöngesang allein nicht. Den Canio muß man erleben, muß man innerlich spüren. Kann man das, so bedarf es nicht unbedingt der Schluchzer. Kann man’s nicht, sind sie leere Farce. Was sich sonst noch auf der Bühne tat, war jämmerlich. Nora de Rosa wurde durch ein unglückliches Geschick nach Wien verschlagen. Ihre Stimme ist Durchschnitt, nicht eben mit außergewöhnlichem Timbre belastet, technisch auch noch durchschnittlich ausgebildet und in allen Lagen mit einem Tremolo versehen. Aber es ist stimmlich nichts passiert. Einfach grauenhaft war hingegen das Schauspiel. Das, was Nora de Rosa auf der Bühne beim Vogellied und auch sonst aufführte, hätte selbst in einem kleinen Abruzzendorf schallendes Gelächter hervorgerufen, so penetrant roch es nach Schmiere. Karl Weber sang den Silvio. Was ein Mensch von solch mangelhaften stimmlichen und schauspielerischen Qualitäten auf der Bühne der Wiener Staatsoper verloren hat, ist uns nach wie vor nicht klar!

DON GIOVANNI am 17. Mai

geschlossene Vorstellung für den Schah von Persien

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 18. Mai

Heinrich Hollreiser stand für den absagenden Karl Böhm am Pult. Es schien, als ob er diesmal Bäume ausreißen wollte, denn der erste Akt gelang überraschend gut. Doch es blieb nur bei einem Akt, denn im zweiten fand er bereits wieder zu seinem üblichen „Niveau" um schließlich im dritten Akt tatsächlich in seinen „Breistil" zu verfallen. Schade, wir hätten ihm gerne einmal einen Erfolg vergönnt. Auf der Bühne dominierten vor allem Otto Wiener und Hans Hotter als wahre Meistersinger. Otto Wiener sang einen vorzüglichen, sympathischen Sachs, wobei er ganz große Momente in seinen Monologen hatte. Man hat kaum je zuvor „Der Vogel, der heut sang" und „Der Flieder war’s" schöner gesungen gehört. Hans Hotter war der eindrucksvolle Pogner. Irmgard Seefried als Evchen war stimmlich schwach. Sie drosselte ihre Stimme gewaltsam und schien dadurch unecht und gekünstelt, während sie in ihrem Spiel echt wirkte. Wieso Karl Liebl in den großen Opernhäusern der Welt zum Zuge kommt, ist ein unerklärliches Rätsel. Für uns jedenfalls ist er kein Wagnertenor und noch viel weniger ein Meistersinger, der das Recht hätte, auf den Brettern unserer Oper zu stehen. Karl Dönch bereitet der Beckmesser von mal zu mal mehr Schwierigkeiten, was er auch durch sein Schauspiel nicht verbergen kann, das progressiv hektischer wird. Murray Dickie sang seinen liebenswerten David und Ira Malaniuk war die junge hübsche Magdalena. Alfred Poell sang den Kothner im ersten Akt mit verschmierter Koloratur, doch war er im allgemeinen passabel. Ludwig Welter gab einen sicheren und wohlklingenden Nachtwächter. Meistersinger mit nur zwei Meistersingern ist aber für die Wiener Oper, noch dazu in der Fremdenverkehrssaison, zu wenig. Höchste Zeit, daß mit der Aufführung endlich einmal etwas geschieht!

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 19. Mai

In der zweiten Aufführung dieser Opern erwies sich Francesco Molinari-Pradelli erneut als sehr versierter Orchesterleiter, der die Sänger niemals zudeckt und jederzeit den Orchesterklang und die Stimmen abzuschattieren weiß. In CAVALLERIA sang Giuseppe Zampieri wieder einen großartigen Turiddu, der mit Schmelz in der Stimme und mit Ausdruck begeisterte. Christl Goltz war ihm eine sehr gute Partnerin, obwohl die Leidenschaft in ihrer Stimme weiter nördlich beheimatet ist. Wie Christl Goltz dennoch die verschiedensten Aufgaben bewältigt, nötigt Achtung ab. Kostas Paskalis sang den Alfio mit Temperament und knalliger Höhe. Er gehört zu jener Kategorie von Sängern, die weniger durch Polemik gegen die Direktion als vielmehr durch Unermüdlichkeit an ihrer künstlerischen Arbeit zu Erfolgen gelangen, was das Publikum viel mehr zu schätzen weiß, als großartige Kritiken in der Boulevard-Presse. (In Wien hat jeder seine Chance, ob er nun öfter oder weniger oft angesetzt wird.)

Den darauf folgenden BAJAZZO leitete ebenfalls Kostas Paskalis mit einem kultiviert vorgetragenen Prolog ein. Das war der Auftakt zu einem interessanten Gastspiel von Carlos Guichandut (der für den vorgesehenen Dimiter Usunow, der Ausreiseschwierigkeiten hat) herbeigeholt wurde. Wir kennen bereits den Tenor als einen stark vom Effekt her beeinflußten Darsteller. Nun, als Bajazzo erwies er sich als ein superveristischer Darsteller. Er teilte das Publikum in zwei Parteien. Was die einen zur Begeisterung hinriß, reizte die anderen zum Lachen. Unserer Meinung nach unterschritt er in seiner impulsiven Art des Spielens den in unseren Breitegraden üblichen Grad von gutem Geschmack. Bei „Vesti la giubba" überbot er zweifellos alles bisher in Wien erlebte Theater an Schluchzen, Grimassen und stummer Gestik. In rein stimmlicher Hinsicht brauchte er eine Weile, um seine schwere Stimme in die Gewalt zu bekommen. Am besten gelangen ihm die riesigen Fortetöne (die vulkanartig aus ihm hervorbrachen) in den dramatischen Szenen. Freunde des stilvollen Gesanges kamen dabei kaum auf ihre Rechnung. Etwas weniger an Darstellung wäre ein etwas mehr für Carlos Guichandut. Wilma Lipps Höhelage klang beim Vogellied etwas belegt, doch bald darauf konnte sie sich frei singen und war besonders in der Schlußszene, in welcher wir direkt Angst um ihr persönliches Wohl vor dem entfesselten Carlos Guichandut hatten, ganz groß da. Karl Weber als Silvio gefällt nur einem verschwinden kleinen Teil der Zuhörer, für uns bleibt er unerträglich und Ermanno Lorenzi als Beppo war sehr gut. Francesco Molinari-Pradelli konnte ganz mit dem Orchester herauskommen, denn auf Carlos Guichandut braucht ja kein Mensch Rücksicht zu nehmen. Er ist von keiner Orchesterflut hinwegzuschwemmen.

CAPRICCIO am 20. Mai

wurde in der Premierenbesetzung (siehe 15. Mai) gespielt

DON GIOVANNI am 21. Mai

Um die Wiener Mozartliebhaber in Wien dafür zu entschädigen, daß sie quasi als misera plebs von dieser Don Giovanni-Aufführung für den Schah von Persien ausgeschlossen wurden, fand in fast gleicher Besetzung eine weitere Aufführung unserer mit Abstand unmöglichsten Inszenierung statt. Karl Böhm dirigierte also einen straffen, dramatischen Giovanni. Allerdings fanden Orchester, Bühne und Dirigent erst nach einergewissen Anlaufzeit zusammen. Eberhard Wächter bringt es fertig, als Giovanni immer mehr zu wachsen. Er überrascht stimmlich und darstellerisch immer durch neue interessante Züge. Von den mitwirkenden Damen muß Hilde Güden an erster Stelle genannte werden, die mit schwebender Stimme eine hervorragende Zerlina sang. („Lasci darem la mano" war der schönste Augenblick des Abends!). Sena Jurinac und Wilma Lipp schienen als Anna und Elvira beide ein wenig überanstrengt, doch sangen sie ihre großen Arien (Sena Jurinac vor allem „Crudele..") besonders schön. Für den Leporello hatte man Italo Tajo holen müssen, Träger eines großen Namens, dessen Stimme noch immer ergiebig ist, jedoch natürlich nicht mehr frisch klingt in der Höhe manche Mängel aufweist. Stilistisch bewies er gute alte Tradition. Man kann fast sagen Glyndebourner Schule. Lang und hager, mit spitzer Nase, wirkte er wesentlich spanischer, als wir es hier gewöhnt sind und spielte vergnügt derb-rustikal. Ludwig Weber war als Komtur zu hören – (die Friedhofszene ist noch immer ungemein eindrucksvoll). Waldemar Kmentt hatte als Ottavio, ganz abgesehen davon, daß ihm die Rolle gar nicht liegt, einen schlechten Tag. Technisch ist er allerdings so gut, daß nichts passierte. Kostas Paskalis ist als Masetto den ganzen Abend beschäftigt, seine mächtige Stimme zurückzuhalten. Trotzdem ist er natürlich der beste Vertreter der Partie seit Walter Berry.

AIDA am 22. Mai

unter André Cluytens. Im Opernbetrieb erscheinen bei manchen Dirigenten erbarmungslose Schwächen, die einem im Konzertsaal nie aufgefallen wären. So erweist sich immer wieder, daß André Cluytens absolut keine Italiener dirigieren kann, mit Ausnahme vielleicht von Othello, bei welchem Werk es nichts ausmacht, wenn es dem deutschen Musikdrama angenähert wird. Seine Aida ist – schonungslos ausgedrückt – ausgesprochen langweilig, besonders in den beiden ersten Akten. Vom Nilakt ab, dessen flirrend-impressionistischen Einleitungstakte den Maître offenbar inspirierten, ging es dann besser. Aber noch immer macht jeder routinierte Theaterkapellmeister italienischer oder slawischer Provenienz eine bessere Aida als dieser Klassedirigent. Sehr sonderbar. Davon abgesehen, war die Aufführung sehr gut. Birgit Nilsson das intelligente Stimmphänomen, brilliert nicht nur im Fortissimo, sondern auch in schöner Phrasierung und schwebendem Piano. Nur das Nil-Arien C sollte sie besser Forte singen. Ein Schwellton gelingt ihr da auch nicht (das kann offenbar nur die Leontyne Price). Und das Kopfton-ppp wirkt zu überzüchtet. Das ist aber auch schon der einzige Einwand. Einen ausgezeichneten Radames mit wirklicher Heldenstimme lernte man in Flaviano Labo kennen, der so klein und zart ist, daß man nicht weiß, woher der Sänger die mächtigen Töne nimmt. Da auch noch seine Phrasierung ausgezeichnet und fast kultiviert zu nennen ist, nimmt der Sänger zu Recht seine Stellung in der oberen Hälfte der Weltrangliste ein. Christa Ludwigs Amneris ist ein eigener Fall, ausgezeichnet und persönlich zwar, doch eine tour de force. Bei der Gerichtsszene gibt sie sich derart aus, daß man ihre Anstrengungen deutlich merkt. Es ist für das liebenswürdige Künstlerehepaar Ludwig-Berry gar nicht gut, wenn sie nach Rollen greifen, die sie überanstrengen! Vor allem nach dramatischen italienischen Partien. Die beiden Künstler sollten froh sein, daß sie in Wien engagiert sind, wo sie nicht alles singen müssen, wie dies an deutschen Bühnen der Fall ist. Wenn Christa Ludwig etwa in München oder Stuttgart verpflichtet wäre, wo sie Ortrud und Venus, Azucena und Carmen, Amneris und Kundry singen müßte, hätte sie sich sicher schon den gewissen deutschen Mezzo-Schepperer eingewirtschaftet, an dem so viele gute Sängerinnen laborieren. Wie schön blüht die Stimme, wenn sie Angelina und Rosina, Cherubino oder Dorabella singt. Clairon, nicht Lady Macbeth, lautet die Devise! Das leichte Fach zu singen, ist sehr schwer. Wen gibt es schon dafür? Dasselbe gilt für Walter Berry. Auch ihm mögen die überbeanspruchten Stimmen eines Gustav Neidlinger oder Josef Metternich zur Warnung dienen. Walter Berry ist zweifellos der weltbeste Leporello und Papageno. Warum genügt ihm das nicht? Beckmesser-Rossini Figaro-Klingsor nicht Macbeth. Ettore Bastianini als Amonasro schritt mit kunstvoll drapiertem Faltenwurf seines Mantels und auf „schönen Mohren" à la Othello geschminkt, auf die Bühne. Obwohl ihm die Mächtigkeit des Organs abgeht, die Aldo Protti in dieser Partie so auszeichnet, bewundert man wieder die edle Schönheit dieser einmaligen Stimme, den weichen Schmelz, die vollendete Phrasierung. Ein Phänomen eigener Art! Gottlob Frick und Frederick Guthrie wirkten verdienstvoll in den beiden Baßpartien. Für den Boten hat sich leider noch immer keine passable Besetzung gefunden.

CAPRICCIO am 23. Mai

Hier gab es die erste Umbesetzung: Otto Wiener sang seinen ersten Wiener La Roche. Herr Wiener ist in, der sicherlich nicht eben angenehmen Lage, alle seine Partien in Wien Persönlichkeiten wie Hotter oder Schöffler nachsingen zu müssen. Bewunderswert ist die ehrliche Arbeit des Künstlers, der immer einen Weg findet, zu einer eigenen Auffassung zu gelangen. Als La Roche präsentierte er sich viel ernster und als Schöffler, er trug die Ansprache sozusagen nicht als Paradestück, sondern als Credo vor. Stimmlich war er ganz hervorragend, in allen Lagen völlig ausgeglichen und absolut sicher. Die übrige Besetzung entsprach – auch in der Leistung – der Premiere am 15. Mai.

ANGELINA (LA CENERENTOLA) am 24. Mai

hat ihre Bewunderer gefunden. Vor einem restlos ausverkauften Haus kam die originellste Inszenierung der heurigen Saison wieder zu Wort. Zwar merkte man im ersten Akt in den Ensembleszenen, daß das Werk längere Zeit nicht auf dem Spielplan stand, aber nach der Pause waren Alberto Erede, Orchester und Solisten ein Herz und eine Seele. Der Angelpunkt der Aufführung bleibt weiterhin die reizende Christa Ludwig, die mit der Angelina ihre bisher vollendetste Rolle geformt hat. Es fehlen einem einfach die Worte der Bewunderung für ihre scheinbar mühelosen Koloraturpassagen und für ihr großes Feingefühl, mit welchem sie die Figur des Aschenbrödels zu gestalten weiß. Walter Berry hat ebenfalls mit dem Dandini eine Prachtrolle gefunden. Auch er singt souverän den Vorläufer des Barbiers. Der Künstler ist eben in diesem Fach zu Hause und jede Pointe sitzt. Über seinen Charme in der Darstellung ein weiteres Wort zu verlieren, erscheint müßig. Die übrigen Mitwirkenden Waldemar Kmentt, Emmy Loose, Dagmar Hermann, Karl Dönch und Ludwig Welter kamen mit diesen beiden Prachtsängern nicht mit. Zwischen dem jungen Künstlerehepaar und ihnen besteht ein Klasseunterschied. Waldemar Kmentt, der einst so viel versprach, war sichtlich indisponiert und plagte sich mit seinen koloratur-gespickten Passagen. Karl Dönch verließ sich zu sehr auf seine Komik und Emmy Loose und Dagmar Hermanns Blütezeit ist vorbei, doch ersetzten sie dieses Manko durch Spielfreudigkeit und Humor in der Darstellung der bösen Schwestern. Das Publikum zeigte sich begeistert und feierte vor allem Christa Ludwig und Walter Berry.

TOSCA am 25. Mai

Trotz klingender Namen in der Besetzung (auch des Dirigenten), war diese Aufführung nur eine mittelmäßige. In erster Linie lag dies an André Cluytens, der bei dieser mit Effekt so reich bedachten Puccini-Oper nur gähnende Langeweile zu verbreiten vermochte. Tauchten schon nach seiner mäßigen Aida Zweifel auf, brachte diese zerdehnte Interpretation die Bestätigung: italienische Opern liegen ihm nicht (hat er die Tosca vielleicht zum ersten Mal dirigiert?). Nach seinem ausgezeichneten Holländer, Tristan und Rosenkavalier konnte man es kaum fassen, daß dieser Vollblutmusiker hier so hilflos versagte. Warum gibt man ihm nicht z.B. Salome oder Ariadne? Seine fernnervige Transparenz und farbenreiche Orchesterpalette käme hier bestimmt voll zur Geltung. In der Titelrolle erfreute Gré Brouwenstijn Auge und Ohr. Wenn auch ihrer Stimme der letzte italienische Schliff fehlt, wurde sie dennoch den großen Anforderungen dieser Partie gerecht und beeindruckte vor allem durch ihre sichere Höhe und ihr kultiviertes Piano. Darstellerisch war sie weniger große Diva als liebende Frau, aber trotzdem in jeder Hinsicht überzeugend. Das Gewinnende an dieser Künstlerin ist ihre große stimmliche und darstellerische Ausdruckskraft, die immer echt und ohne falsches Pathos bleibt. Nach den herumschwirrenden Gerüchten war man bei Giuseppe di Stefanos Cavaradossi auf das Schlimmste gefaßt. Nun, die Stimme ist noch immer da, wenn sie auch von ihrem einst so betörenden Wohllaut einiges eingebüßt hat. Er sang die Partie sicher und schön und errang sich durch seine bekannten technischen Finessen einmal mehr die Gunst des Publikums. Für ein unsicheres „La vita mi costasse" entschädigte er durch ein atemberaubend langes „Vittoria"! Immer wieder bewundernswert sein unglaublicher Bühneninstinkt, seine große Ausdrucks- und Gestaltungskraft, die in dieser Aufführung durch seine Partnerin wohl noch bereichert wurde. Die große, aber weiche Stimme Ettore Bastianinis ist für den Scarpia zwar nicht geschaffen. Da er (Gott sei Dank) sein schönes Organ nie forciert, war er, von den lyrischen Phrasen abgesehen, stimmlich nicht überzeugend, und darstellerisch hat man sich von diesem Stehbariton ohnedies nicht viel erwartet. Aber von wem auch, außer Tito Gobbi und Hans Hotter, zitterte wohl sonst ganz Rom? Wie immer outrierend der Mesner Karl Dönchs und ebenso übertrieben der Spoletta Erich Majkuts. Wohltuend nach Karl Weber war Hans Braun als Angelotti.

TRISTAN UND ISOLDE am 26. Mai

Was unsere seltenen, zu seltenen Tristan-Aufführungen auszeichnet, ist das ideale Zusammenwirken von Regie, Sängern und Orchester unter Herbert von Karajans magistraler Leitung.

Das verlieh auch diesem Abend eine wunderbare Geschlossenheit. Das gewaltige Musikdrama strahlte die monumentale Schönheit und die Romantik aus, deren es bedarf, um sich in seiner ganzen Größe zu zeigen. Von geradezu unerhörter Schönheit und Hingabe war das Spiel der Wiener Philharmoniker, die zu den vielen Festen, die sie uns schon bereiteten, ein Tristan-Fest hinzugesellten.

Auf der Bühne dominierte die vornehme, königliche Isolde Birgit Nilssons mit ihrer gewaltigen hochdramatischen Stimme, die gleichwohl auch der Phrasierung und feinsten Abschattierungen mächtig ist.

Dieser Isolde zur Seite stand die große, ebenfalls metallische und fast hochdramatisch durchschlagskräftige Brangäne von Rita Gorr, die sich auch durch ruhige, noble Haltung auf der Bühne auszeichnete.

Wolfgang Windgassen ging erst im dritten Akt ganz aus sich heraus, wo er auch am intensivsten und am stärksten konzentriert wirkte.

Otto Wiener sang einen prächtigen, ritterlichen Kurwenal und Gottlob Frick befand sich als Marke in bester Disposition. Hermann Uhde, Anton Dermota (der bei seinem Seemannslied von einer Flöte begleitet wurde!) und Murray Dickie waren in den weiteren Rollen eingesetzt.

Die schönen Einzelleistungen gingen auf in einer Vorstellung voll Spannung und Dichte, voll Kraft und Schönheit, einem Abend, wie wir ihn als typisch und beispielgebend für die Wiener Staatsoper bezeichnen wollen.

DER ROSENKAVALIER am 27. Mai

hatte seine Vorzüge. André Cluytens dirigierte mit Schwung und Elan – seinen Strauss beherrscht er.

Und das Damentrio – Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin, Sena Jurinac als Oktavian und Hilde Güden als Sophie – sucht seinesgleichen, im Zusammenklang herrlicher Stimmen, in Elegance des Auftretens und völliger Durchdringung der Partien, in prächtigem Aussehen, schauspielerischer Ausdruckskraft, die immer wieder aus dem Augenblick heraus, neue Nuancen findet.

Da hatten es die Herren schon schwerer. Der stimmlich gute, aber vulgäre und undelikate Ochs von Kurt Böhme, der stimmlich blasse Faninal von Alfred Poell und auch Giuseppe Zampieri als Sänger, der sich diesmal ziemlich plagen mußte. Aber immerhin hatten die Genannten noch Niveau, sodaß dieser Aufführung mit Recht hohe Qualität zuerkannt werden darf.

DIE ZAUBERFLÖTE am 28. Mai

Zur Eröffnung der Wiener Festwochen hörte man an diesem Abend eine sehr gepflegte Zauberflöte, die von Karl Böhm mit Liebe und Verständnis geleitet wurde. Im Mittelpunkt der Publikumsgunst stand Walter Berry mit seinem natürlichen, humorvollen, lustigen, prachtvoll gesungenen Papageno. Erika Köth ist leider weiterhin in schwacher Verfassung. Sie hatte zwar alles, aber es fehlte Kraft und Brillanz. Dagegen hat sich Rudolf Schock wieder sehr gut erholt. Seine Stimme klingt – in einer Partie, wie dem Tamino, für die sie geschaffen ist – wieder voll und abgesehen von ein paar angestrengten Spitzentönen, auch wieder schön. Das lyrische Fach bietet doch genug Möglichkeiten. Warum ruiniert sich der Sänger mit Wagner und Verdi mutwillig? Irmgard Seefried ist auf der Bühne viel ruhiger und zurückhaltender geworden. Umso sympathischer wirkt ihre Pamina, die auch stimmlich, bis auf einige Schwächen in der Höhe, vor allem bei der Arie gut war. (Besonders gefiel uns die Szene mit den Sängerknaben und die Prüfungsszene.) Gottlob Frick, Otto Wiener und Peter Klein gaben als Sarastro, Sprecher und Monostatos ihr Bestes. Liselotte Maikl sang die Papagena recht nett. Die drei Damen Gerda Scheyrer, Christa Ludwig, Hilde Rössel-Majdan standen auf der Höhe ihrer Aufgaben. So hinterließ die Vorstellung, wie man am Beifall bemerken konnte, beim vorwiegend ausländischen Publikum besten Eindruck.

MORD IN DER KATHEDRALE am 29. Mai

Sie fand unter der Leitung von Herbert von Karajan statt. Hans Hotter, der für die Zentralfigur der Oper alles mitbringt, was einen Opernbesucher fesselt, macht die an und für sich uninteressante Orchestrierung des Herrn Pizetti zur Nebensächlichkeit. Hotters interessante Bühnenfigur, sein markanter Baßbariton und sein Spiel zeigen ihn auf einer einsamen Höhe, daß man alles um ihn und wegen ihm vergißt. Die Einwände gegen die Aufnahme diesen Werkes in unseren Spielplan entbehren nicht der Berechtigung, aber sie werden durch Hotters großartige Leistung weitgehend kompensiert. Von den gut besetzten Randfiguren verdient Paul Schöffler besonderer Erwähnung. Sein Sarkasmus und seine Ironie sind Meisterstücke großer Schauspielkunst. Pizettis Werk wird im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten. Aber Hotter wird in der Rolle des streitbaren Erzbischofs im Gedächtnis des theaterbesessenen Publikums sicher weiterleben.

LA BOHEME am 30. Mai

Diese Aufführung war ein Musterbeispiel einer guten Vorstellung, wenn man berücksichtigt, daß es eigentlich eine Repertoireaufführung war. (Wir möchten das Opernhaus – italienische Spitzenbühnen eingeschlossen – sehen, das auf Anhieb eine solche Aufführung auf die Bühne stellt.) Giuseppe di Stefano sang den Rodolfo. Jedes Auftreten dieses Künstlers bringt große Erwartungen, eine fiebrige Spannung mit sich, was aber nicht nur der Persönlichkeit des Künstlers, sondern auch der Unzuverlässigkeit des Tenors zu danken ist. Man weiß nie, wie man mit ihm dran ist. Und zu Überraschungen in gutem oder schlechtem Sinne hat er schon einige Male Anlaß gegeben. An Giuseppe di Stefanos Unzuverlässigkeit ist vielleicht nicht zuletzt auch die Strapazierung einer der herrlichsten, lyrischen Stimmen, die es je gegeben hat, in dem eigentlich zu schweren Mittelfach schuld. Wenn er sein Goldtimbre hätte behalten wollen, hätte er nur bis Cavaradossi, Faust oder Edgardo gehen dürfen – nicht bis zu Kalaf und Bajazzo. Der lyrische Rodolfo liegt der Stimme in ihrer derzeitigen (nur als gut und nicht mehr zu bezeichnenden) Verfassung am Besten im dritten und vierten Akt, wo sie in hellstem Glanze strahlte und die Musikalität des Künstlers und seine einmalige Phrasierung zu rückhaltloser Bewunderung hinrissen. Mit „Che gelida manina" hatte er einige Mühe und das C gelang nur mit ziemlichem Forcieren und nicht ganz einwandfrei. Und gar das eingelegte Schluß-C des ersten Aktes war schauerlich zu tief.. (Dafür legte er sich im Ensemble des zweiten Aktes plötzlich ehrgeizig ein H ein). Dem Künstler Giuseppe di Stefano verzieh man allerdings die Schwächen des Sängers bereitwilligst. Mit solchem Charme, Ausdruck, und einer Unmenge Herz war der Poet gespielt. Besonders der Schluß: Das war echt „Pipo"! Und der versierte Opernbesucher mit soliden vierzig Boheme-Aufführungen starrte auf die Bühne, als wäre er zum ersten Mal im Theater. Der zweite Neuling war Ettore Bastianini als Marcello, der sich überraschend elegant, charmant und spielfreudig zeigte. (Wenn kein klassischer Held, sondern eine naturalistische Bühnenfigur von ihm verlangt wird, ist er plötzlich gar kein Stehbariton mehr! Man bekommt immer mehr Lust auf einen italienischen Barbier, den doch sowieso jeder kennt und den man daher ruhig in der Originalsprache geben könnte). Es ist fast müßig, den Wohlklang seiner Baritonstimme zu rühmen. Erwähnt sei nur das Duett mit Giuseppe di Stefano im dritten Akt, das unbeschreiblich prächtig gelang. (Und da hatte die Premierenbesetzung weiß Gott schon ein hohes Maß an Wohlklang zu bieten gehabt!). Edda Vincenzi, eine relativ dunkel timbrierte Sopranistin mit konventionellem Zuckerpüppchenspiel und durchschnittlichen Stimmitteln war zum Einspringen gerade recht als Musetta zu hören. Die wienerische Mimi von Hilde Güden hatte an diesem Abend besonders viel glanzvolle, silbern schimmernde, in vornehme Phrasen geformte Stimmschönheit zu bieten und wuchs im vierten Akt zu rührender Eindringlichkeit des Spiels. Walter Berry sang und spielte seinen herrlichen Colline, der in Wien sicher seit Manovardas Tagen nicht seinesgleichen gehabt hat. Hans Braun als Schaunard ist allerdings nur eine Notbesetzung (Kostas Paskalis! Wenngleich er für diese Partie fast zu viel Stimme hat!). Aber Peter Klein und Laszlo Szemere sind in den kleinen Rollen glänzend. Francesco Molinari-Pradelli erwies sich wieder als hervorragender, schwungvoller, gefühlsintensiver und der Sänger achtender Operndirigent, wenngleich es zu kleineren Mißverständnissen kam. Diese hätten sich vielleicht durch eine Probe verhindern lassen. Wir wollten damit nur dokumentieren, daß wir es gehört haben und wir die Aufführung nichtsdestoweniger hervorragend fanden. Auf die Atmosphäre kam es an!

DAS RHEINGOLD am 31. Mai

unter Herbert von Karajan wird als Vorabend des ersten kompletten Ring des Nibelungen seit 1944 in der nächsten Nummer besprochen.

 

HUMOR IST, WENN MAN TROTZDEM LACHT

DER FERNSEHKRIEG WURDE ZUR GROTESKE; SO GESCHEHEN ZU WIEN

ANNO DOMINI 1960.

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 6

Die Herren Redakteure schossen aus allen Knopflöchern. Mit Titeln und Untertiteln wie „Die Österreicher dürfen zahlen, aber nichts sehen", „Ein Karajan zuviel", „Karajan auf Abwegen", „Austrovision", „Krach um Karajan", „Skandal um Salzburg", „Es sind schon Hausherrn gestorben", eröffneten sie – angeblich im Namen des kleinen Steuerzahlers – ein Trommelfeuer auf den angeblich so bösen, bösen Maestro, „die Primadonna am Pult", „den fliegenden Taktstock", den „Karajanismus" den „Star", den „Hans Dampf in allen Gassen" usw.

Bei diesem Anlaß sprach man es zum ersten Mal auch offen aus, daß man sich anstelle des künstlerischen Leiters einen anderen Mann denken könnte – und damit wer also die Katze aus dem Sack. So geschehe wohlweislich in Abwesenheit des Chefs, der mit der Wiener Oper auf Gastspielreise in Wiesbaden und anschließend an der Scala Milano weilte.

Man rechnete dem kleinen Mann von der Straße vor, wieviel der Bau des neuen Festspielhauses gekostet habe. Man erwähnte stets von neuem die monatliche 60.000 Schilling-Gage des Chefs für die Direktionsgeschäfte der Wiener Oper, die mittlerweile nach Richtigstellung durch die Pressestelle der Staatsoper Wien auf jährlich 80.000 Schilling zusammenschmolz, also auf ein niedrigeres Honorar als das des Fernsehdirektors. Neben dieser Gage für die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper, die in vier Raten, jeweils am 1.9., 1.12., 1.3. und 1.6. zur Auszahlung gelangt, bezieht Herr von Karajan das Honorar eines Spitzendirigenten der Wiener Staatsoper (wie Böhm, Mitropoulos u.a.) und ist dafür verpflichtet, jährlich dreißig Aufführungen zu leiten Die Presse führte wohlweislich nicht an, was im Vergleich dazu Romy Schneider für Sissi I, II und III vereinnahmte, was für den kleinen Mann immerhin illustrierend gewesen wäre, wenn man schon im Namen des breiten Publikums zu Felde zog! Wozu auch, galt es doch nur, den Kleinverdiener in „Stimmung" zu bringen, damit er seinen 1.800-Schilling-Monatslohn in Relation setze, dann in die richtige Rage komme, wenn man ihn zusätzlich darüber belehrt, daß eben dieser Großverdiener Karajan, bezahlt vom Steuergroschen, es dem armen Kleinverdiener verleidet habe, in dem Spectaculum der Salzburger Eröffnungsvorstellung vor dem Fernsehschirm teilzunehmen. Die Rotationsmaschinen liefen sich heiß, die Druckerschwärze floß in Strömen, Propagandaaufwand wie bei einer Wahlschlacht, Stimmungsmacherei ganz groß geschrieben und die Schlagwortwalzen dröhnten. Was dazu noch an Taktlosigkeiten und Geschmacklosigkeiten, vermengt mit persönlichen Angriffen gegen die Person Karajans, geboten wurde, wollen wir errötend verschweigen, denn – es ist keine Redensart – wir schämen uns dafür vor dem Ausland.

Anlaß zu diesem großen Klamauk gab der Brief des Direktors des Österreichischen Fernsehens, Gerhard Freud, der bewegte Klage führte, wie ungerecht und schlecht er von Herrn vorn Karajan behandelt, ja mit seinem Anliegen sozusagen ausgebootet und hinausintrigiert wurde, weil Karajan bereits alle Rechte heimlich an eine Filmfirma vergeben hätte, um eine dokumentarische Wiedergabe

des Salzburger Rosenkavalier zu erzielen. Die Wiener Presse stellte sich als geschlossene Phalanx hinter Direktor Freund, ein Empörungsschrei gellte auf, der eine peinliche Ähnlichkeit mit dem

Ruf „Nieder mit Karajan", „Karajan hinaus" hatte, diese Worte zwar direkt vermied, ihren Sinn aber in allen Versionen publizierte.

Als in der Folge Unterrichtsminister Dr. Drimmel darauf hinwies, daß Herbert von Karajan nach seiner Rückkehr zu der Angelegenheit Stellung nehmen werde, als er deutlich durchblicken ließ, daß diese

Auseinandersetzung nicht so ausarten dürfe, daß die Weiterarbeit des Opernchefs gefährdet sei, wurden sogar Pressestimmen laut, die bereits nach einem neuen Unterrichtsminister verlangten (wörtlich): „Wir haben einen Karajan zuviel und einen Unterrichtsminister zuwenig." Der Sturm im Wasserglas war auf seinem Höhepunkt anbelangt, nur wußte man damals vom „Wasserglas" noch nichts und hörte sehr erstaunt die Presse im Takt der Marseillaise marschieren! Wirkungsvolles Finale, Vorhang, Pause unter dem Hinweis, daß am 18. Mai Herbert von Karajan ein Pressekonferenz einberufen werde.

Audiatur et altera pars dachte und sagte sich der Musikliebhaber, der sich durch den Appell an simple Instinkt nicht angesprochen fühlte und dem der Ton der Melodie nicht recht gefallen konnte. Er sagte es im Gauben, daß Herr von Karajan vielleicht ausschlaggebende Gründe für sein Verhalten ins Treffen führen könnte. Sogar engagierte Karajangegner im Publikum waren der Meinung, daß jeder Angeklagte zuerst angehört werde, bevor man ein schuldig spricht. Mit einem Wort, die Geschichte mit der angefachten Volkswut klappte nicht so ganz. Außerdem stand der Besuch des Schah von Persien bevor, und durch Kaiserbesuche wird der Wiener noch immer fasziniert. Der Mann von der Straße vergaß über dem Herrscher auf dem Pfauenthron auf die „Schandtat" des Maestro und interessierte sich für das Spektakel vor dem Hotel Imperial im Augenblick mehr als für jenes im Hause Faninals, das man ihm angeblich vorenthalten wollte. Während sich das Volk drängte um Reza Pahlevi zu sehen, empfing Karajan in den Direktionsräumen der Wiener Staatsoper die zornigen Streitet und selbstlosen Kämpfer für den „Herrn Osterreicher", die sich bei Juice und kaltem Buffet, die der Hausherr ihnen freundlich kredenzen ließ, stärkten, um dann wenige Minuten später neu gestählt zur Schlacht gegen ihn antreten zu können. Die Schlacht blieb aus, doch davon später.

Wir wollen aus den Darlegungen Herbert von Karajans nun die wesentlichsten Punkte herausgreifen:

1./ Der künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele ist satzungsgemäß nicht berechtigt, Vertragsabschlüsse irgendwelcher Art zu tätigen, er war daher weder in der Lage, mit einer Filmfirma abzuschließen, noch mit dem Österreichischen Fernsehen persönlich einen Vertrag einzugehen.

Kommentar: Peinlich, peinlich, da hatten die Herren die Kanonenrohre also falsch eingestellt und auf das unrichtige Ziel geschossen.

2./ Das Salzburger Kuratorium (und nicht Karajan, Anm.d.Red.) entschied in seiner Sitzung vom 23. März 1960, dem Ansuchen einer Life-Übertragung nicht stattzugeben und an Stelle dessen die Filmrechte an Dr. Czinner gehen zu lassen, der die Verhandlungsgrundlagen das heißt, die Zustimmung der Strauss’schen Erben bereits am 6. März beigebracht hatte.

3./ Herbert von Karajan als künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, daher natürlich auch Berater des Kuratoriums, hatte sich geäußert, daß aus künstlerischen Gründen eine Life-Übertragung nicht zweckmäßig wäre, sich aber bereit erklärt, in Aufnahmesitzungen nach der Rosenkavalier-Premiere eine Aufnahme für das Fernsehen - ohne Honorar - zu übernehmen.

Gründe, die der künstlerische Leiter für seinen Entscheid ins Treffen führte:

a./ bei einer Life-Übertragung würden bei den Riesenausmaßen des neuen Festspielhauses bei allen Totalaufnahmen die Personen der Bühne auf dem Bildschirm nur 17 mm hoch und 4 mm breit erscheinen.

Durch die Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind pastellfarbene Kostüme der Sänger so gut wie untragbar, weil sie keinen Kontrast, sondern nur das gleiche Grau wiedergeben würden.

Die Life-Übertragung bedingt, daß drei Aufnahmeapparate an handbreiten, weißen Bändern in das Bühnenbild hineingehängt werden müssen. Das bedeutet also zugleich, daß die Premierenbesucher

sich mit dieser Entstellung der Szene grundlegend abfinden müßten.

Außerdem erwiesen die Fernsehübertragungen bisher, daß sie künstlerisch unvollkommen, ja unzureichend waren. (Davon wissen wir zu singen und zu sagen, siehe Welt auf dem Mond und Così fan tutte aus Salzburg, Meistersinger aus Bayreuth, Salome als Wiener Fernsehübertragung und selbst Angelina aus der Staatsoper Wien Anm.d.Red.).

b./ Der künstlerische Leiter erklärte sich bereit, die nötigen Besprechungen mit dem österreichischen Fernsehen für die von ihm vorgeschlagenen Aufnahmen durchzuführen. Das Salzburger Kuratorium war zu solchen Verhandlungen sehr wohl berechtigt – entgegen anders lautenden Pressemeldungen – weil in dem Filmvertrag keine Exklusivklausel beinhaltet ist. Es verlangte daher von Direktor Freund als Grundlage aller Besprechungen den Nachweis der Urheberrechte. Am 5. April 1960 verständigte Direktor Freund das Salzburger Kuratorium mit einem Telegramm davon, daß das österreichische Fernsehen über die Grundlage verfüge. Wortlaut: „Rechte bereits in unseren Händen".

c./ Herbert von Karajan selbst hat für die Verfilmung das Wort „dokumentarisch" nicht geprägt. Wenn es im Verlauf der Debatte gebraucht wurde, so ist sein Sinn nur dahingehend zu verstehen, daß die Filmfirma daran gebunden ist, in dem Farbfilmstreifen nur das zu zeigen, was die Handlung beinhaltet – also beispielsweise nicht die Fahrt des Quinquin zum Haus des Faninal, was für den Film natürlich ein reizvoller Einfall gewesen wäre, mit den künstlerischen Gesichtspunkten der Opernübertragung jedoch nicht vereinbar ist.

Kommentar: Herr von Karajan nahm einzig und allein gegen eine Life-Übertragung Stellung, war jedoch bereit, in Aufnahmesitzungen eine Fernsehsendung ohne Honorar zu übernehmen. Wer mag da die Herren Redakteure nur so falsch unterrichtet haben?

4./ Direktor Freund vom österreichischen Fernsehen teilte am 19. 4. dem Salzburger Kuratorium mit, daß er das technische Team für die Übertragungsaufnahme nicht vor dem 15. August stellen könne und insgesamt 45 Arbeitsstunden benötige. Da Dr. Czinner bereits die Termine vom 18. bis 30. August zugesichert waren, die überdies beträchtlich weniger Arbeitsstunden vorsehen, scheiterten die weiteren Verhandlungen Direktor Freunds an diesen Schwierigkeiten, sie scheiterten deshalb, weil das österreichische Fernsehen mit seiner Planung ins Hintertreffen geraten war.

Und dann platzte die Bombe als

5./ Herbert von Karajan noch zusätzlich Telegramme von Dr. Franz Strauss und dem Boosey & Hawkes-Verlag London vorwies, vom 14. bzw. 17. Mai, in denen versichert wird, daß an das österreichische Fernsehen keine Übertragungsrechte abgegeben wurden.

Kommentar: Mit anderen Worten bedeutet dies, daß Herr Direktor Freund die ohnedies verspäteten Verhandlungen mit Salzburg und dem künstlerischen Leiter führte, ohne dazu überhaupt autorisiert

zu sein. Es bedeutet, daß seine Versicherung, die Aufführungsrechte wären in seinen Händen, den Tatsachen widersprach. Es bedeutet, daß sein in der Presse veröffentlichter Brief der Gegenständlichkeit entbehrt, ebenso wie der Loyalität. Das bedeutet weiter, daß die Wiener Presse für eine irrelevante Angelegenheit zu Felde zog, daß sie nicht nur Herbert von Karajan fälschlich beschuldigte, sondern in Direktor Freund für einen Mann eintrat, der sich zumindest einer groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht hatte, als er sich auf eine mündliche Zusage der Wiener Vertretung des Londoner Verlages bezog, ohne schriftliche Unterlagen nachweisen zu können. Es bedeutet, daß die Wiener Tagespresse sich selbst lächerlich gemacht hat. Es bedeutet, daß mein eigentlich weinen müßte.

Herbert von Karajan führte weiter aus, daß er – wie allgemein bekannt – der modernen technischen Entwicklung zu sehr aufgeschlossen sei, um die Bedeutung des Fernsehens in irgendeiner Weise zu verkennen, oder ihr zu wenig Wert zuzumessen. Nur wies er darauf hin, daß er – ebenso, wie er vor Jahren gegen unvollkommene Schallplattenaufnahmen angekämpft und schließlich so die Entwicklung zur Vollendung der Aufnahmetechnik mit erwirkt habe – auch in gleicher Weise für die Entwicklung des Fernsehens (in Belangen Oper) eintreten werde. Er sei der Meinung, daß der kleine Steuerzahler nicht nur das Recht habe, durch den Bildschirm zum „Zaungast" zu werden, so wie es die Presse forderte, sondern vollgültiger Zuschauer. Dazu aber sei Zeit für die Entwicklung nötig. Nach wie vor erklärte sich Karajan trotz aller Vorfälle erneut bereit, die von ihn zugesagten Fernsehaufnahmen zu tätigen, sobald es dem österreichischen Fernsehen gelingen würde, Termine, Urheberrechte und die Verträge mit den Künstlern noch zu realisieren.

Darauf hin wurde in den Tageszeitungen mehr oder minder deutlich der glorreiche Rückzug angetreten, in verschiedener Form – je nach Mentalität des Verfassers – aber doch. Der eine flüchtete sich hinter die Möglichkeiten der Aufmachung (kluges Kind!), indem er über die Ergebnisse der Pressekonferenz in Fettdruck das berichtete, was ihm daran gefiel, und die springenden Punkte in Zeilen von winziger Bedeutungslosigkeit des Buchstabens hinein verbannte. Andere blieben sachlich und enthielten sich der Kommentare, andere fanden das Vorgehen des Fernsehdirektors nun einer Kritik wert. Aber keiner der wackeren Kampfteilnehmer im Fernsehkrieg, der nicht stattfand, hielt es der Mühe wert, auch nur ein einziges Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung an Herbert von Karajan zu richten, den man heruntergesetzt, verrissen und verschrien hatte und das in Dutzenden von Episteln. Dafür war in den Blättern Platz gewesen – für persönliche Fairneß jedoch herrscht auf den Kulturseiten beängstigender Raummangel.

Die nächste Station der Rückzugsgefechte erfolgte mit der von Direktor Freund prompt einberufenen Pressekonferenz im Wiener Funkhaus. Gerhard Freund versuchte, der Presse klar zu machen, daß Herbert von Karajan in unkorrekter Weise die besagten Telegramme erhalten und vorgelegt habe. Begründung: Heinz Fischer-Karwin, der Starreporter des österreichischen Rundfunks habe mit Dr. Franz Strauss in dieser Angelegenheit telephoniert und die Antwort erhalten, daß sich Herr Dr. Strauss nicht in den Streit einzumengen beabsichtige und jede endgültige Entscheidung dem künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele überlasse Kommentar: Besagt diese Auskunft etwas anderes, als bisher klargestellt wurde? Sie beinhaltet doch nur mit anderen Worten, vom Strauss-Erben sehr höflich formuliert, nichts als eine Wiederholung, daß diese Bewilligung von ihm nicht gegeben worden sei und nicht gegeben werde. Und damit wird

schließlich auch dem Naivsten klar, daß mit Wortklauberei und Spiegelfechterei an den Gegebenheiten nichts geändert wird.

Herr Direktor Freund mußte ferner zugeben, daß er außerstande sei, alle Verträge unter Dach und Fach zu bringen, daß es also auch dann nicht zu einer Fernsehübertragung kommen würde, wenn übergeordnete Stellen sich dafür einsetzen und sich dafür entscheiden würden. Trotzdem erklärte er, die Sache vor das Parlament bringen zu wollen.

Was bildet sich Herr Freund eigentlich ein? Das erste Haus des Staates hat seiner Meinung nach keine andere Sorgen, als über eine Angelegenheit zu diskutieren, die durch sein Versäumnis irrelevant wurde? Oder ging es gar nicht mehr darum, sondern glaubte der Mandatar der SPÖ, daß seine Fraktion, nur um seine eigene Ungeschicklichkeit zu decken, für ihn in die Bresche springen wird? Jetzt auf einmal braucht er Schützenhilfe von oben her. Wir sind der Meinung, daß sich vielmehr jede Fraktion fragen würde, ob vom Fernsehdirektor, der eine sehr beträchtliche Monatsgage bezieht (zu der der kleine Steuerzahler mit Recht sagen könnte: „Auch kein Hund!") nicht mehr Planung und Vorsorge verlangt werden könne!

Wir jedenfalls können nur den alten Geheimrat von Weimar zitieren: „Wozu der Lärm, was steht dem Herrn zu Diensten?

Herr Freund täte besser daran zu versuchen, die eigenen Versager auf faire Art und Weise vergessen zu machen, anstatt sich herauszuwinden. Denn im übrigen fragt sich der kleine Fernseher ja auch, warum er das Fußball-Ländermatch Österreich-Schottland nicht life zu gehen bekam, warum nicht die Feierlichkeiten anläßlich des Staatsvertrags in Originalübertragungen zu sehen waren und warum seit einem Jahr die Übertragungen aus dem Josefstädter Theater ausbleiben und man nur mit den Löwingern vorlieb nehmen muß? Oder war daran auch der böse Karajan mit seinen „tückischen Ränken" schuld?

Zu guter Letzt wurde nun der Streit – nach den neuesten Meldungen – beigelegt, und es kam zu einem Kompromiß zwischen dem Fernsehen und Karajan. Das Fernsehen macht in Salzburg eine Großreportage über das neue Festspielhaus, seine Einrichtungen und die Probenarbeit, sowie am Eröffnungsabend (26. Juli) eine Direktübertragung dem Festspielhaus vor Beginn der Rosenkavalier-Aufführung. Anschließend wird eine Fernsehaufzeichnung einiger markanter Szenen der Straussoper gesendet, die während der letzten Probentage unter Karajans Aufsicht aufgenommen werden.

Damit wurde nun ein Kompromiß geschlossen, das zweifellos für das Fernsehpublikum akzeptabel ist.

Außerdem, weil wir gerade dabei sind: Warum bemüht sich Herr Fischer-Karwin eigentlich unausgesetzt in seinen Rundfunk- und Fernsehsendungen um Spitzen gegen den Opernchef? Warum ist er so eifrig daran interessiert, in der von der Bundestheaterverwaltung bezahlten Sendung „Aus Burg und Oper" die Direktion ins Unrecht zu setzen und den Künstlern Fragen zu stellen, die nichts anderes als kleine „Reinfaller" darstellten, wenn unsere Künstler nicht schon aufgeklärt und gewitzigt wären? Hierbei gleich ein Bravo an Elisabeth Schwarzkopf, die ihm in einer Fernsehsendung endlich die Antworten gab, die Herr Fischer-Karwin nicht hören wollte! Und warum lief der Starreporter des österreichischen Rundfunks so schnell zum Telephon, um Herrn Freund ein Alibi zu konstruieren, das als Contra gegen Karajan ausgewertet werden sollte?

Abschließend wäre noch folgendes zu sagen: Das Stammpublikum hat selten so gelacht. Man vergaß das Bedauerliche und Unerfreuliche der Vorfälle ob diesem Prachtexemplar einer Illustration des Volkswortes: „Wer anderen eine Grube gräbt..."

 

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