DER MAI 1962
7. Jahrgang, Heft 6
Dieser Monat war wechselvoll wie das Wetter: im Gesamtniveau, in den Dispositionen der Sänger, in der Qualität der Gäste und Einspringer. Und der volle Glanz des Hauses erstrahle ebenso selten ungetrübt wie die Sonne am Himmel. Aber wie sollte das auch anders sein im Laufe einer Spielzeit, die fast ausschließlich aus Handicaps bestand? Jene, die in Wahrheit daran Schuld tragen, sind noch immer damit beschäftigt, sich die Hände in Unschuld zu waschen. Darin allerdings entwickeln sie erstaunliche Fähigkeiten, und über die Vorgänge im Hintergrund wird „die Ruhe eines Kirchhofes" bewahrt. Dem Wiener Publikum, das sehr wohl darum weiß, steht es daher auch nicht zu, ätzende Kritik an dem Gebotenen zu üben, es ist eher geneigt zu verzeihen und sich an dem Schönen zu freuen, das wir immerhin herüber gerettet haben, den Cliquen zum Trotz. Daher nimmt auch der Merker Enttäuschungen gelassen hin, da der Ausblick in die Zukunft frei geblieben und die Hoffnung auf das kommende Jahr ungetrübt ist.
AIDA am 1. Mai
Man feierte diesen Tag in der Staatsoper an den Gestaden des Nils. Die Besetzung, mit viel Glanz großer Namen, brillierte in den Leistungen von Christa Ludwig und Aldo Protti. Die Pharaonentochter und der Äthiopierfürst waren dem übrigen Ensemble weit voraus und entfesselten mit Recht jubelnden Beifall.
Das Aida-Comeback Leonie Rysaneks stand nicht unter dem gleich hellen Stern. Konnte man vordem auch darüber diskutieren, ob ihre Aida eine Idealbesetzung bedeutet oder nicht, so blieb dabei unantastbar, daß die Leistung der Sängerin eine makellose und in sich geschlossene war. Dem ist nicht mehr so. Wohl ist es noch immer die Rysanek, die Schwierigkeiten meistert, aber zu tief gesungene Töne, ein musikalischer Ausstieg, das Fehlen des C-Pianos im Nilakt und andere kleine Mängel mehr sind nicht zu überhören. Dimiter Usunow begann mit der „Celeste Aida" zwiespältig, konnte dann aber seine Leistung steigern. Gottlob Frick war ein verläßlicher, wohlklingender Ramphis und Walter Kreppel ein würdiger Pharao. Lovro von Matacic am Pult sorgte diesmal für eine spannungsgeladene, farbenprächtige, musikalische Interpretation und einen besonders eindrucksvoll gesteigerten Triumphakt, der mit viel Beifall bedacht wurde.
LA TRAVIATA am 2. Mai
Die Ränge des Stehplatzes waren nur spärlich besetzt. Das am gleichen Abend im Fernsehen übertragene Cupfinale der Landesmeister im Fußball warf seine Schatten sogar bis in den Musentempel. Manches bekannte Gesicht von Stammbesuchern war nicht in der Oper zu finden. Hilde Güden als Violetta entschädigte die wenigen Getreuen für die nicht gesehenen Tore von Puskas und Eusebio und anderen reich. Sie sang einen ersten Akt, um den sie die italienischen Kolleginnen beneiden können. Die Stimme besitzt die dramatische Kraft und die Koloraturen saßen todsicher in ihrer unübertroffenen musikalischen Sicherheit. Der Ausdruck der Künstlerin war von der inneren Spannung erfüllt, die das Ende der Liebesaffäre vorausahnen ließ. Ihre Partner hatten es schwer, sich neben ihr zu behaupten. Giuseppe Zampieri begann als Alfredo sehr unsicher. Die Stimme klang dumpf, doch im Laufe der Vorstellung konnte er sich ein bißchen frei singen. Robert Kerns als Vater Germont legte besonderen Wert auf eine gekonnte Phrasierung. Dadurch allerdings wirkte er teilweise zu gekünstelt und in der Darstellung recht unnatürlich. Der große Ernst und Wille des Baritons hält derzeit noch nicht Schritt mit seiner Leistung. Unserer Meinung nach ist das Volumen seiner angenehm klingenden Stimme noch zu klein für die Wiener Staatsoper. Eine weitere ruhige Entwicklung würde dem Künstler mehr nützen als ein sofortiger Sprung auf eine große Bühne. Alberto Erede kämpfte unverdrossen um Bühne und Orchester auf einen Nenner zu bringen. Sein Bemühen wurde von Akt zu Akt erfolgreicher.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 3. Mai
Die Neugier mit der man an diesem Abend ins Haus ging, war allgemein groß und galt dem Wiener Debüt der Wieland’schen Sensationsentdeckung Anja Silja. (Vor drei Jahren war sie hier als Königin der Nacht zu hören!) Die Stimme der Sängerin konnte sich manchen Bedenken zum Trotz im großen Haus durchsetzen, klang viel besser als in Rundfunkübertragungen, ist jedoch im Timbre glashart und kalt. Aber eine Silja weiß zu fesseln, das kann ihr nicht abgesprochen werden. Es ist an dieser Leistung ein gewisses „Etwas", das zwar nicht durchwegs Begeisterung, aber immer Interesse abzufordern versteht. Die schauspielerische Gestaltung der Senta ist entgegen der Erwartung nicht unterspielt. Die Figur mutet eher sehr hektisch gezeichnet an. Ein paar zu tief angesetzte, doch blitzschnell auf die richtige Höhe gebrachte Töne, eine unschön geratene Kantilene und hin und wieder eine gesanglich nicht ganz einwandfrei durchgesungene Phrase lassen deutlich hören, daß die Technik der Sängerin noch eine unfertige ist. Allerdings ist die Silja erst zweiundzwanzig Jahre alt, so versicherte sie im Interview einer Zeitung. Hans Hotter war der Hollänger dieses Abends und, obwohl nicht besonders gut disponiert, wie immer der beste Interpret dieser Partie landauf, landab. Gottlob Frick lieh dem Daland den schwarzen Baß seines seltenen Stimmtimbres, Hans Beirer war ein stimmlich und darstellerisch prachtvoller Erik. Die gesamte Aufführung wäre eine recht glückliche gewesen, wenn nicht Berislav Klobucar und das Orchester einen rabenschwarzen Abend gehabt hätten. Aber, aber, wenn Dirigenten für Frau Silja auch nicht wichtig sind, wie sie lautstark behauptet, so ist die Wagnerpartitur dem Wiener Publikum doch etwas mehr, als Staffage um eine Sensationsentdeckung!
LA BOHEME am 4. Mai
Ernst Märzendorfer leitete diese Aufführung, in der noch soviel Erede vom letzten Mal drinnen steckte, daß er verhältnismäßig gut über die Runden kam. Auf der Bühne mag dieses „Verhältnismäßig" selten Geltung haben, speziell im Falle des Liebespaares. Lisa Della Casa, wieder in Wien, ist eine schöne Mimi, die sich um Grade kokett-damenhafter gibt als ihre innigeren Kolleginnen. Ihre Mimi ist eben eine echte, rechte Pariserin und à conto dessen nicht ganz so naiv wie gewohnt. Doch dies ist Auffassungssache und schadet nicht. Weit mehr schadete häufiges Distonieren und eine gewisse Steifheit der Stimme in den beiden ersten Akten. Erst im dritten fand Frau Della Casa, getragen vom vollen Orchesterklang, zu ihrer Normalform. Giuseppe Zampieri hatte an diesem Abend auf halbe Stimme geschaltet und sang kultiviert, aber etwas kurzatmig. Robert Kerns war wieder ein netter Marcello, Ludwig Welter gefiel als Colline und der vierte Mann in der Mansarde war mit Geraint Evans charaktervoll und gewichtig besetzt. Die voluminöse Stimme vermittelte die richtige Abrundung des fröhlichen und mit Herz gesegneten Quartetts. Er dürfte aber zuletzt in Aufführungen aufgetreten sein, die ganz aus der Musik heraus inszeniert waren und weniger schlampig als unsere. Daher fielen seine abgezirkelten Aktionen hier ein wenig aus dem Rahmen. Stern des Abends war Anneliese Rothenberger mit einer nicht nur wie gewohnt bezaubernd gespielten, sondern auch prächtig und sehr durchschlagskräftig gesungenen Musette.
CARMEN am 5. Mai
„Carmenzirkus" rund um Jean Madeira sind wir gewöhnt. Leider ließ sich auch Walter Berry als Torero dazu hinreißen, die Partie, die er früher auf so erfrischend naturburschenhafte Art zu bringen wußte, nun mit übertriebenen Gesten auszustatten. Das hat ein Berry auch dann nicht nötig, wenn er derzeit nicht uneingeschränkt über seine Stimmittel verfügt. Dimiter Usunow als Don José störte durch mangelndes Piano diesmal das Duett mit Micaela nicht unerheblich, söhnte aber in den nächsten Akten die Zuhörer wieder aus, ja entschädigte sie sogar mit dem prächtig durchgehaltenen Schlußduett. Würde die Verleihung von Ehrenringen hierzulande nicht so leichtfertig gehandhabt, daß ihr ethischer Wert anfechtbar erscheint, so hätte Hilde Güden an diesem Abend ein solcher gebührt. Was Wiener Opern- und Gesangskultur bedeutet, demonstrierte sie in ihrer Arie mit einer Brillanz, die das Haus zu Begeisterungsstürmen und sogar den Dirigenten selbst zum Beifall veranlaßte. Der Chor sang nun französisch, war daher aufgelockerter, doch klebte er noch arg am Text, so als müßte er sich der fremden Vokabeln entsinnen. Doch das wird sich wohl noch einfahren. Lovro von Matacic und das Orchester begannen mit viel Stimmung und spielten musikantisch.
TOSCA am 6. Mai
Karajan am. Pult, Antonietta Stella zum ersten Mal in Wien als Tosca, Tito Gobbi wieder zu Gast – für Spannung war also reichlich gesorgt. Zur allgemeinen Überraschung war der beste Sänger des Abends aber eindeutig Giuseppe Zampieri, der – vom Chef liebevoll begleitet und gesteuert – seine schwächeren Leistungen in letzter Zeit mit einem prächtig gesungenen Cavaradossi vergessen machte. Die Mittellage ist derart breit und dunkel im Timbre und (wie man beim „Vittoria" bemerken konnte) auch viel dramatischer geworden, so daß die Höhe jetzt etwas unorganisch darauf sitzt. Normalerweise hört man dies, aber bei diesem Cavaradossi wirkte die Stimme wieder sehr ausgeglichen. Antonietta Stella konnte als Tosca nur rein stimmlich gefallen. Die prächtige, dunkeltimbrierte Stimme ist geradezu geschaffen für die Rolle, wenngleich man sich etwa beim Vortrag des Gebetes mehr subtile Schattierungen gewünscht hätte. Weit ernsthafter ist aber der Einwand, daß die Persönlichkeit der Sängerin für diese Rolle nicht ausreicht. Sie beschränkte sich auf handfestes, mit Schluchzern verziertes Theater und ihre großen, konventionellen Gesten waren vom Publikum schon in der nächsten Sekunde vergessen. Überdies war sie viel zu pompös angezogen, und die Samtkostüme mit Riesenstola, Straußenfedern und bebänderte Spazierstöcke ließen den Wunsch nach unseren hauseigenen Kostümen wach werden, die ja eigentlich auch für die Stella gut genug sein dürften. Tito Gobbi ist ein eigener Fall. Er hatte bei seinem letzten Wiener Auftreten keine gute Zeit und so glaubte er offenbar, diesmal seine Stimme in voller Kraft präsentieren zu müssen, was zu Forcieren und Drücken im Übermaß führte. Überdies gingen dadurch, besonders im zweiten Akt, viele der gewohnten, hintergründig-elegant servierten Phrasen verloren. Da ja die Stimme bekanntlich nicht eben die schönste ist, konnte man bei Gobbi – im umgekehrten Verhältnis zur Stella – wenig Freude am Stimmlichen haben. Als Figur ist er natürlich überzeugend wie eh und je. Maestro Herbert von Karajan verstand es dennoch, aus der oftmals so unterschätzten Partitur jene Funken zu schlagen, die einen großen Abend garantieren.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 7. Mai
In der viel gerühmten Rennert-Inszenierung rollte ein Repertoireabend ohne besondere Höhepunkte ab. Nicht mehr ganz genau sich an die Einzelheiten des Regisseurs haltend, gaben Irmgard Seefried und Waldemar Kmentt als das bewährte Liebespaar ihr Bestes, wobei sich beide nur in den oberen Lagen der Partie schwer taten, was zuweilen forcierte Töne zur Folge hatte. Das war die einzige Einschränkung, denn ansonsten erfreuten sowohl Frau Seefried als auch Herr Kmentt durch liebenswürdige und spielfreudige Auslegung des Mariechens und des Hans. Dem geprellten Heiratsvermittler gab Ludwig Welter eine lebensechte Darstellung. Er legte die Rolle etwas trockener an als sein Premierenvorgänger, dafür aber stimmlich überzeugender. Noch ist Herr Welter nicht Herr der gesamten Skala seiner Stimme, aber seine ständige Verbesserung gibt Anlaß zu schönen Hoffnungen. Jedenfalls gehört Herr Welter zu jenen Sängern, die eine Unmenge von Partien beherrschen und somit zu den Stützen unserer Oper zählen. Peter Klein gab den Wenzel und Erich Kunz erfreute durch zeitnahe Gags das Orchester und das Publikum gleichermaßen. Schade, daß der scharfzüngige Künstler, wenn es sich um seine eigene Person handelt, weit weniger Spaß versteht. In den Nebenrollen enttäuschten diesmal Hilde Konetzni und Hilde Rössel-Majdan, die die Homogenität des Sextetts durch zu starken Stimmeinsatz störten. Berislav Klobucar am Pult hatte schöne Momente, besonders dann, wenn er die Melodien schwermütig ausschwingen lassen konnte. Weniger überzeugend war er diesmal bei den schnellen Passagen, denen es an Präzision mangelte.
DER ROSENKAVALIER am 8. Mai
scheint zu den Lieblingsopern unseres Orchesters zu zählen. Jedes einzelne Orchestermitglied war mit Herz bei der Sache, und eine schöne orchestrale Wiedergabe unter Heinrich Hollreiser war davon die Folge. In Christa Ludwig besitzt unsere Oper einen Oktavian, der nicht nur laut Libretto die Damen auf der Bühne, sondern auch das Publikum zu begeistern wußte. Man lauscht nicht allein der einmaligen, samtenen Mezzo-Stimme, sondern auch den Zwischentönen, mit denen sie die Partie ausstattet. Die Marschallin fand in Hilde Zadek eine verläßliche Vertreterin. Die Sophie sang Hilde Güden, diesmal nicht in Höchstform. Bei der Rosenüberreichung fehlten die schwebenden Piani in den höheren Lagen, was denjenigen nicht überrascht, der die Künstlerin wenige Tage zuvor als Violetta gehört hatte, wo sie durch die dramatische Auslegung des ersten Aktes das Publikum verblüffte. Otto Edelmann sang seinen bewährten Ochs, eine Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben ist. In den Nebenrollen fielen unangenehm Rudolf Knoll als Faninal und Hilde Rössel-Majdan auf, die bei der Überreichung des Briefes in der Schlußszene des zweiten Aktes die berühmte Stelle „Herr Kavalier" im Fortissimo sang, an Stelle des in der Partitur ausdrücklich vermerkten Piano. Doch im Gesamten war das Publikum mit diesem Repertoireniveau zufrieden und schenkte allen Mitwirkenden, besonders Christa Ludwig, lebhaften Beifall.
DON GIOVANNI am 9. Mai
Wie so häufig in Wien, stand auch diese Aufführung im Zeichen von Giovanni und Leporello, im besonderen Fall also von Eberhard Wächter und Geraint Evans. Der elegante Don, der immer in Spannung und immer im vollsten Einsatz ist und der schönen Stimme manchmal schon derart metallische Heldentöne abgewinnt, daß lyrische Fleißaufgaben, wie das A in der Höllenfahrt mit einigem Recht beiseite gelassen werden, fand seine vorzügliche Ergänzung in dem dunklen, kräftigen Charakterbariton Leporellos. Auch im Spiel betonte Evans natürlich nicht das komische Element, sondern gab ganz richtig eine Charakterstudie, die vom leichtfertigen, verschmitzten und leicht für neue Streiche zu gewinnenden Kammerdiener bis zu einem von der Gewalt der Ereignisse beinahe mit betroffenen Menschen führen. (Sein Aufschrei in der Komtur-Szene geht dem Hörer durch Mark und Bein). Aber ebenso leicht vergißt er wieder, nachdem ihn die Familie Masetto getröstet hat. Die Damen waren durchwegs im zweiten Akt besser. Gerda Scheyrer (Anna), die eine farblose erste und eine gute zweite Arie sang, und Lisa Della Casa (Elvira), die einem mit scharfen Höhen verzierten ersten Akt eine überlegen aufgebaute, als dramatische Szene gestaltete und ausgezeichnet gesungene große Arie folgen ließ. Auch Irmgard Seefried rettete sich mit der zweiten Zerlina-Arie, nachdem sie beim Duett mit Don Giovanni beängstigend schlecht und heiser gesungen hatte. Sie sollte sich weigern, in derartigen Rollen noch aufzutreten. Anton Dermota operierte mit halber Stimme und viel Technik und wurde dadurch mit den Schwierigkeiten der Ottavio-Arie gut fertig. Walter Kreppel (distonierend) und Kostas Paskalis (gut) vervollständigten das Ensemble. Am Pult stand Heinrich Hollreiser. Von allem, was er je in Wien dirigierte, ist der Giovanni das Ärgste. Die Zufalls-Tempi, Uneleganz und größere Schwimmfeste gestalteten den Abend so unmozartisch wie nur irgend möglich.
AIDA am 10. Mai
Diese Aida bewies aufs Neue, daß Leonie Rysanek ihre derzeitige Stimmkrise noch immer nicht überwunden hat. Das einst so sieghaft strahlende Organ klingt unausgeglichen, rauhes Forte und kaum hörbares Piano stehen ohne natürlichen Übergang kraß nebeneinander. Darunter leidet sowohl die Phrasierung als auch die Ausdrucksintensität. Intonationsschwankungen, besonders bei der Nil-Arie, trübten noch zusätzlich die Gesamtleistung der Künstlerin, die jedoch bis zum Ende bemüht war, die bestmögliche Leistung in ihrer derzeitigen Verfassung zu bieten. Bleibt uns als Urteil über die anderen Solisten nur die lapidare Feststellung: „Ausgezeichnet!" Dimiter Usunow sang, als gelte es, dem anwesenden Astronauten Gagarin zu beweisen, daß die Sterne am Wiener Opernhimmel mindestens ebenso hell leuchten wie jene im Weltall. Usunow war in einer schier unwahrscheinlichen Prachtverfassung, die sich schon bei „Celeste Aida" heraushören ließ. Ihm ebenbürtig war die Amneris von Christa Ludwig. In königlicher Würde stellte sie eine stimmlich und darstellerisch großartige Königstochter auf die Bühne. Die Stimme ist ausgesprochen schön und kultiviert, die Höhe bereitet keinerlei Schwierigkeiten, höchstens die Tiefe könnte voller sein (oder sind wir von der Simionatotiefe verwöhnt?). Aidas Vater war Tito Gobbi. Seine Stimme wirkte diesmal ungebrochen kraftvoll, ausdrucksstark und intensiv. Dennoch liegen ihm Falstaff und Jago besser, als der Äthiopierfürst. Walter Kreppel sang einen ausgesprochen schönen Ramphis; seine Gerichtsszene war eine reine Ohrenweide! Der König von Frederick Guthrie und der Bote Erich Majkuts vervollständigten das Ensemble. Über diesem, dem kraftvoll singenden Chor und den schwungvoll musizierenden Philharmonikern aber waltete die energische, sichere und zwingende Hand Herbert von Karajans, der sich bei der Lautstärke selbst die Zügel anlegte und gerade dadurch bei den zahlreichen Glanzstellen der Oper durch explosive Kraftentfaltung den Hörer vom Sitz riß.
DIE WALKÜRE am 11. Mai
Heinz Wallberg dirigierte eine durchaus gute Aufführung. Der erste Akt war noch etwas farblos, aber das wollen wir Herrn Wallberg nicht so übel nehmen. Ab dem 2. Akt war dann eine deutliche Steigerung zu bemerken, die zu schönen Teilerfolgen führte. Wenn der ganz große Bogen leider doch nicht gelang, ist das zum Teil wohl auf Besetzung und Probenmangel, sicher aber auch darauf zurückzuführen, daß GMD Wallberg momentan derart im Getriebe des Musikbetriebes steckt, daß er offenbar keine Zeit mehr hat, einmal ruhig Atem zu holen. Er müßte die Kraft finden, einiges abzubauen, um sich auf wichtige Aufgaben besser konzentrieren zu können. Anita Vaelkki von der Stockholmer Oper sang die Brünnhilde. Sie ist eine direkt rührend altmodische Erscheinung, hat ein freundliches rundes Gesicht und versucht gar nicht erst zu spielen, weil sie offenbar genau weiß, daß sie es nicht kann. Dafür hat sie eine schöne und kräftige Sopranstimme von etwas über jugendlich-dramatischem, aber nicht ganz hochdramatischem Kaliber. Die Walkürenrufe waren infolge großer Nervosität nicht ganz in Ordnung, aber später, als sie an Sicherheit und Ruhe gewann, konnte sie sich zu einer schönen und intensiven Gesangsleistung steigern. Der Gesamteindruck war ungefähr so, daß man sagen kann: nicht überwältigend, aber wenn die Nilsson nicht für einen RING zu haben ist, kann sie ihn singen – sie wird zumindest das Niveau wahren. Die allgemeine Begeisterung über Gladys Kuchta können wir nicht teilen. Zwar singt sie mit Verständnis. Ausdruck und Spiel sind gut, doch die Stimme ist gläsern und spröde. Eine stimmliche Entwicklung ist also kaum mehr zu erwarten. Hilde Rössel-Majdan wirkte neben „Gott" Otto Edelmann, der eher an einen braven Nikolaus erinnerte, direkt als Persönlichkeit. (Köstlich ist Edelmanns Reaktion auf Frickas Heranbrausen: Phonetisch geschrieben sähe es so aus: ‚Der olde Stuam, die olde Müah’!). Wolfgang Windgassen war mit großem Abstand der Wagnersänger des Abends und sang einen vorzüglichen Siegmund. Walter Kreppel wirkte als Hunding auch im Zutiefsingen bedrohlich.
LA BOHEME am 12. Mai
Durch die Erkrankung von Christa Ludwig war man gezwungen, statt der Cenerentola Puccini einzuschieben. Die Aufführung selbst war gut und entschädigte das zuerst enttäuschte Publikum. Hilde Güden begeisterte als Mimi die Zuhörer durch ihre makellose Gesangslinie und gefühlvolle Modulierung ihrer Partie. Der reizvolle Sopran der Künstlerin ist voller geworden und derzeit besonders für die italienischen Partien prädestiniert. Waldemar Kmentt bringt fürs italienische Fach keineswegs die gleichen Voraussetzungen mit, hat sich aber gegenüber seinem ersten Rodolfo sehr verbessert. Seine Phrasierung des Textes ist ausgefeilter und beweist, daß der Künstler an sich arbeitet (3. Akt). Graziella Sciutti war eine kokett aussehende Musetta, gesanglich besonders im letzten Bild von rührender Eindringlichkeit. Eberhard Wächter als Marcello bot eine untadelige Leistung, ebenso Walter Berry als Colline. Die Rollen scheinen ihnen wirklich Spaß zu bereiten. Als Schaunard fiel dagegen Harald Pröglhöf ab. Ernst Märzendorfer schlug sehr gut Takt und kam gut über die Runden. Seit er auf seine Eigenwilligkeiten verzichtet, kommt er als Repertoiredirigent besser zur Geltung!
COSÌ FAN TUTTE am 12. Mai im Redoutensaal
Der Mai ist gekommen, die Fremden ziehen ein. Der Überstundenstreik ist vorbei, also wird wieder im Redoutensaal gespielt. Wenn schon dort gespielt werden muß, dann ist die Così immer noch das geringste Übel. Der Abend stand unter einem guten Stern – trotz Indisposition von Graziella Sciutti, für die die ebenfalls indisponierte Emmy Loose als Despina routiniert einsprang. Nach der Walküre vom Vorabend brauchte Heinz Wallberg einige Anlaufzeit, doch dann leitete er die Wiener Philharmoniker leicht und beschwingt und hatte ein besonderes Auge darauf, daß die zum Teil etwas schwerfälligen Sängerkehlen ihm nicht unnötig das Tempo drosselten. Diese Gefahr war bei Ira Malaniuk gegeben, die als Dorabella ein „deutsches" Così-Tempo anzusteuern versuchte. Sie paßte sich aber schnell der Situation an. Schauspielerisch war sie ihrer „Schwester" Evelyn Lear (Fiordiligi) weit überlegen (diese kannte die komplizierte Witt-Inszenierung nicht), der aber das italienische Parlando wieder leichter über die Lippen kam. Frau Lears Stimme ist kultiviert und spricht leicht an, klingt jedoch in der Tiefe zu flach. Robert Kerns fügte sich als Guglielmo erstaunlich rasch in den Rahmen ein, mimte einen schmerzlich betrogenen Brautwerber und war stimmlich blendend disponiert, wogegen Anton Dermota als Ferrando nicht überzeugen konnte. Die unausgeglichene Gesangslinie und die zu tief angesetzten Höhen störten die Ensembles nicht unerheblich. Paul Schöffler – ein souveräner Don Alfonso – hatte an diesem Abend einmal mehr Gelegenheit, als Abendregisseur zu glänzen. Bewundernswert diskret schleuste er die hilflose Evelyn Lear durch die Tücken der Inszenierung und dirigierte Auf- und Abgänge der „Figurinen".
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 13. Mai
Diese Wagneroper liegt Heinz Wallberg ganz vorzüglich. Er hat den romantischen Schwung ebenso wie das lockere Handgelenk für die volkstümliche Melodik und bekam auch nach einer gewissen Anlaufzeit das Orchester in die Hand. Damen- und Herren-Chor waren im ersten und zweiten Akt in Ordnung, und man wollte eben denken „Der Chor ist heute wirklich gut", da ereignete sich im letzten Akt ein fürchterlicher Ausstieg, der dadurch entstanden sein mag, daß sich ein Subdirigent in der Kulisse verschlagen hat. Manchmal denkt der Hörer so bei sich, daß die gute alte Methode, bei der der Chor einfach so postiert wird, daß er den Dirigenten sieht, einiges für sich hätte. Moderne Errungenschaften wie Fernseh-Übertragungen und Dirigieren mit Taschenlampen aus der Kulisse (was man übrigens häufig vom Zuschauerraum aus sieht) werden in Wien ebenso häufig schlampig ausgeführt und bringen Chor und Orchester manchmal fast auf Nimmerwiedersehen auseinander. Anja Silja war mit 160 Sachen hereingebraust, um die Senta zu singen. Ihr ist es gegeben, in die Oper jenes „thrilling moment" hineinzubringen, das im deutschen Fach häufig so sehr abgeht. Doch was für Puccini recht, muß auch für Wanger billig (oder teuer, je nachdem) sein. Auch der Holländer braucht Künstler mit Format. Anja Silja hat es, obgleich man nach einer Rolle natürlich nicht sagen kann, ob sie nicht mit einer „Wieland’schen Masche" reist. Aber wenn es eine ist, ist es eine gute. Die Erscheinung der jungen Sängerin und eine an diesem Abend (das soll ja unterschiedlich sein) auch sehr gute stimmliche Leistung mit sicherer Höhe rundete den Eindruck auf das beste ab. Her mit der Salome! Otto Wiener in der Titelrolle hatte einen prächtigen Abend und sang mit einer Spannung, einem Einsatz und einer Konzentration, die mit Recht den Beifall des Hauses herausforderten. Walter Kreppel gestaltete mit im Timbre gut passender Stimme einen ausgezeichneten Daland, Wolfgang Windgassen, der unermüdliche, einen sehr guten Erik. Elisabeth Höngen und Karl Terkal waren in kleinen Rollen mit Erfolg tätig.
BALLETTABEND am 14. Mai
EIN MASKENBALL am 15. Mai
Wir kennen Nello Santi als ausgezeichneten Dirigenten und haben uns sehr gewundert, daß er mit dem Maskenball an der Met einhellige Verrisse einheimste. Aber jetzt wissen wir, warum. Santi dreht das Werk in einem fürchterlichen Tempo herunter, das er für dramatisch hält und das die Sänger zum Luftschnappen zwingt. Die Melodie schwingt nicht und die Ensembles hören auf zu funkeln. Natürlich bleibt Santi konsequent bei seiner mißglückten Auffassung, und alle Versuche des Ensembles, ihn zu bremsen, scheiterten. (Eine starke Hand hat er ja.) Glücklicherweise haben die drei an diesem Abend angesetzten Damen in New York ebenfalls gesungen, kannten die Tempi und brachten daher die Ensembles wenigstens sicher über die Distanz. Immerhin war die Aufführung um zehn Minuten früher aus als üblich und fast 20 Minuten früher als ein Abend unter Tullio Serafin. Leonie Rysanek ist heuer derart lobenswert dadurch, daß sie auch dann nicht absagt, wenn sie sich nicht gut fühlt, sodaß man es eben in Kauf nimmt, wenn sie sich nicht in bester Verfassung befindet. (Mit einspringenden Damen haben wir so unsere Erfahrungen.) An diesem Abend hatte sie den Aida-Tiefpunkt schon überwunden, die beiden C lagen zwar um einige Schwingungen zu tief, und manchmal peilte sie die Töne zu sehr von unten herauf an, aber sie hatte auch wieder schöne Momente. Wir möchten nur wirklich gerne wissen, wovon diese Schwankungen in der Tagesform kommen. Jean Madeira hat schon keine Schwankungen mehr, sie ist konstant gleich (schlecht). Sie ist das Musterbeispiel eines zu Grunde gerichteten prächtigen Materials. Schade darum. Anneliese Rothenberger ist ein ausgezeichneter Page mit der erforderlichen Leichtigkeit, aber auch Durchschlagskraft der Stimme und im Spiel sehr liebenswürdig. Giuseppe Zampieri sang zwar nicht ganz so prächtig wie etwa in der Tosca, bot jedoch eine gute Durchschnittsleistung. Aldo Prottis Riesenstimme war zu schwer für den schnellen Dirigenten. So hatte der Sänger an diesem Abend einige Mühe. Von den Comprimarii ist nur Ludwig Welter erwähnenswert, alle anderen gehören umbesetzt.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 16. Mai
Nello Santi bevorzugte diesmal bei der CAVALLERIA dehnende Tempi und der Chor erwies sich sehr einsatzunsicher. Daher kam es zu einigen Schwankungen zwischen ihm und dem Orchester, das nicht immer auf seine Intentionen einging. Grace Hoffman als Santuzza vermochte diesmal nicht zu überzeugen. Viele ihrer Spitzentöne wurden auf unschöne Art hinauf geschliffen. Außerdem klang die Stimme überanstrengt und zu wenig voll für diesen Part. Müde war auch Giuseppe Zampieri, dessen Mittellage zwar breiter geworden ist, aber in der Höhe an Glanz und Leuchtkraft verloren hat. Besser als sonst Kostas Paskalis als Alfio. Er versuchte diesmal nicht allein durch Stimmvolumen zu imponieren und war daher erfolgreicher als sonst. Margareta Sjöstedt blieb als Lola so blaß und farblos, daß man ihr nicht glauben könne, sie sei der Anlaß für diese blutige Auseinandersetzung gewesen.
Im BAJAZZO gab es nach einem Jahr ein Wiedersehen mit Joan Carlyle, die allerdings diesmal nicht so imponieren konnte wie bei ihrem Wiener Debüt. Sie wirkte besonders beim Vogellied aufgeregt, wodurch die Stimme etwas flackerte. Dennoch verriet die Gesamtkonzeption ihre Rollenauffassung die ungewöhnliche Begabung der jungen Engländerin. Sie zeichnete die Figur unwahrscheinlich, echt und die große Stimme, die einen gewaltigen Schuß an dramatischer Kraft besitzt, wäre ein Gewinn für unser Haus. Aldo Protti schien als Tonio nicht in bester Verfassung angetreten zu sein. Während des Prologes räusperte er sich einige Male, was er sonst nie tut und wohl eine Erklärung für seine Rauhkehligkeit gab. Dimiter Usunow war mit Feuereifer bei der Sache, dennoch zählt der Canio nicht zu seinen besten Rollen und sein Tränenausbruch nach „Vesti la giubba" wirkte übertrieben und stereotyp. Kostas Paskalis gefiel als Silvio und Ermanno Lorenzi parodierte mit Erfolg und köstlichem Humor die Art italienischer Komödieantentenöre. Nello Santi hatte mit dem Bajazzo mehr Glück als mit der Cavalleria.
DON GIOVANNI am 17. Mai
Heinrich Hollreiser hat einige Werke, die ihm verhältnismäßig gut liegen (z. B. Rosenkavalier) und einige, mit denen er aber auch rein gar nichts anzufangen weiß, darunter besonders Don Giovanni. Der Klangbrei, den er hier produziert, hat nichts mit „dramma" oder „giocoso", mit Singspiel oder Märchen, mit „opera buffa" oder „opera seria" zu tun, das ist die Misere schlechthin. Er vermied zudem um jeden Preis, die vorgeschriebenen Tempi zu bringen, obwohl diese in jeder Partitur deutlich vermerkt sind. Die Wiener Philharmoniker stellten sich mit stoischer Miene auf Hollreisers Auffassung ein und dämmerten dahin, so daß ein Cellist erschreckt auffuhr, als Leporello bei der Registerarie plötzlich auf den vorgeschobenen Souffleurkasten sprang. Bei der Bühnenmusik im zweiten Finale spielte der Flötist so jammervoll daneben, daß Unruhe im Haus aufkam. Eberhard Wächter dominierte stimmlich wieder eindeutig. Gottlob Frick gab einen düsteren Komtur. Seine dunkle Stimme orgelte machtvoll durch das Haus, konnte aber leichte Ermüdungserscheinungen gegen Schluß nicht ganz überbrücken. Anneliese Rothenberger – in der äußeren Erscheinung eine bezaubernde Zerlina – hatte nicht ihren besten Tag. Die Partie der Donna Anna bereitete Sena Jurinac sichtlich Schwierigkeiten. Da sie zudem ein wenig indisponiert schien, plagte sie sich mit den dramatischen Ausbrüchen über Gebühr. Lisa Della Casa sang eine kultivierte Elvira und war sehr auf eine einheitliche Linie bedacht. Vom Schmerz der verlassenen Geliebten war ihr allerdings nichts anzumerken. Kostas Paskalis spielte einen sehr schwerfälligen Masetto. Leider sang er auch so. Anton Dermota plagte sich wieder mit seinen beiden (besonders der letzten) Arien. Erich Kunz als Leporello outrierte so über alle Maßen, daß jeder Regisseur bei diesem Anblick einen Herzanfall bekommen könnte. Das Publikum lachte über seine Gags noch bei der Höllenfahrt Giovannis und klatsche dafür aber auch eifrig in die Registerarie hinein, Kommentar überflüssig!
ANDREA CHÉNIER am 18. Mai
Diese Oper ist in Wien kein Zugstück und der Stehplatz blieb darob halbleer. Unglücklicherweise schien auch noch irgendein Kongreß das Haus gemietet zu haben, denn die Leute waren zu vornehm um zu applaudieren. So gab es nach dem ersten Akt einen Vorhang, nach dem zweiten Akt zwei, nach dem dritten mit vieler Mühe drei und zum Schluß fünf. Dabei war die Aufführung größtenteils wirklich gut. Nello Santi dirigierte einen feurigen und mitreißenden Chénier und bewies, daß es ihm offenbar leichter fällt, ein Durchschnittswerk zu verbessern, als sich vor einem großen Werk zu beugen. Dimiter Usunow sang zum ersten Mal die Titelrolle. In dieser Oper kommt es zu einem Gutteil darauf an, daß der Sänger überzeugend ist. Wir haben uns bei sehr guten und kultivierten Sängern in dem Stück schon herzlich gelangweilt. Aber Usunow überzeugt. Er ist der feurige Dichter und der furchtlose Soldat, der mit einem strahlenden C in den Tod schreitet. Stimmlich steigerte er sich von gut (beim Improviso, das für eine schwere Stimme ungünstig placiert ist, schien er noch nicht genug eingesungen) zu hervorragend („Si, fui soldato") bis zu hinreißend (Arie im 4. Akt und Schlußduett). Letzteres sang er allerdings im Alleingang, denn Gerda Scheyrer, deren leichte Stimme kehlig klang, hatte an diesem Abend nicht viel zu bestellen. Es widerfuhr ihr wieder einmal das traurige Schicksal, zwischen zwei Riesenstimmen zerrieben zu werden. Aldo Protti verabschiedete sich mit dem Gerard, einer seiner Glanzpartien, für diese Saison von Wien, und es mag dankbar hier vermerkt werden, daß die mächtig orgelnde Stimme des treuen Ensemblemitgliedes Aldo Protti die schweren Tage in dieser Spielzeit ertragen half. Was hätten wir denn ohne ihn gemacht?
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 19. Mai
Zwischen den Proben zu Fidelio und Zauberflöte dirigierte Herbert von Karajan diese Aufführung. Wie stets zu beobachten, wenn der Chef am Pult erscheint, waren Philharmoniker, Solisten und selbst der kleinste Chorist wie verwandelt. Im Zuschauerraum herrschte knisternde Spannung, das Publikum war hellwach. Seine Interpretation ist aus einem Guß, klar gegliedert, mit zügigen Tempi und von einem klassischen Ebenmaß, das kristallklar bei jeder Phrase durchschimmert. Dieser Mozart entbehrt jeglicher falschen Süße, ist vielmehr dramatisch konturiert und von herber Strenge. Dabei bevorzugt Karajan federnde Rhythmen und liebt das Herausarbeiten einzelner Stimmen (besonders im Schlußfinale der Oper), ohne aber von der großen Linie abzuirren und sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Auf der Bühne hatte sich ein erlesenen Mozartensemble versammelt, das festspielreife Leistungen bot. Geraint Evans spielte einen sehr dramatischen, aufsässigen Figaro und vermochte dies auch stimmlich zum Ausdruck zu bringen: stets schwang ein gefährlicher, an die revolutionäre Vorlage gemahnender Unterton in seiner Stimme mit. Eine herrliche Leistung bot Hilde Güden als Susanne. Zwar ist sie eher Vertraute als Untergebene ihrer Herrin und auf die Hochzeit mit „ihrem" Figaro nicht so besonders versessen, aber ihre technisch wohlfundierte Stimme ist stets von schlackenloser Reinheit; dazu phrasierte und intonierte Frau Güden so wohltuend richtig und sauber, daß es ein Genuß war, ihr zuzuhören. Lisa Della Casa hatte es an diesem Abend schwer, neben dieser Leistung zu bestehen, war aber dennoch eine sehr gute Gräfin. Geschickt wölbte sie die leicht scharfen Spitzentöne nach innen zurück und zog ihnen so den „Giftzahn". Allerdings ist es uns unverständlich, warum sie immer noch den Ehrgeiz hat, die jüngste Gräfin der Welt zu sein. Eberhard Wächter bleibt weiterhin der ideale Graf: diese Figur trägt sehr profilierte Züge, drängt sich aber nie unangenehm in den Vordergrund. Stimmlich war Wächter ganz „da". Sena Jurinac war ein reifer, bezaubernder Cherubino. Die beiden Canzonetten wurden mustergültig gesungen. In den Nebenrollen waren zu verbuchen: Ludwig Welter, Hilde Rössel-Majdan und Paul Kuen, der in den Ensembles unnötig stark auf die Stimme drückte und ein schauriges italienisches Parlando hören ließ.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 20. Mai
Statt der abgesagten Meistersinger (sind die an der Scala anläßlich des Wiener Gastspieles ruinierten Kulissen irreparabel?) stand abermals Holländer auf dem Programm. Ernst Märzendorfer wiederholte seinen guten Eindruck als Dirigent dieses Werkes. Er bevorzugte rasche Tempi und folgte bereitwilligst dem Takt, den Hans Hotter in der Titelrolle angab. Hotter faszinierte dank seiner großen Persönlichkeit und der souveränen Bewältigung der schwierigen Partie. Seinen gesanglichen Höhepunkt erreichte er im zweiten Akt im Duett mit Senta, wo er vollendet war, während wir den ersten und dritten Akt von ihm selbst schon besser gehört haben. Maria van Dongen als Gast erwies sich nicht als Zierde im Sopranfach. Es ist nicht leicht, neben einem Phänomen wie Hotter auf der Bühne zu stehen. Die Sängerin müßte ihre Höhenlage, in der die Stimme schrill klingt, verbessern. Man mußte überdies feststellen, daß das Volumen der an und für sich nicht unangenehmen Stimme für das Wiener Haus zu klein ist und Frau Dongen mangelhaft intonierte. Gerhard Unger sang das Steuermannslied sehr gut. Er wäre in seinem Fache ein großer Gewinn für die kommende Saison an unserem Haus! Wolfgang Windgassen bestätigte als Erik seine ausgezeichnete Form, die ihn nicht umsonst zum ersten Heldentenor unserer Tage stempelt. Kurt Böhmes mangelhafte Höhe trat kraß zutage. Der Jubel konzentrierte sich auf Hans Hotter, dessen Holländer stets von neuem fesselt und der gerade in dieser Partie als Inkarnation gilt.
DON CARLOS am 21. Mai
Der Carlos ist ein gutes Probestück für Dirigenten. Wer dieses Stück halbwegs meistert, kann etwas. Nino Verchi, bis dato hier unbekannt, stellte sich vor und erwies sich als versierter und sicherer Kapellmeister. Leonie Rysanek sang eine hervorragende Königin. Die Müdigkeit schien offenbar überwunden. Sie war wieder „da". Grace Hoffman hingegen, die Frau mit der strahlenden Höhe, starb als Eboli den Heldentod. Schon das maurische Lied glückte nicht ganz. Die Höhen kamen scharf. Die Stimme war zu unbeweglich. Dachte man, dies sei eine Folge des Wager-Singens und die dramatische Arie würde besser gelingen, sah man sich getäuscht, denn nach einem ausdrucksvoll gesungenen Legatoteil ging der exponierte Schluß der Eboli-Arie völlig daneben. Ausgezeichnet sang und spielte Giuseppe Zampieri den Carlos. Er ist in letzter Zeit plötzlich und ganz unbemerkt ein vorzüglicher Vertreter dieser Partie geworden. Wachablöse im Baritonfach: Ettore Bastianini ist wieder im Lande und präsentierte sich als romantisch aussehender Posa, in dieser Rolle wie immer mehr als treuer Freund denn als Politiker überzeugend. Sehr schön war das Duett mit Carlos im ersten Akt gesungen. Mit den großen Legatobogen der Szene mit dem König folgten gewisse Schwierigkeiten. Diese waren aber bei Posas Abschied und Tod wieder verschwunden. Da erklang die Samtstimme in gewohnter Schönheit. Walter Kreppel, ein in Erscheinung überzeugender Philipp, der zu viel auf die Stimme drückte, Nicola Zaccaria, der ausgesprochen schwach singender Großinquisitor (allerdings war er eingesprungen), sowie Tugomir Franc waren die Bässe des Abends, denen die beherrschenden Bühnenpersönlichkeiten leider fehlten.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 22. Mai
war eine geschlossene Aufführung anläßlich des Wien-Aufenthaltes der holländischen Königsfamilie in der Besetzung: Heinz Wallberg, Anneliese Rothenberger, Renate Holm, Anton Dermota, Murray Dickie und Gottlob Frick.
RIGOLETTO am 23. Mai
Diese Aufführung interessierte vor allem Ettore Bastianinis wegen, dem die Titelrolle anvertraut war. Der Künstler, ein unbestrittener Liebling des Wiener Opernpublikums, in letzter Zeit von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht, wirkte zuerst sehr nervös, was sich in unreiner Intonation äußerte. Die Stimme selbst besitzt weiterhin das gewisse Timbre, das manche Schwierigkeiten vergessen läßt, ist aber unserer Meinung nach etwas kleiner an Volumen geworden. Sollten wir uns darin täuschen, würden wir uns darüber umso mehr freuen. Dennoch sorgte Herr Bastianini für eine angenehme Überraschung. Noch selten hat er uns so durch die Gestaltung und Phrasierung beeindruckt. Es stand ein Mensch auf der Bühne, der sein Herz sprechen ließ, und darin bestand der Erfolg des Künstlers an diesem Abend. Den größten Beifall allerdings hatte Hilde Güden als Gilda zu verzeichnen. Mehr und mehr gewinnt die Stimme an dramatischer Ausdruckskraft und wohl kaum besser hatte man das „Caro nome" in der Wiener Oper seit der Wiedereröffnung des Hauses gehört. Welche Spannkraft lag in dem Duett des dritten Aktes mit Rigoletto. Giuseppe Zampieri als Herzog war weitaus besser als sonst. Seinen Höhepunkt erreichte er ebenfalls im 3. Akt, wo er ein herrliches „Ella mi fu rapita!" hören ließ. So sollte er immer singen! Die Nebenrollenträger bereiteten dem Publikum weniger Freude und darum wollen wir sie auch nicht erwähnen. Nino Verchi, der etwas unauffällig wirkte, aber dennoch sehr auf Ordnung sah, stand am Pult. Er hielt das Orchester zu Gunsten der Sänger zurück und ließ es nur dort anschwellen, wo es am Platze war. Eine unauffällige, dafür in der Gesamtheit umso mehr wirkende Leistung eines Gastdirigenten, der dem Werke diente und nicht sich selbst!
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 24. Mai
In dieser Oper hatte das Wiener Ensemble Gelegenheit, sein Zusammenspiel einem internationalen Publikum zu zeigen. In diesem Werk kommt es ja gar nicht so sehr auf das stimmliche Vermögen an. Den größten Erfolg hatte Elisabeth Höngen zu verzeichnen, die eine faszinierende schauspielerische Leistung bot. Aber auch alle anderen Mitwirkenden (voran Anneliese Rothenberger und Irmgard Seefried, gut assistiert von Hilde Zadek und Christl Goltz) gaben ihr Bestes. Heinrich Hollreiser betreute die musikalische Untermalung. Daß dieses Werk wenig Publikumsecho hervorruft, ist bekannt, aber dennoch soll es von Zeit zu Zeit am Spielplan stehen, denn es gibt zahlreichen verdienten Ensemblemitgliedern die Möglichkeit, auf den Brettern des Opernhauses zu stehen, dem sie jahre- (sogar jahrzehnte)-lang treu ergeben gedient haben.
FIDELIO am 25. Mai, Neuinszenierung
Seit seinem dramatischen Knalleffekt – er nahm seinen Hut und ging – hat Herbert von Karajan in Wien ein verhältnismäßig ruhiges Leben. Die Presse, die letztlich von Angst vor der Bürokratie gepeinigt wurde, kann jetzt nicht gleich wieder auf die Niederwalz-Taktik umschalten. Und wenn manche Kritiker noch immer boshaft sind und alles verreißen, was Karajan tut, so hat das meistens seinen Grund darin, daß sie einfach zu vergreist sind, um im Opernleben anno 1962 mitreden zu können, oder aber sie verzeihen es Karajan nicht, daß er aus Salzburg ist und nicht aus Graz („Wiener Kurier"). Wer nicht in Graz zumindest engagiert war, wird verrissen. (Es muß sich um einen tief eingewurzelten Komplex handeln!) Diese Störversuche kann man mit Heiterkeit übergehen. Immerhin gibt es auch noch andere Stimmen, auch solche von Dirigenten-Kollegen, die das gute alte „Ensemble" der Kriegs- und Nachkriegsjahre fröhliche Urständ feiern lassen, wann immer sich Gelegenheit zu bieten scheint und den Star-Kult verdammen bis in Dantes unterste Hölle.
Wenn nun Herbert von Karajan die dringend nötige Fidelio-Neuinszenierung nicht mit Stars (die sind bei dieser Oper übrigens rar!), sondern mit fast durchwegs jungen, aber arrivierten und im Besitz beträchtlicher stimmlicher Mittel befindlicher Sänger besetzt, herrscht nun plötzlich Enttäuschung. Wir kennen nicht wenige Leute, die am Tage nach der Fidelio-Premiere in den Don Carlos gingen und dort jauchzten „Hoch und lang lebe die Star-Oper". Aber das Publikum unterscheidet sich in seiner Meinung fast immer von der Kritik. Wieso war denn diese Kritik plötzlich vom Ensemble enttäuscht?
Ein Ensemble in den guten alten Kriegs- und Nachkriegstagen hatte das besondere Kennzeichen, daß viele Sänger immer alles sangen. Die durchschnittlichen Sänger nämlich. Denn die Stars des Theaters an der Wien haben doch immer fast nur Mozart gesungen, gelegentlich ein wenig Strauss. Wenn große Künstler dadurch begnadet sind, daß sie sich in allen Fächern gleich zu Hause fühlen, wie es etwa eine Welitsch und ein Schöffler taten, eine Güden und Jurinac tun, ein Hotter und Wächter ebenfalls, so ist damit nicht gesagt, daß es alle Künstler können müssen. Christa Ludwig und Walter Berry haben nicht nur in Wien, sondern auch auswärts große Erfolge gefeiert, sie sind in manchen Rollen unschlagbar oder schwer zu erreichen und sie weilen nur mehr drei Monate pro Saison in Wien, „weil der Prophet im eigenen Vaterland nichts gilt". Und sie müssen deshalb nach Berlin gehen, weil man ihnen dort mehr Chancen gibt. So haben alle Blätter fast übereinstimmend vor Jahresfrist geschrieben. Sie wußten von ungeheuren Erfolgen des Wiener Künstlerpaares zu berichten (im Falle Amonasro haben wir dies ohnehin nie ganz geglaubt), und jede Erfolgsmeldung wurde hämisch in der „Na, jetzt hammas wieder"-Tonart kommentiert. Jetzt haben sie die Chance im eigenen Vaterland gehabt und konnten sie nicht zur Gänze nützen. Und Siegesmeldungen aus Berlin werden sicherlich jetzt auch von der Presse mit größerer Vorsicht aufgenommen werden. Christa Ludwig und besonders Walter Berry brauchen aber deshalb nicht traurig zu sein, weil sie teilweise von den gleichen Kritikern sehr hart zerzaust wurden, denn so übel waren sie gar nicht.
Christa Ludwig bestätigte die Erfahrung, daß man aus der Mezzolage heraus viel leichter ein strahlendes C singen kann, als ein halbwegs solides H nach einem halben Akt Sopransingens. Alle Fidelio-Sängerinnen haben diese Beobachtung machen müssen. Und Frau Ludwig, deren Technik gewiß überdurchschnittlich ist, zeigte wieder auf, wie unsingbar Beethoven die Partie angelegt hat. Er fordert eine lyrische Höhe, den breiten Atem der Hochdramatischen und die Mittellage eines Mezzos. Er fordert weiters das Gefühl eines Engels und die Nuancierungsfähigkeiten einer scharfen Charakterschauspielerin, die Figur eines Knaben und das Herz einer Frau. Es gibt sicher viele Opernbesucher, die sich all das von Frau Ludwig erwartet haben. Wir gehörten eigentlich nie dazu, denn wir haben schon viel zuviel gehört und haben es verlernten, an Wunder zu glauben. Immerhin hat sie die Rolle zu formen gewußt. Da sie erkannt hat, daß es am besten ist, gar nichts zu machen, tat sie auch nichts. Ihre Ausstrahlung war aber nicht groß genug, um mehr als bloß zu interessieren. Aber Leonore sollte, wenn man es romantisch ausdrückt, „rühren", wenn man im Zeitungsdeutsch bleiben will „an die Nieren gehen". Es gibt einige Künstlerinnen, die dies fertig bringen, die aber haben wieder stimmliche Mängel. Stimmlich war Frau Ludwig sehr sicher, und man hatte gar nicht den Eindruck, sie strenge sich besonders an. Nach einem schön und ausdrucksvoll gesungenen langsamen Teil der Arie bekam sie nur mit den H Schwierigkeiten, die sie zwar hatte, die aber nicht so schön abgerundet klangen, wie man ihre Höhe sonst kennt. Nach der gefürchteten Arie konnte sie sich sehr steigern und hatte ihre besten Momente in der sehr intensiv gesungenen Kerkerszene. Wir glauben überdies, daß Frau Ludwig nie eine richtige Hochdramatische werden wird, weil ihr die ruhige und pastose Mittellage fehlt, die früher in diesen Fach unerläßlich war. Daß sie das Fach trotzdem singen wird, dürfte leider nicht zu verhindern sein, dazu ist die Nachfrage zu groß. Wir können es aber nicht wirklich verstehen. Die Ludwig hat doch noch die interessanten Wagner-Mezzo-Rollen bis zur Ortrud noch vor sich. Es ist natürlich müßig, einem Sänger Ratschläge zu geben, aber wir hoffen, daß sich Christa Ludwig die hochdramatische Angelegenheit doch noch etwas überlegt.
Walter Berry bekam harte Bandagen seitens der Kritik zu spüren, und wir sind hoffentlich jetzt von der üblen Nachrede befreit, die eigenen Künstler zu mißachten und „nur für die Italiener" zu sein. Stimmlich war Herr Berry ausgezeichnet, die Arie hatte genügend Kraft, die Szene mit Rocco sogar eine sehr überlegte und intelligente Phrasierung, die Ensembles waren sicher gesungen. Darstellerisch ist er natürlich nicht imstande, Pizarro als ein Prinzip des Bösen zu spielen, wie Hotter oder Uhde. Er hätte sich aber immerhin damit begnügen können, den Pizarro als schlechten Menschen zu spielen, wie Schöffler dies so vollendet tat. Karajan ist natürlich kein Schauspielregisseur und einem Sänger eine Auffassung einzutrichtern, wie dies einem Rennert, Felsenstein oder Wieland Wagner gelingen mag, ist nicht seine Angelegenheit. Wenn Walter Berry jedoch versucht, mit Nasenkitt, Augenschatten in allen Farben und zehn Zentimeter Schminke einen teuflischen Eindruck zu erwecken, ist er natürlich auf dem Holzweg. Er hat nun einmal ein gutmütiges Gesicht, und keine Schminke kann daran etwas ändern.
Gundula Janowitz hatte als Marzelline ihre erste größere Premiere in Wien und naturgemäß mehr unter Nervosität zu leiden, als selbst bei ihren couragierten Rollendebüts. Auszusetzen ist, daß ihre Stimme, die ja ein dunkles Timbre hat, mit der von Frau Ludwig zu wenig kontrastiert, aber dafür kann sie nichts. Daß die Stimme, wenn sie „aufdreht", tragfähiger ist als die der Ludwig, scheint uns der Erwähnung wert. Und da sie auch auf der Bühne natürlich und mädchenhaft wirkte, scheint es nicht ganz verständlich, daß ihr die Direktion sonst fast nur zeitraubend zu studierende „Bäume" wie das Echo gibt, statt ihre große Rollen, speziell bei Strauss, zu geben, die ohnedies immer unterbesetzt sind. Hoffentlich ändert sich das in Zukunft. Rocco und Jacquino waren mit Walter Kreppel und Waldemar Kmentt richtig und gut besetzt. Sie waren sowohl im Gesang, als auch in der Darstellung voll am Platz. Eberhard Wächter ist ein Minister vom Scheitel bis zur Sohle und singt seine menschlichen Worte sehr vornehm und nobel. Daß ein dunkleres Timbre in dieser Rolle besser am Platz wäre, ist nicht unbekannt, aber einen guten Baß-Minister gibt es unseres Wissens nicht. Der erste Gefangene war mit Kostas Paskalis endlich einmal gut besetzt, Ljubomir Pantscheff gab dem zweiten Gefangenen seine dunkle Stimme.
Aus diesem jungen, kämpfenden, ringenden und sich sehr bemühenden Ensemble fiel leider Jon Vickers als Florestan ungebührlich heraus. Daß das Stammpublikum auf eine Reihe durch ihn verpatzter Abende in dieser Saison sauer reagierte und ihn mit Mißfallensäußerungen bedachte, ist zwar nicht nobel und auch eigentlich ganz und gar unwienerisch, aber leider nicht unberechtigt. Seine Stimme gleicht derzeit einem dünnen Bächlein, in dem die letzte Eiszeit riesige erratische Blöcke zurückgelassen hat. Es ist eine Nervenprobe sondergleichen, die Florestan-Arie in einer solchen Stimmverfassung zu singen und auch anzuhören. Aber es war ja nicht anders zu erwarten. Vickers hat mit dem Markieren italienischer Partien seinem Material derart geschadet, daß er in eine ernste Stimmkrise geschlittert ist. Man kann nur hoffen, daß dieser Künstler auch wieder aus ihr herausfindet. Wenn wir ihn nicht selbst und mit eigenen Augen und Ohren als ganz hervorragenden Florestan, nämlich auch darstellerisch, erlebt hätten, würden wir nicht glauben, was wir da sahen und hörten. Er spielte nicht einen zermürbten, durch etliche Gehirnwäschen gegangenen Gefangenen, wie es Karajan vorschwebte, sondern einen hysterischen Insassen eines Sanatoriums. Nicht Beethoven, sondern Tenesse Williams. Das ging wohl etwas zu weit.
Was die diversen Schwierigkeiten mit den Sängern nicht beeinträchtigen konnte, war eine prachtvolle Inszenierung, in der Herbert von Karajan wieder bewies, wie völlig zu Recht er selbst Regie führt. Er hat das Stück jetzt schon zum dritten Mal gemacht, und man sieht daraus, daß Regieführen auch eine Routinesache ist. Günther Schneider-Siemssen baute ihm prächtige Bühnenbilder: riesige vergitterte Gefängnishöfe und einen drückenden, lastenden Kerker. Charlotte Flemming entwarf die Kostüme dazu: Es waren dumpffarbige KZ-Gewänder für die Gefangenen, die ein grau uniformiertes Heer mit geschorenen Köpfen darstellten. Die wenigen freundlicheren Kostüme – die der Familie Rocco und des Zusatzchores – waren in kühnen Kombinationen von Blau und Grün gehalten. Karajan ist gelungen, was selten einem Regisseur gelingt: Er spannte den Bogen vom kleinbürgerlichen Beginn zum hymnischen Schluß, vom Singspiel zum Oratorium. Die erste Szene spielt in einem kleinen, düsteren, engen Hof, die bürgerliche Enge bestens charakterisierend, der Auftritt der Gefangenen hat eine sehr dichte Stimmung. Daß die Wachen während des Gefangenen-Chores vorne vorbeimarschieren, finden wir nicht unlogisch, denn ganz alleine werden Jacquino und Fidelio fünfzig Gefangene doch nicht gelassen haben. Daß sie später die Gefangenen zusammentreiben, erfolgt dann auf Befehl Pizarros, der Rocco ja immerhin übergeordnet ist. Daraus einen Regiefehler zu konstruieren, wie man es in Zeitungen lesen konnte, ist daher falsch. Daß Karajan seine Beleuchtungskünste spielen ließ, war vorauszusehen. Sie sind auch hoher Ehre wert. Leider bergen sie den Keim zur Verschlampung in sich, denn der gezielte Scheinwerferkegel nützt nichts, wenn ein gastierender Sänger zehn Meter weit weg steht. Aber es besteht ja nun begründete Hoffnung, daß das kostbare Werk nun nicht mehr als letzter Notnagel im deutschen Fach todgeradelt wird, worüber im Merker schon soviel geschrieben wurde! Vollends überwältigend war das Schlußbild. Die Gefangenen stehen an den düsteren Mauern, der Minister hat einen Auftritt, der nur mit Elsas Gang zum Münster in Bayreuth zu vergleichen ist, und die jubelnde Aufhellung des Schlußbildes bringt erst der Zusatzchor ab „Wer ein solches Weib errungen".
Musikalisch war die Aufführung „gebaut", wie Herbert von Karajan es noch nie in Wien erreicht hatte. Dafür fehlte aber der erregende Moment, wenn er wie ein Tiger eine verschlampte Repertoireaufführung anspringt und aus totem Stein Funken schlägt. Die Funken fehlten diesmal. Es war ein anfangs mildes, später aufstrahlendes Sonnenlicht, durch eine schwarze Wolke (Vickers) getrübt. Der Beifall, in den sich die Zischer für Herrn Vickers mischten, war übrigens sehr stark und bewies, daß das Publikum die Bedeutung und Wichtigkeit des Anlasses verstanden hatte.
DON CARLOS am 26. Mai als Festwocheneröffnung
Die Festwocheneröffnung mit Don Carlos hing an einem Haar. Als die Operndirektion die plötzliche Erkrankung von Giuseppe Zampieri hinnehmen mußte, war man vor die Alternative gestellt, entweder auf kürzestem Wege einen italienisch singenden Titelhelden nach Wien zu bringen oder ein anderes Werk zu spielen. Nachmittags wollte man bereits die Butterfly mit Ermanno Lorenzi und Kostas Paskalis (wahrlich kein Ersatz für diesen Don Carlos in der vorgesehenen Prachtbesetzung und schon gar nicht geeignet für die Festwocheneröffnung!) ansetzen, aber schließlich ging nach einem spannenden Hürdenrennen der Vorhang in der Staatsoper dennoch, wenn auch mit fünfzehn Minuten Verspätung hoch und der Abend wurde zu einem Fest der schönen Stimmen. Der Einspringer war der hier unbekannte Tenor: Alfonso Lamorena, der mit einer Chartermaschine aus Neapel buchstäblich vom Mittagessen weggeholt wurde und nach bangen Stunden endlich in Wien am Flugplatz landete, von wo aus er sich dann noch im Anmarsch auf die Staatsoper befand, als das Haus bereits bis zum letzten Platz gefüllt war. Eine anfängliche Nervosität konnte der Sänger dank der kollegialen Führung all seiner Kollegen bald ablegen und bot eine gute gesangliche Leistung, die weit mehr bedeutete als nur die Rettung der Vorstellung. Wenn man bedenkt, daß der Sänger die Partie des Don Carlos (der er außerdem fast schon entwachsen ist) seit einem halben Jahr nicht mehr gesungen hat, muß man dem mutigen Debütanten aufrichtig danken. Wir hoffen, daß er dem Wiener Publikum einmal ohne einzuspringen, vorgestellt wird. Prachtvoll waren alle übrigen Mitwirkenden, die ein Ensemble der schönen Stimmen bildeten und alle den lauten und echten Beifall der Besucher erringen konnten: Boris Christoff, Sena Jurinac, Biserka Cvejic, Ettore Bastianini, Hans Hotter und Frederick Guthrie. Am Pult stand wieder Nino Verchi, der den Abend sicher leitete, ohne jedoch hinzureißen.
TURANDOT am 27. Mai
Gerade im letzten Moment hat sich Dimiter Usunow in dieser Saison nach dem Chénier mit dem Kalaf eine zweite Paraderolle erarbeitet. Man kann mit ruhigem Gewissen sagen, daß der Sänger seit seinem sensationellen Debüt als Radames oder abgesehen von zwei oder drei Othelli bisher in Wien kaum einen ähnlich guten Abend hatte! Der Kalaf liegt ihm stimmlich ungemein. Er hat mit seinen ersten Forte-Phrasen genügend Zeit zum Einsingen. Durch die farbige Instrumentation wird die Stimme sofort zur vollen Entfaltung gebracht und schwingt sich prächtig über das Orchester. Von dem leichten Tremolo der Mittellage war an diesem Abend nichts zu merken, die Stimme klang so schön wie selten. Die Spitzentöne knallten nur so (er legte sich in der Rätselszene sogar das berühmte C ein!), und die beiden Arien waren hinreißend gesungen. Dazu kommt noch die ihm eigene Intensität im Spiel, seine gute Phrasierung, Stilgefühl und ein ganz natürliches Talent zum Finden von Höhepunkten. Bemerkenswert ist auch, daß man es gar nicht merkt, wenn Usunow zum ersten Mal in einer Partie auf der Bühne steht. Er ist so sicher, als hätte er sie schon fünfzig mal gesungen. Nach diesem Kalaf zu bestehen, werden viele Tenorkollegen sehr schwierig finden. Nach dem Loblied auf den Tenor folgt das Loblied auf Liu. Hilde Güden sang sie einmalig schön, technisch hundertprozentig sicher, sehr innig, sehr auf Linie. Ihre Schwelltöne (Der Schluß von „Signore ascolta"!) waren geradezu ein Genuß. Dazu gesellte sich Amy Shuard als sehr gute Turandot. Sie erreichte zwar nicht ganz die Form ihres Debüts, sang im zweiten und dritten Akt je einmal zu tief und mußte sich zeitweise plagen. Aber sofort, wenn sie die Möglichkeit hatte zu singen ohne auf die Stimme hauen zu müssen, merkte man, wie sicher und schön sie die Gesangslinie formt. Dazu der wiedergekehrte Francesco Molinari-Pradelli am Pult, der das Orchester zu wilden Schlägen aufpeitschte oder subtil im Mondenglanz schimmern ließ und auch den Chor wieder auf Vordermann brachte, nachdem dieser im „Messerschleif"-Chor tüchtig durcheinander geraten war. Was ist der Schwanengesang des so viel geschmähten Puccini doch für ein herrliches Werk! An seinen Instrumentationseffekten kann man sich nicht satt hören. Timurs Abschied wurde von Frederick Guthrie vorzüglich gesungen. Diese Partie ist überhaupt seine beste. Die Minister (Kostas Paskalis, Ermanno Lorenzi und Erich Majkut) konnten sich nicht sehr mit Ruhm bedecken.
TOSCA am 28. Mai
Die Festwochen sind gekommen, und auf den Programmen prangen wieder die Namen großer Sänger. Trotzdem bedeutete dieser Abend nur besseren Repertoiredurchschnitt. Was war schuld? Da Herr Zampieri absagte, sprang Dimiter Usunow für ihn ein, obwohl er am Vortag den Kalaf gesungen hatte. Nach einem schwachen Anfang – die erste Arie war ein Musterbeispiel dafür, wie man nicht singen soll und darf – steigerte er seine Leistung im zweiten Akt wesentlich und krönte sie mit einem prächtigen „Vittoria". Damit war der Bann gebrochen. Es folgte ein ausgezeichneter dritter Akt. Cavaradossis große Arie, tief empfunden und prachtvoll gesungen, riß das Haus zu Begeisterungsstürmen hin. Wenn man noch bedenkt, daß Usunow am Vortag eine so anspruchsvolle Partie wie den Kalaf gesungen hat, muß seine Leistung umso höher eingeschätzt werden. Leonie Rysanek in der Titelrolle hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Sie verlor sich zu sehr in Einzelheiten, worunter die große Linie der Darstellung leidet. Einzelne schön gesungene Phrasen und Töne genügen eben für eine Tosca nicht. Trotz gewisser technischer Finessen blieb man letzten Endes unbefriedigt, da die Gesamtleistung nicht geschlossen und daher nicht überzeugend wirkte. Bezeichnend die Reaktion des Publikums nach dem Gebet, obwohl gerade der Schluß großartig phrasiert und eindrucksvoll auf Piano angelegt war. Walter Berry hat den Scarpia zweifellos fleißig und sorgfältig einstudiert. Er singt ihn sehr ausdrucksvoll, obwohl es nicht zu überhören ist, daß seine schöne Stimme für diese Rolle nicht paßt. Wien ist allerdings für einen Scarpia kein leichter Boden, denn große Vorbilder wie Hotter und Gobbi bedeuten ein arges Handicap. Berrys Scarpia wirkte viel zu sympathisch. Gegen die Lautstärke des Orchesters kämpfte er tapfer. Der Dirigent der Aufführung Nino Verchi bot eine passable Leistung, behielt die musikalische Leitung straff in der Hand, setzte aber stellenweise die Effekte zu grell und zu laut. Die Sänger hatten es daher nicht immer leicht, wenn sie gegen die Orchesterfluten aufkommen wollten. In den Nebenrollen wurden die üblichen Leistungen geboten; wohltuend der menschliche Mesner von Ludwig Welter. Man sieht, es geht auch ohne skurrile Verzeichnungen.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 29. Mai
Eine ursprünglich hochinteressante Aufführung wurde durch mannigfache Umbesetzungen zu einer solchen, deren Papierform mehr versprach, als sie hielt. Frau Rysanek, die am vorhergehenden Abend statt Frau Nilsson die Tosca übernahm, wurde durch die verläßliche und solide Gerda Scheyrer ersetzt, die zwar in den dramatischen Passagen einige Mühe hat, aber ihr schönes Piano in der Einkleidungsszene wirkungsvoll einsetzen kann. Böser sah es beim Tenor aus. Statt Herrn McCracken gab Pier Miranda Ferraro, der schon einmal als Radames einen recht guten Eindruck hinterlassen hat, den Alvaro. Diesmal jedoch sang er mit dem puren Rohmaterial, was dazu führte, daß man um jede Phrase bangen mußte. Was heißt Phrase: er sang gar keine, sondern einzelne Töne, die jeder für sich in der Höhe gar nicht so übel gewesen wären. Da er auch noch immer am Dirigenten hing, war von Gestaltung überhaupt keine Rede. Dafür wurde man von Boris Christoff entschädigt. Dieser Sänger ist eine derartige Persönlichkeit, daß man sein Auftreten immer schon mit Spannung erwartet. Er enttäuschte auch diesmal die Hörer nicht und erschien nicht als biederer Priester. Nicht ohne Grund hatte er die Maske des zornigen alten Mannes angelegt, denn er spielte nicht milde und väterlich, sondern amtierte als strenger, drohender Kirchenfürst seines Amtes. Die Verbannung der Leonore in die Klausur wurde so zur Strafe, nicht zum Asyl. Auch im Gespräch mit Melitone ist er härter und unnahbarer. Erst in der Schlußszene findet er zu Phrasen milder Tröstung. Man sieht, daß ein Künstler auch einer papierenen Rolle Leben und eine Entwicklung geben kann. Die zweite interessante Besetzung war Christa Ludwig als Preziosilla. Im Schenkenbild war sie ganz hervorragend, drastisch, lustig. Sie sang virtuos und knallig, wie es sich in dieser Partie gehört. Der Rataplan fiel danach stark ab. Sie wirkte irgendwie gehemmt und verkrampft und kam über guten Durchschnitt nicht hinaus, was doch sonst nicht ihre Sache ist. Vielleicht befiel sie der Komplex der intelligenten deutschen Sängerin: „Was soll ich tun, wie soll ich das spielen?!" Wir haben den Eindruck, daß man da gar nicht zu denken anfangen darf. Hinauf auf die Trommel und die Stimme über die Rampe! Beim Rataplan muß man Humor haben, denn mit Ernst wird die Szene ihre eigene Parodie. Ettore Bastianini hatte mit dem dramatischen Don Carlos einige Schwierigkeiten. Die Stimme ist zwar an sich etwas härter geworden als früher, trägt aber offenbar nicht so gut. Interessanterweise war seine beste Stelle die mörderische Stretta nach der großen Arie. Tugomir Franc zeigte als Calatrava ungeschliffenes, aber großes Material, Karl Dönch in den dankbaren Melitone-Szenen Outrage, die nicht auszuhalten ist. Wir flehen die Verantwortlichen auf den Knien an, die Partie endlich einmal umzubesetzen. Wer auch immer sänge, ob Kunz und Czerwenka oder Welter: Alle hätten mehr Stimme und könnten nur weniger überspielen. Francesco Molinari-Pradelli waltete am Pult überlegen und mit heißem Temperament seines Amtes und knallte eine Ouvertüre hin, die sich hören lassen konnte.
DIE ZAUBERFLÖTE am 30. Mai, Neuinszenierung zur Wiedereröffnung des Theaters an der Wien
Über
das TheaterNun haben wir es wieder, das liebe, kleine, wohlproportionierte Theater, in dem wir zehn Jahre unseres Lebens verbracht haben. Und die Staatsoper kann sogar noch darin spielen, welch unvermuteter Glücksfall! Was dieses Theater betrifft, haben sich weder das Unterrichtsministerium noch die Bundestheaterverwaltung, noch einer der Direktoren der Bundestheater ausgezeichnet. Dabei sind wir (nicht als einzige!) oft genug mit der Idee hausieren gegangen, aus dem Theater ein kleines Haus der Bundestheater zu machen, wo man alles hätte spielen können: kleine Oper, volkstümliche Oper, Raimund, Nestroy, Lust- und Kammerspiele, Ballett, Galaoperette usw. Erstens wäre das Haus billiger gekommen als drei Nebenbühnen (Volksoper, Akademietheater und Redoutensaal) und zweitens wird es ohnedies immer schwerer, ein Haus dreihundert Mal im Jahr in stets gleichbleibender, nämlich guter, Qualität zu bespielen, auch auf dem Schauspielsektor. Diese Chance ist zwar vorbei, doch hat sich immerhin die Möglichkeit von Gastspielen ergeben, und da dies für die Oper die Schließung des Redoutensaales bedeutet, sind wir glücklich darüber. Die unklare Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Gemeinde führte allerdings schon beim Kartenverkauf für die Eigenveranstaltungen der Festwochen zu einem großen, echt wienerischen Palawatsch. Erstens verlangte die Gemeinde Phantasiepreise, die nicht angebracht waren, da kein Ausländer weiß, was das Theater an der Wien ist, und die Eigenveranstaltungen deshalb im Ausland nicht „zogen". Für die Inländer waren die Karten aber zweifellos zu teuer, besonders die der Konzerte. So ergibt sich die groteske Situation, daß teure Karten über die Gewerkschaft mühsam verscheuert werden mußten, dabei aber vergessen wurde, daß es auch noch wirkliche Interessenten (etwa für Lulu) gab, die dann prompt vor der Tür standen. Ein besonders skandalöses Kapitel waren die Stehplätze, die erstens sündteuer sind und zweitens nach längerem Hin und Her nur für die Bundestheatervorstellungen ausgegeben wurden, während sie für die Eigenveranstaltungen der Festwochen in ungeklärten Kanälen versickerten. Wozu dann die ganze Spielerei? Die organisatorische Pleite war somit vollkommen und wurde höchstens dadurch überboten, daß sich nicht einmal die Billeteure im Haus auskannten und es in der Tat (uns selbst!) passierte, daß nur vier Sessel in einer Loge standen, während fünf Karten ausgegeben waren. Es bedurfte eines Kniefalles nach dem anderen, um wenigstens einen Sessel zu erhalten, von dem man nichts sah, weil er ein normaler und kein Logensessel (mit erhöhten Beinen) war. Doch genug davon. Wir müssen dem Festwochenintendanten Dr. Egon Hilbert und seiner Zähigkeit im Verhandeln, Antichambrieren und „Einkochen" sehr dankbar sein, daß das Haus überhaupt gerettet wurde. Die schlechte Organisation vergißt man übrigens wahrscheinlich leichter als die Eröffnungsvorstellung.
Die Zauberflöte war eine schöne Aufführung, wie wir es selten hörten.
Herbert von Karajan hielt mit dieser Oper seinen um 15 Jahre verspäteten Einzug in das Haus. Hieß es doch immer, seine Forderungen nach Sängern und Probenzeit seien unerfüllbar! Damals hätte der Zeitlose noch Zeit gehabt für kontinuierliche Arbeit mit dem Ensemble, die nicht zu leisten man ihm jetzt immer vorwirft. Und wir hätten uns einen Sturz in tiefste Niveautäler erspart. Die schnell einstudierte und quasi zwischen Tür und Angel herausgebrachte Zauberflöte trug nichtsdestoweniger den Stempel einer echten Karajan-Vorstellung. Hier wird Mozart nicht verzärtelt, nicht verweichlicht, nicht verschmalzt und nicht auf „Goldenes Wiener Gmüat" herabgezogen. Hier hat Mozarts Musik den Adel und die Weihe, die ihr innewohnt, auch in den Papagenoszenen. Hier gibt es nicht die schlappen, qualligen, verbogenen Tempi, die in den Repertoire-Flöten von den Repertoirekapellmeistern angeschlagen werden, hier weht ein frischer Wind, auch der Humor wird nicht breitgetreten, und so kam es zu einer musikalisch vollkommenen Interpretation.
Der gleiche Geist wohnte Günther Schneider-Siemssens Bühnenbildern inne, die sich in zwei Ebenen teilten. Die obere, gekrönt vom Weisheitstempel, bleibt den „Übermenschen" vorbehalten, auf der unteren tummelten sich das buntgefiederte Pärchen und der grimme Monostatos, auch das liebende Hauptdarstellerpaar weilte dort, bis es ihm gelang, mit der Feuer- und Wasserprobe (die übrigens vorzüglich gelöst war), die höhere Ebene zu erklimmen. Diese strenge Teilung wurde durch eine Fülle von duftigen Schleiervorhängen und romantischen Versatzstücken in echte Märchenatmosphäre verwandelt. Besonders nett waren die Tiere – namentlich ein entzückender Igel – sowie Papagena, im Vogelnest schlafend. All dies war in hübschen, anmutigen Farben gehalten, die auch die Kostüme von Charlotte Flemming aufwiesen, stilistisch etwa an der Grenze zwischen Persien und Indien angesiedelt.
In so zauberhafter Ausstattung Regie zu führen, muß ein wahres Vergnügen sein, zumal für einen Theatermann von der Praxis und Erfahrung von Rudolf Hartmann, der seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit aller löste, zwar nicht im Rahmen einer originellen Superregie, aber als solide Handwerksarbeit. Doch ist das für die Zauberflöte, die ohnedies hundertmal umbesetzt wird, wahrscheinlich das Richtige.
Die Besetzung war vorzüglich und fand ihre glückliche Lösung im Paar Tamino-Pamina, das mit Nicolai Gedda und Wilma Lipp Idealinterpreten fand. Nicolai Gedda ist ein Tenor von enormer Intelligenz und großem Stilgefühl und Sprachtalente Die schlanke Stimme ist noch dazu in den letzten Jahren vom rein Instrumentalen abgegangen und hat einen metallischen Kern bekommen, der strahlende Spitzentöne ergibt. Der gut aussehende Sänger spielt überdies fisch und mit Schwung und Begeisterung. Wilma Lipp sah mit schwarzer Perücke und indischem Sari geradezu bildhaft aus. Daß ihr die richtige Mischung von naiv und prinzessinnenhaft bestens gelingt, ist schon bekannt. Stimmlich war sie hervorragend und sang mit Gefühl und Innigkeit.
Erich Kunz, der den Papageno zeitweise schon ziemlich übertrieben spielte, war diesmal nicht nur stimmlich kultiviert und angenehm, sondern auch darstellerisch. Er suchte sein Heil nicht in den Lachern des Publikums, sondern verließ sich auf seinen Charme und seinen natürlichen Humor. Wir finden, daß dieser Papageno der allerbeste unter den unzähligen war, die wir von ihm hörten. Graziella Sciutti war seine bezaubernde Papagena. Gottlob Frick sang den Sarastro mit dunklen Baß weich und schön. Eberhard Wächter war der mit Würde und Autorität amtierende Sprecher. Die Drei Damen wurden mit Gerda Scheyrer, Grace Hoffman und Hilde Rössel-Majdan sehr gut und homogen besetzt. Auch die Wiener Sängerknaben befanden sich in Bestform. Ingeborg Hallstein ist bei dem jetzigen Mangel an Königinnen der Nacht als gut zu bezeichnen. Sie hat wohl die Höhe, es fehlt ihr aber die Kraft und die Korrektheit für die Partie. Immerhin hatte sie mit einer Art kaltem Sex starke Bühnenwirkung.
Die beiden Priester waren in Sprecher (Jürgen Wilke und Otto Kerry) und Sänger (Ermanno Lorenzi und Kostas Paskalis) geteilt, was wir gut finden, wie überhaupt manche geöffneten Textstellen mehr sprachliche Sorgfalt erfordern, als sonst üblich. Nur die drei Negersklaven outrierten beim Sprechen ebenso wie ihr Oberster, Monostatos, in Gestalt von Paul Kuen, beim Singen und Spielen. Der Chor sang in dar Einstudierung von Wilhelm Pitz weit über dem langjährigen Durchschnitt.
Das Publikum nahm die Aufführung mit Jubel auf (Karajan hatte sogar seinen üblichen „Roar") und dürfte auch viel Freude über die Wiedergewinnung des alten Theaters mitgeschwungen haben. Man muß sich allerdings an die Buntheit des Zuschauerraumes erst gewöhnen. Es sind etwas zu viele Farben verwendet: Türkis, Grün, Braun, Beige, Rosa, Blau, Grau, Dunkelrot und sehr viel Gold. Man wunderte sich übrigens auch über die Akustik, in der lyrische Soprane wie Hochdramatische klangen. Wie wir in diesem kleinen Haus Elektra und ähnliche Stücke ausgehalten haben, ist uns ein Rätsel.
LA BOHEME am 30. Mai
Am Tag der Eröffnung des Theaters an der Wien gab es im großen Haus La Boheme. Unter der Stabführung von Francesco Molinari-Pradelli war eine Schar erstklassiger Künstler versammelt: Hilde Güden war die bezaubernde Mimi des Abends, stimmlich und darstellerisch eine ideale Verkörperung dieser Rolle. Anneliese Rothenberger, im Spiel eine großartige Musetta, hatte stimmlich, besonders mit dem zweiten Akt, ihre rechte Plage. Der Marcello des Abends war Ettore Bastianini, gesanglich geradezu die Verkörperung dieser Partie. Sein herrlicher Bariton floß im wahrsten Sinn des Wortes. Darstellerisch wirkte er gelöst und am Geschehen sehr beteiligt; wenn er stellenweise etwas übertriebt, so störte dies kaum, da er dabei immer charmant blieb. Für den erkrankten Zampieri sprang Gianni Poggi als Rodolfo ein. Der sonst so verläßliche Sänger war erst in den beiden letzten Akten „da". Im ersten und zweiten Akt wirkte er unbeteiligt, und die sonst so sichere Höhe klang angestrengt und gepreßt. In der Partie des Colline hat Walter Berry eine zwar kleine, aber geradezu ideale Aufgabe gefunden. Seine Mantel-Arie war ein Ereignis und gehörte zu den Höhepunkten des Abends. Diese erstklassige Besetzung hätte einen besseren Schaunard verdient, als Hans Braun es war.
DAS RHEINGOLD am 31. Mai
unter Herbert von Karajan wird mit dem gesamten Ring im Juni besprochen