DER DEZEMBER 1961

7. Jahrgang, Heft 1

 

Die „Merker" haben es jetzt schwer: So manches gefiel uns in diesem Monat nicht, doch die Notstandssituation wirft neuerlich die Frage auf , ob wir es mit „Kreide anmerken" oder der Direktion „sieben Fehler vorgeben" sollen. Die Gerechtigkeit erfordert eine Entscheidung der goldenen Mitte. Wir wollen uns daher diesmal des Jammerns über Planung, Dirigentenmisere, über das deutsche Repertoire und dergleichen mehr im allgemeinen enthalten und nur über die einzelnen Vorstellungen berichten.

Daß trotz der schwierigen Umstände Maestro Karajan durch Proben auf zwei Ebenen, technisch und künstlerisch getrennt, und unter Anwendung eines ausgeklügelten Stundenplanes die Premiere von Pelleas und Melisande im Jänner verwirklichen wird können und die des Rigoletto – gleichfalls samt Inszenierung – für Februar versprochen hat, sei mit herzlichem Beifall und Dank bedacht!

Wir hoffen, daß der Chef und die Herren seines Stabes es ihrerseits nun auch als Herzensangelegenheit betrachten, jeden der großen Künstler an unser Haus zu rufen und, wenn es sein müßte, zu bitten, um so das Manko des Spielplans durch künstlerischen Glanz auszugleichen. Hier wäre Versäumtes nachzuholen, wären Fehler gut zu machen und persönliche Ressentiments der Geltung der Staatsoper Wien unterzuordnen! Was wir hiermit auch unseren großen Solisten als Leitspruch zugerufen haben wollen. Bei aller Sympathie und Liebe des Wiener Publikums für diesen oder jenen Prominenten ist sein dringendstes Anliegen in erster Linie das Gesamtwohl unserer Oper. Und in diesem Punkt reagiert es äußerst empfindlich!

 

DAS RHEINGOLD am 1. Dezember

Diese Aufführung bereicherte die bisher nicht gerade reichliche Tätigkeit des Chefs Herbert von Karajan um einen Abend, der allgemein von einer gewissen Nervosität erfüllt war. Das Rheingold macht uns immer Lust auf einen ganzen Ring. Es ist geradezu grausam, den Vorabend allein zu spielen. Das Orchester war im allgemeinen gut, auf der Bühne war das Wiener Rheingold-Ensemble einigermaßen gespickt mit Gästen, die wahrscheinlich obenerwähnte Nervosität hervorriefen. Hans Hotter als Wotan und Wolfgang Windgassen als Loge waren allerdings voll „da", und das ist ja sehr wichtig. Zudem befand sich Ira Malaniuk als Fricka, trotz stärkster Beanspruchung in der letzten Zeit, in blendender Verfassung und sang ihre bisher beste Fricka. Gerhard Stolze (Mime) hat sich in seiner Erscheinung dem Stil der Aufführung angeglichen und bot mit dem Mime ein Kabinettstück schärfster Charakterisierung. Alois Pernerstorfer kippte gleich zu Beginn mit der Stimme um und lief erst später zu gewohnter Form auf. Waldemar Kmentt als Froh, Walter Kreppel als Fasolt und die Damen Gerda Scheyrer als Freia und Hilde Rössel-Majdan waren in ihren Standardpartien zu hören. Als erste Rheintochter mußte die aus Bayreuth unrühmlich bekannte Inge Felderer importiert werden, was wir grotesk finden angesichts der Tatsache, daß eine Rothenberger und Janowitz in Wien waren, die beide schon längst diesen Part studieren könnten, wenn man es ihnen nahelegt. In letzter Minute geht es allerdings nicht. Daß wir keinen zweiten Donner in Ensemble haben und der den hier unnötigen Heinz Imdahl zur letzten Hilfe holen mußten, ist auch betrüblich. Wenn Peter Roth-Ehrang als Fafner gastiert, sagen wir schon nichts mehr. Fafner gibt es wirklich wenige.

DON CARLOS am 2. Dezember

Unsere seit Jahren geäußerte Meinung, daß es der Dirigent ist, der entscheidend die Aufführung beeinflußt, bestätigte an diesem Abend neuerlich Francesco Molinari-Pradelli. Er sorgte für eine spannende, brioreiche Wiedergabe des Werkes, wobei – auch das muß man betonen – manches auf Kosten der Exaktheit ging. Der Maestro, hauptsächlich mit italienischen Künstlern arbeitend, ist nicht gewohnt, jeden einzelnen Einsatz für die Solisten zu geben.

Einen großen Abend hatte Aldo Protti als Posa zu verzeichnen. Er ist zwar mehr Haudegen als ein adeliger Marquis, doch diese ungewohnte und vielleicht nicht werktreue Auffassung entspricht seiner breiten, voluminösen Stimme, die er stets wie ein Kampfinstrument zu behandeln weiß. Herrlich gesungen und gespielt war Posas Todesszene, in der Protti ganze Phrasen in einem Atem sang, bei denen andere gleich mehrmals nach Luft schnappen müssen. Außerdem entlockte er seiner Stimme in jener Szene eine Weichheit, die verblüffte. Für eine angenehme Überraschung sorgte Nicola Zaccaria als Philipp. Er, der uns schon mehrmals als Mönch und Großinquisitor enttäuschte, gefiel uns als spanischer König weitaus besser. Zaccarias vorteilhafte Bühnenerscheinung kam ihm in dieser Rolle sehr zu Hilfe. Die große Szene mit Posa wie auch der Vortrag der Arie wirkte sehr kultiviert, auf Linie bedacht und gut phrasiert und brachte ihm verdientermaßen viel Beifall ein. Schwach hingegen blieb es in der Autodafé-Szene, für die es dem Sänger an stimmlicher Kraft mangelte. Als eigentlicher Herrscher über Spanien erwies sich jedoch eindeutig Hans Hotter als Großinquisitor, der seine Szene – wie schon so oft – zum dramatischen Mittelpunkt der Oper machte. Seine Stimme symbolisiert förmlich die Macht jener Gewalt, vor der nicht nur das Volk sondern auch der Herrscher sich beugt. Sena Jurinac lieh der unglücklichen Elisabeth von Valois ihre liebliche Bühnenerscheinung, war gesanglich jedoch nicht in bester Verfassung, wie ihre diesmal unruhig flackernde Höhenlage demonstrierte. Giuseppe Zampieri als Infant schien sich in musikalischer Hinsicht mit der Rolle mehr als sonst beschäftigt haben, wirkte weitaus sicherer als sonst, nur dürfte für den Schluß der Partie die Zeit nicht mehr gereicht haben, sonst wäre der Ausstieg wohl nicht passiert. Außerdem schien der Tenor etwas erkältet angetreten zu sein, seine schöne Stimme klang seltsam trocken. Biserka Cvejic hatte Mühe mit der Eboli. Nach einem brav gesungenen maurischen Lied gab es drei Unebenheiten in der großen Arie. Fehlt Frau Cvejic für diese schwere Partie der dazu gehörige Atem oder plagt sie in jener Szene immer noch die Nervosität? Der Abend fand viel Beifall und löste allgemeine Zufriedenheit aus.

DIE ZAUBERFLÖTE am 3. Dezember

Die Aufführung war guter Repertoiredurchschnitt. In den Hauptrollen gab es sehr gute bis mittelmäßige Leistungen, die Nebenrollen waren vielfach schlecht besetzt. Heinz Wallberg dirigierte sicher und differenziert, die Philharmoniker spielten ambitioniert, der Chor sang exakt. Einzig über einige Wallberg’sche Tempi könnte man anderer Meinung sein, z.B. über das allzu schnelle Tempo des Vogelfängerliedes. Hilde Güden sang eine zauberhafte Pamina, Erich Kunz ist nach wie vor ein großartiger Papageno, Walter Kreppel als Sarastro hatte Würde und Stimmgewalt. Letztere in solchem Überfluß, daß es manchmal zuviel des Guten schien. Emmy Loose war als Papagena eingesetzt, Waldemar Kmentt bemühte sich um intensive Gestaltung des Tamino und sang die Partie – einige angeknackste Töne ausgenommen – gut. Otto Wiener war ein würdiger Sprecher. Als Königin der Nacht hörte man Nina Stano. Erst die zweite Aufführung in der Frau Stano singt, wird zeigen, was von den Taktunsicherheiten und den unsauberen Tönen auf Konto Debütnervosität geht. Was man bereits feststellen konnte, waren geläufige Koloraturen, eine sehr leichte Stimme mit fehlender Tiefe. Als Monostatos war Fritz Sperlbauer reichlich farblos. Gerda Scheyrer bemühte sich, die Ehre der Drei Damen zu retten. Die übrigen Sänger seien in den Mantel der Vergessenheit gehüllt.

BALLETTABEND am 4. Dezember

DIE ZAUBERFLÖTE am 5. Dezember

Die Aufführung hatte für eine Ersatzvorstellung (der vorgesehene Don Giovanni mußte wegen Erkrankung Eberhard Wächters abgesagt werden) auffallend hohes Niveau. Dies ist in erster Linie dem Dirigenten des Abends, Joseph Keilberth, zu danken, der Mozarts Musik in ihrer ganzen Klarheit und Differenziertheit aus dem Orchester erblühen ließ. Am Beginn war es interessant zu beobachten, wie sich die Musiker (während der Ouvertüre) erst wieder auf einen Dirigenten umstellen mußten, der mit einem festen Konzept ans Pult trat und seine Auffassung der Partitur zu realisieren wußte. Bei den Leistungen der Sänger überwogen die ausgezeichneten und guten. Beste Leistung des Abends: Wilma Lipps Pamina, eine schon oft gewürdigte Verbindung makelloser Stimmkultur, beseelter Prosa, ausdrucksvollen Spiels und blendender Erscheinung. Ebenbürtig Erich Kunz als Papageno, ein Stück Wiener Operngeschichte. Kurt Böhmes Sarastro war eine imposante Erscheinung, auch stimmlich, solange es nicht in die tiefen Regionen der Partie ging. Keinen guten Abend hatte Waldemar Kmentt als Tamino. Seine Bildnisarie war besseres Einsingen, und auch später drückte er ziemlich grob auf die Stimmbänder. Als Königin der Nacht gastierte Nina Stano. Die Technik war gut, das hohe f kam sicher, nur mit dem Takt war die Sängerin abermals etwas frei, zu frei. Die kurze Rolle der Papagena machte die zauberhafte Anneliese Rothenberger zu einem Erlebnis und gefiel besonders durch ihre extemporierende Prosa. Otto Wiener sang einen würdevollen Sprecher; die Drei Damen waren mit Gerda Scheyrer, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan besetzt, der Monostatos mit Fritz Sperlbauer.

SALOME am 6. Dezember

„Wie schön ist die Prinzessin Salome". Ja viele fanden Phyllis Curtin schön an diesem Abend. Doch mit dem Körper allein sollte man an der Staatsoper Wien keine Salome repräsentieren. Richard Strauss schrieb die Rolle für eine Sängerin und nicht für eine gutaussehende, wohlproportionierte Dame, die es in raffinierter Weise versteht, Schleier um Schleier abzulegen und sich sehr begehrenswert in Szene zu setzen. Die Herren des Parketts, einschließlich des Bundestheaterchefs, griffen mehr als üblich zum Opernglas. Wer sich aber auf die Ohren verließ, der konnte einfach keine Bewunderung für Frau Curtin aufbringen. Die kühle Stimme ist viel zu klein, um über den Orchesterapparat, dem Ernst Märzendorfer wie ein Schlangenbeschwörer vorstand, hinwegzukommen. Der Schlußgesang war auf der Galerie kaum zu hören. Wie man Darstellung, Stimme und Gesang auf ideale Weise auf einen Nenner bringen kann, bewies Gerhard Stolze als Herodes. Er steht weiterhin im Mittelpunkt jeder Salome-Aufführung. Bestens sekundierte ihm Regina Resnik, eine Künstlerin, die Gesang und Schauspiel ebenfalls zu verschmelzen weiß. Otto Wiener als Jochanaan hatte diesmal in der Zisterne mit einem abgerissenen Ton Pech, doch das tat seiner gewohnten guten Gesamtleistung keinen Abbruch. Waldemar Kmentts schlanker Tenor eignet sich gut für den Narraboth. Von Ovationen des Publikums, wie amerikanische Zeitungen schrieben, war am Ende der Aufführung nichts zu bemerken, oder doch .... einige Herren im Parkett klatschten mit feurigen Augen.

DON CARLOS am 7. Dezember

Eine gute Repertoireaufführung. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte impulsiv und lebendig, konnte aber vereinzelte Differenzen zwischen Bühne und Orchesterraum nicht verhindern. Ausgezeichnet war diesmal Sena Jurinac als Elisabeth; stimmlich strahlend und mühelos, darstellerisch sehr innig und beseelt. Desgleichen ausgezeichnet Walter Kreppels Philipp, nicht nur mit prachtvoller Stimme gesungen, sondern auch in der Gestaltung bereits gut profiliert. Giuseppe Zampieri und Aldo Protti waren stimmlich ausgezeichnet, Biserka Cvejic zeigte gewohntes Format. Als Großinquisitor demonstrierte Nicola Zaccaria mit einem kapitalen Ausstieg im letzten Bild Unmusikalität.

DIE FLEDERMAUS am 8. Dezember

Dieses Stück, das doch von Oldenburg bis Bregenz so ziemlich jede deutschsprachige Bühne im Repertoire führt, ist bei uns fast zu einer Art Rarität geworden, wie anderwärts der Ring-Zyklus. Die liebe gute alte Fledermaus wird nämlich öfter abgesagt als gespielt. Diese Aufführung wackelte wieder einer Indisposition Eberhard Wächters wegen, der aber dann doch heroisch seinen bereits sprichwörtlich hervorragenden Eisenstein spielte - daß er die musikalisch schwierigsten, weil höchsten Stellen, nämlich das Uhrenduett und das Terzett im dritten Akt strich, konnte man ausnahmsweise hinnehmen. Erstens ist eine gestrichene Fledermaus immer noch besser, als gar keine, und außerdem ersparte uns der Strich im letzten Akt das Vergnügen, den statt Peter Klein als Dr. Blind angesetzten Erich Majkut wieder zu hören. Wir hatten schon vom ersten Akt genug. Auch Hans Braun, der statt Herrn Berry den Dr. Falke übernahm, bereitete uns (dem Merker ) die grimmige Genugtuung, über den Unterschied zwischen Ensemble und „Ensemble", zwischen einer Güden, Rothenberger, einem Wächter, Berry und Kunz einerseits und zwischen (im besonderen Falle!) einem Herrn Braun und Majkut andererseits kein Wort mehr verlieren zu müssen. (Wir hoffen, daß dieser Verriß im Ton nobel genug geriet und gewissermaßen mit Dignität serviert wurde.) Stimmlich glanzvoll und von bezaubernder Damenhaftigkeit war also Hilde Güdens Rosalinde. Die Adele von Anneliese Rothenberger ist in ihrer charmanten Urwüchsigkeit gerade im rechten Maß zwischen Oper und Operette liegend, ebenso der Frank von Erich Kunz, der nun auch in dieser Partie mit dem Moser’schen Hüsteln begann, was er sich erst gar nicht angewöhnen sollte, da es zu einer fixen Idee werden könnte. Die Tenöre Giuseppe Zampieri als Alfred und Murray Dickie als Orlofsky ergänzten das Ensemble (nicht das „Ensemble") auf das Beste. Richard Eybner als Frosch war eine gute Studie. Nicht das Beste war der Chor – überhaupt sitzt die ganze Aufführung merklich nicht mehr so gut. Herbert von Karajan hätte gut daran getan, etwas schärfer zu proben, statt sich darauf zu verlassen, die Aufführung werde noch von den Plattenaufnahmen her sitzen.

DIE ZAUBERFLÖTE am 9. Dezember

Solides Niveau hatte der Mozartabend unter Berislav Klobucar, der sich mit Erfolg bemühte, die durch Planlosigkeit zwangsläufig auftretenden Pannen auszugleichen. Mancher Mozartfeinschmecker mag über das Gebotene des Abends die Nase gerümpft haben, aber wir dürfen nicht vergessen, daß derzeit jeder Abend unter schwierigen Umständen zusammenkommt. Das Pokerspiel, durch die Bühnenarbeiter hervorgerufen, geht weiter. Für die notwendige Stimmung sorgte der unverwüstliche Erich Kunz, der als Papageno eine echte Volkstype auf die Bühne stellte, dem der Schnabel recht gewachsen war und der mit dem Publikum umzugehen weiß, wie mit seinen Vögeln. Das zweite große Plus des Abends hieß Gundula Janowitz, die die schwierige Arie „Ach ich fühls" einfach hinreißend sang. Die junge Künstlerin vermochte dabei ihrer herrlichen Stimme eine schwermütige Schattierung zu geben, die ungemein anziehend und zu Herzen gehend wirkte. Stürmischer Beifall dankte ihr für diese exzellente Wiedergabe. Im Abstand zu diesen Künstlern stand Waldemar Kmentt als Tamino. Auch er weiß, wie man Mozart singt, doch leider enthält die Stimme in der oberen Lage zu wenig Wohlklang. Hier nämlich wirken die stets richtig gesetzten Töne steif und nicht schwingend. Kurt Böhme als Sarastro hat für diese Rolle nur eine schön klingende Mittellage und Höhe zu bieten, in der Tiefe war er nicht vorhanden. Im weiteren Abstand zu den immerhin noch vertretbaren Leistungen des Tamino und Sarastro stand Nina Stano als Königin der Nacht. Nunmehr erweist sich, daß sie derzeit noch viel zu unausgeglichen und vor allem in rhythmischer Hinsicht zu unsicher ist, um an der Wiener Staatsoper zufriedenstellend zu singen. Nicht vergessen sei Anneliese Rothenberger als Papagena, die sofort für eine erkrankte Kollegin zur Stelle, war um den Abend zu retten. Daß sie wunderhübsch aussah und bezaubernd sang, bedarf wohl keiner wohl keiner näheren Erläuterung. Otto Edelmann als Sprecher war eine Fehlbesetzung und seine Leistung wirkt, als habe er sich mit der Figur noch niemals auseinandergesetzt. Die Drei Damen (Hilde Zadek, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan) waren nicht immer ganz im Bilde, ebenso wenig die drei Sängerknaben.

CARMEN am 10. Dezember

Diese Aufführung vermochte den vielgeplagten Hörer mit vielem Vorangegangenen zu versöhnen. Das war eine Aufführung mit Saft und Kraft, mit Eleganz und Schwung. Schönheitsfehler: Der Chor, der doch in fast vier Monaten Premierenlosigkeit wirklich den französischen Text bereits hätte erlernen können (aber statt zu proben, werden offenbar zuviel Gewerkschaftsangelegenheiten verhandelt!), sang weiterhin deutsch, und die Damen produzierten im ersten Akt noch einen Schmiß erster Güte, über dessen Ursache sich die Beteiligten heute noch nicht einig sind. Regine Resnik ist die Carmen unserer Tage, die alles mitbringt, was man dieser Figur abverlangen kann, Verspieltheit, Trotz, Temperament, die große Geste und sogar die Elegance, deren Fehlen bei den meisten Alt-Kolleginnen manche Dirigenten in die Arme subtil pointierender Sopran-Carmens treibt. Doch bei der Resnik ist auch das Timbre das ideale. Hilde Güden entfesselte mit einer herrlich gesungenen Micaela-Arie den größten Beifallssturm des Abends und stellte die Partie also in die richtige Relation zur beherrschenden Titelrollengestalt. So manches Mal wird eine Micaela ja bekanntlich ihrer dramaturgischen Funktion nicht so gerecht. Dimiter Usunows heldisches Organ hat mit den beiden ersten Akten gewisse Schwierigkeiten, die sich am hörbarsten im Zuhochsingen äußerten, doch ist die Steigerung und Entwicklung der Partie enorm und wirklich theatergerecht, was für den außerordentlichen Bühneninstinkt dieses temperamentgeladenen Natursängers spricht. Über Aldo Prottis Escamillo hat man schon unterschiedliche Dinge gehört. Der Referent des Abends sah ihn zufällig zum ersten Mal in dieser Rolle und fand ihn gut. Er ist ein stimmgewaltiger Naturbursche und unkompliziert, zwar ohne verfeinernde Ironie oder Dämonie – doch kann man die Partie unseres Erachtens auch so anzulegen. So standen den beiden kultivierten Künstlerinnen zwei explosive Donnerer gegenüber, was nicht ohne Reiz war. Die stilistische Perfektion vier Kultur-Edelstimmen zu vereinigen, wagen wir ja gar nicht zu fordern, obgleich es sicher nicht unschwer machen ließe. Unter den Comprimarii ragte der Zuniga Ludwig Welters hervor. So kann man auch aus einer kleinen Partie etwas machen – mit Stimme und Interesse. Herbert von Karajans Carmen-Interpretation wurde oft gerühmt. Sie war auch diesmal, nach Überwindung des Repertoire-Trägheitsmomentes, geradezu ideal zu nennen.

ELEKTRA am 11. Dezember

Die Titelrollenträgerinnen für diese Strauss-Oper sind derzeit dünn gesät und waren es wohl immer. Und so begegnet jede neue Elektra großem Interesse. Gladys Kuchta hat in Wien schon als Chrysothemis gastiert, ohne besonderen Eindruck zu hinterlassen. Nun trat der merkwürdige Fall ein, daß sie als Elektra besser gefiel. Die Stimme ist nicht ganz ausgeglichen und in den oberen Lagen spröde, doch ist die Stimme groß genug, um die Partie der Elektra durchzuhalten, das Spiel war gut einstudiert. Die Gestaltung der schwierigen Rolle wirkt so zwar nicht gerade aufregend, aber immerhin ist diese Leistung durchaus zufriedenstellend. Hilde Zadek gefällt immer dann besser, wenn sie von der löblichen Administration nicht zehnmal im Monat in Riesenpartien verheizt wird. Wenn Frau Zadek ihre Abende so einteilen würde, daß sie im Monat höchstens viermal singt und darunter einige kleinere Partien mischte (z.B. Nornen oder Walküren), würde sie sich manche Enttäuschung ersparen. Im Übrigen: daß Frau Zadek Drohbriefe erhielt und ihr Auto parolenverschmiert vorfand, sind Vorfälle, die wir schärfstens verurteilen! Frau Zadek ist eine treue Sängerin, die immer alles gesungen hat, was man von ihr wollte und stets zur Verfügung gestanden ist, wenn man sie benötigte. Diese Chrysothemis hatte durchaus Niveau, und manche Opernhäuser könnten froh sein, hätten sie eine so treue Zwischenfachsängerin. Also in Zukunft: Bitte, Übertreibungen in jeder Hinsicht zu lassen. Die Auslandsgastspiele der Sängerin untersagen zu wollen, weil man sie hier brauche, ist eine solche. Man lasse doch Frau Zadek gastieren gehen. Georgine Milinkovic ist als Klytämnestra leider eine Karikatur. Die Erzkomödiantin, die eine Herodias mühelos erspielt, versagt in dieser Rolle. Die Klytämnestra hat’s in sich und erfordert eine Persönlichkeit größten Formats. Wolfgang Windgassen wurde als Aegisth mißbraucht und sang ihn mit frischen, kräftigen Tönen. Diese fehlten Kurt Böhme als Orest durchaus. Wir wagen es, ihn trotz Dresdner Strauss-Tradition als Fehlbesetzung zu bezeichnen. Berislav Klobucar dirigierte ambitioniert und gut.

MADAME BUTTERFLY am 12. Dezember

Mehr erwartet hatten wir uns von dem erprobten Butterflyteam Sena Jurinac, Giuseppe Zampieri und Berislav Klobucar. Vielleicht war es die Tagesverfassung der einzelnen Künstler, die alles zusammen nicht das gewohnte Format erreichen ließ. Sena Jurinac Stimme klang müde und abgekämpft, Giuseppe Zampieris Tenor entbehrte der Klangkraft und Kostas Paskalis Stimme hörte sich noch rauher als sonst an. Berislav Klobucar vermochte aus Rücksichtnahme auf die Solisten die Wiener Philharmoniker nicht zu der üblichen Klangintensität anzuspornen. Puccini Melodieneinfall erschien uns zur Begleitmusik degradiert, was wir vielleicht vor Jahren noch zur Kenntnis genommen hätten, weil wir es damals noch nicht anders gewohnt waren. Ebenfalls schwach waren die Episodensänger, vor allem bei Margareta Sjöstedt mußt man an diesem Abend dreimal auf die Bühne starren, um festzustellen, daß sie überhaupt vorhanden war. Eine blassere Darstellung der Suzuki kann man sich kaum mehr vorstellen. Man dankte für die herzergreifende Darstellung von Frau Jurinac und ging still von hinnen, in der Hoffnung, daß es das nächste Mal wieder besser sein werde. Künstler sind auch nur Menschen...

LA BOHEME am 13. Dezember

Diese Aufführung hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Trotz mancher schönen gesanglichen Leistungen wollte die richtige Puccini-Stimmung – nicht zu verwechseln mit Sentimentalität – nicht aufkommen. Von einer nuancierten, persönlichen Interpretation, von einem Aufblühen des Orchesters war wirklich nichts zu spüren. Die Musik plätscherte ohne nennenswerte Steigerung dahin, auch das große Schwimmfest im zweiten Akt blieb in gemäßigten Bahnen. Vom Pult her wurde jedenfalls kaum eingegriffen (Dirigent: Wilhelm Loibner). Daß sich trotzdem eine gewisse Stimmung im Haus einstellte, verdankte man den Sängern: Untadelig, stimmlich ausgeglichen, musikalisch einwandfrei Hilde Güdens Mimi; nicht ganz so tadellos ihr Rodolfo, Giuseppe Zampieri, der sich erst mit fortschreitender Handlung näher mit der Rolle identifizierte, jedoch im ganzen eine schöne Leistung bot. Anneliese Rothenberger als Musetta besaß zwar die nötige Ausstrahlung und war reizend anzuschauen, hatte aber doch auch ihre Plage mit dem zweiten Akt. Der Stimmgewaltigste der Bohemiens war Aldo Protti, mit Recht bejubelt für sein lebendiges Spiel und seinen stimmlichen Einsatz. Erwähnenswert der Colline der Aufführung, Nicola Zaccaria, ein distinguierter Philosoph, dessen Mantelarie gefallen konnte. Dem Chor wären einige Proben wirklich zu empfehlen.

BALLETTABEND am 14. Dezember

COSÌ FAN TUTTE am 15. Dezember

Così am Ring – das gab’s seit dem Jahre 1941 nicht! Damals wurde die Oper in einer Hartmann-Inszenierung als Ensemblegastspiel der Münchner Staatsoper unter Clemens Krauss mit Viorica Ursuleac, Georgine Milinkovic, Hilde Güden, Julius Patzak, Carl Kronenberg und Hans Hermann Nissen gespielt; während die Mozartspezialisten diese Kostbarkeit dann in den Redoutensaal verbannten, wo sie zuerst reizvoll war, nun aber total abgespielt wirkt. Nachdem bereits Paris, Nizza, London, Wiesbaden und durch mehrere Festspielsommer hindurch auch Salzburg diese szenische Einrichtung sahen, bekam nun auch der musikalische Nachwuchs der Wiener Oper das Werk zu Gesicht. Man war gespannt, wie die Jugend dieses Werk und die Inszenierung aufnehmen würde und war erstaunt, daß anfänglich überhaupt keine Stimmung aufkommen konnte. Es bedurfte der drastischen Mittel von Erich Kunz – der bereits an die zwei dutzend Male vergeblich mit dem angeklebten Schnurrbart wackelte – bis sich die ersten Lacher einstellten. Nach der Pause war es dann besser, und nach sechs Schlußvorhängen ging man in Gedanken versunken wieder heim. In dieser szenischen Einrichtung – im Programm wird sowohl der Bühnenbildner, wie der Regisseur verschwiegen und lediglich ein Spielleiter genannt – paßt das Werk offenbar nur schwer in das große Haus. Günther Rennert könnte in Anlehnung an seine prachtvolle Salzburger Inszenierung den Rahmen fürs Haus am Ring schaffen, doch wird zweifellos die idealste Realisierung im Theater an der Wien möglich sein.

Wilhelm Loibner stand am Pult und hielt Kontakt zwischen Bühne und dem gegenüber dem Redoutensaal vergrößerten Orchester, mehr ist über seine musikalische Leitung wirklich nicht zu sagen. Elisabeth Schwarzkopf stand als Fiordiligi auf der Bühne, sie war diesmal nicht in der gewohnten Hochform, die erste Arie war etwas schwächer, der zweite Akt war dann jedoch ausgezeichnet. Da die Künstlerin dann ab Weihnachten ihre weiteren Wiener Verpflichtungen absagte, weil sie sich krank fühlte, ist es zu verstehen, daß sie diesmal nicht ganz so überzeugte wie sonst. Ihre Schwester Dorabella war einfach nicht vorhanden. Margareta Sjöstedt erwies sich als unzureichend: im großen Haus ging nicht ein Funken Charme und Humor von dieser Dorabella aus. Außerdem leistete sie sich einen argen musikalischen Ausstieg. Die kleine Italienerin Adriana Martino war als Despina gut, bewies allerdings, daß es auch in Italien nur eine Despina von Weltformat, nämlich Graziella Sciutti, gibt. Waldemar Kmentt plagte sich hörbar mit dem „Un’aura amorosa" und blieb darstellerisch gänzlich blaß. Erich Kunz sang gut und war, nachdem er dezent begann, dann wieder nicht zu halten, wobei besonders sein asthmatisches Hüsteln in der Wiener Oper nicht am Platz ist. Ludwig Welter sang den Don Alfonso. Er hatte es sehr schwer, denn jeder, der Paul Schöffler diese Partie nachsingen muß, hat mit der Erinnerung an dessen eminente Persönlichkeit zu kämpfen. Nachdem es bereits namhaftere Sänger abgelehnt haben, Schöffler den Alfonso nachzusingen, wollen wir nur festhalten, daß Herr Welter in die Figur, die er erst zweimal – und ohne Regisseur – verkörpern hat, stimmlich und darstellerisch hineinwachsen muß. So gab es vor einem zuckerlrosa Behelfshorizont große Bewegungen und große Gesten der Hauptakteure und eine Così-Aufführung, die nur als Notlösung bezeichnet werden kann.

CARMEN am 16. Dezember

Die Hauptrollenträger waren gleich geblieben wie am 10. Dezember, und dennoch wollte sich nicht die Stimmung der vorher gehörten Aufführung einstellen. Unserer Meinung nach war die Ursache dafür der himmelhohe Unterschied zwischen einem Meisterdirigenten und einem Kapellmeister. Ernst Märzendorfer hatte die undankbare Aufgabe, Karajan nachzudirigieren. Auch er wählte die subtile musikalische Interpretation, er hielt das Orchester dankenswerterweise stets zurück, doch die einzelnen Stimmungen, der Farbenreichtum der Partitur blieben ihm versagt, seine musikalische Leistung vermochte die Philharmoniker nicht zu inspirieren. Der Klang des Orchesters war Nebensache geworden. Dabei waren einzelne Solisten besser bei Stimme als in der ersten Aufführung. Nicht nur Regina Resnik sondern auch Dimiter Usunow. Regina Resnik sang die Carmen unbeschreiblich raffiniert und mit jener Selbstverständlichkeit der Zwischentöne, die andere nie erlernen. In schauspielerischer Hinsicht war sie die femme fatale, ohne dabei auf äußere Effekte zurückgreifen zu müssen. Dimiter Usunow blieb diesmal bei seinen Fortetönen, er sang die Blumenarie im Brustton dieser Überzeugung. Im dritten und vierten Akt setzte er Schmettertöne an, die ihn viel besser entsprachen, als die gedrosselte Stimme im Duett des ersten Aktes. Hilde Güdens Micaela zu hören, bedeutet immer einen ästhetischen Genuß. Nicht zu vergessen auch ihr Aussehen, das die ewige Jugend verkörpert. Aldo Protti sang einen draufgängerischen Escamillo ohne Elegance. In Ludwig Welter stand neuerlich ein stimmgewaltiger Offizier auf der Bühne. Von allen Nebenrollenträgern war er weitaus der beste. Doch wie gesagt, das Echo des Publikums war bedeutend schwächer als am Sonntag. Es hat richtig erkannt, daß in der Idealwiedergabe eines Werkes das Orchester den Solisten adäquat sein muß.

FIDELIO am 17. Dezember

Das lang erwartete Wiener Debüt von Sena Jurinac als Leonore fand nun endlich doch statt. Wir betrachten es allerdings als Schande, daß große Sängerinnen ihre Partien erst im Ausland ausprobieren müssen, aber man kann leider als aufgeklärter Wiener Opernbesucher dazu nur sagen: Recht haben sie, denn in Wien kämen sie nie dazu. Beim Ansehen dieser verkorksten Fidelio-Inszenierung fiel wieder peinlich auf, daß die grausliche Opernfest-Blamage schon längst ersetzt werden sollte. Die unansehnliche Schale dieser schon oft verrissenen Inszenierung enthielt aber an diesen Dezembersonntag einen edlen Kern. Die Leonore der Jurinac ist so wirksam dadurch, daß sie gar nichts macht. Sie ist edel und menschlich in ihrer rührenden Einfachheit. Sie ist nicht die mißverstandene Apotheose des ringenden Heldenweibes, sie ist einfach eine Frau, die aus Liebe alles tut. Sena Jurinac bietet keine „Auffassung" der Leonore mehr, sie ist sie! Hilde Konetzni war mit edlem Pathos die Leonore unserer ersten Fidelios, bevor sie – auffassungsmäßig – verdrängt wurde von der unterspielenden Tragödin Martha Mödl. Und diese wieder von Gré Brouwenstijn in ihrer scheuen Sprödigkeit. Nun hat Sena Jurinac alle überflügelt – sie kommt auf die Bühne und nimmt gefangen, wenn sie den Gefangenen befreit. Aufmerksame Leser werden schon bemerkt haben, daß alle die erwähnten großen Fidelio-Sängerinnen solche waren, die mit stimmlichen Handicaps zu kämpfen haben. Das ist ein merkwürdiges Phänomen (Leonie Rysanek und Birgit Nilsson, die die Leonore herrlich singen, sind wieder zu unprofiliert) und Frau Jurinac macht dabei keine Ausnahme. Daß sie von Nervosität förmlich geschüttelt wurde, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, denn es ist uns nicht ganz verständlich. Das Wiener Publikum wird seine Jurinac schon nicht bei lebendigem Leibe verzehren, wenn sie schmeißt. Und das tat sie leider (die beiden H der Arie waren sogar Schmisse ersten Ranges). Es wäre in Zukunft vielleicht besser, in die langen Phrasen vorschriftswidrig hineinzuatmen, als die Luft ausgehen zu lassen. Dann erfolgte noch ein größerer Ausstieg in der „Namenlosen Freude", von dem sich Wolfgang Windgassen, ein wirklich nobler Kollege, Gott sei Dank, nicht anstecken ließ, und so kam die Sache wieder ins rechte Lot. Alles übrige sang die Jurinac herrlich (besonders „Töt erst sein Weib" und das b im Finale) obzwar die Kerkerszene wirklich schon die letzte Grenze für ihr Stimmkaliber darstellt. (Beethoven muß an die Stimme eines Engels und nicht an die eines Menschen gedacht haben!).

Besonders eindrucksvoll war es, wie sich Herbert von Karajan der Titelrollenträgerin anpaßte. Sein Fidelio war ruhiger, gewissermaßen „klassischer" als sonst, ganz auf die lyrische Interpretation zugeschnitten und von so demütigem Verzicht auf alles, was er bei Beethoven sonst gern macht, daß man seinen Gegnern und Neidern nur wieder einmal zurufen muß, sie sollten gefälligst besser zuhören.

Leider waren unsere lieben Philharmoniker in „Geberlaune", d.h. sie fabrizierten nach dem obligaten Hörnerschmiß in der Arie (wissen denn unsere Herren Hornisten nicht, daß viele Fidelio-Sängerinnen diese Hörnerschmisse als gutes oder böses Omen für ihr zweites H werten und daß viele danebengegangenen Töne auf die nervtötende Wirkung eines prächtigen Hornschmisses zurückzuführen sind?) ein Trompetensignal hinter der Szene des Kerkeraktes, daß man glaubte, auf dem Tanzpodium eines Kirtags zu stehen. So war diese Zentralstelle der Oper natürlich in Einer. Aber, aber, Herr Trompeter! Im Zuschauerraum wurde es bei diesen Schmissen sehr unruhig!

Das Ensemble war übrigens von nahtloser Geschlossenheit. Für Wolfgang Windgassen und Hans Hotter sind ihre Rollen gerade zum Einsingen da, und sie verschwenden heuer wahrlich ihre Zeit an Wien. Erfreulich und dankenswert aber ist der Einsatz, der von mehr künstlerischer Gesinnung zeugt, als sie bei vielen anderen des Hauses vorhanden ist. Walter Kreppel ist ein nobler und stimmgewaltiger Rocco. Das Buffopaar Anneliese Rothenberger und Murray Dickie zeigte sehr viel Disziplin und gab seinen kleinen Genre-Szenen Atmosphäre, ohne sich in den Vordergrund spielen zu wollen. Nur Frederick Guthrie enttäuschte durch die Hohlheit seines Organs. Fazit? Großer Abend gemildert durch Schlamperei. Sehr menschlich und echt Wiener Oper.

ELEKTRA am 18. Dezember

Vor einem schwach besuchten und ausverschenkten Haus ging die Straussoper wieder in Szene. Grund für die derzeit oft angesetzte Oper: der indirekte Bühnenarbeiterstreik, nicht die Wertschätzung des Werkes von Seiten der Direktion. In der Kürze liegt derzeit die Würze – nur keine Überstunden. Am Pult stand Ernst Märzendorfer, der das Werk ziemlich lautstark, aber sicher über die Bühne brachte. Die Philharmoniker wirkten diszipliniert, vielleicht hätte auch einer von ihnen bei dieser Disziplin am Pult stehen können. Wir wollen Ernst Märzendorfers Leistung nicht schmälern, aber warum fühlt sich der Dirigent so bemüßigt, einen Posseur hervorzuzaubern? Mit dieser Gestik und diesem körperlichen Aufwand an Zeichengebung wäre wahrscheinlich Hans Knappertsbusch für hunderte von Elektra-Aufführungen ausgekommen. Christl Goltz sang die Elektra mit vollem Stimmeinsatz und restlosem Aufgehen in der Partie. Leider lagen jedoch die Höhen wieder etwas zu tief, und die künstlerische Aussage vermag über dieses Manko nicht mehr hinwegzukommen. Aber die Erkennungsszene mit Orest, den Paul Schöffler verkörperte, gehört immer noch durch die Darstellung und das Zusammenspiel der Künstler zu den schönsten Szenen, die man erleben kann. Hilde Zadek hatte als Chrysothemis einige gute Momente, vor allen gegen den Schluß der Oper. Nicht zu verschweigen ist die Tatsache, daß sie in dieser Partie zuviel auf die Stimme drückt, was teilweise in forcierten Tönen zum Ausdruck kommt. Regina Resnik spielt nicht nur die Klytämnestra, sie singt sie auch – mehr noch: sie ist die Klytämnestra unserer Tage. Die Mägdeszene sollte frisch geprobt werden, außerdem hätte sich Gerda Scheyrer unbedingt als indisponiert entschuldigen müssen. Was denkt der Zuhörer, der sie zum ersten Mal so hört!

TOSCA am 19. Dezember

Das erfreulichste an diesem Abend war das Wiedersehen mit Gré Brouwenstijn in der Titelrolle. Die ungemein sympathische Künstlerin mit ihrer prachtvollen Erscheinung, ihrer fraulichen Ausstrahlung und ihrer großen Intelligenz versteht es, das Publikum stets von Neuem für sich einzunehmen. Das Timbre ihres Soprans, ihre Art des Singens kommt im deutschen Fach besser zur Geltung, aber dennoch war man von ihr im Gesamteindruck als Floria Tosca befriedigt. Daran konnten auch einzelne sehr vorsichtig angesetzt Phrasen nicht rütteln. Man nahm Anteil an dem Schicksal der Primadonna, und damit war die Aussagekraft der Künstlerin bestätigt. Umgeben war sie von zwei Künstlern, die für psychologische Schattierungen der Rollen wenig übrig haben, aber dafür verschwenderisch mit ihrem Material umzugehen verstehen. Aldo Protti als Scarpia betont in seiner Rolle die Gier nach Macht und Rücksichtslosigkeit des Despoten. Er legt seiner mächtigen Stimme keine Zügel an und läßt sie verschwenderisch den ganzen Abend verströmen. Dimiter Usunow als Cavaradossi hatte im „Vittoria" seinen Höhepunkt. Auch er fühlt sich dann am wohlsten, wenn er die Höhenkraft seines Organs im Forte prunken lassen kann. Viel weniger liegen ihm die Lyrismen, wo die Stimme durch Drosselung bedeutend an Glanz verliert. Ludwig Welter als Mesner verfällt keinen Augenblick in eine Überzeichnung der Rolle, wodurch das Menschliche der Figur mehr in den Vordergrund tritt. Nicola Zaccarias Angelotti hat man sofort nach seinem Abgang von der Bühne für immer vergessen. Erich Majkut als Spoletta kann man natürlich nicht vergessen. Wilhelm Loibner gab sich alle erdenkliche Mühe, Bühne und Orchester zusammenzuhalten, manchmal artete dies in Langeweile aus. Für die Uneinigkeit der Celli vor „E lucevan le stelle" ist er jedoch nicht zu verklagen.

CAPRICCIO am 20. Dezember

Hans Swarowsky fühlt sich auf dem Parkett des Salons der Gräfin Madeleine hörbar wohler als etwa auf der Festwiese oder im Rom Pierluigi Palestrinas – vom Escorial ganz zu schweigen. So kam es zu einer teilweise befriedigenden Aufführung, wobei aber die Einschränkung mehr die Gastsänger betraf.

Ernst Krukowski war ein farbloser Graf, der aber nichts verdarb. Er gefiel immerhin besser als sein Vorgänger. Wir müssen es jedoch als Skandal ersten Ranges bezeichnen, daß Eberhard Wächter noch nicht gebeten wurde, die Partie zu übernehmen, während wir immer und immer mühsam herbeitelefonierte Notnägel hören müssen, wenn wir die Idealbesetzung im Hause haben. Kurt Wehofschitz, der in Düsseldorf zu Recht nicht eben beliebte Tenorino, kam also auch an die Wiener Oper. Na, ja. Ist denn niemand auf die naheliegende Idee gekommen, Waldemar Kmentt die Partie des Flamand gleich bei der Premiere mitstudieren zu lassen, wenn man ihn schon im Hause hat? Es ist doch bekannt, daß Kmentt in Ensemblepartien viel glücklicher ist als mit Bravourarien. Und als guter Schauspieler hätte er wahrscheinlich aus der Rolle mehr herausgeholt als die Premierenbesetzung. Paul Schöffler, der große alte Komödiant, zog alle Register seines Könnens und sang markant in der Tiefe, wogegen er sich in der Höhe hinwegschwindelte. Elisabeth Schwarzkopf singt derzeit mit etwas mehr Mühe als sonst, das ist alles, was man bei ihr von einer Indisposition merken kann. Ihre Kultur und ihr Charme können allerdings von keiner Grippe beeinträchtigt werden. Hervorragend war Walter Berry als Olivier (er sang statt des ursprünglich angesetzten Heinz Imdahl) mit prachtvoller Stimme, aber gebändigter, überlegener als früher und die Pointen eleganter aus dem Handgelenk schüttelnd. Sein neues Kostüm wies allerdings schon zu sehr in die Zeit der Aufklärung und stilistisch um etliche Jährchen voraus. Daß die Clairon nicht zu den stärksten Partien von Christl Goltz gehört, ist nicht unbekannt. Liselotte Maikl war neu als italienische Sängerin und sang wie immer sauber, verläßlich und – farblos. Giuseppe Zampieri scheint es nicht zu bekommen, daß er jetzt immer nur Bäume singen darf. Seine herrliche Stimme klang ein wenig angerostet.

ARIADNE AUF NAXOS am 21. Dezember

Daß dieser Abend nicht in rettungslose Langeweile ausartete war nur zwei Sängern zu verdanken: Im Vorspiel gestaltete Paul Schöffler einen großartigen Musiklehrer, hervorragend in Spiel und Ausdruck, auch stimmlich überraschend gut. In der Oper dann James McCracken, ein stimmgewaltiger Bacchus. Mühelos meisterte er die Partie. Jedes Wort bleibt verständlich, wenn er auch nicht ganz verleugnen kann, daß er aus dem Ausland kommt. Im Spiel wirkte er gelöster als früher. Jedenfalls merkt man, daß der sympathische junge Sänger sehr an sich gearbeitet hat. Das läßt sich auch von Margareta Sjöstedt sagen, der die Rolle des Komponisten anvertraut war. Sie bot diesmal eine passable Durchschnittsleistung, hat es aber natürlich schwer, sich gegen die prominenten Vorbilder durchzusetzen. In den höheren Lagen ist Frau Sjöstedt noch nicht sicher, zusammenhängende Phrasen werden meist zerhackt, die Spitzentöne oft vorsichtig genommen. Hilde Zadek konnte weniger gefallen, sie war stimmlich nicht in sehr guter Verfassung. Rita Streich war ebenfalls nicht gut disponiert, plagte sich sehr mit der Höhe und blieb so der Partie sehr viel schuldig. Nur übertrieben neckisches Spiel genügt für eine Zerbinetta nicht. In den Nebenrollen sehr gut die Herren Erich Kunz, Gerhard Stolze und Peter Klein. Die Philharmoniker konnten von Wilhelm Loibner nicht zu besonderen Leistungen angeregt werden.

LA TRAVIATA am 22. Dezember

Eine Aufführung, in der in den tragenden Partien durchwegs junge Künstler eingesetzt waren, die ihren Einsatz diesmal rechtfertigten. Mimi Coertse sang an diesem Abend eine saubere und auch empfindungsreiche Violetta mit schönen Pianis und mühelosen Spitzentönen, nur hätten im zweiten Akt einige Höhen mehr Substanz vertragen, mehr Dramatik erfordert. Der Stilbruch in der Stimmbehandlung der Partie durch Verdi machte Frau Coertse wenig Schwierigkeiten, was für eine gut fundierte Technik der Sängerin spricht. Das Spiel war konventionell, aber stets echt empfunden. Wir hoffen, daß diese Tendenz zu besseren Leistungen bei Frau Coertse auch weiterhin anhält. Den Vater Germont sang Kostas Paskalis bis auf einen kleinen Kickser im Duett mit Violetta mit schön timbrierter Baritonstimme, ohne Unarten und mit vollem stimmlichen Einssatz (Arie). Hat uns sein Mezzavoce schon immer gefallen, taten dies diesmal auch seine ohne Rauheit gesungenen Fortetöne. Ein bemerkenswerter Fortschritt! Makellos sang Giuseppe Zampieri den Alfredo. Es war eine Ohrenweide ihm zuzuhören, eine Demonstration besten Belcantos. Da er auch im Dramatischen (zweites Finale) voll aus sich herausging, hatte sein Alfredo jene große Linie, die uns bisher bei ihm fehlte. Was hat doch der einstige Cassio im Laufe seiner Karriere, die hier in Wien begann, alles dazugelernt. Von den Comprimarii sei nur Laurence Dutoid und Alois Pernerstorfer als Douphol erwähnt. Karl Weber gefiel sich in infernalisch-geistvollem Lächeln. Am Pult stand Wilhelm Loibner, der das Seine zur allgemeinen Zufriedenheit des Publikums beitrug, exakt begleitete, in den Vorspielen aber sehr eigenwillig rasche Tempi zu Gehör brachte.

FIDELIO am 23. Dezember

Dieser Abend erwies sich als Repertoirevorstellung von vertretbarem Niveau. Ernst Märzendorfer bemühte sich neuerdings zu dirigieren, was in der Partitur steht, und verzichtete meistens auf eigene Auffassungen, die hier ohnehin nicht durchzusetzen sind. So gewinnt er nur. Christl Goltz hat als Leonore Format, singt aber ab A leider alles mit Regelmäßigkeit und kräftig zu tief. Man hat den Eindruck, sie könne die schwere Stimme nicht mehr halten. Wolfgang Windgassen sang wieder einen prächtigen Florestan, und Hans Hotter, den die Figur des Pizarro manchmal ein wenig zum Überspielen verleitet – ihn, den Erfinder des Understatement auf der Bühne (!) – beherrschte die Bühne mit kraftvoller Persönlichkeit, Oskar Czerwenka spielte einen freundlichen Singspiel-Rocco und war stimmlich überraschend und erfreulich frisch und kräftig. Hoffentlich ist dieser Aufschwung anhaltend. Überdies kann er das Verdienst für sich buchen, Herrn Märzendorfer durch kräftiges Anschieben in der Goldarie zu richtigen Tempi gebracht zu haben, denn vorher zog dieser ganz fürchterlich. Anneliese Rothenberger sang wieder ihre anmutige und innige Marzelline, die diesmal Gerhard Stolze als Partner hatte, der im Finale heldentenorale Töne anschlug. Alfred Poell war ein würdiger Minister.

SPIELFREI am 24. Dezember

DER ROSENKAVALIER am 25. Dezember

Ein wirklich schönes und der Wiener Staatsoper würdiges Weihnachtsgeschenk war diese Aufführung. Unter der schwungvollen und die Strauss’schen Feinheiten auf das liebenswürdigste servierenden Leitung von Karl Böhm sang Elisabeth Schwarzkopf ihre Marschallin, die sicher eine Revolution in der Geschichte dieser Partie bedeutet, eine Fürstin, die zum ersten Mal nicht eine liebliche, lächelnde Porzellanfigur ist, sondern auch ihren Schmerz, ihren Zorn, ihre Enttäuschung auf moderne Weise zum Ausdruck bringt und deren Verzeihung wirklich Resignation ist und nicht mütterliches Verständnis. Irmgard Seefried hatte als Oktavian einen hervorragenden Abend. Stimmlich war sie ganz ausgezeichnet, und die tiefe Lage der Partie bringt das kostbare Timbre ihrer Mittellage bestens zur Geltung. Sehr schön klang vor allem ihr Forte: z.B. von der Stelle an „war ein Haus und sie schickten mich hinein" im Schlußduett). Schauspielerisch war sie weit disziplinierter als sonst und nahm sich sofort an die Kandare, wenn sie sich in den Mariandlszenen selbst durchzugehen drohte. So überschritt die Verkleidungsszene im dritten Akt nicht den langjährigen Durchschnitt des Klamauks. Anneliese Rothenberger sang eine süße Sophie mit Charme und einem hübschen Dickköpfchen unter rosafarbener Rokokoperücke. Ihre Verzweiflung über den dicken Freier und ihr Streit mit dem Vater im zweiten Akt ist ebenso treffsicher dargestellt wie die Verzauberung bei der Rosenüberreichung und beim Terzett und Duett im dritten Akt. Oskar Czerwenka war als Ochs nicht nur schauspielerisch, sondern bis zur Mittellage auch stimmlich gut, mit den höheren Lagen tat er sich allerdings schwerer. Alfred Poell ist auch ein unverwüstlicher alter Herr. Wenn er relativ selten singt, bringt er noch immer erstaunlich hohe Töne heraus. Das Intrigantenpaar war mit Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein hervorragend besetzt, Murray Dickie sang die schwierigen Höhen der Sängerarie sicher aber steif. Kurt Equiluz irrte als Haushofmeister bei Faninal ratlos auf der Bühne umher. So ziemlich zum ersten Mal in unzähligen Rosenkavalier-Vorstellungen sahen wir einen anderen Leopold. Die Standardbesetzung der Partie ist aber an Komik nicht so leicht zu überbieten.

DIE FLEDERMAUS am 26. Dezember

Recht zwiespältigen Eindruck hinterließ diese Aufführung am zweiten Weihnachtsfeiertag. Viele, die zum ersten Mal die Inszenierung sahen, werden unsere Einwände nicht verstehen, doch es wollte nichts richtig klappen, was besonders bei den Dialogen, die man auf „Readers Digest" zusammenstrich, zu Tage trat. Wozu die schreckliche Pause vor dem „Mein Herr Marquis"? Es schien sich plötzlich niemand mehr auszukennen, und man war froh darüber, daß Wilhelm Loibner mit dem Orchester einsetzte. Das Ballett schien ebenfalls keine Probe für die Einlagen im zweiten Akt gehabt zu haben, alles wirkte improvisiert und unvorbereitet. Wilhelm Loibner am Pult war mit den Einsätzen an die Künstler vollauf beschäftigt, darunter hatte die Sinnenfreudigkeit der Partitur zu leiden. Eine Fledermaus ohne Esprit. Zwei Künstler hielten dennoch die Fahne der vorjährigen Silvesterpremiere hoch. Hilde Güden als Traumbild einer Rosalinde, ihr Sopran jubiliert in den Ensembleszenen und beim Csardas glaubte man plötzlich Pusztaluft zu atmen. Ihr ebenbürtiger Partner war Eberhard Wächter, Donnerwetter welch ein Eisenstein! Seine Laune war ansteckend, die Funken seiner Interpretation sprühten im ganzen Haus und ließen wenigstens teilweise die orchestrale Langeweile vergessen. Erich Kunz verkörperte auf seine charmante Weise den Gefängnisdirektor, man lachte herzlich über ihn. Über Giuseppe Zampieris Alfred beginnt man sich langsam zu ärgern, denn sein deutscher Text wird mehr und mehr unverständlich. Auch sollte der Künstler endlich am Beginn des ersten Aktes den richtigen Einsatz erwischen. Wenig Freude bereiteten die übrigen Akteure, allen voran Rita Streich als Adele, der jeglicher Wiener Charme abgeht, deren Stimme einen heiseren Beigeschmack hat und die die Koloraturverzierungen der Rolle sehr vorsichtig ansetzt. Auch die Eisensteins von damals hatten schon Sorgen mit dem Stubenmädchenproblem, nicht nur wir. Hans Braun (als Dr. Falke) brachte wienerische Aussprache mit, was er nicht mitbringt, ist hinlänglich bekannt. Erich Majkuts Hang zur Aufdringlichkeit in der Darstellung erhielt beim Notar erneut seine Bestätigung, ebenso bestätigt wurde sein ständiges Bemühen, besonders lautstark zu erscheinen. Bei Richard Eybners komödiantischem Frosch vermißte man die diffizielen Zwischentöne seines Vorgängers.

TOSCA am 27. Dezember

Ernst Märzendorfer dirigierte eine korrekte, aber eher langweilige Tosca. Es ist nicht jedermanns Sache, Puccinis Melodien zu starkem und echtem Leben zu erwecken und das, ohne süßlich zu werden. Herr Märzendorfer konnte es nicht, wie aber könnte er auch gut sein, wenn er wochenlang spazierengeht und dann in zehn Tagen viermal verheizt wird? Dabei ist Märzendorfer nicht unser Freund, wir sind noch immer der Ansicht, er sei kein Dirigent für eine Wiener Oper. Aber der Gerechtigkeit die Ehre. Margherita Roberti sang eine wirkungsvolle Tosca, war aber natürlich nicht so gut wie neulich unter Karajan. Es ist ein Unterschied, ob die Stimme eines Sängers von den Orchesterwogen getragen wird oder im Kampf gegen dieselben untergeht. Dimiter Usunow hatte nicht seinen besten Abend. Wenn die Partie zu Ende ist, hat er sich gerade erst richtig eingesungen. Für viele Sänger ist dieses Jahr an der Wiener Staatsoper ein verlorenes, da sie nicht zu ihren Partien kommen und sich womöglich stimmlich auch schaden können. Hans Hotter stand als Scarpia souverän über der Sache, hatte aber im Te Deum einen ziemlichen Kampf mit dem lauten Dirigenten auszufechten.

DIE ZAUBERFLÖTE am 28. Dezember

Müde Stimmung auf der Bühne, müde Stimmung im Orchester und noch müdere Stimmung im Publikum waren die Kennzeichen dieses Abends. Sehr unsicher war Wilhelm Loibner am Pult, der in den Tempi sehr ungleichmäßig war und sich gar nicht durchzusetzen vermochte. Wozu die Schwere der Begleitung bei den Papagenszenen, die dann bei Sarastros Auftritt fehlten? Das Ereignis des Abends war Gundula Janowitz als Pamina. Abgesehen davon, daß sie die Jugend mit auf die Bühne brachte, nennt sie einen Sopran ihr eigen, der alle anderen an diesem Abend gehörten Stimmen verblassen ließ. Für jeden ihrer Auftritte hatte sie den größten Beifall zu verzeichnen. Den Kampf mit der Müdigkeit des Publikums nahm Erich Kunz als Papageno erfolgreich auf. Ludwig Welter gefiel als Sarastro besser als sein weit renommierter Kollege Kurt Böhme, da seine Stimme mehr Mark hat. Erika Mechera sang die Königin der Nacht, sie hat sich gegenüber dem Vorjahr verbessert. Die Koloraturen sind durchschlagskräftiger geworden, nun müßte sie daran gehen, ihre obere Mittellage, die sehr dünn klingt, zu verbessern. Paul Schöffler vermochte als Sprecher seine Szene so auszuspielen, daß sie den Knotenpunkt des Werkes bildete. Waldemar Kmentts Tamino ist bekannt. Wir würden uns glücklich schätzen, einmal schreiben zu können, daß er sich stark verbessert habe. In den Nebenrollen waren Liselotte Maikl als nicht immer sattelfeste Papagena und Kurt Equiluz als leise singender Monostatos eingesetzt. Das Damenterzett bestand aus Gerda Scheyrer, Hilde Rössel-Majdan und Annemarie Ludwig, wobei Letztere ganz aus dem Rahmen fiel. Übrigens haftet jedem Damenauftritt der letzten Zeit deutlicher Probenmangel an. Manche Zuhörer verließen mißmutig das Haus. Allzu deutlich bekamen sie für teures Geld die Macht der Improvisation zu spüren.

DON CARLOS am 29. Dezember

Das Debüt einer Sängerin in einer neuen Rolle findet immer Interesse beim Stammpublikum, welches jetzt meist nur sehr spärlich die Oper besucht, was bei den derzeitigen Zuständen durchaus verständlich ist. Die Dame, die das Interesse des Stammpublikums für sich in Anspruch nahm, war Margherita Roberti als Elisabeth. Leider vermochte sie in der Verdirolle nicht so zu überzeugen wie als Tosca. Die Sängerin ist sehr musikalisch und versteht es, ihre Rollen mit echtem Theaterblut zu beleben. Dieses Kompliment muß man ihr auch nach dieser Verdi-Interpretation zollen. Diesmal trat allerdings eine Schwäche der Künstlerin zu Tage, die man bei Puccini nicht bemerkte, ihre Höhenlage beinhaltet eine gewisse tremolierende Schärfe, die besonders in der großen Arie auffiel. Man sagt nicht umsonst, daß Verdi ein Prüfstein für Stimmen ist. Ansonsten gab es die übliche Besetzung: Giuseppe Zampieri sang die Titelpartie mit Licht- aber auch Schattenseiten. Derzeit ist mit seiner Höhenlage irgend etwas nicht ganz in Ordnung. Die Stimme klingt dort sehr trocken und wird oft forciert eingesetzt, was nicht zu den Gewohnheiten des beliebten Tenors zählt. Als Eboli war Biserka Cvejic zu hören, wesentlich besser als zu Beginn des Monats, aber mit der Schlußphrase des „Don fatale" haperte es noch immer ganz gehörig. Kostas Paskalis als Posa erntete viel Beifall, in den wir allerdings nicht ganz miteinstimmen können. Zu oft setzte der Bariton seine Stimme zu brutal ein, was erstens die Belcantolinie zerriß und zweitens auch zu distonierenden Tönen führte. Verhältnismäßig gut gelang ihm Posas Tod, wo er nicht der Gefahr ausgesetzt war zu brüllen. Nicola Zaccarias fahles Timbre eignet sich gut für den Philipp, die erste Szene gelang sehr gut, während ihm die große Arie diesmal nicht so gut geriet wie das letzte Mal. Hans Hotter als Großinquisitor war der dominierende Vollblutkünstler auf der Bühne. Ludwig Welter in der Rolle Karls V. gibt für unseren Geschmack zuviel Wucht der Stimme. Berislav Klobucar dirigierte nicht sehr differenziert, dafür aber mit Temperament und viel Sinn für Stimmen. Ein Abend, der nicht außergewöhnlich, aber trotzdem guter Durchschnitt war.

TOSCA am 30. Dezember

Abermals stand Ernst Märzendorfer am Pult und leitete das Pucciniwerk mit großen weitausholenden Gesten und großer Lautstärke. Auf der Bühne dominierte eindeutig Hans Hotter als Scarpia, er war in phänomenaler stimmlicher Verfassung und zog darstellerisch wieder alle Register seiner Gestaltungskunst. Ein überragender Künstler, der nicht nur als Wagnersänger ohne Konkurrenz, sondern derzeit auch ein grandioser Scarpia ist. Gré Brouwenstijn war abermals in der Titelpartie zu hören, sie schien nicht gut disponiert, sang sehr vorsichtig und hatte Schwierigkeiten mit der Höhe. Das Gebet war allerdings schön gesungen. Darstellerisch erfüllt sie die Partie dank ihrer Persönlichkeit überzeugend. Dimiter Usunow sang abermals den Cavaradossi, der ihm, wie sich nun deutlich zeigte, nicht besonders liegt. Die erste Arie blieb ohne jeden Glanz, seine besten Momente sind das „la vita mi costasse" und das „Vittoria". Warum läßt man ihn diese Partie studieren und nicht Andrea Chénier oder Kalaf? Dafür wird Zampieri mit den diversen italienischen Sängern und Alfreds abgespeist. Planung! Erfreulich war die Umbesetzung des Spoletta mit Kurt Equiluz, der zwar eine kleine, aber gefällige Stimme hat und auch darstellerisch nicht so aufdringlich wirkt. Wir danken ihm, daß er uns den bereits zum Alptraum gewordenen „Höhenflug" über alle Stufen der Engelsburg erspart. Ludwig Welter sprang als Mesner ein und Nicola Zaccaria war ein unzulänglicher Angelotti – dafür tuts doch sicher auch ein hauseigener Sänger, der sicher auch billiger wäre.

DIE FLEDERMAUS am 31. Dezember

Das Jahr 1961 begann und endete mit einer Fledermaus „zu besonderen Preisen“. Doch welch ein Unterschied: zu Jahresbeginn stand der Chef am Pult und nun Wilhelm Loibner. Das hätte er sich wohl nie träumen lassen, in einer Vorstellung „zu besonderen Preisen" angesetzt zu werden – wir auch nicht!

Daß der Abend dennoch schön und äußerst vergnügt wurde, lag in erster Linie an den Sängern. Allen voran Hilde Güden und Eberhard Wächter, zwei Nobelbesetzungen, die aber speziell an diesem Abend in jeder Beziehung in Hochform waren und das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinrissen. Dazu natürlich – endlich wieder – Walter Berry, über dessen Wiederkehr man ehrlich erfreut war. Erich Kunz war in blendender Laune und erregte Stürme der Heiterkeit. Rita Streich bemühte sich sehr als Adele, mußte dennoch manche gesanglichen und darstellerischen Wünsche offenlassen, sie wirkt halt so gar nicht wienerisch. Schließlich und endlich: daß einem nach Josef Meinrad schwerlich eine andere Besetzung als Frosch hinreißen kann, dafür kann sein Nachfolger Richard Eybner nichts – er war auf jeden Fall ein köstlicher Gerichtsdiener. So schloß das alte Jahr mit guter Laune – man kann nur hoffen, daß die Opernbesucher, die in den letzten Monaten ja leider sehr wenig zu lachen hatten, im neuen Jahr einer rosigeren Zukunft entgegengehen mögen.

 

ALLEIN DIE SCHULD LIEGT NICHT AN UNS

Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 1

Jedem von uns sind die ständigen Angriffe der Tagespresse, des Rundfunks und des Fernsehens gegen den Import italienischer Künstler noch in bester Erinnerung. Wie weit sie Erfolg zeitigten, ist sattsam bekannt, und das bis zum Überdruß strapazierte Thema wurde zur Farce. Italienische Künstler sind weiterhin Lieblinge des Wiener Opernpublikums (nicht nur der Galerie!), das bewiesen wieder die Verkaufszahlen an der Tageskasse, trotz der erhöhten und besonderen Preise. Dies ist eine Tatsache, mit der sich langsam die Presse abfand, leider aber nicht Ensemblemitglieder und Leute im Besetzungsbüro, die unverblümt ihre Mißbilligung deutschen Besuchern gegenüber ausdrückten! Kennzeichnend dafür, daß es weiterhin gegen den Import der Südländer geht, sind die Worte eines Ensemblemitgliedes einem Stammbesucher gegenüber: „Mein Herr, Sie haben doch Einfluß auf die Galerie, sorgen Sie dafür, daß auch wir deutschen Sänge Applaus bekommen". Fast hat es den Anschein, als ob jene Unzufriedenen dem Publikum die Schuld geben, daß sie nicht im Kurs stehen. Einer muß der Schuldige für ihre Mißerfolge sein! Sie fanden auch in Herrn Y. vom „Neuen Österreich" einen Verfechter ihrer Meinung, daß die Galerie nicht mehr dieselbe sei und italienische Unsitten angenommen habe. Bisher fanden wir es nicht nötig, Herrn Y. Rede und Antwort zu stehen, denn er ist viel zu wenig im Hause, um sich ein solches Urteil erlauben zu können. Außerdem waren wir oft genug in italienischen Opernhäusern zu Besuch und können jederzeit die Anklagen des Herrn Kritikers widerlegen. Keine Angst, Herr Y.: Die Galerie ist unverändert geblieben, nämlich unbestechlich! Wir finden es aber nötig, einmal unserer unzufriedenen zweiten Garnitur klar und deutlich zu erklären, warum wir derzeit den italienischen Sängern mehr Sympathien entgegenbringen, als ihnen. Die meisten dieser Künstler sind „Naturkinder", die das Geschenk Gottes, eine Stimme zu besitzen, nicht für sich allein in Anspruch nehmen, sondern auch dem Publikum damit verschwenderisch Freude bereiten. Der restlose Stimmeinsatz begeistert immer aufs Neue. Bei ihnen spürt man, daß sie jeden Abend ihr Bestes geben und sozusagen um ihr Leben singen. Kein Wunder, denn bei einem eventuellen Versagen würden sie kaum noch an die Staatsoper geholt werden! Natürlich ist die Gage dafür entsprechend hoch, was nur recht und billig ist. Sie stehen ja nicht im Genuß eines Denkmalschutzes und einer Pension. Also ist darüber der Neid der zweiten Garnitur gänzlich unbegründet. Während beim Hören italienischer Künstler das Gefühl auftritt, daß sie in jeder Rolle und an jedem Abend um die Gunst des Publikums kämpfen, hat man bei dem unzufriedenen Kreis oft den Eindruck, daß er mehr um die Gunst des gewaltigen Verwaltungsapparates in der Goethegasse buhlt, der langsam aber sicher im Laufe der Jahre auf ihre künstlerische Laufbahn Einfluß nimmt. Echte Spontaneität findet ihr Echo. Das Publikum spürt den Pulsschlag des sich Verschenkenden.

Darin liegt der Unterschied in der Beliebtheit beim Auditorium zwischen den „bösen" italienischen Gästen und der sogenannten unzufriedenen zweiten Garnitur, die einen aggressiven Verfechter ihrer Ideen im Betriebsrat hat und auf Grund der sozialen Errungenschaften weiterhin das Gros der Aufführungen bestreiten wird. Nur dürfen sich die „Zweiten" nicht wundern, daß darüber keine Begeisterung, aber in gewissen Ausmaß doch Verständnis besteht.

Nach dieser Lanze für die italienischen Gäste, möchten wir ausdrücklich betonen, daß es uns im Prinzip gleichgültig ist, welcher Nationalität ein Künstler angehört. Schließlich sind wir Österreicher schon besonders stolz darauf, wenn es einem unserer Künstler gelingt, zur Weltelite vorzustoßen. Nichts würde uns mehr Freude bereiten, als ehrlichen Gewissens niederschreiben zu können, daß Frau X. oder Herr Y. aus der zweiten Garnitur bereits in die erste aufgestiegen sei. Wir halten eine Vernationalisierung der Kunst allerdings für ein Unding. Tagtäglich sehen wir im Österreichischen Rundfunk und Fernsehen den dadurch bedingten Niveauverlust. Die Wiener Staatsoper ist der große Anziehungspunkt des Fremdenverkehrs, eine der wichtigsten Lebensfunktionen unseres Staates, und er wird es nur solange bleiben, solange sich die besten Sänger und Dirigenten zu einem edlen Wettstreit auf der Bühne und im Orchester vereinigend. Eine Umstellung auf eine rein nationale Oper würde den Anfang vom Ende bedeuten. Nicht das Publikum ist schuld daran, daß es, wenn es überhaupt Vorstellungen der zweiten Garnitur besucht, nur matten Höflichkeitsapplaus spendet. Es ist die unzufriedene zweite Garnitur selbst, der es an Können und Ehrgeiz fehlt, um es mit der Konkurrenz aufzunehmen. Oder ist sie schon so weit, daß sie den Einheitsbeifall einer ins Haus geschleusten grauen Masse einer echten, vom Herzen kommenden und darum gerechten Reaktion vorzieht? Traurig wäre das, traurig.

Niemand bringt mehr als der Merker aufstrebenden Talenten Interesse entgegen, niemand registriert aufmerksamer als der Merker Formverbesserungen unserer Standardsänger. Wenn uns nun mangelnder Patriotismus und Minderung des österreichischen Ansehens vorgeworfen werden, beweisen diese hohltönenden Reden lediglich den Neid und das mangelnde Format gewisser „verdienter" Mitglieder unseres Hauses. Daher: Es lebe die große internationale Kunst der Oper, selbst auf Kosten des aufkeimenden Musikproporzes.

 

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