DER NOVEMBER 1961

6. Jahrgang, Heft 12

 

Es ist nunmehr jedermann bekannt, wie die Situation in den Bundestheatern dank des Überstundenstreiks der Bühnenarbeiter steht. Wir wollen uns daher eines Kommentars zur Spielplangestaltung und Werkauswahl enthalten, weil man sowohl in der Direktion als auch im Zuschauerraum überhaupt froh sein dürfte, wenn der Vorhang in die Höhe geht und nicht während des letzten Aktes das Licht abgedreht wird. Wenn es allerdings zu so perversen Besetzungen wie im Don Giovanni am 20. November kommt, werden wir trotz alledem nicht versäumen, auf Mißstände hinzuweisen, denn diese haben nichts mit der Technik zu tun. Eines ist paradox: Karajan ist, solange wir ihn kenne, aus Kämpfen und Anfechtungen stets mit gestärkter Position hervorgegangen. Die Intrigen seiner Gegner haben ihm immer nur genützt, statt ihm zu schaden.

Da haben seine Feinde eine geschickt geplante und großangelegte Offensive gestartet:

1./ Anti-Karajan-Bücher der Herren Freud und Reimann.

2./ Hetzkampagne der Boulevardblätter, ungefähr des Inhalts: Krise in der Oper kostet unsere Steuergelder, Volksoper wird zugesperrt, wer ist schuld? Dreimal dürft ihr raten! Der schwarze Mann! Leontyne Prise verliert die Stimme durch Karajans Schuld (!!!) und was dergleichen idiotischer Blödsinn mehr ist.

3./ Auf-die-Spitze-Treiben des Bühnenarbeiterkonfliktes, wobei – wie immer in solchen Fällen – die autstärksten Elemente als Streikposten amtieren, somit das Regime übernehmen und die Zuhörer aus dem Hause, die Sänger aus den Garderoben und die Tänzer unter der Dusche wegjagen wollen.

Und das Resultat? Karajan wird mehr bejubelt denn je, nur geschieht es jetzt fast demonstrativ. Einige ebenso gut placierte wie gut formulierte Worte des Unterrichtsministers genügten, um die Kabalen zum Verschwinden zu bringen. Die mit großer Hoffnung erwarteten Bücher des Fernsehdirektors Freund (der u.a. schreibt, die „Krönungsmesse" sei von Haydn!) und des ehemaligen Pressechefs der Bundestheaterverwaltung Dr. Reimann erwiesen sich als Nieten und völlig uninteressant, denn die Opernfreunde sind meist noch besser informiert und können bei Herrn Reimann Dutzende von Fehlern aufdecken und jemand anderer liest so etwas von Haus aus nicht.

Die Kritiker der Boulevardpresse erwiesen sich immerhin stärker in ihrer Liebe zur Wiener Oper als in ihrem Haß gegen Karajan, denn daß die ganze Aktion nur dem Haus selbst und nicht dem Hausherrn schadet, konnte jeder sehen. Und die 180 Grad-Kehrtwendung unseres mächtigen Radio- und Fernsehkommentators Fischer-Karwin kann leicht damit erklärt werden, daß bei einem eventuellen Weggang Karajans das Wiener Kulturleben in Lethargie versinken würde und kein Künstler käme, der eines Interviews würdig wäre und somit fast alle Fischer-Karwin-Sendungen im Eimer landen müßten (denn immer Czerwenka und Streich geht dann doch nicht!). Frau Price singt bereits wieder lustig und munter an dar Met. Außerdem greift sich jeder Musikkenner, der hören muß, Frau Prise habe sich bei der Fidelio-Arie ruiniert, an den Kopf. Als ob der AIDA-Triumphakt nicht weit strapaziöser wäre!

Blieben die Bühnenarbeiter, die sich jede Sympathie der Öffentlichkeit verscherzt haben. Gewerkschaftsmaßnahmen, die in der Raffinerie Lobau der österreichischen Mineralölverwaltung am Platze sind, passen aber nicht auf den Opernring. So helle hätte der intellektuelle Flügel der zuständigen Partei eigentlich sein müssen! Es ist übrigens bemerkenswert, daß beide unserer großen Koalitionsparteien einen Karajan- und einen Anti-Karajan-Flügel haben. Karajan ist also ein Sonderfall, der einen geradezu interproportionalen Riß erzeugen kann. Das stellt der Gewalt seiner Persönlichkeit das beste Zeugnis aus, denn ein Swarowsky bringt so etwas nicht zuwege. Wie man sieht, ein interessanter Monat.

Karajan stellte noch unter Beweis, daß er sich der gegebenen Situation anzupassen vermochte und sagte alle Premieren ab.

Wir wären zum Großteil mit den geplanten Auffrischungen des Repertoires zufrieden, nur hörten wir lieber statt des Don Carlos, der im Repertoire ohnedies schwer erstrangig zu besetzen ist, die Schweigsame Frau. Bis April ließe es sich mit den Sängern richten, und Günther Rennert hätte dank seiner ausgefallenen Prokofieff-Premiere Zeit genug. Außerdem wäre ein neu besetzter „Tannhäuser" (unter Weglassung der „Tapeziererknöpfe") ins Auge zu fassen, ebenso eventuell eine Wiederaufnahme der kompletten Trionfi (mit Heinz Wallberg?!), denn diese Stücke wurden viel zu wenig gespielt und könnten ruhig durch das Abonnement laufen. Daß Carmen jetzt (durch Wegfall der Premieren wird der Chor entlastet) endlich französisch und Manon Lescaut italienisch gebracht werden müßten, versteht sich von selbst. Überdies wiederholen wir die Forderung: Barbier von Sevilla ins große Haus!

Der Bühnenarbeiterstreik hat den einzigen großen Vorteil, daß die Schmiere Redoutensaal geschlossen wurde. Hoffentlich bleibt es dabei, und die dort beschäftigten Sänger werden zum Großteil pensioniert oder gekündigt. Denn wenn nächste Saison wirklich, wie angekündigt, im Theater an der Wien gespielt werden soll, geschieht dies nicht mehr unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und solche Figaros und Cosìs, wie wir sie in der letzten Zeit im Redoutensaal hatten, dürften den Ruf der Wiener Oper ziemlich ruinieren.

 

LA BOHEME am 1. November

Am Allerheiligentag hörte man originellerweise La Boheme, nun ja, es stirbt in dieser Oper auch jemand. Es stand zwar ein derb klopfender und unexakter Heinrich Hollreiser am Pult, doch die Bühne erwies sich als stärker. Wenn Sena Jurinac Puccini singt, treten die Taschentücher des Publikums in Aktion und manchen altbewährten Besucher mit 45 Bohemes würgt es im Halse, so bewegend, ergreifend und zutiefst menschlich ist ihre Gestaltung der Mimi. Außerdem sang sie, trotz dramatischer Stimmentfaltung, sehr schön. Gianni Raimondi, von solcher Partnerin inspiriert, sang einen prächtigen Rudolf mit strahlenden Spitzentönen. Die Hausbesetzung des zweiten Paares mit Lotte Rysanek und (sicherer und besser als beim ersten Mal) Kostas Paskalis bewährte sich. Auch Ludwig Welter war ein guter Philosoph, der Herz hat. Harald Pröglhöf als Schaunard fiel ab, vielleicht findet sich doch einmal ein junger, begabter Sänger für die Partie, wie seinerzeit Walter Berry.

DIE ZAUBERFLÖTE am 2. November

Allerseelen brachte die erste Zauberflöte des Jahres. Heinz Wallberg stand am Pult, erweckte die schlafenden Musiker, verschaffte sich Respekt und erzielte ein stilvolle und geschlossene Aufführung. Auch der Mozart’sche Humor fehlte nicht, der durch Erich Kunz bestens vertreten wurde. Kunz ist in dieser Partie einfach bezaubernd. Es ist uns unerfindlich, warum er bei Papageno und Figaro das richtige Maß hält und bei Leporello und Guglielmo derart übertreibt. Elisabeth Grümmer sang die Pamina innig, heiter und gefühlvoll, ihr feines Stilgefühl zu rühmen, hieße offene Türen einrennen. Allerdings hätten wir sie beim einmaligen Gastspiel lieber doch in einer uns unbekannten Partie wie der Marschallin gehört. Ludwig Welter war ein Sarastro mit Würde und guter Tiefe, die obere Mittellage allerdings klang etwas uneben, doch war der Gesamteindruck befriedigend, was man von dem total ausdrucks- und würdelosen Sprecher Otto Edelmanns nicht gut sagen kann. Die Damen traten in der merkwürdigen Zusammensetzungen. Erste Dame: Traute Richter (schlecht), Zweite Dame: Elisabeth Höngen (ist als dritte Dame besser) und Dritte Dame Ira Malaniuk (gut). Emmy Loose singt noch immer die Papagena! Mimi Coertse war als Königin der Nacht rauh, unsicher und überfordert. Die Höhe hat sie nicht mehr, genügend Mittellage für etwas anderes noch nicht und die Persönlichkeit ist auch nicht so überwältigend, als daß die Staatsoper Wien sie unbedingt mitschleppen muß.

DIE WALKÜRE am 3. November

Wie wenig Interesse das Stammpublikum dieser Aufführung entgegenbrachte, zeigte die gähnende Leere auf den Stehplätzen. Es dürften an diesem Abend nicht einmal alle Freikartenbesitzer von den ihnen zugeteilten Karten Gebrauch gemacht haben. Wer nicht dabei war, hat nichts versäumt.

Das Niveau dieser Aufführung lag selbst für den an spätherbstliche Verhältnisse gewöhnten Besucher tief. Der Aufführung fehlte jeglicher Schwung, das Werk wurde mehr als langweilig abgespielt. Am Pult stand wieder einmal Heinrich Hollreiser. In eine Aufführung Schwung zu bringen, war nie seine Sache, dafür spielte das Orchester stellenweise viel zu laut. Auch auf der Bühne war nicht alles, so wie es sein sollte. Hilde Zadek als Sieglinde ist und bleibt eine Fehlbesetzung. Darstellerisch kann sie der Figur nichts geben, stimmlich blieb sie der Rolle alles schuldig, jeder Spitzenton kam gequält. Auch Martha Mödl tat sich in den höheren Lagen schwer. In der Mittellage und Tiefe ging es natürlich besser. Daß sie eine vollendete Darstellerin ist, bedarf keiner weiteren Worte. So konnte von den Damen Grace Hoffman (Fricka) am besten gefallen. Sie bot eine hervorragende Leistung. Statt des absagenden Otto Edelmann sprang Otto Wiener als Wotan ein. Er hatte Tags zuvor in München Holländer gesungen. Trotzdem hielt er die Partie mühelos durch. Auch Wolfgang Windgassen bot als Siegmund eine gewohnt gute Leistung.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 4. November

Als in der Pause der beiden Einakter die wenigen Stammbesucher des Hauses sich betroffen ansahen, mit der Frage auf den Lippen „wo bin ich, wo mag ich sein", so hatte das sicher seine Begründung. Was man sah und hörte, hatte eindeutig Provinzniveau. Es tut uns schrecklich leid, dies sagen zu müssen, aber bei aller Liebe zu unserem Institut: es gibt für eine solche Wiedergabe, wie sie dem Publikum an diesem Abend vorgesetzt wurde, keine andere Beurteilung. Angefangen von der oft zuckenden Beleuchtung der Szenerie bis zum Orchester, das schlampig und lustlos agierte, stand alles unter dem langjährigen Durchschnitt des Hauses und erinnerte fatal an die Saison 19555/56

In der CAVALLERIA standen Karl Terkal als Turiddu und Hans Braun als Alfio auf der Bühne. Beide haben eigene Vorstellungen von italienischen Volkstypen. Der Tenor sah stets hilfesuchend auf den Dirigenten und bewegte sich derart unbeholfen auf der Bühne, daß man höchstens Mitleid mit ihm haben konnte, keineswegs aber in ihm einen Dorfcasanova vermutete. Auch tat er sich mit der Gesangslinie schwer, die Höhen wurden stark forciert angesetzt. Hans Braun wäre der Alfio zu seiner guten Zeit schon zu hoch gelegen, wo sollte er jetzt plötzlich die Stimmittel dazu hernehmen? Christl Goltz wiederum sandte als Santuzza so viele zu tiefe Töne in das Auditorium, daß sogar die Nichtstammbesucher auf der Galerie sichtlich zusammenfuhren. Margaretas Sjöstedt andererseits blieb als Lola ganz reizlos und ohne Erotik. Mit Elisabeth Höngen als Mama Lucia stand die beste Solistin auf der Bühne. Damit ist doch eigentlich alles bereits gesagt, denn Mascagnis leidenschaftlicher Reißer darf keinesfalls Mama Lucia heißen.

Im darauffolgenden BAJAZZO kam dann doch endlich mit James McCracken ein Mann auf die Bühne, dem die Bezeichnung Staatsoper Wien zu Recht gebührte. Seine Stimme hat den Glanz und die Kraft, die allen anderen Mitwirkenden abging. In der Darstellung noch etwas reserviert wirkend, war er ein Canio, der keineswegs mit seiner Stimme zurückhaltend umging, er schmetterte sein „a venti tre ore" wie ein junger Gott über die Rampe und vermochte außerdem mit dem Vortrag seiner beiden Arien echtes Gefühl auszudrücken. Giuseppe Taddei (Tonio) wirkte wie ein echter Komödiant, während in stimmlicher Hinsicht nicht alles pures Gold war. Daß er dennoch trotz seiner schwachen Höhe und nicht umfangreichen Tiefe – Schwächen die besonders beim Prolog zu Tage traten – niemals negativ wirkt, darf man seiner großen Persönlichkeit zuschreiben. Unecht in jeder Beziehung wirkte Mimi Coertse als Nedda. Mit der Aufdringlichkeit im Spiel verscherzte sie sich jede Sympathie, außerdem hat die Stimme bei sehr dünner Mittellage einen vulgären Klang. Manche verwechseln wohl Vulgarität mit Sinnlichkeit. Das große Duett mit Silvio, den Karl Weber sang, verpuffte wegen Mangel an Stimmschönheit beider Sänger. Kein Beifall, stilles Schweigen. Ermanno Lorenzi dürfte sich persönlich lieber als lyrischer Held auf der Bühne sehen, denn sonst würde er kaum solche Forte-Töne anschlagen, doch damit ging der Figur viel, wenn nicht alles verloren. Statt einer Serenade ertönte ein Preislied.

Die Premierenpräzision des Chores in dieser Oper gehört schon längst zu den Annalen. Derzeit herrscht die Unsicherheit der Einsätze vor. Am Pult stand Wilhelm Loibner, und Italiens Sonne war dadurch der Farbkraft beraubt. Zuviel an grauen Farbtönen ließen die Strahlen nicht zum Durchbruch kommen.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 5. November

Heinz Wallberg hat sehr schöne Stellen in seinen Meistersingern, etwa die prägnante Prügelfuge, aber manches scheint noch nicht ganz bewältigt (Vorspiel). Er hängt manchmal noch zu sehr an der Partitur. Es wäre sicher anders, wenn er das Werk auswendig beherrschte. Man hörte zum größten Teil bewährte Wagnersänger: Otto Wieners Sachs, trotz vorhergegangener stärkerer Beanspruchung mit imponierender Stimmfülle und bekannt kluger und einprägsamer Gestaltung, und Wolfgang Windgassen, prächtig bei Stimme und in bestem Schwung. Wilma Lipp ist ein Bild von einem Evchen, sie wirkt anmutig und echt naiv. Sie wird in dieser Rolle ebenso wie in der vorangegangenen Pamina und der folgenden Elsa, für die sie sich aber ruhig noch etwas Zeit lassen könnte, eine würdige Fortsetzung der Reihe Müller-Reining-Grümmer sein. Jetzt allerdings fehlt ihr für die Sachs-Szene im 2. Akt die Tiefe. Die tiefen Stellen hörten sich, zumal in Frau Lipps vorbildlicher Artikulation, wie gesprochen an. Frau Lipp hat sich nach Verlassen des Koloraturenfaches eine wunderschöne Mittellage erarbeitet, aber Wagner liegt eben manchmal tiefer. Dafür entfaltete sie sich dort, wo die dramatischeren Evas Schwierigkeiten haben. Sie führte mühelos das Quintett und krönte es mit einem prächtigen B. Ira Malaniuk sekundierte als humorvolle Magdalene auf das beste, Murray Dickie war der fröhliche, nette David. Erich Kunz als Beckmesser zu hören, war eine Wohltat. Er spielte ihn scharf, gehässig und schlau, hielt sich von Outragen fern und sang außerdem die Partie statt sie durchzuquengeln. Es wird sehr gebeten, ihn, der als treues Ensemblemitglied der Oper ohnedies fast immer zur Verfügung steht, bei Besetzungen des Beckmessers nicht immer ostentativ zu vergessen. Hans Braun war als Kothner überraschend gut bei Stimme, als Pogner gastierte Otto von Rohr, „in deutschen Landen viel gereist … Doch hat es uns verdrossen", daß er nicht nur keine Höhe, sondern auch keine Mittellage mehr hatte und somit außer Stattlichkeit und Würde nichts geben konnte.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 6. November

In einer von Alberto Erede seltsam spannungslos dirigierten Aufführung – die Ausnahme bildete eine effektvolle Ouvertüre – war wieder James McCracken die hervorragendste Erscheinung auf der Bühne. Sein Alvaro hat wohl mehr heldischen Charakter, doch auch in den lyrischen Stellen weiß er mit seiner Stimme umzugehen. Die Entwicklung dieses Tenors seit seinem im Vorjahr gesungenen Alvaro ist immens und seine ständig verbesserte Leistungen berechtigen zu den schönsten Hoffnungen, ja sind bereits zum Teil Erfüllung geworden. Gertrude Grob-Prandls stimmliches Kaliber hätte an sich gut zu McCracken gepaßt, doch vermag die Sängerin leider weder gesanglich noch darstellerisch zu befriedigen. Mit statuarischer Haltung und mürrischem Gesichtsausdruck kann man dieser Figur kein Leben einhauchen. Außerdem verlangt gerade Verdi eine ungeheure Modulationsfähigkeit der Stimme, die sie nicht besitzt. Noch so sicher aneinandergereihte Töne ersetzen nicht die Gesangslinie. Kostas Paskalis als Don Carlos war der temperamentvollste Darsteller, dem nur beim Singen das Temperament durchging, was sich in zu tief angesetzten, zu sehr auf Rohkraft eingestellten Höhen äußerte. Biserka Cvejic bringt als Preziosilla eine vorteilhafte Gestalt mit und ist außerdem mit einem ungewöhnlich schönen Mezzo gesegnet. Der zündende Funke in der Rataplan-Szene blieb allerdings versagt. An Stelle von Oskar Czerwenka, der abgesagt hatte, sang Frederick Guthrie zum ersten Mal den Pater Guardian. In den langsamen Legatostellen der Partie kam die Weichheit seiner Organs gut zur Geltung, in den dramatischen hingegen war er deutlich überfordert. Karl Dönch überraschte als Frau Melitone angenehm. Er verließ sich nicht nur auf sein Spiel, sondern er nahm es mit den Notenwerten der Rolle sehr genau, und dafür allein verdient sein Bemühen unseren Dank. In erster Linie galt am Schluß der Vorstellung der Beifall James McCracken, der sich langsam als Liebling der Wiener Operngemeinde entpuppt.

LA BOHEME am 7. November

Endlich bekam der Geheimtip des Stammpublikums, Gundula Janowitz, Gelegenheit, wieder in einer Hauptrolle auf der Bühne zu stehen. Trotz schwieriger Umstände – so hatte sie keine Orchester- oder Bühnenprobe – legte sie als Mimi eine weitere Talentprobe ab. Sie begann nervös und zaghaft, was sich auch in ihrer Darstellung ausdrückte. Eine so natürlich-schüchterne Mimi hatten wir noch nie auf einer Bühne gesehen. Ihr reizvolles Timbre kam bestens zur Geltung. Sehr schön gelang ihr das große Duett mit Rodolfo im dritten Akt, wo sie mit wunderschön geformten Crescendi zu gefallen wußte. Die Sterbeszene fiel dagegen wieder etwas ab, hier wollte ihr Piano nicht so richtig klingen. Doch das mag wohl darauf zurückzuführen sein, daß sie eben noch nicht so ganz richtig mit der Akustik des Hauses vertraut war. Der Gesamteindruck, den die Sängerin hinterließ, war trotz der Einwände positiv. Wir glauben, daß sie eine große Zukunft vor sich hat. Ihr Partner war Gianni Raimondi als Rodolfo. Er verläßt sich in erster Linie auf seine Stimme und weniger auf seine Darstellung. Wozu auch? Seine Natürlichkeit und Burschikosität kommt ihm in seinen lyrischen Partien sehr entgegen. Immer wirkt er sympathisch und natürlich. Dazu scheint er seinen Partnern gegenüber ein richtiger Kavalier zu sein. Denn als am Ende des 1. Aktes Frau Janowitz nicht die nötige Kraft hatte, blieb er nicht auf seinem C sitzen. Ebenso kam er im Finale des 2. Aktes seinem Kollegen Giuseppe Taddei (Marcello) sehr entgegen. Bekanntlich hat der Bariton seine liebe Not mit der Höhe, doch der eingelegte, wie aus einer Pistole geschossene Spitzenton Raimondis entledigte Taddei aller Sorgen. Ansonsten bot Taddei wieder eine seiner köstlichen Charakterstudien, die ihm die Sympathie des Publikums einbringen. Ludwig Welter sang sehr sauber den Colline, während Harald Pröglhöf mehr durch sein übertrieben wirkendes Spiel, als durch seine Stimme auffiel. Lotte Rysanek sang die Musette, drückte zuviel auf die Stimme, doch als Gestalt war sie vollauf am Platze. Alberto Erede paßte als Dirigent väterlich auf Gundula Janowitz auf, dennoch wußte er geschickt dem Orchester freien Lauf zu gewähren, wo es am Platze war. Dankbar sei vermerkt, daß der Abend auch in orchestraler Hinsicht frisch und impulsiv wirkte und nicht in eine unecht wirkende Puccini-Sentimentalität verfiel.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 8. November

An diesem Abend und nicht passenderweise zu Allerheiligen oder Allerseelen wurde dieses Werk gespielt. Über Poulencs künstlerische Persönlichkeit und Bedeutung im modernen Musikschaffen sowie über seine Vertonung von Bernanos umstrittenen Theatertext zur großen Oper, ein typisches Werk also eines Heutigen – voll von Problemen, sowohl musikalischen wie inhaltlich und in formaler Hinsicht – wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Widmen wir uns daher heute lediglich der Aufführung, die erfreulicherweise nichts an ursprünglicher Frische verloren hat.

Am Pult stand Berislav Klobucar, umsichtig und straff die umfangreiche Partitur realisierend, stets bemüht, dem Orchester maximale Spannungen zu entlocken, mit sicherer Hand die Solisten leitend und das von Poulenc so verinnerlichte musikalische Geschehen an den wenigen Höhepunkten der Oper zu kraftvollen und präzisen Steigerungen von echter Größe zu führen. Musiziert wurde, soweit es der lastende Ernst des Werkes zuläßt, schwungvoll und mit Elan, nur das Blech klang oft eigenartig unsicher und hart am Rande des Daneben. Aus dem Ensemble der Karmeliterinnen ist an erster Stelle Emmy Loose als Schwester Blanche zu nennen. Ihr Schicksal ist der rote Faden, der die locker geknüpfte Handlung durchzieht und zugleich bindet. Ungeachtet der Schwierigkeit ihres Gesangsparts stimmlich sehr intensiv, entfaltete die Künstlerin drei Akte hindurch eine faszinierende Studie von rätselvoller Lebensangst, angeborener Daseinsschwäche und krankhafter Hysterie und verwirklichte so in idealer Weise die Bernanossche Auserwählte. Neben ihr ragten nach wie vor Elisabeth Höngen als Priorin – packend im elementaren Ausbruch grauenvoller Todesangst – und Christl Goltz als deren Stellvertreterin – fanatisch glutvoll und doch sanftester Regungen fähig – hervor. Hilde Zadek, stimmlich wie darstellerisch souverän in der Rolle der neuen Priorin, Anneliese Rothenberger, bezaubernd wie immer als fröhlich-heitere Schwester Constance und Rosette Anday als erschütternde Mutter Johanna wirkten als leidgeprüfte Ordensschwestern und verliehen dem tragischen Ablauf in den Massenszenen Relief. Rudolf Knoll als Marquis blieb stimmlich wie darstellerisch seiner Rolle nichts schuldig. Murray Dickie und Laszlo Szemere waren verläßliche Stichwortbringer.

ELEKTRA am 9. November

Ein Dirigent ist nicht zu beneiden, wenn er ohne Probe Strauss’sche Werke übernehmen muß. Schon gar nicht, wenn es den anwesenden Musikern an der nötigen Konzentration mangelt. Und diese war nicht vorhanden, was die fallen gelassenen Wagnertuba in der Klytämnestra-Szene bewies. Berislav Klobucar gab sich alle Mühe, Herr der Lage zu werden, aber die Elektra hat’s in sich, und außerdem ist unser Ohr durch Knappertsbusch, Mitropoulos und Böhm zu sehr verwöhnt. Von der erregenden Aussage des Werkes war unter Klobucar nichts zu merken. Gerda Lammers in der Titelpartie enttäuschte. Ihre Stimme hatte an diesem Abend nicht die Durchschlagskraft und nicht mehr die Leuchtkraft vergangener Tage. Da die Künstlerin nur sporadisch in Wien auftritt, können wir kein endgültiges Urteil fällen, ob daran das Zuviel-Elektra-Singen Schuld trägt oder ob die Tagesverfassung der Sängerin dafür ausschlaggebend war. Traute Richter sang als Chrysothemis einen ihrer vertraglich zugesicherten Abende ab. Sie blieb im Spiel farblos, auch das Tremolo ihrer Stimme hat sich nicht geändert. Elisabeth Höngens Klytämnestra bot eine faszinierende schauspielerische Leistung. Sie vermochte als einzige des Abends durch ihre Persönlichkeit das Interesse der Zuhörer wachzuhalten. Die Ausstrahlung ihrer Darstellung ließ vergessen, daß die Stimme ihren Tribut an die Zeit zollen mußte. Otto Wiener als Orest und Gerhard Stolze als Aegisth wetteiferten an der Wortdeutlichkeit ihrer Texte.

LA BOHEME am 10. November

Diese Vorstellung fand statt Ariadne auf Naxos wegen angeblicher Erkrankung eines Solisten statt.

Eine bittere Pille für die Straussverehrer, aber wer vorurteilsfrei das Haus betrat, hatte sicher am Ende des Abends die Überzeugung gewonnen, daß ihm eine erstklassig Ersatzvorstellung geboten wurde. Gundula Janowitz war weniger nervös und dadurch bedeutend besser als beim Debüt. Bereits der erste Akt gelang ihr ausgezeichnet (inkl. des Schlusses), aber auch im letzten Akt war sie wesentlich eindrucksvoller als am Abend ihrer ersten Mimi. Die Stimme blühte in den Kantilenen auf und die Piani schwebten diesmal durch den Raum. Gianni Raimondi präsentierte sich in Superform. Auffallend auch bei ihm die durchgefeiltere Phrasierung der Partie. Kostas Paskalis ging diesmal als Marcello stellenweise zu rauh mit seiner Stimme um. Neben Lotte Rysanek und Harald Pröglhöf sang Frederick Guthrie einen sehr sympathischen, durch seine Größe etwas liebenswürdig unbeholfen wirkenden Colline. Die Mantelarie fällt in den Bereich seiner Stimme, und er kam daher in dieser Rolle gut zur Wirkung. Wilhelm Loibner ist in der Boheme eher am Platz als in der Ariadne. Die stimmlichen Leistungen waren so überzeugend, daß man auf den dazu erforderlichen Begleiter ganz vergaß.

MADAME BUTTERFLY am 11. November

Diese Butterfly hätte füglich wieder einmal B.F.Pinkerton heißen müssen. Gianni Raimondi sang einen Pracht-Offizier, sein Einsatz ist immer derart, als ginge es ums Leben, was ihm unter Sänger-Beamten besonders auszeichnet, und seine Stimme wird stets voller und schöner. Da kam die sauber und farblos singende und spielende Phyllis Curtin in der Titelrolle nicht ganz mit, zu ihr paßte aber Margareta Sjöstedt als Suzuki. Kostas Paskalis hat sich als Sharpless verbessert, Peter Klein stellte einen köstlichen Goro auf die Bühne und Alberto Erede erwies sich wieder als erstklassiger Puccini-Dirigent, der schwungvolle Phrasen zeichnete und dem Werk Aufbau und Gesicht gab.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 12. November

Die Aufführung war, nimmt man den Durchschnitt zwischen sehr guten und sehr schlechten Leistungen, eine Repertoireaufführung auf hohem Niveau. Die Hauptrollen waren gut besetzt: Wilma Lipp als sehr schön und auch schon sicherer singendes Evchen, Wolfgang Windgassen, der den Stolzing mit vollem Einsatz seiner Stimme gestaltete, Otto Wieners Sachs, stimmlich sicher und schön geformt, mit Würde, Menschlichkeit und Humor gespielt, Walter Kreppels sehr schön gesungener Pogner und Gerhard Stolzes prächtiger David. Heinz Wallbergs musikalische Leitung ist nach wie vor unausgeglichen. Vieles gelingt sehr schön – beim Quartett im zweiten Akt kommen alle Stimmen gut zur Geltung – die Differenzierung ist ausgezeichnet, die Prügelfuge sitzt musikalisch prächtig, das Vorspiel zur Schusterstube hat Poesie. Bei allen anderen Stellen hat man das Gefühl, der Dirigent sei froh, daß er alles zusammenhält, für Differenzierung ist noch keine Zeit und Übersicht vorhanden. Aber warten wir seine zwanzigsten Meistersingern ab. Recht gut war Georgine Milinkovic als Magdalene. Auch schlechte Leistungen gab es, z.B. Karl Dönch als Beckmesser. Er singt zu wenig, schreit und outriert dafür umso mehr. Außerdem gab es auch indiskutable Leistungen, z.B. Rudolf Knoll als Kothner: Gesanglich mehr als überfordert, schauspielerisch blaß. Dazu kam noch das Veteranen-Ensemble der Meister. Vielleicht könnte man die Herren, geschmückt mit Ehrenzeichen oder Urkunden, in Pension schicken.

MADAME BUTTERFLY am 13. November

Es begann mit einem Rekord: Den Auftritt der Butterfly zusammen mit dem Chor musikalisch unverwackelt und exakt zu hören hat Seltenheitswert, den wir hiemit vormerken. Allerdings blieb dies auch der einzige Rekord des Abends, den Pyllis Curtin auch für sich buchen konnte, im weiteren Verlauf fühlte man sich stets versucht, dieser auf Nippesfigürlich abgestimmten Butterfly ein brav für Fleiß und gute Sitten ins Zeugnis zu schreiben, nicht weniger, nicht mehr. Bewunderung bzw. Verwunderung erweckt dabei stets die Sicherheit und das betont gesunde Selbstbewußtsein, mit dem durchschnittliche Gäste sich auf der Bühne einer Staatsoper Wien in Szene setzen. Dankenswerterweise tat der Dirigent Lovro von Matacic der Ritardandi-Freudigkeit des Schmetterlings Abbruch, in dem er betont die Tempi raffte und sich damit für Puccini gegen die drohende süßliche Sentimentalität wehrte. Nicht verhindert werden konnte jedoch vom Pult aus, daß beispielsweise dem Blütenduett der Zauber fehlte – immerhin sei betont, daß Dagmar Hermann als Suzuki sich korrekt und redlich um die Partie bemühte – und dem Ohr nicht das Rieseln von Blüten sondern eher das Plumpsen von Fallobst vermittelt wurde. Der Glanz des Abends ging von Gianni Raimondi aus, der mit Temperament und spontaner Sangesfreudigkeit dem Zuhörer Freude bescherte, während Kostas Paskalis stimmlich eher als rauher Konsul gelten muß. Einen ungetrübten Genuß bedeutete das Zwischenspiel im dritten Akt – wie überhaupt Gianni Raimondi und das animiert musizierende Orchester die Postiva des Abends waren, der immerhin mit neun Schlußvorhängen bedankt wurde.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 14. November

An jenem Abend, an dem es bei der vormittägigen Ballettprobe unter Karajan eine Faust in Nacken-Probe des technischen Personals gab, ging abends die Entführung aus dem Serail über die Bühne. Unter der prachtvollen musikalischen Leitung von Heinz Wallberg waren endlich die ansonst mit dieser Oper in den Redoutensaal verbannten Sänger im großen Hause tätig, und man wurde von Anbeginn an sogleich in festliche Stimmung versetzt, die bis zum Fallen des Schlußvorhanges anhielt. Anneliese Rothenberger sang die Konstanze mit schöner, gut geführter Stimme, die lediglich hie und da etwas strapaziert klang, denn der vielgepriesene Silberglanz der Stimme wollte sich nicht immer einstellen. Eine Idealbesetzung ist Renate Holm als Blondchen. Sie ist gesanglich ausgezeichnet und schauspielerisch überzeugend und wohl die beste Besetzung dieser Partie seit zwanzig Jahren. Gerhard Stolze, der grandiose Herodes, mußte sich auf den Belmonte umstellen; daß im diese Belcantopartie nicht so liegt wie die Strauss’sche Figur ist klar, dennoch muß man mit großer Hochachtung – und nachdem sich das Ohr an die ungewohnte Auffassung des Belmonte gewöhnt hat – die Leistung des Künstlers bewerten, der diese Partie mit großer Bravour meisterte. Murray Dickie war der muntere Pedrillo und Ludwig Welter der sehr animierte Osmin. Lediglich Alfred Jerger fiel als Selim Bassa wieder aus dem Rahmen des Abends, der mit großer Begeisterung aufgenommen wurde.

LA BOHEME am 15. November

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Wilhelm Loibner – aber so darf man eigentlich nicht sagen, denn die Philharmoniker spielten ja von selbst, und wenn sich die Sänger auf die Kapellmeistereinsätze verließen, ging es daneben, weil aus dem verwirrenden Deuten einfach nicht erkennbar war, wann und wie. Gott sei Dank kümmerten sich nach dem ersten Akt auch die Sänger nicht mehr um den Mann am Pult, und dann klappte es so ungefähr. Daß Gundula Janowitz trotz dieser Führungslosigkeit die Mimi ausgezeichnet sang – stimmlich sehr schön und ausgeglichen, mit herrlichen Piano-Tönen und in Ausdruck und Spiel sehr lebendig und glaubwürdig – muß der jungen Sängerin doppelt hoch angerechnet werden. Gianni Raimondi war der stimmgewaltige Poet – wenn er laut singen kann, hat er Ausdruck und Intensität, mit Abnehmen der Lautstärke nimmt leider auch die Intensität etwas ab. Ein Belcanto-Marcello bester Marke war Eberhard Wächter, blendend bei Stimme und Spiellaune. Was sonst noch auf der Bühne zu tun hatte, war nicht mehr als Durchschnitt. Hans Braun und Frederick Guthrie konnten mit ihren Quartettpartnern nicht mithalten, weder mit Stimmkraft Raimondis, noch dem ausdrucksvollen Schöngesang Wächters. Ruth-Margaret Pütz war zwar hübsch anzusehen, fand für das Schlußbild auch rührende Töne, für den zweiten Akt fehlt ihr aber sowohl Stimmkraft und Timbre als auch Spieltemperament, um als Musetta wirklich begehrenswert zu sein.

OEDIPUS DER TYRANN am 16. November

Hölderlins Sophokles-Übertragungen, jenes hymnische Stammeln eines ausglühenden und verlöschenden Geistes, stellen in der deutschen Übersetzungskunst den Gipfel an letzter intellektueller Durchdringung des fremdsprachigen Originals dar. Die totale Entstofflichung durch das Denk-Filter und innigste Vergeistigung durch eine begeisterte Seele führten die Tragödie des Sophokles radikal auf ihre geheimste Struktur, die Musik, zurück. Daher das Spröd-Helle, das Apollonische einerseits, andererseits das Orientalisch-Dunkle, das Dionysische in Hölderlins Sprachgebärde, die das Abstrahierende dieser Dichtungen oft zur reinen Gedankenlyrik umgießt und so als gesprochenes Wort wohl dem Verstande leichter faßlich, dem poetischen Grundcharakter der Werke jedoch nicht gerecht wird. Carl Orff, der Klangmagier des modernen Musiktheaters, erreichte nun vor Jahren den Zyklopenbau seiner Antigone-Musik für das oben genannte Dichterpaar; heute zu Oedipus, reduzierte er den musikalischen Ausdruck zum Skelett. Die Gesangsschauspieler werden also auf das härteste geprüft.

Nach wie vor überwältigend ist Gerhard Stolze in der Titelpartie. Jeder Zoll ein König – stimmlich und darstellerisch. Ein Mann, der sich unter den Schicksalschlägen windet und krümmt, und dennoch erhobenen Hauptes die über ihn verhängte Sühne trägt. Neben ihm Christl Goltz, die die Jokaste gab: von Würde beseelt, liebend, triumphierend und verzweifelnd im Spiel – leider gegenüber früher mit noch weniger Wortdeutlichkeit. Karl Blühm in der Sprechrolle des Kreon etwas zu starr und maskenhaft, dagegen Günther Haenel als Bote aus Korinth typisch als kleiner Mann am Rand der Tragödie. Helmuth Krebs als Tiresias stimmlich beklemmend, doch manchmal unglücklich geführt, Rudolf Knoll als Oberpriester ebenso. Willy Domgraf-Fassbaender als Bote aus dem Haus konnte in keiner Weise überzeugen. Als Chorführer Ludwig Welter und mit ihm die Alten: in mustergültiger Wortdeutlichkeit und schönster Phrasierung werden da die Abgründe, von Orffs Musik aufgerissen, erkennbar. Am Pult wirkte Peter Ronnefeld. Energisch und prägnant in der Zeichengebung war der junge Dirigent stets bemüht, die einzige Klage, die im Grunde die Orff’sche Partitur darstellt, zu verwirklichen. Jeder Einsatz saß, leider vom Riesenorchester nicht immer aufgefangen – überhaupt war streckenweise störende Unruhe im Orchesterraum zu bemerken. Dessen ungeachtet war die Aufführung dank Stolze, Ronnefeld und Chor ein Publikumserfolg.

DIE ZAUBERFLÖTE am 17. November

Es ist ein Aberglaube anzunehmen, daß ein Österreicher auf jeden Fall Mozart dirigieren könne. Wilhelm Loibner führt diese Ansicht häufig ad absurdum, denn die Zauberflöte war vom Dirigenten her mehr als langweilig. Dafür gab es eine Menge Gäste. Wolfram Zimmermann ist als Papageno stimmlich gut, aber zu plump und zu humorlos. Da er jetzt schon öfter gastiert hat, wissen wir jetzt, daß ihm für die großen Mozart-Partien einiges fehlt – in Wien natürlich, anderswo kann er’s ja singen. Man sollte ihn lieber als Beckmesser, Schaunard oder Frau Melitone einsetzen, wenn ein Engagement berechtigt ist, wie es den Anschein hat. Richard Lewis als Tamino kennenzulernen, war allerdings interessant. Die Stimme ist etwas flach und hell, die Technik aber hervorragend. Stilgefühl und Phrasierung beispielgebend und das Spiel ebenfalls gut. Ingeborg Hallstein war nicht zur Information da, sondern weil es hierzulande keine Königin der Nacht mehr gibt. Früher fand man doch immer wenigstens eine Vertreterin der Partie (Berger-Lipp-Köth). Aber nun scheint der Faden abgerissen. Ingeborg Hallstein singt zwar ziemlich unausgeglichen, ihre Stimme reicht aber wenigstens bis zum F, was bei anderen Königinnen ja nicht der Fall ist. Wilma Lipp (Pamina) und Anneliese Rothenberger (Papagena) sind als Idealvertreterinnen ihrer Partien schon oft gewürdigt worden, ebenfalls Walter Kreppel als würdiger Sarastro mit Riesenstimme und schön gesungenen Arien. Otto Wiener sang wieder einen ausdrucksvollen Sprecher und Gerda Scheyrer als Erste Dame überragte ihre tieferen Kolleginnen: Annemarie Ludwig – ein völlig unnötiges Engagement - und Georgine Milinkovic.

SALOME am 18.11.

Statt der verschobenen Ballettpremiere (Überstundenstreik) tanze Phyllis Curtin die Salome. Die amerikanischen Sänger haben Nerven! Da kommt eine Frau Curtin nach Wien und singt unverfroren die Fiordiligi, als gäbe es hier nicht die Schwarzkopf in dieser Partie, sie singt die Salome, als habe es nie den Vulkan Welitsch oder die wie ein Sturm über die Bühne fegende Goltz gegeben – nun ja, wenn derart farblose Sängerinnen auch noch Komplexe hätten, bliebe überhaupt nichts mehr übrig. Mrs. Curtin war als Salome ebenso blaßrosa wie ihr Kostüme, sie bevorzugte allerdings auch die Auffassung „ungezogenes Kind". Ihr Tanz war zwar etwas Rita Hayworth-haft, aber sehr bewegt und flott – sie dürfte eine Musical-Ausbildung genossen haben. Der Schlußgesang war überschattet vom Kampfe gegen ein ewig auseinanderfallendes Kostüm. Offenbar war ihr im Badeanzug kalt. So blieb es Gerhard Stolze vorbehalten, die schwüle Atmosphäre Oscar Wildes auf die Bühne zu zaubern, was ihm natürlich hervorragend gelang, bestens unterstützt von Georgine Milinkovic als Herodias, die die Partie gut charakterisierte, allerdings die Spitzentöne ungeniert ausläßt, wenn sie ihr zu hoch sind. Otto Wiener war wieder ein stimmgewaltiger und beredter Prophet und Waldemar Kmentt ein ausgezeichneter Narraboth. Die Partie hätte er schon seit Jahren singen können. Ernst Märzendorfer hat die Salome im Abonnement und dirigierte ordentlich, aber ungehobelt.

TOSCA am 19. November

unter Herbert von Karajan. Endlich wieder eine Chefvorstellung! Spannung, Dramatik und echter Opernglanz kehrten am Ring ein. Und das, obwohl mit Margherita Roberti und Giuseppe Taddei eigentlich nur die gute zweite italienische Operngarnitur auf der Bühne stand. Auch Gianni Raimondi ist erst seit kurzem dabei, in die erste Reihe vorzustoßen, dafür tut er es jetzt mit Vehemenz. Und diese zweite Garnitur ist so gut, daß man wünschen möchte, im deutschen Fach hätten wir eine erste Besetzung dieser Qualität. Alles Gerede über Bevorzugung der Italiener ist purer Nonsens. Es gibt eben hier mehr Besetzungs-Möglichkeiten. Da ist also diese Margherita Roberti eine Tosca, der man die Primadonna glaubt. Ihre Erscheinung ist blendend, ihre Stimme vielleicht gerade nicht engelschön, aber kräftig, sicher, gut geführt und jedenfalls interessant. Da legt Taddei eine Charakterisierung des Scarpia hin, daß einem die Luft wegbleibt: der bigotte Satyr, wie er im Büchel steht. Und das Stimmliche ist auf so geniale Weise mit der Rollenauffassung in Einklang gebracht, daß die stärkste Seite der Stimme, die breite schöne Belcanto-Mittellage, ein Maximum an Wirkung gewinnt. Da singt Gianni Raimondi mit geradezu explosiver Kraft und rührender Hingabe einen herrlichen Cavaradossi. Daß er bei einem Piano ausrutschte, wirkt eher sympathisch, denn er müßte bei dem Forte ja gar nicht probieren, Piano zu singen. Offenbar tut er es doch, weil seine Phrasierung von Natur aus – und wahrscheinlich ohne alles Grübeln – die richtige und natürliche ist. Herr von Karajan setzte diesen Leistungen noch die Glanzlichter auf. Die Comprimarii Karl Dönch, Hans Braun, Harald Pröglhöf und Erich Majkut) waren allerdings weniger gut.

DON GIOVANNI am 20. November

Wer soll eigentlich bei einem Informationsgastspiel informiert werden? Die Direktion oder das Publikum? Man konnte sich bei dieser Aufführung manchmal nur auf den Kopf greifen.

Da ist die Inszenierung, die schlechteste, die je auf den Brettern der Wiener Oper gestanden sein dürfte, und bereits so verrottet, daß man auf dem Boden die Fettflecke, wo Leporello jeweils sein „Stückchen vom Fasane" hinzuspucken pflegt, deutlich sehen kann. Wenn die Inszenierung zum letzten Mal gespielt worden ist, könnte man sie dem ergrimmten Publikum zum Anzünden überantworten.

Da haben wir einen herrlichen Giovanni in Eberhard Wächter. Wenn man nach einem Gastspiel Cesare Siepis die Stimme erhebt, hört man immer, er kapriziere sich darauf, in Wien mit einer Giovanni-Premiere anzufangen. Da man das Wächter nicht antun könne, sei sein Gastspiel unmöglich. Da hat man George London, der gern wieder in Wien gastiert hätte, dadurch vor den Kopf gestoßen, daß man ihm den versprochenen Giovanni (in den vergangenen Festwochen) wieder wegnahm. Argument: Wächter singe das ganze Jahr über auch mit schlechten Besetzungen und hielte das Niveau; es sei denn nur recht und billig, daß er auch den Festwochen-Giovanni bekäme. Aber wo bleiben jetzt die Argumente beim Einsatz des Herrn Kim Borg, auf den doch bei Gott niemand neugierig war? Er bringt für die Rolle nichts mit als schwungvolle Waden, was überdies nicht gut aussieht, da die Beine zu kurz sind. Man muß das erwähnen, denn er hat sich sehr auf sexy-boy hergerichtet. Er trampelt mit Kothurnabsätzen über die Bühne, spielt unelegant, ohne Kultur und ohne jeden Funken von Herrentum, ein Kleinhäusler in Lurex. Und als Sänger ist er stoßend, bohrend, säuselnd und hustend statt singend. Daß er vom richtigen Plappern eines Seccorezitatives keinen Schimmer hat, schwere Stellen markiert und an den unmöglichsten Stellen hölzernes Gelächter ausstreut, rundet den Eindruck aufs unangenehmste ab. Womit haben wir das verdient? Interessant ist, daß Herr Borg von der gesamten Wiener Presse verrissen wurde, mit Ausnahme eines Kritikers und zwar Herrn Dr. Erika Werba (Volksblatt), der neben- oder hauptberuflich Borg-Liederabende- und Schallplattenbegleiter ist. So etwas kann es nur in Wien geben!

Richard Lewis war als Ottavio noch besser denn als Tamino, da er sich mit italienischen Gesang leichter tut als mit dem deutschen Sprachtext. Bemerkenswert war wieder die ausgefeilte Technik und vollendete Phrasierung, die aus einer an sich nur durchschnittlichen Stimme das Beste herausholte. Daß Wolfram Zimmermann keinen Humor hatte, ist dem Publikum bekannt. Ja, Herr Zimmermann ist ein guter Sänger, aber in dem Fach ist in Wien die Konkurrenz zu groß. Schade, daß man nicht die Herren Zimmermann und Kunz mischen kann, da kämen zwei gute und hinreichend komische Leporellos heraus.

Vom Wiener Ensemble blieben also Anneliese Rothenberger mit ihrer ersten Wiener Zerlina, zart, süß und anmutig, mit Herz, Gefühl und feinem Mozart-Gesang – etwas belegt klingend allerdings. Aber man ist froh, endlich wieder einer richtigen Zerlina zu begegnen. Gerda Scheyrer ließ sich entschuldigen und war auch hörbar indisponiert. Sie sang sehr vorsichtig und ziemlich im Kopf, was dazu führte, daß alle drei Damen das gleiche weiße Timbre hatten. Mimi Coertse sang zwar die Elvira etwas besser und weniger grell als bisher, es ist aber nicht einzusehen, warum sie, die doch neben der Partie steht wie selten eine Sängerin, ausgerechnet diese schwere Rolle abonniert haben sollte. Walter Kreppel und Kostas Paskalis sangen ihre Rollen wie gewohnt. Wilhelm Loibner dirigierte ungewohnt schlecht und wie gewohnt mit deplaciertem Klavier als Rezitativstütze.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 21. November

Knapp vor Beginn der Aufführung gab es jede Menge Stehplatzkarten an der Kassa, ein schlechtes Zeugnis für eine Wagner-Aufführung. Die Pessimisten, die daheim geblieben waren, hatten Recht getan, sie haben nichts versäumt. Wie kaum eine andere Oper braucht Wagners Werk einen Dirigenten am Pult, der imstande ist, der Aufführung festlichen Glanz zu geben. Daß Hans Swarowsky der Mann dazu nicht ist, ließ sich rasch feststellen. Das einzig Positive an seiner Leistung waren die raschen Tempi: die Oper war um einige Minuten früher als gewöhnlich zu Ende. Meistens den Kopf in der Partitur versenkt, sorgte er für monotone Begleitung, die keineswegs mit den Solisten übereinstimmte. Uns taten die Künstler auf der Bühne aufrichtig leid. Dabei gaben sie sich jede erdenkliche Mühe, voran Paul Schöffler als Hans Sachs, ein hochverehrter Künstler, bereits im siebenten Dezennium seines Lebens stehend. Noch immer ist er im Aussehen, im Ausdruck und seiner Souveränität der liebenswerteste Sachs der Opernbühne. Sicher verfügen andere Vertreter dieser Partie über mehr Stimme um die Partie mühelos durchzustehen, aber die Ausstrahlung, das weise Lächeln, den Humor der Figur besitzen jene nicht in gleichen Maße. Als Stolzing stellte sich Fritz Uhl vor. Nach einer längeren Anlaufzeit – im 1. Akt wollte seine Stimme nicht frei fließen – verbesserte er sich zusehends und fand seinen Höhepunkt im Preislied auf der Festwiese. Hier hatte seine Stimme den nötigen Glanz. Als Darsteller hatte er durch sein bescheidenes Auftreten sofort Sympathien auf seiner Seite. Evchen sang Hannelore Backrass, die liebenswürdiger Weise für Traute Richter einsprang. Damit ist alles, aber schon alles Positive über sie ausgesagt – schließlich rettete sie die Aufführung. Karl Dönch befindet sich derzeit in guter stimmlicher Verfassung und sang den Beckmesser genauer und kräftiger als sonst, auch schauspielerisch verzichtete er auf manche seiner Mätzchen. Walter Kreppel, ein imponierend aussehender Pogner, verfügt für einen Baß über eine außergewöhnlich stark klingende Höhe. Schade, daß er zuweilen Intonationsschwierigkeiten hat. Gerhard Stolzes Stimme wird kräftiger. Wird vielleicht aus Lehrbuben David einmal ein Ritter von Stolzing?

Am Ende der Vorstellung feierte nicht nur das Publikum sondern auch die mitwirkenden Künstler Paul Schöffler, der Abschied von dieser Partie nahm. Darin äußerte sich der Dank des Publikums für den großen Künstler, der in dieser Rolle mit goldenen Lettern in die Annalen des Hauses eingeht.

 

BALLETTABEND: DIE WEISSE ROSE und DIE PLANETEN am 22. November, Premiere, und am 30. November

Mit dieser Premiere gab das bereits öfters totgesagte, bzw. zuweilen dem Dornröschenschlaf verfallene Wiener Staatsopernballett wieder einmal ein kräftiges Lebenszeichen von sich, und das sogar unter den Augen des Künstlerischen Leiters. Es gab also – wieder einmal bleibt es dem Ballett vorbehalten, Werke zeitgenössischer Komponisten herauszubringen – zwei Erstaufführungen: Die weiße Rose, Musik von Wolfgang Fortner, und Die Planeten, Suite für großes Orchester von Gustav Theodore Holst.

Bemerkenswert war dieser Abend zunächst insofern, als sich die beiden verhältnismäßig jungen Künstler Erich Walter (Choreographie) und Heinrich Wendel (Bühnenbild), die sich in deutschen Landen einen bereits beachtlichen Ruf erworben haben, sodaß man bereits vom Wuppertaler Stil spricht, erstmals mit einem ganzen Abend vorstellten. Die beiden verstehen ihr Metier: ihr Ideal ist das Gesamtkunstwerk auch beim Ballett, sie streben eine möglichst vollkommene Einheit von Musik, Handlung, Choreographie, Raum, Farbe und Licht an. Das tut man zwar heute allerorten, zumindest redet man darüber. Aber diesem Team scheint es häufig zu gelingen! Besonders glücklich scheint sich die Arbeitsgemeinschaft bei der Neuformung dramatischer Ballette auszuwirken. Der beachtlichste Erfolg, der die beiden Herren bekannt machte, war eine solche grundlegende Neu-Librettierung von „Marsyas" von Dallapiccolla.

Das erste Stück war also DIE WEISSE ROSE, Ballett in zwei Teilen nach Oscar Wilde’s Märchen „Der Geburtstag der Infantin" (uraufgeführt an der Städtischen Oper Berlin am 28.4.1951) unter der musikalischen Leitung von Hans Georg Schäfer in den Kostümen von Günther Kappel.

Fangen wir gleich mit der Musik an, die nun einmal die Basis darstellen muß: dem mit den „Feinheiten" der musikalischen Situation unserer Zeit nicht vertrauten Zuhörer - schon gar, wenn er wirklich nur zuhört wie beim Vorspiel, erscheint sie zunächst schlicht und einfach scheußlich. Und auch dem mit der nicht immer erquickenden zeitgenössischen Musik näher bekannten Zuhörer schwant eben bei diesem Vorspiel Böses. Später erweist sich die Unterlage als immerhin brauchbar, weil den Erfordernissen der Szene gerecht werdend. Einige Nummern lassen für kurze Zeit aufhorchen, wie etwa ein an Ravel erinnernder Walzer. Der Gesamteindruck ist aber doch etwas dünn. Das Orchester spielte unter der Leitung des jungen Kapellmeisters recht ordentlich und so, daß man die solide Arbeit anerkennen konnte. Im übrigen ist es das größte Glück für die Musik – und auch für das Publikums –, daß man über dem überwältigenden szenischen Eindruck den akustischen meistens vergißt.

Der szenische Eindruck ist überwältigend. Noch nicht so sehr am Beginn, solange das den Rahmen abgebende spanische Hofzeremoniell obwaltet, obwohl dem Bühnenbildner eine beklemmend echte Atmosphäre gelang. Auch choreographisch ist alles geglückt. Es stören nur Kleinigkeiten, etwa das Fächergeklapper oder der Umstand, daß in diesen überbreiten Kostümröcken die erwünschte Gleichheit, die dem allgemeinen starren Bild entspräche, bei den geforderten Drehfiguren ganz einfach nicht zu erreichen ist. Sowohl das Hofpersonal als auch die Divertissements wurden etwas dezimiert, wie überhaupt alle Änderungen und Striche der Konzentrierung auf das Wesentliche dienen. Von den der Unterhaltung des Geburtstagskindes dienenden Gruppen ist besonders die erste erwähnenswert: Paul Vondrak als jugendlicher Torero, der seinen Kampfgeist beweisen möchte; der Stier aber ist durchaus kein selbstloser Kämpfer (begreiflich, es stecken auch zwei Kinder drin von Lisl Maar und Ludwig Musil dargestellt) und liefert nur ein Rückzugsgefecht. Das war sehr charmant getanzt. Weiters treten Lucia Schwab (auf Schlangen bereits spezialisiert), Heinz Weitz (Schlangenbeschwörer), Gerlinde Dill und Ingrid Teufelhart (spanische Tänzerinnen) in Erscheinung. Dann aber tritt dar Zwerg auf, von Richard Nowotny verkörpert, und man steht in seinem Bann von Beginn an. Daß dieser Richard Nowotny ein Meister feiner Charakterisierungskunst ist, konnte man schon öfter feststellen. Aber noch nie wurde ihm, wie diesmal, Gelegenheit gegeben, sie in ihrem ganzen Umfang zu zeigen. Die Infantin ist Edeltraud Brexner. Sie bezaubert durch ihr Wesen, ihre Anmut, ihr Lächeln für den armen Zwerg. Sie bezaubert aber erst recht in einem schönen Pas de deux mit dessen Traumbild, von Karl Musil glaubhaft und mit großer Eleganz dargestellt. Als weißer Vogel schließlich ist Erika Zlocha bezaubernd und technisch einwandfrei. Als Pfau war Christl Zimmerl zwar technisch untadelig, aber in der Darstellung, so sehr ihr die Partie sonst paßt, trägt sie um einige Grade zu stark auf. Sehr exakt, präzise und von fast beklemmender Wirkung war die Spiegelszene (die Spiegelbilder: Herbert Nitsch als das des Zwergs, Erika Zlocha als das der Infantin; die Oberhofmeisterin und ihr Double: Lisl Temple und Lucia Schwab). Das einzige, was nicht gleich war, waren die Verfolgerscheinwerfer. Als Sängerin im Orchester wirkte Sonja Draksler (Alt) mit – eine recht erfreuliche Begegnung.

Das zweite Werk waren DIE PLANETEN, eine Suite für großes Orchester in sieben Teilen. Herzfelds Musiklexikon berichtet zwar von zwölf Teilen, es erscheint aber nicht klar, welche Planeten da außerdem noch beschrieben worden sein sollen, selbst wenn man sich den Gepflogenheiten der Astrologie anpaßt und etwa Sonne und Mund mitzählt. Man kommt beim besten Willen nicht auf zwölf, zumal der Pluto damals – das Werk stammt aus dem Jahre 1915 – noch nicht entdeckt war. (Auch die Schallplattenaufnahme enthält nur diese sieben, also dürfte Herzfeld hier irren.) Sei dem wie auch immer, die sieben sind durchaus genug. Es wurden viele Stimmen laut, die auf den düsteren letzten Teil gern verzichtet hätten. Der Theaterpraxis hätte es zumindest entsprochen, nicht gerade diesen Teil an den Schluß zu stellen. Es gehört einiger Mut dazu, es dennoch zu tun, und in diesem Fall hatten ihn offenbar alle Beteiligten. Übrigens waren Die Planeten das musikalisch wesentlich eindrucksvollere Stück und nicht nur deshalb, weil Herbert von Karajan das Orchester zu Höchstleistungen mitriß, obwohl wir das Gefühl nicht loswerden können, daß der Maestro in diesem Fall einiges mehr herausgeholt hat, als eigentlich darin ist. Es dürfte sich im Laufe der Zeit herausstellen, daß ein Gutteil des edlen Pathos Theaterdonner ist – aber ein durchaus brauchbarer, und auf dem Theater befinden wir uns ja schließlich.

Auf dem Theater befand sich das Stück, soweit den spärlichen Berichten zu entnehmen ist, bisher erst in einer einzigen Inszenierung: Antony Tudor machte es 1934 in England. Auch er dürfte sich, wie unsere Regisseure, an die „astrologischen" Charaktere der Planeten, wie der Komponist sie in den Überschriften schildert, gehalten haben. Was das Szenische betrifft, bleibt kaum ein Einwand. Die Mitarbeit an der Inszenierung verteilt sich in gleicher Weise, wie beim ersten Stück, nur die Kostüme sind von Xenia Chris – übrigens durchwegs sehr hübsche Kostüme. Das Bühnenbild ist eines der eindrucksvollsten, die bisher in diesem Hause zu sehen waren; endlich einmal jemand, der sich der Möglichkeiten dieses Hauses zu bedienen versteht! Besonders die Lichtregie, die großartige Farbenspiele beisteuerte, ist hervorzuheben. Der Choreograph zeigte, was im Corps de ballet auch in dieser Richtung drinnensteckt, obwohl man sich gerade bei geballten Massenszenen sonst nicht immer mit Ruhm bedeckte. Noch selten waren Szenen des Corps technisch so einwandfrei und so ausdrucksstark wie diesmal. Um dieses Ballett kann uns jedes Opernhaus der Welt beneiden. Nennen wir von den Solisten Willy Dirtl, der mit Mars und Uranus nicht nur die ihm entsprechenden, sondern auch die dankbarsten Szenen hatte; Christl Zimmerl und Karl Musil, die eine sehr schöne, lyrische, friedliche, in grünes Licht getauchte Venus illustrierten; Lucia Bräuer, Erika Zlocha, Lucia Schwab und Paul Vondrak mit der abgeklärt-heiteren Merkur-Szene; Erika Zlocha und Carl Raimund unter den den Saturn bevölkernden Gestalten der griechischen Mythologie. Ein Pauschallob ist dem Corps de ballet und vor allem seinen talentierten jungen Damen zuzurufen.

Die Wiederholung des neuen Ballettabends am 30. November in derselben Besetzung unterschied sich kaum von dar Premiere. Es ging wieder alles gut.

 

LA BOHEME am 23. November

An diesem Abend kam mit Francesco Molinari-Pradelli wieder ein Dirigent von Format ans Pult. Von einer Exaktheit im musikalischen Sinne zu sprechen, wäre zwar auch Vermessenheit, aber wie er Puccini immer mit neuen Effekten bringt, verdient höchste Bewunderung. Er zwang mit stark betontem Streicherklang die Solisten zur vollen Entfaltung ihrer Stimmittel. Selten noch haben wir Hilde Güden so ganz aus sich herausgehen gehört. Ihre Stimme erblühte in selten gehörtem Wohlklang, sie klang ausgeruht und unwahrscheinlich frisch. Über die phänomenale Technik der Künstlerin braucht man ohnedies kein einziges Wort verlieren. Gianni Raimondi war ebenfalls ein prächtig singender Rodolfo und Marcello war wieder Aldo Protti anvertraut, der unverändert von diversen Gastspielen in mehreren Ländern zurückkehrte. Die Stimme hat weiterhin die pompöse Kraft, der Künstler weiterhin die beispiellose Einsatzfreude, mit der er sie ins Haus schleudert. Die mächtigste Baritonstimme unserer Zeit hat wieder ihr Domizil in Wien aufgeschlagen, ein Grund zur Freude. Im Abstand zu den genannten Sängern standen Mimi Coertse, Frederick Guthrie und Harald Pröglhöf.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 24. November

Francesco Molinari-Pradelli stand wieder am Pult und garantierte dadurch eine gute Aufführung, wenngleich er nicht seine ganz große Form erreichen konnte. Es gab im Orchester einige Unstimmigkeiten (Flöten in der Rataplan-Szene), auch der Kontakt mit der Bühne war nicht hundertprozentig, das aber war zum Großteil Schuld unseres unaufmerksamen Chores und der Solisten. James McCracken hinterließ wieder den weitaus besten Eindruck, da er den Alvaro mit schöner, heldentenoraler Stimme und sicherer, durchschlagskräftiger Höhe (ohne Forcieren) singt. Seine große Arie und die beiden Duette mit Aldo Protti wurden so zu Höhepunkten des Abends, und man hatte seine Freude an beiden Stimmen. Gerda Scheyrer verfügt über eine gepflegte Pianokultur, was ihr besonders bei der letzten Arie zu Gute kommt, doch ist es ihr nicht möglich, den dramatischen Anforderungen der Rolle vollauf gerecht zu werden. Biserka Cvejic sang die Preziosilla gut und spielte temperamentvoll. Frederick Guthrie sang schlicht den Pater Guardian, Karl Dönch fiel diesmal angenehm auf, da er seine Partie wirklich sang und auch nicht zu sehr übertrieb.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 25. November

„Verachtet mir die Meister nicht". Doch derzeit geschieht der Wille der Bühnenarbeiter und die haben für die Meister der Opernkunst nur wenig Verständnis. Die Meistersinger wurden abgesagt, das Werk ist ihnen zu lang. Doch auch der eingeschobene Figaro dauerte ihnen zu lange und kurz und bündig ließen sie nach dem sechsten Vorhang den Eisernen herunter und löschten bald darauf einfach die Lichter aus, was wiederum prompt eine entschlossene Publikumsreaktion auslöste. Trotz der zur Eile antreibenden Billeteure und trotz der in voller Kampfausrüstung antretenden Hausfeuerwehrleute ließ es sich das Publikum nicht nehmen, seinen Künstlern fast zwanzig Minuten vor geschlossenem Vorhang zuzuapplaudieren. Diese willkürliche Handlungsweise der Bühnenarbeiter und Beleuchter erweckte heftigsten Protest des Publikums, womit sie sich wohl die letzten Sympathien verscherzt haben. Es existiert in der Bundestheaterverwaltung eine köstliche Hausordnung für das Publikum. Wir möchten den dortigen Herren ans Herz legen, eine ähnliche für das eigene Personal zu verfassen. Das könnten sie gut gebrauchen. Vielleicht wäre dadurch der Posten des Pressechefs endlich einmal ausgefüllt. Bisher fielen jene Herren nur durch Bücher von Reminiszenzen oder durch Fernsehsendungen auf, so wie durch Dementis wahrer Tatsachen.

Die Aufführung selbst stellte dafür umso mehr allen Künstlern das beste Zeugnis aus. Sie bewiesen damit, daß sie trotz der durch die Bühnenarbeiter hervorgerufenen Krisenstimmung gewillt sind, für die Wiener Oper da zu sein. Dafür herzlichen Dank! Eine gute Leistung bot diesmal Wilhelm Loibner. Abgesehen von der wenig revolutionär klingen Ouvertüre, hatte er ein wachsames Auge, hielt die Ensembleszenen gut zusammen und war mit Schwung an dem Ablauf des Geschehens beteiligt. Erich Kunz war ein hervorragender Figaro, Eberhard Wächter ein soignierter, jugendlicher Graf und Schwerenöter, der nur bei seiner Arie etwas nervös wurde. Ebenso war Sena Jurinac als Gräfin vor ihrer großen Arie sehr aufgeregt. Aber das herrlich gesungene Briefduett mit Susanna, die Anneliese Rothenberger entzückend verkörperte, ließ das „Dove sono" bereits vergessen. Den stärksten Beifall erhielt Frau Rothenberger für ihre herrlich gesungene Rosenarie. Mit den vorgenannten Prachtsängern kam Margareta Sjöstedt als Cherubino nicht mit. Ihr fehlt es vor allem an Persönlichkeit. Brav gesungen, aber nicht mehr. Die Nebenrollen waren gut charakterisiert (Alois Pernerstorfer, Hilde Rössel-Majdan und Murray Dickie).

BALLETTABEND am 26. November

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 27. November

Dieses Werk, das im Theater an der Wien kaum zog, hat sich durch gleichbleibend gute Besetzungen im großen Haus zu einer stets gut verkauften Zugoper entwickelt. So war diese Macht unter Francesco Molinari-Pradellis feuriger und eleganter Leitung eine geschlossene Leistung, die geradezu Vergnügen bereitete.

An der Spitze genannt zu werden, verdient James McCracken, der die schwere Partie auch dort, wo sie lyrisch wird (Arie, Duett), mit Bravour bewältigte und dessen stählerne Heldenstimme immer mehr an Glanz gewinnt. Auch Aldo Protti war in seinem Element und ließ seine Riesenstimme orgeln. Eine prächtige Stretta und ein hinaufgesungener „schwarzer Student" waren die hervorstechendsten Momente seines Don Carlos. Gerda Scheyrer sang die Arien und die Einkleidungsszene sehr schön und mit schwebenden Piano-Tönen, für die Herbergszene ist sie allerdings ungünstig placiert und kaum hörbar. Doch ist ihre Leonora eine beachtliche Leistung. Auch Biserka Cvejic ist – abgesehen von dem extrem tiefen „Buona notte", das sie lieber hinaufsang – eine gute Preziosilla. Karl Dönch (Frau Melitone) und Frederick Guthrie (Guardian) vervollständigten diese Aufführung gut.

LA TRAVIATA am 28. November

An diesem Abend gab es La Traviata statt der Fledermaus und das zu erhöhten Preisen. Oh Überstundenstreik! Statt der prachtvollen Johann Strauss-Inszenierung wurden die öden Pappkulissen für die Verdische Oper von unseren lieben Bühnenarbeitern aufgestellt, an Stelle des wunderschönen Balletts sah man nur ein armseliges Herumgehopse mit Tamburin und dazu noch einen neun Mann-Chor auf der linken Bühnenseite der den italienischen Text nur dadurch beherrscht, daß einer der Choristen hinter ihnen die Texte von einem Zettel abliest und soufflierte, im Orchester selbst eine sehr unaufmerksame Holzbläsergruppe, ein Professor sah ständig auf seine Uhr, um dann nach dem ersten Akt von einem anderen abgelöst zu werden, während der Jüngste dieser Orchestergruppe sich damit die Zeit vertrieb, eine offenbar pornographische Novität von Mann zu Mann weiterzureichen. Dabei hatte das Orchester in Francesco Molinari-Pradelli einen hervorragenden musikalischen Leiter, der bewies, daß die Traviata gar nicht so schlecht ist, wie ihr Ruf durch die diversen Kapellmeister degradiert wird. Daß der Chor selten mit ihm übereinstimmte, lag nicht an ihm, aber es ist allmählich stadtbekannt, daß in manchen Aufführungen der Chor indiskutabel ist. Von der Fledermaus-Besetzung blieben nur Hilde Güden und Giuseppe Zampieri übrig. Frau Güden war auf der Bühne allen anderen weit überlegen, ihre Violetta war wieder prachtvoll gesungen und dementsprechend stürmisch bejubelt. Giuseppe Zampieri hat statt des Alfred den Alfredo schön gesungen, wobei er seine Höchstform erst im letzten Akt erreichte. Mit rauher Stimme sang Kostas Paskalis den Vater Germont, auch ihn haben wir schon besser gehört. Die Nebenrollen waren durchwegs schwach bis unzulänglich besetzt (Dagmar Hermann, Laurence Dutoid, Karl Weber, Ljubomir Pantscheff, Hugo Meyer-Welfing).

OTHELLO am 29. November

Fast scheint es, als ob die Künstler das blamable und in der ausländischen Presse glossierte Benehmen der Bühnenarbeiter durch erhöhten Einsatz wettmachen wollten. Es gab eine packende Aufführung, bei der man nur an einigen Stellen erkennen konnte, daß an unserem Institut das Wort Probe zu einem Fremdwort geworden ist. Francesco Molinar-Pradelli wußte trotz dieses Handicaps die Partitur des Werkes von Akt zu Akt plastischer zu gestalten. Durch sein Temperament wurde auch das Orchester zu einer recht geschlossenen Leistung angespornt. James McCracken in der Titelrolle trumpfte mit seiner dunklen Heldentenorstimme auf, vergaß aber dennoch nicht, sie in der Liebesszene biegsam und geschmeidig werden zu lassen. Sena Jurinac war die wundervoll aussehende Desdemona. Gesanglich überwog der seelenvolle Ausdruck ihrer an Bernstein gemahnende Stimme. Die Herbheit ihres Timbres enthält soviel Wärme und inneres Erleben, daß man einzelne scharfe Töne in der oberen Mittellage übergeht. Aldo Prottis Jago hat sich stark verbessert. Die Schlußphrase des Credos kann kaum wirksamer dargebracht werden. Giuseppe Zampieri sang mit wohllautender Stimme den Cassio, und sein Naturhaar an Stelle der furchtbaren blonden Perücke läßt ihn auch vorteilhaft erscheinen. Nicola Zaccaria hatte mit dem Lodovico genau wie seine Vorgänger seine liebe Not – immerhin war er passabel, was man von Annemarie Ludwig als Emilia nicht behaupten konnte. Ihre Stimme klang häßlich, und einzelne Töne verursachten eine gewisse Unruhe im Auditorium. Aber sie allein konnte uns die Freude, einen spannenden Opernabend zu erleben, nicht verderben. Die Stimmung im Haus erreichte Hitzegrade, und die Künstler konnten nicht oft genug vor dem Vorhang erscheinen.

BALLETTABEND: DIE WEISSE ROSE und DIE PLANETEN am 30. November

wurde mit der Premiere am 22. November besprochen

 

OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE

Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 12

Dies scheint der Tenor des Bühnenarbeiterstreiks zu sein, wenn man den Mut besitzt, die Sache beim richtigen Namen zu nennen und die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich liegen.

Schon in der vorigen Nummer wiesen wir in unserem Leitartikel auf die Vorgänge hin. Man müßte sich die Haare raufen ob dieser Zustände, ausgerechnet in der Kulturstadt Wien, hätte sich nicht zugleich damit ein Ergebnis herauskristallisiert, das unseren Ruf als kulturelle Großmacht dokumentiert und rechtfertigt. Es ist das Ergebnis, daß sich die Pressestimmen aller Richtungen und die allgemeine öffentliche Meinung plötzlich wie ein einziger großer Block gegen diesen Streik auflehnen, eine Meinung, die sich keineswegs auf soziale Schichten beschränkt, sondern aus einer geistigen Gemeinschaft kommt, wie sie Wien zur Ehre gereicht. Gegen diesen Streik demonstriert das Publikum, dagegen lohnt es sich, von allen Seiten her zu streiten und einzutreten, gleichfalls ohne Rücksicht auf Verluste. Dies erwarten wir auch in allen Belangen von unserer Direktion, dies erwarten wir von unseren Sängern und dem gesamten künstlerischen Personal, einschließlich unseres Orchesters.

Wir erwarten, daß jeder einzelne sich klar darüber ist, daß künstlerischer Geist dem Ungeist entgegengesetzt werden muß. Wir erwarten, daß versucht wird, alle Schwierigkeiten auch durch Selbstlosigkeit und Idealismus zu überbrücken. Wir erwarten von jedem einzelnen, ob klein, ob groß, vollkommenen Einsatz, und jedes Abweichen davon betrachten wir ideell als Sabotage.

Durch den gegebenen Zustand ist es äußerst unklar, ob und wie ein Programm für die kommende Spielzeit aufgestellt werden kann. Dies aber wieder bedeutet eine eminente Gefahr, wenn man dabei bedenkt, daß die internationalen Künstler auf zwei Jahre hinaus ihre Termine planen und abschließen. Das könnte zu der Katastrophe führen, daß wir unser Starensemble nicht an das Haus zu binden in der Lage sein könnten. Dazu jedoch darf es nicht kommen! Wir als Publikum setzen als selbstverständlich voraus, daß die großen Solisten, denen die Wiener die Treue gehalten haben, nun auch Wien die Treue halten. Wir setzen voraus, daß in unserer Direktion geplant wird, selbst dann, wenn wir vor schwarzen Vorhängen spielen müßten, und zwar so spielen, daß das künstlerische Ereignis für sich selbst spricht.

Wir erwarten dabei von allen Seiten einen heiligen Eifer, denn wenn jemals Fanatismus am Platze war, dann hier. Wir erwarten, daß mit allen Mitteln der normale Spielbetrieb aufrecht erhalten wird und nicht eine einzige Repertoireaufführung beispielsweise dem Opernball zum Opfer fallen könnte.

Wir haben nun einmal einen Notstand in unseren Bundestheatern, und es ist absolut kein Prestigeverlust, wenn wir gezwungen sind, diesen international zu bekennen. Aber jede Repertoirevorstellung ist in diesem Falle wertvoller als das nächtliche Amüsement noch so namhafter Prominenz, und hier pochen wir gleichfalls auf das „ohne Rücksicht auf Verluste". Eine Krampflösung, nur um den Opernball zu retten, lehnen wir strikte ab.

Wir erwarten, daß sich das fortsetzt und bewährt, was sich in seinen Anfängen jetzt so überzeugend dokumentiert hat: Daß die Musikstadt Wien ihren Ruf vor einem internationalen Forum unter Beweis stellt in dem Bekenntnis zu eben dieser Kunst, zum Geist gegen den Ungeist, allen Schwierigkeiten zum Trotz.

 

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