DER MÄRZ 1962
7. Jahrgang, Heft 4
Leitartikel 7. Jahrgang, Heft 3
RITORNA VINCITOR!
Mehrere Male schon zogen große Direktoren schlecht bedankt aus dem Haus am Ring, unverstanden, angegriffen und besiegt von der Maschinerie des Bürokratismus. Das Unrecht ging in die Theatergeschichte ein, mit Bedauern vermerkt und kommentiert mit der Resignation: „S’ist halt der Lauf der Welt!"
Nun wurde mit dieser Art „Tradition" gebrochen. Die Rückkehr Herbert von Karajans erhält somit auch symbolischen Wert, ist Grund zur Freude darüber, daß endlich dem Fortschritt, der Kraft einer Idee, dem schöpferischen Willen im Dienst der Kunst der Vorrang eingeräumt und das böse Wort vom „Dank des Hauses Österreich" ad absurdum geführt wurde. Wir haben dadurch Ursache, stolz zu sein auf unsere Gegenwart, die so überzeugend dokumentierte, daß nicht immer die Pessimisten Recht behalten, die der trüben Meinung sind, daß Idealisten stets unter die Räder kämen, wenn sie in weltfremder Narrheit Michael Kohlhaas spielen. Diesmal aber ließen sich die „Kohlhaasen" nicht die Pferde ausspannen, diesmal erhielten die Intriganten von den Ehrenmännern den Tritt, die Sauberkeit ihr Recht und die vox populi Gehör. Und im Getriebe der Bürokratie begann der Sand zu knirschen.
Dies alles schließen wir darin ein, wenn wir dem Chef „Ritorna vincitor!" zurufen, aber wir meinen damit auch, daß nicht vergessen werden darf, daß wir sozusagen noch einmal davongekommen sind, und große Siege nicht nur erkämpft werden, sondern auch Geschenke des Himmels und eine Mahnung und Verpflichtung bedeuten.
Schon zu einer Zeit, wo von einer Karajankrise noch keine Rede war, haben wir mit nervenzermürbender Regelmäßigkeit immer wieder gepredigt und geraunzt, daß den Brunnenvergiftern und Ränkeschmieden das Handwerk gelegt werden soll. Wir haben den Chef gewarnt vor grauen Eminenzen innerhalb und außerhalb des Hauses und wir haben es angekreidet, daß der Ressortminister nie die Oper besucht. Vielleicht wird er nun selbst zugeben, daß so manches nicht geschehen wäre, wenn er seine Informationen durch persönliche Sachkenntnis und nicht bloß durch Referate seiner Beamten erhalten hätte. Wir haben bis zum Überdruß angeprangert, daß der aufgeblähte Apparat der Bundestheaterverwaltung nach und nach geradezu grotesk anmutet und die Aufbauarbeit des Hauses belastet, statt ihr zu dienen. Wir haben ohne Unterlaß mit erhobenem Finger auf die unglückselige Berichterstattung unserer Presse hingewiesen.
Wenn von dort her nun behauptet wurde, daß Karajan nur als Opernchef, niemals jedoch als Dirigent angegriffen worden sei, so ist dies eine faustdicke Lüge, die sich belegen läßt. Oder galten die Aussprüche: „Karajans Neunte Beethoven - ein Tennismatch in vier Sätzen", „Karajans Tosca - erhabene Langeweile" etwa dem Opernchef Karajan? Immerhin war es erfreulich zu sehen, daß in den letzten Wochen die Herren Rezensenten in der überwiegenden Mehrheit begriffen hatten, daß sie etwas gutmachen müßten, und den Mut aufgebracht haben, sich dazu zu bekennen. Das hat uns – soweit sie dies taten – mit ihnen versöhnt.
Wir haben aber auch stets gemahnt, daß Sänger, die durch ihre Leistungen nicht dem Niveau des Hauses entsprechen, in Pension geschickt werden müßten, falls sie auf Verdienste zurückblicken können, und gekündigt, wenn sie nicht tragbar sind und dazu am Rande vermerkt, daß in diesen Reihen jene Antichambrierer zu finden wären, die statt zu arbeiten, ihre Zeit darauf verwenden, die Atmosphäre innerhalb des Hauses zu vergiften. Auch dies haben die Ereignisse nun erneut bestätigt.
Wir wünschen daher dem Chef bei seiner Rückkehr als erstes einen eisernen Besen. Wir wünschen ihm, daß er sich nicht durch gekrümmte Rücken beirren lassen möge. Wir wünschen ihm, daß ihm gegeben wäre, was König Philipp sich so sehr erbittet: „Die Menschen zu durchschauen." Im Geiste sehen wir nämlich das Heer der Opportunisten schon vor uns, das sich nun gegenseitig in den Haaren liegen wird, weil einer versucht, den anderen zu überrunden und zu überschreien mit der Beteuerung, wie sehr er selbst sich für die Rückkehr des Chefs exponiert und was er alles dafür gewagt und geopfert habe. Sogar jene, die auf das falsche Pferd gesetzt haben, werden nun mit affenartiger Behendigkeit umsatteln und sich als die lautesten Hosiannarufer entpuppen.
Selbst die Freikartenbesucher der Bundestheaterverwaltung, die bei den Demonstrationen für Karajan keine Hand gerührt haben, werden sich nun die Kehlen mit Bravorufen heiser schreie und die „großen Charaktere", die vor lauten Jonglieren während das letzten Monats ins Schwitzen geraten sind, werden sich in die Brust werfen und ihre Treue dem Chef gegenüber beteuern. Unser „Ritorna vincitor" möge Herbert von Karajan in den Ohren klingen, wenn er ihrer ansichtig wird, damit nun das geschehe, was es bisher auch noch nie gab: daß endlich die Wiener Giftküche von ihrem radioaktiven Abfall gesäubert wird.
Und diese gereinigte Luft braucht Herr von Karajan für die Durchführung seiner Pläne und Vorschläge. Dieses Programm, das er noch vor seiner Demission erstellte, war es, das endgültig klar machte, daß es für Wien keinen anderen Chef mehr geben könnte als Karajan. Nicht um die Person und einen Personenkult ging der Kampf der letzten Wochen, sondern um die Zukunft der Oper überhaupt. Denn hier hat Karajan bewiesen, daß er Bahnbrechendes zu leisten vermag.
Die geistigen Grenzen Europas sind schon längst gefallen, das Abendland ist sich unbewußt bewußt geworden, daß es zu einer Einheit zu verschmelzen beginnt, ohne den völkischen Individualismus dabei aufgeben zu müssen. Und etwas davon äußert sich auch in Karajans Idee von den Vertragsabschlüssen mit anderen großen Opernhäusern, nach dem Beispiel Wien-Mailand. Das Ensembletheater nach lokalen Begriffen gemessen ist tot, aber dem Spitzenensemble internationalen Formats gehört die Zukunft. Nicht ein Imperium Karajan, wie ein stark kurzsichtiger Zeitungsmann schrieb, ist das Ziel, sondern eine Lösung, die den Forderungen der Zeit Rechnung trägt.
Der Abschluß mit Mailand hat es Karajan ermöglicht, auf dem Gebiet der italienischen Oper eine Blüte festlicher Aufführungen einmaligen Formats in Wien zu schaffen. Immer wieder erhoben wir die Forderung, daß Ähnliches mit dem deutschen Repertoire geschehen müßte. Immer wieder klagten wir hier – ausgenommen natürlich jene Aufführungen, die der Chef selbst dirigierte – über die unzureichenden Besetzungen und über die Dirigentenmisere, die sich daraus ergab, daß zahlreiche Dirigenten durch schlechte Planung vergrämt wurden. Und eine Zeit lang wollte es uns so scheinen, als habe der Chef dafür kein Ohr. Nun, er hatte eines, wie sich zeigt. Und während wir uns verzweifelt und ziemlich nutzlos darüber den Kopf zerbrachen, wie hier Abhilfe geschaffen werden könnte – verärgert und schimpfend natürliche –, ist ihm dazu auch etwas eingefallen. Es ist ihm nichts Geringeres eingefallen als eine Symbiose zwischen dem unzulänglich gewordenen Repertoiretheater und der auch nicht allein selig machenden Stagione, wobei sich die Vorteile beider Einrichtungen aufeinander abstimmen und kompensieren ließen.
Und während die Dritte-Garnitur-Sänger und deren Pressestreiter nicht aufhörten, vom Ensemble zu phantasieren (einem Ensemble das naturgemäß, solange es nun einmal Manager und Düsenflugzeuge gibt, nur aus jenen bestehen kann, die kein Manager verpflichtet, und die Flugzeuge nicht nötig haben, weil internationale Bühnen nicht nach ihnen rufen, wobei sie dann dieses Nichtgefragt-Sein mit der Heuchelei des Pharisäers als „Treue" zu Wien bemänteln!) hat Karajan auch hier erfaßt, was getan werden könnte, nämlich dieses: das große internationale Ensemble, das in der ganzen Welt zu Hause ist, durch weltweite Verträge von Haus zu Haus an Wien zu binden und eine solche Bindung eben durch das Abkommen mit den anderen großen Bühnen zu realisieren, niemandem zum Schaden, aber allen zu Frommen.
Dazu braucht Karajan den starken Mann an seiner Seite, den wir nun hoffentlich mit Dr. Schaefer auch erhalten werden, und einen ungestört funktionierenden Theaterapparat. Und dies berührt die beiden anderen Forderungen, die er vor seinem Abgang stellte: Eine restlose Lösung des Bühnenarbeiterkonflikts und die Herauslösung der Oper aus dem veralteten Apparat der Bundestheaterverwaltung.
Schon Schalk stellte diese Forderung, daß die Oper aus der Umklammerung der Bürokratie befreit werde und – scheiterte damit. Erich Kleiber, von Dr. Hilbert zum Chef-Dirigenten im Theater an der Wien ausersehen, verlangte die Auflösung der Bundestheaterverwaltung als Basis für seine Arbeit! Auch ihn kostete es seine Berufung und Wien das internationale Niveau in den fünfziger Jahren.
Karajan ist nicht gescheitert, und auch dieses Problem ist damit nun nicht mehr aufs tote Geleise zu schieben und wird früher oder später einer Lösung der grundlegenden Erneuerung zusteuern.
Was den Bühnenarbeiterkonflikt anbelangt, sind in den letzten Krisenwochen hin und wieder Bemerkungen darüber eingestreut worden, daß Karajans übertriebene Beleuchtungsproben den Konflikt erst heraufbeschworen hätten. Nun, die Öffentlichkeit ist nicht mehr ganz so naiv wie zu Zeiten, wo Rundfunk und Fernsehen noch nicht die Geschehnisse des Alltags bis in die letzte Hütte trugen. Heute weiß man wohl selbst schon im hintersten Dorf des Bregenzerwaldes, daß beim Bühnenarbeiterkonflikt im Hintergrund parteipolitische Kämpfe tobten und für ihn verantwortlich zeichneten. Man weiß zusätzlich noch (zumindest wissen es alle jene, die Stammbesucher der Oper sind), daß unsere modernsten technischen Einrichtungen, wie kaum eine andere Bühne der Welt sie ihr Eigen nennt, nicht deshalb mit einem riesigen Kostenaufwand installiert wurden, um sie brachliegen zu lassen, sondern darum, daß mit ihrer Hilfe die szenische Erneuerung der Oper durchgeführt werde. Dieser Aufgabe hat sich Karajan unterzogen, aus diesem Grunde hat er Regie geführt, unbekümmert darum, daß er von der Presse als „Amateur-Regisseur" angeschossen wurde. Jeder Sänger, der seine Stimme verloren und deshalb zur Regie hinübergewechselt hat, gilt den Kritikern als Fachmann, jeder Dirigent jedoch als unzuständig für Fragen der Inszenierung. Daß Karajan neue Wege beschritten und auch gefunden hat, daß er in der Entwicklung dieser Gedanken steht und daher nicht restlos Vollendetes, aber immerhin viel Beglückendes schuf, das geht den Köpfen, „die fort und fort am schalen Zeug kleben", nicht ein. Doch hier wurde auch von Seiten der Operndirektion Fehler gemacht. Denn wo blieb der Pressechef des Hauses? Warum erklärte er nicht öffentlich, worum es ging. Warum stellte er nicht die Intentionen Karajans zur öffentlichen Diskussion, nachdem man dies vom Künstlerischen Leiter selbst wegen des Zeitmangels nicht gut verlangen kann? Warum blieben von hier aus alle Angriffe – siehe das Buch von Viktor Reimann – unwidersprochen? Warum wurde die von der Bundestheaterverwaltung bezahlte Sendung „Aus Burg und Oper", zumindest soweit es die Oper anbelangt, nicht dazu ausgewertet, die breiten Kreise des Publikums mit den Ideen zur Erneuerung der Oper bekannt zu machen? Warum wurde nicht von hier aus etwas dazu beigetragen zu klären und zu erklären? Auch hier muß endlich das Versäumte nachgeholt werden, auf daß nicht durch Unterlassungssünden neuerlich heimlich Zündstoff angesammelt werde.
Die glückliche Wendung im „Karajan-Konflikt" schließt unter Umständen auch eine Gefahr in sich ein, nämlich die, daß im Jubel und in der Freude allzu leicht übersehen und vergessen wird, welche Katastrophe im gegenteiligen Fall über die Musikstadt Wien hereingebrochen wäre. Für die „Eingeweihten" war es ein offenes Geheimnis, daß Karajan als Künstlerischer Leiter oder überhaupt nicht zurückkäme. Mit anderen Worten bedeutete dies, daß bei negativem Ausgang der Verhandlungen Österreich auch des Dirigenten Karajan verlustig gegangen wäre.
Dies hätte bedeutet, daß die Konzerte des Musikvereins und die Philharmonischen Abonnementkonzerte unter Karajan ebenso geplatzt wären wie die Schallplattenaufnahmen der Wiener Philharmoniker mit Karajan. Es hätte weiter bedeutet, daß Direktor Ghiringhelli den Vertrag zwischen der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala gekündigt hätte und daß daher die Wiener Festwochen sich zu „sauren Wochen" entwickelt hätten usw. usw.
Und so wäre Schlag auf Schlag die in jahrelanger Aufbauarbeit gezeitigte Hochblüte des Hauses an Ring der Zerstörung anheimgefallen. Die Ansätze dazu hatten wir bereits in den letzten Wochen zu spüren bekommen – siehe unseren Monatsbericht vom Februar, der dies deutlich widerspiegelt.
Dies drohende Verhängnis, das über uns geschwebt ist, ist nun abgewendet. Aber wir dürfen in der Zukunft nicht übersehen, mit welcher Geschwindigkeit und tödlichen Sicherheit es bereits auf uns zurückte. Nicht alle haben es in vollem Umfang erkannt und gespürt, und so soll hier festgehalten werden, daß dem Publikum die Ehre gebührt, dies besser erfaßt zu haben, als mancher „Fachmann". Der Wille dieses Publikums hat sein Teil dazu beigetragen, daß wir nun aufatmen können, und ihm kommt daher auch das Recht zu, Karajan als Gruß und Bitte zuzurufen: „Ritorna vincitor!"
Und nun noch ein paar Zeitungsausschnitte
DIE PRESSE, Sonntag, 11.3.1962
Karajan wieder an die Oper
Nach fünf Wochen Krise: Doppeldirektion mit Walter Schaefer
Eigenbericht der „Presse"
WIEN. Herbert von Karajan wird ab nächster Woche wieder die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper übernehmen. Das Unterrichtsministerium hat seine Bedingung erfüllt, daß die Staatsoper nicht länger der Bundestheaterverwaltung unterstellt ist. In einem Samstag Abend von Unterrichtsministerium veröffentlichten Kommuniqué wird diese zweifellos begrüßenswerte Nachricht offiziell bekanntgegeben.
In dem Kommuniqué heißt es wörtlich. „Als Ergebnis der Besprechungen mit Ministerialrat Doktor Weikert wird Herbert von Karajan in der nächsten Woche die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper wieder übernehmen. Grundlage ist die auf Vorschlag Herbert von Karajans erfolgte Einladung an Professor Walter Erich Schaefer, den Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater, die Agenden des Direktors der Wiener Staatsoper anzunehmen. Bis zum Ende der laufenden Spielzeit wird Dr. Weikert als Beauftragter des Unterrichtsministeriums jene Agenden der Bundestheaterverwaltung betreuen, die die Wiener Staatsoper betreffen."
Aus diesem Kommuniqué geht hervor, daß die Staatsoper weitgehend aus dem Verband der Bundestheaterverwaltung gelöst wurde. Zumindest betrifft diese Herauslösung alle künstlerischen Fragen.
Schaefer, dessen Stuttgarter Vertrag noch bis 1965 läuft, erhielt Samstagabend das telegraphische Angebot, die Direktion der Staatsoper zu übernehmen. Er hat sich noch nicht entschieden, dürfte aber Mitte kommender Woche in Wien persönlich die Verhandlungen abschließen. Karajan wird auch Mitte der Woche hier erwartet.
Zur Rückkehr Karajans
Die Neuordnung des Einvernehmens mit Herbert von Karajan hat eine beträchtliche Weile in Anspruch genommen, aber nun scheint eben doch dabei ein gut Ding zustande gekommen Zu sein. Wir begrüßen beides aus ganzem Herzen und mit voller Überzeugung: Sowohl die Rückkehr Karajans, wie die Tatsache, daß an seiner Seite nun ein Mann seines Vertrauens als Freund und Direktor wirken wird. Die PRESSE hat ja immer wieder den Standpunkt vertreten, daß eine Persönlichkeit wie Karajan einer solchen Ergänzung dringend bedarf. So mag es denn sein, daß diesmal die Opernkrise zu einer vorteilhaften Klärung und Festigung der Situation geführt hat, wodurch Wien Karajan als künstlerischer Leiter der Oper auf die Dauer erhalten erscheint.
Aber nicht nur die erklärten und erprobten Anhänger des großen Dirigenten werden heute erleichtert und befriedigt aufatmen. Sie haben es ja erlebt, wie diesmal die ganze Öffentlichkeit des Landes, selbst solche Schichten, die am Musik- und Operngeschehen nicht unmittelbar teilnehmen, von dem drohenden Verlust eines so namhaften Künstlers alarmiert und aufgeschreckt wurden.
Schließlich war es deren rege und tätige Teilnahme, aber auch der kulturelle Verantwortungssinn des Unterrichtsministers Drimmel, die den erfreulichen und glücklichen Umschwung der Dinge herbeigeführt haben.
Was die Neuordnung im Verhältnis der Oper zur Verwaltungsbehörde betrifft, wird deren praktische Auswirkung noch abzuwarten sein. zwischen Künstler und Beamten besteht ein sozusagen naturgegebener Gegensatz, und wahrscheinlich wird es niemals möglich sein, ein gutes Einvernehmen durch Paragraphen und Gesetzesbestimmungen zu regeln und dauernd zu festigen. Wahrscheinlich wird es da letzten Endes immer nur der persönliche Kontakt sein, der den Ausschlag gibt. Diese diffizilen Agenden nun in der Hand eines so tüchtigen und erfahrenen Mannes wie Ministerialrat Weikert gelegt zu wissen, läßt für die Zukunft auch für dieses Verhältnis manches erhoffen.
Heinrich Kralik
EXPRESS, Mittwoch, 14.3.1962
Vorhang auf zum zweiten Akt
Epilog zu einer Opernkrise und die Erwartungen bei Karajans Rückkehr
Wenn morgen, vermutlich am späteren Nachmittag, Herbert von Karajan nach genau fünf ereignisreichen Wochen wieder in Wien eintrifft, geht der Vorhang hoch. Zum zweiten Akt. Das Spiel kann wieder beginnen.
Es ist, wie bekannt, um einen Hauptdarsteller bereichert. Und die Handlung hat mittlerweile eine entscheidende Wendung erfahren. Wie sie ausgehen wird? Es gibt dafür keine Inhaltsangabe. Nur Vermutungen, Prognosen, Erwartungen.
Von ihnen soll hier die Rede sein.
Nach Karajans Rücktritt am 7. Februar, der von Minister Dr. Drimmel am 9. Februar abgehaltenen Pressekonferenz und jenem Interview, das der künstlerische Leiter der Wiener Oper nach seiner Demission EXPRESS am 11. Februar in Zürich gewährte, hatte es so ausgesehen, als sei eine Einigung kaum noch zu erzielen.
„An seine Rückkehr, an eine Möglichkeit, den Dirigenten der Staatsoper in irgendeiner Form zu erhalten, können nicht einmal notorische Optimisten glauben", schrieb die WOCHENPRESSE resümierend am 17. Februar.
Genau zwei Wochen später, am 3. März, traf ein offizielles Kommuniqué, das Unterrichtsminister Dr. Drimmel unter überraschender Umgehung seines Pressechefs persönlich der Austria-Presseagentur übergeben hatte, die knappe Feststellung, Ministerialrat Dr. Weikert, Chef der Kunstsektion, sei beauftragt worden, „mit Herbert von Karajan in direkte Verhandlungen zu treten".
Die Tür, die Karajan „zwischen sich und der Wiener Oper so energisch ins Schloß geknallt hatte" (WOCHENPRESSE), war damit vom Unterrichtsminister wieder sichtbar wenn auch nur spaltbreit geöffnet worden. Minister Dr. Drimmel hatte damit zweifellos der öffentlichen Meinung entsprochen, die drei Wochen hindurch in Resolutionen, Interventionen und Publikationen zum Ausdruck gekommen war. Denn die Öffentlichkeit vertrat (quasi „mehrstimmig") die Meinung, daß die Art, wie Karajans Rücktritt herbeigeführt oder inszeniert worden war, für das kulturelle Prestige unseres Landes untragbar sei. Egal, wie man vorher die Direktionstätigkeit Karajans bewertet haben mochte.
Es wird aber für die Arbeit, die künftig geleistet werden muß, vorteilhaft sein, wenn man sich über ihre Basis im klaren ist. Deshalb sei hier einmal vermerkt, daß nicht bloß Einsicht und Rücksicht maßgebend waren für die Einigung, die man in relativ kurzer Zeit seitens des Ministeriums mit Karajan erzielen konnte.
Wie jedes Ding, so hat auch diese Einigung zwei Seiten:
Minister Dr. Drimmel, der noch am 9. Februar erklärt hatte, Karajan sei ihm stets willkommen, wenn er in das alte Verhältnis zurückkehre, eine Rückkehr sei aber nur auf der alten Basis möglich, mußte erkennen, daß jeder Nachfolger Karajans dessen Forderung nach einer weitgehenden Autonomie der Staatsoper aufgegriffen und zu der seinen gemacht hätte. Hervorgerufen durch Karajans Demission zeigte sich plötzlich die ganze Anmaßung, Selbstherrlichkeit und bürokratische Kompliziertheit jener Instanz, die sich Bundestheaterverwaltung nennt, aber seit Jahren auch in künstlerischen Fragen die Funktion einer Superdirektion auszuüben geneigt war.
Sollte Karajan mit seinem Rücktritt nebenbei auch die Absicht verfolgt haben, auf diese unhaltbare Situation hinzuweisen, wäre seine Demission schon allein deshalb berechtigt und sinnvoll gewesen.
Minister Dr. Drimmel sah sich aber gleichzeitig auch einer unerwarteten politischen Konstellation gegenüber. Die beiden Regierungsparteien beschlossen, im November Herbstwahlen abzuhalten, und niemand, der die Usancen eines Wahlkampfes kennt, wird wohl bezweifeln, daß es an Hinweisen auf die Kulturpolitik der ÖVP nicht gefehlt hätte, wenn man am Minoritenplatz nicht gewillt gewesen wäre, die ziemlich fatale Situation innerhalb der Staatstheater schnellstens zu bereinigen.
Denn der „Fall Karajan" war ja – und dies sollte man nicht außer acht lassen – schon seit Beginn ein Kulturpolitikum gewesen. Genau genommen seit damals, als man bei den Verhandlungen mit dem technischen Personal und der Behandlung der Schuldfragen proporzgemeinsame, wenn auch erst im Kompensationsweg vereinbare Interessen gefunden hatte ...
Herbert von Karajan, auf der anderen Seite, der als Begründung seines Rücktrittes am 11. Februar den Umstand, daß er „von der Bundestheaterverwaltung und vom Ministerium bei den Verhandlungen mit dem technischen Personal übergangen wurde", angeführt hatte, und außerdem die Tatsache, daß „die von der Bundestheaterverwaltung ausgehandelte Einigung für jede weitere Planung indiskutabel ist", war wiederum klug genug, seine Rückkehr nach Wien zunächst nicht mit den vorübergehend gelösten Problemen des technischen Personals zu verquicken. Sein Dreipunkteprogramm reduzierte er vorläufig auf zwei Forderungen: Loslösung der Oper aus dem Verband der Bundestheaterverwaltung und Bestellung eines von ihm vorgeschlagenen Mitdirektors.
Denn Herbert von Karajan scheint zweierlei erkannt zu haben: Daß es einem aktiven, vielerorts beschäftigten Künstler heutzutage nicht möglich ist, die Führung eines großen Opernhauses allein in der Hand zu halten. Und daß ein Mitdirektor, der die Verantwortung zu tragen imstande und bereit ist, die wesentlichste Voraussetzung bildet für die gewünschte Autonomie der Oper.
Man hatte viel Porzellan zerschlagen, aber es zeigte sich, daß sich die Scherben wieder zusammenfügen ließen. Man hatte sich gegenseitig mangelnder Loyalität beschuldigt, aber es zeigte sich, daß man an die Loyalität des Partners doch noch glaubte. Und da begann man wieder zu verhandeln. (Halb zog es ihn, halb sank er hin ... )
Der Erfolg dieser Verhandlungen ist allseits bekannt: Karajan übernimmt wieder die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper, und dazu bekommt das Haus am Ring noch das, was es seit 1956 nicht mehr hatte: einen Direktor. In diesem Punkt waren Dr. Drimmels und Karajans persönliche Wünsche auf das gleiche Ziel gerichtet gewesen.
Die Tatsache, daß man „von Amts wegen" die Staatsoper aus dem Kompetenzbereich der Bundestheaterverwaltung herausgelöst hat, scheint die Gemüter (nicht nur in der Goethegasse) mehr zu bewegen als Karajans Rückkehr.
Diese erzielte Autonomie ist nun freilich eine große Überraschung und, bewertet man’s genau, Karajans größter und für die Zukunft der Staatstheater wohl wesentlichster Erfolg. Er allein war die Krise der letzten Wochen wert.
Ein Erfolg? Gewiß. Denn es zeigt sich jetzt neuerlich, daß die Bundestheaterverwaltung in ihrer bisherigen Funktion bloß betriebshemmend gewirkt hat. Eine Verwaltung, die es zwar gestattet, daß man einer Solistin für eine zwanzig Minuten dauernde Opernpartie 37.000 Schilling zahlt, die aber andererseits untersagt, daß ein Chorsänger für ein großes, pantominisches Solo eine Zulage von 60 Schilling erhält, eine solche Verwaltung begibt sich des Rechts, in künstlerischen Fragen den Direktionen dreinzureden.
Direktion muß entscheiden
Dieses Recht hatte sich bereits Dr. Egon Hilbert zugelegt, sein Nachfolger Ing. Ernst Marboe baute es der Staatsoper gegenüber mäzenatenhaft aus, und Dr. Karl Haertl, der jetzt als Leiter der Bundestheaterverwaltung amtiert, machte es zu einem geradezu hysterisch gehüteten Prinzip.
Doch steht diesen Recht der Bundestheaterverwaltung nicht zu. In künstlerischen Fragen darf allein die Direktion zu entscheiden haben und nicht die Bürokratie. Diesen Standpunkt vertrat Karajan, und er hat ihn durchgesetzt. Auch für seine Kollegen, denn sowohl Burgtheater als auch Volksoper werden, wie sich Minister Dr. Drimmel bereits äußerte, in naher Zukunft ebenfalls ihren Personal- und Sachaufwand in künstlerischen Belangen selbst verwalten dürfen.
Damit ist zweierlei erreicht: Die Kompetenzen der Bundestheaterverwaltung sollen auf buchhalterische und verwaltungsjuristische Fragen sowie auf betriebswirtschaftliche Probleme, die außerhalb künstlerischer Belange liegen, reduziert zu werden. Und die Direktionen werden im Rahmen einer jetzt auszuarbeitenden neuen Dienstinstruktion für ihr ihnen zugewiesenes Budget selbst verantwortlich sein. (Der Operndirektor wird also nicht mehr um Erlaubnis zu fragen haben, ob er für eine zwanzig Minuten dauernde Partie 37.000 Schilling aufwenden darf. Er wird das, mit dem Rechenstift in der Hand, vor sich selbst und seinem Betrieb verantworten müssen. Und man wird ihn zur Verantwortung ziehen können!)
Im Schatten all dieser Entschlüsse und Überlegungen hat man jedoch eine typisch österreichische Kompromißlösung bisher geflissentlich übersehen: Der in den letzten Wochen von mehreren Seiten heftig angegriffene Leiter der Bundestheaterverwaltung, Dr. Karl Haertl, befindet sich derzeit noch im Amt. Um ihn nicht „unter Druck" (den liebt Minister Dr. Drimmel begreiflicherweise nicht) ab- oder versetzen zu müssen, hat man bis zum Saisonschluß die bekannte interimistische Lösung getroffen, daß die Staatsoper nicht mehr der Bundestheaterverwaltung, sondern der Kunstsektion im Unterrichtsministerium (bzw. deren Leiter Dr. Alfred Weikert) zugeordnet wird. Daß Dr. Haertl am 15. Februar versprochen hat, er werde „die notwendigen Klarstellungen ... zu den in der Öffentlichkeit gegen ihn erhobenen Anwürfen zur gegebenen Zeit" geben – diese Ankündigung sollte man aber im Zuge der allgemeinen Befriedung nur dann vergessen, wenn Dr. Haertl nicht nur auf die seither ausständigen „Klarstellungen" verzichtet, sondern auch auf jenen Posten, den zu behalten er derzeit offenbar immer noch bestrebt ist.
Im übrigen könnten die letzten Wochen – nach Gewitterschwüle, Sturm und Aufhellung – jene „Selbstreinigung" aller Beteiligten zur Folge haben, die schon längst notwendig war.
Es wird nun im speziellen Fall der Staatsoper notwendig sein, normale Arbeitsbedingungen und das gegenseitige Vertrauen wieder herzustellen. Der neue Direktor, Dr. Walter Erich Schaefer, und der alte künstlerische Leiter, Herbert von Karajan, könnten, wenn die notwendige Basis geschaffen und die erwünschte Unabhängigkeit garantiert sind, endlich das zu tun versuchen, was bisher nicht gelang: Eine Synthese zu finden zwischen den publikumswirksamen Effekten der Staroper und der Funktion des musikalischen Theaters moderner Prägung, das auch ein Theater des Geistes und nicht allein der Stimmen sein sollte.
Diese Konstellation scheint mir auch in der personellen Neubesetzung der Direktion gegeben zu sein: Karajan als der Mann des hohen künstlerischen Anspruchs, und Doktor Schaefer als der Vertreter einer echten künstlerischen Verantwortlichkeit.
In diesem Sinne. Vorhang auf zum zweiten Akt! Wir alle sind gespannt, wie’s weitergeht.
Karl Löbl
In den folgenden Tagen gab es noch Überschriften wie:
KURIER, Donnerstag, 15.3.1962
Stuttgart will Schaefer nicht freigeben
EXPRESS, Freitag, 16.3.1962
Dr. Schaefer konferiert heute mit Dr. Drimmel, Stuttgart hat ihn bis 31. August 1963 beurlaubt
Kurier, 16.3.1962
Herbert von Karajan mit Privatflugzeug in Wien gelandet
WIEN (Eigenbericht). Herbert von Karajan ist gestern Nachmittag um 16.25 Uhr wieder in Wien eingetroffen. Er landete auf dem Schwechater Flughafen in einem viersitzigen Privatflugzeug. Die Chartermaschine aus Salzburg war mit drei Personen besetzt. Karajan, der sehr behende aus dem Flugzeug stieg, verschwand sofort in den nichtöffentlichen Gängen des Flughafengebäudes, eilte dann etwas später im Laufschritt auf einen grauen Mercedes zu und fuhr in Richtung Wien fort. Der aus Salzburg mitgekommene Co-Pilot flog das Flugzeug sofort nach dem Auftanken wieder nach Salzburg zurück. Der dritte Passagier blieb unerkannt. Karajan wird in Wien die Proben der Wiener Philharmoniker leiten und soll am Dienstag in der Staatsoper die Verdi-Oper Aida dirigieren.
KURIER, Samstag, 17.3.1962
In der gestrigen Betriebsversammlung der Staatsoper:
Karajan: Unsere Staatsoper muß wieder das erste Haus der Welt werden
Gestern Vormittag um 9.45 Uhr, also eine Viertelstunde vor Beginn der Hauptprobe für die morgige Don-Carlos-Premiere, fand im Zuschauerraum der Staatsoper eine Betriebsversammlung statt, die der zurückgekehrte künstlerische Leiter, Herbert von Karajan, einberufen hatte, um das künstlerische und technische Personal zu begrüßen.
Unter donnerndem Applaus und Bravo-Rufen von ca. 600 im Parkett versammelten Staatsopernmitgliedern betrat der Chef die Bühne, auf der bereits die „Carlos"-Dekorationen aufgebaut waren, und hielt – immer wieder vom Beifall unterbrochen – eine etwa drei Minuten dauernde Ansprache.
Herbert von Karajan dankte dem Personal in erster Linie für die Treue- und Sympathiekundgebungen, die ihm auch während seiner Abwesenheit entgegengebracht worden sind, und gab seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß der Betrieb in der Zwischenzeit so reibungslos und ambitioniert abgewickelt wurde. Er schloß mit dem Appell an weitere gute Zusammenarbeit, damit „unsere Staatsoper wieder zum ersten Opernhaus der Welt wird".
Zehn Minuten später gab’s schon den ersten Krach, und Karajan zeigte, wer Herr im Haus ist: Boris Christoff, der Sänger des König Philipp in der morgigen Verdi-Premiere kam in Zivil zur Hauptprobe und weigerte sich, im Kostüm zu singen. Der Sänger ist für seine Starallüren bekannt. Er wurde zum Chef beordert und erschien kurze Zeit dann auf der Bühne – im Kostüm.
Karajans künftiger Mitdirektor Prof. Walter Erich Schaefer, wohnte dieser Versammlung nicht bei: Er befand sich zur gleichen Zeit im Finanzministerium, wo sein vorläufiger Vertrag besprochen, jedoch noch keine schriftliche Vereinbarung getroffen wurde. Diese soll erst in der kommenden Woche, und zwar durch Prof. Schaefers Anwalt, erfolgen.
UNSER MANN AUS STUTTGART
Gespräch mit Professor Dr. Walter Erich Schaefer
Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 4
Zu einer Zeit, wo in Wien noch niemand daran dachte, daß jemals der Generalintendant der Württembergischen Staatstheater seine Dienste dem Haus an Ring zur Verfügung stellen könnte, und zwar im November des Jahres 1957 anläßlich der Rienzi-Premiere in Stuttgart, vermittelte sich uns bereits ein feststehender Eindruck über die Situation am Stuttgarter Opernhaus.
Wir schrieben damals in Heft 12, 2. Jahrgang folgendes: In Windgassens Programm fällt immer wieder seine Treue zu seinem Stammhaus Stuttgart auf. „Dies hat auch einen guten Grund.", antwortete der Künstler auf eine diesbezügliche Frage, „Erstens ist das Verhalten des Stuttgarter Intendanten so verständnisvoll und entgegenkommend, daß es einfach verpflichtet. Und zweitens ist in dem Stuttgarter Ensemble soviel kameradschaftlicher Geist und ein so ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden, daß die Frage der Gagenhöhe nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt und man sich einfach auf die Tätigkeit an diesem Institut freut!"
Auch der Wiener Opernfreund kann sich der Achtung und Anerkennung dieser künstlerischen Intentionen nicht entziehen. Trotz aller kritischen Maßstäbe bleibt für uns die Tatsache bestehen, daß es für die Erleichterung der Arbeit des Chefs von äußerstem Vorteil wäre, wenn die Herren unseres Generalsekretariates in der Stuttgarter Intendanz zur Schule gehen würden und im Fach „Umgang mit Künstlern" und „wie pflegt man den Ensemblegeist", Unterricht nehmen könnten!
Nun ist Dr. Schaefer unser neuer Mann geworden, auf den große Hoffnungen gesetzt werden und von dem die Opernfreunde sich viel erwarten.
„Vielleicht enttäusche ich Euch?", lächelte Dr. Schaefer, als wir unser erstes Wiener Gespräch mit ihm führten. Das berührte sympathisch, aber wir glauben nicht, daß er uns enttäuschen wird. Dieser alte Theaterfachmann, der hier keine einzige große Rede hielt, der keine Versprechungen machte und mit keinem bestechenden und auf Wirkung bedachten Programm der Presse zu Schlagzeilen verhalf, kam um zu sehen, zu hören und sich zu informieren. Und er kam natürlich mit reichen Erfahrungen und festgefügten Ansichten, die bestimmt nicht durch Polemiken und gewisse Machtkämpfe hinter den Kulissen beeinflußt oder gar gelenkt werden können. Und schon darum glauben wir sagen zu dürfen, daß Herr Dr. Schaefer wirklich unser Mann ist, daß gerade er es ist, den wir brauchen und daß somit die Wahl Herbert von Karajans eine glückliche gewesen sei.
Der Merker, der in Theaterfragen mit der Kreide in der Hand an die Objekte seiner Betrachtungen heranzugehen pflegt, hält nichts von Vorschußlorbeeren und es liegt ihm nicht, im Vorhinein Fackelzüge zu veranstalten. Wir tun dies auch in diesem Falle nicht.
Zu der Bemerkung einer Wiener Tageszeitung, daß Schaefer ein Verfechter des „Ensemblegedankens" sei (was uns ja vielleicht noch besser und mehr aus eigener Anschauung - siehe Besuch in Stuttgart! - als dem betreffenden Rezensenten bekannt war) möchten wir erneut feststellen, daß das Wort „Ensemble" derzeit in zwei grundverschiedenen Versionen gebraucht wird und seine Verwendung daher zur Vorsicht mahnt.
Wir aber können die Opernfreunde beruhigen, Dr. Schaefer spricht, wenn er diesen Ausdruck gebraucht, von genau demselben Begriff, den auch wir meinen, wenn wir ihm im positiven Sinn zustimmen und von ihm reden.
Dr. Schaefer, der es durch Jahre hindurch verstanden hat, Künstler wie Mödl, Varnay, Hoffman, Bauer-Eczy, Windgassen, Wunderlich und Rennert an sein Haus zu binden, ohne damit die Freiheit ihrer künstlerischen Entwicklung und ihrer internationalen Karriere zu beschränken, weiß darüber hinaus, daß man Künstlern die Liebe zu ihrem Stammhaus und ihre Treue zu diesem Institut nur dadurch gibt, daß sie dort etwas wie eine künstlerische Heimat haben. Und Dr. Schaefer meint dabei sicher nicht Heimatberechtigung durch Geburtsurkunde und Meldezettel, sondern jene, die durch Leistung dokumentiert wird! Wir können also sicher sein, daß auch jetzt dafür gesorgt wird, daß nicht die kleinen Neider und Intriganten unseren Großen weiterhin das Leben verleiden.
Wir haben Dr. Schaefer in großen Zügen vorgetragen, was das Stammpublikum meint, was es hofft und wünscht, was es für nötig hält und worüber es sich Gedanken macht. Und wir fanden dabei in ihm einen aufmerksamen Zuhörer.
Unsererseits vertiefte sich der Eindruck, daß Dr. Schaefer das mitbringt, was einer reinen Künstlernatur fehlt und fehlen muß: die distanzierte Betrachtung der Probleme, die Weisheit des Praktikers, die reale Schau und das „mit beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit stehen". Doch glauben wir sagen zu können, daß Dr. Schaefer auch die ehrliche Begeisterung, diese innere, fanatische Liebe zum Theater mitbringt, die ihm das Verständnis gibt für große Gedanken und weltweite Pläne, wie sie ein Karajan vertritt. Und darum scheint es uns, als könnte die Zusammenarbeit zwischen Chef und Schaefer, wie dies – als Bonmot von der Galerie geprägt – bereits die Runde unter dem Stammpublikum macht, eine sehr segenbringende Lösung werden.
Wir wollen davon absehen, Einzelheiten der von uns vorgetragenen Bitten und Wünsche an den Generalintendanten hier aufzuführen. Wir redeten ja in allen Nummern unserer Zeitschrift davon, und sie sind somit bekannt. Wir wollen nur soviel erwähnen, daß Dr. Schaefer glaubt, die Voraussetzungen wären gegeben, daß er sein besonderes Augenmerk dem deutschen Repertoire zuwende, und das bedeutet uns aus dem Mund eines Mannes, der großen Worten abhold ist, soviel wie ein Versprechen, dem wir gerne Glauben schenken.
Weiters versicherte uns Dr. Schaefer, daß er schon die nächsten sechs Monate dazu nützen wird, um zu erreichen was erreicht werden kann. Aber er sagte auch, daß sein Hut immer griffbereit zum Gehen hängt, falls man ihm gedeihliche Arbeit zu leisten verwehren sollte. Den Kontakt mit dem Wiener Stammpublikum wird Dr. Schaefer jedenfalls nicht verlieren und, wie er uns versicherte, auch pflegen. Und auch das erscheint uns sehr erfreulich.
Und nun zum Monat März
An und für sich war es ein trauriger Opernmonat, mit sehr tief geschraubtem Niveau; düsteres Spiegelbild der Auswirkungen, die eine herrenlose Zeit einem Kulturinstitut beschert. Der Lichtblick, der ihn überstrahlt, war Karajans Rückkehr als Versprechen für die Zukunft.
Unter diesen Auspizien fällt es dem Opernfreund nicht allzu schwer, das Negative zu vergeben und zu vergessen.
WIENER OPERNBALL 1962 am 1. März
oder „Alles ist nach seiner Art, an ihr wirst du nichts ändern!"
Er fand statt. Die Haute Couture und die „Zuckerbäcker" behielten ihr Geschäft, die Wirtschaft ihr Rendezvous, der Herr Minister seinen Willen, und Fr.Dr.Christl Schönfeldt ihren Arbeitsnachweis.
Unter den namhaften politischen Persönlichkeiten, die den Ball besuchten, befand sich diesmal kein Vertreter der Sozialistischen Partei. Diese tagten (einschließlich des Ministers Afritsch) mittlerweile in Salzburg, und anscheinend plagte sie darob nicht die Sorge, sie könnten durch Nichterscheinen bei „Österreichs repräsentativsten Fest" ihr Gesicht verlieren. Auch die Familie Mautner-Markhof schien dessenthalben nicht die Angst zu grämen. Sie zeigte sich gleichfalls nicht in ihrer Loge.
Der Leiter der Bundestheaterverwaltung hatte in weiser Selbstbeschränkung darauf verzichtet, die Gäste zu empfangen. Er betrat das Haus erst mit dem Gefolge des Bundespräsidenten.
In der Ehrenloge saßen Frau Rosette Anday, Frau Prof. Helene Wildbrunn und Herr Prof. Hans Duhan. Im Parterre auf vergoldeten Sesseln die Ensemblemitglieder des Hauses, vom Bundesminister für Unterricht (zum ersten Mal überdies!) zu Gast gebeten und verstärkt durch Mitglieder von Burgtheater und Volksoper.
Später – nach erfüllter Präsenz und Repräsentation – wurde ihnen allerdings der Platz von der Kapelle Jaritz streitig gemacht. Die internationalen Stars des Hauses hingegen fielen nicht von goldenen Thronen, sondern standen zur selbigen Stunde auf den internationalen Bühnen und repräsentierten dort durch künstlerische Leistung. Die Stars auf dem Opernball waren heuer meist die Film-Stars, und man hätte fast vermeint, der Premiere von „Lulu", die derzeit in Wien verfilmt wird, beizuwohnen.
Vier Solisten des Hauses nahmen bei der Begrüßung der Gäste auf der Feststiege den Platz des Hausherrn ein. Frau Christl Goltz, Frau Hilde Konetzni und die Herren Erich Kunz und Anton Dermota. Um dieses Arrangement und sein schönes Gelingen waren die Herren Hans Braun, Erich Majkut und Erich Kunz bemüht. Eine halbe Stunde vor Beginn suchte die Polizei mit Fährtenhunden das ganze Haus vom Keller bis zum Schnürboden nach Bonbon ab – weil irgendein Verrückter einen dräuenden Anruf geistige haben soll.
Ein paar Stunden vorher fand der sogenannte „Kleine Opernball" statt. Ein Fest, das der Bezirksvorsteher des VII. Wiener Gemeindebezirks den Ärmsten der Bevölkerung im Hotel Wimberger gab, in Anwesenheit des Bundeskanzlers unter selbstloser Mitwirkung zahlreicher Wiener Bühnenkünstler und vor einem lebensgroßen Bild Herbert von Karajans. Der Chef dirigierte den Donauwalzer mit den Wiener Philharmonikern von einer Schallplatte. Gereicht wurden Wein, Bier und Whisky. Die Stimmung soll, Berichten nach, zumindest ebenso gut gewesen sein, wie in Haus an Ring.
Beim großen Opernball unterhielt sich Professor Wobisch, der Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker mit dem Komponisten Chatschaturian im Garderobenzimmer. Neigung zum Repräsentieren bestand hier nicht. Im Saal draußen wurde Wiener Blut von Johann Strauß gespielt, ohne Karajan und ohne die Philharmoniker. In den Logen knallten die Sektpfropfen. Es gab Hochriegl zu S 250,-, Maltheus Müller für S 270,- und Moet de Chancen für S 420,-. Bedauerlicherweise hatten heuer zwei Kellner das Nachsehen, als ihnen die Gäste ohne Begleichung der Zeche entfleuchten.
Auch sonst wurde eine Menge konsumiert. Trotzdem scheinen einige Festbesucher hungrig geblieben zu sein. Ein Sänger erklärte nämlich in der Operntrafik, es sei „verlautbart" worden, daß der „MERKER" verboten werde. Das hatten sich also anscheinend ein paar Lauschen zum Nachtisch bestellt. Und wenn sie nicht gestorben sind, so warten sie noch heute …
ELEKTRA am 2. März
Nach dem Opernball gab es den nun schon chronisch abgezogenen Strauss-Einakter, und man wurde dieser Aufführung bald überdrüssig. Mit Ausnahme der beiden männlichen „Hauptrollenträger" Otto Wiener, der als Orest wieder eine prachtvolle Leistung bot, und Fritz Uhl der den Aegisth gut sang, aber überspielte, war es traurig um den Abend bestellt. Das Damentriumvirat Christl Goltz, Hilde Zadek und Georgine Milinkovic war sehr schlecht. So geht das nicht mehr. Wenn man nicht imstande ist, diese drei Partien in einem Opernhaus von Format (und das wollen wir doch sein?) entsprechend zu besetzen, dann darf dieses herrliche Strausswerk nicht gespielt werden. Beschämend ist die Äußerung eines Grazers, daß die dortigen weiblichen Hauptrollenbesetzungen besser seien, als in Wien an diesem Abend! Berislav Klobucar an der Spitze der Wiener Philharmoniker bemühte sich sehr.
FIDELIO am 3. März
Erwähnenswert in dieser Aufführung waren nur der mit vollem Einsatz und ganz ausgezeichnet singende Wolfgang Windgassen als Florestan und Otto Wiener mit einer stimmlich und darstellerisch guten und sicheren Zeichnung des Pizarro. Im übrigen sangen noch Irmgard Seefried, Otto Edelmann, Peter Klein, Hans Braun und Hilde Zadek ihre Partien ab. Am Pult stand Ernst Märzendorfer.
AIDA am 4. März
Vor einem ausverkauften Haus (langsam bedeutet das Schild „ausverkauft" in der herrenlosen Zeit eine Rarität, zum Unterschied von „ausverschenkt", wofür man noch kein öffentliches Schild von Seiten der Bundestheaterverwaltung gemalt hat) ging Verdis Oper in Szene. Nach der Vorstellung war man sich klar darüber, daß die Oper diesmal eigentlich hätte Amneris heißen sollen. Nicht nur, weil Mirella Paruto sich als indisponiert entschuldigen ließ, das Nil-C ausließ (immer besser, man vermißt einen Ton als die ganze Arie), sondern vor allem wegen der großartigen Leistung der kleinen Italienerin Fiorenza Cossotto, die den Glanz aller ihrer Kolleginnen und Kollegen verblassen ließ. Der wunderschöne, metallisch klingende Mezzo besitzt große Durchschlagskraft und eine weiche Tiefe, die vielleicht noch im Laufe der Jahre voller werden wird. Bei Frau Cossotto bemerkt man keinen Registerwechsel, nahtlos erblüht die Gesangslinie, die Phrasierung wirkt natürlich, ungekünstelt und daher überzeugend. Dieser Mailänder Import wirkte auf das Publikum enorm. Den Radames sang Nikola Nikolov mit Naturstimme. Leider hat er sich die Kunst des Gesanges nicht zu Eigen gemacht. Nach einer den Notenwerten nach beiläufig gesungenen „Celeste Aida" hatte er mehr Glück mit dem Nilakt und der Gerichtsszene, wo er wenigstens intonationssicher war. Aldo Protti meisterte den Amonasro wie immer mit der unvergleichlichen Wucht seines Organs. Gottlob Fricks Stimme gehört heute zu den schönsten, die man im Baßfach hören kann. Lieber allerdings hören wir ihn in deutschen Partien, in denen er besser zur Geltung kommt, als mit dem Ramphis. Mit der italienischen Sprache findet sich Herr Frick schwer zurecht. Berislav Klobucar am Pult wachte mit Argusaugen über die improvisierte Vorstellung. Fast immer gelang es ihm, Bühne und Orchester zusammenzuhalten. Besondere Erwähnung verdient die musikalische Steigerung der Triumphszene.
DER WILDSCHÜTZ am 5. März
Mit derlei Aufführungen dürfte die Spieloper wohl nie eine Chance haben, sich am Ring durchzusetzen. Trotz Premierenbesetzung (mit einer Ausnahme) und deutscher Sprache herrschte gähnende Langeweile im Parkett und in den Logen. Renate Holm zog sich mit Abstand als Beste aus der Affäre. Unkompliziert im Gesang und locker im Spiel kam ihr die Erfahrung auf dem Gebiet der leichten Oper sichtlich zu Hilfe. Karl Dönch als schrulliger Baculus hatte die Lacher auf seiner Seite, besonders als er sich fragte, ob er vielleicht „Operndirektor" werden sollte. Die 5000 Taler verdiente er sich nach alterprobter Methode: gesprochener Gesang oder gesungener Dialog. Das Adelsquartett enttäuschte, allen voran Hans Braun als Graf von Eberbach. Erzwungener Humor und saftloser Gesang bedeuten auch für unverbildete Gemüter keine Lockmittel. Seine Arie blieb ohne Beifall! Hilde Rössel-Majdan konnte da wenigstens mit dem altgriechischen „Trick" wirkungsvoll aufwarten, während Irmgard Seefried und Waldemar Kmentt sich mühsam durch die Partien kämpften. Besonders bei Frau Seefried störten die abgesetzten Melodiephrasen und die angekratzte Höhe. Peter Klein „sächselte" sich mit Erfolg durch die Aufführung. Ernst Märzendorfer hatte seine liebe Mühe, Chor, Solisten und Orchester auf einen Nenner zu vereinigen, was ihm trotz mancher Ansätze zu Schwimmfesten bemerkenswert gut gelang. Alles in allem ein Abend, der dem geforderten Staatsopernniveau weit entfernt blieb.
EIN MASKENBALL am 6. März
Eine Aufführung an deren Mißlingen der italienische Dirigent Oliviero de Fabritiis die größte Schuld trug. Zwar ist ihm zugute zu halten, daß er keine Proben hatte und im Lande der Sonne gewöhnlich unter anderen Voraussetzungen arbeitet. Aber es verdroß uns sehr, daß er sich um keinerlei Kontakt zwischen Bühne und Orchester bemühte, serienweise falsche Einsätze gab und durch unpräzise Zeichengebung selbst unsere Wiener Philharmoniker aus dem Konzept brachte. Zuerst sträubten sie sich mitzugehen, mußten aber leider schnell sehen und vor allen Dingen hören (!), daß Fabritiis eisern seine Interpretation abzog und somit entweder Sänger oder Orchester nicht im Lot waren. Der magere Beifall und die Zischer sprachen für sich deutlich genug. Wir glauben aber doch, daß Fabritiis es erheblich besser machen könnte, wenn ihm einige Proben zur „Angleichung" an nördliche Gepflogenheiten zugestanden worden wären. Zudem störten ständige Temposchwankungen ganz erheblich! Verhältnismäßig gut ging noch die zweite Szene über die Bühne, da sich Giulietta Simionato den Kämpfen Fabritiis geschickt anzupassen wußte. Statuarisch im Spiel, trumpfte sie wieder mit ihrer bis in tiefste Regionen reichenden und dabei stets schlagkräftig bleibenden Stimme auf. Wie sie die Töne aus der Mittellage durch leichten Druck in die Tiefe hinabzieht, ist stets von neuem faszinierend und bannt den Zuhörer. Mirella Paruto bewies als Amelia neuerlich, daß ihr Import an die Wiener Staatsoper unnötig ist. Sie versucht mit allen Mitteln, die nicht vorhandene Tiefe und die nur flach klingende Mittellage durch eine aufgesetzte Höhe zu kaschieren. Ergebnis: ein unangenehmes Tremolo, grelle, zum Teil scharfe Töne, die nur mit Vehemenz aus dem Kehlkopf geschleudert werden. Was ihr zudem fehlt, ist eine solide Technik, die es ihr ermöglichen würde, diesen Fehler geschickt auszugleichen. Was kostet das für Nerven! Giuseppe Zampieri ist weiterhin nicht in gewohnter guter Verfassung. Die gepreßten Höhen trüben die weich perlende Mittellage. Zwar sind Belcanto-Fans wegen ihrer angeblichen Jagd auf Spitzentöne verschrien. Die so lästern, bedenken aber gar nicht, daß gerade erst diese viel zitierten Spitzentöne die Steigerungen und gesanglichen Höhepunkte zum Ausdruck bringen, die die Musik eines Verdi zu einem mitreißenden Erlebnis werden lassen. Das kann auch durch noch so viel Technik und Forcieren nicht wettgemacht werden! Aldo Protti fand als Renato nicht zu seiner gewohnten Form. Ängstlich lugte er – ganz gegen seine Gewohnheit – ständig auf den Dirigenten, dem er nicht ganz zu trauen schien. Bei der zweiten Arie bestimmte er kurzerhand selbst das Tempo, und der Maestro ließ ihn gewähren. Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff waren mäßige Verschwörer, Liselotte Maikl ein sauber singender, aber farbloser Page. Ein Abend der weniger hielt, als er der Papierform nach versprach!
DIE ZAUBERFLÖTE am 7. März
Das war eine Aufführung zum Abgewöhnen! So etwas von langweilig, stimmungslos und nur die Alternative zwischen Einschlafen und sofortiger Flucht zulassend, haben wir schon lange nicht mehr gehört. Daran konnten nicht einmal die bezaubernde Pamina Wilma Lipp, der volkstümlich heitere Papageno Erich Kunz, und die ausgezeichnete Erste Dame Gundula Janowitz etwas ändern. Die Schwächen waren in der Mehrzahl. (Erika Mechera, Margareta Sjöstedt, Georgine Milinkovic, Anton Dermota, Otto Edelmann und Fritz Sperlbauer). Der Clou des Abends war die Sprecherszene zwischen einem chronisch indisponierten Dermota und einem unbeschreiblich gemütlichen Edelmann. Es ist höchste Zeit, daß die Aufführung unter Karajan im Theater an der Wien wieder Glanz bekommen wird, denn die Zauberflöten sind derzeit die schlechtesten Aufführungen an der Wiener Oper. Am Pult stand Berislav Klobucar, der diesmal, was man von ihm nicht gewöhnt ist, sterbenslangweilig war.
ANDREA CHÉNIER am 8. März
Der verunglückte Maskenball dürfte für Oliviero de Fabritiis ein Ansporn gewesen sein, den Wienern nun doch zu zeigen, daß er nicht umsonst einen guten Namen unter den italienischen Dirigenten hat. Energiegeladen kam er ans Pult und nahm den Kampf mit dem Orchester, das ihn mit gerunzelten Stirnen betrachtete, auf. Sein Einsatz und sein Wille stimmten unsere Musiker freundlicher, und siehe da, es kam eine recht gediegene, musikalische Leistung zustande. Weniger beeindrucken konnten – mit Ausnahme von Aldo Protti, der mit dem Gerard eine seiner besten Rollen gefunden hat – die Sänger. Giuseppe Zampieri wirkte schwächer als bei seinem ersten, damals ad hoc übernommenen Chénier der vergangenen Saison. Die Rolle verlangt dramatische Ausdruckskraft, über die der Sänger derzeit nicht verfügt. (Mit der oberen Stimmlage dürfte etwas nicht in Ordnung sein). Erst im letzten Akt erinnerten vereinzelte wohlklingende Spitzentöne an seine besten Zeiten, denn die schöne Mittellage ist für Andre Chénier zwar eine Notwendigkeit, aber nur eine schöne Mittellage ist dennoch viel zu wenig. In der Zeichnung der Figur blieb Zampieri der Feuergeist des Dichters versagt. Als Madeleine gastierte Luciana Serafin, die einen recht schwachen Eindruck hinterließ. Die Stimme ist zwar groß, doch das Timbre ganz unpersönlich und das Vibrato in der oberen Mittellage störend. (Auch Italien besitzt Sopranistinnen à la Traute Richter). Der „Reißer" Giordanos riß diesmal niemand mit.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 9. März
Die improvisierte Inszenierung, die ursprünglich gar nicht für das große Haus bestimmt war, bedarf bester Besetzung und ebensolcher Dirigenten, um ihre Schwächen zu kaschieren und zur Wirkung zu kommen. Daß dies möglich ist, bewiesen uns zwei Aufführungen mit Pütz und Stolze als Stützten des Ensembles unter der Stabführung von Wallberg und Matacic, die plötzlich, trotz der Handicaps, fast festlichen Charakter erhielten. Ernst Märzendorfer hingegen dirigierte Mozart, wie er nicht sein sollte, dafür aber mit einer wohl einstudierten Dirigentengestik. Mimi Coertse als Konstanze bot eine solide Leistung, die bestimmt auf verschiedenen Opernbühnen Eindruck hinterlassen hätte. Für die Wiener Staatsoper ist das noch zu wenig. Man denkt an Erna Berger, Wilma Lipp, Anneliese Rothenberger, Ruth-Margaret Pütz…. Anton Dermota, dem Belmonte längst entwachsen, beharrt weiter auf seinem Mozartprimat. Seine Stimme hat die Geschmeidigkeit für Mozart-Ziergesang verloren, und dies trat hier noch auffälliger zu Tage als beim Tamino. Renate Holm wirkte dagegen wie ein Frühlingshauch. Ihre Frische und Natürlichkeit stachen wohltuend von der Routine ab. So spielt man Oper ohne Pathetik und hat sogar Erfolg damit! Die zierliche Stimme gewinnt an Volumen und wirkte ebenso jung wie ihre Erscheinung. Murray Dickie als Pedrillo war ihr liebenwürdiger Partner. Ludwig Welters Osmin kennt derzeit keine Konkurrenz am Ring (da Frick die Partie leider schon eine Ewigkeit nicht mehr hier gesungen hat). Je öfter man ihn sieht, desto mehr freut man sich über seine Weiterentwicklung. Er war es auch, der durch seine Komik (die stets in Grenzen bleibt), das Publikum zum Lächeln brachte.
EIN MASKENBALL am 10. März
Oliviero de Fabritiis dirigierte diesmal einen sehr schwungvollen, kräftig akzentuierten, nur manchmal etwas zu schnellen Maskenball. Bei der Besetzung dominierten eindeutig Giulietta Simionato und der stimmgewaltige Aldo Protti. Giuseppe Zampieri hatte einen guten Tag, kämpfte aber nach wie vor mit den eng gewordenen Spitzentönen. Mirella Paruto als Amelia bemühte sich erfolgreich um Ausdruck, allein die Stimme klingt in der Höhe leider scharf und schrill. Liselotte Maikl als etwas farbloser Oskar und die indiskutabel schlechten Verschwörer Tugomir Franc und Frederick Guthrie, vervollständigten die Besetzung.
DON GIOVANNI am 11. März
Die Aufführung war sehr animiert und weit lustiger, als es normalerweise dieser Oper zukommt. Stellenweise hatte man das Gefühl, als sei der Aufführung eine beschwingte Feier vorausgegangen – ob zum verspäteten Faschingsausklang oder als Abschied für die direktionslose Zeit oder aus Freude über die Rückkehr Karajans, bleibt dahingestellt. Leporello outrierte über Gebühr, Don Giovanni mußte sich einige Male mit dem Rücken zum Publikum drehen, so schüttelte ihn das Lachen. Einige der beim Fest aus dem Volk verteilten Gläser vergrößerten durch ihr Zerbrechen das Defizit und die Bühnenmusik differierte gegen Ende ihres Parts um einen guten halben Takt. Abgesehen davon war es eine gute Aufführung, wenn man bedenkt, daß das Orchester nur zum geringsten Teil aus Wiener Philharmonikern bestand und Berislav Klobucar ziemlich zu kämpfen hatte. Die Sängerbesetzung war beste Marke: Sena Jurinac sang eine herrliche Donna Anna, Wilma Lipps Elvira war – abgesehen von einer Unsicherheit in der großen Arie – sehr gut und Graziella Sciuttis Zerlina war wie immer Labsal für Auge und Ohr. Bei den Herren dominierte mit Abstand Eberhard Wächter, der an „seiner" Rolle immer weiter arbeitet und ihr immer neue Nuancen abgewinnt. Waldemar Kmentt sang einen recht guten Ottavio (die erste Arie gelang sogar sehr schön), Erich Kunz war stimmlich gut, Walter Kreppel etwas zu laut und Harald Pröglhöf etwas zu farblos.
FIDELIO am 12. März
Nachdem man uns kürzlich von Seiten der Personalvertretung der Staatsoper den Vorwurf gemacht hatte, daß wir mit der zweiten Garnitur des Hauses zu scharf ins Gericht gehen, ersparen wir uns diesmal eine ätzende Kritik, da der gebührende Verriß bereits in der lokalen Presse (die diesmal eingeladen war) florierte, ausgenommen Fritz Uhl und Otto Wiener. (Wieners Pizarro haben wir stets herausstreichen können). Herr Uhl sang seinen ersten Wiener Florestan. Die große Arie sogar im Stil eines Heldentenors, wobei diesmal tatsächlich viel glänzendes Metall in der Stimme vorhanden war. Das darauf folgende Duett mußte er seiner Partnerin wegen mit voller Lautstärke durchsingen, wobei zu erwähnen wäre, daß Lautstärke der allgemeine Trumpf dieses Abends war! Die übrigen Hauptrollenträger: Christl Goltz, Emmy Loose, Walter Kreppel und Alfred Poell. Es spielten die Wiener Philharmoniker unter Berislav Klobucar.
RIGOLETTO am 13. März
Als sicherer, gewandter und temperamentvoller Kapellmeister zeigte sich nun Oliviero de Fabritiis, als er den Rigoletto zu dessen Nutzen übernommen und für eine ausgezeichnete Vorstellung gesorgt hatte. Der profunde und alle Möglichkeiten der dankbaren Partie voll ausschöpfende Aldo Protti war wieder der Interpret der Titelrolle. Giulietta Simionato sang neuerlich die Maddalena, die ziemlich unter ihrem Wert liegt. (Die Gefahr in dieser Besetzung besteht darin, daß man sogar in dieser kleinen Rolle kaum eine andere Sängerin mehr vertragen wird). Schlecht disponiert war Giuseppe Zampieri, der bei der Ballata fast heiser und häufig zu tief sang. Er besserte sich erstaunlicherweise im Laufe des Abends zusehends und konnte im letzten Akt gut gefallen. Die neue Gilda war Anna Moffo – sie setzte sich durch. Die Stimme entbehrt der zeitweise erforderlichen Dramatik, wird aber vorbildlich geführt und sehr kultiviert eingesetzt. („Caro nome" war ein Musterbeispiel für stilvolles Verdi-Singen!). In der Stretta mit Protti verblüffte sie durch ein bombensicheres, nicht dramatisch, aber koloraturmäßig kopfstimmig gesungenes hohes Es. Walter Kreppel sang den Sparafucile mit gewaltiger, aber derzeit nicht sehr schön klingender Stimme. An Stelle der Premierenbesetzungen Knoll und Frese traten mit Erfolg Ljubomir Pantscheff und Harald Pröglhöf. (Besonders letzterer war eine Klasse besser als sein Vorgänger).
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 14. März
Die Pluspunkte dieser Repertoireaufführung gingen an diesem Abend an die angeblich mozartfremden italienischen Spitzenkehlen Sciutti und Simionato. Höchstform erreichten aber auch sie nicht. Giulietta Simionato entwächst der Hosenrolle des Cherubino stimmlich nach und nach. Die erste Arie huschte eine Spur zu oberflächlich vorbei. Der melancholische Unterton vom „heißen Sehnen nach Liebe" schwang nur ganz im Hintergrund mit. Bei der Cavatine allerdings war die Sängerin ausdrucksmäßig wieder ganz da. Graziella Sciutti bezauberte als Kammerzofe durch frischen blitzsauberen Gesang und eine so natürliche Spielfreude, daß man manchen angeblich „idealen" Mozartdarstellern zurufen möchte: warum stets outrieren, wenn es auch natürlich geht. Dazu sticht Frau Sciutti allein schon durch ihr perlendes Rezitativ-Parlando in dieser Partie heraus. Ein Kabinettstück besonderer Art: die Verkleidungsszene mit Cherubino im Boudoir der Gräfin. Als läge die Premiere erst eine Woche zurück! Gegen die beiden Spielteufel wirkte das Grafenpaar geradezu hölzern. Gerda Scheyrer ist und bleibt eine gute zweite Besetzung, ein treues und vielseitig einsetzbares Mitglied der Staatsoper. Sie singt sauber, phrasiert gekonnt, schmeißt fast nie und doch vermag sie kaum zu begeistern. Warum? Ihre Stimme und ihrer Darstellung fehlt gleichermaßen ein gewisser Charme und eine über den Durchschnitt hinausragende Persönlichkeit. Diese beiden Eigenschaften aber kann man nicht erlernen. Alfred Poell gab einen cholerischen Grafen, schwindelte sich mit Routine über die Runden, sparte seine Kräfte offensichtlich für die Eifersuchtsarie (3. Akt) und atmete nach diesem Kraftakt erleichtert auf. In den Ensembles tauchte der Sänger geschickt unter, ganz im Gegensatz zu Erich Majkut, dessen nasaler schriller Tenor wie ein Wegweiser aus dem babylonischen Gesangsgewirr herausragte. Erich Kunz war ein routinierter Figaro alter Wiener Schule. Bei seiner gesanglichen Leistung wird hörbar, daß manche Stellen Schwierigkeiten bereiten. Dies ist besonders leicht zu kontrollieren bei „si" von „se vuol ballare". In den weiteren Rollen: Elisabeth Höngen als Marcellina, Peter Kleins spionierender Musikus Basilio, Oskar Czerwenkas langweiliger Bartolo und Gundula Janowitz als Barbarina. Berislav Klobucar dirigierte ambitioniert, aber zu schnell und oberflächlich. Zu einer guten Interpretation fehlte das Konzept, ohne das einem Mozart kaum beizukommen ist.
ELEKTRA am 15. März
Wir sind es endgültig leid, stets die gleichen Slogans auszukramen, um über vier Opern zu berichten, die derzeit in Wien ein Stiefmütterchen-Dasein ohnegleichen führen: Fidelio (allein schon in dieser Saison dreizehn mal abgespult), Die Zauberflöte (neun Darbietungen), Elektra (ebenfalls neun), Salome (sieben). Nachher müssen wir uns dann auch noch anhören, daß wir mit unseren Kritiken und Verrissen dem „heimischen Ensemble" unendlichen Schaden zufügen würden. Zur Aufführung selbst: Christl Goltz als Elektra erstarrt von Mal zu Mal in Routine. Ihr Todestanz war abgezirkelte Choreographie. Stimmlich wie stets in letzter Zeit: überfordert und zu tief. Elisabeth Höngen fasziniert neuerlich als Klytämnestra durch ihre phänomenale schauspielerische Leistung. Sie war stimmlich den entfesselten Orchesterfluten nicht immer gewachsen. Unbefriedigend Traute Richter (Chrysothemis), die nicht nur wortundeutlich deklamierte, sondern auch schauspielerisch farblos blieb. Auch Max Lorenz (Aegisth) will nicht begreifen, daß seine Zeit vorüber ist. Die Mägde wetteiferten um die schlechteste Leistung. So war allein Hans Hotter als Orest das Ereignis der Aufführung. Ernst Märzendorfer bot undifferenzierten Klangbrei! Wer bei derartigen Aufführungen seine Liebe zu Strauss entdecken möchte, wäre verloren.
DIE ZAUBERFLÖTE am 16. März
Der Niveaurutsch der Zauberflöte hält unvermindert an. Was man zuletzt zu hören bekam, war alles andere als „Das klinget so herrlich, das klinget so schön". Ernst Märzendorfer dirigierte hart, schnörkelreich und ohne Zusammenhang. Als ihn heftiges Zischen vor dem zweiten Akt empfing, blieben sogar die Wiener Philharmoniker, die er zum Aufstehen aufforderte, auf den Stühlen sitzen. Sie kamen dem Dirigenten nicht zu Hilfe! Die Besetzung blieb den letzten Aufführungen gegenüber fast unverändert. Erika Mechera, Wilma Lipp, Liselotte Maikl, Anton Dermota, Walter Kreppel, Hans Hotter. Neu war Geraint Evans als Papageno. Daß er mit dieser Rolle nicht ankam, dürfte wohl auf die Sprache zurückzuführen sein. Er plagte sich fürchterlich mit dem ihm sichtlich fremden Prosa-Text. Der Souffleur verdient eine Extrabelohnung für den totalen Arbeitseinsatz. Doch kann man auch in dieser ihm nicht liegenden Partie Herrn Evans gewisse Sympathie nicht absprechen.
ANDREA CHÉNIER am 17. März
Ende gut, alles gut. Nach drei sehr schwachen Akten ein exzellentes Schlußbild, und der Abend war endlich gerettet. Plötzlich schimmerte ein wenig Glanz und Wärme durch die sonst unpersönliche Stimme Mirella Parutos (Madeleine) und ließ die grell aufleuchtende Höhe für Augenblicke ein wenig Farbe und Samtheit annehmen. Trotzdem müssen die angemeldeten Bedenken gegen ein Auftreten Frau Parutos in Wien aufrecht erhalten bleiben – die ersten drei Bilder deckten ihre Schwächen wieder allzu schonungslos auf. Giuseppe Zampieri konnte sich ebenfalls erst im Schlußbild freisingen. Sollte etwa der Gedanke an den bevorstehenden gemeinsamen Liebestod die beiden Solisten aus ihrer Lethargie befreit haben? Es schien fast so! Star des Abends: Aldo Protti als Gerard. Prächtig bei Stimme, phrasierte er großartig und heimste nach der großen Arie spontanen Beifall ein. Oliviero de Fabritiis am Pult war um Grade schwungvoller als bei seinem Maskenball-Debüt. Vielleicht liegt ihm der Chénier auch besser. Die aufwühlende Gangart der Revolutionsszenen inspirierte ihn zu großartigen Steigerungen. Da zeigte es sich, daß er durchaus über die Wirkung klingender Effekte Bescheid weiß. Wurde er lyrisch, wirkte er allerdings eher langweilig und oberflächlich. Unangenehm fielen auf: Rudolf Knoll (Roucher) und der stets für heitere Einlagen sorgende Erich Majkut.
DON CARLOS am 18. März, Neuinszenierung
Selbst in der verreißfreudigen und hetzfrohen Stadt Wien kommt es hin und wieder vor, daß eine Premiere in der Wiener Staatsoper plötzlich allen, also sowohl dem Publikum, als auch der Kritik gefällt. (Die Ausnahme bildete hier Hans Weigel, aber dieser versteht zwar etwas von Nestroy oder vom Kabarett, ist aber hinter das Geheimnis eines großen Opernabends noch nie gekommen.) Diesmal vernimmt man nicht mehr den Kampfruf: „Hie das treue, brave Ensemble – hie der Geld raffende, ach so böse Star!" Man sollte überhaupt in Bezug auf die Oper mit diesem bereits so verächtlich gemachten Wort aufhören, denn die „Stars" der Oper sind einfach eben die größten Künstler und die besten Sänger. Und wenn sich nun fünf solch große Künstler und erste Sänger an einem Opernabend zu einem Ensemble zusammenfinden, kann es nur ein Fest geben.
Ein Wunder ist es, wie ein solches überhaupt zustande kam, denn Don Carlos wurde seit der vorigen Spielzeit, für die diese Neuinszenierung ursprünglich geplant war, unzählige Male hin- und her geschoben, verschoben, umbesetzt, abgesetzt und wieder aus der Versenkung geholt. Und plötzlich war er wieder da und durch puren Zufall in einer solchen Konstellation der Besetzung, daß die beste Planung keinen größeren Erfolg hätte produzieren können. Auch das kann, Gott sei’s gedankt, in Wien noch vorkommen.
Man muß diesmal unhöflicher Weise den Herren den Vortritt lassen. Verdis Don Carlos – seltsam kühner und genialer Übergang von der Arienoper zur durchkomponierten Szene, von der Operndramatik zum Musikdrama – ist gerade dadurch immens schwer zu besetzen. Aber den Herren Boris Christoff (König Philipp), Hans Hotter (Großinquisitor) und Eberhard Wächter (Marquis von Posa) gelang es, was selten in solcher Vollendung gelingt: Drama zu spielen und dabei Oper in höchster Vollendung zu singen.
Hier stand in Boris Christoffs Gestaltung ein wirklicher König auf der Bühne, einsam, mißtrauisch, aber sich seiner Macht und seiner Schwäche wohl bewußt, düsterer Despot, doch auch nicht ohne männliche Ausstrahlung (die sehr oft vernachlässigt wird und so die Eboli-Episode völlig unglaublich macht) und nicht zuletzt meisterhaft geformt in den kurzen Momenten menschlichen Gefühls, die die Gestalt dann vollends tragisch macht. Ideal zu dieser Gestaltung des Königs paßt die grollende, dumpfe, schwere Baßstimme, die mit vollendeter Meisterschaft eingesetzt wurde. Eberhard Wächter sang auf den Tag genau vor sechs Jahren seinen ersten Posa, und was damals dieser junge Draufgänger versprach, hat er auf das Schönste erfüllt. Sein Posa ist vollendet in seiner Konzentration und der edlen Beherrschung. Die Figur, die im Drama etwas leitartikelnd wirkt und sozusagen der Musik bedarf, um zum Leben zu erwachen, steht voll und plastisch vor uns, als Idealist und geschickter Politiker, als Schwärmer und begeisterter Redner, als Grande vom Scheitel bis zur Sohle. Gesungen hat Eberhard Wächter herrlich, mit vollendeter Phrasierung und vollendeten Wohlklang. Der dritte im Bunde war Hans Hotter mit einer grandios unmenschlichen Verkörperung des Großinquisitors. Er kann es sich leisten, auf das traditionelle rote Kostüm zu verzichten und in einer schlichten weißen Kutte zu erscheinen, wie erstarrt zum Prinzip des gläubige Fanatismus, der – historische Schuld und unentschuldbarer Fehler der Kirche – vor nichts mehr zurückschreckt. Sena Jurinac war die liebliche, verhaltene und persönlichkeitsstarke Königin, deren Funktion eigentlich nur darin besteht, „da" sein zu müssen. (Die Gestalt kann man gar nicht spielen, die muß man sein). Sena Jurinac verkörperte die Rolle vollkommen. Die Gesangspartie kostete sie einige Nervosität, sie sang aber trotzdem weit besser als in den letzten Jahren. Ja man kann sagen, daß sie seit Salzburg (1958) nie mehr so gut war. Giulietta Simionato sang die Eboli. Markant ist die sichere Charakterzeichnung der Figur durch die Stimme und durch die ganz sparsam angewandten schauspielerischen Mittel, mitreißend der gewaltige Ausbruch und die konsequentes Steigerung ihrer großen Szene. Don Carlos selbst sang Flaviano Labo, und er war, obwohl ihm die Persönlichkeit seiner Mitspieler abging, stimmlich wohl der beste und sicherste Infant, den wir in Wien gehört haben. Der Gestalt fehlte allerdings jede poetische Verklärung. Er gab einen Carlos, wie er wohl in natura gewesen sein wird – unscheinbar und unbedeutend. Die Partie ist undankbar. Sie hat kein Profil, keine wirklich große musikalische Szene, und daher singt sie die allererste Garnitur nur in den Anfängen. Schade.
Am Rande waren zu bemerken: Tugomir Franc mit ungefüger, großer Stimme – die aber als Mönch, wo er loslegen kann, besser eingesetzt ist, als in kleinen Partien, die eine sicherere Führung verlangen – die schöne, instrumental geführte Engelsstimme von Gundula Janowitz und der hübsch gesungene Page von Laurence Dutoit. Diese junge Dame teilt mit Liselotte Maikl das traurige Los, eine hübsche Soubrettenstimme nicht nutzbringend auswerten zu können weil sie für das Fach viel zu groß und unbeweglich ist. Erich Majkut (Lerma) war nicht zu übersehen und zu überhören.
Die musikalische Leitung hatte Oliviero de Fabritiis und er machte seine Sache ausgezeichnet. Der Aufbau des Werkes war gekonnt, die Phrasen hatten Fülle und Leben, und die Sänger fühlten sich augenscheinlich wohl.
Regie führte Margarethe Wallmann. Es sind jetzt doch schon viele Leute dahintergekommen, daß sie für die Sparte „Große Oper" einer der wenigen brauchbaren Regisseure ist. Sie gibt dem Werk, was des Werkes ist, löst das Geschehen in schöne und wirkungsvolle Bilder auf und tut vor allem eines, was eben in der Oper so unwahrscheinlich wichtig ist: Sie läßt die Sänger singen. Da gab es keine verkrampfte Situation, die die Sänger in Atemnot brachte, und sie holte sich den Chor an die Rampe, wenn er donnern sollte – was er dann auch tat. Unseren Opernchor haben wir schon lange nicht in so guter Form gehört. Sehr geschickt angelegt war die Autodafé-Szene in der bei Frau Wallmann offenbar beliebten „schiefen Schlachtordnung". Die zwei oder drei obligaten Überspitztheiten, die bei jeder Wallmann-Regie auftreten, könnte man ihr vielleicht schon bei den Proben ausreden. Sie ist ja nicht so, daß sie sich nichts sagen ließe! Die Bühnenbilder und Kostüme von Georges Wakhevitch waren schön und stimmungsvoll. Bemerkenswert erscheint uns, daß die Bühnenbilder ungeheuer kompliziert anmuten, sich in der Tat aber blitzschnell umbauen lassen, weil Wakhevitch einen stehenbleibenden Unterbau durch mehrere Szenen hindurch beläßt und nur die Versatzstücke wechselt, wobei er aber sehr viel Abwechslung erzielt. Am besten gelungen war das Autodafé-Bild mit einer finster drohenden Kathedrale und einem streng uniformierten Chor.
Das Publikum nahm die erste, wirklich gelungene Aufführung des Monats dankbar entgegen und überschüttete alle Mitwirkenden, darunter natürlich auch das hervorragend spielende Orchester, mit Wellen ungeheuren Beifalls.
EIN MASKENBALL am 19. März
unter Berislav Klobucar mit Mirella Paruto, Aldo Protti und Regolo Romani war eine geschlossene Aufführung für den IBM-Kongreß.
AIDA am 20. März
Eine ganz gewöhnliche Repertoirevorstellung, die als „Ritorna vincitor-Aida" in die Operngeschichte eingehen wird, wurde hier zum Abend des Jahres.
Die „Elitegarderegimenter und Prätorianer des Karajan-Regimes" – wie ein Wiener Redakteur den Stehplatz jüngst benannte, feierten unter den Klängen des Triumphmarsches die Heimkehr des Chefs. Weil irgendein Verwaltungsmann plante oder eben nicht plante, fand die Vorstellung bei Abonnement, beschränktem Kartenverkauf und stark reduzierter Stehplatzkartenausgabe statt. Kartenlose Opernfreunde belagerten vor Beginn den Platz vor dem Haus, wie das Foyer und boten S 50,- für eine Stehplatzkarte, S 300,- für einen rückwärtigen Logensitz. Doch ohne Erfolg. Wer hatte, der hatte und zeigte sich für die Vorlockungen des Mammons unempfänglich.
Es sangen Gastone Limarilli von der Römischen Oper mit nur teilweisem Erfolg den Radames, die farbige Sopranistin Annabell Bernard mit kleiner, sinnlich timbrierter und unwahrscheinlich tragender Stimme in den Ensembleszenen die Aida, unsere Giulietta Simionato die Pharaonentochter, Boris Christoff den Ramphis, der zunächst enttäuschte und erst im Lauf des Abends zu voller Leistung fand, Aldo Protti den Amonarso, der mit seinem „Suo padre" neuerlich verblüffte. Die Solistendarbietungen waren keineswegs unfallfrei, doch Herbert von Karajan am Pult steuerte Bühne und Orchester mit starker Hand über alle Klippen, verlieh so dem Abend Atmosphäre und künstlerisches Niveau.
Für den Chef gab es neben tosendem Begrüßungsapplaus Veilchen wie Rosen und einen Salut, den das stehende Parkett als besondere Ovation leistete. Der Herr Bundespräsident wohnte dem Abend in seiner Loge bei. Auf den Dienstsitzen des Leiters der Bundestheaterverwaltung hatten Dr.Weikert und Gattin Platz genommen, auf anderen arrivierten Sesseln zwangen sich einige gallebittere Oppositionisten süßsaures Lächeln ab, während die Wogen des Jubels hochbrandeten. Womit mit vollem Recht behauptet werden kann, es sei alles in schönster Ordnung gewesen und dem Happy-End hätten keinerlei Attribute gefehlt. Wie es im Büchel steht.
Dazu noch ein Zeitungsausschnitt
DIE PRESSE, Donnerstag, 22.3.1962
Ovationen für Herbert von Karajan
Auch Bundespräsident Dr. Schärf applaudierte
Eigenbericht der PRESSE
WIEN (t. c.). Minutenlange Ovationen für Herbert von Karajan gab es Dienstag abends vor Beginn der Aida-Vorstellung, die der künstlerische Leiter der Staatsoper selbst dirigierte. Als Herbert von Karajan nach dem Dunkelwerden an das Dirigentenpult trat, brach tosender Beifall los, an dem sich nicht nur das Stehplatzpublikum, sondern das ganze Haus beteiligte.
Von der Galerie regnete es Blumen auf den Dirigenten, der sich immer wieder verbeugen mußte und wiederholt versuchte, den Taktstock zu heben, aber immer wieder dem Publikum zuliebe den Beginn des Vorspiels hinausschieben mußte. In der linken Proszeniumloge saß der Bundespräsident, der sich ebenfalls am Applaus beteiligte.
Die Aufführung selbst gestaltete sich zu einem Fest der Stimmen. Vor allem die Aida, die junge farbige Amerikanerin Annabelle Bernard, und Giulietta Simionato, die die Amneris sang, wurden umjubelt. In den Pausen gab es wieder tosenden Beifall, der sich am Schluß der Vorstellung, als Karajan mit den Sängern auf der Bühne erschien, zum Orkan steigerte.
DON GIOVANNI am 21. März
Die Bühnenbilder des Giovanni, nie besonders schön oder zweckmäßig gewesen, haben nun schon einen derartigen Grad von „Schönheit" erreicht, daß kein Provinztheater sie geschenkt nehmen würde. Die Kostüme wirken abgetragen, und was sich auf der Bühne abspielt, ist bereits wahrhaft tief gesunken. Letzter Vorwurf trifft weniger die Solisten, die außer gelegentlichem Überspielen ziemlich Disziplin halten. Was sich jedoch der Chor leistet, ist eine Schande. Ein derart hemmungsloses Sichgehenlassen, unbekümmert um das Werk, ist schon Beleidigung Mozarts! Ist denn niemand dafür zuständig, diese Entgleisungen zu bremsen? Die Aufführung wurde von Berislav Klobucar dirigiert. Die Ouvertüre klang ziemlich zerfallen, aber im Verlauf des Abends bekam der Dirigent das Werk recht gut in den Griff, nahm nur einige Tempi zu rasch. Sena Jurinac sang eine gute Donna Anna. Graziella Sciutti, die derzeit beste Zerlina, erfreute wieder Aug und Ohr. Eberhard Wächter war wie gewohnt ein prächtiger, fast dämonischer Giovanni. Walter Kreppels Komtur war etwas zu lautstark und Harald Pröglhöfs Masetto sehr solide. Luigi Alva, der für den absagenden Dermota einsprang, sang einen sehr guten Don Ottavio. Claire Watson war als Donna Elvira wenig farbprächtig, zu sehr noch mit den technischen Problemen der Partie beschäftigt. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ Geraint Evans als Leporello. Eine prächtig timbrierte, technisch gut geführte Stimme, die sehr modulationsfähig ist, ein köstliches Schauspiel, drastisch, manchmal fast etwas zu dick aufgetragen (daran könnte aber auch die hiesige Inszenierung und die fehlende Regie schuld sein), jedoch nie ausartend. Die dramatischen Szenen, z. B. der Auftritt des Komturs in der Gastmahlszene, wurde dank Evans einmal nicht vom Gelächter des Auditoriums gestört, denn er benahm sich der dramatischen und musikalischen Situation gemäß. Das Publikum zeigte sich sehr beifallsfreudig.
TOSCA am 22. März
Am Tag des Abfluges der Wiener Philharmoniker zu der Rußlandtournee unter Karajan und der Abreise des Wiener Ensembles zum Meistersinger-Gastspiel an der Scala Milano gab es einen sehr uninteressanten und spannungslosen Puccini-Abend. Schon als Berislav Klobucar die Hand zum Einsatz hob, wußte man daß das Wiener Meisterorchester bereits weit von Wien entfernt war. Lob gebührt Giuseppe Zampieri, diesmal wieder in Superform! Man merkte sofort, daß es ihn sichtlich freute, endlich wieder den Cavaradossi singen zu dürfen. Der Künstler begann mit einer schön gesungenen Arie, steigerte sich zu einem guten „La vita mi costasse", brachte ein imponierendes, temperamentvoll gesungenes und gespieltes „Vittoria". Bei „E lucevan le stelle" entfaltete er die ganze Schönheit seiner Stimme, sang mit viel Gefühl, Ausdruck und bestechenden Piani. Es wäre sehr zu wünschen, daß er diese große Abendverfassung beibehält. Aldo Protti war in bester stimmlicher Verfassung. Es ist eine Freude zu hören, wie mühelos er die Partie stimmlich beherrscht. Im Te Deum hat man das Gefühl, der Chor müßte sich bemühen, Protti zu übersingen. Im zweiten Akt bedauerte man allerdings sehr, daß er wenig Gestaltungskraft besitzt. Was hätte er doch mit dieser Stimme für Möglichkeiten! Christl Goltz war die Tosca des Abends und fegte wie Salome durch die Szenen. Auch die stimmliche Abendverfassung war schlecht. Wenn sie Wozzeck-Marie, Salome oder Fidelio-Leonore singt, vermag sie ihre stimmlichen Mängel meist durch schauspielerische Leistung wett zu machen, aber als Tosca vermag sie es nicht. Italienische Partien sollte Frau Goltz lieber lassen. Die Nebenpartien waren bis auf Karl Weber, der den Sciarrone übernommen hat, wie üblich besetzt. Ludwig Welter (Mesner), Erich Majkut (Spoletta), Hans Braun (Angelotti) und Ljubomir Pantscheff (Schließer).
BALLETTABENDE vom 23. bis 27. März
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. März
Geschlossene Festvorstellung für den deutschen Bundespräsidenten Dr. Lübke (unter Heinz Wallberg mit Gerda Scheyrer, Hilde Güden, Sena Jurinac (Cherubino), Elisabeth Höngen, Alfred Poell, Geraint Evans). Dazu mußte aus Mailand ein Teil des Staatsopernchores zwischen Haupt- und Generalprobe Meistersinger herbeigeflogen werden.
BALLETTABENDE vom 29. bis 31. März
Gastspiel LONDON’S FESTIVAL BALLET