DER APRIL 1962

7. Jahrgang, Heft 5

 

Ein Monat, in dem mühsam verlorenes Terrain teilweise zurückgewonnen wurde, ein Monat des langsamen Erwachens, der Besinnung. Wenn wir diese Unglückssaison überwinden sollen, dann muß schon im schwieriger zu handhabenden deutschen Repertoire mehr Sorgfalt aufgebracht werden. Besser stand es auf dem italienischen Sektor, wie gehabt. Denn da genügen einige Stimmen, ein temperamentvoller Dirigent, eine große Persönlichkeit, um die Atmosphäre entscheidend zu wandeln. Ein schwieriger Fall, und wahrscheinlich auch nicht so leicht zu beheben, ist das leistungsmäßige Absinken einiger bewährter oder zumindest vielversprechender Künstler. Es ist in einigen Fällen höchste Zeit für den neuen Direktor, hier helfend, ratend oder schlimmstenfalls energisch einzugreifen, damit bleibender Schaden vermieden werde.

Durch die Welttournee der Wiener Philharmoniker mit Herbert von Karajan wurde Gäste in die Staatsoper eingeladen.

 

BALLETTABENDE MIT DEM LONDON-BALLETT vom 1. Bis 4. April

 

GASTSPIEL DER WÜRTTEMBERGISCHEN STAATSOPER STUTTGART vom 5 bis 9. April

DER TÜRKE IN ITALIEN am 5., 6. und 8. April

Welch ein idealer Fall für entfesseltes Regie-Theater! Wir haben hier einen schwächeren Rossini vor uns, gekonnt zwar und aus dem Handgelenk geschüttelt, voll reizvoll perlender Musik, besonders in den Ensembles und Finale, aber ohne Höhepunkte, die dem Hörer sofort im Ohr hängen bleiben. Die Handlung ist in Günther Rennerts neuer Bearbeitung ein fröhliches Durcheinander von Eifersucht und Verliebtsein geworden. Die Rollen sind rechte Typen geblieben, und das eben gibt die Berechtigung zu Farce und Parodie. Günther Rennert, der kluge Regisseur, weiß stets, was er tut. Bei unserer Cenerentola, deren charmante Titelrolle doch gefühlsmäßig sehr anspricht, hätte ein solches Geblödel um des Blödelns willen (im positiven Sinne!) absolut nicht stattfinden können, obzwar die Anlage der Inszenierung gar nicht unähnlich ist. Doch Cenerentola ist ein liebenswertes Mädchen, der Türke in Italien hingegen eine wahre Flut von Gags, eine ins Überdimensionale gesteigerte Opernparodie, Gerade bei uns, da die große Oper in ihrer traditionellen Form wahre Freunde und fanatische Verteidiger hat, kam die Parodie besonders gut an. Unvergeßlich bleibt uns das Bild, das bei aufgehendem Vorhang auch beklatscht wurde: Ein fast Wallmann’artig auf- und übereinander getürmter Menschenhaufen mit drohenden Gebärden im alten Stile, wie ein Extrakt aus Ulricaszene und Azucenaerzählung. Dahinter züngelten wirklich und wahrhaftig rot Seidenflammen, von der Windmaschine in heftige Bewegung versetzt, wie seinerzeit im Roller-„Ring" des alten Hauses. Der Rezensent hätte über dieses Bild aus Freude am liebsten gejauchzt und – so er einen Hut aufgehabt hätte – ihn aus Wonne in die Luft geworfen, als die Scheinwerferkegel über jene Skelette und ausgestopften Uhus glitten, die Ita Maximowna auch im Maskenball als Atmosphärenbilder aufhängt. Es war einfach herrlich. Allerdings würde es zu weit führen, hier alle unterhaltsamen Gags aufzuzählen. Wir müssen nur unbedingt die drei Diener des Türken erwähnen, die es fertigbrachten, drei Stunden lang so unbeschreiblich stereotyp dumme Gesichter zu machen, daß sie schon sehr intelligent sein müssen. (Es dürfte sich, der Körperbeherrschung nach, um Ballettänzer gehandelt haben.) Nur soviel sei noch gesagt, daß sich Musik und Personenregie, Ballett und die lustig hingetupften Bühnenbilder und witzigen Kostüme zu einem der unterhaltsamsten Abende verbanden, die wir in der Oper je erlebt haben. An der Spitze des sehr präzise und animiert musizierenden Orchesters stand Ferdinand Leitner, der Mann, der in allen Stilarten zu Hause zu sein scheint. Er hatte das bunte Geschehen jederzeit fest in der Hand und auch im Kopf, denn, wie wir gehört haben, war einmal die Dirigenten-Partitur verschwunden und tauchte erst im Vorlauf der Vorstellung auf.

Auf der Bühne stand ein Ensemble, das das Wichtigste mitbrachte, das man sich für eine Rennert-Inszenierung wünschen kann, nämlich Disziplin. Und gerade diese Disziplin ist es, die die nahtlose Geschlossenheit einer richtigen Ensembleoper ausmacht. (Merkte Wien!). Da wird wahrscheinlich – denn die Oper läßt sich ja kaum umbesetzen – die zehnte Vorstellung genauso sitzen, wie die fünfundzwanzigste, und keiner wird sich einfallen lassen, aus der Reihe zu tanzen, wie es bei uns sogar oft die Comprimarii tun, wenn sie sich einbilden, sie seien große Persönlichkeiten.

Fritz Wunderlich ist fast schon über das Ensemble hinausgewachsen. Er sprengt es aber nicht, weil er offensichtlich zu diszipliniert dazu ist. Er schoß mit der an sich unbedeutenden Rolle des Liebhabers Narciso absolut den Vogel ab, denn er brachte es fertig, Klamauk zu machen, Spielastik zu betreiben und dabei ein parodiertes Belcanto zu singen, so prachtvoll zu singen, daß das Auditorium ganz aus dem Häuschen war und der Applaus geradezu besitzergreifende Formen annahm. Wenn man diese Leistung Wunderlichs mit dem Evangelisten, seinen Mozartrollen oder Strauss-Liedern vergleicht, kann man nur sagen, daß er ein musikalisches Naturtalent von solchen Graden ist, daß sich das Zuhausesein in allen Stilen, die Phrasierung, die unter deutschen Tenören geradezu einmalig ist, und die anscheinend völlige Mühelosigkeit, mit der er seine glänzend schönen Tenortöne aus der Kehle schüttelt – dies alles wahrscheinlich das Ergebnis harter Arbeit – wie von selbst ergibt. Stimmlich ausgezeichnet, koloraturgewandt und spielfreudig präsentierte sich Ruth-Margaret Pütz als flirtefrohe Dame Fiorilla. Der Türke Selim wurde von Klaus Bertram gesungen, der eine sehr hübsch timbrierte Stimme ungefähr von Berry-Charakter hat. Auch die übrigen Mirwirkenden, der gehörnte Ehemann Gronio von Fritz Linke, die temperamentgeladene Zigeunerin Zaida von Hetty Plümacher und der Poet Horst Günters (er ließ sich wegen schwerer Indisposition entschuldigen) spielten hervorragend mit, ihre stimmlichen Leistungen erschienen uns aber nicht gerade überwältigend. Doch eben das macht in diesem Zusammenhang nichts und gibt uns gute Anregungen dafür, wie wir unser heimisches Ensemble beschäftigen können. Das Wiener Publikum amüsierte sich köstlich und überschüttete besonders das Leading Team und Herrn Wunderlich mit reichem Beifall.

BLUTHOCHZEIT am 7. und 9. April

Wie die anderen großen Dramen Federico Garcia Lorcas wurzelt auch die Tragödie Bluthochzeit tief in der andalusischen Erde, entnimmt ihre Substanz dem geistig-seelischen Klima südspanischer Dörfer und ihrer bäuerlichen Menschen, die auf einem uralten, von widersprüchlichen Wirkkräften genährtem Kulturboden stehen. Die Bühnenballade Bluthochzeit wandelt das ureigene Grundthema innerhalb ihres Konfliktfeldes, wie stets bei Lorca, bis zur letzten Folgerung ab: den Dualismus zwischen dem unbeugsamen Gesetz überkommener Sitten- und Ehrbegriffen und dem revoltierenden Anspruch der individuellen Persönlichkeit auf das natürliche Recht der Lebenserfüllung.

Musikalisch stellt dieses Werk wohl das Größte aus Fortners Schaffen dar. Seine Zwölftonsprache, durchtränkt vom Zauber spanischer Folklore, malt alle Abschattierungen der erregenden Handlung mit großartiger Meisterschaft. Absolute Musik vereint sich mit den herkömmlichen Formen der Oper. In den Tänzen, manchmal nur ein rhythmisches Gerippe durch das Schlagzeug angedeutet, vibriert echte Theatralik; dann wieder verdichtet sich die Klangpalette zu erregenden Ausbrüchen, wie etwa im Zwischenspiel vor der Waldszene, zu einem meisterlich kontrapunktisch gearbeiteten Gipfelpunkt moderner musikalischer Dramatik. Wunderbare Lyrik spricht aus der Ballade vom Falben oder dem Geigenkanon, „den Wald ausdrückend", während die kristallklare surreale Schlußszene in Lorcas Drama eine ebenbürtige, transparente musikalische Ausdeutung erfährt.

Die Aufführung der Stuttgarter Staatsoper selbst kann nicht besprochen werden, ohne ein Hohelied auf den Regisseur Günther Rennert und die Bühnenbildnerin Leni Bauer-Eczy anzustimmen, die sich mit den Bühnenbildern der Bluthochzeit selbst überbot. Die einfach und klar aufgebaute Bühne wurde in den Interieurs nur durch glatte, kalkweiße Mauern gegliedert, die auf einem ziegelroten Boden stehend, derart spanische wirkten, daß das Lokalkolorit bereits gegeben war, weit mehr als anderswo durch fröhliche Buntheit, Pomp und Torerojäckchen. In der den Boden des Naturalismus verlassenden Waldszene stellte sie einen abstrakten, nackten, weißen Gespensterwald hin, aus dem Mond und Tod in Bettlergestalt hervorglitten, als müsse es so sein. Und so, als müsse es so sein, war auch Günther Rennerts Regie, die sich auf ein Minimum an äußerer Bewegung beschränkte, auf daß die innere Dramatik und unbarmherzige Steigerung des Werkes umso mehr wirkte.

Im Mittelpunkt der von Ferdinand Leitner dirigierten Aufführung stand Martha Mödls Mutter, besessen von Angst, Haß und stummem Leid. Noch selten ist die unerhörte Intensität der Künstlerin derart herausgekommen, wie hier. Im Dienste der Rolle stand nicht nur die hier richtig eingesetzte Singstimme, sondern auch eine unerhört packende dunkel-schöne Sprechstimme und eine derart gute Sprechtechnik, daß Frau Mödl wohl, wenn sie einmal Lust dazu verspürt, das seit dem Tod der Eis und Dorsch verwaiste Tragödinnenfach am Burgtheater ausfüllen könnte.

Die weiteren, ausgezeichneten Leistungen in einer nahtlos geschlossen wirkenden Aufführung hörte und sah man von Res Fischer in der gespenstischen Partie der Bettlerin (es ist immer ein gelinder Schock für den Mitteleuropäer, daß sich die Romanen den Tod weiblich vorstellen!) und Margarethe Bence, die als ausgesprochene Charakter-Altistin eine große Zukunft haben dürfte, in einer kleinen Dienerinnenrolle. Hervorragend auch Gerhard Unger als Mond (die Premierenbesetzung Jess Thomas wollte offenbar mit der kleinen Rolle nicht in Wien debütieren). Darstellerisch und sprachlich gleich gut waren Hans Günther Nöcker als Leonardo und Hetty Plümacher als seine unglückliche Frau. Was echte Ensemblekunst ist, stellte Paula Brivkalne unter Beweis. Jahrelang erste Zwischenfachsängerin Stuttgarts (wir selbst hörten sie als Salome, Gutrune und Irene im Rienzi), war sie sich für die kleine Mezzo-Mutterrolle nicht zu gut. Unseren verdienten Künstlerinnen ins Stammbuch!

Ein nicht sehr dicht gefülltes Haus nahm die Lektion in „Modernem Operntheater" beeindruckt zur Kenntnis. Nach unseren Erfahrungen mit Moses und Aron und Bluthochzeit müssen wir leider feststellen, daß wir gerade dieses Gebiet der Opernkunst mehr als mangelhaft beherrschen.

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 10. April

Nach den Gastspielen des London-Ballettes und der Württembergischen Staatsoper begann der normale Wiener Opernbetrieb mit Wagners Jugendwerk. Leider wurde man dieses schon lange vermißten Werkes nicht froh, weil für die Realisierung das Philharmonische Orchester fehlte, das sich noch auf Welttournee befand. Das Ersatzorchester war so unbeschreiblich schlecht, daß man aus dem Kopfschütteln nicht herauskam. Bereits ein Blick in den Orchesterraum vor der Aufführung ließ uns Böses ahnen, als wir vier philharmonische erste Geiger und sonst lauter Substituten und Schüler sahen. Besonders arg war es um die Hörnerbesetzung bestellt. Es ertönten an allen markanten Stellen Gickser, und man kam bis zum Ende der Aufführung aus dem Zittern nicht heraus. Als der Dirigent das Orchester vor Beginn des zweiten Aktes aufstehen ließ (warum eigentlich?) , wurde deutlich hörbar gezischt. Das läßt tief blicken, denn das Wiener Opernpublikum reagiert meistens ohnehin mehr als höflich. Heinz Wallberg stand am Pult und konnte uns an diesem Abend nicht recht gefallen. Er war mit Rücksicht auf das Orchester bemüht, die Aufführung möglichst rasch und gut zu Ende zu bringen. Nach fast einjähriger Pause stand endlich wieder Leonie Rysanek als Senta auf der Bühne. Sie trug auch heuer wieder ein neues Kostüm (mit violettem Oberleib und schwarzem Rock) und einen toupierten Zopf, beides leider nicht recht in die Inszenierung passend. Die Stimme von Frau Rysanek ist nach wie vor wunderschön. Bedauerlich war nur der nicht reibungslos funktionierende Übergang von der Mittellage in die tieferen Regionen, was besonders in der Ballade zu hören war. Im Duett mit dem Holländer gab sie dann zu viel Stimme und veranlaßte dadurch ihren Partner, ebenfalls stark auf die Stimme zu drücken. Elisabeth Höngen war eine prachtvolle Mary, Otto Wiener wie stets der bewährte Holländer und Erik mit Eugene Tobin ausgezeichnet besetzt. Oskar Czerwenka (Daland) schien im ersten Akt, wie immer beim Holländer, deutlich überfordert, im zweiten dagegen ausgezeichnet am Platz. Karl Terkal bemühte sich als Steuermann. Der Spinnchor war sehr sauber gesungen. Der Männerchor am Beginn des dritten Aktes entgleiste, als er sich wegen des zu früh aufgezogenen Vorhangs einen falschen Einsatz leistete, um dann aufzuhören und an der richtigen Stelle wieder zu beginnen.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 11. April

In der CAVALLERIA trafen Turiddus Worte: „Mamma, Quel vino è generoso…" auf die Wiedergabe des Werkes nicht zu, denn weder das bunt zusammen gewürfelte Substitutenorchester noch die Solisten auf der Bühne waren es. Die Bezeichnung „ländliche Bauernfehde" traf den Nagel schon besser auf den Kopf. Zuviel erinnerte uns an Provinz. Hilde Zadek als Santuzza zog sich dabei noch verhältnismäßig am geschicktesten aus der Affäre. Durch große Musikalität ersetzte sie mit Erfolg die nicht vorhandene Leidenschaft in der Stimme. Außerdem war sie klug genug, um auf eingelegte acuti zu verzichten. Den Turiddu sang Karl Terkal. In der Darstellung ebenso einschläfernd wie das Glas Himbeerwasser, das er beim Trinklied an Stelle des Chianti in der Hand hielt. Ängstlich waren seine Blicke auf den Dirigenten gerichtet und mühevoll und gepreßt kamen die Töne in der oberen Lage aus der Kehle. (Sind daran die zahlreichen Manricos in der Volksoper schuld?). Kostas Paskalis kam mit ölglänzendem Haar dem Alfio als Bühnenerscheinung am nächsten. Weniger erfreulich war die Gesangslinie, die er durch gewaltsam hinauf geschleuderte Fortetöne störte. Dadurch nämlich traten Intonationsschwierigkeiten auf (Duett mit Santuzza!). Georgine Milinkovic war als Mama Lucia richtig eingesetzt, ebenso Lotte Rysanek als Lola. Der Chor mußte sich anfangs erst zurechtfinden, bot aber dann (Osterchor) eine eindrucksvolle Leistung. Das Publikumsecho war zurückhaltend und reserviert. Vom Feuer der Begeisterung war keine Rede.

Stimmung kam erst beim BAJAZZO mit dem Prolog, meisterlich gesungen von Aldo Protti, ins Haus. Die breite, voluminöse Stimme mit der bombensicheren, kraftvollen Höhe verfehlt niemals ihre Wirkung auf das Auditorium. Mit Wilma Lipp und James McCracken standen zwei weitere Künstler auf der Bühne, die ihren Figuren Leben einhauchten, ohne dabei die Gesangslinie zu vernachlässigen. Frau Lipp, verführerischer denn je anzusehen, hatte auch stimmlich einen ganz hervorragenden Abend. Die Stimme klang bis in die höchsten Regionen kristallklar. Das Vogellied war keine Gesangsnummer im üblichen Sinne. Sie war eher ein Wunschtraum einer kleinen Komödiantin. James McCracken als Canio hat nun eine Darstellung gefunden, die mit seiner schweren Heldentenorstimme übereinstimmt. Ohne viel Gestik, eher schwer und in sich gekehrt, weiß der Künstler dramatische Akzente aus der Partie hervorzuheben, die den Schmerz über die Untreue Neddas glaubhaft erscheinen lassen. Mit Abstand zu den genannten Künstlern waren Kostas Paskalis als Silvio, der diesmal gottlob auf das Auftrumpfen mit seinen Fortetönen verzichtete und Ermanno Lorenzi als quicklebendiger Beppo, dem man nur eine weniger näselnde Stimmfärbung wünschte, eingesetzt. Der Chor bot eine erstklassige Leistung, war rhythmisch sicher und stimmstark. Unter Berislav Klobucars verständnisvoller Leistung spielte das Orchester den Bajazzo um eine Klasse besser als die Cavalleria. Das Publikum jubelte am Schluß Frau Lipp und Herrn McCracken und Protti zu. Der Triumph des „Publikumsensembles“ (Lipp, Protti, McCracken) über das „heimische“ Ensemble (Zadek, Terkal) fand somit seinen akustischen Widerhall.

RIGOLETTO am 12. April

Unverwüstlich scheint Aldo Protti zu sein. Nach dem wunderbar gesungenen Tonio des Vorabends stand er diesmal als Rigoletto auf der Bühne, und er war es, der den Abend hörenswert machte. Zwar trat nach „Cortigiani, vil razza dannata" eine kleine Übermüdung auf, doch beim drauffolgenden Duett mit Gilda war er wieder ganz da. Sein restloser Einsatz beeindruckte stets aufs Neue und vermag ständig das Publikum zu fesseln, wenn seine Stimme auch zuweilen ein wenig rauh klingt. Wie würde das italienische Repertoire aussehen, wenn nicht Aldo Protti ständig hier wäre und sich immer wieder als verläßlicher Sänger erwiese? Ruth-Margaret Pütz verfiel als Gilda in den Fehler, mit stark forciertem Einsatz der Stimme neben Protti bestehen zu wollen. Dadurch nämlich fehlte ihr zuweilen die Kraft um dort zu glänzen, wo es notwendig gewesen wäre. Den Herzog sang und spielte Giuseppe Zampieri, ohne den Charme eines Frauenverführers zu besitzen. Stimmlich hatte er einen schwarzen Abend. Wie kann ein Herzog mit soviel falschen Tönen um seine Gilda werben? Biserka Cvejic als Maddalena sah verführerisch aus und war allen weiteren Mitwirkenden in den kleinen Partien haushoch überlegen. (Frederick Guthrie konnte dem Sparafucile kein Profil geben und Rudolf Knoll fehlte die Kraft für ein wirkungsvolles „Maledetto"). Berislav Klobucar dirigierte schwungvoll und mit viel Liebe und fand nicht nur bei den Solisten sondern auch beim Substitutenorchester, das sich brav und wacker hielt, Verständnis.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 13. April

Heinrich Hollreiser stand diesmal am Pult. Er konnte nicht gefallen, denn für Smetanas Musik hat er eine viel zu schwere Hand und außerdem ständig den Kopf in der Partitur. Dadurch fehlte der Wiedergabe vom Orchestralen her das musikantische Fundament. Es wäre besser gewesen, dieses Werk wieder in die bewährten Hände von Berislav Klobucar zu legen, der damit hier einen schönen Erfolg hatte. An diesem Abend waren übrigens zum ersten Mal wieder die Wiener Philharmoniker beteiligt. Es freut einem wirklich zu sehen, wie die wohlbekannten Musiker wieder ihre Plätze einnehmen und damit dem Chaos der letzten Wochen ein Ende bereiten. Auf der Bühne war alles tadellos in Ordnung. Irmgard Seefried war stimmlich gut, lediglich in der Darstellung gäbe es wieder einiges zu bemängeln, aber das ist ja kaum mehr auszumerzen. Waldemar Kmentt war prachtvoll disponiert und locker im Spiel, wie immer unter Dr. Rennert. Als Kezal legte Oskar Czerwenka wieder eine großartige Studie hin, die manche stimmlichen Mängel vergessen läßt. Murray Dickie war der urkomische Wenzel mit schöner Stimme und unter den Elternpaaren stach Hilde Rössel-Majdan angenehm hervor. Erich Kunz als Zirkusdirektor bot eine zwerchfellerschütternde Darstellung und wußte mit vielen neuen Spaßettln (Vom Chef bis Schaefer usw.) aufzuwarten, die prompt stürmisch beklatscht wurden. Eine sehr animierte Aufführung, die mit einem Mann wie Krombholc am Pult ein Ereignis hätte sein können.

DER ROSENKAVALIER am 14. April

Als Überbringer der Rose begann Christa Ludwig nach großem Erfolgen in Berlin wieder ihre Tätigkeit an der Wiener Staatsoper. Darüber freute sich das Stammpublikum, das die Künstlerin schon lange zu seinen Favoriten zählt. Frau Ludwigs samtener Mezzo sprach besonders schön bei der Rosenüberreichung an, wo sie die ideale Ergänzung zu Wilma Lipps blühendem weißen Sopran bildete. Nicht ganz so gut kam die derzeit wohl an Schönheit kaum zu überbietende Stimme bei den Szenen mit der Marschallin, die Hilde Zadek mit Routine spielte, an. Otto Edelmann fühlt sich besonders wohl als Ochs, einer Rolle, die alle seine Fähigkeiten richtig ins Bild setzt, die wienerische Sprache, den selbstsicheren Humor und die an und für sich gut klingende Mittellage. Die verengten, gedeckten Höhen stören auch weiter nicht, denn der Herr von Lerchenau kann es sich leisten, durch geschicktes Kaschieren über diese Klippen hinwegzukommen. Das schauspielerische Element darf ohne weiteres stärker als in anderen Partien zur Geltung kommen. Die Träger der zahlreichen Nebenrollen würden eine szenische wie musikalische Neuauffrischung vertragen. Am Pult stand Heinrich Hollreiser, der einen soliden ersten Akt und einen recht guten dritten dirigierte. Schade, daß er seinen ansonst guten Eindruck durch zu rasche Tempi im zweiten Akt beeinträchtigte. Warum Herr Hollreiser in Berlin wegen des Rosenkavalier so angefeindet wird, können wir ehrlich gesagt, nicht verstehen. Wir jedenfalls finden, daß gerade diese Strauss-Oper nicht zu seinen schlechten Interpretationen gehört. Da muß man erst Meistersinger, Tannhäuser oder Julius Caesar gehört haben!

TOSCA am 15. April

Durch Leonie Rysanek bekam die Aufführung festliches Gepräge. Sie singt und spielt die Tosca ausgezeichnet, und man ist nach wie vor hingerissen von dieser Künstlerin, wenn man auch das typische Rysanektimbre von früher vermissen muß. Ihre Partner waren leider nicht von gleich hohem Niveau. Giuseppe Zampieri kämpft nach wie vor mit einer Stimmkrise, hat einige schöne Töne zu bieten, z. B. im „Vittoria", aber der Großteil der Partie klingt müde und gepreßt. Aldo Protti sagte ab, also holte man aus Graz Rolf Polke. Diese Umbesetzung wurde erst vor Beginn der Vorstellung durch einen Herrn in hellem Anzug dem Publikum bekannt gegeben. (Den hellen Anzug fanden wir deplaciert, genauso wie die braunen und grauen Anzüge im Orchesterraum, auch wenn die dazugehörigen Herren nur einen Akt lang Dienst machen. Wenn das Publikum um „angemessene" Kleidung ersucht wird, hat man selbst Vorbild zu sein!) Herr Polke rettete die Aufführung. Da er sich als indisponiert entschuldigen ließ, steht es uns nicht zu, seine gesangliche Leistung zu kritisieren. Schauspielerisch kam er nicht über die übliche Bösewicht-Schablone hinaus. Die Herren Karl Weber und Erich Majkut genossen – zur Erheiterung des Publikums – ihre großen Szenen sichtlich.

DIE WALKÜRE am 16. April

Verhältnismäßig stark waren die Ränge zu Beginn des ersten Aktes besetzt. Mit zunehmender Dauer der Aufführung lichteten sich die Reihen im Theater. Unwillkürlich fielen einem die „Zehn kleinen Negerlein" ein, die eines nach dem anderen verschwinden. Fast wäre es besser gewesen, wenn alle verschwinden hätten können, denn dadurch hätte sich die Wiener Staatsoper eine Blamage ersparen können. Man kann es den Pfui-Rufern nach dem Verklingen des letzten Aktes nicht verübeln, daß sie ihrer Empörung auf solch eindringliche Weise Ausdruck gaben. Wenn man aus München einen Gast holt, dann bitte schön, schon Astrid Varnay, die erste Hochdramatische und nicht Marianne Schech. Dabei konnten wir gerechterweise feststellen, daß sowohl Frau Schech als auch Otto Edelmann um einige Grade besser bei Stimme waren, als wir sie schon erlebt haben. Heinz Wallberg gab sich sichtlich Mühe, aus einem uninspirierten Orchester das Beste herauszuholen. Für Schwächen des Orchesters darf er nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Tragödie begann diesmal bereits im ersten Akt, wo Jon Vickers als „Flüster-Siegmund" in Pianissimi schwelgte, die besser zur Schumann’schen „Mondnacht" als in die Hundinghütte passen. Beim Liebeslied mußte man von seinen Lippen den Text ablesen, denn hören konnte man fast nichts. Umgekehrt klangen die Seltenheitswert habenden Fortetöne des Sängers wie erratische Blöcke, denen jegliche Verbindung zu den anderen Tönen fehlte. Gré Brouwenstijn als Sieglinde war durch ihren Partner etwas in Mitleidenschaft gezogen. Zwar hatte sie Ausdruckskraft und Persönlichkeit, aber in rein stimmlicher Hinsicht haben wir sie schon besser gehört. Trotz dieses Einwands war sie jene Künstlerin, die Wagner weitaus am besten verstand und dies auch auszudrücken vermochte. Ludwig Welter sang seinen ersten Hunding mit Erfolg. Seine markige Stimme ist für diese finstere Partie sehr geeignet. Heinz Wallberg wollte den ersten Akt schneller dirigieren, doch Siegmund wollte dies nicht, und der Erfolg waren vier Vorhänge. Humoristischen Einschlag hatte dann der zweite Akt durch den Auftritt Otto Edelmanns: Im ersten Augenblick vermeinte man, der Lerchenauer erscheine auf dem Ball der Marschallin als Göttervater verkleidet, wobei er jauchzend und speerschwingend von seiner Wunschtochter trefflich unterstützt wurde. Unterbrochen wurde diese unfreiwillig komische Szene von Ira Malaniuk als Fricka, die zornig und temperamentvoll ihr moralisches Recht forderte, worauf der Göttervater jovial lächelnd, höchst unwillig, aber kopfschüttelnd, nachgab. Man erspare uns eine weitere Schilderung der Aufführung, die wie gesagt, kein Ende nehmen wollte und doch ein höchst unerfreuliches fand.

ARIADNE AUF NAXOS am 17. April

Es begann mit einem schwunglosen Vorspiel. Irmgard Seefried war diesmal schlecht disponiert und leider in der Darstellung der Partie stark überzeichnet. Dazu Karl Dönch als Musiklehrer, der die Partie fast mehr sprach als sang, Alfred Jerger als ein auf der Galerie kaum hörbarer Haushofmeister und Peter Klein als mit den Tücken der Partie kämpfender Tanzlehrer. Auf der Insel Naxos wurde es dann etwas besser. Hier konnte Ruth-Margaret Pütz mit einer guten Zerbinetta-Arie für ihren schwachen ersten Akt entschädigen. James McCracken setzte sein heldentenorales Organ für den Bacchus sieghaft ein. Seine „Circe" ist wirklich hervorragend. Hilde Zadek bemühte sich sehr um die Titelpartie. Laurence Dutoit war ausgezeichnet als Najade, Gerda Scheyrer passabel als Echo und Dagmar Hermann völlig überfordert als Dryade. Das Komikerquartett war zum Teil ausgezeichnet besetzt mit Murray Dickie, Kurt Equiluz und Ludwig Welter, während der Harlekin von Siegfried Rudolf Frese wirklich eine Zumutung für den Opernbesucher darstellt. Der erste Einsatz war bereits geschmissen. Was solch ein Engagement an die Wiener Oper bedeuten soll, ist uns ein Rätsel. Heinz Wallberg leitete zum ersten Mal dieses Werk in Wien und konnte auf Anhieb (Proben wird er wahrscheinlich kaum gehabt haben) noch nicht gefallen. Da er aber mit Rosenkavalier, Salome und Elektra bewiesen hat, daß er ein guter Strauss-Dirigent ist, hoffen wir, daß wir ihn auch in diesem Werk noch schätzen lernen. Die Inszenierung ist völlig abgespielt und bedürfte dringend einer Erneuerung.

BALLETTABEND am 20. April

OTHELLO am 19. April

Unter der spannungsreichen und temperamentgeladenen Leitung des derzeit hervorragend in Form befindlichen Alberto Erede hörte man eine sehr schöne Aufführung. Alle drei Hauptdarsteller hatten auf ihre Art Staatsopernformat. Wenn wir uns die kleineren Einschränkungen betreffs Aldo Prottis an der Oberfläche bleibenden Spiels nicht verkneifen können, so sind wir darin echte „Merker". Denn er hat den Jago nun auch in der Phrasierung und im Ausdruck so in der Kehle, daß man sich rein stimmlich gar keine bessere Interpretation denken kann. James McCrackens heldische Metallstimme hatte gelegentlich (Monolog 3. Akt) mit Ermüdungserscheinungen zu kämpfen. Bemerkenswert war jedoch besonders die technische Meisterung und völlige Sicherheit des Singens, die bei einer so schweren und großen Stimme eben nicht zu häufig ist. Auch bei Leonie Rysanek war alles da. Allerdings saßen die fast überzüchteten Piani höchst unorganisch auf der Mittellage eines dunklen Mezzos und der Übergang glückte manchmal nicht ohne Herzklopfen. Es ist möglich, daß man dies bei der halblyrischen Desdemona besonders bemerkt. Prachtvoll gesungen war jedoch der vierte Akt. Biserka Cvejics markante schön gesungene Emilia war eine wahre Freude. Ermanno Lorenzi und Frederick Guthrie waren in den kleinen Rollen passabel, Erich Majkut spielte für zehn Rodrigos. Seine Auftritte werden auf der Galerie nur mehr von unterdrücktem Gelächter begleitet.

KEINE VORSTELLUNG am 20. April, Karfreitag

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 21. April

Die „Ostergabe" CAVALLERIA, immerhin spielt sie zu Ostern, fiel etwas dürftig aus. Zwar war Antonietta Stella eindeutig ihren Wiener Kolleginnen Zadek und Goltz in gesanglicher Hinsicht überlegen, aber trotzdem blieb die Hülle schöner als der Inhalt dieses Geschenkes. Ihre Santuzza war gut gesungen, doch wo blieb il cuore? Zuviel äußere Effekte störten den Gesamteindruck. Ein Tränenstrom bildet in unseren Breitegraden keinen Ersatz für nicht miterlebtes Theater. Dabei wäre die Stimme doch so reich an Dramatik! Giuseppe Zampieri begann recht gut, und nach der Siciliana glaubte man sogar, daß er vielleicht das vom Vorjahr her gewohnte Format erreichen könnte. Irrtum! Beim Abschied schien er mit seinen Kräften fertig zu sein, beim Addio brach ihm der Ton und die ihm in letzter Zeit angekreideten Fehler (zittrige Spitzentöne) traten unüberhörbar auf. Walter Berry sang den Alfio mit Temperament und unter Ausnützung aller seiner stimmlichen Reserven. Alberto Erede sorgte für einen musikalisch spannenden Ablauf der Vorstellung. Er ließ den Sängern Zeit für Fermaten und hielt doch dabei die Vorstellung in Fluß.

Ebenso temperamentvoll und voll Brio dirigierte er auch den BAJAZZO, in dem wiederum Aldo Protti die dominierende Rolle spielte. An seiner Stimmfärbung allein vermochte man den verworfenen Charakter des Tonio zu erkennen. Bei der Szene mit Nedda bekam man Angst vor so viel Drohung in der Stimme. Mimi Coertse bot als Nedda eine gute, veristisch wirkende Leistung, wobei man auf die Qualität der Stimme selbst wenig achtete. Jon Vickers als Canio enttäuschte. Zuweilen scheint er seine Stimme nicht mehr so wie vor wenigen Jahren im Zaum halten zu können. Nicht, daß wir auf ein exponiertes „a venti tre ore" gewartet hätten, aber zu viel eigenmächtiges Piano-Singen kann man auf die Dauer nicht hinnehmen. Immerhin muß der Wille des Komponisten beachtet werden. Fortissimo darf nicht durch Pianissimi willkürlich ersetzt werden, auch wenn dies Herrn Vickers besser gefällt. Schade um diesen Künstler, der so viel versprach und ein Meister der Phrasierungskunst ist. In den Nebenrollen wie gewohnt, Kostas Paskalis und Ermanno Lorenzi. Wo sind die Zeiten, als Jon Vickers das Publikum in Raserei zu versetzen vermochte?

DER ROSENKAVALIER am 22. April

Diese Aufführung stand unter einem guten Stern. Zwei herrliche Frauenstimmen – Christa Ludwig als Oktavian, wunderbar bei Stimme und sehr ausgeglichen im Spiel (einige Mariandl-Szenen ausgenommen) – und Wilma Lipp, eine optisch und akustisch gleichermaßen zauberhaft schöne Sophie – bestimmten die Qualität der Aufführung. Dazu kamen noch zwei gleichartige Herren. Otto Edelmann in seiner besten Rolle, diesmal noch besser als sonst und Erich Kunz als Faninal, Herr Neureich in Person, köstlich im Wechsel zwischen eingeübter Vornehmheit und Rückfall in den Vorstadtdialekt. Hilde Zadek war gut disponiert. Anton Dermota sang eine laute, metallisch klingende Sängerarie. Die kleinen Rollen waren wie üblich besetzt. Leopold wurde von einem anderen, als dem am Programm angegebenen Herrn gespielt. Die Wiener Philharmoniker unter Heinz Wallberg spielten herrlich und das Publikum war begeistert.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 23. April

Am Ostermontag brachte man wieder Verdis Oper, unter der ausgezeichneten musikalischen Leitung des Maestro Alberto Erede, der uns in den letzten Wochen mit all seinen Abenden wirklich große Freude bereitete. So wurde ihm bereits nach dem hinreißend musizierten Vorspiel lebhafter Beifall des vollen Hauses gespendet. Auf der Bühne dominierte das Dreigestirn Antonietta Stella, die eine sehr schöne Pace-Arie sang, James McCracken, der wieder seine herrliche Metallstimme glänzen ließ und sich auch darstellerisch gut aus der Affäre zog, und Aldo Protti, der seine mächtige Stimme bestens einsetzte. Das Duett McCracken-Protti im vorletzten Bild war der Höhepunkt der Aufführung. Biserka Cvejic sang die Preziosilla sehr gut. Man bemerkt allerdings, daß in letzter Zeit ihre Stimme wesentlich heller wird. Darstellerisch vermochte sie nichts aus der Partie zu machen. Walter Kreppel konnte uns nicht ganz zufrieden stellen. Er donnert zu sehr mit seiner riesigen Baßstimme los und ist manchmal nicht intonationssicher. Neben diesen genannten Sängern fiel Annemarie Ludwig als Zofe besonders ab. Sie ist wirklich kein Gewinn für das Haus. Karl Dönch, der den Frau Melitone wie immer sang, war diesmal im Spiel einfach nicht mehr auszuhalten. Man hat das Gefühl, als spiele er alles auf die Beckmesser- oder Baculus-Art. So geht das denn doch nicht!

LA BOHEME am 24. April

Auch diese Aufführung, ausgezeichnet geleitet von Alberto Erede, hatte solides Repertoire-Niveau im guten Sinne. Zwar sagte Zampieri ab, doch wie gut, daß Waldemar Kmentt die Partie studiert hat! Sein Timbre ist zwar nicht eben poetisch, doch kann man ein Goldtimbre das in Begeisterung versetzt, eben nicht an jedem Repertoireabend erwarten. (Wenn das auch sehr schön wäre). Herr Kmentts Rodolfo ist gut gesungen, sicher, vielleicht im dritten Akt etwas zu wenig durchschlagskräftig, aber auch ansprechend gespielt. Sein „Arienkomplex" ist übrigens bei Puccini lang nicht so groß wie bei Mozart. Wilma Lipp war in hervorragender stimmlicher Verfassung und sang die Mimi sehr schön, im Forte weniger forciert als beim ersten Mal und daher umso überzeugender. In Erscheinung und Spiel ist sie auch in dieser Rolle bezaubernd wie stets. Graziella Sciutti sang ihre bisher beste Musetta. Sie verzichtete ebenfalls darauf, auf die Stimme zu drücken und sang „koloraturiger" als sonst. Ihr Marcello war neu im Hause. Robert Kerns scheint aber sehr gute Nerven zu haben, denn es schien, als ob er dazugehöre. Die Stimme des sympathischen, schlaksigen Amerikaners ist kräftig und gut geführt, nur scheint sie uns zu dramatisch zu sein für das Fach, das wir brauchen, nämlich Harlekin, Silvio, Wildschütz-Graf und ähnliches. Aber vielleicht kann Herr Kerns die beiden erst genannten Partien trotzdem singen. Ludwig Welter sang den Colline sicher und gepflegt und da auch Hans Braun einen guten Abend hatte, lag einer schönen Aufführung nichts im Wege.

DIE WALKÜRE am 25. April

Bereits der erste Akt brachte eine angenehme Überraschung. Jon Vickers als Siegmund vermochte den letzten ungünstigen Eindruck in jener Partie auszulöschen. Diesmal gab er dem ersten Akt ein Gepräge, (in dem noch Hilde Zadek die Sieglinde sehr unterschiedlich sang – bei einigen Spitzentönen fürchtete man um die Stimmbänder der Künstlerin – und Gottlob Frick, dessen herrliches Stimmtimbre einen teilweisen Ersatz für Intonationsschwierigkeiten bot, den Hunding gab). Mit Ausnahme seiner bekannt schwachen Lage (f, fis und g) ließ er seiner Stimme freien Lauf, wodurch sein Siegmund mitreißend auf das Publikum wirkte. Außerdem wirkte er auch im Spiel viel gelöster. Und über seine vorzügliche Phrasierung, die der Künstler stets in allen seinen Rollen schenkt, braucht man kein Wort zu verlieren. Hoffentlich gibt der diesmalige Erfolg dem Künstler den Auftrieb, das zu halten, was er vor zwei Jahren versprach. Wir würden uns darüber nur freuen. Der Höhepunkt der Aufführung war Hans Hotter als Wotan. Mit ihm zog endlich der wahre Beherrscher aller Götter der nordischen Mythologie ein. Mit seiner prachtvollen Erscheinung und voluminöser Stimme hielt er alles in seinem Banne. Dabei vermag er immer durch kleine Einzelheiten seine Darstellung zu bereichern, so daß man stets einen anderen Eindruck von ihm bekommt. (Beim „Durch Verträge bin ich nun Knecht" warf er mit einer Unbeherrschtheit seinen Speer zur Seite, daß die Ohnmacht seines Wollens diesmal besonders stark akzentuiert wirkte. In stimmlicher Hinsicht ist Hans Hotter der Wotan unserer Generation, wobei hinzuzufügen ist, daß aber auch die Generation vor uns, die sich nur ungern von ihren oft verklärten Lieblingen zu trennen weiß, mit uns in diesem Punkte übereinstimmt und sogar offen zugibt, daß sie einen solchen Wotan auch in den vergangenen goldenen Tagen nicht erlebt hatten. Martha Mödl als Brünnhilde hatte stimmlich ihre besten Momente in der Todesverkündigung, die ihr heute noch ausgezeichnet liegt. Ansonsten verzichtete sie auf das Singen der exponierten Töne und beschränkte sich dafür umso mehr auf das Spiel. Das Wissen um die vollständige Ausschöpfung des Textes mag vielen Wagnersängerinnen als Beispiel dienen. Ohne eine glatte Fehlbesetzung kann anscheinend keine Oper im deutschen Repertoire ablaufen! Jean Madeira als Fricka sorgte für Heiterkeitsausbrüche. Die Sängerin sollte sich, bevor sie die Partie übernimmt, doch mit dem Text, der kaum verständlich von ihren Lippen kam, auseinandersetzen. Die Stimme selbst hatte einen keifenden klang, wobei die Höhenlage ungewöhnlich schrill und brüchig war. Bei einigen exponierten Stellen ging ein Raunen der Mißbilligung durch das Haus. Heinz Wallberg am Pult dirigierte die Vorstellung mit Enthusiasmus. Er hätte noch mehr an Wirkung erzielen können, wenn ihm die Wiener Philharmoniker mehr zur Hand gegangen wären und nicht auf jeden Einsatz von ihm gewartet hätten (zweiter Akt). Im dritten Akt verriet er jedenfalls große Begabung.

DIE ZAUBERFLÖTE am 26. April

Die „Strahlen der Sonne" leuchteten zwar nicht über der Mozartaufführung, aber immerhin gab es berechtigte Hoffnungen, daß vielleicht in nächster Zeit die dunklen Wolken der Sonne Platz machen müssen. Einen Hoffnungsschimmer gab es bereits, denn diesmal gab es wenigstens einzelne sehr gute Leistungen. An erster Stelle sei Walter Berry als Papageno erwähnt, der schier mühelos die Partie sang. Schade nur, daß er sich ein wenig zu viel in den Vordergrund spielte, so daß die Naivität seiner Rollenauffassung teilweise eine Einbuße erlitt. Gundula Janowitz als Pamina erfreute durch die Natürlichkeit ihrer Darstellung und das Timbre ihrer Stimme. Gottlob Frick brauchte als Sarastro ein wenig Anlaufzeit. Bei „O Isis und Osiris" schien er nicht so eingesungen zu sein, wie bei den „Heiligen Hallen", wo seine schwarze Stimme edel durch das Haus strömte. Die reizende Papagena von Graziella Sciutti kann man einfach nicht übersehen. Ihr Charme wirkte wie ein Sonnenstrahl, den Sarastro im Schlußbild herbeizaubert. Damit sind die Pluspunkte der Aufführung aufgezählt. Die Schatten, die den Himmel verdunkelten, waren:

Wolfgang Windgassen, der gar nicht heldenhaft, nämlich höchst unvorbereitet in den Kampf zog, was seine zahlreichen verhauten Einsätze bewiesen. Nach einer mehr als schwach gesungenen Bildnisarie, die nur ganz spärlichen Beifall auslöste, schien er plötzlich vom Ehrgeiz gepackt zu werden, denn er spielte den Tamino mit Intensität und Ausdrucksvermögen, aber dadurch konnte er seine musikalische Unsicherheit nicht ganz verbergen.

Erika Mechera als Königin der Nacht blieb unprofiliert, wenngleich ihr das Koloraturgefunkel verhältnismäßig gut gelang.

Unzulänglich waren die Drei Damen Hilde Zadek, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan besetzt. Die drei Stimmen paßten gar nicht zusammen. Otto Wiener als Sprecher sorgte für Wortdeutlichkeit, die man besonders bei den drei Damen vermißte. Berislav Klobucar wirkte diesmal schwerfällig, was bei den schnellen Passagen, denen es an Spritzigkeit fehlte, auffiel. Vielleicht mußte er zuviel Zeit daran wenden, um mit Tamino im Gleichschritt zu bleiben.

DON CARLOS am 27. April

Die erste Aufführung nach der März-Premiere bescherte dem Publikum mit einer einzigen Ausnahme neue Sänger in den Hauptrollen. Diese vermochten jedoch weder den großartigen Gesamteindruck zu erreichen, noch den Publikumserfolg vergessen zu machen, obwohl die Aufführung immer noch sehr beachtliches Niveau aufwies. Herr im Reiche Philipps II. war abermals der phänomenale Großinquisitor von Hans Hotter, der mit dieser darstellerischen und gesanglichen Leistung ohne Zweifel der beste Vertreter dieser Rolle ist. Sein königlicher Gegenspieler war Paul Schöffler, der dem düsteren Monarchen diesmal eher greisenhaft weiche Züge, denn herrische Persönlichkeit lieh und somit der Zwiesprache mit Posa viel von seiner Wirkung nahm. Gesanglich konzentrierte er sich ganz auf die große Arie und wußte im übrigen seine Stimme ökonomisch einzusetzen. Giuseppe Zampieri in der Titelrolle, weder strahlender Held noch königlicher Schwächling, steigerte seine anfangs schwächere Leistung im Verlauf des Abends und wußte vor allem im Schlußbild im Zwiegespräch mit der Königin zu gefallen. Kostas Paskalis war ein rauhstimmiger Marquis Posa, wobei vor allem sein Mangel an Tiefe in dieser Partie zu Tage trat. Neu für das Wiener Publikum war Leonie Rysanek in der Rolle der Elisabeth von Valois. Sie schien sich an diesem Abend völlig auf die technische Perfektion ihrer gesanglichen Leistung zu konzentrieren (die Arie war herrlich gesungen), wodurch die Gestaltung eher kühl und distanziert wirkte, worunter die frauliche Ausstrahlung, die die Liebe des Infanten zu ihr verständlich machen sollte, litt. Christa Ludwig war von diesen Neubesetzungen die zweifellos glücklichste. Sie sah nicht nur hinreißend aus, sondern wußte auch in allen Phasen die unglückliche Liebe der Prinzessin in Gestaltung und betörend schönem Gesang zu vermitteln. Ihre große Szene fand beim Publikum das größte Echo des Abends. Die Nebenrollen waren mit Gundula Janowitz als Stimme vom Himmel sehr gut, mit Tugomir Franc als Karl V. gut, mit Erich Majkut als Lerma ausreichend und Siegfried Rudolf Frese als Herold völlig unzulänglich besetzt. Am Pult stand Alberto Erede, der eine kraftvoll zupackende Interpretation des Werkes bot. Er verstand es Bühne und Orchester sicher zu führen und nahm sich auch sehr des ausgezeichneten Chores an.

CARMEN am 28. April

unter Heinz Wallberg, mit Jean Madeira, Jon Vickers, Otto Wiener und Gerda Scheyrer wurde nicht besprochen.

LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 29. April

Musikalisch aufpoliert und daher spritzig und blitzsauber und auf der Bühne prächtig wie am ersten Tag erschien Rennerts bezauberndes Rossinimärchen zur Freude des Auditoriums wieder auf dem Spielplan. Die Gesamt- und Ensemblewirkung der Aufführung ist auf der Bühne enorm. Stimmlich gibt es, wie bei allen Ensemble-Vorstellungen, gewisse Abstufungen. An der Spitze steht Christa Ludwig. Bis jetzt konnten keine Amneris und keine Ortrud die Geschmeidigkeit und Schönheit der Stimme trüben. Hoffen wir, daß es immer so bleibt und daß Frau Ludwig es in Zukunft nicht verschmäht, solche Partien, wie die Cenerentola, zu singen, mit denen sie die Konkurrenz noch um etliche Längen schlägt. Die Grazie und Anmut, mit der sich die Künstlerin bewegt und mit der sie singt, ist wohl teilweise auf die Einwirkung des Regisseurs Günther Rennert, sicher aber auch auf den Einfluß Wiens zurückzuführen. Als Frau Ludwig als Cherubino im Redoutensaal und als Komponist in Salzburg erschien, wirkte sie noch ziemlich dragonerhaft burschikos. Die bezaubernde Frau ist sie hier geworden. Hoffentlich vergißt sie das nicht so bald im Trubel neuer Angebote. Walter Berry, mit pfiffigem Humor und voller Stimme, und Waldemar Kmentt, der offensichtlich wieder „im Kommen" ist, folgten als Nächste. Herrn Kmentt ist in der letzten Zeit erfreulicherweise eine Verbesserung der Atemtechnik und Verstärkung der Stütze in den oberen Lagen gelungen, die zu reinem, kräftigem und sicherem Singen führt. (Die exponierten Höhen des Ramiro saßen sehr sicher). Ludwig Welter hat bei der leichten Musik Rossinis gewisse Schwierigkeiten mit seiner schweren Stimme, die er aber zu meistern versteht. Karl Dönch hingegen muß wieder Mangel an Stimme und Timbre kaschieren, was er geschickt tut. Auch mit den Damen Emmy Loose und Dagmar Hermann war rein stimmlich nicht viel Staat zu machen. Da aber das Zusammenspiel aller Mitwirkenden so gut, vergnüglich und diszipliniert war, mag man darüber hinwegsehen. Unter Alberto Eredes meisterlicher Stabführung glänzte auch das Orchester, während wir den Herrenchor schon sicherer gehört haben. Umjubelter Glanzpunkt der Aufführung war Angelinas koloraturgespickte Schlußarie, die Christa Ludwigs Gesangskunst ins beste Licht setzte.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 30. April

Wagners Jugendwerk bildete auch den Abschluß des Monats und zwar in einer Aufführung, in der drei Künstler, nämlich Hotter, Windgassen und Frick die Vorstellungskraft ihrer Stimme, Persönlichkeit und des Verständnisses für Wagners Werk über den Durchschnitt erhoben. Hans Hotter insbesondere wurde durch die großartige Gestaltung des unglücklichen Verdammten, die ihresgleichen sucht, zum Mittelpunkt der Aufführung. Beklemmend wirkte sein Erscheinen und sein gewaltiger Ausbruch zum Beispiel im dritten Akt. Wolfgang Windgassen sang den Erik mit prächtiger Stimme, vollstem Einsatz und viel Konzentration. Gottlob Frick steigerte sich nach dem ersten Akt zu einer prächtigen Arie. Hilde Zadek wurde durch ihre Partner mitgerissen (gut war sie besonders im letzten Akt), nachdem ihre Ballade ziemlich farblos geraten war. Hilde Rössel-Majdan und Anton Dermota (der als Steuermann nicht mehr am Platz ist) vervollständigten das Ensemble. Ernst Märzendorfer, der eingesprungen war, schlug sicher und sauber den Takt. Er wurde von den Wiener Philharmonikern, die offenbar bestrebt waren, die dem Ansehen des Staatsopernorchesters durch die Substituten am Beginn des Monats geschlagene Scharte wieder auszuwetzen, mit schönem, philharmonischen Klang bestens unterstützt.

 

ZURÜCK