DER JÄNNER 1962

7. Jahrgang, Heft 2

 

Seit September haben wir nun den Überstundenstreik der Bühnenarbeiter, seit fünf Monaten also gibt es ein Minimum an Proben, das nur mit viel Schlauheit und ganz neuartigen Arbeitsmethoden erfolgreich gestaltet werden kann. Seit fünf Monaten müssen die Abendvorstellungen nach dem Sekundenzeiger und nicht mehr (was doch schließlich das Mindeste ist) nach Nam’ und Art der gerade vorhandenen Sänger und Dirigenten geplant werden. Es ist also typisch österreichisch, daß solch ein Provisorium monatelang währen kann. Überall anderswo hätten die betroffenen Bühnen längst zugesperrt, oder hätten ein Übereinkommen geschlossen. Aber hier bei uns? Du glückliche Bundestheaterverwaltung schlafe!

 

COSÌ FAN TUTTE am 1. Jänner

Das Jahr 1962 begann verheißungsvoll mit einer improvisierten Vorstellung. Das Skelett einer Kulisse stammt noch aus den mageren Zeiten im Theater an der Wien, nur war es damals weiß und dürfte erst im Zeichen des Wirtschaftswunders golden angestrichen worden sein. Übrigens wundern wir uns nun, da wir diese „Reisedekoration" gesehen haben, nicht mehr, daß Kritik und Publikum in den also bereisten Städten und Ländern nicht in Lobeshymnen auf den Mozartstil ausbrachen, den wir doch gepachtet haben, was man allerdings bei dieser Aufführung, wo jeder auf sich selbst und seine Persönlichkeit angewiesen ist (wie nicht einmal in der italienischen Glanzbesetzung einer improvisierten Gala-Verdi- oder Puccini-Aufführung) keineswegs behaupten kann.

Und doch, allen Unkereien und Befürchtungen einer Hilbert-hörigen Zeitung zum Trotz: Mozart ist noch in unserem Besitz. Voraussetzungen dafür waren Karl Böhm und die kleine exquisite Schar der Wiener Philharmoniker, die die gähnende Leere des Orchesterraums vergessen ließen und das sichere Fundament für die Sänger bauten. Diese waren Irmgard Seefried, Christa Ludwig, Graziella Sciutti, Waldemar Kmentt, Walter Berry und Paul Schöffler.

Darauf kommt es nämlich bei Mozart an, und das unterschied diese Così fan tutte so wohltuend von der letzten: das Ensemble war ausgewogen. Bei Mozart kann man das, was vielleicht bei Puccini zur Not hingenommen werden kann – nämlich etwa neben einer großen Künstlerin eine unbedeutende Comprimaria in einer Hauptrolle einzusetzen – nicht machen. Die Künstler müssen gleichwertig gut sein. (Es wäre mit den in Wien ebenfalls engagierten Kräften zweifellos auch möglich, alle sechs Rollen gleichwertig schlecht zu besetzen.) Die Sänger überbrückten also schier mühelos die sechs oder sieben Meter, die zwischen der Spielfläche und der ersten Reihe Parkett lagen, und drangen über die Rampe und über den Orchesterraum, den man in diesem Falle in Anlehnung an die Ausdrucksweise unserer deutschen Freunde schon als „Graben" bezeichnen muß.

Es wurde mit dieser Aufführung auch schlagend die Theorie einiger Ensemblemitglieder und Betriebsräte widerlegt, daß man 25 Jahre lang an einer Besetzung nichts ändern dürfe und die Staatsangehörigkeit bei der Besetzung von Rollen ein ausschlaggebender Faktor sei. Seht nur die kleine Graziella Sciutti, die die große Bühne beherrscht, wie es manche schwergewichtige Wagnersänger nicht vermögen. Sie ist in solchem Maße eine Idealverkörperung dieses Kammerkätzchens Despina, daß man von Rechts wegen eine drei Seiten lange Hymne verfassen müßte. Seht nur Walter Berry, den die „lieben" Kollegen im Theater an der Wien jahrelang nicht hochkommen ließen und der es doch fertig brachte, ohne irgend jemanden zu kopieren, bezaubernd komisch und liebenswürdig naiv von einer jahrelang besetzten Rolle Besitz zu ergreifen! Wenn man in einer stilistisch strengen Aufführung noch sagen könnte, er müßte da und dort ein wenig „bremsen" so wird diese Aufforderung bei der derzeitigen stillosen „Inszenierung" natürlich nicht ausgesprochen. Die große, volle Stimme paßt obendrein weit besser ins große Haus, als in den Redoutensaal wo bei vollem Stimmeinsatz die Luster zu klirren beginnen. Christa Ludwig, die – vergessen wir es im Sinne der obenerwähnten Ensembletheoretiker nicht – die Partie „erst" seit 1956 singt, gebührt die Palme. Eine derart abgerundete, geschlossene stimmlich und darstellerisch gleicherweise ideale Verkörperung hat Seltenheitswert. Waldemar Kmentt war wie immer in den Ensembles gut und spielte auch vergnügt mit. Ariensänger ist er keiner und „Un’aura amorosa" blieb ihm im Halse stecken. Irmgard Seefried bot, von der Gestaltung und vom Stil her gesehen, eine hervorragende Leistung. Ihre bekannten atemtechnischen Schwierigkeiten führten allerdings dazu, daß ihr gleich bei der langen Phrase im ersten Duett der beiden Schwestern und bei der viel Bravour erfordernden „Felsenarie" gelegentlich die Luft ausging, was zu Ansatzschwierigkeiten bei den Spitzentönen führte. Sehr schön gelang allerdings die zweite Arie. Paul Schöffler schließlich, dem der Alfonso stimmlich kaum Schwierigkeiten macht – die wenigen höheren Töne meisten er geschickt – ist der unüberbietbar charmante und elegante Drahtzieher, der die Bühne souverän beherrscht. So kam es zu einer schönen Aufführung, und man registrierte befriedigt, daß die Lacher des animierten Publikums an den richtigen Stellen kamen. Es wird höchst dringend nötig sein, Rennerts Salzburger Così fan tutte sofort nach Ende der heurigen Festspiele aufzukaufen und für das große Haus zu adaptieren. Denn wir teilen den Optimismus Karajans, der da glaubt, auch im Theater an der Wien spielen zu können, gar nicht. „Der Intendant"*) wird das Haus lieber dem „Grünen Wagen" und dem Musical zur Verfügung stellen als einer Staatsoper, in der er nichts zu reden hat. Wir kennen ihn besser!

*) Gemeint ist Egon Hilbert, der seit 1959 die Intendanz der Wiener Festwochen innehatte, womit das Theater an der Wien – für dessen Wiederinbetriebnahme er sich einsetzte – seiner Kontrolle unterstellt war.

BALLETTABEND am 2. Jänner

SALOME am 3. Jänner

Endlich einmal wurde dem Stammpublikum eine Salome-Aufführung geboten, mit der es zufrieden war. Der Dank dafür gebührt dem Dirigenten Berislav Klobucar, der nach dem harten Taktschläger Ernst Märzendorfer eine wahre Wohltat darstellt, und den Wiener Philharmonikern, die selbst viel Freude an der Aufführung zu haben schienen. Die Strauss’sche Klangpalette erglühte in Farbenpracht, made in Vienna, wie es immer sein sollte (und derzeit nur ganz selten der Fall ist!). Gerhard Stolze, über dessen Herodes wir schon wahre Wunderdinge berichteten, überbot sich selbst. Welch genaue Beachtung der Notenwerte, welche Darstellung und welch heldentenoraler Glanz seiner Stimme! Ideal sekundierte Elisabeth Höngen als Herodias, die auch an jenen Stellen schauspielerisch faszinierte, wo sie nichts zu singen hat. Nebenbei sei gesagt, daß sie derzeit auch in stimmlicher Hinsicht großartig in Form ist. Christl Goltz als Salome zeigte restlosen Einsatz. Man sah das Bemühen, man fühlte den Willen der Künstlerin, alles zu geben, was sie derzeit besitzt. Schade, daß diese Konzentration nicht dazu ausreicht, richtig zu intonieren. Walter Berry als Jochanaan hat sich seit dem Vorjahr verbessert, dennoch ist er unserer Meinung nach in jener Rolle überfordert. Der Stimme fehlt in der oberen Lage das Metall für das schwere Fach. Zu oft kam sein forte nur schwer über das Orchester hinweg. (Fluch). Daß die Partie in musikalischer Hinsicht von dem uns sehr am Herzen liegenden Künstler ernst und zuverlässig erarbeitet wurde, bedarf keiner näheren Erläuterung. Waldemar Kmentt als Narraboth hob sich von allen Nebenrollenträgern wohltuend ab. Das Publikum bemerkte den Unterschied gegenüber den in letzter Zeit gehörten Interpretationen und dankte dafür folgerichtig herzlicher als sonst.

geschlossen am 4. Jänner

Wegen Premierenvorbereitung zu Pelleas und Melisande

COSÌ FAN TUTTE am 5. Jänner

Unter Karl Böhm war es ein schöner Abend im großen Haus. Die Überraschung der Aufführung bot diesmal Waldemar Kmentt, der in dieser Così hielt, was wir uns seinerzeit von ihm versprochen haben! Dazu können wir bravo sagen. Unerfindlich bleibt, warum Kmentt so selten zu einer solchen Spitzenleistung findet. Es wäre um ihn jammerschade. Vielleicht täte ein Fachwechsel not? Die beiden Schwestern waren eine Augen- und Ohrenweide. Irmgard Seefried hatte zwar mit der Höhe hin und wieder die bekannten Nöte, trotzdem bewältigte sie die Schwierigkeiten überlegen. Christa Ludwig befindet sich in Superform. Erich Kunz wiederholte seine bekannte Leistung, und Paul Schöffler versteht es nach wie vor, sich in die Herzen des Publikums zu singen und spielen und den Alfonso seinen Nachfolgern und Mitkollegen zum Problem zu machen. Ganz besonders brillierte Graziella Sciutti als Despina. Karl Böhm am Pult sorgte für eine makellose, musterhafte und in gleicher Vollendung nur in Wien zu hörende Così, so mitreißend und begeisternd, daß der Mozart’sche Zauber die Mängel der Szene mit Glanz verdeckte.

 

PELLEAS UND MELISANDE am 6. Jänner, Neuinszenierung, und am 8. Jänner

Der Merker hat das Glück, eine Premierenkritik nicht in einer halben Stunde nach der Aufführung produzieren zu müssen, wie dies bei den Tageszeitungen leider üblich ist. So kann man die Wirkung einer Aufführung auskosten, bis sie einen schreibreifen Niederschlag findet. Und zu dem nötigen Nachdenken gesellt sich die Möglichkeit, die Wiener Zeitungen nach den darin enthaltenen Kritiken durchzublättern und sich an dem Gestammel zu weiden.

In Falle Pelleas und Melisande fanden zwar unsere Kritiker die Aufführung im allgemeinen sehr schön. Einigen gefiel allerdings das Stück nicht – es war ihnen zu „fad". Andere hielten den Aufwand für vertan – eine Methode, die sich im Falle Turandot bewährt zu haben scheint, daher jetzt die Neuauflage. Andere wieder stellten weise fest, Karajan werde nie ein Regisseur, auf der Bühne sei es zu finster, und überhaupt wirke das Spielen in der Originalsprache als Snobismus. Auch eine bewährte Verriß-Methode! Und einige schließlich stellten fest, es gäbe für das Repertoire weit Wichtigeres, als gerade Debussys Nicht-Oper. Diese Diskrepanz subjektiver Meinungen im Rahmen einer im allgemeinen wohlwollenden Premierenkritik nimmt Wunder und dürfte den Außenstehenden irritieren. Gehen wir also in medias res.

Die Diskussion über ein Stück, das sich der Komponist nach dem 1882 entstandenen Schauspiel Maurice Maeterlincks in zehnjähriger Arbeit abrang, bis es 1902 eine von böswilligem Gelächter begleitete Uraufführung erlebte, dürfte bereits müßig sein. Allerdings ist es, wie auch die meisten anderen Werke der impressionistischen Musik, kein „Zugstück". Es fehlt vielen Besuchern die Spannung, der dramatische Aufbau. Die Katastrophe tritt wohl ein, aber sie spielt sich im Inneren dieser Märchengestalten ab. Und doch, welch feine Zeichnung seelischer Regungen, welch traumhaft schöne Charakterisierung einer schicksalhaften Verbindung, erwachsen aus spielerischem Beginn! Und über allem: Die Schilderung der Atmosphäre im Traumschloß Allemonde, das Spiel der Wellen, das Rauschen des Märchenwaldes, das Dunkel des Brunnens, der Strahl des Mondes, das Flimmern des Lichtes – all das vereint sich zu einem Klangteppich von funkelnder Farbenpracht und leuchtender Klarheit.

Und diesen woben Herbert von Karajan und die herrlich disponierten Wiener Philharmoniker. Es ist mit Worten nicht zu beschreiben, wie prachtvoll Debussys Musik im Zusammenwirken des Meisters und des Meisterorchesters erklang. Wenn wir an früher – man braucht nur zehn Jahre zurückzugehen – denkt, erinnert man sich daran, daß die Philharmoniker mit den Impressionisten fast immer irgendwelche Schwierigkeiten hatten, vor allem deshalb, weil sie vielleicht zu temperamentvolle oder gradlinige Musiker sind. Aber diese Interpretation war eine absolut vollkommene und wirkte in ihrer schwebenden Leichtigkeit schier mühelos! Und doch: Welches Übermaß von Arbeit und Konzentration und vor allem Inspiration muß in der Realisierung dieses Orchesterparts stecken, wo aus dem fließenden Untergrund des Streicherensembles die kleinen, funkelnden Holz- und Blechbläsermotive, die drohenden Schlagzeugakzente heraussprangen wie schillernde Tropfen und zurückfielen in die schimmernde Klangflut.

Ungern unterbrechen wir unseren Anfall von Romantik, um zur Inszenierung des undramatischen Dramas zurückzukehren. Aber wir sehen es voraus, daß wir wieder ins Schwärmen kommen werden: Denn eine so konsequent aus der Musik heraus entwickelte Inszenierung hat Seltenheitswert. Karajan hat das Auge eines Ästheten und so setzte er die Schönheit der Musik um in Bildern, deren gedämpfte Farbigkeit der der Musik absolut adäquat war. Das ist wohl mit ein Verdienst des Bühnenbildners Günther Schneider-Siemssen, den Karajan hätte schon früher kennenlernen sollen. Die dramatische Aktion, deren Realisierung vielleicht nicht Karajans allerstärkste Seite ist, bleibt auf Golos Handlungen beschränkt und Regisseur und Darsteller trafen auch hier das absolut richtige Maß, sodaß von einem idealen Gleichgewicht zwischen Bühne und Musik gesprochen werden kann. Und der Aufwand dafür? Projektionen, Schleiervorhänge und angedeutete Fragmente – also minimal! Die Kostüme von Georges Wakhevitch sind schön, solange sie kompliziert sind, wie bei Genoveva und Arkel. Einfache Kostüme geraten ihm nicht so gut.

Die Sprachmelodie des Französischen ist von der Linienführung der Musik derart abhängig, wie es vielleicht nur in diesem Maße noch auf Ungarisch (in Herzog Blaubarts Burg) zutrifft, und die Übersetzung in solid gebaute deutsche Sätze (ungefähr des Kalibers: „ich jagte ‘nen Hirsch...") derart lächerlich, wie fast nur der englische Text, den wir in unserem Klavierauszug vorfanden. Eine Übersetzung verlangen, hieße das Stück meuchlings morden. Die dieses Werk besuchenden Feinschmecker werden sich mit dem Text schon auseinadersetzen. Gar so dumm ist das gute Publikum schließlich nicht!

Wir wenden uns der Besetzung zu, die ideal zu nennen war. (Was war an diesem Abend eigentlich nicht ideal zu nennen?) Daß sich der Großteil der verwendeten Sänger aus Wiener Stammsängern rekrutierte, stimmt froh. Die Titelrollen sangen Henri Gui und Hilde Güden. Beide hatten sie die leichte, instrumentale Stimme, beiden war die poetische Erscheinung mitgegeben, die so wichtig für das Werk ist, wie fast nichts anderes. Henri Gui ist ein reisender Pelleas-Sänger, bei dem es nicht Wunder nimmt, daß er in Debussys fließendem Sprechgesang zu Hause ist. Als Verdienst muß diese absolute Sicherheit jedoch auch unseren Ensemblemitgliedern hoch angerechnet werden, die dem Gast darin nicht nachstanden. Hilde Güden gibt in Timbre, Phrasierung und Stimmschönheit eine ebenso ideale Verkörperung des undinenhaften Märchenwesens, wie Henri Gui, der höchster aller hohen Baritons, die wir bisher hörten, des Pelleas. Unübertrefflich ist er in seiner knabenhaften Erscheinung und spielerischen Anmut, die gleichwohl von Intensität strotzt.

Was ein geradezu vollendetes Ensemblemitlied ist, bewies wieder Eberhard Wächter mit dem Golo. Vor einigen Jahren hätte er noch den Pelleas singen können. (Schade, daß es dazu nicht kam.) Er stellt seine Intelligenz und Musikalität unter Beweis, seine kraftvoller und immer männlicher werdende Edelstimme wahrt auch noch in Golos Ausbrüchen ein Maß von Ritterlichkeit und noblem Anstand, die nicht einmal französische Stammsänger der Partie aufbringen. Dafür ist seine Charakterzeichnung um so prägnanter: Er schöpft die Figur des Herrn, der zu schwach ist, um glücklich zu sein und zu egoistisch, um zu leiden, voll aus und gerade in seinen Szenen berührte die ungemein große innere Verwandtschaft Debussys zu Wagner. Man hörte den harten Schritt der Gralsritter, sah den Panzer des reinen Toren blitzen, aber auch der todwunde Tristan und Klingsors Zaubergarten tönten sekundenlang auf – wir haben solche Parallelen noch nie so wahrgenommen wie in dieser Interpretation. Auch die kleineren Rollen waren mit Elisabeth Höngen (Genoveva), Adriana Martino (Yniold – deren bezaubernd süße Stimme weit besser als in früheren Rollen zur Geltung kam), Nicola Zaccaria (Arkel) und Alfred Poell (Arzt) bestens besetzt.

Der Erfolg war in der Größe fast überraschend. Der Referent hat es mit diesen beiden Aufführungen mühsam auf sechs Pelleas gebracht und glaubt, im Namen aller echten, rechten Musikfreunde zu sprechen, wenn er hofft, die Zahl der Aufführungen vermehren zu können. Die Musikfreunde Wiens werden sich zwei- oder dreimal im Jahr sicher gerne einfinden, um diese zauberhafte, poetische Aufführung zu hören.

 

DER ROSENKAVALIER am 7. Jänner

Karl Böhm wurde bei seinem Erscheinen stürmisch bejubelt. Jeder seiner Abende bedeutet derzeit ein wahres Fest für den Opernfreund, der in dieser Saison mehr als je zuvor unter den verschiedenen Kapellmeistern zu leiden hat. Doch zurück zu Karl Böhm, der nach einem etwas verwirrten Auftakt, an dem die Hörner maßgeblich beteiligt waren, mit dem Orchester herrlich musizierte, liebevoll Details herausarbeitete und eine Steigerung im dritten Akt hatte, daß man sich nach Fallen des Vorhangs den ganzen letzten Akt noch einmal gewünscht hätte. Kein Wunder, daß das Haus am Ende der Vorstellung vor Begeisterung raste, als der Dirigent mit seinem Oktavian in der Person von Christa Ludwig vor den Vorhang kam. Frau Ludwig ist derzeit der stimmlich beste Oktavian auf unseren Brettern. Die Künstlerin hat den Mut, die Rolle ganz anders als ihre noch so berühmten Vorgängerinnen anzulegen. Bei ihr kommt vielleicht ein wenig die Poesie zu kurz, dafür dominiert der jugendliche Überschwang in vollster Übereinstimmung mit ihrer Gesangslinie. Man wird von ihrer Begeisterung, von ihrem Schwung einfach mitgerissen und spürt den Ehrgeiz dieser Künstlerin, die in ihrer Laufbahn Konkurrenz um Konkurrenz zurückläßt, bis sie die ungekrönte Königin in ihrem Fache sein wird. Die Schönheit ihrer Stimme läßt sich nicht mehr mit Worten beschreiben. Wilma Lipp war das junge Mädchen, das diesen Oktavian aus dem seelischen Gleichgewicht brachte. Sie tat dies auf liebenswürdige, echt wienerische Art, gesanglich mit bewährtem Können, wobei nur die Höhe ihres hellen Soprans eine kleine Trübung aufwies. Als Marschallin gastierte Marianne Schech, die sich sehr um den Wiener Dialekt bemühte. In ihrem strengen Aussehen erinnerte sie uns allerdings an eine Markgräfin oder Kurfürstin. In gesanglicher Hinsicht gab es eine zu tief angesetzte „Silberne Rose“, und im dritten Akt löste sie mit einem sehr unsicheren „Hab mir’s gelobt“ Unruhe auf der Bühne aus, die Karl Böhm aber geschickt abzufangen wußte. Als Ochs überraschte Oskar Czerwenka in stimmlicher Hinsicht höchst angenehm. Die längere Pause hat der Stimme gut getan. Die Mittellage ist kräftiger geworden, aber auch die Höhe hat etwas an Volumen zugenommen. Die hohen Stellen der Partie setzte er zwar sehr vorsichtig an, doch sie waren schließlich da. Über den Darsteller Czerwenka brauchen wir kein Wort zu verlieren. Er bringt alle Voraussetzungen für einen idealen Ochs auf Lerchenau mit. Erich Kunz spielte einen griesgrämigen Faninal, der mit der Höhenlage der Partie kämpfte. Murray Dickie sang die italienische Arie musikalisch sicher, leider nur etwas zu steif in der Höhenlage, wodurch die Italianità verloren ging.

PELLEAS UND MELISANDE am 8. Jänner

unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere am 6. Jänner besprochen

COSÌ FAN TUTTE am 9. Jänner

Diesmal gab es wieder Così fan tutte im großen Haus. Nun geht’s auf einmal, weil es sein muß. Wir wollen dabei gar nicht behaupten, daß die vorliegende Realisierung – das Gitter gewinnt auch durch anderen Anstrich nicht sehr an Atmosphäre, und über die Farben des Hintergrundes könnte man streiten – ideal sei. Wir erhoffen uns noch immer eine Rennert-Inszenierung, die nach Möglichkeit ins große Haus passen soll. Denn wie uns eben jetzt demonstriert wird, kann man ja nie wissen, wofür es noch gut ist! Eines aber wird man uns nicht mehr sagen können, und das erfüllt uns mit einer gewissen Befriedigung, da wir Mozart und gerade dieses sein komödiantischestes Werk lieben: nämlich daß es überhaupt und außerdem und grundsätzlich nicht ginge. Trotzdem hätten wir gerne die offizielle Begründung für die Absage von Angelina – oh, pardon, jetzt heißt sie ja wieder Cenerentola – vernommen. Für musikalische Proben braucht man doch, bitteschön, kaum technisches Personal? Alberto Erede leitete auch die Così durchaus zufriedenstellend, ohne nennenswerte Unfälle, und mit einer gründlichen Mischung von Stilgefühl und Brio. Von den Interpreten ist diesmal Christa Ludwigs Dorabella an erster Stelle zu nennen – einfach umwerfend, wie sie das macht, und wie die Stimme noch immer großartiger wird. Vielleicht könnte man ihr zuliebe die gestrichene Arie wieder aufmachen? (Aber auf die Striche kommen wir noch zurück.) Eine erfreuliche Überraschung bereitete Teresa Stich-Randall als Fiordiligi. Sie war stimmlich einwandfrei, sang sauber, klangschön und inspiriert. Nur darstellerisch blieb sie ein wenig blaß. Ausgesprochen umwerfend war auch Graziella Sciuttis Despina – derzeit wohl konkurrenzlose Beherrscherin der Partie wie des Fachs. Waldemar Kmentt plagte sich leider diesmal wieder ziemlich, vor allem mit der Arie. Immerhin verdarb er nichts. In Geberlaune war hingegen Walter Berry, der nicht nur darstellerisch sehr locker und beschwingt, sondern auch stimmlich trefflich war. Ludwig Welter schließlich schlug sich so brav wie möglich, war stimmlich gut, mit nur einem kleinen Ausstieg, als er einen Einsatz verpaßte, war aber gleich wieder drin. Darstellerisch scheint er sich allmählich eine eigene, mit der Steifheit des alten Hagestolzes operierende Auffassung zusammenzureimen. – Eines ist noch bemerkenswert, ja fast rührend: wie sich einzelne Späße, die das teils verdienen, teils aber auch nicht, über alle die verschiedenen Bühnen und über alle Umbesetzungen hinweg vererbt und erhalten haben. Etwas anfechtbar allerdings ist die Strichpraxis. Wir wollen konzedieren, daß einige kleine Straffungen durchaus vertretbar sind, daß man sowohl bei den Secco-Rezitativen als auch in einigen Ensembles (vor allem Wiederholungen) streichen kann. Nicht in Ordnung gehen Striche wesentlicher Musikteile wie der des kurzen Accompagnato des Alfonso im ersten Akt, oder der Dorabella-Arie.

OTHELLO am 10 Jänner

Diese Aufführung war im Gesamteindruck eher unerfreulich, weil allzu unorganisch. Dimiter Usunow, der temperamentvolle Interpret der Titelpartie, hatte im ersten Akt mit kräftigen Intonationsschwankungen zu kämpfen und erreichte auch sonst nicht die Wirkung früherer Auftritte. Desdemona war mit einer eingesprungenen Ekaterina Georgiewa besetzt, die wohl Erscheinung und Material für die Rolle mitbringt, letzteres aber in ziemlich ungeschliffenem Zustand. Paul Schöfflers Jago ist ein eigenes Kapitel. Schon in seinen großen Tagen hatte er mit der Partie stimmliche Schwierigkeiten, und jetzt wird er überhaupt nicht mehr damit fertig. Aber er sollte Manns genug sein, die Partie nicht mehr zu singen. Er verläßt sich dabei nur mehr auf seine Persönlichkeit. Es gäbe Rollen genug, die Schöffler noch sehr gut singen könnte – nicht Jago, doch Ramphis, nicht Jochanaan doch Ochs, nicht Pizarro, doch Sir Morosus (in der Schweigsamen] Frau). Allerdings dürfte das Publikum auch schon jüngere Jagos gehört haben, die noch weniger Material mitbringen. Maestro Alberto Erede ließ sich von Schöfflers „persönlicher" Auffassung aus dem Gleichgewicht bringen und versuchte sich mit Gewalt durchzusetzen, was zu empfindlichen Kontaktschwierigkeiten mit der Bühne führte. Imponierend ist jedoch immer das jugendliche Temperament des alten Herren und sein Einsatz, der für viele jüngere Kollegen ein Beispiel sein sollte.

SALOME am 11. Jänner

Das Thermometer fiel nicht nur außerhalb der Staatsoper um etliche Grade, sondern auch im Haus selbst bekam man in der zweiten Salome des Monats das Frösteln. Unter Ernst Märzendorfer spielte das Orchester tiefgekühlt, und Christl Goltz in der Titelpartie hatte einen mehr als schwachen Abend. Die Stimme klang müde und abgekämpft, und trotz sichtlichem Energieaufwand wollte nichts klappen. Beim Schlußgesang hatte man Mitleid mit der Künstlerin, die auf Zehenspitzen stehend, die Töne zu tief und mit aller Kraft ins Auditorium schleuderte. Ebenso Mitleid hatte man mit dem einst gefeierten Heldentenor einer vergangenen Epoche, Max Lorenz (Herodes). Es tut uns selbst weh, ihm in diesen Zeilen erklären zu müssen, daß es besser wäre, wenn er sich der wohlverdienten Ruhe widmete. Ein Künstler mit einem derart großen Namen ist verpflichtet zu erkennen, wann seine Zeit gekommen ist, um auf immer der Bühne Ade zu sagen. Walter Berry müht sich weiterhin mit dem Jochanaan ab. Der zweifelhafte Erfolg in dieser Partie sollte daran denken lassen, ob es nicht besser sei, den Propheten in Wien nicht zu singen. Der Schatten Hans Hotters ist zu groß, um ihm in dieser Partie eine Erfolgschance zu geben. Wir wollen den jungen Künstler damit aber nicht entmutigen, es gibt noch viele andere Rollen, in denen wir ihn hören wollen. Elisabeth Höngen als Herodias war die einzige Sängerin des Abends, der wir unseren uneingeschränkten Beifall zollen. Das Publikum spendete zur trägen Beifall, zu arg war die Enttäuschung über die einst Großen.

BALLETTABEND am 12. Jänner

CARMEN am 13. Jänner

Heinrich Hollreiser gehört zu jenen Dirigenten, die – wenn es nicht nach ihrem Wunsche geht – in Resignation verfallen und den Karren einfach laufen lassen. Er wirkte am Pult völlig desinteressiert! So klang auch seine Carmen-Interpretation. Mag sein, daß er sich zu Recht über gewisse mangelnde Rollenbeherrschung einzelner Solisten ärgerte, aber er sollte nicht vergessen, daß letzten Endes das Publikum für die Aufführung bezahlt und dafür, wenn schon keine Glanzaufführung, so doch ein Bemühen von dem Leiter des Orchesters erwartet. Von Bemühen war bei ihm überhaupt keine Spur – das weiß Herr Hollreiser selbst, dazu ist er ehrlich genug – was er auch mit dem Nichterscheinen vor dem Vorhang bestätigte. Das Positive einer Aufführung gehört an den Beginn einer Kritik, und deshalb beginnen wir mit Hilde Güden als Micaela. Die Künstlerin befindet sich derzeit in Superform, sie war die einzige Darstellerin, die in Stimme, Technik und Ausdruck das Prädikat „Wiener Staatsoper" verdiente. Ihre wundervoll vorgetragene Arie gehört zu den schönsten Erlebnissen, die man in der Wiener Oper in letzter Zeit zu hören bekam. Als gute Durchschnittssängerin bewährte sich Biserka Cvejic, und das ist für die Partie der Carmen denn doch zu wenig. Es fehlte an Persönlichkeit, um diese Paraderolle glaubhaft verkörpern zu können. Noch so schönes Aussehen auf der Bühne ersetzt nicht die Persönlichkeit, die unserer Meinung nach unbedingte Voraussetzung für die Carmen ist. Otto Wiener bot als Escamillo ebenfalls eine Durchschnittsleistung. Den Don José sang Giuseppe Zampieri. Er war die eigentliche Enttäuschung des Abends. Der Tenor befindet sich derzeit in einer Stimmkrise. Die Stimme klingt dünn und vor allem in der Höhe saftlos. Noch so starkes Forcieren läßt die Stimme nicht stärker erscheinen. Außerdem setzt Herr Zampieri bei einem mißlungen Ton einfach ein zweites Mal an, was die Sache nur noch verschlimmert. Hoffen wir, daß seine derzeitige schlechte stimmliche Verfassung nur eine vorübergehende ist. Es wäre jammerschade um diesen Tenor.

FIDELIO am 14. Jänner

Im allgemeinen kann dieser Abend als recht gut gelungen bezeichnet werden, obwohl sehr unterschiedliche Leistungen zu hören waren. Das Ereignis der Aufführung war James McCracken als Florestan. Er übertraf alle Vorgänger, die in den letzten Jahren in dieser Rolle zu hören waren und war nicht nur stimmlich blendend disponiert. Die gesangliche und darstellerische Gestaltung ließen auch merken, wie gründlich sich der junge Sänger diese Rolle erarbeitet hat. Schon nach der großen Arie, deren nicht geringe Schwierigkeiten er mit Bravour meisterte, wollte der wohlverdiente Beifall kaum enden. Nach dieser Prachtleistung gelang es ihm überdies, das hohe Niveau bis zum Schluß durchzuhalten. Sein dunkel gefärbter, metallischer Tenor ist für die Partie wie geschaffen. Technisch blieb kein Wunsch offen. Vorzügliche Pianokultur zeigte er mit „Euch werde Lohn…", sichere Höhen und Durchschlagskraft bei „O namenlose Freude…". Sein Deutsch ist ausgezeichnet und die Prosa hätte ein Burgschauspieler kaum ausdrucksvoller sprechen können. An Ausdruckskraft und Intensität in Darstellung und Gestalt stand ihm Sena Jurinac nicht nach. Darüber wurde in der letzten Ausgabe des Merker ausführlich berichtet. Es ist nur schade, daß sie derzeit in einer Stimmkrise steckt und daher den extremen gesanglichen Anforderungen der Partie nicht ganz gewachsen ist. Das zeigte sich besonders im Allegroteil von der Arie. Otto Wiener sang den Pizarro und setzte seine kultivierte Stimme vorteilhaft ein. Seine Wortdeutlichkeit läßt nichts zu wünschen übrig und könnte so manchem anderen Sänger als Beispiel dienen. Nur schade, daß er so unvorteilhaft ausstaffiert ist. Aber für dieses schauderhafte Kostüm und die noch schauderhaftere Inszenierung kann er ja nichts. Fehl am Platz war Ludwig Weber, der für Oskar Czerwenka als Rocco einsprang und sich und die Zuschauer quälte, denn stimmlich konnte er nichts mehr bieten. Wilma Lipp war nicht besonders gut disponiert, bot aber doch eine zufriedenstellende Gesamtleistung. Das kann auch von ihrem Partner Murray Dickie gesagt werden. Hans Braun sang einen passablen Minister. Die Wiener Philharmoniker unter Heinrich Hollreisers Leitung spielten recht ambitioniert. Leider fand die Aufführung praktisch unter Ausschluß des Stammpublikums statt, da nur 120 Karten an der Stehplatzkasse verkauft wurden. Eine derartige Vorstellung hätte ein besseres und verständnisvolleres Publikum verdient!

LA TRAVIATA am 15. Jänner

Langsam scheint Mimi Coertse aus der Stimmkrise und der unverantwortlichen Leichtfertigkeit, mit der sie noch vor kurzem ihre Repertoireabende abzusingen pflegte, emporzusteigen wie der Phönix aus der Asche. Wohl gibt es noch Töne, bei denen die Stimme eng wird, wo man dramatische Durchschlagskraft erwartet und vermißt, aber überraschend viel kultivierter Schöngesang, ausgezeichnete Piani, Miterleben und Gestalten machte dies wett und zeichnete ihre Traviata aus. Auch Kostas Paskalis als Vater Germont bewies erneut, was intensives Arbeiten und Feilen an einer Partie nützen kann. Sein jetziger Germont ist der Leistung, die er früher in dieser Rolle bot, haushoch überlegen. Leider scheint dafür Giuseppe Zampieri einer Stimmkrise zuzusteuern. Er bemühte sich wie stets, aber alles Bemühen konnte dem Organ nicht die gewohnte Kraft und den weichen Glanz verleihen, den wir von ihm zu hören gewohnt sind. Das muß noch nicht tragisch sein. Krisen macht jeder Sänger durch. Ein ganz besonders Lob sei dem Dirigenten ausgesprochen: Francesco Molinari-Pradelli war dem Abend nicht nur der gewohnt gute musikalische Leiter, als der er sich schon oft bewährte. Er zeigte diesmal auch etwas, was wir bisher kaum an ihm bewundern konnten: liebevolle Rücksichtnahme auf die Sänger und damit einen vorbildlichen Kontakt zwischen Bühne und Orchester, der der Gesamtwirkung sehr zustatten kam. Das war ein Repertoireabend, wie er sein soll. Sein Teil trug diesmal auch unser Orchester bei, das seine volle Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit dem Dirigenten gegenüber bewies. Daß dem Herrenchor im zweiten Akt nun niemand mehr von einem Zettel den italienischen Text soufflieren muß, ist ein weiteres Plus, das hiermit vermerkt sei.

DIE ZAUBERFLÖTE am 16. Jänner

Improvisation ist weiterhin das besondere Merkmal unseres Opernbetriebes. Improvisation herrscht auch im Orchester und auf der Bühne, wobei zu betonen ist, daß Orchester und Solisten diesmal nur selten richtig beisammen waren. Heinrich Hollreiser klopfte wieder einmal einen seiner Abende ab, so hart dies auch klingen mag. Aber auch als Berliner GMD darf man sich nicht so gehen lassen und so schnell die Flinte ins Korn werfen! Beim falschen Einsatz der drei Damen (Hilde Zadek, Margareta Sjöstedt und Dagmar Hermann) sagte die Geste von Herrn Hollreiser einfach alles. Mit großem Hallo, das keineswegs in die Staatsoper paßte, wurde Heinz Holecek als Papageno begrüßt. Einige Zischer ernüchterten aber sofort die Volksopernfans. Begrüßungsbeifall ist eine Unart, wie sie Gott sei Dank noch nicht im Haus am Ring eingeführt ist. Dabei verriet der junge Gast viel Talent. Seine angenehm klingende Stimme ist derzeit noch im Spielbaritonfach beheimatet. Das Spiel war liebenswürdig und überraschend routiniert für sein Alter, ohne aber persönlichkeitsstark zu wirken. Warum Herr Holecek mit seinem eigenen Papageno-Kostüm auftreten durfte, ist uns unbegreiflich. Als zweiter Gast der Volksoper war Erika Mechera neuerlich als Königin der Nacht zu hören. Die Koloraturen der ersten Arie wurden unkontrolliert herausgeschleudert, und in der zweiten Arie wischte sie nur flüchtig über die Hohen F. Anton Dermota, nach seinem Unfall zum ersten Male wieder auf den Brettern, sang den Tamino, einstmals eine seiner Glanzrollen. Auch an ihm ist festzustellen, daß das Rad der Zeit nicht stille steht. Er besitzt nicht mehr das leichte Mezzavoce für diese Rolle und singt entweder Forte oder Piano. Die Arie war nur Durchschnitt, hingegen war die Tempelszene sehr gut gesungen. Hier konnte er seiner Stimme freien Lauf lassen. Seine Partnerin war Gerda Scheyrer, die kultiviert die Pamina sang. Schade, daß Frau Scheyrer es nicht versteht, ihren Operngestalten Seele einzuhauchen. Frederick Guthrie als Sarastro war eine glatte Fehlbesetzung. Er vermag seiner butterweichen Baßstimme keine festen Konturen abzugewinnen. Die Gesangslinie ist verschwommen, die Einsätze sehr ungenau. Von den Nebenrollen war die bezaubernde Graziella Sciutti aus der bunt zusammen gewürfelten Besetzung die reizvollste Erscheinung, Otto Wiener (Sprecher) der wortdeutlichste und Peter Klein (Monostatos) der musikalischstes Künstler des Abends. Eine Aufführung, die ganz im Zeichen der Improvisation des Mannes stand, der vom Pult aus eigentlich dafür zu sorgen hätte, daß sie interessant wird.

MADAMA BUTTERFLY am 17. Jänner

Maestro Puccini wäre es wohl im Traum nicht eingefallen, daß er dereinst als „Streikbrecher“ in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingehen würde. Denn die nun schon seit einigen Monaten andauernden „Bühnenarbeiterfestwochen" bescherten uns so viel Puccini – von wegen der Kürze –, daß manch einer seinen privaten Bedarf an japanischen Geishas, lebenslustigen Bohemiens und blutrünstigen Scarpias für die nächsten zehn Jahre decken konnte. Und trotzdem waren die meisten Aufführungen ausgezeichnet besetzt und fanden dementsprechend viel Beifall, was wiederum beweist, daß man diese strapaziösen Gewaltkuren mit italienischen Opern zur Zeit in Wien ohne Probleme wagen kann. Soll einmal einer dasselbe Experiment auf dem deutschen Sektor versuchen! Die Gestaltung der Butterfly durch Sena Jurinac ist an dieser Stelle schon oft geschildert und gelobt worden. Dem wäre nur hinzuzufügen, daß sie neuerdings die Rolle dramatischer anlegt, sozusagen aus der Reserve heraus – und zur Aktion übergeht. Stets von neuem faszinierend, wie sie die Partie verkörpert – nein, wie sie die liebende und für die Liebe sich aufopfernde Frau ganz einfach ist, ohne Flimmertränen und falsche Kulissenschluchzer. Stimmlich wollte es an diesem Abend zuerst nicht so ganz klappen. Nach einem schwächeren ersten Akt (Auftritt hinunter gesungen), konnte sie ihre Leistung dann im zweiten Akt zu großer Form anheben und sicherte sich die Lorbeeren des Abends. Einspringer (für Karl Terkal) Ermanno Lorenzi war den von Maestro Pradelli hervorgezauberten Feinheiten (und manchmal auch Freiheiten) der Partitur schon fast nicht mehr gewachsen. Was er hat: angenehmes Timbre, gute Phrasierung und saubere Piani wird leider durch das, was er nicht besitzt, kaum aufgewogen: nämlich Kraft und Höhe. Eberhard Wächter als Sharpless trat durch noble Phrasierung und zu tief gesungene Töne zu Beginn des ersten Aktes hervor. Francesco Molinari-Pradelli am Pult sorgte für eine spannungsgeladene Interpretation, war stets temperamentvoll bei der Sache und sprach Lorenzi seitenweise den Text vor. Es half aber nichts. Also griff er zu Blech und Bläsern und servierte eine dramatische Version der Butterfly. Über die restlichen Solisten und den Chor hüllen wir uns in Schweigen.

BALLETTABEND am 18. Jänner

LA BOHEME am 19. Jänner

Ein neu besetztes Liebespaar stellte sich vor: Wilma Lipp und Waldemar Kmentt. Beiden gemeinsam ist die korrekte Einstudierung und das ehrliche Singen sowie das bei Puccini nicht gerade ideale weiße Timbre. Frau Lipp formte aus der Mimi eine liebenswürdige, wirksame Operngestalt. Sie liegt ihr übrigens weitaus besser als seinerzeit die Musetta. Wir wundern uns nur, daß sie manchmal derart stark auf die Stimme drückt. Groß genug auch für die Phrasen des dritten Aktes ist die Stimme ohnedies, und kraftvoller Einsatz wirkt nur bei einer dunkleren, breiteren und sinnlicheren Stimme gut, nicht bei einer so hellen, klaren wie der von Frau Lipp. Waldemar Kmentt ist, obzwar ihm natürlich Weichheit, Sinnlichkeit und der gewisse Schmelz, den eben nur wenige von Natur bevorzugten Tenorkollegen aufweisen, als Rodolfo um Klassen besser als bei Mozart, was unsere Theorie von einem notwendigen Fachwechsel untermauert. Allerdings wird er nicht in Wien sitzen können und warten, bis man ihm eine Lohengrin-Premiere anbietet. Es wird doch noch Bühnen geben, wo er derartige Rollen ausprobieren kann! Jedenfalls muß er das lyrische Fach verlassen und Rollen singen, in denen er mit der Stimme heraus kann, und wo man nicht (wie bei Mozart) jeden verwackelten Tonansatz hört. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, daß er den Rodolfo italienisch studierte, obzwar er sicher selten dazu kommen wird, die Partie zu singen. Es ist aber besser, eine korrekt singender Kmentt beherrscht die Partie und kann jederzeit einspringen, als es muß ein ungeeigneter Gast herbeigeholt werden. (Gegen „Vorratswirtschaft" haben wir nichts.) Prächtig waren die Herren Eberhard Wächter und Walter Berry als Marcello und Colline, und man hätte sich einen ebenso guten Schaunard (Hans Braun) gewünscht. Graziella Sciutti ist als Musetta stimmlich vor allem im zweiten Akt überfordert und muß viel durch Charme und Witz ausgleichen. Maestro Francesco Molinari-Pradelli war ein schwung- und gefühlvoller Dirigent. Hätten wir doch für das deutsche Fach ebenso gute Männer am Pult!

CARMEN am 20. Jänner

Eine vorzügliche Darstellerin der Titelpartie, ein gut aussehender Tenor und ein temperamentvoller Dirigent – die besten Voraussetzungen für eine erstklassige Carmen-Aufführung waren gegeben. Regina Resnik dürfte derzeit wohl die beste Interpretin der Carmen sein. Es ist immer wieder ein reines Vergnügen zu hören, mit welcher technischen Sicherheit und Raffinesse sie ihr herrliches Organ einzusetzen weiß. Selbst aus den kleinsten Phrasen weiß sie ein Maximum an Wirkung herauszuholen. Unübertrefflich ist ihre Ausdruckskraft im Piano und Mezzavoce. Dabei kommen aber die dramatischen Stellen der Partie keineswegs zu kurz. Bei dieser stimmlichen Aussage kann sie auf alle Äußerlichkeiten in der Darstellung verzichten. Dimiter Usunow sieht nicht nur blendend aus, sondern verfügt auch über eine große Stimme, die er am besten im dritten und vierten Akt einsetzen kann. Daß einer solchen Stimme die lyrischen Stellen weniger liegen, ist verständlich. Otto Wiener gab einen temperamentvollen Escamillo und sang und spielte, daß es eine Freude war. Hilde Güden als Micaela war hervorragend wie immer. Sie sang sehr schön und spielte rührend. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte äußerst temperamentvoll und manchmal etwas eigenwillig und hielt immer die Spannung aufrecht. Leider konnte unser Chor seinen Intentionen nicht immer folgen, so daß es gelegentlich zu kleinen Schwimmfesten kam. Daß die Chöre noch immer nicht in französischer Sprache einstudiert wurden, ist ein Kapitel für sich. Vielleicht könnten hier einmal die munteren Sängerknaben mit gutem Beispiel vorangehen.

ARIADNE AUF NAXOS am 21. Jänner

Unter Berislav Klobucars im Vorspiel schwerfälliger und erst gegen Schluß der eigentlichen Oper inspirierten Leitung (gut gelang der ekstatische Aufschwung beim Auftritt des Bacchus) hatte das Orchester einen schwachen Abend, diesmal vor allem die Streicher, die dünn und klanglos blieben. Drei Sänger vermochten den Standard einer matten Repertoirevorstellung zu überbieten. Christa Ludwig hat mit ihrem Komponisten an stimmlicher Sicherheit und Klangschönheit jetzt sogar schon die Soprane übertroffen, und auch die Auffassung hält gerade ein glückliches Mittelmaß zwischen Verträumtheit und Aufbrausen, Temperamentausbrüchen und fassungslosem Staunen einer Welt gegenüber, die nicht die des jungen, stürmischen Komponistentalents ist. Ruth-Margaret Pütz, deren Stimmeinsatz auffiel (die kommende Gilda macht sich bemerkbar!), ist eine prachtvolle Zerbinetta, die keine Höhenlage zu fürchten braucht und die Koloraturen blitzen läßt. James McCracken stattete in verschwenderischer Fülle die Partie des Bacchus mit leuchtenden Tenortränen aus. Neu waren Teile des Nymphentrios besetzt, und zwar ausgezeichnet mit Laurence Dutoit als Najade und Gundula Janowitz als Echo. Die dritte im Bunde war Dagmar Hermann. Ebenfalls neu war Siegfried Rudolf Frese als Harlekin. Ihn haben wir nach seinem Salzburger Rollenkreis immer für einen Tenor gehalten, aber als er gleich die erste größere Phrase des Harlekin („so jung und schön und maßlos traurig") schmiß, erkannte man, es müsse ein Bariton sein. Im übrigen war er auf Mephisto geschminkt und völlig farblos. Was soll den dieses Engagement wieder bedeuten? Murray Dickie war der unbestrittene Anführer des komischen Quartetts. Trefflich assistierte ihm Oskar Czerwenka, der nur während des Beginns der Zerbinetta-Arie so laut über die Treppe stolperte, daß wir das schon als unkollegial bezeichnen müssen. Karl Dönch sang korrekt den Musiklehrer und Karl Weber war als „ein Offizier" endlich einmal richtig eingesetzt.

COSÌ FAN TUTTE am 22. Jänner

So ermuntert Don Alfonso die zurückbleibenden Bräute vor dem Abmarsch der beiden Helden: „Seien Sie standhaft und vertrauen Sie auf den Himmel". Auch wir halten uns jetzt öfter an diese Aufforderung des alten Bühnenroutiniers, was uns bei der gegenwärtigen Probenlosigkeit niemand verdenken kann. Aber siehe da! Ein ausgewogenes Ensemble servierte eine springlebendige Aufführung, wobei es den einzelnen Künstlern hoch anzurechnen ist, daß sie die Einsätze der z. T. äußerst komplizierten Ensembleszenen ohne bemerkenswerte Verspätungen einhielten. Wahlberliner Heinrich Hollreiser gab sich vom Pult aus große Mühe um differenzierten Klang und versorgte die Sänger umsichtig mit präzisen Einsätzen. Da alles programmgemäß abrollte, hatte er dieses Mal keinen Anlaß zu vorzeitiger Resignation. Seinen Galoppritt zu Beginn des ersten Aktes drosselten die ersatzgeschwächten Wiener Philharmoniker bald auf ein erträgliches Tempo. Von Szene zwei an ging dann alles glatt. Für die nötige Stimmung auf der halbleeren Bühne (Bühnenbild: die Requisitenkammer) sorgten Walter Berry und Christa Ludwig, die prächtig bei Stimme waren. Sie gehören glücklicherweise nicht in die Edelgewächsabteilung von Mozartsängern, die in der Così ein „Markier-Meisterwerk" sehen. Zudem verstehen es die beiden meisterhaft, ihren Gestalten Leben einzuhauchen und sie so aus der Schablone zu befreien. Liederspezialistin Irmgard Seefried (Fiordiligi) konnte da zuerst nicht ganz mithalten. Sie drosselte ihre Stimme unnötigerweise auf Zimmerlautstärke. Stimmlich glänzt sie stets dann, wenn die Partie nicht in zu hohe Regionen führt. Die Arie im zweiten Akt sang sie mit großer Kultiviertheit und erfolgreichem Bemühen um italienische Phrasierung. Eine Wohltat! Ansonsten: eine weiterhin schöne Mittellage und leicht scharfe Höhen. Waldemar Kmentts Ferrando beteiligte sich eifrig am allgemeinen Verwechslungsspiel, sobald er – und das ist interessant – „Un’aura amorosa" hinter sich gelassen hat. Bis dahin wirkte er verkrampft und stand hilf- und textlos vor dem Souffleurkasten. Wir werden den Eindruck nicht los, daß diese Arie sich mittlerweile bei ihm zu einem Trauma auszuwachsen droht. Nachher war er dann ganz bei der Sache und hatte offensichtlich Spaß am Inhalieren „giftiger" Bühnenflüssigkeit. Stimmlich war Kmentt in den Ensembleszenen sehr gut, nur die Höhe wird gepreßt und klingt einfach unschön. Paul Schöffler (Don Alfonso) und Adriana Martino (Despina) rundeten das Ensemble gut ab. Während Drahtzieher Don Alfonso seine Fäden überlegen ab- und später wieder aufspulte, verhedderte sich die Despina ein wenig in den Tücken der Partie (Heiratsszene). Das Vorbild Sciutti erreicht sie nicht! Alles in allem aber eine erfreulich gute Repertoireaufführung.

SALOME am 23. Jänner

Berislav Klobucar ist in der Salome wesentlich besser als in der Ariadne. Die Farben der Musik reizen sein slawisches Temperament. Auf der Bühne gab es wenig Erfreuliches. Christl Goltz sang konstant zu tief. Was soll sich ein Neuling, der Frau Goltz oder den (allerdings eingesprungenen) Paul Schöffler als Jochanaan zum ersten Mal hört, eigentlich von diesen beiden Sängern denken? Die Urteile werden nicht so milde ausfallen wie bei uns, die wir immer daran denken, wie viele herrliche Abende wir diesen beiden Künstlern verdanken. Eine junge, kräftige Stimme bekam man also nur von Fritz Uhl zu hören, der den Herodes auch gut spielte – jetzt haben wir nach jahrelanger Vakanz plötzlich zwei Vertreter dieser Partie. Vielleicht findet sich auch eine neue Salome dazu! Gut sangen die Juden (Peter Klein, Fritz Sperlbauer, Kurt Equiluz, Murray Dickie und Erich Kunz) und die Nazarener (Ludwig Welter und Hans Braun). Eine Sammlung roh hervor gestoßener Töne produzierte der Erste Soldat (Tugomir Franc). Georgine Milinkovic ist eine gute Herodias (sie sang sogar – kurz, aber immerhin – ihre berühmte Stelle „ich will nicht haben, daß sie tanzt" wieder hinauf.) Etwas unsicher schien Waldemar Kmentt (Narraboth) und Dagmar Hermann (Page) zu Beginn des Abends zu sein. Frau Hermann war allerdings endlich wieder einmal ein subalterner Page. Bei ihren Kolleginnen wird oft allzu wüst mit Herodias geschmust. Herodes hätte zweifellos so auffällige Sklaven ehestens köpfen lassen.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 24. Jänner

Bedingt durch den Bühnenarbeiterkonflikt können die großen Wagnerwerke derzeit überhaupt nicht aufgeführt werden, und so nahm man nach langer Pause das kürzeste Werk des Bayreuther Meisters wieder ins Programm auf. Daß dies mit Chorproben verbunden ist, war deutlich zu hören, denn diesmal waren die Chöre wirklich gut gelungen. Hilde Zadek sang die Senta korrekt, blieb der Partie ansonsten vieles schuldig. Sie wirkte ziemlich uninteressant, während Elisabeth Höngen wieder eine prachtvolle Mary sang und spielte. Die beste Leistung des Abends bot Otto Wiener in der Titelpartie. Er war bestens disponiert, hielt vom Auftritt an bis zum Ende die Partie mühelos durch und bot darstellerisch eine durchdachte Studie. Wolfgang Windgassen war ein stimmlich guter, sympathischer Erik, Murray Dickie ein stimmkräftiger Steuermann. Oskar Czerwenka sang den Daland. Er blieb im ersten Akt auf der Strecke. Im Duett mit dem Holländer war er streckenweise kaum zu hören. Außerdem fiel hier deutlich auf, daß die Substanz der Stimme für eine Wagnerpartie zu gering ist. Eine Verbesserung war dann im zweiten Akt festzustellen. Darstellerisch war der Sänger ein gemütlicher Seebär. Heinrich Hollreiser stand am Pult und bot diesmal eine wirklich ausgezeichnete Wiedergabe. Als Höhepunkt seiner Interpretation muß man die Einleitung und den Matrosenchor im dritten Akt nennen. Hier dachte man unwillkürlich an seinen großen Förderer Clemens Krauss, und das ist für Herrn Hollreiser ohne Zweifel ein großes Lob. Der Beifall war stark und herzlich und dankte für die Wiedergabe einer deutschen Oper, die im großen und ganzen als gut bezeichnet werden kann, was ja leider in den letzten Monaten sehr selten der Fall war.

DIE ZAUBERFLÖTE am 25. Jänner

unter Heinrich Hollreiser war eine geschlossene Aufführung. Es gab keinen Kartenverkauf.

OTHELLO am 26. Jänner

Daß ein berühmter Name eine interessante Vorstellung garantiert und die Massen förmlich in die Oper treibt, bewies das erste Auftreten Tullio Serafins. Plötzlich waren alle Musikliebhaber und Opernfreunde wieder wie eine große Familie versammelt, und die Freikartenbesitzer, für die derzeit Festwochen herrschen, mußten enttäuscht auf ihr billiges Vergnügen verzichten. Die Oper lebt, man darf sie nur nicht verbürokratisieren! (Von einer hineingepferchten Masse darf man sich eben kein Benehmen erwarten, Herr Dr. Kalmar! Darin liegt der Unterschied im Publikum, dessen Zusammensetzung natürlich für den Pressechef und gleichzeitigen Rundfunk- und Fernsehautor ein „Buch mit sieben Siegelns" ist!). Tullio Serafin gehört zu den größten Dirigenten seines Landes. Über ihn schreib schon Gigli, daß es ihm zur Ehren gereicht hatte, unter Serafin zu singen. Heute ist der Dirigent ein greiser Mann, der auf die Unterstützung des Orchesters angewiesen ist. Bei dieser Gelegenheit möchten wir unserem Orchester den Dank aussprechen, daß es ihn nicht im Stiche ließ. Die Musiker spielten mit vollem Ernst, und das Resultat davon war ein erstklassiger dritter und vierter Akt. Die lyrischen Szenen hatten stellenweise sogar großes Format. In gesanglicher Hinsicht überragte Aldo Protti seine Partner auf der Bühne bei weitem. Er gewann seiner breiten Stimme zahlreiche Nuancen ab und war immer zur Stelle. In optischer Hinsicht stand er im Schatten von Dimiter Usunow (Othello), der fabelhaft aussah, leider aber gesanglich enttäuschte. Der bulgarische Tenor ist in dieser Saison nicht so groß in Form. Das Metall seiner Stimme schien an diesem Abend abgenützt. Zu oft sucht er sein Heil in forcierten Tönen. Regine Crespin als Desdemona war von den Hauptdarstellern die Schwächste. Sie ist zwar eine kultivierte Sängerin, was sie im ersten und letzten Akt bewies (hier hatte sie ihre Stimme in der Gewalt), doch wehe, wenn sie ihrem Organ freien Lauf läßt. Dann treten sofort die Schärfen ihrer Höhenlage zutage. Außerdem war sie im Auftritt des zweiten Aktes musikalisch nicht sattelfest. In der Gestaltung der Desdemona bleib die Routine im Vordergrund. In den Nebenrollen hörte man zum ersten Mal Feruccio Mazzoli als Lodovico, der allerdings sehr farblos blieb. Enttäuschend wieder Giuseppe Zampieri als Cassio. Tullio Serafin stand im Mittelpunkt stürmischer Ovationen und somit einer Reverenz des Wiener Publikums vor dem großen alten Mann.

DIE ZAUBERFLÖTE am 27. Jänner

Von einer Festvorstellung zu Ehren des Geburtstages von Mozart war zwar keine Rede – Festivitäten ohne Probenarbeit sind nicht möglich – aber immerhin gab es eine recht gute Aufführung. Berislav Klobucar war mit Feuereifer am Pult, und der Kontakt zwischen Orchester und Bühne schien gefestigter als einige Tage zuvor. Für beste Laune sorgte Walter Berry, das ganz in seinem Element war, seine Stimme mühelos verströmen ließ und dezent sehr viel Charme versprühte. Das Liebespaar war mit Wilma Lipp, einer unserer besten Mozartsängerinnen, und Wolfgang Windgassen, dem Wangerhelden unserer Tage, verkörpert. Frau Lipp, deren bezaubernde Erscheinung das Publikum stets von neuem für sie einnimmt, sang makellos. Nur in der Arie „Ach ich fühl’s" fühlten wir, daß sie etwas unruhig war. Windgassen bewies, daß er nicht nur mit Siegfrieds Schwert, sondern auch mit Taminos Flöte umzugehen weiß. Wie sehr er seine schwere Stimme Mozart anzupassen wußte, erweckte Bewunderung. Herr Windgassen gehört zu jenen Künstlern, die am meisten durch die derzeitige Situation zu Schaden kommen. Trotzdem steht er seinen Mann. Als Vertreterin der bösen Mächte stand Gisela Vivarelli als Gast auf der Bühne. Die Stimme ist wenig modulationsfähig und auch nicht sehr interessant. Zu Beginn der ersten Arie schleppte sie derart, daß man schon das Schlimmste befürchtete, doch ihre einwandfreien Koloraturen, die besten seit langem, die eine Königin der Nacht zu bieten hatte, stimmten versöhnlich. Die Koloraturen waren auch in der zweiten Arie ihre Stärke. Ludwig Welter gewinnt als Sarastro von Vorstellung zu Vorstellung mehr an Profil. Die Arie „In diesen heiligen Hallen" fand viel Beifall. Hans Hotter erfüllte die Sprecherszene mit seiner Persönlichkeit. Peter Klein ist der beste Monostatos unseres Hauses. Nicht zu vergessen ist ein Sonderlob für die Drei Damen (Gundula Janowitz, Christa Ludwig und Hilde Rössel-Majdan) – tatsächlich eine Festbesetzung.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. Jänner

Endlich wieder Figaro unter der Leitung von Herbert von Karajan. Er sorgte auch diesmal für eine lebendige, spannungsreiche Interpretation im besten Wiener Mozartstil: Da außerdem unser Wiener Mozartensembe fast vollständig auf der Bühne stand, wurde dieser Abend zu einem richtigen Mozartfest. Hilde Güden spielte die Susanna vornehm und zurückhaltend und sang wunderschön. Walter Berry als Figaro war stimmlich und darstellerisch großartig in Form. Es bedeutete eine wahre Freude, ihn zu sehen und zu hören. Den Cherubino spielte Christa Ludwig leider etwas zu übertrieben. Schade, sie hat sich dadurch den Gesamteindruck ein wenig verdorben. Stimmlich war sie nämlich hinreißend gut, und die beiden Canzonetten wurden zu wahren Kabinettstückchen. Eberhard Wächter ist der ideale Graf, sowohl stimmlich als auch vom Schauspielerischen her. Er ist immer ganz „da", und doch ist er nie unangenehm. Und er spielt sich nie unangebracht in den Vordergrund. Ganz Hollywood in Maske und teilweise auch in Schauspiel ist Teresa Stich-Randall als Gräfin. Ganz auf süß und lieb hergerichtet, fehlt ihr von Anfang an jede gräfliche Vornehmheit. Auch stimmlich ist sie keine Idealbesetzung. Die Höhe ist zu steif und zu scharf für Mozart. Daß ihr die zweite Arie am besten gelang, spricht für ihre Atemtechnik. Die weiteren Mitwirkenden waren Hilde Rössel-Majdan, Oskar Czerwenka und Peter Klein. Das Publikum war animiert, es gab viel Beifall.

TOSCA am 29. Jänner

Herbert von Karajan trat nach einem Wochenende reich an Arbeit und Ärger ans Pult und wirkte ein wenig müde. Auch seine bewundernswerte Spannkraft hat offenbar ihre Grenzen. Daß er – auch um einen Gang zurückgeschaltet – noch immer besser war als die meisten anderen Dirigenten, konnte man wieder einmal feststellen. Die bildschöne Floriana Cavalli sang zum ersten Mal in Wien ihre Tosca, von der soviel hergemacht wurde. Man muß es aber kurz, klar und unbarmherzig aussprechen: Sie ist ihr Geld nicht wert. Wir rechnen sonst bekanntlich nicht so und vergönnen jedem Spitzensänger seine Gagen, obzwar die Oper nicht nur mit unseren Steuergeldern, sondern auch mit dem Geld, das wir für unsere Eintrittskarten berappen, mitfinanziert wird. Aber im Falle Cavalli handelt es sich um eine Durchschnittsstimme, die durch geschicktes Management hinauflizitiert worden sein dürfte. Und da spielen wir nicht mit. Die Stimmgröße ist für Nedda oder Mimi passend. Das an sich dunkel und apart timbrierte Organ wird erbarmungslos überdehnt, sodaß es ohne jede Schwingung bleibt und steif, kalt und tot wirkt, und die Stimme obendrein bei jeder strapaziösen Phrase abreißt. Die Sängerin ermüdete übrigens im Laufe des Abends zusehends. Um solche Mängel zu kaschieren, bediente sie sich der üblichen Pianomätzchen unausgeglichener Sänger. Ihre Phrasierung ist ganz und gar unitalienisch. Die auf Liz Taylor geschminkte Sängerin ist noch dazu als Darstellerin von pathetischem Mittelmaß und gebraucht Gesten, die an die Jeritza der Wohlfahrtsvorstellungen erinnern. Schwamm darüber! Das ist der einzige Trost: Wenn Italiener nicht ankommen, sind wir sie meistens schnell wieder los. Dimiter Usunow sang einen guten Cavaradossi, Aldo Protti war ein stimmlich imponierender und sonst nicht eben mit großer Persönlichkeit gesegneter Scarpia. Feruccio Mazzoli als Angelotti ist ein unscheinbarer Sänger, der weder positiv noch negativ auffällt. Da unsere Angelottis zumeist letzteres tun, gilt dies hiermit als positive Kritik. Erich Kunz sang den Mesner gut, dem Gehüstel und Geschnupfe nach gehört die Gestalt aber eher in eine Lungenheilstätte als auf die Opernbühne.

COSÌ FAN TUTTE am 30. Jänner

Diese Oper gelangt jetzt am Ring wegen der Kürze und der einfachen Szenerie zu Ehren. (Im Jänner gleich fünfmal!) Das Werk fand eine schöne Wiedergabe durch die Solisten. Routiniers wie Irmgard Seefried, deren Mittellage von unverminderter Schönheit ist, Anton Dermota, der Mozarttenor von 25-jähriger Tätigkeit, Paul Schöffler, der mit einem Augenzwinkern die Intrigen besser spinnt als andere mit dem Stimmaterial und Emmy Loose, die als Despina tatsächlich ewig jung zu bleiben scheint, sorgten für ein köstliches Zusammenspiel im altbewährten Ensemblegeist. Die stimmlichen Lorbeeren holte sich die jüngere Generation, nämlich Christa Ludwig als Dorabella und Walter Berry als Guglielmo. Frau Ludwig ließ das Feuerwerk ihrer Koloraturen aufblitzen und Herr Berry vermochte in dieser Partie seiner Stimme besonderen Glanz zu verleihen. Gegen den von der Bühne überspringenden Funken war Ernst Märzendorfer unempfindlich, unter dessen Leitung das Orchester hart und wenig ambitioniert spielte.

BALLETTABEND und DER BAJAZZO am 31. Jänner

Vor der Pause wurden Pas de trois aus dem Schwanensee und Le Combat gespielt.

Leoncavallos BAJAZZO war das Hauptwerk des Abends. Aldo Protti (Tonio) war nicht in gewohnter Form. Im Prolog tat er sich mit den Höhen und „Donnersalven" ein wenig schwer. Dimiter Usunow (Canio) fühlt sich immer dann wohl, wenn es in luftige Höhen hinaufgeht und er mit Spitzentönen glänzen kann. So auch an diesem Abend. Wilma Lipp war eine liebenswürdige und unkomplizierte Nedda, die auch stimmlich zu imponieren wußte. Siegfried Rudolf Frese (Silvio) gab einen schmachtenden, aber äußerst blassen Ehebrecher. Gesanglich war er nicht vorhanden. Berislav Klobucar dirigierte mehr laut als schön, war aber ein sicherer Begleiter.

 

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