DER JUNI 1962

7. Jahrgang, Heft 7

 

Die Wiener Oper vor Saisonschluß: Oh Festwochenglanz, oh Müdigkeit!

Es ist jedes Jahr das alte Lied und das gleiche Bild. Trotzdem findet sich kein Verantwortlicher, der die Veranstaltungen der Wiener Festwochen auch verantwortungsvoll reduzieren würde. Darunter litten besonders hörbar die Orchestermusiker, was wesentlich dazu beitrug, daß neben wahren Festen mittelmäßige Abende stehen, die nicht festwochenreif – nicht einmal staatsopernwürdig – sind. Die Schuld daran trägt nicht die Operndirektion, sie ist außerhalb des Hauses am Ring, bei der Festwochenintendanz zu suchen, die nach wie vor ihren Ehrgeiz nicht der Weisheit der Beschränkung unterordnen kann. Dazu kommt, daß leider eine ganze Reihe von Sängern sich in einer Stimmkrise befindet.

Erfreulich hingegen war es festzustellen, daß innerhalb der Festwochen das deutsche Repertoire – und dies ist das Verdienst Karajans – einen starken Niveauauftrieb erfahren hat und, im Gesamten gesehen – über der Qualität der italienischen Aufführungen lag.

Daß diese turbulente Saison (Bühnenarbeiterstreik - Karajankrise) Schatten nach sich zog, was sich im Mangel von Verpflichtungen von Sängern und Dirigenten und daher in Schönheitsfehlern äußerte, ist selbstverständlich. Daß Herbert von Karajan persönlich in die Bresche sprang und dies durch selbstlosen Einsatz zum Gutteil ausglich, sei bedankt!

 

DER RING DES NIBELUNGEN am 31. Mai, 1., 3. und 6. Juni

DAS RHEINGOLD am 31. Mai

Mit einer ausgezeichneten Wiedergabe des Vorabends der Tetralogie begann der einzige Ring dieser Saison. Wenn man auch während der Spielzeit den Ring schmerzlich vermißte, so muß doch festgestellt werden, daß eine hervorragende Interpretation einmal im Jahr wohl besser ist, als mittelmäßige Aufführungen über das Jahr verstreut.

Herbert von Karajan war der souveräne Leiter und Gestalter der Aufführung, der in den prächtig aussortierten Philharmonikern kongeniale Partner fand, wenn auch nicht zu überhören war, daß diesmal nicht nur bei den Hörnern, den Sorgenkindern, sondern nun auch beim übrigen Blech Schwierigkeiten auftraten.

Auf der Bühne vereinigte sich ein Wagnerensemble hohen Ranges. Hans Hotter, der machthungrige Gott, die Idealfigur eines Wotan, zog alle Register seines stimmlichen und darstellerischen Könnens. Ihm zur Seite die Fricka Ira Malaniuks, Eberhard Wächter als Donner und Waldemar Kmentt als Froh, die eine ausgezeichnete Wiedergabe garantierten. Etwas schwächer als sonst die Freia von Gerda Scheyrer. Die Gestalt des listigen Loge erhielt durch die ausgezeichnete Interpretation Wolfgang Windgassens ihr Profil. Das Riesenpaar war mit dem stimmgewaltigen Walter Kreppel und dem sehr gut disponierten Peter Roth-Ehrang vertreten. Alois Pernerstorfer und Peter Klein waren die bewährten Vertreter des Nibelungenpaares. Gut die Erda von Hilde Rössel-Majdan, ausgezeichnet die Rheintöchter mit Lotte Rysanek, Sena Jurinac und Hilde Rössel-Majdan.

DIE WALKÜRE am 1. Juni

Für den absagenden Jon Vickers war der verläßliche Wolfgang Windgassen als Siegmund eingesprungen und bot seine wohl beste Leistung in dieser Partie in Wien. Seine Wälserufe werden unvergeßlich bleiben. Ihm zur Seite Leonie Rysanek als Sieglinde, die einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Im ersten und zweiten Akt wirkte sie sehr zurückhaltend. Was wir an ihr so schätzten, das Verströmenlassen der Stimme und das Einsetzen ihrer ganzen Persönlichkeit, zeigte sie erst im dritten Akt. Da war wieder das schöne, volle Organ verschwenderisch eingesetzt und von nachhaltiger Wirkung. Wo sind die Zeiten, da Frau Rysanek die ganze Partie so sang, wie diesmal nur den letzten Akt! Walter Kreppel sang einen sehr guten, düsteren Hunding. Stimmlich und darstellerisch dominierend wie immer Hans Hotters Wotan und Birgit Nilssons Brünnhilde. Fesselnd und immer wieder ergreifend der Abschied des Gottes von seinem Lieblingskind. Gut, wenn auch keine Festwochenbesetzung, die Fricka von Hilde Rössel-Majdan. Das Walkürenensemble hat durch Verjüngung an Wohlklang und Wirkung gewonnen. Herbert von Karajan und die Wiener Philharmoniker waren die vorzüglichen Interpreten des orchestralen Wohlklanges, wenn auch „Blechsünden" unüberhörbar waren.

SIEGFRIED am 3. Juni

Herbert von Karajan, der „große Herzlose", der „Dirigiersportler", der „Erzeuger grell-plakathafter Effekte" erreicht im Waldweben fast den Mittelpunkt des Ring-Erlebnisses. Das sollte doch den Herrn Kritikern einmal zu denken geben! So zeichnete sich dieser zweite Akt Siegfried geradezu durch einen Trau von subtiler Interpretation aus, und die zauberhafte Klarinette das Herrn Alfred Prinz ragte noch unter den herrlich spielenden Holzbläsern hervor. Ehre, wem Ehre gebührt! Als nun erfreulicherweise ein fast fehlerlos geblasener Hornruf hinzutrat, vollendete bereits der zweite Akt, was im ersten so schön begonnen hatte: Mit einem Wolfgang Windgassen in sehr guter Form – trotz irrsinniger Beanspruchung in dieser Woche. Weiters mit einem Hans Hotter, für den der Wanderer bereits zum Symbol der idealen Interpretation geworden, aber weit davon entfernt, sein eigenes Denkmal zu sei. Dazu noch mit einem bestens gesungenen und charakterisierten Mime von Peter Klein. In den gut besetzten Chargen hörte man noch Wilma Lipp als Waldvogel, Hilde Rössel-Majdan als Erda, Alois Pernerstorfer als Alberich und Peter Roth-Ehrang als Fafner.

Schon das Vorspiel zum dritten Akt und die Wala-Szene sind große Augenblicke für den Wagnerianer. Und beglückt hört man, wie Karajan, der am Schluß das zweiten Aktes das Vöglein fröhlich schwirren ließ, sich in die machtvollen Motivballungen des Vorspieles stürzte und die Wala-Szene in ihrer ganzen Größe erstehen ließ. Und Brünnhilde, die in Gestalt von Birgit Nilsson zu strahlendem Heldensopranjubel erwachte, dürfte die einzige Sopranistin sein, die diese Saison ohne längere Krankheit oder Schaden an der explosiven Höhe und der dramatischen Durchschlagskraft der Superstimme überstanden hat. Wolfgang Windgassen war ihr im Schlußduett ein intensiver und durchaus gleichberechtigter Partner.

GÖTTERDÄMMERUNG am 6. Juni

Auch der krönende Abschluß das Riesenbaues „Nibelungen-Ring" sah Birgit Nilsson und Wolfgang Windgassen am Werk, und es ist jetzt schon fast unmöglich, von einem der großen Wagnerdramen ohne diese beiden Sänger auch nur halbwegs zufriedengestellt zu werden. Birgit Nilsson übt im ersten Akt noch kluge Ökonomie (da kommt man auch mit 2/3 Stimme aus) und legt im zweiten Akt imponierend los, um dann die Spannung und Stimmkraft unentwegt bis zum hinreißenden Schlußgesang durchzuhalten. Wolfgang Windgassen ist nun ein Sänger vollsten Einsatzes. Wir wundern uns noch immer, wenn wir seine lyrischen Anfänge mit seinen jetzigen Leistungen vergleichen. Aus dem glatten Schönsänger hat sich ein intensiv gestaltender Künstler entpuppt, der die schwierige Partie des Siegfried voll ausfüllt. Selten war ein Sänger als Jung- und Alt-Siegfried so gleicherweise gut wie er. Gottlob Frick als Hagen ließ sich vor dem zweiten Akt entschuldigen, sang aber gut, nur vielleicht etwas weniger lautstark als sonst. Grace Hoffman gab eine wohl gute, aber nicht außerordentliche Waltraute. (Zweimal Brünnhilde in Mainz können sie doch nicht schon in eine Krise geführt haben? Oder hat das für alle Mezzos gleicherweise gefährliche Experiment doch schon seine Nachwirkungen?). Gré Brouwenstijn hingegen war als Gutrune ausgesprochen schlecht. Mit der Persönlichkeit kann sie bei der Partie wenig retten und die stimmliche Leistung war so ungenügend, daß man Angst um die Tannhäuser-Premiere im nächsten Jahr bekommt. Otto Wiener singt und spielt einen vortrefflichen Gunther, die Rheintöchter (Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan) und Nornen (Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Ursula Boese) traten in der Premierenbesetzung an, wobei die Damen Lipp und Ludwig ihre Kolleginnen nicht unerheblich überragten.

Das Orchester spielte gut und konzentriert und Herbert von Karajan führte es besonders in der Trauermusik zu einer Intensität, daß es dem Hörer kalt über den Rücken lief. So ging der einzige Ring der Spielzeit unter endlosem Jubel zu Ende.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 2. Juni

Ein zauberhafter Mozartabend, dessen festlicher Glanz bloß einige ganz kleine trübe Flecken hatte. Die Besetzung war herrlich und brachte sozusagen ein Traumensemble. Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin hatte in der ersten Arie noch einzelne Schärfen in der Stimme, doch die zweite Arie und das Briefduett waren eitel Wohlklang. Zum Genuß für das Ohr kam noch der des Auges. Eine schönere Gräfin Almaviva, die so vollständig und so selbstverständlich diese Rolle ausfüllt, wird man schwerlich finden. Wäre Graziella Sciuttis Susanne nicht ein so zauberhaft kapriziöses Persönchen, wobei auch stimmlich kein Wunsch offen blieb und die Rosenarie ganz herrlich erklang, man könnte den Grafen nicht mehr verstehen. Der war bei Eberhard Wächter in den besten Händen. Prächtig bei Stimme und mit animiertester Spiellaune präsentierte er die Rolle. Obwohl der Partie schon entwachsen, war Sena Jurinac trotzdem ein in Stimme und Spiel gleich herrlicher Cherubino. Walter Berry gab den Figaro. Schauspielerisch etwas zu bäuerlich derb (Mutter Marcellina hat immerhin zwei Bücher gelesen und gibt sich, zumal von Elisabeth Höngen prächtig dargestellt, sehr vornehm, und Vater Basilio – Alois Pernerstorfer spielte sein Intrigenspiel auch mit Eleganz), stimmlich gut, obwohl nicht zu überhören war, daß die allzu gewichtigen Partien wie Amonasro oder Pizarro für die Stimme eine große Belastung bedeuten. Man vermißt in letzter Zeit das einst so schöne Berry-Timbre und die Geschmeidigkeit der Tonbildung. Das Orchester war leicht und durchsichtig, die Sänger wurden korrekt begleitet, trotzdem gelang es dem Dirigenten Hans Swarowsky nicht ganz, Mozarts Geist, der auf der Bühne vollendet herrschte, in gleicher Weise auch ins Orchester zu bannen.

SIEGFRIED am 3. Juni

unter Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung des gesamten RING am 1. Juni besprochen

ARIADNE AUF NAXOS am 4. Juni

Es ist nicht alles festlich, was sich während der Festwochen in der Oper abspielt. Diese Aufführung war es jedenfalls nicht. Ein übermüdetes, lustlos spielendes Orchester – neben den Ringabenden gab es noch Festwochenkonzerte! – hätte es an diesem Abend auch einem erstklassigen Strauss-Dirigenten schwer gemacht, so zu musizieren, wie es diese Partitur verlangt. So begnügte sich Berislav Klobucar mit Klangbrei’ der gähnende Langeweile hervorrief. Es war wirklich, „um im Stehen einzuschlafen". Auch die gesanglichen Leistungen trugen nichts dazu bei, diesen Eindruck zu bessern. Am besten zog sich noch Christa Ludwig aus der Affäre, die durch lebhafte Darstellung und intensive musikalische Gestaltung wenigstens dem Vorspiel etwas Farbe gab. Routiniert war Alfred Poell als Musiklehrer. Warum man aber altbewährten Mitgliedern wie Alfred Jerger und Hugo Meyer-Welfing den verdienten Ruhestand noch immer nicht gewährt, bleibt uns ein Rätsel. Lisa Della Casa wirkte etwas übermüdet, was sich u.a. in scharfen, forcierten Höhen bemerkbar machte. Eva Maria Rogner bot eine unausgeglichene Leistung. Neben wirklich schön gesungenen Phrasen gab es manche Unsauberkeit in der Stimmführung. Ivo Zidek war alles andere als ein jugendlicher Gott Bacchus. Er konnte weder stimmlich noch darstellerisch gefallen. Dem Komikerquartett gelang es auch nicht, das Publikum aus seiner Lethargie zu reißen, obwohl Erich Kunz sein Möglichstes tat.

DON CARLOS am 5. Juni

Eine Aufführung, an der man nur teilweise seine Freude haben konnte, zu unterschiedlich waren die einzelnen Leistungen der Solisten. Giulietta Simionato an erster Stelle zu erwähnen, scheint uns gerecht zu sein. Sie sang so hinreißend, daß stimmlich kein Wunsch offen blieb. Wir haben in Wien noch keine solche Eboli von ihr gehört! Über ihre darstellerischen Qualitäten in dieser Rolle neuerlich zu schreiben, erscheint uns überflüssig. Nach der Simionato teilten sich Boris Christoff und Hans Hotter die Gunst des Publikums und des Rezensenten. Das Duett Philipp-Großinquisitor wurde zum Kernstück, zum Höhepunkt dieses Opernabends. Hier standen zwei Persönlichkeiten einander gegenüber, die durch Intensität ihres gesanglichen Ausdruckes und ihrer Darstellung geradezu Beklemmung beim Hörer aufkommen ließen. Ein Sonderlob noch für die wunderbar verinnerlicht gesungene Arie des großen Bassisten, der besonders hier sein zauberhaftes Piano verströmen ließ. Sehr schön sang Tugomir Franc den Mönch. Zu den mittelmäßigen Leistungen zählen wir die Elisabeth von Leonie Rysanek. Sie hatte schwache Momente. Besonders die Mittellage wollte anfangs nicht kommen. Die Piani waren oft deplaciert. Gegen Schluß wurde Frau Rysanek zusehends besser. Die große Arie gelang sehr gut, hier blitzten Töne auf, die an die große Zeit der Primadonna vor ihrer Stimmkrise erinnerten. Man dachte wehmütig an ihre Senta, Turandot, Sieglinde von früher! Als Posa hat es Ettore Bastianini schwer, seit Eberhard Wächter einen so herrlichen Posa singt und spielt! Denn vom Idealbild des schwärmerischen, draufgängerischen Schiller’schen Helden ist Bastianini ziemlich weit entfernt. Er war es auch, der der Unterredung König-Posa die düstere Dramatik nahm. Hier mußte Boris Christoff ins Leere spielen, weil ihm ein kongenialer Darsteller als Partner fehlte. Im übrigen war auch Bastianinis stimmliche Leistung nicht makellos. Manches kam distoniert über die Rampe, klang angestrengt. Beim Tod stieg er sogar aus. Schwach waren der Titelheld und der Dirigent des Abends. Giuseppe Zampieri sang falsch (Höhen!) und machte auch sonst einen sehr gequälten Eindruck. Im Schlußduett mit Elisabeth wurde er besser. Maestro Francesco Molinari-Pradelli hatte einen sehr lauten, dafür wenig lyrischen Tag (man glaubte sich ständig in die Autodafé-Szene mit ihren knallenden Trompeten und zischenden Becken versetzt). Daß er den Sängern gegenüber bei Fermaten konzessionslos ist, wissen wir zur Genüge. Er sollte aber dennoch einem so großen Künstler wie Boris Christoff nicht seine Arie durch konsequente Unnachgiebigkeit direkt verhauen. Worüber mag sich der Maestro diesmal so geärgert haben?

GÖTTERDÄMMERUNG am 6. Juni

unter Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung des gesamten RING am 1. Juni besprochen

DER ROSENKAVALIER am 7. Juni

Die Festvorstellung für den dänischen König, der auf Staatsbesuch in Österreich weilte, war eine geschlossene Aufführung. Majestät hatten sich den Rosenkavalier mit Herbert von Karajan am Pult gewünscht. Dem Vernehmen nach war es eine harte Arbeit, den Maestro dazu zu bringen. Aber letztlich dirigierte er ein erlesenes Ensemble: Elisabeth Schwarzkopf (Marschallin), Irmgard Seefried (Oktavian), Hilde Güden (Sophie), Otto Edelmann (Ochs auf Lerchenau), Erich Kunz (Faninal) und Nicolai Gedda (Sänger). Es gab nicht einmal Stehplatzkarten. König müßte man sein!

CAPRICCIO am 8. Juni

Georges Pretre von der Pariser Oper dirigierte in Wien Straussens musikalische Diskussion über Ton oder Wort. Man durfte gespannt sein und man war gespannt, als unsere sechs philharmonischen Streicher im Einleitungssextett gleich den ersten Einsatz vernebelten und ihre kostümierten Kollegen hinter der Szene ohne Dirigenten weit polyphoner und exakter spielten. Man staunte, wie der junge Stabführer langsam aber sicher Orchester und Bühne unter seine Kontrolle zwang, und man war ergriffen von der Ausdrucksintensität des beruhigend langsam gebrachten Zwischenspiels und der darauf folgenden Spiegelszene der Gräfin. Als der Vorhang fiel, wußte man, daß man einen neuen berufenen Capriccio-Interpreten am Werk gesehen hatte. Man darf erwartungsvoll weiteren Debüts dieses – von der Callas protegierten – jungen Dirigenten entgegensehen. Auf der Bühne unsere erprobte Besetzung mit großen Schönheitsfehlern: Anton Dermotas Flamand war gequält, gestemmt, larmoyant, im Orchesterforte untergehend und so textunsicher, daß er seinem Kollegen Berry eine ganze herrliche Phrase stahl. Wann endlich wird Herr Dermota einsehen, daß es so nicht mehr geht? (Wir rufen Wunderlich und nochmals Wunderlich und Gedda!!!). Gräfin Madeleine war Lisa Della Casa. Eine charmante, sehr jung aussehende Witwe, nicht die große Damen wie die Schwarzkopf, aber eine echte Strauss’sche Frauenfigur, voll Empfindung und Grazie. Auch stimmlich war Frau Della Casa diesmal überraschend gut, sicher und technisch ohne Makel. Gewohnt solide wie immer Otto Wiener als Theaterdirektor, Walter Berry als Dichter, Hermann Uhde als gräflicher Bruder und Peter Klein als Souffleur. In den kleinen Nebenrollen Alois Pernerstorfer, Rita Streich und Murray Dickie, den wir aber als krasse Fehlbesetzung bezeichnen müssen, da er keine Spur Belcanto für den italienischen Sänger mitbrachte. Christl Goltz bemühte sich um die Clairon, hat aber kein ideales Timbre für die Sopranfassung der Partie. (Wann werden wir wieder einmal eine richtige Altistin in der Originalfassung hören?) Eine Aufführung, die so richtig „Opernfans Freud und Leid" beinhaltete. Leid besonders deshalb, weil wir in Wien eine Traumbesetzung für dieses Werk hätten, aber davon nur träumen dürfen…

PARSIFAL am 9. Juni

Zu den Höhepunkten der diesjährigen Spielzeit gehörte zweifellos die einzige Parsifal-Aufführung. Ganz gegen die Tradition fand sie am Pfingstsamstag statt, und das war ein Festtag für das Opernpublikum, übrigens nicht nur für ausgesprochene Wagnerianer.

Herbert von Karajan verbesserte in regielicher Hinsicht manche Details, die man bei der vorjährigen Premiere bekrittelt hatte. In musikalischer Hinsicht blieb er seiner Auffassung treu. Der große Musikästhet ist kein Fanatiker eines einzelnen Komponisten. Für ihn ist Wagners Weihefestspiel nicht das alleinige Glaubensbekenntnis eines Musikers. Karajan steht über der Sache und vermag daher die musikalische Schönheit des Werkes leidenschaftslos in feinster Durchgliederung auch dem Nichtwagnerianer nahezubringen. Das Orchester, das mit drei Konzertmeistern vertreten war, bot eine unübertreffliche Leistung, wobei besonders der Streicherklang betörte. Unter Karajan sind stets alle bestrebt, das Beste zu geben, gleichgültig ob es sich um Orchester, Solisten oder den Chor handelt. Karajans Stabführung inspiriert, und die dadurch gewonnene Spannkraft bringt Aufführungen unter seiner Leitung zustande, die den Stempel das Außergewöhnlichen tragen, und um derentwillen die Musikliebhaber daher aus allen Teilen der Welt nach Wien pilgern.

Interessanterweise vermochten sich die Solisten auf der Bühne gegenüber der Premiere noch zu steigern. Hans Hotter als Gurnemanz bot eine Leistung, die jede Kritik überflüssig macht. Seine Persönlichkeit, seine Phrasierung machen ihn zum derzeit besten Vertreter dieser Rolle und lassen auch den Einspruch verstummen, daß die Partie für einen tiefen Baß gedacht war.

Die Partie der Kundry teilten sich hervorragend Elisabeth Höngen und Christa Ludwig. Diese Idee Karajans, die zuerst auf allgemeine Ablehnung stieß, kommt bei mehrmaligem Hören dem Werk tatsächlich zugute. Kundry wird so im Zaubergarten plötzlich wirklich die große Verführerin, und der Ausdruck der sinnlichen Begierde dokumentiert sich im Wandel der Stimmfarbe. Christa Ludwigs Kundry im Zaubergarten ist der Inbegriff des Schöngesanges. Hier war der Ästhet Karajan deutlich am Werk. Fritz Uhl in dar Titelpartie hatte seine besten Momente bei den Ausbrüchen im zweiten Akt, wo seine Stimme erzene Durchschlagskraft hatte. Weniger gefiel uns der dritte Akt, wo bei den lyrischen Stellen der Partie die mangelnde Stimmtechnik des Sängers bemerkbar wurde. Herr Uhl müßte sich der Mühe unterziehen, seine schwere Stimme biegsamer zu machen. Trotz dieses Einwandes bot der junge Tenor eine gute Gesamtleistung. Eberhard Wächter als Amfortas verstand es durch Darstellung und Stimmführung, seine Qualen deutlich zum Ausdruck zu bringen. Die einzige Enttäuschung in gesanglicher Hinsicht war Walter Berry als Klingsor. Seiner Stimme fehlt für diese Rolle die Dämonie und last but not least die Durchschlagskraft, die man schließlich von einem Klingsor fordert. Ein Pauschallob allen weiteren Mitwirkenden (Blumenmädchen, Knappen, Titurel usw.), die dem Abend ein festliches Gepräge gaben und der Staatsoper Wien das beste Zeugnis ihrer tatsächlichen Möglichkeiten in künstlerischer Hinsicht ausstellten.

AIDA am 10. Juni

Ein kritikloses Festtagspublikum jubelte stürmisch einer Aufführung zu, die recht unterschiedliche Leistungen bot, im Gesamteindruck jedoch keineswegs über dem Durchschnitt lag. Als Aida gastierte Margaret Tynes. Die sehr schlanke Sängerin verfügt über eine überraschend große Stimme, deren Höhe allerdings ziemlich scharf klingt und singt sehr viel mit Kraft. Im Forte sieht man förmlich, wie der ganze Körper mitarbeitet. Sie bemüht sich auch um geschmackvolles Piano, hat aber oft Schwierigkeiten, die Phrasen durchzustehen. Im Spiel neigte sie zu Übertreibungen, vor allem im Nilakt, und setzte dies auch vor dem Vorhang fort. Grace Hoffman als Amneris zeigte eine in jeder Hinsicht ausgeglichenere Leistung, war gut disponiert und sang sicher und sauber, auch in den hohen Lagen. Ettore Bastianini war der Amonasro des Abends. Für einen wilden Krieger ist allerdings diese Stimme fast zu schön. Nichtsdestoweniger freut man sich immer wieder am Wohlklang dieses edlen Organs. Sein Gegenspieler Radames – Joao Gibin – kann ihm an Klangschönheit nicht das Wasser reichen. Sein Organ ist größer geworden. Er bemühte sich redlich, auch ausdrucksmäßig den Anforderungen gerecht zu werden. Alles in allem, eine brave Durchschnittsleistung. Walter Kreppel war ein stimmgewaltiger Ramphis, Tugomir Franc ein weniger stimmgewaltiger König. Das Orchester spielte unter der Stabführung von Francesco Molinari-Pradelli ambitioniert und mit viel Schwung, manchmal etwas zu laut.

ARABELLA am 11. Juni

Am Geburtstag von Richard Strauss stand nach mehr als zwölfmonatiger Pause wieder die Arabella am Spielplan, und es war ihr deutlich Probenmangel anzumerken. Der Chor zeigte sich nicht ganz sattelfest und die Fiakermilli verpaßte sogar ihren Einsatz und brachte damit fast alles durcheinander. Dazu gesellte sich ein etwas übermüdetes Orchester (was Wunder bei den vielen Orchesterkonzerten!). Enttäuschend blieb diesmal auch die musikalische Leitung von Josef Keilberth. Der Dirigent, der sich in Wien großer Beliebtheit erfreut, scheint heuer schon sehr überarbeitet zu sein und befremdete diesmal vor allem durch ungewohnte Tempi, die entweder viel zu breit oder zu rasch genommen wurden. Auf der Bühne selbst konnte niemand Höchstform erreichen. Lisa Della Casa klang leider in der Höhe sehr scharf und hatte manchmal ihre liebe Mühe mit den Spitzentönen (im Duett des zweiten Aktes mit Mandryka wird die Höhe nur mehr markiert!) und ist auch im Spiel etwas forcierter geworden. Anneliese Rothenberger, figürlich eine ideale Zdenka, hatte gesanglich auch nicht ihren besten Abend. Mandryka Carlos Alexander kam wieder aus Deutschland als Gast, der trotz Bemühen und darstellerischer Gewandtheit in gesanglicher Hinsicht viel schuldig bleiben mußte. Die Oper wird nicht darüber hinwegkommen, diese Partie endlich George London anzuvertrauen. Ivo Zidek blieb diesmal ebenfalls unzulänglich und Mimi Coertse als Fiakermilli sogar ziemlich schlecht. Ira Malaniuk, Otto Edelmann, Elisabeth Höngen und Karl Terkal bewährten sich in den kleineren Partien. Trotz des lebhaften Echos kann nicht übersehen werden, daß die Aufführung diesmal eine der schwächsten seit der Neueinstudierung war.

FIDELIO am 12. Juni

Herbert von Karajan hat sich für diese Festwochen (notgedrungen) ziemlich viel vornehmen müssen. Nach einem „Ring" mit Proben, dem übernommenen Rosenkavalier, zwei Premieren und einem Kirchenkonzert hatte auch er einmal einen nicht besonders guten Abend. Bei Karajan äußerte sich die Übermüdung so, daß er ungeduldig wurde, als nach einem nicht sehr inspirierten Vorspiel und einer unsicheren Marzellinenarie nichts klappen wollte. Da jagte er dann die Sänger so durch das Terzett, daß sie kaum zum Luftschnappen kamen. Spannung kann man jedoch nicht mit Gewalt erzeugen, sie stellt sich immer nur von selbst ein. Das tat sie diesmal erst im zweiten Akt, der weitaus besser geriet, obzwar die meisten Sänger offenbar noch stärker als bei der Premiere von Nervosität geschüttelt wurden. Resultat: Krasse Aussteigen von Gundula Janowitz und den Herren Zampieri und Kreppel und Schwankungen bei den Choreinsätzen. Die Premierenbesetzung hatte sich natürlich in einem Fall geändert. Giuseppe Zampieri sang den Florestan. Man ging nicht ohne Bangen in die Vorstellung, denn Herr Zampieri ist nun einmal heuer nicht in Bestform und außerdem dafür bekannt, daß er Rollen, die er lange nicht gesungen hat, zu vergessen pflegt. Doch diesmal waren die Befürchtungen umsonst, er sang den Florestan mit seiner weichen, aber sehr gewachsenen Stimme schön und auch mit Ausdruck. Wir kommen nur bei Karajans Besetzungstaktik nicht ganz mit. Einmal bevorzugt er Persönlichkeiten, ohne offenbar auf Stimme oder Stimmkrisen zu achten, dann nimmt er für die gleiche Partie Nur-Sänger, von denen er sich keine Rollen-Profilierung erwarten darf. Nun ja, große Dirigenten haben bei Sängern manchmal einen merkwürdigen Geschmack. Wir sind dergleichen von Clemens Krauss, Furtwängler und Knappertsbusch schließlich gewöhnt. Christa Ludwig in der Titelrolle begann gut, sang das erste H in der Arie etwas mühsam und das zweite so, daß es beinahe schon als Schmiß anzusprechen war. Warum wir das erwähnen? Weil man von der Ludwig eben Spitzentöne erwartet und enttäuscht ist, wenn sie nicht kommen. Übrigens steigerte sie sich im zweiten Akt zu einer ausgezeichneten Leistung, ganz wie bei der Premiere. Walter Berry hatte seine Nase ein wenig verkleinert, sang gut, blieb aber unprofiliert. Daran dürfte sich wohl so schnell nichts ändern. Es muß noch erwähnt werden, daß das Sängerehepaar Ludwig-Berry musikalisch am sichersten war. Die beiden Künstler sind offenbar gewissenhafte Studierer. Einen schlechten Abend hatte der Liebling das Premierenpublikums Gundula Janowitz. Es bereitete ihr offenbar Mühe, die große Stimme so zurückzuhalten, wie es bei der Partie nötig ist. Und so schluckte sie gleich die halbe Rolle. Im Übrigen dürfte es an der Zeit sein, ihr dramatischere Aufgaben zuzuteilen (wir haben schon x-mal von Evchen und Strauss-Rollen geschrieben), da sonst die Gefahr besteht, daß die Stimme steif wird. Die Herren Walter Kreppel, Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter, der als einziger mehr in seine Rolle hineingewachsen war, ergänzten das Ensemble.

Herr von Karajan nahm den Beifall nur kurz und etwas ungnädig entgegen. Er war offensichtlich nicht nur müde, sondern hatte sich auch heftig über den Beifall nach der Florestan-Arie geärgert. Dieser Applaus platzte in die letzten Takte des Nachspiels hinein, was Karajan nie hat leiden mögen. (Am liebsten hätte er das Publikum sofort „gefressen“!) Ja, ja, das ist eine heikle Stelle für den Einsatz des Beifalls!

EIN MASKENBALL am 13. Juni

Eine gehobene Repertoireaufführung mag während der Saison angehen, ist für die Festmachen bei „erhöhten Preisen" aber doch zu wenig. Außerdem ist diesem Werk Verdis mit „Schönsingen" allein nicht beizukommen. Ein wenig innerliche Beteiligung der Akteure ist dabei nötig – die in letzter Zeit so in Mode gekommenen Singschauspieler im deutschen Sprachraum sind jedoch auch keine Lösung. Gianni Poggi gehört zu dem kleinen Häufchen „todsicherer" Sänger der gehobenen internationalen Mittelklasse, die – auch noch um Mitternacht aus dem Bett getrommelt – ihren Mann steht. Seine Phrasierung ist makellos, Intonationsschwierigkeiten scheinen für ihn nicht zu existieren, lediglich in der Höhe merkt man, daß auch Poggi in die Jahre kommt. Doch bleibt sein Riccardo stets unbeteiligt. Poggi begnügt sich mit den bei ihn sattsam bekannten stereotypen Einheitsbewegungen. Zudem dämpft das leicht nasale Timbre anfängliche Begeisterungsanfälle des Zuhörers bald ab. Als Renato ist Ettore Bastianini nur selten für schauspielerische Aktivität zu haben, zudem konnte er sich an diesem Abend erst in der zweiten Arie völlig freisingen. Leonie Rysanek als Amelia scheint ihre Stimmkrise langsam zu überwinden. Vor allen Dingen sollte sie vermeiden, in der Höhe unnötig auf die Stimme zu drücken, um auf diese Weise mit Gewalt das alte Volumen zurückzugewinnen. Die Stimme ist oben kleiner und schlanker geworden. Ihre Gefühlsausbrüche und ihr intensives Spiel prallten bei Poggi wirkungslos ab. Dieser zuckte kaum mit den Wimpern. Da war alles Flehen vergebens. Vor Jean Madeiras Ulrica werden wir ab nächster Saison bewahrt bleiben! Anneliese Rothenberger spielte und sang einen bezaubernden Pagen, während Tugomir Franc und Frederick Guthrie als Verschwörerpaar behäbig über die Bühne stolzierten. Vom Pult aus gelang es Francesco Molinari-Pradelli diesmal nicht, Spannung in den müden Orchesterklang zu bringen. Die großen Wagner-Aufführungen und die zahlreichen Festwochenkonzerte machen sich beim Orchester immer deutlicher bemerkbar!

PELLEAS UND MELISANDE am 14. Juni

Diese herrliche Feinschmecker-Aufführung mit ihrer seltenen Übereinstimmung von Musik, Regie, Bühnenbild und Besetzung stand wieder auf den Spielplan und rechtfertigte den Beschluß, den man nach der Premiere getroffen hatte, nämlich sie zur besten Aufführung des Jahres zu erklären. Was damals selbstverständlich schien, weil ja nichts Besseres geboten wurde, stand in den Festwochen nicht mehr ganz so felsenfest, weil sich Karajan selbst mit einigen prächtigen Wagneraufführungen Konkurrenz gemacht hatte. Der große Prozeß der Umstellung von Dramatik auf Subtilerer bringt für den Dirigenten, das Orchester und auch für die Zuhörer die Notwendigkeit mit sich, plötzlich umzuschalten. Hier gilt es nicht, der Architektur nachzuspüren, in die Harmonien hineinzuhorchen, hier muß man die Musik einfach auf die Nerven wirken lassen. Wer diesen Trick gefunden hat, wird das Werk lieben, wer darauf wartet, daß ihm operndramatische Höhepunkte serviert werden, sollte vielleicht doch besser in die Tosca gehen. Wer aber gar sagt, der Pelleas sei langweilig, dem muß man kurz und heftig erklären, daß er keine Ahnung habe. So viele Debussy-Fanatiker, daß die herrliche Aufführung viermal im Jahr gegeben worden kann, werden sich in Europa wohl finden. (Das Haus war bis auf den letzten Platz ausverkauft und das französische Element natürlich besonders stark vertreten). Es bleibt uns nichts anderes übrig, als der Besetzung: Hilde Güden, Elisabeth Höngen, Adriana Martino, Henri Gui, Eberhard Wächter, Nicola Zaccaria und Alfred Poell, ein Pauschallob auszusprechen und das Orchester (von einigen unsauberen Hornstellen abgesehen) für eine hervorragende Leistung zu loben. Herbert von Karajan bewies wieder einmal, daß er zwar nicht darüber spricht, für irgendeinen Komponisten ein „Apostel" zu sein, die musikalische Spannweite ist aber dafür fast unbegrenzt. Wir hatten Gelegenheit, das Werk in authentischen Wiedergaben zu hören und ziehen die Karajans als schönste und poetischeste allen anderen vor.

DON CARLOS am 15. Juni

Diese Aufführung stand nur am Rande des umfangreichen Festwochenprogramms. George London und Elisabeth Schwarzkopf, zwei Publikumslieblinge, lockten das Stammpublikum der Oper mit ihren Liederabenden in den Brahmssaal oder ins Theater an der Wien. So war es kein Wunder, daß nur wenig Stimmung am Opernring herrschte. Das Publikum ist eben auch ein Teil einer Aufführung. Am Schluß taten uns die Künstler fast leid, die diesmal allzu spärlichen Beifall erhielten. Sicher hat es schon bessere Aufführungen gegeben, aber immerhin kam noch eine schöne, geschlossene Vorstellung zustande.

Francesco Molinari-Pradelli musizierte mit dem gut disponierten Orchester sehr klangschön und ließ keine Längen des Werkes zum Vorschein kommen. Einen ganz großen Abend hatte Christa Ludwig als Eboli, die mit einer faszinierend gesungenen „Don fatale"-Arie sogar unsere Philharmoniker zu Beifall hinriß. Das will schon etwas heißen! Eindeutig war sie die Königin des Abends, wenn auch die Königin laut Programm Sena Jurinac hieß. Leider befindet sich diese bewunderswerte Künstlerin derzeit in einer Krise. Die Stimme klingt abgespannt und müde, teilweise sogar schrill. Giuseppe Zampieri als Infant hatte gute und schlechte Momente – auch er bot in dieser Saison oft enttäuschende Abende. Eine Ruhepause oder unermüdliche Arbeit mit einem Gesangslehrer könnten ihm wahrscheinlich wieder Auftrieb geben. Wir wären glücklich darüber, bald wieder den „Zamperl" in seiner gewohnten Form zu erleben. Ettore Bastianini als Posa zeigte, daß er wieder stimmlich im Kommen ist. Zwar war nicht alles Gold, was er zum Besten gab, aber das Volumen ist wieder in alter Stärke vorhanden. Walter Kreppel sang einen sehr vulgären König. Lautstärke allein vermag nicht zu begeistern, und das sollte sich der Künstler zu Herzen nehmen. Hans Hotter als Großinquisitor war an diesem Abend ebenfalls nicht in Bestform. Er verstand dies geschickt zu kaschieren, verzichtete aber selbst auf einen Einzelvorhang. Wäre jeder Künstler so selbstkritisch, wären manche unliebsame Sachen nicht passiert!

TRISTAN UND ISOLDE am 16. Juni

Dem geplagten Festwochenbesucher, der vom Moskauer Kammerorchester in den Tristan unter Herbert von Karajan herübergerast kam, eröffnete sich die Macht großer Musik in großer Interpretation. Man wurde sofort in Bann geschlagen von der Außerordentlichkeit dieser Aufführung, die rauschend, glühend, spannungsgeladen und erregend war. Alte Knappertsbuschanhänger, die ja bei Wagner immer ein wenig orthodox sind, bestätigten unseren Eindruck, daß diese Aufführung selbst für Karajan, die Wiener Philharmoniker und die Wiener Oper ungewöhnlich war.

Birgit Nilsson und Wolfgang Windgassen waren das liebende Paar: Sie – gesegnet mit einer wunderbaren Wagnerstimme von leuchtendem Metall und immer mehr wachsendem Verständnis und Gefühl. Er - von einer fast beängstigenden, brennenden Intensität, die dem konzentrierten Hörer das Schicksal und die Phantasien des Helden vor Ohr und Auge führte. Otto Wiener ist ein treuer Rittersmann mit markiger Stimme und prächtiger Höhe, Hans Hotter ein Marke von einsamer Größe und der Fähigkeit tiefsten Mitleidens. Das „Hausensemble" machte sich in Gestalt der farblosen und schrill singenden Hilde Rössel-Majdan zwar in einigen Momenten unliebsam bemerkbar, war aber angesichts großer Leistungen wieder so unbedeutend, daß man im nächsten Moment darauf vergessen hatte. Der Chef des Hauses verabschiedete sich mit dieser Aufführung würdig für diese Saison, in der er mehr zu internen Kämpfen gezwungen wurde als ihm künstlerisch zu arbeiten gestattet war. Angesichts solcher Arbeitsergebnisse, wie es dieser Tristan war, doppelt schade.

BALLETTABEND am 17. Juni

TURANDOT am 18. Juni

Gespannt erwartete man das erste Auftreten von Sandor Konya, der mit dem Kalaf in Wien debütierte. Leider wurden die großen Hoffnungen nicht erfüllt. Herr Konya bringt zwar sehr schönes Material mit und weiß es auch in der Tiefe und Mittellage vortrefflich einzusetzen. Er ist ein Schönsänger im wahrsten Sinne des Wortes, phrasiert vorbildlich und erfreut das Ohr durch sein weiches, baritonales Timbre. Leider reichen diese Vorzüge nicht bis zur Höhe, über die ein Kalaf unbedingt verfügen muß. In der hohen Lage wird die Stimme unergiebig, läßt jeden Glanz vermissen und zeigt nicht mehr die geringste Durchschlagskraft. So blieb z. B. die Schlußphrase von „Nessun dorma" fast unhörbar. Daher war es auch kein Wunder, daß sich nach dieser beliebten Arie keine Hand rührte. Freilich ist es schwer, wenn man dazu noch Birgit Nilsson in der Titelpartie als Partnerin hat, deren Riesenstimme mühelos das große Haus füllt, deren sieghafte Spitzentöne als Glanzlichter über Chor und Orchester strahlen. Voll Liebreiz wieder Hilde Güden als Liu, die stimmlich ausgezeichnet war und in ihren Arien vollendete Pianokultur zeigte. Frederick Guthrie als Timur fügte sich gut in dieses Ensemble ein und bewies, daß diese Rolle zu seinen besten zählt. Das Ministerterzett war mit Kostas Paskalis, Ermanno Lorenzi und Murray Dickie, der Kaiser mit Peter Klein besetzt. Am Pult waltete Francesco Molinari-Pradelli mit Elan seines Amtes und legte so die Grundlage zu einer gediegenen Aufführung.

CAPRICCIO am 19. Juni

Karajan mit den Berliner Philharmonikern im Musikverein, Liederabend von Hermann Prey im Brahmssaal, das Mozart-Requiem unter Schuricht im Stefansdom, die Lulu im Theater an der Wien und Capriccio am Ring. Alles am gleichen Abend! Oh Festwochenplanung! So ging das subtile Strauss’sche Alterswerk zum zweiten Mal während der Festwochen in Szene. Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin bleibt weiterhin die ideale Interpretin dieser äußerst schwierig zu gestaltenden Partie. Stets von neuem bestrickt sie mit ihrem Charme und ihrer Gesangskultur, auch wenn sie sich einmal nicht in bester Stimmverfassung befindet. Walter Berry sekundierte ihr als Olivier mit prachtvoller Stimme und manchmal etwas gar zu ungestümer Gestaltung (in diesem Rollenfach fühlt sich Berry sichtlich wohler als auf dem Schlachtfeld der Heldenbaritone, auf das ihn falscher Ehrgeiz zu treiben droht). Die restlichen Leistungen des Abends lagen unter Festwochenniveau: Hermann Uhde als Graf überzog seine Partie und deklamierte undeutlich. Anton Dermota quälte sich neuerlich mit dem Flamand ab, während Christl Goltz mit stereotypem Lächeln die Clairon „durchstand". Völlig verpuffte das geistreiche Intermezzo, in dem der italienische Ziergesang parodiert wird. Rita Streich und Murray Dickie stachelten sich gegenseitig ständig zu Übertreibungen an und wurden so schließlich zu Witzfiguren ihrer eigenen Parodie. Dabei sind wir durchaus dafür, daß die im Grund unsingbaren Phrasen dieser Karikatur von Nicht-Italienern interpretiert werden, aber doch mit ein wenig mehr Stilgefühl als an diesem Abend! Als La Roche gastierte Benno Kusche, der dieser zweiten Zentralgestalt des Werkes vor allen Dingen die Persönlichkeit schuldig blieb. Statt ein Feuerwerk brillanter Ideen in lockerem Konversationston zu entzünden, dozierte Kusche lange und breit, vermied aber andererseits seine sonst in deutschen Landen so gefürchtete Neigung zum Outrieren und sang sauber und korrekt. Georges Pretre hatte zu Beginn einige Mühe mit der Lautstärke des Orchesters, dessen Streicher übermüdet und sehr stumpf klangen. Im zweiten Teil erwies er sich wieder als viel versprechender Strauss-Interpret. Die Einleitung zur Schlußszene zeigte den Hornisten nicht auf der Höhe seines Könnens.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 20. Juni

Eine recht gute Aufführung, die aber mit den anderen Wagnerinterpretationen während der Festwochen nicht Schritt halten konnte. Im Mittelpunkt des Ensembles stand wieder Otto Wiener als Hans Sachs, verläßlich und stimmstark vom ersten bis zum letzten Ton. Walter Kreppel sang einen schönen Pogner und Rudolf Knoll einen weit weniger erfreulichen Kothner. Eine feine Charakterisierung bot Karl Schmitt-Walter als Beckmesser. Er ist fast vornehm, wenn er auf jeden Klamauk und die üblichen Beckmesser-Späße verzichtet. Schade, daß er stimmlich nicht ebensoviel zu bieten hat. Den jugendlichen Ritter Stolzing stattete Hans Beirer mit kräftigen Tönen und heldischem Glanze aus. Leider verursacht seine Art zu singen ab und zu unkontrollierte Töne, die den an sich guten Gesamteindruck störten. Leider war seine Partnerin, Wilma Lipp, das Evchen des Abends, stimmlich nicht in bester Verfassung. Eine nette Überraschung der David des Abends – Gerhard Unger, der im letzten Moment für Dickie einsprang. Er stellte einen Naturburschen von bezwingender Herzlichkeit auf die Bühne, sicher in Spiel und Gesang. Nicht ganz das gewohnte Niveau erreichte das Orchester unter Heinz Wallberg. Man merkte an verschiedenen Unsicherheiten und Unsauberkeiten, daß dieses Werk schon seit Monaten nicht auf dem Programm stand.

TURANDOT am 21. Juni

Nach einem etwas unausgeglichenen ersten Akt sorgte Francesco Molinari-Pradelli für eine ausgesprochen stimmungsvolle und farbenkräftige Interpretation des Werkes, das in Birgit Nilsson eine ideale Vertreterin der Titelrolle hatte. Nicht umsonst feiert die Künstlerin in allen Erdteilen Triumphe, und Wiens Opernpublikum lag nach diesem Abend „zu ihren Füßen". Sandor Konya wiederholte seinen Kalaf. Er gefiel diesmal weitaus besser, womit aber nicht gesagt sein soll, er sei für die Rolle prädestiniert. Die Stimme hat ihre Stärke in einer breiten, warmen Mittellage. Weniger imponierend ist die Höhe, der es in erster Linie an Leuchtkraft fehlt. Dieses Manko versuchte der Sänger durch intelligente Phrasierung auszugleichen. Man müßte Sandor Konya noch in einer andern Rolle hören, um sich ein Urteil über seine derzeitige Verfassung erlauben zu können. Hilde Güden war wieder die innige Liu. Auch die anderen Nebenrollen waren mit einer Ausnahme (Erich Majkut sprang für Murray Dickie ein und ließ uns den Absager herbeiwünschen) gleich besetzt. Besonders erwähnenswert wäre die vorzügliche Leistung des Chores, der derzeit sichtlich bestrebt ist, sich zu verbessern.

DON GIOVANNI am 22. Juni

Das war wahrlich keine festwochenreife Mozartaufführung! Joseph Keilberth, knapp vor der Aufführung in Wien eingetroffen, übernahm probenlos die Aufführung, in der die Sänger bunt zusammengewürfelt waren. Der Dirigent selbst wirkte diesmal sehr müde und farblos, vermochte weder das nur zu einem geringen Teil aus Wiener Philharmonikern bestehende Orchester noch die Bühne mitzureißen, und so verlief der Abend sehr flau und ohne Echo beim Publikum. Hätte man nicht in den Orchesterraum geschaut, man hätte nicht vermutet, daß der Münchner Chef am Pult steht! Die Besetzung der Titelpartie mit dem tschechischen Bariton Rudolf Jedlicka während der Saison ist schon anfechtbar, aber in den Wiener Festwochen diesen Sänger dem internationalen Publikum zu präsentieren, ist ein starkes Stück! Wenn Eberhard Wächter nicht zur Verfügung steht, muß man sich beizeiten um George London oder Hermann Prey umsehen oder die Partie wenigstens einem interessanten Gast wie György Melis (Glyndebourne) oder Ernest Blanc (Paris) anvertrauen. Natürlich könnte man auch an Cesare Siepi denken. (!) Herr Jedlicka, der eine sehr mangelhafte gesangliche Leistung bot, wird vor allem mit den Rezitativen nicht fertig, und so vermag er trotz selbstsicheren Auftretens nicht im geringsten zu überzeugen. Nicolai Gedda sang seinen ersten Wiener Ottavio und war gut bei Stimme, allerdings erreichte er nicht sein vorjähriges Salzburger Höchstformat. Aber wen wundert das, wenn die Aufführung probenlos abgehalten wird. Er war dennoch der seit Jahren beste Vertreter dieser Rolle am Ring. Walter Berry war der muntere Leporello, der stimmlich gut und darstellerisch manchmal etwas zu drastisch war. In der Verkleidungsszene mit Elvira (zweiter Akt) verlor er seinen Hut. So hätte ihn die Getäuschte eigentlich sofort erkennen müssen. Die Elvira von Elisabeth Schwarzkopf, in Gestaltung und Gesang prachtvoll verkörpert, ließ keinen Wunsch offen. Ihre zweite Arie wurde stürmisch bejubelt. Gerda Scheyrer war eine brave Donna Anna. Sie ist eine verläßliche Sängerin, der es allerdings auch heuer nicht gelang, in die erste Garnitur der Sänger der Staatsoper Wien aufzusteigen. Die Zerlina von Graziella Sciutti war diesmal schwächer als sonst und ihr Masetto Kostas Paskalis kehlig und falsch eingesetzt. Walter Kreppel (Komtur) distonierte hörbar. Somit eine Aufführung, die enttäuschte und mit dem Ruf der Wiener Oper eigentlich nicht vereinbar ist. Die Inszenierung bleibt indiskutabel. Wir hoffen, daß man das Werk nun bis zur projektierten Neuinszenierung unter dem Chef in den kommenden Wiener Festwochen 1963 aus dem Repertoire nimmt. Man könnte die Kulissen getrost in den kalten Nächten unter den Arkaden der Oper für jene jungen Leute aus Deutschland anzünden, die sich während der Festwochen hier ständig nächtelang um Sitzplatz-Karten für die Aufführungen angestellt haben, um dann diese Karten mit 400% Aufschlag bei den Wiener Hotelportiers zu verscheuern oder bei zahlungskräftigen Amerikanern wieder an den Mann zu bringen. In Wien hatten bisher solche Unsitten nicht geherrscht und wir hoffen, daß mit Saisonende auch diese unliebsamen Erscheinungen verschwinden, sonst müßten die Wiener Opernfreunde einmal zur Selbsthilfe greifen!

ELEKTRA am 23. Juni

Gutes Repertoireniveau hatte diese Strauss-Aufführung am Ende der Saison. Christl Goltz gab sich alle erdenkliche Mühe und, abgesehen von einzelnen Höhen, denen es an Kraft fehlte, gab es nichts an ihrer Leistung auszusetzen. Bewundernswert die physische Kapazität der Künstlerin, die jederzeit bestrebt ist, sich ganz und voll auszugeben. Hilde Zadek, die ihre Schwester sang, war die musikalischste Sängerin des Abends. Sie sang verläßlich, brav und ehrlich. Jean Madeira bot eine für ihre Verhältnisse zufriedenstellende Leistung als Klytämnestra. Die verbrauchte Stimme störte in dieser Partie nicht. Außerdem hatte Frau Madeira den Mut, in einer an einen amerikanischen Gruselfilm erinnernden Gesichtsmaske aufzutreten. Die Männerrollen waren mit Hans Beirer (Aegisth) und Paul Schöffler (Orest) zutreffend besetzt. Heinz Wallberg fand an diesem Abend sofort Kontakt mit dem Orchester, das er stets auch bei der Lautstärke zu bändigen wußte. Den Orchestermitgliedern schien es Freude zu bereiten, Richard Strauss zu spielen, und wenn sie wollen, dann erübrigt sich jeder weitere Kommentar…

RIGOLETTO am 24. Juni

Ende der Wiener Festwochen! Diese Aufführung interessierte vor allem Nicolai Geddas wegen, der erstmals den Herzog sang und der bei öfterem Auftreten in der Oper wohl der Festwochentenor hätte werden können, der heuer fehlte. Obzwar die Stimme Geddas eigentlich nicht von sinnlichem Timbre ist, macht er das wett durch die künstlerischen Fähigkeiten, die die Rolle wie aus einem Guß geformt erscheinen lassen. Musikalisch beherrscht er die Partie bis in die kleinste Sechzehntel-Note (man merkt erst, wie schlampig oft seine Kollegen die Ensembles singen!) Er hat die Eleganz im Vortrag, die sich bei „La Donna e mobile" so gut macht. Er baut die große Arie auf, wie wir es noch selten gehört haben. Er sieht sehr gut aus und spielt wirklich glaubhaft. Die metallischen Spitzentöne sitzen sicher. Mit einem Wort, es gab endlich einmal einen wirklich perfekten Herzog. (Sänger die ihn spielen könnten, singen ihn immer schlecht, Sänger, Stimme dafür haben, sind zumeist in der Darstellung unglücklich). Die Wiederbegegnung mit Herrn Gedda in dieser und in der nächsten Saison werden äußerst interessant werden. Ettore Bastianini gab die Titelpartie. Darstellerisch wie schon im vorigen Monat erwähnt, stark verbessert – stimmlich nur im Forte gut. Von seinem samtenen Legato war an diesem Abend nicht viel zu merken. Man hat direkt den Eindruck, er sei wie Tito Gobbi dem Komplex erlegen, so laut singen zu müssen wie Aldo Protti. Doch dies bleibt dessen Spezialität und sollte von andersgearteten Sängern besser nicht nachgeahmt werden, deren Stimme und Intonationssicherheit erheblich darunter leiden. Ruth-Margaret Pütz hat sich seit der Premiere stark verbessert, obzwar sie noch immer den Fehler begeht, gelegentlich zu stark auf die Stimme zu hauen. Aber sie fühlte sich wesentlich sicherer und sang den Schluß von „Caro nome" hinauf, was ja immerhin ein seltenes Bravourstück ist. Jean Madeira und Walter Kreppel spielten als loses Geschwisterpaar: „Wer kann lauter singen?", wobei der Baß immer noch um Längen gewann, die Altistin jedoch ihre Stimme in solche Tiefen hinabdrückte, daß man sie manchmal für Sparafucile hätte halten können. Die Herren Siegfried Rudolf Frese und Rudolf Knoll versuchten, durch übertriebenes Spiel das auszugleichen, was ihnen an Stimme fehlt. Francesco Molinari Pradelli war der hervorragende Dirigent des Abends, mit wachem Sinn für dramatischen Effekt, einem natürlichen Gefühl für richtige Tempi und einem kräftigen Temperament. Übrigens geruhten unsere Herrn Musiker jetzt bereits, ihm zu folgen, nachdem sie ihn ja zuerst zu despotisch gefunden und ihn häufig hängen gelassen hatten. Solche Mätzchen gehören unserem Staatsopernorchester (sehr viele Wiener Philharmoniker waren diesmal nicht dabei) – wenn nötig brutal – abgewöhnt.

LA BOHEME am 25. Juni

Das Saisonende wirft seine Schatten auf das Repertoire. Man spürt die Müdigkeit und vor allem die Hitze, die den ersten Teil der Aufführung sehr stark in Mitleidenschaft zogen. Alberto Erede kämpfte unverdrossen, und bald stellte sich auch der Erfolg ein. Er sorgte für Brio, und nach der Pause war plötzlich auch Stimmung vorhanden. Hilde Güden sprang für Frau Stich-Randall (worüber große Freude herrschte) ein und sang sich bald in die Herzen des Auditoriums. Giuseppe Zampieri war ihr Partner, der ein wenig unbeholfen wirkte, was sich sowohl auf seine Darstellung wie auf die Gesangslinie beziehen läßt. Es tut einem manchmal weh, wenn man sieht, wie Herr Zampieri auf die Stimme drückt und wie gering der Erfolg ist. Zu viele gequälte Töne, die außerdem dünn klangen, bewiesen, daß mit dem Tenor noch immer manches nicht in Ordnung ist. Ettore Bastianini unterhielt sein Publikum als mit Hosenträgern ausstaffierter Marcello bestens. Die lyrischen Partien kamen seiner Stimme sehr entgegen, gaben ihm die Möglichkeit, sein herrliches Organ unbeschwert dahinströmen zu lassen und hier ist es, (abgesehen von seiner manchmal ungenauen Art der Intonation) ganz am Platz. Walter Berry sang eine prächtige Mantelarie und wußte dem Philosophen Glaubwürdigkeit in der Darstellung zu geben. Schwach waren Harald Pröglhöf als Schaunard – seine Stimme wirkte trocken und spröde – und Mimi Coertse als Musetta, die gesanglich sehr belegt klang und der die Leichtigkeit für den Walzer völlig abgeht.

ARIADNE AUF NAXOS am 26. Juni

In dieser Vorstellung waren wirklich nur die Hauptdarsteller gut (lang lebe der Sängerstar!). Berislav Klobucar stand dem Werk hilflos gegenüber, ebenso hilflos wie das Orchester. Die Wiener Philharmoniker behaupten doch immer, sie spielten lieber Strauss und Wagner statt der italienischen Schinken! Warum setzen sie dann (sie tun es ja selbst!) so eine drittrangige Orchester-Garnitur an, daß die sechsunddreißig stark solistisch geführten Stimmen in Atome zerfallen, statt ein Ganzes zu bilden? Die Streicher spielten wie eine Kurkapelle, und wenn einmal die Oboe schmeißt und das Klavier um Takte zu früh einsetzt, hört sich der Spaß allmählich auf. Leonie Rysanek sang zum ersten Mal in Wien die Ariadne, und es muß gleich vorweggenommen werden, daß sie die Repertoirebesetzungen gleich um mehrere Klassen überragte. Die große, dramatische Stimme füllt endlich die Rolle voll aus. Die Tiefe ist da, die Höhe kommt ausgezeichnet („Hermes"!). Das Hinaufpeilen der oberen Mittellage war zwar manchmal nicht zu überhören, gab sich aber im Schlußduett, und die Gelegenheit für raffinierte Piani war auch vorhanden. Überdies sang sie mit starkem Ausdruck und spielte ausgezeichnet. James McCracken, der stimmgewaltige Bacchus, hatte endlich einmal eine Partnerin, die zu ihm paßte. Erwähnen wir noch die gewandt und sicher gesungene Zerbinetta von Ruth-Margaret Pütz, die übrigens wesentlich aparter spielte, als bei ihrem Debüt, und den hervorragenden Komponisten von Christa Ludwig, der verträumt und aufbrausend, verzweifelt und glücklich war, wie es sich für diese Rolle geziemt. Damit haben wir die Positiva des Abends genannt. Passabel waren noch Alfred Poell (er hat wenigstens Charme und Bühneninstinkt), Murray Dickie und Ludwig Welter, indiskutabel Liselotte Maikl (Höhe schlecht), Anny Felbermayer (so steif als sänge ein Vögelein), Dagmar Hermann (Tremolo sondergleichen), Peter Klein (Schwierigkeiten mit der Höhe), Kurt Equiluz (unhörbar), Siegfried Rudolf Frese (keine Stimme), Harald Pröglhöf und Erich Majkut (unangenehm aufdringlich). Schwamm drüber!

BALLETTABEND am 27. Juni

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 28. Juni

Wenig Erfreuliches ist diesmal von den beiden veristischen Opern zu berichten, die vor total ausverkauftem Haus zur Aufführung kamen. Das Orchester wirkte müde und abgespannt, und auch der Dirigent Francesco Molinari-Pradelli schien diesmal nicht so konzentriert wie meistens. Die Blutfehde in der CAVALLERIA wurde von den Herren Giuseppe Zampieri und Kostas Paskalis unter sich ausgemacht, wobei diesmal der Bariton in stimmlicher Hinsicht dem Tenor an Lautstärke und Temperament überlegen war. Christl Goltz spielte die verschmähte Frau auf ihre Weise, d.h. mit hektischer Gebärde, wobei die Stimme keine Leidenschaft erkennen ließ. Margareta Sjöstedt und Georgine Milinkovic ergänzten das Ensemble, das in der Gesamtheit Zeichen der Urlaubsreife erkennen ließ.

Die Hoffnung, daß die Freunde des Belcantos im BAJAZZO auf ihre Rechnung kämen, erwies sich als Trugschluß. James McCracken trumpfte mit seinem Heldenorgan zwar gewaltig auf und spielte erschütternd die Schlußszene, doch Wilma Lipps weißer Sopran (Nedda) klang diesmal nicht glockenrein. Auch an ihr verspürte man, daß die Ferien in greifbare Nähe rücken. Kostas Paskalis sang einen gefälligen Prolog, wobei man besonders betonen muß, daß er nicht zum Brüllen Zuflucht nahm, eine sehr erfreuliche Leistung! Indiskutabel war Siegfried Rudolf Frese als Silvio. Man spielte mit dem Gedanken, ob da nicht noch Karl Weber besser wäre, und dies allein erübrigt jede weitere Stellungnahme. Ermanno Lorenzi wollte unter Beweis stellen, daß er weiterhin zu den Tenören des Hauses gehört, so laut machte er sich bemerkbar. Molinari-Pradellis Bemühen mit dem Chor in Einklang zu kommen, scheiterte deutlich.

LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 29. Juni

Das Werk stand in der Premierenbesetzung und mit dem damaligen Korrepetitor und Cembalisten Peter Ronnefeld als Dirigenten am Spielplan. Man freut sich, immer wieder feststellen zu können, daß sich kaum Wesentliches geändert hat… außer dem Titel, ein Fall und eine kleine Komödie für sich übrigens. Es scheint ein Charakteristikum für Günther Rennerts Inszenierungen zu sein, daß sie nicht nur zauberhaft, treffend, musikalisch usw. sind, sondern auch noch dauerhaft, daß sie sich nicht abspielen und daß sie weder dem Publikum noch den Sängern überdrüssig werden. Jeder, der das Theater kennt, und weiß, daß die Premiere vor gut zweieinhalb Jahren war, kann nun selbst ermessen, was hier für Wunder geschehen. Und die Angelina ist der Wunder größtes: Christa Ludwig hat mit dieser Partie einen Haupttreffer gezogen, und die Wiener Staatsoper einen entsprechenden, als sie ihr die Partie gab. Wir glauben nicht, daß es außer der Simionato noch eine einigermaßen ähnlich großartige Besetzung gäbe. Ebenfalls nach wie vor großartig ist Walter Berry als Dandini. Auf der gesunden Basis seiner Stimme baut er ein Feuerwerk von Späßen auf. Es sind seit der Premiere etliche hinzugekommen. Sie fügen sich aber, und das ist das Wichtigste, in den Rahmen der Inszenierung, ohne sie zu sprengen. Ebenfalls gut und nun schon ganz selbstverständlich und locker ist Waldemar Kmentt als Don Ramiro. Die stimmliche Tagesverfassung war zudem vorzüglich. Unverändert als Stimmungskanone Don Magnifico ist auch Karl Dönch. Man wird allerdings von Mal zu Mal vehementer von dem Wunsch überfallen, die Partie einmal gesungen zu hören. Ein Baß-Buffo, der den ersten Teil seiner Fachbezeichnung gewichtiger rechtfertigte, als er deren zweiten betont, wäre doch angezeigt. Die beiden „lieben" Schwestern wurden von Emmy Loose und Dagmar Hermann ebenso glaubwürdig gestaltet wie der Fädenzieher und Kulissendirecteur Alidoro von Ludwig Welter. Letzterer vermochte auch stimmlich in angenehmer Weise aufzufallen. Der Chor ist zwar nicht mehr so exakt, wie von zweieinhalb Jahren, immerhin aber hinreichend. Das Orchester war so gut, von Kleinigkeiten abgesehen, wie es so lange Zeit nach der Einstudierung sehr selten vorkommt.

EIN MASKENBALL am 30. Juni

Mit dieser Verdioper fand die diesjährige Spielzeit ihr Ende. Man spürte bereits, daß die meisten Wiener Philharmoniker Urlaub gemacht haben. Zahlreiche Substituten waren vertreten und der Orchesterklang dementsprechend. Francesco Molinari-Pradelli für die Oberflächlichkeit der einzelnen Musiker verantwortlich zu machen, wäre ungerecht. Wie immer war er der leidenschaftliche Dirigent, der mit Hingabe und italienischem Schwung die Aufführung leitete, aber leider nur wenig Echo fand. Es wäre weiters ungerecht zu behaupten, daß sich die Solisten auf der Bühne keine Mühe gaben. Aber die große Leistung, die den letzten Abend zum Ereignis gemacht hätte, blieb aus. Leonie Rysanek als Amelia erwies sich als die reifste Künstlerin. Sie war in schauspielerischer Hinsicht dominierend und sang die Partie sehr schön. Man möge uns verzeihen, daß wir seinerzeit Frau Rysanek, als sie weniger kontrolliert sang, weitaus mehr schätzten, weil die Sängerin damals mitreißender und leidenschaftlicher wirkte. Was an Tiefe gewonnen wurde, vermißt man an Höhe, die nicht mehr so leicht und klar gehandhabt wird. (Ende des großen Liebesduettes!). Giuseppe Zampieri bot am letzten Abend seine derzeit für ihn typisch unterschiedliche Leistung. Neben sehr gut klingenden Phrasen gab es Szenen, in denen die Stimme in den Hals rutschte und kaum hörbar war. Kostas Paskalis als Renato überraschte durch eine gute Leistung, die er mit einem mit viel Beifall bedachten „Eri tu" krönte. Paskalis hätte das Zeug in sich, einen weiteren Schritt nach vorne zu tun. Alle Anlagen dazu sind vorhanden. Ein richtiger Gesangspädagoge würde ihm sicher seine zu häufigen und unnötigen Kraftausbrüche der Stimme abgewöhnen. Den Pagen sang Ruth-Margaret Pütz sehr sicher. Man merkt ihr an, daß ihr diese Rolle Freude bereitet. Vorzüglich war sie auch in den Ensembleszenen, die sie vortrefflich zu führen verstand. Jean Madeira, die nicht mehr dem Staatsopernverband angehören wird, verabschiedete sich als Ulrica von Wien. Ihr treuer Anhang erwies ihr nochmals die Reverenz und wir verzichten aus diesem Anlaß auf eine Kritik. Die beiden Verschwörer waren endlich mit kräftigen Stimmen (Tugomir Franc und Frederick Guthrie) besetzt und Karl Weber sang den Matrosen mit seiner uns gar nicht liegenden Stimme. Saisonmüde und etwas enttäuscht nahmen die Opernliebhaber für zwei Monate Abschied vom Haus am Ring.

 

Zur Information: Unabhängig von der Wiener Staatsoper gab es im Theater an der Wien eine Festwochen-Eigenveranstaltung

LULU

Otto Schenk führte in Bühnenbildern von Caspar Neher Regie, die Kostüme entwarf Hill Reihs-Gomes. Karl Böhm war der Dirigent. Evelyn Lear sang die Titelrolle, Paul Schöffler den Dr. Schön. Rudolf Schock war der Alva, Gisela Litz die Geschwitz und Margarete Ast der Student.

 

WIR SIND NOCH EINMAL DAVONGEKOMMEN

Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 7

Man ist wirklich froh, wenn man die Akten über diese unerquickliche Saison abschließen kann Alle guten Geister – Apollo, die zuständigen Musen und sonstige Übermächte – mögen verhindern, daß je wieder eine solche über uns hereinbricht.

Den Beginn der Krise bildete eine groß aufgezogene „Karajan-Hetze". Der Chef schüttelt sich aber natürlich wie eine vom Gewitter überraschte Fischotter ab. (Einen Karajan kann man durch Hetze nicht abschießen!)

Der durch die Unfähigkeit der Bundestheaterverwaltung bis zum Exzeß getriebene Überstundenstreik der Bühnenarbeiter war der nächste, weit gefährlichere Punkt im Programm. Daß der faule Kompromiß zwischen Gewerkschaft und Verwaltung unter tatkräftiger Mithilfe der verschiedenen grauen Eminenzen ausgerechnet zum für den Musikfreund höchst unwichtigen, für die Bonzen und Protzen aber offenbar zur Lebensnotwendigkeit zählenden Opernball zustande kam, schlug dem Faß den Boden aus, worauf die Bombe platzte: Herbert von Karajan demissionierte. Was niemand für möglich gehalten hatte, geschah: Nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch fast die gesamte Presse stellte sich plötzlich ohne Wimperzucken hinter Karajan. Und so kam er nach zähen und verbissen wirkenden Verhandlungen wieder zurück, von der drückenden Fessel dar Verwaltung teilweise befreit (wie weit, kann man derzeit schwer durchschauen, selbst als für gewöhnlich gut Informierter) und mit dem „Mann seiner Wahl", Dr. Schaefer aus Stuttgart, als Mitstreiter an der Seite. Es ist allerdings unter diesen internen Bruderzwisten zu spät geworden, um ein mehr als passables Programm für die laufende und für die nächste Spielzeit zu gestalten, wir hoffen aber, daß die Vorarbeiten für die Saison 1963/64 wenigstens jetzt schon in die Wege geleitet werden.

Man wurde anläßlich der Krise mit einem ziemlichen Schrecken gewahr, daß die Ausnahmestellung der Wiener Oper, die wir ihr trotz alledem im Prinzip noch immer zugestehen, nur auf Herbert von Karajan basiert. Was will man im Zeitalter der „Künstlerinternationale" schon anfangen? Große Sänger singen in aller Welt, große Regisseure arbeiten gleicherweise diesseits und jenseits des Ozeans oder ziehen eine Auffassung in fünf Städten ab, die Bühnenbildner eilen von Haus zu Haus, sogar die Repertoirebildung unterliegt – nicht zuletzt der Sänger wegen – offenbar auch der Mode (Karmeliterinnen, Mord in der Kathedrale „boomen" in den romanischen, Monteverdi in den deutschsprachigen Ländern, Fidelio findet man auf Bühne und Schallplatte usw.) Warum also sollte man sich diesen unübersehbaren Erscheinungen verschließen? Es ist sicher besser, sie sich in der von Karajan proponierten Zusammenarbeit zwischen den führenden Opernhäusern zunutze machen? Eine sogenannte Eigenständigkeit betreffend Inszenierungsstil, Sänger und Programm kann sich Wuppertal leisten, aber für Wien würde die Befolgung ähnlicher Maxime unweigerlich tiefste Provinz bedeuten.

Über Durchschnittsniveau lagen in der letzten Saison allerdings nicht gerade übermäßig viele Veranstaltungen.

Lob, Preis und Ehre gebührt vor allem der Neuinszenierung von PELLEAS UND MELISANDE in der Szene, Musik, Besetzung und Gesamteindruck gleich traumhaft waren.

Waren es das ganze Jahr über die italienischen Vorstellungen, die das Niveau einigermaßen wahrten, so blieben sie in den gleichen Besetzungen für die Festwochen (es fehlte heuer zum ersten Mal der „Festwochentenor") hinter den großen Karajan-Aufführungen des Ring des Nibelungen, des Parsifal und Tristan zurück. Da haben sich gleich die Maßstäbe etwas nach oben verschoben. Gott sei Dank!

Bedauerlich war das Fehlen wirklich großer Strauss-Vorstellungen das ganze Jahr über und in den Festwochen. (Die einzige, ein prächtig besetzter und von Karajan dirigierter Rosenkavalier, mußte ausgerechnet eine geschlossene Aufführung für den dänischen König sein!). Hier gehört einmal von Grund auf umbesetzt, regielich überholt und musikalisch neu studiert. (Besetzungsvorschläge haben wir schon dutzendweise gemacht.) Sonst müssen wir uns im Strauss-Festjahr noch vor der ganzen Welt genieren.

Traurig war es, daß neben der obligaten Dirigentenkrise, die es ja immerhin überall gibt (dem früheren Publikum dürften die Durchschnitts-Kapellmeister lange nicht so auf die Nerven gegangen sein wie uns im Zeitalter der Langspielplatte), auch eine Vielzahl von Sängerkrisen zu gleicher Zeit an der Wiener Staatsoper ausbrach. Deren betrüblicheste Opfer waren Sena Jurinac, die heuer ein rabenschwarzes Jahr hatte, Giuseppe Zampieri, Ettore Bastianini, Walter Kreppel, Leonie Rysanek, Grace Hoffman, Jon Vickers, Gré Brouwenstijn, Lisa Della Casa und Oskar Czerwenka. Die Unrast, das Zuvielsingen und die oftmals erschreckenden Gewalttouren sind wohl dafür verantwortlich zu machen.

So kam es auch, daß nur zwei der Leistungen an unserem Institut so neu und außergewöhnlich waren, daß wir sie als den großen Ehrenpreises des Merker für würdig erachten:

GERHARD STOLZE als Herodes und

DIMITER USUNOW als Kalaf.

Statten wir aber unseren Dank ab an Hilde Güden und Wilma Lipp, Hans Hotter und Wolfgang Windsgassen, Aldo Protti und Eberhard Wächter, daß sie in ihren Stammrollen immer das Beste gaben und uns halfen, die schwere Zeit zu überdauern. Unser besonderer Dank gebührt Maestro Molinari-Pradelli, dessen Aufführungen ein gleichbleibend hohes Niveau aufweisen, der an jede Vorstellung mit dem gleichen Feuer herangeht und den dessen künstlerische Aufgeschlossenheit (wenn er nicht selbst dirigiert, hört er sich bestimmt ein Konzert oder einen Opernabend an) ihn sicher für immer davor bewahrt, in Routine zu erstarren. Deshalb sind wir im Prinzip dagegen, daß Karajan, der knapp sein Plansoll von dreißig Abenden erreichte, allzu oft italienische Opern dirigiert. Er sollte lieber mehr Mozart und Strauss dirigieren. Puccini und Verdi sind bei Molinari-Pradelli sehr gut aufgehoben.

In der nächsten Saison kann die Wiener Staatsoper sechzig Abende im Theater an der Wien spielen. Die Planung dafür dürfte leider ziemlich schwierig sein. Es muß nicht gerade zu den angenehmsten Dingen gehören, mit dem Festwochen-Intendanten Dr. Egon Hilbert zusammenzuarbeiten. Vielleicht ließe sich aber aus dem Opernspielplan einiges übernehmen, wie Cenerentola oder Der Wildschütz, Werke, die im großen Haus doch ohnehin nie zum Zug kommen.

Eines allerdings muß sofort in Angriff genommen worden, das Orchesterproblem. Wenn unsere Philharmoniker einen ihrer großen Abende haben, ist man leider nur zu bald bereit zu vergessen, was sie dem Hörer das Jahr über antun. Die Herren nehmen eben zu viele Nebenengagements an, sodaß sie für ihre Grundaufgabe, im Orchester der Wiener Oper zu spielen, wenig Zeit mehr haben. Aber so geht das natürlich nicht. Die Philharmoniker sind als Konzertorchester eine Vereinigung, der niemand dreinreden darf. Gut so! Als Orchester der Staatsoper aber sind sie Staatsangestellte und haben ihre Pflicht zu tun und nicht nach dem ersten Akt nach Hause zu gehen, wenn ihnen die Oper zu lange dauert. Was nicht nur in italienischen Opern sondern auch bei Richard Strauss, den die Philharmoniker doch angeblich so lieben, zusammengespielt worden ist, übersteigt das Maß des Zumutbaren. Vielleicht reduzieren die Herren ihre Privatverpflichtungen, wie Aufspielen auf Parties bekannter Großindustrieller, Konzerte in Stadthallen, wo sie weiß Gott nicht hingehören usw. Ja, werden die Philharmoniker sagen, wir haben ja auch zu wenig gute Dirigenten. Stimmt! Aber daß viele gute Dirigenten nicht nach Wien kommen, weil es völlig unmöglich ist, eine Probe mit dem Orchester zu erhalten, das vergessen sie! Und wenn eine Probe durchgesetzt ist, dann arbeiten die Herren Professoren womöglich nicht wirklich, sondern spielen „mir san mir, wir könnes eh", „Der Kna hat auch nie geprobt" etc. Nun, das ist wirklich kein Argument, der Kna ist ein Sonderfall. Und wir können uns außerdem noch sehr gut an die Zeiten erinnern, wo er Repertoire dirigierte. Da gab es genug Vorstellungen, wo er erst beim Finale aufwachte.

Wir kennen Pessimisten, die gegen eine Art Stagione-System, in dem etwa jeden Monat oder alle sechs Wochen die auf dem Spielplan stehenden Stücke nach sorgsamen Proben gewechselt werden, den Einwand vorbringen, daß wir dann eben in einem Monat nicht zwei miese Rigolettos, sondern deren sechs haben würden, da das Orchester genauso nicht proben, dafür aber die Besetzung wechseln würde wie jetzt. Das ist, bei genauer Kenntnis der Wiener Verhältnisse, leider nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht versucht man es doch noch einmal mit dem Hinweis auf die kulturelle Verpflichtung etc. Und wenn das im nächsten Jahr nichts nützt, wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als ein eigenes Staatsopernorchester aus aller Herren Länder zusammenzuengagieren; das wäre sicher nach einem Jahr homogener als ein Substitutenhaufen, der sich zu Proben nicht herabläßt.

Nach Aufrollung dieses traurigen Problems bleiben uns noch Wünsche in Bezug auf Sänger zu äußern, doch beschränken sich diese zumeist auf die Bitte nach Pensionierung verdienter Künstler, die ihr Teil geleistet haben, sowie nach der Entlassung Ungeeigneter. Wir brauchen keine Namen zu nennen, denn die oben Erwähnten finden ohnedies, der Merker schimpfe immer auf die Gleichen. Richtig, doch wir tun dies nicht zum Vergnügen, sondern im Interesse der Wiener Oper, die den schweren Weg zwischen den steigenden Ansprüchen des Publikums, den ansteigenden sozialen Forderungen des Personals und der Schlamperei, die im Wiener Wesen so tief begründet liegt, suchen muß und sich nicht noch durch Nebenprobleme belasten soll. In diesem Sinne: Glück auf!

 

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