DER SEPTEMBER 1961

6. Jahrgang, Heft 10

 

Der Herbst begann früh nämlich der typische Repertoireherbst der Wiener Staatsoper, der sich sonst eigentlich erst Ende September-Anfang Oktober zu entwickeln pflegte mit Sängern in Stimmkrisen, schlechten Dirigenten und bunten Mischungen in den Besetzungen. Dem Wirken unseres Herrn Moser muß deswegen mit einem gewissen Mißtrauen entgegengesehen werden.

Wir wollen allerdings nicht gleich zu Anfang unken, sondern geduldig und zum zweihundertsten Mal auseinandersetzen, was wir auszusetzen haben.

Wir nehmen dabei noch das italienische Fach aus, das reichlich bestückt ist und wo das Wiener italienische Ensemble sich – mit einigen Ausnahmen wie Nicola Zaccaria und Ausprobier-Sängerinnen wie der kleinen Signorina Martino – zu einem wichtigen Bestandteil des Wiener Opernlebens entwickelt hat. Wer könnte sich im Ernst noch eine italienische Oper ohne Simionato, Bastianini, dem immer mehr an Boden gewinnende Bergonzi und der in einem allerdings begrenzten Fach heuer sehr erfolgreichen Stella überhaupt vorstellen, geschweige denn anhören? (Von Formschwankungen und kleineren Krisen sind sie ja, wie alle Sänger, nicht gefeit, aber dagegen kann man natürlich nichts machen!

Das Übel liegt leider bei der deutschen Oper. Hier fehlte es zweifellos an einigem: an Führung, logischem Denken und Phantasie. Wenn wir eine vorerst noch leise Anklage wegen Ensembleverfalles erheben, so dürfte das zweifellos schwerer wiegen als massive Angriffe in Büchern oder Zeitungen. Denn wir wissen, daß nur Mangel an Einfühlungsvermögen und richtiger Beurteilung von Sängern daran schuld ist, wenn bei Mozart- oder Strauss-Vorstellungen der Vermerk „erhöhte Preise" nicht auch für eine manchmal erhöhte, über dem Repertoiredurchschnitt liegende Aufführung Gewähr bietet.

Wir haben momentan keinen Cherubino, außer der Simionato! Ja, hat man denn nicht gewußt, daß Frau Ludwig im Herbst nicht zur Verfügung steht und außerdem den Cherubino ohnedies nicht mehr lang singen will? Wir müssen für den Oktavian einen Gast ausgerechnet aus Ostberlin holen, der noch dazu gar nicht deutsch spricht. Wir bringen es nicht einmal fertig, diesen lächerlichen Oedipus, den Tyrann ohne drei Gäste zu spielen, obwohl diese Partien aus der zahllosen Schar jener Sänger, die ohnedies in einer gehobenen Aufführung nicht zu brauchen sind, leicht hätte dreifach besetzt werden können? (Ob sie bei dem Stück auch gut sind, ist ohnehin ohne Belang!) Wir kommen jetzt unter anderem darauf, daß kein guter italienischer Dirigent da ist – im deutschen Fach gibt’s ihn ja nie – und holen ausgerechnet Fausto Cleva, nach dessen Wirken man sich den Metropolitan-Alltag (Leinsdorf, Stiedry, Rosenstock und Cleva) ungefähr vorstellen kann! Was die Gemüter noch weiter erhitzt, war die Absage des Ringes wegen des leidigen Überstundenstreiks der Bühnenarbeiter. Es wird sich auch bis in den ersten Stock der Oper herumgesprochen haben, daß das Publikum sehr sauer war. Da haben wir nun einen Ring in Wien, der musikalisch und – was Wolfgang Wagners Inszenierung betrifft – auch im Ganzen besser ist als in Bayreuth und können ihn nicht wenigstens hören, da unser großer Meister zu schmollen geruht, weil er seine subtilen Beleuchtungseffekte nicht proben kann. Nun, das Publikum schmollte auch. Welch Malheur, wenn wir Siegfried und Götterdämmerung vor schwarzen Vorhängen gespielt hätten! Da wären Windgassen die akustischen Kämpfe im 1. Akt Siegfried wenigstens erspart geblieben! Gerade unser Herr von Karajan hat schon ganz andere Sachen konzertant aufgeführt! Aber es hat eben leider niemand an diese Lösung gedacht. Und das ist der Jammer: Irgend Jemand müßte mehr denken im Direktionstrakt der Wiener Staatsoper.

 

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 1. September

Karajan weilte in Edinburg und Luzern, Cluytens haben wir durch die unmöglichen Arbeitsbedingungen an der Wiener Oper glücklich sauer gemacht, Rudolf Kempe war es schon lange, weil er ohne Premiere in Wien nicht arbeiten will (was ohne weiteres zu verstehen ist!), Joseph Keilberth dirigierte am gleichen Abend in München Friedenstag und Heinz Wallberg ist bereits in Südamerika – wer blieb also? Heinrich Hollreiser! Allerdings etwas verändert und offenbar auf dem Standpunkt: Jetzt werd ich es euch einmal zeigen!, was immerhin besser ist als gar kein Standpunkt. Gute auswärtige Engagements mit Probenmöglichkeiten wirken sich auf die Psyche und damit auf die Leistungen von Dirigenten immer vorteilhaft aus, ein Faktum, das auch bei Klobucar deutlich zu bemerken ist und das wir immer und immer wieder prophezeit haben. Herr Hollreiser also kämpfte nach einem schwachen Vorspiel tapfer gegen das Orchester, von dem er sich jahrelang zum Hampelmann hat machen lassen, und siehe da, er behielt sogar die Oberhand. Wenn man davon absieht, daß es natürlich manchmal zu laut und gröblich zuging, kam es zu einer recht schwungvollen Aufführung. Otto Wiener bewährte sich als Sachs wieder außerordentlich gut und konnte seine Position als derzeit einziger Sachs in der ganzen Welt stimmlich und darstellerisch bestens behaupten. Hans Hotter war hervorragend bei Stimme. Wenn er aufstand, stand alles im Schatten dieses gewaltigen Heldengoldschmieds. Dennoch blieb er immer im Rahmen, was er einst beim Sachs nicht tat – merkwürd’ger Fall. Irmgard Seefried, darstellerisch dezent, war schlecht bei Stimme – desgleichen der Ritter Wolfgang Windgassen, der allerdings sein echt wagnerisches Stehvermögen bewies. Nachdem man in der Schusterstube schon gedacht hatte, er sei total fertig, kam er auf der Festwiese plötzlich mit einem überraschend frischen Preislied. Gerhard Unger, ein ausgezeichneter und überaus korrekt singender David, gefiel ausgezeichnet – schade daß dieses Fach bei uns eigentlich blockiert ist, sonst käme sicher ein Engagement in Frage. Heinz Imdahl war als Kothner wesentlich schlechter als während der Festwochen, und wir möchten uns solche Gäste verbeten haben. Jean Madeira mißfiel durch ihre schlechte Aussprache, wohingegen Karl Dönch als Beckmesser jetzt Gott sei Dank bei seinen grellen Kasperliaden etliche Abstriche zu machen beginnt.

DON GIOVANNI am 2. September

Heinrich Hollreiser dirigierte auch den zweiten Abend der neuen Saison. Nach einer uninteressant vorgebrachten Ouvertüre profitierte er zusehends von den Philharmonikern, die ja in Salzburg das Werk auf dem Programm hatten. Sie spielten von alleine und Herr Hollreiser konnte seine ganze Aufmerksamkeit den Sängern schenken, die er sehr korrekt mit allen Einsätzen versah. Mimi Coertse, die Enttäuschung der vorigen Saison, sang zum ersten Male die Donna Elvira. Sie hat die Partie genau studiert und bot dadurch eine anerkennungswerte Leistung. Es war zwar nicht zu überhören, daß ihre Stimme stellenweise sehr scharf klang, aber im großen und ganzen fügte sie sich gut in das Ensemble ein. Sie müßte sich nur das Taktschlagen, das vom ganzen Körper ausgeführt wird, abgewöhnen. Von einer profilierten Darstellung der Rolle kann natürlich derzeit keine Rede sein. Die Donna Anna wurde von Sena Jurinac verkörpert. Wenn auch diese Partie nicht zu ihren besten zählt, so war sie doch in Gestaltung und Musikalität ein Glanzpunkt der Aufführung. Die kostbare Stimme schien ausgeruht und frischer als in der vergangenen Saison. Hilde Güden sang die Zerlina mit technischer Perfektion und schenkte der Figur ihre blendendes Aussehen, worüber man gerne vergißt, daß sie eigentlich diesem Rollenfach schon entwachsen ist. Als Don Giovanni begeisterte Eberhard Wächter sein Publikum. In seiner Gestaltung, in der bisher vornehmlich jugendliches Ungestüm und Draufgängertum vorherrschten, bemerkt man jetzt stark männliche und überlegene Charakterzüge, die auch in den Rezitativen stimmlich pointiert zu Tage treten. Ein Don Giovanni, der mit der Zeit langsam einen Hauch von Dämonie bekommt. Dieser Künstler gibt sich keineswegs mit dem Erreichten zufrieden, er arbeitet unaufhörlich weiter an sich selbst und gewinnt dadurch stets an Aktualität. Erich Kunz unterstützte ihn als Leporello aufs beste. Er war stimmlich schon lange nicht mehr so gut wie jetzt. Waldemar Kmentt zeigte sich als Don Ottavio verbessert. Er scheint auch selbstsicherer in dieser Rolle geworden zu sein. Schade, daß sein trockenes Organ nicht den für Mozart nötigen Schmelz besitzt. Gottlob Frick als Komtur hat jene Fülle in seinem Organ, die Kmentt in seinem Fach so sehr abgeht. Sein dunkler Baß dröhnte wie eine Orgel durch das Haus. Nur Kostas Paskalis als Masetto fiel aus diesem Ensemble heraus. Ein beifallfreudiges Publikum dankte allen Mitwirkenden für ihr redliches Bemühen.

AIDA am 3. und 8. September

Zwei total verschieden besetzte Abende, wobei der zweite, obwohl im letzten Moment statt Siegfried angesetzt, eindeutig dominierte. Diese Aida fand notgedrungen mit einigen Mitgliedern des Siegfried-Ensembles statt.

Jon Vickers als Radames am 3. 9. war gut bei Stimme, ist aber kein Belcanto-Tenor, dazu hat die Stimme zu viel technische Mängel. Allerdings ist seine Darstellung wohldurchdacht. Carlo Bergonzi (8.9.) kümmert sich wenig um differenziertes Spiel, aber seine Stimme ist eitel Wohlklang. So wie er, singt kaum ein anderer Tenor die Romanze. Desgleichen prächtig ist die Schlußszene. Nur im Nilakt wurde er durch seine stimmkräftigen Partner etwas an die Wand gedrückt. Gloria Davy (3.9.) und Birgit Nilsson (8.9.) sangen die Aida: Gloria Davy sehr unruhig in der Gesangslinie und mit scharfer Höhe, im Spiel verbindlich wie alle schwarzen Sängerinnen. Birgit Nilsson sang mit Wagnerstimme, also auch nicht gerade ideal für die Partie, aber mit viel Bemühen um die Gesangslinie und um zarte Piani. Ettore Bastianini (3.9.) als Amonasro war herrlich bei Stimme, Hans Hotter (8.9.) desgleichen. Letzterer gab der Rolle des besiegten Fürsten der Äthiopier auch noch eine charakterliche Profilierung. Giulietta Simionato war die Amneris beider Aufführungen. Am 3. stand sie trotz schwerer Indisposition auf der Bühne, sang daher sehr vorsichtig, aber nicht minder schön. In der zweiten Aufführung war sie wieder gesund und prachtvoll. Walter Kreppel (3.9.) und Gottlob Frick (8.9.) waren als Ramphis gleichwertig gut, Ludwig Welter (3.9.) als König besser als Alois Pernerstorfer. Es fiel auf, daß der Bote (Erich Majkut) nicht mehr an Epilepsie leidet, sondern normal auf- und abtritt. Höhepunkte der Aufführungen: Am 3. die Gerichtsszene, am 8. die Gerichtsszene und der Nilakt mit Nilsson und Hotter. Die Dirigenten waren Lovro von Matacic (3.9.), der einen seiner langsamen Tage hatte, wobei er im Triumphakt an Energie gewann und das Dehnen sein ließ und Berislav Klobucar (8.9.), der Verdi in den richtigen Dimensionen beließ. Feinheiten fehlten leider beiden.

EIN HALBER RING am 4. und 6. September

Aus dem projektierten Ring des Nibelungen wurde leider im letzten Augenblick nichts, da die Gewerkschaft der Bühnenarbeiter mitten unter Verhandlungen einen Überstundenstreik in Szene setzte. Und das, nachdem bereits die Sitzplatz-Karten für alle vier Aufführungen verkauft waren! Und die Möglichkeit, vor schwarzem Vorhang zu spielen, wurde leider nicht beachtet. So mußten wir uns mit Rheingold und Walküre begnügen. Beide Aufführungen waren ausgezeichnet, und man war darum doppelt enttäuscht.

DAS RHEINGOLD am 4. September

Unter der Leitung von Herbert von Karajan spielte das Orchester einfach herrlich. Es war wieder einmal, wie schon so oft unter dem Chef, ein Höchstmaß an Konzentration bei allen Beteiligten zu spüren, sowie ein ideales Ineinandergreifen von Bühne und Orchester. Hans Hotters Wotan ist schon oft gerühmt worden, und es wäre müßig, immer wieder Worte über seine Leistung verlieren zu wollen, würde dieser Künstler nicht ständig an sich arbeiten. Wir haben Hotter noch nie zweimal vollkommen gleich in einer Partie gehört. Natürlich bliebt sein Grundkonzept, aber er findet immer wieder noch ein Detail, das die Figur noch schärfer, noch besser charakterisiert. Bleibt nur noch zu sagen, daß er auch in idealer stimmlicher Verfassung war. Wolfgang Windgassen sang einen herrlichen Loge, Walter Kreppel war ein ausgezeichneter Fasolt. Die Stimme wird immer größer und schöner, und auch höchste Beanspruchung (er sang vier Tage hintereinander!) macht ihr derzeit nichts aus. Alois Pernerstorfer und Peter Klein – ersterer mit bewundernswert viel Stimme – waren wie immer als Nibelungen sehr gut, desgleichen die Götter: Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter. Gerda Scheyrer sang die beste Freia, die wir jemals von ihr gehört haben. Die Rheintöchter Lotte Rysanek, Sena Jurinac und Hilde Rössel-Majdan hätten etwas sicherer im Zusammensingen sein können. Gut war auch die Fricka von Ira Malaniuk. Jean Madeira war die Erda, von der man kein einziges Wort verstand. Peter Roth-Ehrang sang den Fafner mit brüchiger Stimme. Das Publikum jubelte am Schluß begeistert für Hotter, Windgassen und Karajan.

DIE WALKÜRE am 6. September

Diese Aufführung war etwas beeinträchtigt durch die Absage Birgit Nilssons und durch die Absage der restlichen Ringaufführungen, was begreiflicherweise Ärger und Nervosität hervorrief. Ärger bei Herbert von Karajan, der dadurch (aus purer Wut) einen prächtigen ersten Akt dirigierte. Nervosität bei den Sängern, die teilweise unkonzentriert sangen. Der erste Akt geriet sehr symphonisch, die Philharmoniker spielten prächtig, die Sänger gaben die Begleitung ab. Jon Vickers als Siegmund hatte nicht seinen besten Tag und schwamm etwas durch Text und Musik. Regine Crespin litt sehr unter der allgemeinen Nervosität und blieb diesmal recht blaß. Walter Kreppel war ein prächtig singender Hunding. Statt Frau Nilsson sang Gertrude Grob-Prandl die Brünnhilde. Darstellerisch nach wie vor so wie einst, stimmlich nicht mehr mit so mühelos sicherer Höhe. Als Partnerin für Hans Hotters Wotan ist sie einfach nicht da. Hotter mußte sozusagen den Schluß im Alleingang bestreiten. Er war herrlich bei Stimme, und sein Spiel war intensiv und von jener Menschlichkeit, wie es dem verzweifelten Gott wohl ansteht. Daß er vor Unfällen auch nicht sicher ist, zeigte der Ausstieg im dritten Akt, wohl auf die allgemeine Nervosität und die fehlende Partnerschaft zurückzuführen. Überraschend passabel Jean Madeira als Fricka, überraschend auch die Walküren, von denen eigentlich nur mehr Judith Hellwig, Traute Richter, Dagmar Hermann und Annemarie Ludwig ersetzt werden müßten. Es gab langen, begeisterten Beifall für Hans Hotter und Herbert von Karajan.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 5. September

In dieser Vorstellung, bei der nur die Stehplätze zum freien Verkauf gelangten, stellte sich erstmals der Dirigent Fausto Cleva von der Met in Wien vor. Der Eindruck, den er hinterließ, war denkbar mäßig. Die Zeichengebung war so unsicher, daß die Sänger um die Höhepunkte ihrer Szenen gebracht wurden, weil sie einfach keinen Einsatz bekamen und bei den diversen Ritardandi, Fermaten usw. in Stich gelassen wurden. Orchester und Ballett waren auf sich selbst gestellt, nur der Chor, der eine Probe hatte, wußte bereits um die geheimnisvolle Zeichengebung und konnte daher sicher singen. Die Ouvertüre fiel spannungslos auseinander, die nette Trompetenstelle aus der Klostersuppenszene unter den Tisch. Die Besetzung war durchwegs ausgezeichnet. Antonietta Stella hatte Anfangs zwar einige scharfe Höhen, sang aber sonst ausgezeichnet und sehr ausdrucksvoll. Carlo Bergonzis Alvaro war wunderschön phrasiert, mit herrlicher Stimme gesungen. Was dem Künstler abgeht, ist das Lebendigmachen einer Bühnenfigur. Man spürt bei ihm so sehr, daß Singen eine große Kunst ist. Giulietta Simionato, Ettore Bastianini und Walter Kreppel waren prächtig bei Stimme. Karl Dönch übertrieb wie immer, hatte aber mehr Stimme zur Verfügung als sonst. Tugomir Francs Vater war Durchschnitt. Die Aufführung litt eindeutig unter dem Dirigenten. Ein Sonderlob für den jungen Solocellisten.

DIE WALKÜRE am 6. September

unter der Leitung von Herbert von Karajan wurde mit dem „halben Ring" am 4. September besprochen

DER ROSENKAVALIER am 7. September

Aufführungen wie diese sind Feste des Repertoires. Wenn sich das Damenterzett Elisabeth Schwarzkopf, Sena Jurinac und Hilde Güden vereinigt (zum ersten Mal in dieser Zusammensetzung), braucht man um das Niveau der Aufführung nicht zu bangen. Elisabeth Schwarzkopf hat mit der Marschallin die Rolle ihres Lebens gefunden. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie die Marschallin spielt und singt, sie erlebt diese Partie immer wieder neu, und mit ihr tun das die Zuhörer und Zuschauer. Es gibt derzeit keine Künstlerin in dieser Rolle, bei der man so intensiv die Beteiligung der ganzen Persönlichkeit spürt, wie bei ihr. Ebenso ideal Sena Jurinac als Oktavian. Sie gehört zu jenen Künstlern, bei denen jede noch so sparsame Geste unglaublich viel aussagt: etwa wenn sie beim Auftritt des Rosenkavaliers die silberne Rose ein klein wenig hebt und durch diese winzige Geste eine seltsame feierliche Stimmung erreicht. Stimmlich bleibt kein Wunsch offen. Auch Hilde Güdens Sophie ist ein Kabinettstückerl. Sie meistert nicht nur spielend die stimmlichen Schwierigkeiten der Partie, sondern spielt auch das „eben aus dem Kloster gekommene" einzige Kind glaubwürdig. Schade, daß diesem Damenwunderteam kein annähernd gleichwertiger Ochs zur Verfügung stand. Oskar Czerwenka bemühte sich zwar sehr, hatte jedoch mit Höhe und Tiefe zu kämpfen und suchte diesen Mangel durch übertriebenes Schauspiel auszugleichen. Alfred Poell war ein farbloser Faninal und Glade Peterson (Sänger) wußte wohl selbst nicht, wie er auf die Bühne der Wiener Oper gekommen war. So singt man die Sängerarie bestenfalls auf der Akademie, wo die hörbare Angst vor den Spitzentönen zweifellos nachsichtiger beurteilt wird. Ansonsten hatte das Drum und Dran der Aufführung gewohntes gutes Niveau. Die Philharmoniker unter Karl Böhm musizierten animiert und klangschön.

AIDA am 8. September

wurde mit der Aufführung am 3. September besprochen

MADAME BUTTERFLY am 9. September

Als neue Cho-Cho-San stellte sich den Wienern Antonietta Stella vor. Vor der Aufführung wurde diskutiert, ob die italienische Künstlerin das Primat von Sena Jurinac in dieser Rolle erschüttern können werde. Nach dem Fallen des Schlußvorhanges war man sich doch klar darüber, daß unsere Oper in Sena Jurinac weiterhin die Butterfly unserer Zeit besitzt. Der Intellekt gewann nicht die Oberhand über das singende Herz. Antonietta Stella faßte die Rolle von außen an. Sie betrachtet weitgehend japanische Sitten und Gewohnheiten, spielte das äußerst intelligent und raffiniert. Wo aber blieb das innere Gefühl, daß gerade für diese Oper von solch eminenter Wichtigkeit ist? Keinen Moment wird der Zuhörer von ihrem Gesang erschüttert. Die noch so gekonnten Tränenausbrüche wirkten leider nur gespielt. Der Schein vermochte nicht die echte Träne vorzutäuschen. Dabei hat Frau Stella die notwendige dramatische Fülle der Stimme für die Partie. Die große Arie gelang ihr ausgezeichnet, doch im dritten Akt war deutlich hörbar, daß sie sich sehr ausgegeben hatte. Hier nämlich klangen einzelne Höhen klar zu tief. Daß sie beim Auftritt im ersten Akt nicht hinaufsang, war für uns keine Neuigkeit, denn selten hörten wir im Lande der aufgehenden Sonne jene Stelle so wie sie sein sollte. Carlo Bergonzi lieh seine kultivierte Stimme dem Pinkerton, den er ebenfalls zum ersten Mal in Wien sang. Leider wurde er bei „Addio fiorito asil" von Fausto Cleva kalt abgeschossen. Der Dirigent schlug rücksichtslos Fortissimo. Cleva war überhaupt eine Riesenenttäuschung. Mit seinen großen, kreisenden Armbewegungen, die nur den Takt anschlugen, konnte er weder das Orchester noch das Publikum animieren. Beim Auftritt der Butterfly lösten sich das Orchester, Frau Stella und der Chor in rivalisierende Gruppen auf. Auf irgendwelche orchestrale Auslegung legte er den ganzen Abend keinen Wert. Taktschläger haben wir allerdings genug in Wien, wir brauchen sie nicht zu importieren. Eberhard Wächter als Sharpless beeindruckte durch seine soignierte Haltung und vornehme Prarsierung. Unter den zahlreichen Nebenrollen ragte Hilde Rössel-Majdan als gut singende Suzuki hervor. Ohne Lokalpatriot zu sein, müssen wir feststellen, daß die importierte Butterfly (Cleva, Stella, Bergonzi) im Schatten der unseren stand (Mitropoulos oder Karajan; Jurinac, Zampieri).

FIDELIO am 10. September

Statt der angekündigten Götterdämmerung stand mit einigen der vorgesehenen Protagonisten Fidelio auf dem Programm. Das enttäuschte Publikum mußte nicht nur die Programmänderung, sondern auch eine Umbesetzung am Pult in Kauf nehmen. Sie hieß Heinrich Hollreiser, und das tat weh. Hollreiser gab sich aber ehrliche Mühe, für die vielen orchestralen Schnitzer im ersten Akt konnte er wenig. Darob aber verzagte er diesmal nicht und hielt tapfer bis zum Schluß durch, bei fortschreitender Dauer des Abends immer besser werdend. Als Leonore stand Birgit Nilsson auf der Bühne, die dank ihrer glanzvollen Stimme und der großen Gesangskunst alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Frauliche Wärme zu zeigen, ist nicht ihre Stärke. Aber dafür besitzt sie Spitzentöne, die man anderswo vergeblich suchen würde. Wolfgang Windgassen sang den Florestan routiniert. Schon beim ersten Ansatz der Arie bemerkte man, daß er nicht seinen besten Tag hatte. Er ging sehr vorsichtig an die Partie heran; dadurch kam er nicht zu jener Ausstrahlung, die wir von ihm gewohnt sind. Als Pizarro kam nach langer Zeit Paul Schöffler wieder zum Zuge. Die ganze Kraft der noch vorhandenen Stimme legte er in die Arie, doch dann war’s mit ihm vorbei. Herr Schöffler müßte es sich gründlich überlegen, ob er bei solchen Auftritten seinen guten Ruf leichtsinnig aufs Spiel setzen sollte. Walter Kreppel war ein ganz ausgezeichneter Rocco, der in seinen Pflichten gut von Peter Klein und schlecht von Irmgard Seefried unterstützt wurde. Frau Seefried schien selbst zu fühlen, daß ihre Stimme sehr belegt klang und wollte dies kaschieren. Dadurch wirkte sie im Spiel besonders hysterisch, wobei ihre Prosa einen unbeabsichtigten Heiterkeitserfolg im ganzen Theater auslöste. Frederick Guthrie ist leider seit seinem Wiederengagement nicht besser, eher schlechter geworden. Sein Minister war farblos in jeder Beziehung.

EIN MASKENBALL am 11. September

Unter der schwungvollen, auf Details allerdings weniger eingehenden Leitung von Berislav Klobucar war es eine sehr schöne Aufführung. Antonietta Stella zeigte sich in hervorragender Form. Noch nie hat sie die Amelia so schön gesungen wie diesmal – alle Höhen, sogar der Auftritt und die schwierigen C in Arie, Liebesduett und Finale hatte sie sicher, dazu kam noch ihre gewohnt gute Phrasierung und ihr eminenter dramatischer Instinkt – es war eine reine Freude. Ausgezeichnet auch wieder Carlo Bergonzi, der genau so wenig, wie die Stadtmauern Roms an einem Tag erbaut wurden, das Wiener Publikum mit einer Aufführung erobern konnte (wie z.B. Dimiter Usunow). Aber man beginnt, diesen klugen, ehrlichen, kultivierten und noch dazu mit einem prächtigen Timbre begabten Sänger von Abend zu Abend mehr zu schätzen. Überdies ist er für einen Italiener ungewöhnlich korrekt im Singen, mancher könnte sich da ein Beispiel nehmen. Ettore Bastianini wandelte unruhig über die Bühne und sang sehr schön – die zweite Arie noch schöner – aber nicht ganz ohne Anstrengung. Jean Madeira hatte als Ulrica einen verhältnismäßig guten Abend. Die Debütantin Adriana Martino zeigte eine sehr kleine Stimme mit hübschem Timbre, ist jedoch alles andere als ein Koloratursopran, eher eine Lyrische in statu nascendi. Ihr Wesen dürfte auch eher ernster sein, denn sie tat sich mit dem fröhlichen Pagen sehr schwer und wirkte durch forciertes neckisches Hüpfen eher peinlich. Ljubomir Pantscheff war seinem Verschwörerkollegen Franz Bierbach weit überlegen und über Karl Weber konnte man nur lachen. Könnte man die Partie vielleicht mit dem jungen Heinz Holecek von der Volksoper umbesetzen, ehe er dort verheizt wird.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 12. September

Die Gesangsleistungen waren an diesem Abend eher schwach, so hielt man sich an das fröhliche Geschehen auf der Bühne und das temperamentvoll durch Berislav Klobucar geleitete Orchester. Der beste Sänger des Abends hieß eindeutig Waldemar Kmentt, dessen Stimme wächst und dem es doch vielleicht einmal gelingen sollte, die technischen Mängel in der Höhe, die er von Natur aus doch hat, zu beseitigen. Dann müßte er auch ein weniger unglückliches Gesicht dabei machen, damit nicht jeder Durchschnittbesucher merkt, daß er sich plagt. Irmgard Seefried ist in diesem Herbst leider schlecht bei Stimme, doch zeigt sie bemerkenswerten Einsatz auch in den Ensembles, was allerdings im zweiten Duett mit Hans zu einem schrecklichen Gekeife ausartete. Diese Stelle müßte Günther Rennert einmal gründlich mit ihr überholen. Die Seefried ist immerhin seit Jahren ein Wertbegriff und sollte nicht so leichtfertig mit ihrem ehrlich erworbenen Namen umgehen. Auch Oskar Czerwenka hatte es schwer. Er tut einem direkt leid. So ein Bühnenmensch, mit Temperament, Humor, noch dazu mit wirklicher, natürlicher Musikalität, doch die Stimme, respektive Technik hält da nicht mit, denn Material hätte er von Natur aus gehabt. Seine Verehrer unter den Kritikern hätten besser daran getan, einen Gesangspädagogen von Rang suchen zu helfen, statt ihn als Nachfolger Richard Mayrs zu feiern, mit dem sie ihn eigentlich nie hätten vergleichen können, da sie zum Zeitpunkt von Mayrs Tod wohl gerade die Volksschule besuchten. Wir fänden es nicht schlecht, wenn Herr Czerwenka statt der großen anstrengen Kezal-Rolle lieber den Zirkusdirektor gespielt hätte (der mit dem unverständlichen und humorlosen Laszlo Szemere schlecht besetzt war) und bis zu seiner eventuellen Erholung den Kezal Otto Edelmann überlassen könnte, der in dieser Rolle immer recht gut war und nach ein paar Proben mit Rennert wohl imstande wäre, seine Abende zum Teil damit bestens abzudienen.

AIDA am 13. September

Herbert von Karajan dirigierte Aida, und aus einem Repertoireabend wurde ein Fest. Wie ein Fels in der Brandung stand er am Pult und zog Solisten, Orchester und Publikum in seinen Bann. Dabei hatte auch er keine Proben zur Verfügung, was einzelne unklare musikalische Konturen zu Beginn vermuten ließen. Doch wie Karajan immer wieder Herr aller Schwierigkeiten wird, wie er Spannung in die Vorstellung hineinzaubert, wie er die Sänger, mit denen er mitatmet, begleitet, das ist eben jene große Kunst, die ihn zur hervorragendsten, allerdings auch meistbeneideten Persönlichkeit unter den Dirigenten macht. Als Aida lernten wir in Martina Arroyo einen vorläufig noch eher lyrischen, dunkelhäutigen Sopran kennen. Anfangs schien sie sehr nervös, doch sang sie sich immer mehr und mehr frei. In der Nilszene war sie ganz da und in der Arie blühte ihr sinnlicher Sopran wie eine Blume auf. Man verglich sie sogar mit Leontyne Price bei ihrem Debüt in Wien. Ein höheres Lob kann man Martina Arroyo ohnehin nicht zollen. In der Darstellung verließ sie sich auf ihren Instinkt, sie wirkte stets natürlich und glaubhaft. Ihre Rivalin war Giulietta Simionato als Amneris. Die Künstlerin befindet sich derzeit nicht in Bestform. Der Registerwechsel in der Stimme wird hörbar und die Tiefe hatte an diesem Abend außerdem nicht den gewohnt pastosen Klang. Allerdings wurden diese Einwände durch ihre Persönlichkeit und ihr Stilvermögen ausgeglichen. Carlo Bergonzi überbot sich als Radames selbst. Er ist kein Feldherr, der mit dem Fortissimo-Schwert rasselt, sondern vielmehr der intelligente Krieger, der mit Verstand den Kampf zu gewinnen weiß. Er kam auch in den dramatischen Stellen geschickt über das Orchester. In den Fortetönen lag zwar kein Dynamit, dafür edler Glanz. Ettore Bastianini spielte mit Temperament den Amonasro. In der Nilszene stürzte er sich so auf seine Tochter, daß wir um die kleine Sopranistin bangten. In stimmlicher Hinsicht hatte er einen guten Tag. Daß er einmal gegen Ende des Aktes musikalisch ausstieg, überraschte uns nicht, wir sind das von ihm gewohnt. Mit allen diesen Künstlern kamen die beiden Bässe des Abends nicht mit. Nicola Zaccarias Baß ist zu stumpf und höhenarm für den Ramphis, und Frederick Guthries Stimme ist viel zu weich für den König. Gott sei Dank sind diese Partien nicht von solcher Bedeutung und konnten daher kaum unsere Begeisterung Abbruch tun. Frenetischer Jubel im Haus widerspiegelte die richtige Stimmung des Publikums im Haus

BALLETTABEND am 14. September

DON GIOVANNI am 15. September

Heinrich Hollreiser dirigierte einen soliden Don Giovanni, der aber etwas unter klanglicher Eintönigkeit litt. Die Besetzung war diesmal nicht ganz so homogen, wie wir es sonst gewöhnt sind. Mimi Coertse hat noch einem weiten Weg bis zur Donna Elvira. Die Stimme ist viel zu dünn, die Tiefe kaum hörbar. Ein Koloratursopran, der mit der Höhe kämpft, bleibt eben trotzdem ein Koloratursopran. Ein Fachwechsel braucht lange Zeit und sorgfältige Schulung. Im Spiel hatte Frau Coertse sehr wenig von einer vornehmen Donna, eher mehr von einer sitzengelassenen Fiakermilli. Durch die Erkrankung von Sena Jurinac mußte sich die Staatsoper nach einer anderen Donna Anna umsehen und holte sich Anneliese Kupper aus München. Sie rettete die Aufführung. Gut war Luigi Alva als Don Ottavio. Seit wir ihn das letzte Mal hörten, ist die Stimme um einiges größer und um einiges männlicher geworden, er sang technisch tadellos, ausdrucksmäßig mit gutem Mozartstil, auch war er um Darstellung bemüht. Von der herrlichen Salzburger Aufführung waren nur Eberhard Wächter und Nicola Zaccaria geblieben. Wächter war stimmlich sehr gut (abgesehen von einem daneben gegangenen „no" am Schluß) und auch im Spiel noch von selben Ernst wie in Salzburg. Hilde Güden sang eine sehr gute Zerlina, Erich Kunz als Leporello war stimmlich sehr gut, im Spiel aber zügellos, reinstes Schmierentheater. Kostas Paskalis traute sich endlich, als Masetto Stimme zu geben.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 16. September

Bei dieser Inszenierung ergeben sich qualitative Einbußen eigentlich nur im Gesanglichen durch unterschiedliche Tagesverfassung der Sänger. Berislav Klobucar dirigierte sicher und mit gutem Gefühl für die böhmische Atmosphäre, Orchester und Chor hielten gut zusammen und boten gute Leistungen. Irmgard Seefrieds Marie litt einige Male unter steifen Höhen und (beim Duett mit Wenzel) durch übertriebenes Spiel. Als Hans ist Waldemar Kmentt in einer seiner besten Rollen eingesetzt, obwohl nicht zu überhören ist, daß seine Höhe durch stütztechnische Mängel beeinträchtigt ist. Oskar Czerwenka sang etwas besser als das letzte Mal und spielte gut, leider war er wenig textdeutlich. Murray Dickies Wenzel war ausgezeichnet, und der Zirkusdirektor von Erich Kunz wieder einmal ein Kabinettstück. Er bringt immer wieder neue aktuelle Gags in seine Ansprache, die mitten ins Schwarze treffen und immer ausgesprochen geistvoll sind. Die Elternpaare waren stimmlich nicht ganz auf der Höhe, vor allem die Herren brachten das Sextett gefährlich ins Schwanken. Sehr gut das Ballett.

FIDELIO am 17. September

Heinrich Hollreiser scheint durch seine Berliner Verpflichtung Selbstvertrauen bekommen zu haben. Er dirigierte einen sauberen Fidelio und hatte sogar hervorragende Momente („Mir ist so wunderbar") zu verzeichnen. Besonders lobend zu erwähnen ist sein kolossaler Einsatz und sein ständiges Bemühen um einen fließenden, musikalischen Ablauf, was ja niemals seine Stärke war. Christl Goltz als Leonore schien stimmlich erholt, und die Darstellung war ebenfalls von dezenter Zurückhaltung. Die segensreiche Wirkung einer Pause für eine Künstlerin von Format! Wolfgang Windgassen hatte einen weitaus besseren Abend als eine Woche zuvor. Die Stimme klang viel kräftiger, das Spiel war intensiver. Dafür gefiel Walter Kreppel als Rocco nicht so gut wie das letzte Mal. Paul Schöfflers Pizarro war persönlichkeitsstark und stimmschwach. Hilde Güden sang diesmal statt Irmgard Seefried die Marzelline und war um Klassen besser als ihre Vorgängerin, sowie gut unterstützt von Gerhard Stolze als Jacquino. Otto Wiener triumphierte als Minister ebenfalls über seinen Vorgänger. Ein Abend der mehr hielt als er versprach.

EIN MASKENBALL am 18. September

Fausto Clevas Malträtieren von italienischen Werken hält unvermindert an. Diesmal bekam er den Maskenball in die Hand und löste damit tödliche Langeweile aus. Die raschen Tempi in den Ensembleszenen standen in starkem Widerspruch zu betont langsamen bei den einzelnen Arien. Kein Wunder, daß bei diesen Schwankungen keine großen Gesangsleistungen zustande kamen. Mit Carlo Bergonzi stand der kultivierteste Künstler auf der Bühne. Er erfreut stets durch seine Gesangslinie, wobei auch das subtilste Piano hochmusikalisch eingesetzt wird. Antonietta Stella als Amelia sang in dramatischem Stil, wodurch das Belcanto litt. Auch kann Frau Stella ohne Schluchzeinlagen nicht auskommen. Giulietta Simionato als Ulrica bot eine sehr gute Leistung. Was mag daran schuld sein, daß sie in jener Rolle nicht zur sonst gewohnten Wirkung gelangt? Einen schlechten Abend hatte der wiederholt distonierende Renato, Ettore Bastianini. Adriana Martino ist in erster Linie ein lyrischer Sopran. Die kleine Stimme ist anziehend, und man wird sehen, was die Zukunft bringen wird. Viel Routine dürfte sie nach der etwas unbeholfenen Art des Spielens auch nicht haben. Für unfreiwillige Gelächter sorgten Nicola Zaccaria und Franz Bierbach, die sich kaum einmal mit dem Dirigenten einigen konnten.

BALLETT und OEDIPUS DER TYRANN am 19. September

Der Oedipus in dieser Form macht es jedem Stück des musikalischen Theaters leicht, ihn zu überrunden. Wir werden uns jederzeit freuen, Sophokles Oedipus Tyrannos, eventuell auch in der Hölderlin’schen Übersetzung, auf dem Sprechtheater zu begegnen. Carl Orff soll bei seinen bayerischen Stücken bleiben; alles was Musik und Orchester zu diesem Oedipus beisteuern, gab es schon in Catulli Carmina, nur kurzweiliger, pointierter, und nicht so hoffnungslos zerdehnt, auch nicht derart irrsinnige Ansprüche an den Tenor stellend (das begann erst mit dem dritten Teil der Trionfi). Jetzt ist es nur mehr lärmend, Stück-, Sänger- und Zuhörer-mordend. Diese „musikalische" Belastung vermag kein Stück auszuhalten, nicht einmal eines der alten Griechen, wo die Lebensdauer für sich allein spricht. Keine noch so zutreffende Regie, keine noch so phantastische sängerische, bzw. sprecherische Leistung (wie etwa Gerhard Stolze in der Titelrolle und Ludwig Weber als Hirte) kann diese Belastung vergessen machen. Wenn man eine Sängerin nur in kleinen Bruchteilen versteht, z.B. Christl Goltz als Jokaste, dann wird die Sinnlosigkeit des Orff’schen Unterfangens, mit einem Klingelorchester den Text zu zermalmen, besonders klar, weil man gewahr wird, in welchem Maß der Text der allein tragende Bestandteil des Werkes ist. Neu waren Willy Domgraf-Fassbaender in der Rolle des berühmten Boten – er ließ selbst in dieser Rolle erkennen, welche Stimme er einmal hatte, und welche Charakterisierungskunst er noch hat, Hans-Günther Nöcker als Chorführer und Josef Knapp in der Sprechpartie des korinthischen Boten. Die übrigen Partien hatten Rudolf Knoll und Helmut Krebs (als Sänger des Priesters und Sehers) und Karl Blühm (als Sprecher des Kreon) wie in der Premiere inne. Geräuschmeister – oh, pardon Dirigent – war Heinrich Hollreiser, seine Härte ist zu bewundern.

BALLETTABEND am 20. September

DON CARLOS am 21. September

Deprimiert verließ man nach der von Stars gespickten Aufführung das Haus. Schuld daran hatte unserer Meinung Fausto Cleva mit seinem unbeteiligten Taktschlagen und den wiederholt rasch wechselnden Tempi. Beim maurischen Lied befürchteten wir, daß Giulietta Simionato die Koloraturen schlucken mußte, so schnell war er in dieser Szene. Sie hatte auch diesmal keinen guten Abend. Die Stimme klang in der Mittellage sehr dünn, und das gefährliche Loch zwischen den Registern nimmt jetzt größere Formen an. Andererseits dehnte der Dirigent den Tod des Posa bis ins Unerträgliche. Als Carlos hörten wir unseren einstigen Eleven Joao Gibin. Er ist inzwischen lauter geworden, die Kunst des Gesanges aber hat er noch immer nicht erlernt. Zuviel gepreßte Töne waren der Beweis dafür. Dabei kann man ihm ein schönes, dunkel gefärbtes, allerdings zuweilen nasales Timbre gar nicht absprechen. Antonietta Stella sang die Elisabeth mit dramatischem Empfinden. Sie bot an diesem Abend die relativ beste Leistung. Ettore Bastianini bot ebenfalls eine enttäuschende Leistung. Seltsamerweise kann sich seine Stimme, die derzeit trocken klingt, nicht so entfalten, wie wir es gewöhnt sind. Walter Kreppel als Philipp verließ sich diesmal zuviel auf die Wucht seiner Fortetöne, die wirklich enorme Wirkung haben, aber leider verliert sein Vortrag der Arie an belcanteskem Stil. Dabei hat er großartige Momente in den Pianopassagen, warum diese ganz und gar unkönigliche Gesangsweise? Nicola Zaccarias düsteres Organ ist für den Großinquisitor eher geeignet als für andere Partien. Zwar ist er keine Offenbarung, dennoch ganz passabel in der großen Auseinandersetzung mit dem König. Das „Su! vi prostrate …" im darauf folgenden Bilde ging über seine stimmlichen Kräfte. Zu Frederick Guthries besten Rollen zählte vor Jahren mit dem Nachtwächter der Mönch. Heute ist er nur mehr ein Schatten von einst, die Oper um eine Hoffnung ärmer. Arm waren auch alle jene Leute, die zu erhöhten Preisen die Oper besuchten, um eine Glanzvorstellung zu hören, und nichts als Routine vorgesetzt bekamen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 22. September

Geschlossene Vorstellung unter Wilhelm Loibner mit Hilde Zadek als Gräfin, Emmy Loose als Susanna, Cora Canne-Mejer als Cherubino, Eberhard Wächter als Graf und Erich Kunz als Figaro

DER ROSENKAVALIER am 23. September

Elisabeth Schwarzkopf, die große Marschallin unserer Tage, die auch in dieser Aufführung der Partie ihre tief eindringende, psychologisch durchdachte Interpretationskunst schenkte, wird es uns verzeihen, wenn wir hier schreiben, daß das Hauptinteresse dem Dirigenten galt. Ein Dirigent ist ein sehr wichtiger Mann. Und der Rosenkavalier ist ein gutes Stück zum Ausprobieren, haben wir doch Vergleichsmöglichkeiten von Krauss und Kleiber bis Knappertsbusch, Keilberth, Krips, Kempe, Karajan, Cluytens, Wallberg und Böhm, und wenn sich da einer behaupten will, muß er von guten Eltern sein.

Nun, Günther Wich behauptete sich. Er ist einer von den Schnellen, die dem Pathos abgeschworen haben. Der erste Akt gehörte allerdings dazu, sich dem Orchester gegenüber durchzusetzen, doch dann zeigte sich Spannung und Kraft und im dritten Akt Schwung und überlegter Aufbau (Terzett). Das Orchester ging immer williger mit – die betrübliche Ausnahme war jener blamabel schmeißende spitzbärtige Klarinettist, der nach dem Schmiß empört sein Instrument schüttelte und es anklagend seinem Kollegen vorwies. Vielleicht wäre es besser gewesen, heikle Stellen vorher zu üben. Dann gab es noch zwei Gäste. Oktavian war Ludmilla Dvorakova, die schon vor Jahren gastierte (Carlos-Elisabeth). Sie hat ihr schönes, dunkles und großes Organ durch gröbliche Behandlung entschieden versteift – sie schob allerdings manchmal erstaunliche Töne heraus. Es blieben aber nur Töne. Gesangslinie war kaum vorhanden, geplappertes Parlando ist nicht ihre Sache, und die Kultur versucht sie durch unmotivierte Piani sehr gewollt unter Beweis zu stellen. Als Figur blieb sie gänzlich uninteressant und verständlicherweise im Schatten von Frau Schwarzkopf. Sie blieb auch im Schatten des anderen Gastes, Hanny Steffek, deren Engagement dank ihrer anderorts oft gewürdigten Leistungen schon längst fällig war. Sie zeigte trotz anfänglicher Nervosität eine technisch sicher geführte, hübsche, helle Stimme mit sicherer Höhe, sah gut aus und spielte auch nett, ist also durchaus würdig, sich unserem Sophie-Dreigestirn Güden-Lipp-Rothenberger anzuschließen. Otto Edelmann und Alfred Poell waren in ihren Standardpartien bestens eingesetzt, Waldemar Kmentt hingegen quälte sich sehr durch die Sängerarie. Das ist nichts für ihn. Brillant Peter Kleins Valzacchi, weniger gut seine Helferin (Hilde Rössel-Majdan).

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 24. September

Der Aufführung stand am Pult Günther Wich vor. Der junge Dirigent vermochte es zwar nicht, im Vorspiel zu überzeugen, und auch während des ersten Aktes geriet vieles zu dick, manches kostbare Detail ging in den Klangwogen unter, doch erzielte er bereits im zweiten Akt weitaus bessere Wirkung. Das Vorspiel zum dritten Akt gelang eindrucksvoll und von da ab wußte er sich bis zu einem durchaus schönen Finale zu steigern. Keine einheitliche Leistung also, aber es will uns doch scheinen, daß von allen Debütanten, die offiziell (und inoffiziell) hier am Pult, im Hinblick auf den unbesetzten Posten des Hausdirigenten, ihre Visitenkarte abgeben, Herr Wich uns vielversprechender erschien als manch anderer. Der ihm gezollte Beifall war auch dementsprechend herzlich.

Überhaupt bevölkerte ein sehr begeisterungsfähiges Publikum an diesem Abend das Haus, das die Solisten mit spontanem Beifall bedachte, der künstlerisch nicht immer in allen Belangen voll verdient war. Wolfgang Windgassen erfreute uns mit einer sehr schönen Schusterstube und einem ausgezeichneten Preislied, bis dahin aber sparte er mit den stimmlichen Mitteln und blieb im ersten Akt, der ja auch vom Orchester her zu laut geriet, streckenweise kaum hörbar. Ebenso Irmgard Seefried, die mit ein paar schönen Phrasen damit versöhnte, daß an anderen Stellen keine Linie zu Gehör kam, die einzelnen Töne wie aufgespießt wirkten, leider! Aber immerhin, es war noch immer ein Evchen mit Niveau. Karl Dönch, dezenter als ehedem, wird wohl immer unzureichend bleiben für jene, die auch nur einmal Karl Schmitt-Walter in dieser Partie erlebten, doch wäre es nicht gerecht, ihm das anzulasten, er bemühte sich jedenfalls. Es bemühten sich auch Hans Braun als Kothner, und es ist traurig zu hören, wohin es mit dieser ehedem so vielversprechenden Stimme gekommen ist. Jean Madeiras Magdalene fiel im ersten Akt unangenehm auf, später schien auch bei ihr der Wille vorzuherrschen, sich im Sinne der Partie zusammenzunehmen. Murray Dickie als liebenswerter David hatte mit stimmlichen Handicaps zu kämpfen. Untadelig Walter Kreppel als Pogner und an letzter Stelle genannt, aber weitaus bester Mann auf dem Feld Otto Wiener als Sachs.

ANDREA CHÉNIER am 25. September

Carlo Bergonzi sang einen ausgezeichneten Andrea Chénier. Mit seiner schönen Stimme bewältigte er die Partie mühelos und hatte sowohl Kraft als auch Poesie. Wenn er auch kein großartiger Darsteller ist, ist er doch ein großartiger Sänger, den man immer wieder mit Vergnügen hört. Antonietta Stella, sehr zurückhaltend und nobel im Spiel, war ihm – vor allem im Schlußduett – eine ebenbürtige Partnerin. Hingegen machte Ettore Bastianini einen sehr müden Eindruck, und die Stimme klang nicht so makellos schön wie sonst (bereits im September?). In den Nebenrollen boten wieder Elisabeth Höngen als Gräfin und die mit großem Beifall bedachte Hilde Konetzni die besten Leistungen. Fausto Cleva leitete die Aufführung diesmal exakter, aber ohne besondere Höhepunkte zu erreichen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 26. September

Es ist etwas Besonders um Chef-Vorstellungen. Gut ist Herbert von Karajan ja immer, aber manchmal hat er noch einen ganz besonderen Tag, da reißt er alles mit. Aus der Alltagsroutine wird nach einer gewissen. Anlaufzeit im erstem Akt plötzlich Brillanz, und auch die Sänger, die nicht bestens disponiert sind oder die, die langsam und bequem vor sich hingesungen hätten, statt sich mit dem Tollen Tag zu strapazieren, halten dann plötzlich mit. Das Grafenpaar war bei Elisabeth Schwarzkopf und Eberhard Wächter in guten und bewährten Händen. Frau Schwarzkopf brauchte allerdings auch eine Anlaufzeit. „Porgi amor" war noch nicht wie sonst, sie steigerte, sich aber zu einem herrlichen „Dove sono" und Briefduett. Herr Wächter ist ein Conte vom Scheitel bis zur Sohle, seine Stimme wird in der Mittellage jetzt langsam dunkler und immer schöner und kräftiger. Da kam das Dienerpaar nicht mehr ganz mit, obwohl Erich Kunz ab „Non piu andrai" sehr gut sang (bei der ersten Arie hatte er Schwierigkeiten mit der Höhe); Irmgard Seefried, die sich, abgesehen von einer krassen Blödelei im vierten Akt, bei der ihr Erich Kunz wacker assistierte, größter Zurückhaltung befleißigte, aber die exponierten Höhen nicht bewältigte. Sehr schön sang sie hingegen die Rosenarie. Aber beide Künstler hielten Niveau. Giulietta Simionato sang sich mit der ersten Cherubinoarie erst ein, legte die zweite jedoch prächtig hin. In Phrasierung und stilistischer Hinsicht bietet sie Feinheiten, die man vor ihr überhaupt noch nie gehört hat. Auch im Spiel ist sie liebenswürdig und lausbubenhaft. In den Nebenrollen hörte man Hilde Rössel-Majdan, Oskar Czerwenka, Peter Klein, Ljubomir Pantscheff und Erich Majkut, alle nicht überwältigend.

Als besonders erheiternd empfanden wir, daß Herr Wächter seinem Kollegen Erich Majkut im dritten Akt die Show stahl. Herr Majkut pflegt sich nämlich bei der Stelle „sua madre" entsetzt auf den Sessel fallen zu lassen und hat damit einen sicheren Lacher. Eberhard Wächter ließ sich nun seinerseits bei der gleiche Stelle auf seinen Schreibtischsessel fallen, sodaß er den Lacher hatte und Majkut gänzlich übersehen wurde. Meister Rennert wird sich allerdings über solche Änderungen seiner Regie kaum freuen.

TURANDOT am 27. September

In dieser Aufführung stellte sich Nikola Nikolov von der Bulgarischen Nationaloper als Kalaf vor. Das Positivum seiner Leistung war ein hohes C und die schön gesungene Arie „Nessun dorma". Alles, was sonst noch in dieser Partie drinnen steckt, blieb er uns schuldig, mußte es schuldig bleiben, da die Stimme noch ausgesprochenes Rohmaterial ist und einer soliden technischen Fundierung entbehrt. Nur jene Stellen, die auf Wirkung studiert waren – die typischen Paradestücke des Tenors, wie eben die Arie – hatten technische Ausgeglichenheit. Man kann nur hoffen, daß sich der Sänger nicht nur auf einige schön gesungene Reißer beschränkt, sondern im Laufe der Zeit – er scheint ja noch jung zu sein – auch die Ensembles mit Gewissenhaftigkeit erarbeitet. Derzeit gibt es noch viele Töne, vor allem in der Mittellage, die ein Einordnen in richtig und falsch unmöglich machen, da der Sänger mit der Stütze allzu sparsam umgeht. Hilde Güden sang eine zarte, lyrische Liu und fand für die beiden Arien rührend menschliche Töne. Auch war sie stimmlich bestens disponiert. Birgit Nilsson steigerte sich erst im dritten Akt zu ihrer gewohnten Form, vorher waren Schärfen in ihrer Stimme nicht zu überhören. Die übrige Besetzung bot guten Durchschnitt. Beim Chor merkte man, welch gute Arbeit Roberto Benaglio leistete. Trotz der unkorrekten, unsicheren Führung durch Fausto Cleva klangen die Chöre schön und sicher. Vom Orchester kann man Gleiches nicht sagen, es spielte so wie Cleva dirigierte: grob und poesielos. Die Ausnahme war Walter Baryllis Violinsolo bei der Liu-Szene, die sehr schön und innig gelang, beim Blech hingegen gab es Unfälle am laufenden Band.

Die Zischer, die Cleva (ebenso wie bei vielen anderen von ihm geleiteten Aufführungen) vor dem zweiten und dritten Akt begrüßten, hatten vollste Berechtigung.

BALLETTABEND am 28. September

TURANDOT am 29. September

An diesem Abend dirigierte ebenfalls Fausto Cleva, wobei es im ersten Akt etwas bunt zuging. Im zweiten Akt verbesserte er sich jedoch und machte eine Ministerszene, die sogar Beifall erntete. Im übrigen ging wohl wenig von ihm aus, er verdarb aber auch nichts – beim zweiten Mal klappte es eben etwas besser. Birgit Nilsson sang an diesem Abend eine phänomenale Turandot, mit Stimmglanz und blitzenden Spitzentönen. Hilde Güden zeigte Kunst des Gesanges in reinster Vollendung, und zwischen beiden wirkte Nikola Nikolov wie ein erratischer Block. Er hat zwar genug Stimme für zwei Tenöre und einen Bariton, ließ auch einige Bombentöne vom Stapel (eingelegtes C im zweiten Akt – seit Roswaenges Zeiten nicht mehr gehört, und auch von diesem nach einem Schmiß im Jahre 1949 nicht mehr gesungen), aber dann blieb vieles im Halse stecken und rauh und unausgeglichen. Außerdem wirkt er auf der Bühne unbeholfen. Die Qualitäten, die einen Usunow so mitreißend machen (wie natürliches Stilgefühl, Intensität und Ausdrucksvermögen) fehlen im durchaus. Es kann allerdings auch sein, daß er durch die Gewalt seiner Stimme das Auditorium von den Sitzen bläst, wenn er seinen Tag hat. Diese Tage sind aber erfahrungsgemäß bei Naturstimmen selten. Wie schon erwähnt, wächst das Ministertrio immer mehr zusammen und war ganz ausgezeichnet: Kostas Paskalis, Murray Dickie und Ermanno Lorenzi. Nicola Zaccaria, Peter Klein und Alois Pernerstorfer sangen die kleinen Partien ausgezeichnet.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 30. September

Den Abschluß des Monats bildete ein Triumphabend italienischen Startheaters, wie es schöner und besser als Antwort auf Gemecker und Gehetze nicht gedacht werden kann und wie er glänzender die derzeitige Politik der Oper auf dem italienischen Sektor rechtfertigt. Hier gab es kein müdes eigenes Ensemble mehr, durch einen Star mehr oder minder aufgeputzt, hier gab es die phänomenale Theaterform „Starensemble" zu bewundern, was ein jubelndes Publikum freudig tat. Carlo Bergonzi, der schon viele schöne Leistungen geboten hatte, übertraf sich an diesem Abend selbst – er hatte nach der Arie einen Jubelsturm, wie wir ihn selten erlebten. Antonietta Stella sang eine prächtige Leonora, Giulietta Simionato ihre einmalige Preziosilla und Ettore Bastianini steigerte sich im Laufe des Abends zusehends – er hat also zum Abschluß sein Formtief schnell noch überwunden, und wir freuen uns auf die Wiederkehr. Karl Dönch (als Melitone) und Tugomir Franc (als Marchese di Calatrava) standen natürlich nicht entfernt auf dem Niveau ihrer Starkollegen – kann man ja auch nicht verlangen. Hingegen war Nicola Zaccaria als Pater Guardian überraschenderweise sehr gut. Am Pult stand Wilhelm Loibner, der in keiner Hinsicht auffiel und wenig Eigenes beitrug, allerdings aber auch nicht störte. Mit einem Karajan am Pult – Reminiszenzen an Mitropoulos sind ja leider sinnlos – wäre diese Vorstellung ein glanzvolles Fest geworden. Aber unsere Stars rissen auch so das Eisen aus dem Feuer.

 

Also sprach Dr. Viktor Reimann ...

Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 10

Er sprach ehedem recht viel im Nationalrat, als er noch Vertreter der VDU-Fraktion war, und es gibt demnach Protokolle, in denen nachzulesen sehr illustrierend wirkt.

Danach jedoch wurde Dr. Viktor Reimann Presse-Chef der Bundestheaterverwaltung, und sobald Amt und Würde ihn ehrfurchtgebietend umhüllten, klang manches ganz anders als man es vor Tische gelesen hatte. Was der zum Pressechef arrivierte VDU-Abgeordnete nunmehr zu sagen wußte, wurde auch mit Druckerschwärze verewigt und in einem Beilageblatt der Wiener Zeitung beigefügt. Die Wiener Zeitung gilt hierorts als amtlich, und daher waren – so vermuten wir wenigstens – so manch blühende Irrtümer und Unrichtigkeiten, die mit erfrischender Unbekümmertheit darin aufschienen, amtlich. So weit die Chronik. Ob der Umstand dieser kleinen Blamage zur Einstellung des Wochenbeilage-Blättchens und später zur Entlassung des Pressechefs führten, entzieht sich unserer Kenntnis. Sollte dies jedoch der Fall gewesen sein, wunderte uns dies sehr, in dem Wissen, daß Beamtenirrtümer in Österreich nicht so tragisch genommen werden. Vielleicht also waren es interne Vorgänge, die des Pressechefs Abgang bestimmten, vielleicht betrachtete er selbst seine Tätigkeit als vollendet und abgetan, nachdem sie ihm die Möglichkeit geboten hatte, seine Nase nachhaltig in dienstliche Unterlagen und Korrespondenzen zu stecken. Dies hat natürlich nichts mit jener bekannten Erscheinung zu tun, daß Dienstmädchen an den Türen der Herrschaft horchen und dann das Erlauschte dem Milchmann und dem Greißler ins Ohr flüstern, nein, hier kann nur von dem heiligen Eifer eines seiner Verantwortung bewußten Mannes geredet werden, der wußte, was er sich selbst und seiner hohen Aufgabe schuldig ist.

Als Dr. Reimann den Sessel der Bundestheaterverwaltung für seinen Nachfolger freimachte, fühlte er sich seiner hohen Verpflichtung, für das Wohl des Wiener Opernlebens Wache zu schieben, keineswegs entbunden. Und so ging er hin und sprach! Dieses Sprechen soll nun das sensationell angekündigte Buch: „Dirigenten, Stars und Bürokraten" dokumentieren, das bis jetzt noch nicht auf dem Markt erschienen ist, jedoch auszugsweise in einem Wiener Boulevardblatt veröffentlicht wurde.

Mißliebige Zeitgenossen meinten hierzu, dies gleiche dem Verhalten eines entlassenen Lehrbuben, der seine Firma nachträglich zu diskreditieren versuche. Doch uns liegt es natürlich fern, einen ehemaligen Nationalrat und späteren Pressechef als Ladenschwengel zu bezeichnen, eine solche Beleidigung weisen wir zurück, auch wenn wir ein wenig erstaunt feststellen mußten, daß im Hans Deutsch-Verlag, der für die Herausgabe dieses Buches verantwortlich zeichnet, sich an leitender Stelle noch eine andere Persönlichkeit befindet, die gleichfalls ehedem die Bundestheaterverwaltung ihren Brötchengeber nannte: nämlich Hofrat Dr. Friedrich Schreyvogel. Doch sei hier vor übereilten Schlüssen gewarnt. Die Welt ist groß und bunt, und es häufen sich in ihr die merkwürdigsten Zufälligkeiten, die rein gar nichts zu bedeuten haben.

Soweit wir feststellen konnten, was Dr. Viktor Reimann nun jüngst „sprach", so konnten wir nicht viel umwerfend Neues dabei entdecken. Wie gesagt, so weit dies bisher bekannt ist.

Wir entnehmen über Budgetfragen und die „Italianisierung" und den angeblichen Stagionebetrieb soviel Wiedergekäutes, daß wir vor Langweile ins Gähnen kommen und zu müde sind, von Neuem unsere wieder und wieder gemachten Richtigstellungen zu wiederholen.

Wir entnehmen daraus nur, daß Herbert von Karajan abendliches Dirigierhonorar von Schilling 15 000 so billig ist, daß seine Bescheidenheit ihn zum schlechten Kaufmann stempelt, und sinnen darüber nach, um wieviel tüchtiger im künstlerischen Erwerb sich die Skandal-Barbara-Valentin, die Romy, der Jürgens und die Sophia usw. erweisen.

Wir entnehmen daraus, daß Herr Dr. Reimann zu lange im Nationalrat geschlafen – pardon – geredet hat, um mitzubekommen, daß das Operntheater von heute und die Ensemble-Bildung anderen Gesetzen unterworfen sind wie in den berühmten dreißiger Jahren und daß es dem Verfasser entgangen ist, daß sich seine Publikation trotz des anklägerischen Untertons und der gewollten Verurteilung des Opernchefs ins Gegenteil verkehrt und sich eher zum Hohelied für Karajans Leistung als künstlerischer Leiter auswirkt.

Wir entnehmen ferner daraus, daß Herr Dr. Viktor Reimann eine Rehabilitierung des Operndirektors Karl Böhm versuchte, dabei aber leichtsinnig dessen Aussprüche: „Ich denke nicht daran, meine persönliche Karriere der Staatsoper Wien zu opfern...", zitiert. Wir können ihm dazu versichern, daß auf Grund einer solchen Äußerung jeder Operndirektor in Wien gestürzt würde – täte er eine solche!

Und wir dürfen Herrn Reimann mitteilen, daß dieses „Stürzen" in einem solchen Fall keiner „Verschwörung" amtlicher Stellen bedürfte, noch bedurft hat. Dafür sorgt ganz allein jenes Publikum, das der Verfasser als eine „Art Teenager der Oper" bezeichnet, und dessen Urteil er so sehr verdammt. Aber dieses Publikum, Herr Reimann, lebt und wird auch dann noch leben, wenn Sie sich schon lange totgeredet haben.

Dieses Publikum tobt in demonstrativer Begeisterung nun Abend für Abend, wenn Karajan ans Pult tritt. Diesen Jubel verdankt der Chef auch Ihnen! Sie dürfen dies als Ihren Erfolg verbuchen!

Und dieses Publikum fragt sich lächelnd: „Ja, wer kommt denn da?", wenn es den EXPRESS liest, nachdem es das gesamte Opus selbst noch nicht studieren kann.

Also sprechen Sie weiter, Herr Dr. Reimann! In Österreich kann man ja ruhig darüber reden, deshalb bekommt die Welt noch lange kein Loch und das Wiener Opernpublikum keinen Stoß. Und das Vertrauen in die Sauberkeit und Integrität von Leuten, die glauben, der Öffentlichkeit etwas zu sagen zu haben, ist sosehr leidgeprüft, daß es auf eine Belastung mehr oder weniger nicht mehr ankommt. Und was in unserem Austria felix alles möglich ist, ist zwar wunderlich, „doch weiß es, doch weiß es die Welt!"

 

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