DER OKTOBER 1961
6. Jahrgang, Heft 11
DER ALTE STURM, DIE ALTE MÜH…
Man könnte fast dasselbe Resümee diesem Monatsbericht vorausstellen, wie dem des September. Zusätzlich jedoch sind wir diesmal böse, man könnte auch sagen enragiert, wobei das Fremdwort vielleicht noch besser den Seelenzustand der „Merke" ausdrückt, die eben dreißig Vorstellungen des Monats besuchen mußten, wahrlich allzu selten zu ihrem Genuß. Darüber hinaus haben wir schon oft betont, daß in unserem Blatt bewußt geschrieben wird, wie das Stammpublikum urteilt und redet. Den Großteil davon sieht sich die Redaktion ohnedies in mildere und salonfähigere Töne umzusetzen gezwungen, da wir sonst vor den Kadi zitiert würden, denn nicht alle Wahrheiten dürfen bekanntlich vor dem Gesetz unverblümt geäußert werden, was aus Gründen des gesellschaftlichen Strukturwesens eines Staates notwendig ist. Dennoch werfen uns auch dann die Betroffenen einen aggressiven Ton vor, seltsamerweise jedoch nur jene, die sich auf den Schlips getreten fühlend. Solange es nur andere betrifft, gefällt ihnen jeder Verriß gar sehr. Nun liegt es gar nicht in unserer Absicht, Verrisse zu produzieren, sehr viel liegt uns unverbesserlichen Idealisten an Fortgang und Geltung unseres Opernlebens. Jene, die an uns herumnörgeln, sollten uns erst beweisen, was sie selbst an unbesoldetem Interesse für das Haus zu tun und zu leisten willens sind!
Da hat Herr von Karajan für Wien die italienische Oper gerettet, unbekümmert um das Geschrei der Presse und anderer Mißgünstiger. Wir haben jedes Mal frohen Herzens beigestimmt. Und was geschieht jetzt? Jetzt wird das deutsche Fach in einem Ausmaß vernachlässigt, daß es anmutet, als würde Karajans Mitarbeiterstab – wobei wir überzeugt sind, daß es sich dabei nicht um böswillige Sabotage, sondern um Unbetamtheit handelt – nichts anderes zu tun habe, als des Chefs Leistung möglichst rasch ad absurdum zu führen und dem feindlichen Blätterwaldgeheul Nahrung geben zu wollen.
Der neue Betriebsleiter, Albert Moser, fühlt sich dem Vernehmen nach an den Problemen nicht schuldig und stellt fest, daß man ihn zuerst arbeiten lassen sollte, und nicht bereits nach zwei Monaten schon über ihn herfallen. Nun dazu haben wir zu sagen, daß wir Herrn Hosen ein gerüttelt Maß an Sympathien entgegenbrachten und noch immer entgegenbringen, erschien doch bei seiner Wahl die Sicherheit gegeben, daß er nicht zu jenen zählt, die dem Chef in den Rücken fallen. Seinem Wirken sahen wir daher freudig entgegen, und was das Arbeiten betrifft: Herr Moser ist nicht erst seit 1. September 1961 in der Oper, wenn auch erst bestellt im Amte. Herr Moser hatte weitaus länger als ein Jahr seinen Sitz in den Direktionsräumen und ist mit den Belangen des Hauses daher von Grund auf vertraut. Wir geben allerdings zu, daß durch das Sparprogramm das Leben nicht leicht ist. Der Bühnenarbeiterstreik ist derzeit ein sehr schwieriges Problem, und wir bilden uns nicht ein, daß etwa Herr Moser ihn steuern könnte. Weiters ist klar, daß Verträge, die er nicht abgeschlossen hat, ihn in seiner Arbeit belasten. Es gilt also, die Handicaps zu überbrücken, zu lockern und zu mildern. Dazu gehört Phantasie, Idealismus, viel guter Wille und fachliches Können. Dies alles trauen wir Herrn Moser – wir betonen dies ausdrücklich – zu, doch machte er bisher wenig Gebrauch davon. Dadurch wird nach wie vor der Eindruck erweckt, daß während der Abwesenheit des Chefs eben nichts geschieht, so wie dies bisher der Fall war, ohne Herrn Mosers Wirken und Zutun.
Es bleibt uns also demnach nichts anderes übrig, als einen SOS-Ruf an den Chef persönlich loszulassen. Wozu Karajan dann allerdings Mitarbeiter braucht, wenn er selbst sich um alles kümmern soll, ist nicht ganz klar.
ARIADNE AUF NAXOS am 1. Oktober
Der Monat begann dem Programm nach mit einem Leckerbissen für Feinschmecker. Daß daraus keine Feinheit wurde, ist dem Umstand zuzuschreiben, daß man mit der musikalischen Leitung Wilhelm Loibner betraute, der korrepetitorenhaft begleitete. Die Partitur wurde in eine Einheitsform gedrängt. Dabei hatte er eine gute Titelrollenträgerin in Hildegard Hillebrecht zur Verfügung. Die Künstlerin verfügt über eine reizvolle, dunkle Stimme, die besonders in der Mittellage und Tiefe sehr ausdrucksstark ist. Die Höhe besitzt nur in den Fortetönen dieselbe Qualität wie in den anderen Lagen. Die Piani dagegen fallen in jeder Lage etwas ab, sie wirken stumpf und entbehren der Leichtigkeit. Dabei gab sich die Künstlerin alle Mühe, die Partie äußerst kultiviert vorzutragen. In der Darstellung bewies sie solides Ausdrucksvermögen, ohne jedoch persönlichkeitsstark zu wirken. Den Bacchus sang Ivo Zidek, ebenfalls sich sehr um die Rolle bemühend. Seine schöne Phrasierung und seine Musikalität konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Stimme zu wenig Metall für den Gott besitzt. Ariadne und Bacchus standen außerdem im Schatten der Zerbinetta von Ruth-Margaret Pütz, die nicht nur die Fäden des Spiels zu spinnen, sondern auch das Publikum zu fesseln wußte. Die sehr hübsche Künstlerin gab mit ihrem so leicht ins Ohr gehenden, oft schwebend wirkenden Sopran ein Feuerwerk von Koloraturperlen zum besten. Mit Frau Pütz ist ein deutscher Koloratursopran gefunden, der würdig die große Tradition berühmter Wiener Zerbinettas fortsetzt. Umgeben war sie von einem soliden, aber keineswegs aufregend wirkenden Männerquartett, das Erich Kunz als Harlekin mit Routine anführte. Immerhin waren die Herren trotz mancher Einwände besser als das Damenterzett (Ruthilde Boesch, Anny Felbermayer und Hilde Rössel-Majdan), wobei wir betonen möchten, daß die beiden letzteren sich gegen die Schrille und nicht einwandfreie Interpretation von Frau Boesch nicht entfalten konnten. Die beiden Hauptrollenträger des Vorspiels waren mit Alfred Poell als Musiklehrer und Irmgard Seefried als Komponist besetzt. Während Alfred Poell eine liebenswürdige und menschliche Haltung der Idealvorstellung des Musiklehrers sehr nahe kam – er befand sich in ausgezeichneter stimmlicher Disposition – übertrug leider Frau Seefried die Rolle des Komponisten ins Osborn’sche Milieu. Veranlaßt, die derzeit stimmlich nicht gute Verfassung zu kaschieren, war sie als Komponist ein zorniger junger Mann unserer Generation, der bei jeder ihm nicht zusagenden Gelegenheit mit dem Fuß stampfte und mit geballten Fäusten Protest erhob. Wenn der Widerwille in ihrer Darstellung auch dem Dirigenten Loibner gegolten haben sollte, dann allerdings können wir ihre neue Rollenauffassung verstehen.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 2. Oktober
Spezifisch österreichisch war diese Aufführung besetzt. Auf der Bühne stand kein Italiener und kein Star, an der Spitze des Orchesters kein Pultvirtuose mit berühmtem Namen, ja noch mehr, es wurde deutsch gesungen, und man mußte annehmen, daß nun das ausverkaufte Haus endlich seinen angeblichen Wünschen entsprechend in Jubelstürme ausbrechen würde. Nichts dergleichen geschah. Man fadisierte sich, raschelte mit dem Zuckerlpapier und war froh darüber, daß sich endlich der Schlußvorhang senkte. Was war der Grund für diese Lustlosigkeit des Publikums? Ganz einfach zu erklären. Die „breite Masse" des Publikums durch Schallplatten, Rundfunk und Fernsehen nicht ahnungslos, hört eben mit anderen Ohren als vor zwanzig Jahren. Es hörte eben auch, daß Waldemar Kmentts Stimme sehr belegt und müde klang, es hörte auch, daß Oskar Czerwenka die stimmliche Kraft für den Kezal fehlt (Georg Hann-Platten spielt man fast täglich im Rundfunk), und es hörte auch, daß Gerda Scheyrers lyrische Stimme nicht zu oft über das Orchester hinauskam – nicht ihre Schuld zwar, sie kann’s auch anders, aber Ernst Märzendorfers harte, abgehackte Interpretation des Werkes stand in krassem Widerspruch zu Frau Scheyrers Sopran. Übrigens schien an diesem Abend das mährische Musikantentum in preußische Nähe verpflanzt worden zu sein, wobei allerdings die preußische Genauigkeit dem Dirigenten fehlte (Sextett). Dabei ist Herr Märzendorfer gar kein Preuße, sondern Österreicher, der sich vieler einflußreicher Förderer erfreut. Berlin erneuerte seinen Vertrag allerdings nicht, aber vielleicht hat er dafür in Wien eine Chance, wodurch das spezifische Gewicht der Oper, wie es sich Viktor Reimann vorstellt, Gestalt bekommen würde. Es gab zwei Vorhänge nach dem ersten und mit Ach und Krach vier nach dem letzten Akt. Nicht nur die Braut wurde verkauft, sondern viel schlechter noch das spezifisch österreichische Ensemblegut, dem es nicht gelang, ein vollbesetztes Haus dem Dahinschlummern zu entreißen.
DON CARLOS am 3. und 12. Oktober
Bei teilweise gleicher Besetzung lagen die Hauptunterschiede vor allem bei den Dirigenten. Bot Berislav Klobucar am 12. eine gewohnt solide (zwar musikalische, aber nicht sehr differenzierte) Wiedergabe, so zeigte am 3.10. Nello Santi, was in der Partitur alles enthalten ist. Santi hat sich jetzt an das Wiener Haus so gewöhnt, daß er alles richtig dosieren kann. Die Philharmoniker spüren, daß hier ein Könner dirigiert und folgen willig, die Sänger können sicher sein, daß sie alle Einsätze genau bekommen und alles geschieht für das Werk. Flaviano Labo sang beide Male den Carlos. Stimmlich hervorragend, schauspielerisch aber sehr zurückhaltend, dies aber durch sehr große Intensität ausgleichend. (Man müßte ihn mit einem guten Regisseur arbeiten lassen. Sänger, die viel gastieren, sind schauspielerisch meist auf sich allein gestellt, sodaß sie hier nur selten auch ganz überzeugend sein können.) Eberhard Wächter gab dem Posa alles: er sang einfach wunderbar – im Vergleich zu Labos an den jungen Svanholm erinnernde harte Technik, hat seine Stimme ideale Belcantoschulung – baute die Partie glaubwürdig auf und vertrat mit einer auf der Opernbühne seltenen Überzeugung die Idee der Gedankenfreiheit. Dieser Posa bekam die in der Oper verloren gegangene Schiller’schen Züge wieder. Walter Kreppels Philipp ist herrlich gesungen (in der italienischen Sprache ist die Stimme noch schöner als im deutschen Fach), bemühte sich um ein Rollenkonzept, ist aber in manchem noch nicht jener Philipp, selbst in der Unbeherrschtheit beherrscht, in der Schwäche noch Fürst, der er sein soll. Antonietta Stella sang die Elisabeth sehr schön – sie ist derzeit in prächtiger Stimmverfassung – nur fehlt manchmal in der Darstellung das gewisse Etwas, das mit dieser Elisabeth mitleiden läßt, die Menschlichkeit (wie es z.B. Sena Jurinac so überzeugend besitzt) kommt noch einen Grad zu kurz. Frederick Guthrie war ein beiden Abenden der durchschnittliche Karl V.
In der ersten Aufführung sang Giulietta Simionato, Gott sei Dank wieder in gewohnter Verfassung, die Eboli – vielleicht die beste, die sie in Wien je gesungen hat. Blendend bei Stimme, darstellerisch einmalig. Man glaubt ihr die Eboli, glaubt ihr Liebe, Haß, Verzweiflung, Reue, glaubt ihr das zwielichtige Spiel an Spaniens Hof. Da hatte es Biserka Cvejic am 12. schwer. Nachdem das maurische Lied etwas schwerfällig ausgefallen war, sang sie jedoch eine schöne große Arie. Der Rolle bleibt sie noch sehr viel schuldig. Sie ist viel zu liebenswürdig und viel zu harmlos, um diese femme fatale glaubhaft machen zu können. Bei den Großinquisitoren Nicola Zaccaria (3.) und Ludwig Welter (12.) fällt die Wahl des besseren schwer. Zaccarias spröde Stimme ist zwar für den uralten Inquisitor ganz gut geeignet, aber es fehlt ihm an Persönlichkeit (was ein Priester im Alter des „ombra di samuele" haben müßte, sonst wäre er schon in Pension). Welter gab anfangs sehr viel Stimme, leider aber so unkontrolliert, daß er nach kurzer Zeit die Beherrschung über sein Organ verlor und etliche Kickser produzierte. Auch ihm mangelt es an Persönlichkeit für den Kirchenfürsten. Aber dies waren eigentlich die einzigen Minuspunkte der sonst ausgezeichneten, begeistert aufgenommenen Aufführungen.
SALOME am 4. Oktober
Das mit großen Vorschußlorbeeren angekündigte Wiener Debüt von Hilde Zadek in der Titelrolle verlief haargenau so, wie der versierte Kenner der Wiener Oper und seines Ensembles es sich vorgestellt hatte. Und auch die Kritik nahm überraschenderweise zur Kenntnis, daß für eine gute, vielseitig verwendbare Repertoiresängerin wie Frau Zadek doch irgendwo einmal Endstation ist. Stimmlich war sie so wie immer. Sie kann ihre Rollen, hat sie sorgsam studiert, die Phrasierung ist durchdacht, sie singt nie falsch, sie „schmeißt" fast nie (außer Nil-Arien C’s, aber das tun auch Berühmtheiten). Wenn es aber dramatisch wird oder die Lage zu hoch, muß sie sich plagen, und es liegt an der Tagesverfassung, ob sie mehr oder weniger Erfolg damit hat. Das alles ist im Falle Salome uninteressant – Hilde Zadek sah beim Erscheinen auf der Bühne in einem rosenholz-türkis kombinierten Kostüm und roter Perücke sogar sehr gut aus, ließ aber von Anfang an eine Linie und ein Konzept vermissen. Hilde Zadek garnierte ihren Gesang mit ein paar weitausholenden Handbewegungen und blieb bis zur Mitte der Oper indifferent. Böse wurde es erst beim Tanz. Späterhin versuchte sie allerdings, die Getriebene, Begehrende, von einem inneren Feuer Verzehrte zu spielen, was gerade bei ihr sehr unglaubwürdig wirkt, und so geriet das Spiel mit dem blutigen Haupte teils peinlich, teils sogar komisch. Es gibt zwar kaum eine Salome, aber das ist auch keine Lösung. Da war Gerhard Stolze, der seinen ersten Herodes sang, aus anderem Holz geschnitzt. Grell war er und hart, ihm glaubte man Triebhaftigkeit, Modrigkeit, gewisse manisch-depressive Anfälle, die Geilheit und die Gier, Angst und Komplexe. Es war wieder eine von Stolzes Glanzleistungen – beim Tanz ihn anzusehen, war weit interessanter als der Tanz selbst. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Vorgang, der gar nicht stattfand. Und in dieser Rolle endlich einmal eine junge, kräftige, sicher und überlegen geführte Stimme zu hören, war eine wahre Wohltat. Auch Otto Wieners Jochanaan hatte Klasse. Das helle, gerade Timbre der Stimme paßt gut zum unbeirrbaren Propheten, die Darstellung war intelligent und wohltuend sparsam, die Höhenlagen der Partie wurden gewohnt souverän gemeistert. Besonders erwähnenswert ist noch, daß man jedes Wort in oder auf der Zisterne verstand, was bei einem Jochanaan sehr selten der Fall war, sowie das eigene Kostüm, das weit besser am Platz war als die Felle manch anderer Propheten. Das Judenquintett (Murray Dickie, Peter Klein, Fritz Sperlbauer, Kurt Equiluz, Ludwig Welter) und die Nazarener (Walter Kreppel und Hans Braun) hatten geradezu eine Luxusbesetzung zu bieten, die dementsprechend gut war. Die Soldaten fielen ab. Jean Madeira verblaßt darstellerisch völlig. Daß sie stimmlich wenig zu bieten hat, ist nicht mehr unbekannt. Anton Dermota und Margareta Sjöstedt waren gute Vertreter ihrer Rollen. Am Pult stand Ernst Märzendorfer, der diesmal weniger unangenehm auffiel.
TURANDOT am 5. Oktober
Berislav Klobucar leitete die Aufführung nach Überwindung gewisser Schwimmereien im ersten Akt laut, aber schwungvoll. Amy Shuard, die Vertreterin der Titelrolle, gehört zur neuen Welle englischer Sänger, die sich anschicken, internationale Karriere zu machen. Sie hat die Stimme für die Turandot und Stehvermögen, Kraft, Glanz und Ausdauer und bewies darüber hinaus, soweit das bei der Partie möglich ist, Verständnis für die Gegebenheiten der Bühne. Übrigens ist festzustellen, daß sie – besonders im dritten Akt – weicher, fast italienischer sang als die stählerne Nilsson, was ja einer doch immerhin italienischen Rolle – wenn sie auch nie von Italiens Primadonnen gesungen wird – nicht unbedingt zum Nachteil gereicht. Ihr Kalaf war Flaviano Labo, der unitalienischte aller italienischen Tenöre von Klasse: Labo der Schlanke, Svanholm-Ähnliche mit dem ernsten Wesen, der absoluten Gewissenhaftigkeit, der starken, geraden, metallischen Stimme und einem gewissen Mangel an Reißertum, was man gerade beim Kalaf merkt. Ein Kalaf muß entweder ein ganz großer Künstler sein oder aber sich gut verkaufen – sonst wirkt er trotz allen Könnens etwas blaß, so wie eben Signore Labo. Hilde Güdens Liu ist zauberhaft und innig gesungen und gespielt. Vater Timur war diesmal bei Frederick Guthrie in guten Händen – er ist in dieser Rolle stimmlich und darstellerisch wie aus einem Guß (warum nur in dieser?). Das Ministerterzett Kostas Paskalis, Murray Dickie und Ermanno Lorenzi bereitet jetzt ungetrübtes Vergnügen – ein paar Proben mehr hätten sicher genügt, um es schon bei der Premiere so gut hinzukriegen.
FIDELIO am 6. Oktober
Eine Überraschung im angenehmen Sinn bescherte uns Berislav Klobucar, der für eine schwungvolle und differenzierte Wiedergabe des Werkes sorgte. Das gut spielende Orchester bot unter ihm soviel für den Zuhörer, daß man darob auf manche Schwächen der Solisten vergaß. Gertrude Grob-Prandl sprang liebeswürdigerweise für Hilde Zadek ein. Darüber war man eigentlich erfreut, denn das stimmliche Kaliber von Grob-Prandl ist von Natur aus geeigneter für diese Rolle als das von Frau Zadek. Sie hatte zwar nicht ihren besten Tag, zu oft wurden die Höhen angepeilt, manches zuwenig nuanciert gesungen, aber der Gesamteindruck war dennoch nicht negativ. Als Florestan hörte man Wilhelm Ernest als Gast. Seine etwas stumpf klingende Stimme entbehrt des heldischen Glanzes, dennoch muß gesagt werden, daß er seine große Arie sauber vortrug, nur schien diese über seine Kräfte zu gehen, denn bei der „Namenlosen Freude" konnte er sich nicht mehr durchsetzen und im Finale war er kaum noch zu hören. Gutes Niveau hatte Otto Wieners Pizarro, dieser Künstler bringt zu jedem seiner Abende ein gewisses Format mit, leider dürfte in letzter Zeit die Schlagkraft seines Organes in der Höhe etwas verloren haben. Otto Edelmann hat ein eigenes Gfrett mit der Stimme, für den Rocco fehlt es ihm an Tiefe und für die Baritonpartien an Höhe, die Mittellage ist seine Stärke und die wußte er im Rahmen der Roccopartitur auch zu nützen. Mit jungen Kräften waren der Jacquino (Kurt Equiluz) und die Marzelline (Lotte Rysanek) besetzt. Equiluz sang sauber und brav, fast oratorienhaft die Partie, Frau Rysanek schenkte ihre schöne Bühnenerscheinung der Kerkermeisterstochter. Schade, daß man bei ihr nie das Empfinden hat, sie singe mit Gefühl. Frederick Guthrie ergänzte das Ensemble, das eine brave Durchschnittsleistung bot, welche allerdings durch eine gute orchestrale Leistung wohl fundiert wurde.
TOSCA am 7. Oktober
Angesetzt war ursprünglich Carmen, die aus nicht näher von der Direktion erklärten Gründen gegen eine Tosca ausgetauscht wurde. Auf dem Programm stand in der Folge dann als Titelheldin eine italienische Sängerin, die dann aus ebenfalls unerklärlichen Gründen „verlorenging". Die tatsächliche Aufführung brachte schließlich Hilde Zadek, Gianni Raimondi und Giuseppe Taddei in den Hauptrollen auf die Bühne. Allerdings hätte sich allein Taddeis wegen der Besuch der Vorstellung gelohnt. Er kam zurück, als wäre er erst gestern fortgegangen, er wurde mit Auftrittsapplaus begrüßt und später so herzlich gefeiert, daß dies der Treue des Wiener Publikums zur Ehre gereicht, das Künstler, die ihm einmal gefallen haben, nicht vergißt. Darüber hinaus rechtfertigte seine Leistung als Scarpia nicht nur Begrüßungs- und Sympathiekundgebungen, sondern hohe Anerkennung. Daß Giuseppe Taddei ein großer Künstler ist, wußten wir (keiner der Stammbesucher hat seinen Rigoletto im Theater an der Wien vergessen). Die Frage war nur, wie es noch um seine stimmlichen Mitteln bestellt sei. Nun, Taddei war gesanglich wie darstellerisch ein imposanter Scarpia, zudem ein solch persönlichkeitsstarker, wie ihn außer Tito Gobbi und Hans Hotter kaum jemand auf die Bühne stellen kann. Und dabei völlig anders. Dieser Scarpia ist ein Gewalttäter, ein Sadist, der zur Macht kam und nun die Möglichkeiten hat, seine Instinkte auszutoben, ein Despot mit Killerinstinkt, eiskalt und berechnend, selbst noch im Zorn. Und Taddei hat die Fähigkeit, das ohne Übertreibung auszudrücken, und die Gestaltungskraft, das kalte Grauen, Haß und Ekel fühlbar zu machen, die er Tosca einflößt. Dadurch wird die Handlung überspitzter Dramatik enthoben, psychologisch fundiert und bis ins Letzte untermauert. Leider stand ihm in Hilde Zadek keine Darstellerin gegenüber, die ihm einen Widerpart geben und dies ebenfalls ausspielen hätte können. Zudem hatte die Sängerin noch einen schwarzen Tag, wie gleich zwei Schmisse im ersten Akt bezeugten, während das Gebet recht schön gelang und auch das C im dritten Akt einwandfrei da war. Aber da waren leider auch die exaltierten und schon öfter angekreideten Ausbrüche und – es fehlte eben die Diva. Imponierend ist die durchschlagskräftige Stimme von Gianni Raimondi. Er sang ein blendendes „Vittoria", hat eine bestechende Höhe, allerdings ohne von „di Stefano-Feinheiten“ gekrönt zu werden. Aber wer vermöchte das schon? Von den Comprimarii hat sich Ludwig Welter als Mesner diesmal einen Tadel verdient. Teils blieb er unhörbar, teils korrigierte er Puccinis Melodien – so bequem ist auch eine kleine Partie an der Staatsoper nicht zu singen, und wir bitten um mehr Respekt vor Werk und Publikum. Berislav Klobucar am Pult war im 1. Akt etwas klobig und klebrig, im 2. zu laut und im 3. erst richtig in Form. Immerhin, es soll an dieser Stelle einmal ausgesprochen werden: das Niveau eines Fausto Cleva und eines Erich Leinsdorf, die an der Met groß angeschrieben glänzen, hat unser Klobucar schon lange, wenn auch die Wiener Tagespresse lieber einen Kotau vor Namen macht, als Leistungen sachlich und gerecht zu beurteilen.
DER ROSENKAVALIER am 8. Oktober
Einen Rosenkavalier im Alltagsgewand gab es an diesem Abend. Heinrich Hollreiser dirigierte routiniert und gewandt, immerhin die große Linie eines Konzepts im Auge behaltend. Die Konversationsstellen des zweiten Aktes hätten prägnanter dargebracht werden können, aber im allgemeinen bot er eine zufriedenstellende Leistung. Das gleiche gilt auch für Hilde Zadek als Marschallin. An einigen Stellen zwar machte sich die Überforderung der einige Tage zuvor gesungenen Salome und der Tosca durch strapazierte Töne bemerkbar. Irmgard Seefried verkörperte den Oktavian zurückhaltender in der Darstellung als sonst und war in stimmlicher Hinsicht zufriedenstellend. Die Anstrengungen der Höhe vergaß man bei der breit dahinströmenden Mittellage. Wilma Lipp hat als Sophie das wienerische gewisse Etwas; ihr heller Sopran entfaltete sich prächtig mit jener spezifischen Süße, die einem Idealfall gleichkommt. Timbremäßig nicht ganz glücklich paßten die Stimmen von Frau Lipp und Frau Seefried bei der Rosenüberreichung zueinander. Es wollte sich kein richtiger Kontrast in der Stimmschattierung einstellen. Otto Edelmann ist derzeit als Ochs der weitaus beste Vertreter der Rolle. Alfred Poell schenkte seine ganze sympathische Ausstrahlung dem Faninal. Nach längerer Zeit sang Georgine Milinkovic die Annina, sie tat dies mit Temperament, augenrollend, intrigenspinnend und war sehr spaßhaft. Der schwache Punkt des Abends blieb eigentlich Anton Dermota als Sänger, doch das soll an einer gesundheitliche Krise des Sängers liegen (Dermota sagte alle weiteren Abende dieses Monats und die November-Verpflichtungen im Konzertsaal bereits ab). Nehmt alles nur in allem, es war ein typischer Repertoireabend, der für das verwöhnte Wiener Publikum keinen besonderen Reiz bildete, aber dennoch ein gewisses Niveau hatte, um die uns andere Bühnen und Auditorien beneiden und das leider innerhalb des Monats Oktober allzuoft unterboten wurde.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 9. Oktober
Dieser Abend wurde zum ausgesprochenen Glücksfall, und zu einem unerwarteten dazu. Repertoireoper an einem Montag, in einer schon abgespielten Inszenierung, die plötzlich festlichen Anstrich erhält, gehört zu den seltenen Überraschungen. Den Belmonte sang Gerhard Stolze und er sang ihn großartig, mit geradezu überspitzten Feinheiten ausgestattet, mit schwebendem Ton und überzüchteten Piani, überlegen, raffiniert, ganz auf Wirkung bedacht, ein Kabinettstück für verwöhnte Ohren. Ruth-Margaret Pütz erfaßte und spürte sofort, wie ihr Partner seine Partie angelegt hatte, und glich sich mit bewundernswertem Einfühlungsvermögen an. Und siehe da, die Glanzleistung wirkte ansteckend. Liselotte Maikl, die in Darstellung und Erscheinung gewiß keine Idealbesetzung des Blondchens bedeutet, bewies ihre hohe Musikalität ebenso wie Murray Dickie, der beste Tagesform zeigte. Unterstützt durch Ludwig Welter als Osmin erklangen mit einem Mal so fein abgestimmt Ensembles, daß der Zuhörer aus dem Schwelgen und Staunen nicht herauskam. Dazu waren die Philharmoniker in Geberlaune und bescherten dem Publikum einen Mozart, wie man ihn eben nur in Wien und Salzburg hören kann. Lovro von Matacic am Pult leitete mit fühlbarer Begeisterung die beste Entführung, die wir bislang von ihm zu Gehör bekamen. Die Vorstellung wurde mit viel Applaus bedankt.
MADAMA BUTTERFLY am 10. Oktober
Nello Santi hat gegenüber seinen ersten Vorstellungen in Wien ungemein gewonnen. Er ist den Sängern gegenüber weit mehr Kavalier als früher, lange nicht mehr so laut, und so kam es im Verein mit seiner wirklich enormen Werkkenntnis und seinen Qualitäten als Musiker und in technischer Hinsicht zu einer schönen, blühenden und schwelgerischen Aufführung wie dieser Butterfly. Das Schwimmen der Cho-Cho-San beim Auftritt konnte auch er nicht verhindern, aber wir haben den starken Verdacht, daß trotz aller technischen Einrichtungen des Hauses der Auftritt durch die in den diversen Gassen wachenden Subdirigenten vermasselt wird. Antonietta Stella sag die Titelrolle mit dem ihr eigenen Können und viel Einsatz. Statt der genauen Beobachtung japanischer Sitten und Gebräuche hätten wir uns allerdings etwas mehr Emotion gewünscht. Doch immerhin ist ihre Butterfly in stimmlicher und darstellerischer Hinsicht eine sehr schöne Leistung. Gianni Raimondi ist mit seiner kräftigen, hellen Trompetenstimme ein willkommener Zuwachs unserer Hausitaliener. Da er auch in Phrasierung und Ausdruck seit der unglückseligen Traviata nicht unwesentlich zugelernt hat, bereitet er obendrein nicht mehr nur in rein materialmäßiger Hinsicht Vergnügen, wie seinerzeit beim Rigoletto. Der schwarzlockige, sympathische Tenor inspizierte sein Blütenreich genau und sorgsam (sogar in die Zisterne guckte er) und brillierte im übrigen mit knallig-glänzenden Spitzentönen, an denen sich Frau Stella gelegentlich nicht ungern anhielt. Eberhard Wächter erschien in Anthony-Eden-Maske und war ein Konsul mit Würde und Persönlichkeit. Unter den Comprimarii wetteiferten Dagmar Hermann (Suzuki), Franz Bierbach (Onkel Bonze) und Erich Majkut (Goro) um den Titel des schlechtesten.
FIDELIO am 11. Oktober
Eine große Lustlosigkeit der Orchestermitglieder und des Dirigenten Heinrich Hollreiser verdarben den Abend. Man ratschte den Fidelio pflichtgemäß herunter, und dabei wird das Werk, das ohnehin meist als Lückenbüßer verwendet wird, zu Tode gerädert. Ein wenig mehr Liebe sollte von der Direktion der deutschen Oper entgegengebracht werden. Die Hilde Zadek-Festwochen fanden ihre Fortsetzung. Man gab ihr die Leonore, eine Rolle, für die die Sängerin keine Voraussetzungen mitbringt. Die Stimme entbehrt der dazu nötigen Dramatik und ist außerdem durch die zahlreichen schweren Partien der letzten Zeit sehr, sehr überbeansprucht. Die Höhenlage hat ein Flackern bekommen, und man sieht förmlich die Qualen, die exponierte Töne Frau Zadek bereiten. Qualen erleidet dabei auch der Zuhörer, doch dieser findet ja nicht die Berücksichtigung der Direktion. Warum auch? Die Wiener Oper ist ohnehin täglich ausverkauft. Sicher stimmt das, aber Wiens Opernfreunde bleiben solchen Festivals fern. Dafür fehlt dann die Stimmung im Opernhaus. Kommt überhaupt ein Beifall des dahindösenden Publikums zustande, dann an einer Stelle, bei der die Ahnungslosigkeit der Anwesenden Triumphe feiert. Auf Grund der Besetzung des Pizarro mit dem neuengagierten Rudolf Knoll hat man das Gefühl, daß die deutsche Oper derzeit an der Wiener Staatsoper nur mehr mit musikalischen Kräften besetzt wird. Wie im Falle von Hilde Zadek kann man nämlich aus Rudolf Knoll größte Musikalität nicht absprechen. Die Stimme des Sängers ist aber viel zu klein für den Pizarro, sie würde eventuell ausgezeichnet für eine Nebenrolle, wie den Gärtner in Figaros Hochzeit reichen. Er ist ein Charakter-Bariton, doch keineswegs ein Heldenbariton. Ruth-Margaret Pütz mußte die Marzelline singen und konnte nicht viel mit dieser Partie anfangen. Oskar Czerwenka übernahm den Rocco und hatte seinen größten Ausbruch in der Prosastelle „...den Minister hinaufbegleiten". Ansonsten sang er ziemlich ausdruckslos und wirkte farblos. Kein Wunder, daß ihn die Met nachdieser Partie nicht mehr über den großen Teich berief. Hans Braun war noch ausdrucksärmer als sein Vorgänger Frederick Guthrie (Minister) und das muß man erst gehört haben, um es überhaupt verstehen zu können. Ein Abend, an dem man sauer wurde, umso mehr, als mit Ernst Kozub als Florestan der stimmgewaltigste Sänger auf der Bühne stand. Dabei war er in dieser Vorstellung nicht so groß in Form wie bei seinem vergangenen Gastspiel. Nach einer diesmal nicht so überwältigenden Arie (die Legato-Stellen bereiteten ihm viel Mühe), war er erst bei der „Namenlosen Freude" im Vollbesitz seiner kräftigen, baritonal gefärbten Stimme, deren Höhe leuchtende Kraft enthält. Immerhin genügte sie, um seine Wiener Kollegen zu distanzieren. Dies stimmte uns sehr nachdenklich und unterstrich unsere Theorie, wie vieles im deutschen Sektor unserer Oper faul ist.
DON CARLOS am 12. Oktober
wurde mit der Aufführung am 3. Oktober besprochen.
BALLETTABEND am 13. Oktober
TURANDOT am 14. Oktober
Diese Aufführung besuchten wir mit großer Neugierde: Miltiades Caridis trat sein Informationsgastspiel als Dirigent an. Der junge Kapellmeister verriet Können trotz mancher Unebenheiten besonders im ersten Akt, in dem der Kontakt mit Bühne und Orchester sehr wackelte. Immerhin trat er mit einem Konzept an, welches er zu verwirklichen gedachte. Schade, daß er dabei mit dem Kopf durch die Wand rennen wollte. So zum Beispiel war er bei der ersten Liu-Arie ständig einen halben Takt mit Lotte Rysanek auseinander, er wollte sie zum Tempo zwingen, sie wollte nicht nachgeben und das Ergebnis daraus mußte der Hörer konsumieren. Herr Caridis muß sich daran gewöhnen, daß der Operndirigent ein Freund und Helfer der Sänger sein soll, etwas weniger Sturheit wäre dem Werke zu Gute gekommen, oder? Bei den dramatischen Szene wußte er mehr zu überzeugen, als in den lyrischen, hier imponierte er durch seine Einsätze und richtige Abstufung des Orchesters, während er, unserer Meinung nach, zu wenig Gefühl für die Lyrismen der Partitur übrig hatte. Mit Amy Shuard stand wieder die gute Turandot auf der Bühne. Mit Flaviano Labo kam ein etwas klein geratener, aber sehr sympathischer Bewerber als Kalaf auf die Bretter. Für eine schauspielerische Erfassung der Rolle dürfte der Sänger keine Zeit verwandt haben, denn er stand meist unbeholfen auf der Bühne, schritt ein wenig auf und ab und erst bei seinen exponierten Lagen trat er an die Rampe, um diese Hochtöne effektvoll ins Publikum zu schleudern. Nach einem etwas unpersönlich gesungenen „Non piangere Liu" verbesserte er sich zusehends. Seiner dunkel gefärbten Stimme sind kraftvolle Höhen aufgesetzt, die auch die für diese Rolle nötige Schlagkraft besitzen. Lotte Rysanek sang die Liu mit einigen raffinierten Piano-Tönen. Schade, daß der gekonnte Vortrag der beiden Arien keine Wärme und keine Anteilnahme zu wecken vermochte. Frederick Guthrie sang den Timur mit mehr Ausdruck als sein Vorgänger, vielleicht paßt auch das weiche Timbre des Sängers für diese Partie besser. Ausgezeichnet wieder das Ministerterzett (Kostas Paskalis, Murray Dickie und Ermanno Lorenzi).
MADAME BUTTERFLY am 15. Oktober
Ganz zufrieden und glücklich darüber, daß es endlich wieder einen Repertoireabend gab, wie er sein sollte, nämlich der Würde der Staatsoper Wien entsprechend, verließ man das Haus. Der einzige Wermutstropfen bestand darin, daß es neuerlich eine italienische Oper war, die dem Stammbesucher stolzes Gefühl verlieh. Antonietta Stella in der Titelrolle befand sich in ausgezeichneter Form, die herrlich abgerundete Stimme schien ausgeruht, die Phrasierung war gekonnt und die Höhen kamen sauber und intonationsrein an. Kein einziger forcierter Ton störte an diesem Abend die Gesangslinie. Gianni Raimondi bedeutete als Pinkerton die Ursache des großen Glücks der kleinen, armen Butterfly. Der Tenor, dessen Stärke in der metallischen oberen Stimmhälfte liegt, sang mit Begeisterung einen unwiderstehlichen Herzensbrecher, und diese Begeisterung wirkte ansteckend. Wiens Opernpublikum zeigte sich über diese impulsive Art des Singens, wobei jede Fermate so lang wie möglich ausgenützt wird, sehr beeindruckt. Der Dritte im Bundes der Hauptdarsteller war Giuseppe Taddei als Sharpless. Er wußte die Pointen des Konsuls persönlichkeitsstark zu setzen. Weiters verbuchte er ein großes Plus damit, daß seine Erscheinung ungemein sympathisch wirkte. Die wenigen Stellen, die ihm zu hoch liegen, kaschierte er mit bewundernswerter Intelligenz. Nello Santi gefiel uns ganz ausgezeichnet, er hatte das Orchester fest in der Hand, zwang zuerst die anfangs unsicher wirkenden Herren Raimondi und Taddei zu richtigen Einsätzen und dämpfte vorbildlich das Orchester zugunsten der Sänger ab. Er ließ die lyrischen Stellen der Partitur ausschwingen und gab den Fermaten der Solisten genügend Raum.
FIDELIO am 16. Oktober
unter Miltiades Caridis mit Gertrude Grob-Prandl, Hans Beirer und Otto Wiener als Pizarro war eine geschlossene Vorstellung
LA BOHEME am 17. Oktober
Wieder ein Puccini unter Nello Santi und wieder ein ganz vorzüglicher. Das Stück saß fast wie geprobt und hatte Charme, Stimmung und Schwung. Antonietta Stella und Flaviano Labo waren das Liebespaar des Abends und sie waren, das muß gleich festgestellt werden, nicht ganz ehrlich. (Es ist peinlich, wenn etliche Orchestermusiker plötzlich zu hoch spielen, weil sie offenbar nicht ganz mitgekommen sind!) In stilistischer Hinsicht sangen sie jedoch außerordentlich gut und schön, die Phrasierung war bei beiden gut und auch darstellerisch wußten sie ihren Rollen Gewicht zu geben. Giuseppe Taddei, der erste Wiener Hausitaliener noch aus der Zeit, als das Repertoire des Theaters an der Wien internationales Niveau hatte, was sich später, nicht zuletzt durch die Wiedereinführung rein deutschen Singens, bald gab, ist ein Marcello mit Persönlichkeit, Charme und einer breiten Stimme. Lotte Rysanek bringt für die Musetta zwei Voraussetzungen mit und zwar genügend Stimme und genügend Höhe. Sie müßte also in keiner Hinsicht forcieren, was sie aber in der exponierten Lage merkwürdigerweise dennoch tut. Immerhin war sie besser als die meisten ihrer Vorgängerinnen und da sie sich darstellerisch auch gut hielt und sich vor Billigkeiten hütete, kann diese Besetzung als geglückt bezeichnet werden. Ludwig Welter (gut) und Hans Braun (weniger gut) vervollständigten das Boheme-Quartett, während Peter Klein und Laszlo Szemere, die in ihren Rollen blendend waren, unverständlicherweise durch Hugo Meyer-Welfing und Franz Bierbach ersetzt wurden. Franz Bierbach im besonderen scheint seine diesjährigen Abende in vier Monaten abbiegen zu wollen, so oft wird er uns beschert.
DIE WALKÜRE am 18. Oktober
Dieser Wagnerabend wurde nicht zum ungetrübten Genuß, nur stückweise fühlte sich der Zuhörer wirklich angesprochen und gefesselt. Dies war beispielsweise bei Wotans Abschied der Fall, bei einigen Stellen Brünnhildens, dort eben, wo Martha Mödl nicht mit ihrer krisenhaften Verfassung zu kämpfen hatte. Auch Hilde Zadek wies bei der Sieglinde diesmal im ersten Akt einige gute Momente auf, gleich ihr Hans Beirer (Siegmund), der seine Heldentenorstimme bewies und kaum, daß man sich darüber freute, im nächsten Moment schon eine Enttäuschung bereit hatte. „Des Speeres Spitze" von Otto Wiener blieb diesmal fast unhörbar, Ira Malaniuk gestaltete die Fricka intelligent, war gesanglich aber auch schon besser als an diesem Abend. Berislav Klobucar am Pult, der zwei Akte lang unterschiedliche Leistungen bot, erfreute im dritten Akt, um die aufkeimende Zustimmung mit einem keineswegs subtilen Feuerzauber wieder zu dämpfen. Das Publikum wurde also mit Kalt- und Warmduschen durch die Interpretation eines Wagnerabends geschleust, der jeder Mittelbühne zur Ehre des Repertoirealltages gereicht hätte. Für Wien ist das zu wenig.
MADAME BUTTERFLY am 19. Oktober
Auch mit der Wiederholung des Pucciniwerkes in einem nur viertägigen Abstand war das Publikum hochzufrieden. Die Hauptrolle war mit Sena Jurinac besetzt, dadurch trat die Gefühlswelt der Butterfly sogleich in den Mittelpunkt, und die Gestaltung erhielt eine besondere Note. Sena Jurinac vermochte mit ihrerer Cho-Cho-San wie schon so oft das Publikum zum Miterleben zu zwingen. Da gab es keine falsche Geste, keinen unecht wirkenden Augenblick, da hatte man einfach das Schicksal der verlassenen Frau vor Augen. In gesanglicher Hinsicht klang die Stimme in den beiden ersten Akten etwas strapaziert – unter anderem sang sie nach einem kurzen Zögern den Auftritt hinunter – doch dann schenkte sie uns einen dritten Akt, der in helle Begeisterung versetzte. Gianni Raimondis todsichere Höhe als Pinkerton scheint beim Schlußduett beruhigend auf die Nerven seiner Partnerinnen gewirkt zu haben: wie vorher Antonietta Stella, so sang auch Sena Jurinac diese exponierte Höhe sicher und glanzvoll. In Giuseppe Taddei fand man einen Sharpless, der voll Bewunderung für seine Partnerin war. Beim Zusammenspiel im zweiten Akt glaubte man das Schlagen der Herzen der beider zu verspüren. Man vergaß, daß sie auf der Opernbühne Rollen verkörperten. Hilde Rössel-Majdan als Suzuki war ebenfalls von großer Menschlichkeit und Erich Majkuts Timbre kann gar nicht unedel genug sein, um für den charakterlosen Goro nicht zu passen. Wieder stand Nello Santi mit großem Können am Pult.
ARIADNE AUF NAXOS am 20. Oktober
In der zweiten Ariadne des Monats traten die Schwächen Wilhelm Loibners noch mehr zu Tage als zu Monatsbeginn. Diesmal kam er auf der Insel ins Rennen und war nicht mehr aufzuhalten. Quick-Quicker-Quickest. Ariadne, Bacchus und die sie umgebenden Damen hatten nichts zu lachen. Diesmal war die öde Insel das Domizil von Christl Goltz, einer sehr geschätzten Künstlerin, die auch in besseren stimmlichen Tagen ihre Schwierigkeiten mit der Ariadne hatte. Im Mittelpunkt des Abends stand die Zerbinetta Eva-Maria Rogners, die keineswegs von Natur aus mit einer so schönen Stimme wie Ruth-Margaret Pütz gesegnet ist. Ihre Stimme klingt zuweilen hart, dennoch war sie mit Abstand die Beste des Abends. Alles, was sie tat, war gekonnt, verriet solides Können und Einsatzbereitschaft. Eine Talentprobe auch der weitere Gast: Ernst Kozub. Zwar war das „Circe, Circe" schwer hörbar, doch nach einer gewissen Anlaufzeit protzte er mit seinem prächtigen Material, das tatsächlich viel verspricht. Große Unruhe löste Ruthilde Boesch durch unreine Intonation und Schrillheit aus. Man muß die Frau eines Dirigenten sein, um in solcher Verfassung an der Staatsoper und in Japan singen zu können. Daß sie hingegen im Fernsehen öffentlich erklärte, es sei ihr Geburtsfehler, daß sie in Wien zur Welt kam, sei hier am Rande vermerkt. Wer in dieser Ariadne war, bedarf dazu keines weiteren Kommentars. Dadurch kamen natürlich auch ihre beiden Kolleginnen Gerda Scheyrer, die sehr beflissen über die Bühne huschte, und Ira Malaniuk, deren dunkler Mezzo schön aufleuchtete, um ihre Wirkung. Erich Kunz bewältigte die Partie des Harlekin mit seiner Intelligenz; wie er sich hindurchschwindelt, verdient Anerkennung. Im Vorspiel wußte wieder Alfred Poell zu gefallen, der seine Noblesse dem Musiklehrer schenken konnte. Irmgard Seefried schien nicht gut disponiert zu sein, denn auch die ansonst schöne Mittellage klang unrein. Erfreulich war, daß sie diesmal auf Osbornsche Züge verzichtete. Indiskutabel wirkte leider Hugo Meyer-Welfing als Tanzmeister. Von einer Strauss-Pflege ist derzeit an der Staatsoper keine Rede. Auch diesmal waren, im Großen und Ganzen gesehen, die beiden Gäste den einheimischen Ensemblemitgliedern überlegen. Das sollte die Herren der Direktion zum Nachdenken veranlassen.
TURANDOT am 21. Oktober
Diese Aufführung hinterließ sehr gemischte Eindrücke. Amy Shuard sang wieder mit schöner Stimme und sicherer Höhe die Titelrolle. Leider war es um die Besetzung der übrigen Partien nicht so gut bestellt. Flaviano Labo als Kalaf konnte diesmal nicht sehr zufriedenstellen. Er ließ stimmlich und ausdrucksmäßig sehr zu wünschen übrig. Es fehlten die Glanzlichter, die eine Leistung erst interessant und mitreißend machen. Aber er sang den Kalaf immerhin so, daß man sagen kann, er verdarb nichts. Von Emmy Loose kann man das leider nicht behaupten. Eine solche Fehlbesetzung dürfte nicht vorkommen, und es wäre allerhöchste Zeit, daß eine unserer Nachwuchssängerinnen die Partie übernimmt, wenn gerade keine Spitzenkraft zur Verfügung steht. Man tut Emmy Loose gewiß nichts gutes, wenn man ihr eine Rolle zumutet, der sie stimmlich nicht gewachsen ist und die ihr auch sonst überhaupt nicht liegt. Von den Nebenrollen ist nichts Neues zu berichten. Am Pult waltete Berislav Klobucar, manchmal sehr laut, nicht immer erfolgreich in seiner Bestrebung, Orchester, Chor und Bühnenmusik in Einklang zu bringen.
ELEKTRA am 22. Oktober
Unter Berislav Klobucar, der zum ersten Mal an der Wiener Oper die Elektra leitete, feierte Kammersängerin Rosette Anday ihr vierzigjähriges Bühnenjubiläum. Sie stand im Mittelpunkt zahlreicher Ehrungen, die Bühne war voll von Blumen und Alt und Jung jubelten ihr zu, denn auch die jüngere Generation wußte der Künstlerin Anerkennung zu zollen. Die physische und künstlerische Leistung, der restlose Einsatz von Rosette Anday erweckte große Bewunderung. Schließlich lebt die mündliche Überlieferung unserer vorhergegangenen Operngeneration in uns weiter und so konnten wir uns ein Bild machen, welch herrliche Abende Frau Anday dem Wiener Opernpublikum einmal geschenkt hat. Wir fanden es auch von unseren Philharmonikern rührend, daß sie am Ende der Vorstellung auf ihren Sitzen blieben und der großen und der Wiener Oper in Treue ergebenen Künstlerin zuapplaudierten. Die hörbare Liebe, mit der sie bei der Klytämnestra-Szene spielten, bewies uns, daß Rosette Anday auch beim Orchester hoch im Kurs steht. Wien dankte für ihre Treue. Publikum, Orchester und Kollegen, die auf der Bühne durch Christl Goltz (Elektra), Hilde Zadek (Chrysothemis), Otto Wiener (Orest) und Gerhard Stolze (Aegisth) in den tragenden Rollen vertreten waren, sprachen aus vollem Herzen den Dank aus, den die Beamtenschaft und Direktion beschämender Weise vergaß. Generalsekretär Moser und Bundestheaterchef Dr. Haertl blieben versteinert auf ihren Sitzen und fanden es nicht der Mühe wert, die Abschiedsworte von Frau Anday zu beantworten. Wir wußten, daß den Herren des Hauses das Publikum ziemlich egal ist, hin und wieder jedoch erweckt es den Anschein, daß ihnen auch die eigenen Künstler ebensowenig bedeuten.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 23. Oktober
Nello Santi leitete eine sehr saubere, musikalisch gut differenzierte Aufführung, die auch in den stimmlichen Leistungen ausgeglichen hohes Niveau zeigte. Hervorragend Antonietta Stellas Leonore und James McCrackens Alvaro, beide stimmlich und ausdrucksmäßig ausgezeichnet, desgleichen Walter Kreppel, der den Pater Guardian immer noch schöner singt. Kostas Paskalis als Carlos sang schön, dosierte seine Stimme aber sehr vorsichtig. Er hielt die Partie sehr gut durch – die Arie „Urna fatale" war ausgezeichnet – und konnte auch darstellerisch überzeugen. Bewundernswert, wie der junge Sänger sich neben seinen routinierten Kollegen behaupten konnte. Biserka Cvejic sang und spielte die Preziosilla mit viel Ambition. An der mit viel Beifall aufgenommenen Aufführung verwunderte bloß, daß der Zwischenvorhang kein einziges Mal zu sehen war. Wurde er nur vergessen oder zwecks Schonung der Bühnenarbeiter geopfert.
AIDA am 24. Oktober
Amy Shuard konnte ihren Turandot-Erfolg als Aida wiederholen und erweitern. Bei der Aida konnte man solide Technik und ausgezeichnete Phrasierung feststellen, gutes Piano und überlegenes Spiel. Man vermerkte erstaunt, daß Mrs. Shuard in ihrer Leistung sehr gleichmäßig ist. Beachtlich! Eine engere Bindung der Sängerin an Wien wäre ziemlich nötig. Biserka Cvejic sang wieder ihre Amneris mit bewährter Güte. So triumphierten die Damen bei weitem über Radames, der mit Nikola Nikolov besetzt war. Das urwüchsige, baritonale Material, das manchmal mit riesigen Spitzentönen geziert ist, wird sehr rauh behandelt, es kommt auch nicht alles so, wie es sein soll. Das b der „Celeste" schien nicht aus dem Mund und nicht aus der Nase, sondern eher aus den Ohren zu kommen. Wir glauben, daß wir es verlernt haben, uns an derart unkultivierten Naturstimmen zu erfreuen. Wozu also? Giuseppe Taddei kam als Amonasro zögernden Schritts und lauernden Blicks auf die Bühne, und man könnte meinen, er sei seit 1948 nie weggewesen. Als er allerdings zu singen anfing, merkte man es doch, denn gemessen an einem Protti erscheint die Stimme, die uns im Theater an der Wien immer so riesig vorgekommen war, klein. Allerdings singt er genau so wie damals, mit breiter Mittellage und ziemlich nasaler Höhe, mit prächtiger Phrasierung und viel Ausdruck. Walter Kreppel und Alois Pernerstorfer waren die Bässe des Abends, den Nello Santi leitete, mit einigen Temposchwankungen, einem krassen Mißverständnis mit Amy Shuard während der ersten Aida-Arie, aber mit viel schönen Stellen und dramatischem Aufbau. Es fehlte nur die letzte Ausgeglichenheit, die er in letzter Zeit schon gehabt hat.
BALLETTABEND am 25. Oktober
DON GIOVANNI am 26. Oktober
Wilhelm Loibners saft-und kraftlose und noch dazu äußerst unsaubere musikalische Leitung war fast erschreckend – wenn das Orchester einmal den Einsatz von "keine Ruh bei Tag und Nacht" verhaut, sieht es schon böse aus. Man sollte höherenorts vielleicht doch die Güte haben und sich neben Heinz Wallberg noch einen anderen Dirigenten von Format für das deutsche Fach verpflichten. Die Ansprüche von Rudolf Kempe und André Clytens müssen (in bezug auf Gagen, Proben und Premieren) eben erfüllt werden, da hilft kein Weinen und kein Klagen. Es ist klar, daß einen Dirigenten von Rang eine verschlampte Repertoireaufführung nicht interessieren kann. Chor, Orchester und Sänger streiken doch noch nicht, oder? Könnte man nicht die Zeit, in der man wegen der Techniker nicht auf die Bühne kann, zum musikalischen Aufpolieren verwenden, statt die Wiener Oper auf ihrem ureigensten Gebiet, nämlich Mozart und Strauss (mit Wagner plagten wir uns ja immer) hoffnungs- und planlos dahinvegetieren zu lassen? Es ist doch schade um die Sänger, um Eberhard Wächter wenigstens, der sich durch nichts davon abbringen läßt, ein erstklassiger Don Giovanni zu sein. Er ist immer da, spielt immer mit, ist immer in Spannung und singt prächtig. Nur mit dem eingelegten A tut er sich, da die Stimme dunkler und voller wird, nicht mehr ganz leicht. Gottlob Frick mit seinem gewaltig orgelnden Komtur und Gerda Scheyrer kamen ihm am nächsten. Gerda Scheyrer als Donna Anna ist eine Sängerin mit Geschmack, Kultur und schöner, beherrschter Stimme, die Ensembles (Maskenterzett) profitieren von ihrer Gesangslinie, die zweite Arie gelang sehr gut, bei der ersten mußte sie allerdings auf die Stimme drücken, wobei diese etwas an Klang verliert. Mimi Coertse sollte die Elvira besser lassen. Sie weiß genau, daß ihre Stimme grell und scharf wird, wenn sie draufhaut. Aber bei der Elvira mußte sie das, da die Stimme von Natur aus viel zu dünn ist. So markierte Frau Coertse sich durch die halbe Partie. Von Spiel oder einer Rollenauffassung ist keine Spur zu merken. Die Wiener Presse verteilt sehr leichtsinnig gute Zensuren für mäßige Leistungen. Emmy Loose ist als Zerlina ebenfalls kein reines Vergnügen mehr, obzwar sie sich das soubrettenhafte Zappeln doch etwas abgewöhnt hat. Daß sie versucht, das leichte Soubrettenstimmchen jetzt noch schnell auf lyrisch umzubiegen, hört man unschwer. Statt des offenbar ernstlich erkrankten Dermota sprang Juan Oncina als Don Ottavio ein, ein Sänger, der drei verschiedene Stimmen hat, wodurch jeder Ton anders als der vorhergehende klingt. Kommt ein Ton im Forte nicht, dann wird er Piano gesungen. Diese merkwürdige „Vickers"-Technik beherrscht er aber so virtuos, daß er damit die Mängel seines Materials doch ziemlich kaschiert. Musikalität, Fähigkeit zur Phrasenbildung und Stilgefühl sind vorhanden. Als Einspringer ist er also immerhin zu akzeptieren. Da sich Kostas Paskalis als Masetto verbessert hat, blieb es Erich Kunz diesmal vorbehalten, unehrenvoll als letzter genannt zu werden. Er blödelte derart, daß sogar während der Komturszene das ganze Haus lachte, und verwandelte somit die Bühne der Wiener Staatsoper zur Pawlatschen und das Dramma giocoso zur Posse. Wir gestehen allerdings widerwillig, einmal auch gelacht zu haben.
DIE WALKÜRE am 27. Oktober
Das Klagelied beginnt von neuem. Man weiß bereits seit langem, daß Hilde Zadeks Timbre sich wenig für die Sieglinde eignet und setzt sie trotzdem kontinuierlich an. Wir erlauben uns zu fragen, wo hier der üppige, blühende Klang der Stimme für die Sieglinde ist, ohne den die Rolle zu einer Randfigur degradiert wird. Wie sehr ein großer Teil des Publikums unserer Meinung ist, bewies die auffällige Demonstration vor dem Vorhang für Wolfgang Windgassen, mit dem ein Künstler auf der Bühne steht, der Wagnerformat besitzt. Auch ihn hatten wir schon in besserer Tagesverfassung gehört, doch sein großes Können, sein Wissen um die Wagnerhelden, sein diesmal mitreißender Vortrag, ließ die Tagesverfassung sekundär erscheinen. Welch ein Unterschied von zwei Wagnersängern. Gottlob Frick als unerreichter Hunding gab endlich wieder einmal seine Visitenkarte an der Wiener Oper ab. Den Wotan sang Otto Wiener. Er wußte geschickt die Zerrissenheit des Gottes in der Ruhelosigkeit der Darstellung auszudrücken. Von Natur nicht mit einer gottähnlichen Figur bedacht, ist dies die gescheiteste Auslegung. Nach gutem stimmlichen Beginn wirkte er etwas schwächer nach der großen Erzählung. Der Abschied gelang dann wieder stimmstärker. Schade, daß das Organ für den Wotan zu wenig dunkles Mark enthält. Sicherlich bietet der Künstler stets als Göttervater eine intelligente Leistung die befriedigt, aber nicht zündende Begeisterung hervorruft. Grace Hoffman war in ihren Forderungen als Fricka unerbittlich. Mit ihrer hellen, metallischen Stimme weiß sie vorzüglich die unerbittliche Gesetzhaftigkeit dieser Figur auszudrücken. Gertrude Grob-Prandls Brünnhilde leidet unter ihrer zuweilen grißgrämig wirkenden Mimik und ihrem nur aus Routine bestehendem Spiel, man muß ihr aber zugestehen, daß sie singen kann. Sie beherrscht die Walküren-Rufe (heutzutage fast ein Kuriosum), und ihre Stimme ist von der für eine Wagnerheroine nötigen Größe. Ihre Gesamtleistung löste großen Respekt aus. Berislav Klobucar als Dirigent ging vor allem im ersten Akt zu zaghaft zu Werke. Stellenweise ließ er dem Orchester zu freien Lauf, Dämpfung wäre mehr am Platz gewesen. Sicher hat der Dirigent noch seine liebe Mühe mit der Walküre, doch wird er in Graz noch viel nötige Routine erwerben.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 28. Oktober
Diesmal war Alberto Erede am Pult und bot eine recht matte Wiedergabe und befremdete durch starke Temposchwankungen. Außerdem hatte er am Konzertmeisterpult einen völlig unbekannten jungen Mann sitzen, dessen Violinsolo vor dem vierten Bild für alle Beteiligten zur harten Nervenprobe wurde. Große Aufmerksamkeit schenkte der Dirigent dem Staatsopernchor, der eine gute Leistung bot. Auf der Bühne dominierten abermals Antonietta Stella und James McCracken. Erfreulich, wie der Tenor jetzt die Partie mühelos durchsteht und sich immer mehr als großer Gewinn für die Wiener Oper erweist. Gut gesungen, allerdings persönlichkeitsarm Biserka Cvejic als Preziosilla. Weit weniger gefiel Karl Dönch als ungemein aufdringlicher Frau Melitone und Annemarie Ludwig, die in der kleinen Rolle der Zofe völlig farblos blieb. Ludwig Welter ist gut als Marchese di Calatrava. Den schwächsten Punkt der Aufführung bedeutete Oskar Czerwenka als Pater Guardian. Daß Herr Czerwenka selbst an seinem besten Abend kein guter Vertreter der seriösen Baßpartien ist, wissen alle, wahrscheinlich auch er selbst. Da er diesmal nicht gut disponiert war, erübrigt sich jede weitere Kritik. Neu war Giuseppe Taddei in der Partie des Carlos. Er enttäuschte diesmal und bot die bisher schwächste Leistung während seiner heurigen Wiener Tätigkeit. Die Rolle liegt ihm nicht, und dadurch wurden die stimmlichen Grenzen sowohl in der Höhe als in der Tiefe hörbar. So blieb dann auch seine „Ballade vom schwarzen Studenten" ohne jeden Widerhall und im Duett mit McCracken, der eine baritongefärbte kräftige Tenorstimme besitzt, blieb der Kontrast der beiden Stimmen zu wenig ausgeprägt.
DER ROSENKAVALIER am 29. Oktober
Die Rosenkavalier-Liebhaber kamen von vornherein nicht ins Haus, denn am Pult stand Hans Swarowsky. Die wenigen, die das Haus dennoch besuchten, waren zum Schluß entsetzt und einstimmig der Meinung, daß in orchestrale Hinsicht dies der schlechteste Rosenkavalier der letzten Jahre war – Antal Dorati dirigierte ja unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Herr Swarowsky schlug den ganzen Abend lang Takt, und die Wiener Philharmoniker setzten der Vorstellung selbst individuelle Lichter auf, die beim Dirigenten keinen Augenblick lang zum Durchbruch kamen. Besonders gut gelaunt waren die Klarinettisten, die im Finale des zweiten Aktes sich in die Ohren trillierten und andere Spasetteln trieben. Aber auch die anderen Orchestergruppen schien der Dirigent zu langweilen, daß sie ebenfalls mit netten Einlagen für den Hörer aufwarteten. Hat man jemals die Hornstelle im dritten Alt so vulgär gehört? Der Dirigent dürfte nach diesem Intermezzo kaum mehr die Berechtigung erhalten, an der Wiener Oper zu dirigieren. Doch wer weiß? Dr. Reimanns spezifisches Gewicht und die Kritik des Neuen Kuriers, die das meisterlich fand, findet vielleicht doch Abnehmer für ihren eigenartigen Kunstverstand. Auf der Bühne stand als Marschallin wieder Hilde Zadek, brav, gewissenhaft, larmoyant und mit ermüdeter Höhenlage. Die „silberne Rose" gelang ihr besser als sonst. Ludmilla Dvorakova wiederholte ihr Gastspiel als Oktavian. Es verstärkten sich dabei die Einwände gegen die künstlerische Leistung, doch sollte der Sängerin noch in einer anderen Rolle eine Chance gegeben werden. Anneliese Rothenberger, in der Darstellung etwas zu viel auf dem Sessel herumrutschend, zeigte mit Abstand die beste Leistung des Abends. Die großen Bögen bei der Rosenüberreichung sang sie technisch makellos, nur scheint das persönliche silberne Timbre dieser Stimme durch das Singen in großen Häusern gelitten zu haben. Otto Edelmann verfiel durch das praktische Nichtvorhandensein des Dirigenten in eine freiere Gesangsinterpretation, wodurch er manche Lacher auf sein Konto bringen konnte. Rudolf Knoll als Faninal wirkte tierisch ernst und viel zu jung, bald müde werdend beim Singen. Gerhard Stolze war ein vorzüglicher Valzacchi und Murray Dickie zog sich mit Anstand bei der Sängerarie aus der Affäre. Zwar klangen Stellen etwas hart, aber man sah ihm keine Anstrengungen an, höchstens Nervosität.
FIDELIO am 30. Oktober
Man wird bescheiden, ob man will oder nicht. In dieser Aufführung fühlte man sich durch zwei Gesangsleistungen für die lange Anwesenheit entschädigt. Wilma Lipp (Marzelline) war einfach prachtvoll, und man bedauert, daß die Marzelline einen so kleinen Part hat. Sie hatte berechtigt den größten Beifall nach ihrer Arie. Wolfgang Windgassen war der zweite Lichtblick der Aufführung. Er sang den Florestan mit heldischen Akzenten, vorbildlicher Phrasierung und mit jener Kultur, die man heutzutage bei Tenören meistens vermißt. Den beiden am nächsten kam Otto Wiener als deutlich singender Pizarro und Gerhard Stolze, der ihn an Wortdeutlichkeit nicht nachstand (Jacquino). Gertrude Grob-Prandl als Leonore sang diesmal etwas verwischt, natürlich die bombensicheren Höhen davon ausgenommen, sie sind ja ihre Stärke. Oskar Czerwenka und Frederick Guthrie gehören zu den Baßfavoriten der Presse, doch diese hat oft seltsame Ohren. Des einen Stimme klingt etwas hohl, des anderen Stimme viel zu weich, was sich bei Rocco und Minister deutlich auswirkt. Am Pult stand Ernst Märzendorfer und von ihm profitierte der Abend nichts. Der Kontakt zwischen Bühne und Orchester war keineswegs nietenfest.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 31. Oktober
Die beiden veristischen Opern beschlossen den Oktober. Wilhelm Loibner stand am Pult und bemühte sich, leider oft vergeblich, einen reibungslosen Ablauf des Abends zu gewährleisten. Dazu waren beide Werke eben schon zu lange nicht auf dem Programm gestanden. Das Orchester schien lustlos und spielte derb und ungenau, der Chor war unsicher und mancher Einsatz wurde verpaßt. Auch auf der Bühne gab es nicht viel Erfreuliches. Es schien lediglich in jeder der beiden Opern eine Leistung auf, die wirklich großartig war.
In der im Gesamten schwächeren Cavalleria war es Grace Hoffman als Santuzza. Die schauspielerisch zurückhaltende Künstlerin wußte ihre prachtvolle Stimme mit den leuchtenden Spitzentönen bestens einzusetzen und erwies sich so als die einzige Wiener Santuzza, die der Simionato nahekommt. Ihre darstellerische Leistung gefiel uns insofern, als sie weder das Hektische der Goltz, noch das Tränenreiche der Zadek noch das Unbeteiligtsein von Frau Grob-Prandl aufweist. Neben ihr fielen die beiden männlichen Partner völlig ab. Karl Terkal, der wieder beachtliches Material demonstrierte und an diesem Abend gut disponiert war, kann leider nie überzeugen, denn er singt völlig ausdruckslos. Außerdem ist er von einer derartigen schauspielerischen Unbeholfenheit, daß man ihm den Turiddu absolut nicht abnimmt. Als Alfio setzte man Hans Braun ein, der noch etwas besser war, als wir erwarteten. Schauspielerisch war auch er völlig unglaubhaft. Georgine Milinkovic (Mutter Lucia) und Gundula Janowitz, die diesmal etwas unsichere Lola, vervollständigten das Ensemble. Szenenbeifall gab’s überhaupt nicht und zum Schluß gerade noch einen vierten Vorhang.
Mehr Anklang fand der Bajazzo, in dem James McCracken als Canio eine überragende gesangliche Leistung bot. Erstaunlich ist die Weiterentwicklung dieses jungen Sängers und sein müheloses Durchhalten an jedem seiner Abende, was ihm vergangene Saison noch Schwierigkeiten machte. Wie gebannt ist man von seinen Spitzentönen, die wie Raketen ins Auditorium geschleudert werden. Darstellerisch muß McCracken an der Partie noch arbeiten, aber sicher wird er auch hier weiterkommen. Seine große Arie wurde frenetisch und endlos bejubelt, mit Recht. Neu war Giuseppe Taddei als Tonio. Der Prolog war nicht aufregend, die exponierten Höhen nicht da, dafür gefiel er dann im weiteren Verlauf der Aufführung immer besser, war ausgezeichnet im Duett mit Nedda und wirklich sympathisch in der Commedia dell’arte. Taddei reicht als Tonio weder an Protti noch an Bastianini heran, ist in dieser Partie dennoch weit besser eingesetzt als kürzlich in der Macht. Kostas Paskalis war ein guter, sympathischer Silvio, Ermanno Lorenzi ein munterer Beppo. Der schwächste Punkt der Aufführung war Mimi Coertse. Sie gefällt in der Partie der Nedda immer weniger, dazu hört man jetzt immer deutlicher, daß die Mittellage außergewöhnlich dünn geworden ist und in keinem Verhältnis zur stark forcierten Höhe steht. Auch schauspielerisch ist Frau Coertse zu gewöhnlich, nicht ein einziger Hauch des Südens haftet ihrer Nedda an, schade!
NOCH IST KEIN SCHIFF ZU SEHEN
Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 11
Ein Schiff nämlich, das Herrn von Karajan auf dem schnellsten Wege aus den USA hierher zurückbrächte - noch besser wäre freilich ein Flugzeug. Und dann müßten sich einige beherzte Leute finden, die den Chef auf seinem Sessel in der bekannten I. Rangloge (Nr. 6 rechts) anbinden und ihn zwingen, sich eine Woche lang Repertoiretheater anzuhören, wie es derzeit bei uns geboten wird!
Da haben wir Bühnenarbeiterstreik. Zur Information unserer ausländischen Leser: Die Bühnenarbeiter streiken nicht überhaupt, sondern verweigern „lediglich" die Leistung bezahlter Überstunden. Da aber die Oper täglich ein anderes Stück spielen muß und nicht en suite spielen kann, gehen die Arbeitsstunden natürlich schon beim Umbau der Abenddekorationen drauf. Proben sind daher unmöglich. Da aber die Herren Bühnenarbeiter gleichzeitig nicht nur keine Überstunden machen, sondern zum Ausgleich dafür auch noch eine 25%ige Lohnerhöhung verlangen, um ihren Verdienstentgang zu kompensieren, und die starke und mächtige Gewerkschaft die beiden Gebiete nur zusammen verhandeln will, ist überhaupt kein Ende abzusehen.
Zuerst dürfte sich das Künstlerische Personal eher gefreut haben. Keine Proben, wenig Arbeit! Immerhin mehren sich bereits die Klugen unter den Künstlern, denen die Versumpfung und Verlotterung des Repertoires Sorge bereitet. Wann aber wird etwas geschehen?
Leuten, die den Beruf des Bühnenarbeiters an den Wiener Bundestheatern ergreifen, hätte es doch von vornherein klar sein müssen, daß sie in einem Theater und nicht in einer Fabrik arbeiten. Um vier Uhr nach Hause gehen zu wollen, nachdem man halbe Tage durststillend oder ping-pong-spielend in der Kantine verbracht hat, dürfte wohl eine etwas starke Forderung sein. Die Arbeit im Theater ist weniger konzentriert, dafür dauert sie eben länger, daran läßt sich auch durch die Gewerkschaft nichts ändern. Wir wünschten uns sehnlichst, zaubern zu können. Dann würden wie die Oper auf drei Monate schließen, die Herren Professionisten auf Privatindustrien mit Hochkonjunktur verteilen und sie von 7 bis 16 Uhr (mit halbstündiger Mittagspause) arbeiten lassen, bis ihnen die Schwarten krachen. Dann können sie nach Hause gehen. Und wir möchten wetten, daß sie dann die Arbeit in den Bundestheatern als Vergnügen betrachten würden.
Aber ohne Zauberei bleibt es leider nur beim Reden und Verhandeln, besser gesagt, Nichtverhandeln. In dieser Hinsicht ist die Situation an allen mitteleuropäischen Bühnen ziemlich gespannt, und es liegt an der Geschicklichkeit der einzelnen Intendanten, wie sie sich mit den Gewerkschaften arrangieren. Auf die Geschicklichkeit unserer Administration zu bauen, käme dem aussichtslosen Unterfangen gleich, einem verendeten Pferd noch ein kräftiges Wiehern entlocken zu wollen. Unsere Verwaltung versagt schon im normalen Alltagstrott, geschweige denn, wenn es gilt, einer ungewohnten und gefährlichen Situation mit Mut, Kraft, Verantwortungsgefühl und wenigstens einem Quentchen „Schmäh" und Schlauheit zu begegnen. Die totale Verschlampung unseres deutschen Repertoires datiert nicht nur von heute. Sie ist bekanntlich auch schwer zu heilen, weil es im deutschen Fach für eine Rolle meistens nur eine oder höchstens zwei Besetzungen gibt, während im italienischen Fach doch vielleicht drei oder mehr Möglichkeiten sich bieten. Das ist uns auch nicht unbekannt. Man muß manchmal fast mit Gewalt dazu gebracht werden, in eine deutsche Aufführung zu gehen. Abgesehen von Karajans Wagner, Rennerts Mozart und teilweise Hartmanns Strenge, sind die Inszenierungen zum Teil schlecht (Fidelio), zum Teil nicht vorhanden (Salome). Alles, was an Dirigenten keinen Rang und keinen Namen (aber gute Beziehungen zur Kritik) hat, versucht sich daran. Und kommt dann einmal ein Dirigent von Format, muß er erst einen Akt lang raufen, um die Sache so halbwegs in Ordnung zu bringen.
Dann noch die Sänger! Man möchte einen Fluch von alttestamentarischer Wucht (und Wirksamkeit) über jene loslassen, die jetzt nicht mehr zu eruieren sind, denn jetzt hat’s keiner getan: Fluch auf denjenigen, der statt einer Varnay oder Hillebrecht eine Traute Richter engagierte! Der einem Rudolf Knoll daherschleppt, anstatt endlich einmal Hermann Prey zu engagieren! (Es wäre interessant zu erfahren, ob der Engagierer von Rudolf Knoll mit dem Förderer von Karl Weber identisch ist!). Dreimal wehe über jene, die die Verträge mit einem Swarowsky, Märzendorfer, einer Stich-Randall und wie die so oft Angeprangerten heißen, die sich anderwärts ihrer Lorbeeren erfreuen sollen, aber für Wien eben trotz eventuell wirklichem Bemühens nicht geeignet sind, immer wieder erneuern!
Es ist heller Wahnsinn, in dieser Situation auf der stolzen „Mir san mir"-Meinung zu beharren. Immer, wenn man sich gegen die Langweiligkeit des Repertoires, die Beschäftigung der Sänger nicht nach Qualität und Leistung, sondern in Sinne des „Gottseidankhaterwiedereinenabendabgebogen" und die mangelhaften Fähigkeiten der Dirigenten aussprach und ausschrieb, konnte man dem Argument begegnen: „Aber wir sind doch immer voll, was wollen’s denn?" Nun ist die Hauptverkehrssaison vorbei, und anstatt sachte darauf aufmerksam zu machen, daß es nunmehr Karten in jeder Preislage gibt, hat man die Impertienz, das Haus elegant mit Steuerkarten zu Schilling 5.50 zu wattieren. Und wenn nun der Eingeweihte mit einem in Operndingen weniger Gewandten spricht und diesen aufklärt, er könne doch ruhig auch einmal in die Oper gehen, wird der oben erwähnte Eingeweihte angestarrt und erhält die Antwort: „Aber es gibt doch eh nie Karten." So also schließt sich der Teufelskreis. Das verwöhnte interessierte Publikum geht nicht, weil ihm das Gebotene nach den Galaaufführungen zu minder ist. Gelegentliche Besucher, die vielleicht nicht so verwöhnt sind, daß ihnen das derzeitige Niveau mißfiele – und davon gibt es natürlich jede Menge – trauen sich, durch böse Behandlung verschreckt, nicht zur Kasse und kaufen jene Karten nicht, die sie ansonsten durchaus gerne hätten. Und diese Karten werden nun um einen Spottpreis an das Heer der guten Bekannten und Verwandten der löblichen Bundestheaterverwaltung zu einem Spottpreis verscheuert.
Der Monat Oktober war ein Monat der Theaterskandals allüberall. In Düsseldorf wurde Peter Ronnefelds Oper Die Ameise ausgepfiffen, in Stuttgart rebellierte das Publikum dagegen, daß nach der Götterdämmerung sofort der Eiserne Vorhang fallengelassen und die Künstler somit um den verdienten Beifall gebracht wurde. Hamburg empörte sich gegen die Chrysothemis einer auch in Wien nicht unbekannten Sopranistin, in Köln gab es bei der Fidelio-Neuinszenierung unter Sawallisch Proteste gegen die Titelrollenträgerin und in München wurden bei einem Siegfried Mißfallenskundgebungen gegen das heldische Liebespaar laut.
In Wien herrscht derzeit die Ruhe eines Kirchhofs. Das Mindeste, was wir verlangen, ist – wie schon gesagt –, daß sich Herr von Karajan zwangsweise die Aufführungen anhören müßte. Denn: Wie kommt schließlich das Publikum dazu?