SALZBURGER FESTSPIELE 1962
7. Jahrgang, Heft 8/9
Außerordentlich oder ausgefallen?
Nun ist in der schönen Stadt an der Salzach wieder der Alltag eingekehrt, und Jedermann hat Muße, den Festspielen des Jahres 1962 ja nach Einstellung nachzuschimpfen oder nachzuloben. Und wie gewöhnlich sind die Meinungen der Verantwortlichen und deren Kritiker nicht auf einen Nenner zu bringen.
Da wird ein „interessantes" Programm verlangt und nur zu leicht darauf vergessen, daß die Meinungen darüber, ob ein Werk als interessant zu gelten habe oder nicht, bei Publikum und Fachleuten, den Spezialisten insbesondere, gehörig auseinandergehen. Da wird also auf jeden Fall einmal über das Publikum geschimpft und großzügig darüber hinweggesehen, daß das, was in Autobussen oder Straßenkreuzern durch Salzburg durchgeschleust wird, nicht unbedingt auch Festspielbesucher ist. (In Wien geht schließlich auch nur ein Teil der Touristen in die Oper, die übrigen ins Moulin rouge. Es möge jeder nach seiner Facon selig werden). Besucher, die ausschließlich Premieren frequentieren, können sich kaum ein Urteil über die Publikumszusammensetzung erlauben. Daher sei ihnen der Rat gegeben, eine Festspielwoche abzuwarten, wo sie die wichtigsten Aufführungen in möglichst kurzer Zeit zusammengedrängt haben, so wie wir in der Woche vom 11. bis 18. August, und sie werden finden, daß sehr viele Leute mehrere Aufführungen besuchen, die sich natürlich um eine Spitzenaufführung gruppieren. Daß diese Spitzenaufführung der Troubadour war, dürfte keinen unserer Leser wundernehmen, da sogar die Tagespresse wahre Wunderdinge von dieser Aufführung zu berichten wußte. Da nahmen die Musikfreunde dann auch die rundherum liegenden Opern oder Schauspiele mit. Es wird noch immer viel zu viel und ohne Nachdenken nach dem Schauspiel geschrieen! Das hat bei den alten Traditionellsten seinen guten Grund, denn Max Reinhardts frühe Festspiele in der Mozartstadt waren eben primär Theater-Festspiele. (Übrigens sind weite Teile des jetzigen Festspielbesucher-Stammes der Ansicht, daß der Hofmannsthal’sche Jedermann weit schlechter nach Salzburg passe, denn der vorerst mit Vorschußschmähungen bedachte Troubadour. Das liegt vor allem in der Qualität beider Werke begründet). Aber Spaß beiseite: Haben die Verantwortlichen in Salzburg und die Befürworter des Slogans „Mehr Schauspiel in Salzburg" wirklich darüber noch keine Klarheit erlangt, daß die primäre Stellung der Musik bei den Salzburger Festspielen einzig und allein für ihre internationale Anziehungskraft verantwortlich ist? Daß die Forcierung des Schauspiels eine Konzentration auf einen Teil des Publikums, nämlich das deutschsprachige, nach sich zieht? Daß wir für die Möglichkeit, weltweit interessant zu sein, die Tatsache eintauschen, daß mit der allerdings ersten Garnitur der deutschsprachigen Bühne interessant Theater gespielt werden kann? Daher: PRIMA LA MUSICA.
Aber über das Wie, da gibt es noch Streitereien. Aber wir hoffen, daß auch die Überwindung dieser Problematik in nicht unerreichbarer Ferne steht. Haben sich doch die Bestrebungen, aus Salzburg ein zweites Donaueschingen zu machen, im Sande verlaufen, hauptsächlich aus Mangel an spielbarem Material. Dafür sind jetzt die Archäologen auf den Plan getreten und wollen vor allem Stücke aufgeführt sehen, die „weitab vom begangenen Pfade" usw. liegen, auch diesmal darauf vergessend, daß das Begrabene zumeist nicht zu Unrecht beerdigt ist. Überdies: Es könnte mit dem Snobismus der Leierkastentheorie und des Abgedroschenheitskomplexes endlich Schluß gemacht werden. Ein großes Werk in großer Interpretation bedarf keiner Rechtfertigung, um bei Festspielen neu produziert werden zu dürfen. Wir wollen nicht in den Fehler vorfallen, „Festspiele des elfenbeinernen Turmes" zu veranstalten, dieses Vergnügen bleibe Spoleto ungeschmälert erhalten, das hat dafür auch seine Mäzene. Festspiele sind noch immer dazu da, um Publikum anzulocken, und man sollte diejenigen Leute, die eine Menge Geld dafür ausgegeben haben, um dabei gewesen zu sein, nicht nachträglich dumm und primitiv schelten. Das ist äußerst undankbar.
Dabei sind wir weiß Gott nichts dagegen, daß der Feinschmecker, ja der Snob auf seine Rechnung komme und alljährlich ein spezielles Stück, sei es alt oder neu, für ihn gegeben werde. 5 000 bis 6 000 Snobs wird es in Europa sicherlich geben, aber die verlangen eben noch mehr Qualität.
Der Snob aller Snobs, nämlich der, der Verdi und Puccini bereits wiederentdeckt hat, kam also in diesem Sommer auf seine Rechnung, umso mehr, da er mit der Iphigenie in Aulis noch eine sehr angenehme Draufgabe in Bezug auf Ernst und Erbauung erhielt und mit dem Gastspiel des Ballet du Xxieme Siecle du Théatre de la Monnaie, Bruxelles das Programm noch einen besonderen Reizeffekt aufwies. In diesem Sinne konnte man das Programm also eigentlich als recht gelungen bezeichnen, wenn man statt des leider eben einmal nicht zum Leben zu erweckenden Idomeneo lieber eine Straussoper gespielt und an die übrigen drei Mozartopern etwas mehr Sorgfalt und Gefühl gewendet hätte.
Ja, werden unsere Leser verwundert fragen: Wurde denn Mozart, Idol und Tantiemenbringer des Festspielpräsidenten, nicht in äußerster Demut gedient? Und leider muß der Merker mit erhobener „Kreide weiß" anzeichnen: Leider, das geschah ganz und gar nicht!
Es muß ganz entschieden dagegen polemisiert werden, daß ein Dirigent seinen ganzen „Clan" nach Salzburg verpflanzt und dort in erster Linie angesetzt wird, wen rührige Firmen auf Salzburger Plakatwänden am häufigsten affichieren. Es muß davor gewarnt werden, kostbare Werke wie den Figaro zu einem Auswuchs des Inszenierungsports „Wie mache ich es anders" werden zu lassen. Es sei zu bedenken gegeben, daß eine Aufführung in seit drei Jahren gleichbleibender Besetzung einer Erstarrung ausgesetzt ist. Wieland Wagner erzielt einen großen Prozentsatz seiner alljährlichen Interessantheit durch Umbesetzungen, wobei er aber noch mit dem Handicap zu kämpfen hat, daß bei Wagner Idealbesetzungen sehr selten, bei Mozart aber doch relativ häufiger zu finden sind. Es sei wiederum darauf hingewiesen, daß das Mittelmaß in Salzburg keinen Platz finden sollte. Hat man nicht genug gute Dirigenten, reduziere man die Zahl der Konzerte! Das würde uns schließlich auch die grausame Farce ersparen, daß die Wiener Philharmoniker schmollen, weil sie sich benachteiligt fühlen. Überdies hat man in Salzburg noch nicht gelernt, was Wien in diesen Festwochen zur Perfektion entwickelt wurde, nämlich die Orchester hauptsächlich das spielen zu lassen, was ihnen liegt, und zwar das, was ihnen die großen Komponisten ihres Vaterlandes in die Instrumente gelegt haben. Und vor allem: Qualität heißt auch hier die Devise! Ein Orchester, das Festspiele damit beginnt, daß es bei der Figaro-Ouvertüre den ersten Horneinsatz rasiert, der noch dazu wirklich nicht den Schwierigkeitsgrad des Siegfried-Hornrufes aufweist, sollte mit Beschwerden vorsichtiger sein, denn die wirken sonst leicht komisch.
Ein wirklich guter Gedanke war es heuer, die moderne Musik auf dem Ballettsektor zu belassen. Man könnte allerdings einwenden, daß die „Moderne" dieser Veranstaltungen auch zum Teil schon gut fünfzig Jahre alt ist. Aber diese Feststellung erübrigt sich, denn sehr viel Gutes ist ja leider nicht nachgekommen. Überdies kann man beim Ballett szenisch und musikalisch, wie die Erfahrung zeigt, noch am allermeisten riskieren – und tut es auch. Nur finden wir, daß die Balletteinlagen in allen Opern und Schauspielen, die durch ein ad hoc zusammengestelltes und recht ungleichmäßiges Ensemble exekutiert wurden, der gastierenden Truppe des Maurice Béjart nicht nahekamen. Es wäre nicht zu viel verlangt, für die Salzburger Festspiele das Staatsopernballett heranzuziehen, das vielleicht durch Zusammenarbeit mit großen Choreographen und konsequente Arbeit im Sommer das Terrain aufholen könnte, das es im Winter verliert. Gastspiele berühmter Ensembles des Balletts sind aber genau so nötig, wie Gastspiele großer Orchester und, wie wir finden, auch prominenter Theatergruppen. Auch hier wäre das Erscheinen eines Ensembles, abwechselnd etwa aus England, Frankreich und Italien, dazu angetan, die Festspiele interessant zu machen. Und nicht zuletzt: Die Große Oper finde ihre Heimat auf der riesigen Bühne des Neuen Festspielhauses. Wir würden dort Aufführungen des Macbeth, der Norma und Medea, um nur einige zu nennen, ebenso gerne sehen, wie das, was Karajan etwa diesbezüglich noch vorzuschlagen hat. Man kann ihm in dieser Richtung die Auswahl getrost überlassen.
DER TROUBADOUR am 11. August im Neuen Festspielhaus.
Allenthalben sah man Leute durch Salzburg schreiten, die man sonst als recht vernünftig kennt. Doch plötzlich versuchten sie, mit abwesendem Blick vor sich hinstarrend, Koloraturen zu singen. Man kann daraus schließen, daß sie im Troubadour gewesen sind und der Faszination dieser Aufführung erlagen. Herbert von Karajan hat vor einigen Jahren eine Schallplattenaufnahme dieser Oper gemacht, die den Kenner aufhorchen ließ. Sie hat eine ungemein intensive Dramatik und Spannung aufzuweisen, die anderen Aufnahmen fehlt, obzwar dort sinnlichere Stimmen richtiger eingesetzt sind. (1.Callas-di Stefano-Barbieri-Panerai und 2. Milanow-Björling-Barbieri-Warren. Jedem Musikfreund sei empfohlen, die beiden Aufnahmen hintereinander zu spielen, er wird einige Entdeckungen machen). Auf Grund einer Superbesetzung war also eine große Aufführung zu erwarten, zumindest musikalisch, denn daß Karajan den Troubadour, den erste Regisseure als uninszenierbar bezeichnen, hinkriegen würde, haben wohl nicht einmal seine verbissensten Anhänger erwartet. Dazu trat noch der typische Salzburger Mundfunk mit der Devise „Finster, finsterer, am finstersten". Leichte Polemiken gegen die Gagen einiger Hauptrollenträger wurden auch laut. Dabei verdienen große Sänger ihre Dollars wirklich hart genug! Denkt man etwa an die Gagen dummer Filmgören und heulender Plattenderwische könnte man zerspringen vor Wut über solch törichte „Kleiner Mann"-Propaganda. Wie war nun diese Aufführung, daß sie in der gesamten musikalischen Welt Schlagzeilen machte und die Diskussion, ob Verdi in die Mozartstadt passe oder nicht, gar nicht ernst genommen wurde? Karajan inszeniert immer aus der Musik heraus, die Bilder, die er stellt, entsprechen dem inneren Gehalt der Szene völlig. Niemals ließ er in dieser Inszenierung irgend etwas tun, auf daß ein jeder sehe, hier sei Regie geführt worden. Dieses Überwiegen des Szenischen mit der Betonung auf „Schaut her, was ich für ein Regiegenie bin", wird nämlich die Kunstform der Oper auch interpretationsmäßig in einen Abgrund schleudern. Musikalisch ist sie ohnehin schon drinnen, nach dem Schema „Ach Gott, bin ich aber modern!" von den Tonsetzern in tiefste Schluchten gestürzt. Karajan drängt sich als Regisseur nicht auf, er ist nur immer anwesend. Und wenn er wirklich einmal auftrumpft, so tut er es mit dem völlig künstlerischen Mittel kühnster Kontrastierung. (Man bedenke: Der Soldatenchor, gesungen von einem Kader tadellos ausgerichteter Männer, daneben erhebt sich auf leerer Bühne nur eine riesige Fahne und zu der fröhlichen, lockeren Marschmusik knallt der Paradeschritt einer zweiten Formation. Ein umwerfender, echter Theatereffekt!). Karajan verstand es in dieser Inszenierung auch meisterhaft, die der Musik innewohnende, gewaltige Spannung ins Szenische umzusetzen: Beispiel Stretta: Manrico reißt bei den berühmten einleitenden „Mtata-Mtata-Takten das Schwert heraus und stürzt sich in einen Scheinwerferkegel, dessen Helligkeit stetig zunimmt. Von rechts stürmen die Trompeter auf die Bühne, von links der Chor und plötzlich hebt sich der Hintergrundvorhang und man sieht einen Wald starrender Speerspitzen. (Welche Lösung würde Karajan wohl für den Wald von Birnam einfallen?). Dazu schmettert Manrico ein endloses H über das ganze Massenaufgebot. (Manche waren böse, weil er transponierte, aber er hat auch so einiges geleistet). Erwähnen wir noch das fabelhaft projizierte erste Bild, die traumhafte Wirkung des zweiten Bildes, in dem auf der riesigen Bühne in einer Parkdekoration mit viel Tiefenwirkung nur eine schmucklose Bank und die zwei dunkelgekleideten Damen zu sehen sind und das trotzdem ungemein dichte Atmosphäre hat, erwähnen wir noch das mystische Kloster-Bild und die düstere Höhlenwand des Miserere. Es ergibt sich, daß nur das Zigeunerlage etwas konventionell geraten ist, während sonst Regisseur Karajan, Bühnenbildner Teo Otto (offenbar der einzige, der sich in dieses Haus traut) und Kostümbildner Georges Wakhevitch ein großartiges Teamwork geschaffen haben. Was das ewige Gejammer über Finsternis betrifft, wird es jetzt doch schon bald langweilig. Diejenigen, die es so gern hell haben wollen, müßten eigentlich schon dahintergekommen sein, daß man eine moderne Inszenierung, die ja nur aus Projektionen und Schleiervorhängen besteht, einfach nicht in knalliges, geheimnisloses Fernsehlicht tauchen kann. Wenn einmal der Fall eintritt, daß auf der Bühne schöne solide, feste angestrahlt Pappekulissen stehen, ist es auch wieder niemandem recht.
Aus dar Glanzbesetzung ragten die beiden Hauptdarstellerinnen noch heraus. Leontyne Price vereint ein Maximum an sinnlicher Stimmschönheit mit einem Maximum an Technik, an Ausdruck und Ausstrahlung. Ihre Stimme bewältigt die Koloraturen der Arie gleich mühelos, wie die Alt-Tiefen des Miserere, und ihre königliche Haltung wird nur noch von ihrer Gefühlsintensität übertroffen. Giulietta Simionatos Geheimnis, mit sparsamster Gestik und so überhaupt nichts „Gespieltem" nur durch die Gewalt der Stimme und die Kraft dar Persönlichkeit größte Wirkung zu erzielen, wird wohl nie ergründet werden können.
Franco Corelli, der Mann mit der stählernen Stimme und der explodierenden Höhe (er legte sich am Schluß des zweiten Bildes immerhin ein Des ein), war mit Teilnahme und echter Intensität bei der Sache und stellte nicht nur seine Prachtstimme und seine Figur zur Schau. Er bemühte sich sehr um kultiviertes Singen und schauspielerische Nuancen. Von Ettore Bastianini, dem Steh- oder Gehbariton, ist Letzteres gewiß nicht zu erwarten, allerdings wird es kaum einen Bariton geben, der ihm den Luna so schnell nachsingt. Die Stimme ist zwar etwas härter geworden, aber die Spitzentöne sind wieder da, auch die Intonation ist wesentlich reiner. Etwas Mühe hatte er wirklich nur mit dem lyrischen Legato der Arie, für den er fast schon zu dramatisch geworden ist.
Nicola Zaccaria sang als Ferrando rgut, auch Laurence Dutoit, Kurt Equiluz und der Chorbassist Rudolf Zimmer waren in ihren kleinen Rollen voll am Platz.
Der Staatsopernchor hat schon lange nicht so kräftig (er war allerdings verstärkt), klangschön und taktsicher gesungen, wie in dieser Oper. Auch das Orchester der Wiener Philharmoniker spielte exzellent und übertraf seine Mozart- und Konzert-Form mit Verdi bei weitem.
Wenn wir zum Schluß noch einmal zu Herbert von Karajan zurückkehren, so deshalb, um wieder einmal festzustellen, daß er immer wieder zu überraschen, immer wieder zu fesseln weiß und das dadurch, daß er große Werke entschmalzt, ent-„werkelt" und sie aufblühen läßt zu einer Schönheit, die man vorher nur vermuten konnte. Hoffentlich ist es ihm und uns vergönnt zu erleben, daß er sich durch das gesamte Repertoire durchdirigiert. Der Jubel des Publikums kannte bei dieser Aufführung wahrlich keine Grenzen. Wir können uns nicht erinnern, jemals derartige Jubelschreie und Applaussalven in der Salzachstadt gehört zu haben.
IPHIGENIE IN AULIS am 12. August in der Felsenreitschule.
Die Oper kam in einer neuen Bühnenfassung von Paul Friedrich und Günther Rennert zur Aufführung, die zwar an der Bühnenunwirksamkeit des Werkes nichts änderte, dafür aber durch die Verwendung von Umgangssprache für die deutsche Übersetzung zeitweise etwas komische Wirkung erzielte.
Man stelle sich vor: Glucks erhabene Ruhe und die erstrebte Monumentalität der Aufführung – denn wie sollte man Gluck heute sonst spielen – und dazu plattes Alltagsdeutsch. Das ergibt einen Bruch, der weh tut. Ansonsten ist die Aufführung nämlich sehr gut geworden.
Günther Rennert inszenierte in einem glatten und unauffälligen Bühnenrahmen von Caspar Neher und verwendete einen geteilten Chor teils statuarisch als Kommentator, teils sehr bewegt auf der Bühne. Auch die Führung der Solisten verriet seine sichere Hand. Aus den Figuren ohne Fleisch und Blut vermochten allerdings weder er noch die Künstler, die fast alle Format hatten, etwas anderes als Typen zu machen.
Christa Ludwig sang die Titelrolle mit ruhiger, edler Linienführung und vollem Einsatz ihrer prachtvollen Stimme, auch darstellerisch hatte sie sich ganz auf klassische Linie und ruhige Größe verlegt – und wirkte damit ganz neu und ungewohnt. Inge Borkh als Klytämnestra war ihr gegenüber hektisch und unruhig, wozu die Partie allerdings verleiten mag. Stimmlich gewann sie hörbar im Laufe des Abends, denn das Flackern ihres Organs verlor sich fast ganz. Und die für eine Hochdramatische ziemlich schwierige große Arie, die ganz auf Kultur und Piano angelegt ist, meisterte sie außerordentlich gut.
Hervorragend war Walter Berry als Agamemnon. Auch er bewies, daß man seinen Rollenkreis durchaus erweitern kann, ohne gefährliche und stimmschädigende Experimente zu machen. Die Stimme strömte voll und kräftig, und auch ausdrucksmäßig war alles richtig und interessant. James King, der Achilles der Aufführung, war ein Einspringen und sollte unter diesen Umständen nicht zu scharf angefaßt werden. Elisabeth Steiner sang eine Artemis mit Sprachfehler, Otto Edelmann einen biederen Oberpriester, dessen Funktion in der ganzen unheilvollen Geschichte doch wohl eine wichtigere ist, als Edelmann uns glauben machen konnte. Alois Pernerstorfer und Robert Granzer vervollständigten die Besetzung.
Karl Böhm war der Dirigent, und das ausgezeichnete Orchester der Wiener Philharmoniker, der gut studierte und schön und sicher singende Staatsopernchor vereinigten sich unter seiner Meisterhand zu schönem, stilvollem und teilnehmendem Musizieren.
Trotz der aufgezählten Positive war der Abend allerdings nicht so zwingend, daß man ihn wiederholen müßte Ob man nicht doch lieber Monteverdis Poppäa, die im Wiener Repertoire eigentlich ohnedies nicht ganz am Platz ist, in Salzburg herausbringen könnte? Auf Karl Böhm wartet der Figaro, auf Christa Ludwig der Oktavian und auf Walter Berry sicher der Papageno und hoffentlich auch der Alfonso und somit gäbe es kaum einen Grund, die Aufführung zu wiederholen.
Wenn dies doch geschieht, dann hoffentlich mit anderen Kostümen und einer geeigneteren Choreographie. Erich Walters Tomahawktänze waren schon von Haus aus nicht sehr überzeugend. Dazu tanzte die bunt zusammengewürfelte Ballettgruppe so schlampig und ungleich, daß es schon ein Skandal war.
Und Caspar Neher hat auch in seiner letzten Arbeit seine Linie nicht verlassen. Er verwendete Farben von atemberaubender Häßlichkeit und die Form der Kostüme war nur bei den Solisten zum Teil gelungen, die wahrscheinlich kräftig dreinredeten (Iphigenies rosenholzfarbenes Plissekleid und Agamemnons fahles Goldlederkostüm wirkten sogar sehr gut.) Die armen Choristen, Statisten und Tänzer aber, die sich vermutlich weder wehren können noch dürfen, waren vermummt wie wüstenbewohnende Tuareg und hatten Farbkombinationen wie grelles Safrangelb und schmutziges Ochsenblut zu tragen. Was hierbei gut oder schön oder festlich sein soll, haben wir nie verstanden. Wir gehören nicht zu jenen, die den überzüchteten Faltenwurf des Hellenismus unbedingt auch bei den blutigen Mythen des alten Griechenland sehen möchten. Die grausame und düstere Zeit kann sich ruhig auf der Bühne spiegeln, aber bitte mit Geschmack. Zumal die Totems und Feldzeichen, die zeitweise auftauchten, der berühmten Goldschmiedekunst des alten Mykene wenig Ehre machen. Da aber offenbar die nächstjährigen Festspiele auf Sparsamkeit geschaltet sind, könnte man die Kostüme des ohnehin stillgelegten Idomeneo vielleicht für die Iphigenie verwenden.
COSÌ FAN TUTTE am 15. August im Alten Festspielhaus
Günther Rennerts Meisterinszenierung geht jetzt in ihr drittes Jahr. Sie ist mit seinem Figaro von 1957 ein Markstein auf dem Wege des Mozartstils in Salzburg (und natürlich auch in Wien, denn das gehört zusammen) geworden. Sie hat Mozart aus der Erstarrung gelöst und ihn aus kalten Mauern, steinernen Treppen und stilisierten Gittern (hinter denen Figaro heuer wieder gefangen wurde) erlöst und hat ihn wieder der Natur zurückgegeben. Sie stellte Mozart auf die Guckkastenbühne, wohin er gehört, fern jeder Verfremdung.
Was wir nicht ganz richtig finden, ist, daß man an der Besetzung ebenfalls drei Jahre nichts geändert hat. Man sollte dies wenigstens im vierten Jahr tun, denn sonst wird die Aufführung doch darunter leiden. Man konnte schon im ersten Jahr feststellen, daß die Herren dem idealen Damenteam nicht gewachsen waren. Man hat es leider dabei belassen. Nun hatten wir in diesem Jahr das Pech, daß sich Frau Schwarzkopf wegen Indisposition entschuldigen ließ. Und auch Frau Sciutti, die sich nicht entschuldigen ließ, war weit von ihrer Höchstform entfernt. Und sofort fällt es noch viel stärker auf, daß Carl Dönch zwar nett und kultiviert mitspielt, daß er aber weder stimmlich noch darstellerisch das nötige Gewicht für die zentrale Drahtzieherrolle mitbringt. Und obzwar Waldemar Kmentt sich jetzt auch bei „Aura amorosa" mit Routine aus der Affäre zieht, merkt jeder, daß er nicht das richtige Timbre für die Rolle hat. Dabei wäre alles heuer so leicht gewesen. Sowohl Geraint Evans als auch Walter Berry hatten nur je eine Rolle in Salzburg und hätten daher den Alfonso sehr wohl singen können, denn zu Prey gehört des Kontrastes wegen eine dunkle Stimme. Und Waldemar Kmentt hätte neben dem Idomeneo viel besser den Achill in der Iphigenie gesungen, für den er sowohl Stilgefühl als auch Phrasierungsvermögen mitgebracht hätte, ganz zum Unterschied von James King, der beides nicht hatte. Und überdies hätte die Rolle Herrn Kmentt auf seinem Wege ins schwere Fach viel weitergeholfen. Er wird ihn doch eines Tages gehen müssen. Hoffentlich denkt man da 1963 etwas weiten.
Heuer war es dann leider so, daß die Aufführung von Così fan tutte, zumindest die am 15. August, vom Range eines Festspielereignisses auf das Niveau einer hübschen Aufführung abrutschte. Daran konnten auch die animiert spielenden Wiener Philharmoniker unter Karl Böhm, der seinen Mozart in den Fingerspitzen hat, nicht viel ändern. Elisabeth Schwarzkopfs bezaubernder Charme wurde durch die Indisposition, die sie zwang, einiges Exportiertes zu übergehen (in der darauf folgenden Così-Aufführung war sie dann wieder stimmlich da), allerdings nicht getrübt, ebensowenig wie die witzige Graziella Sciutti durch einige Schärfen und Spitzen in der Stimme an Wirkung einbüßte. Christa Ludwig und Hermann Prey, beide stimmlich in allerbester Verfassung und in heiterster Spiellaune, waren an diesem Abend die Hauptstützen des Ensembles, das durch einen Chor ergänzt wurde, in dem die tremolierenden Soprane des Staatsopernchores versammelt waren.
Es tut uns leid, da wir auf diese Aufführung diesmal keine Hymne anstimmen können und hoffen, daß man ihr im nächsten Jahr Gelegenheit zur größtmöglichen Wirkung gibt, wenn man sie leider noch immer nicht im Theater an der Wien sehen kann.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 15. August im Karabinieri-Saal
Diese Aufführung kann beim besten Willen nicht als festspielwürdig angesprochen werden, weder gemessen an allen anderen Salzburger Aufführungen noch an den Wiener Repertoire-Entführung, an die sie knapp heranreichte. Vom Vorjahr übernommen wurden: das nette (aber vorbaute) Bühnenbild, der Dirigent, das Blondchen und das Orchester. Alles andere war neu, aber leider nicht besser.
Karl Heinz Haberland ist ein Routinier, aber seine Ideen sind nicht außergewöhnlich, ja Dutzendware, manchmal sogar ausgesprochen unmusikalisch. So z.B. daß der arme Osmin in den letzten Takten seiner Arie mindestens zehnmal in die Höhe hüpfen muß – ja um Himmelswillen, der Mann muß doch singen! Mozarts Musik ist immerhin wichtiger als Haberlands „Idee". So lustig kann ein schwabbelnder Gummibauch gar nicht anzusehen sein, wenn man dazu einen Erstickungsanfall anhören muß. Von den Kostümen Liselotte Erlers sind das Belmontes schön und die Konstanzens und Pedrillos annehmbar, Osmin und vor allem das Blondchen sind mehr als benachteiligt.
Gut bürgerlich war die musikalische Leitung von Istvan Kertesz: Nicht sehr viel persönliche Ausstrahlung, nicht sehr viel Differenzierung, was sich natürlich im Spiele des Mozarteum-Orchesters auswirkte. Es klang – zumal im Karabinierisaal, der akustisch noch viel schlechter ist als Wiens Redoutensaal – nach verwaschenem Klangbrei.
Dem rigorosen Austauschen fiel auch der Beste des Vorjahres, Fritz Wunderlich zum Opfer. Aber man tauschte schlecht. An die Stelle einer Meisterleistung trat eine Schülerarbeit. Donald Grobe sieht zwar gut aus, abgesehen von der Nase, etwa so wie der junge Schiller, ist auch sehr bemüht beim Singen, aber die vier Arien des Belmonte sind nun einmal nicht bloß mit Glamour zu meistern. Und wenn die Koloraturen eckig und kehlig klingen, nützt die beste Figur nichts.
Erika Köths Konstanze war sehr schön gesungen, schauspielerisch geriet einiges zu dick aufgetragen, z.B. die Stummfilmpantomime während des Vorspiels der Martern-Arie. Renate Holm konnte ihre gute Leistung vom Vorjahr nicht wiederholen. Die Stimme klang in der Höhe gefährlich scharf und steif. Schauspielerisch wirkte sie sehr nett und resolut. Gerhard Unger war ein sehr lebendiger, hübsch singender Pedrillo. Peter Minich ein würdiger, sprachlich ausdrucksstarker Bassa.
Ludwig Welter mußte als Osmin aussehen, wie dessen Großmutter, wurde beim Singen ungebührlich herumgejagt (so prominent, daß er sich dagegen wehren kann, ist er ja nicht), sang aber, abgesehen von einigen hohen Tönen, sehr schön. An Frick oder van Mills Osmin reicht seiner aber nicht heran. Festspiele sollten doch eigentlich Spitzenbesetzungen bringen?
Fazit: Von der Marke „Salzburger Festspiele" war die „Entführung" ziemlich weit entfernt.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 17. August im Alten Festspielhaus.
Eine Fülle von Kurzsichtigkeit hat diese Inszenierung von Haus aus behindert. Der ursprünglich vorgesehene Ferenc Fricsay, der an sich ohnedies kein idealer Mozartdirigent ist – dazu ist sein Naturell doch etwas zu kühl und intellektuell nennen – sagte immerhin rechtzeitig genug ab, daß man einen berufenen Mozartdirigenten, etwa Josef Krips oder Mario Rossi, hätte finden können. Heinz Wallberg, in den letzten Jahren die Stufenleiter der Prominenz enorm hinaufgetragen, ist in seinen Leistungen da nicht ganz mitgekommen, wie wir auch in Wien mit Bedauern feststellen mußten. Es ist einfach zu viel für ihn, und wenn er so weitermachte wird er ein Opfer seines Erfolges. Aber davon abgesehen dirigierte er die Aufführung, die wir hörten, gar nicht, sondern dieser stand Bernhard Conz vor. Doch davon später. Nach der bis ins Letzte glücklich zu nennenden Figaro-Inszenierung Günther Rennerts, die nach Wien übersiedelt ist, kann man kaum Irgendjemanden herbeiholen, der die Oper neu und womöglich ebensogut macht. Da hätte man sich schon Zefirelli oder Strehler verschreiben müssen, die wegen allzulang dauernder Proben vermutlich ohnedies nie nach Wien kommen werden. Umso besser wäre die Gelegenheit, sie bei Festspielen arbeiten zu lassen. Nun kann man auch wieder einwenden, der Chef der Berliner Oper sei nicht Irgendjemand, und das stimmt ja auch. Gustav-Rudolf Sellners Figaro denn er war leider von Sellner und nur zum kleineren Teil von Mozart und Beaumarchais hätte in Berlin Furore gemacht und vermutlich in San Francisco oder Buenos Aires sehr gefallen, aber in Salzburg muß man schon etwas vorsichtiger sein. Da paßt nicht so schnell etwas hundertprozentig hinein. In dieser Inszenierung stehen drei Komplexe unbewältigt nebeneinander, nämlich Spanien, Mozarts Musik und Beaumarchais persönliches Revolutionsgrollen. Nun ist ja bekannt, daß Mozart, wie so viele andere Große, an Politik wenig interessiert war. Es kann dies auch Rücksichtnahme auf den Wiener Hof (als Abnehmer des Werkes) gewesen sind, aber was auch immer der Grund war, wir haben ihn zu respektieren. Da Pontes Libretto ist gut genug, daß man nichts dazutragen muß. Wenn Sellner den Figaro den Grafen manchmal behandeln läßt, als stünde der Graf bereits mit dem Strick um den Hals unter der Laterne und Figaro sei nicht mehr Kammerdiener, sondern der öffentliche Ankläger höchstpersönlich, dann hat der Regisseur gründlich daneben gehauen.
Leider sind die Rollen oft völlig verzeichnet. Die Gräfin ist hier eine hoheitsvoll-fade Dame voll Seele (man muß schon sagen deutscher Seele), die nichts mehr von Rosina an sich hat, obzwar sie doch „im Kampf mit Männern" immerhin auch noch ein Wörtlein mitzureden hat.
Da wird Susanne zur bissigen Frauenrechtlerin gemacht, was natürlich den Charme der Partie mindert. Da wird hingegen Cherubino viel zu süßlich und puppenhaft aufgefaßt und aus den Randfiguren, wie Marzelline und Basilio, ausgesprochene Taddädln geformt. Was soll denn Basilio für ein Intrigant sein, wenn er kopfwackelnd und altersblöd auf der Bühne herumwackelt? Und die Zeichnung der Marzelline als alte Jungfer ging völlig daneben, denn der Regisseur vergaß augenscheinlich, daß sie einen prächtig geratenen Sohn hat und somit kaum auf säuerlich-altjungfernhaft gespielt werden kann. Michael Raffaeli leistete der Fehldeutung des Regisseurs durch seine Schleiervorhänge, gemalten Gitter und häßlichen Möbel Vorschub und „verspanisierte" das Ganze durch den Gebrauch harter, greller Farben (vor allem gelb, schwarz und grau) unerlaubt. In seiner Vorliebe für häßliches Erbsengelb und -grün ist er nur mit Caspar Neher zu vergleichen, der in ihm Gott sei Dank endlich einen Nachfolger gefunden zu haben scheint. Dafür wickelte er andere Mitglieder des Chores wieder bis zur Nase in schwarzen Samt, daß sie aussahen wie Witwen aus Siebenbürgen. Die männliche Belegschaft steckte er dann zum Ausgleich dafür in Leder. Und warum der Graf wie ein Halbstarker ganz in Leder gehüllt erscheinen muß, können wir nicht verstehen. Außer es geschieht, damit es „mal was anderes" ist, denn das bleibt offenbar die Devise der Aufführung. Zu loben ist allerdings die Personenführung, die Gänge sind sehr richtig und sehr logisch. Hier merkt man die Hand des erfahrenen Theaterregisseurs. Nur richten sie sich kaum nach der Musik, sondern führen ein Eigenleben, sodaß man feststellen muß, „hier sei schlechterdings die Musik der Poesie gehorsame Tochter" gewesen, was auch nicht Zweck einer Mozartinszenierung ist. Gott sei Dank ließ sich Sellners Konzept gar nicht lückenlos verwirklichen.
Geraint Evans spielt immer Beaumarchais, sei es in der zerfallenen Redoutensaal- oder in der Rennert-Inszenierung am Ring. Er tat es auch hier und bewies das richtige Maß sowohl darstellerisch (wenn man von den erwähnten „Anklägerposen absieht) als auch stimmlich, denn seine kraftvolle, voluminöse und wohlklingende Stimme paßt bruchlos in seine Auffassung. Dietrich Fischer-Dieskaus sprichwörtlich Selbständigkeit war diesmal eher ein Positivum, denn er spielte eben Fischer-Dieskau und nicht Sellner. Damit hatte er aber bei Sellner weit mehr Glück als bei Günther Rennert. Er fiel nicht aus der Inszenierung, und die Darstellung eines brutalen Herrenmenschen vertrat er mit der ihm eigenen überlegenen Persönlichkeit. Der musikalische Aufbau der Partie war untadelig, die große Arie prächtig gesteigert. Er sang überhaupt vorzüglich, wenn es sich nicht gerade um Rezitative handelte. Hier vergriff er sich aber im Stil ganz gehörig, denn Rezitative sind dazu da, um die Handlung schnell vorwärts zu treiben, nicht um auf ihnen sitzen zu bleiben und vom Donnergrollen bis Säuseln alles hineinzulegen, was an Nuancen verfügbar ist, wie in ein Lied von Hugo Wolf. Da man in Frau Sciutti ein Musterbeispiel von Seccorezitativ-Schnattern vor Augen und Ohren gehabt hatte, ist die diesbezügliche Uneinheitlichkeit wohl der musikalischen Einstudierung anzulassen.
Sena Jurinac ist immer eine herzliche und edle Gräfin mit Charme gewesen. Daß sie sich so „versellnern" ließ, nimmt uns Wunder. Allerdings war sie auch stimmlich nicht ideal. Im Repertoirealltag kann man es hinnehmen, daß sie einen „Dove sono"-Kompex hat und immer schon mit Angstzittern beginnt, um sich im Laufe der Arie dann gänzlich zu verkrampfen, was natürlich nicht gut ausgehen kann. Festspielbesetzung ist es aber dann keine, denn daß sich das Wunder ereignet und Frau Jurinac ihre Angstzustände ausgerechnet in Salzburg verliert, war doch kaum zu erwarten. Überdies störte den ganzen Abend ein ganz gehöriges Tremolo und grelle Spitzentöne, abgesehen von der überraschend gut gesungenen Cavatine und dem ausgezeichneten Briefduett. Warum ging es da?
Die zauberhafte Graziella Sciutti war, wie gesagt, zur Soufragette gemacht worden. Daß sie dabei noch immer sehr süß wirkt, ist ihre persönliche Stärke, allerdings führte diese herbe Auffassung dazu, daß sie auf die Stimme haute und sich dabei ziemlich überanstrengte. (Man merkte es auch bei der Despina.) Das Silberglöckchen ihrer Stimme klang nicht ganz rein. Evelyn Lear ist eine sehr intelligente Sängerin und sieht als Cherubino bezaubernd aus. Leider ist ihre Phrasierung etwas unnatürlich, so als habe sie zuviel darüber nachgedacht und es nicht rein gefühlsmäßig gemacht. Dasselbe passierte mit der Gestalt des Cherubino überhaupt. Wir sind es von dar Linie Rohs-Jurinac-Ludwig gewöhnt, daß dar Cherubino „dasteht" wie aus einem Guß. Das war diesmal nicht der Fall, aber in Zusammenarbeit mit einem Mozart-Regisseur und -Dirigenten von Rang ließen sich diese kleineren Fehlleistungen sicher ausmerzen. Denn wer sollte sonst schon einen Cherubino singen, wenn die Ludwig oder die Simionato nicht mehr wollen?
Patricia Johnson (Marzelline) und John van Kesteren zogen ohne Eigeninitiative ab, was ihnen Sellner vorgekaut hatte. Die Dame verfügt über einen hellen, scharfen Charakter-Mezzo, der nicht so übel klingt, der Herr über ein unangenehmes Knaben-Timbre. Elfriede Pfleger war eine junge, frische Barbarina, Oskar Czerwenka fiel unter seinen lemurenhaften Intriganten-Kollegen durch natürlichen Humor diesmal direkt angenehm auf, während man dies von Martin Vantin und Siegfried Rudolf Frese nicht behaupten kann. Diese beiden fielen nämlich gar nicht auf.
Das größte Schauspiel ist uns allerdings erspart geblieben. Sellner wollte, unterstützt von dem Choreographen Deryk Mendel, aus dem Fandango im 3.Akt ein Stierkampfballett mit einem als Stier angezogenen Tänzer machen, wogegen aber Heinz Wallberg, Gott sei Dank, Protest einlegte.
Unsere Aufführung dirigierte Bernhard Conz. Und man muß es gleich sagen, er war durchaus ebenbürtig der Premierenbesetzung (die wir im Radio hörten). Er ist zwar im Tempo etwas behäbig, und die Aufführung wirkt trotz der italienischen Sprache alles andere als italienisch, aber für die Einstudierung war er nicht verantwortlich zu machen. Überdies war er um Klassen besser als in Wien, und wir können uns des Verdachtes nicht erwehren, daß ihn unser Wiener Orchester damals wissentlich und in voller Absicht „verhungern" ließ. Das sollten sie sich endlich einmal abgewöhnen. Es gibt ohnehin wenig Dirigenten, und die Sympathien oder Antipathien unseres Orchesters werden langsam untragbar. Es ist für das Publikum uninteressant, daß es lieber unter Loibner spielt, dem es in den langen Jahren seiner Staatsoperntätigkeit noch nie gelungen ist, auch nur einmal über die Rampe zu kommen, der aber dafür die Kreise des Orchesters nicht stört. An diesem Abend wirkten übrigens sowohl das Orchester als auch der Chor recht diszipliniert. Aber die Freude an diesem Figaro war trotzdem gering.
IDOMENEO am 18. August im Neuen Festspielhaus.
Obzwar der gleichen Gattung entstammend, verhielt sich die Iphigenie zum Idomeneo wie Günther Rennert zu Paul Hager. Sicherlich ist die letztere Oper nahezu uninszenierbar, weil darin nichts vorgeht. Aber das gibt es auch bei anderen Opern, und dennoch man versinkt nicht in grenzenlose Langeweile. Und nicht einmal Neueinrichtungen, und seien sie auch von Bernhard Paumgartner, können dem Werk genügend Substanz geben. Die Musik läuft neben den Arien, neben den Rollen her, sie deutet nicht, belebt nicht, schlägt keine Funken. Es ist sonderbar, daß dies Mozart gerade beim frühen Idomeneo und beim späten Titus passierte, was wohl zeigte, daß sich das Genie nicht in starre Formen vergangener Zeiten pressen ließ. Wir finden es nicht richtig vom Festspielpräsidenten, sein Steckenpferd auch den Festspielen und dessen Publikum aufzuzwingen. Überdies ist die Interpretation schon gar nicht zwingend.
Dirigent war heuer Peter Maag, der offensichtlich ein Könner und guter Kapellmeister ist und straff und sauber musizierte. Endgültiges kann man nach diesem Werk natürlich nicht über ihn sagen. Mit der breiten Bühne des neuen Hauses umzugehen ist Paul Hager nicht gelungen. Die großzügig entworfenen Säulen und Treppen Stephan Hlawas wurden kaum genützt, nur angefüllt mit Volk. Überdies hob es ständig die Arme nach Art der bekannten kretischen Schlangengöttin. Dem archäologisch Interessierten geht die Geste nach fünf Minuten auf die Nerven und der Ahnungslose wird kaum wissen, warum die Kreter immerzu die Arme gen Himmel recken müssen. Die Aufgabe, die etwas schwierige kretisch-minoische Kleidung in brauchbare Bühnenkostüme umzuwandeln, löste Charlotte Flemming vorzüglich. Die Wiener Philharmoniker und der Staatsopernchor musizierten sehr schön, und auch die Sänger gaben ihr Bestes.
Waldemar Kmentt sang den Idomeneo ganz vorzüglich. Die halbdramatische Rolle liegt ihn sehr, und wenn sich die Stimme aus ihrer gewöhnlichen Beengung und Verkrampfung löst, und er so richtig loslegt, entwickelt er beachtliches Metall. Warum Herr Kmentt nichts in dieser Richtung unternimmt, geht uns nicht ein. Tenöre für deutsches Zwischenfach sind doch ohnedies so rar! Vermutlich aber leidet er unter derselben Bequemlichkeit wie sein Freund Wächter, der auch lieber an der Wiener Volksoper Repertoire und Operette singt, denn im Ausland seine Standardrollen. (Die Volksoper gehört ihm strikte verboten!) Die Stimme von Waldemar Kmentt ist zweifellos um ein Drittel größer und außerdem auch metallischer als die etwa von Sandor Konya (allerdings nicht so schön). Wieso reißen sich die Bühnen eigentlich nicht um ihn? Pilar Lorengar sang nach nervösem Beginn die Ilia sehr schön und mit Innigkeit. Die Sängerin empfiehlt sich für weitere Aufgaben bei den Salzburger Festspielen. Elisabeth Grümmer ist mit der Elektra sehr überfordert. Da müßte schon eine Nilsson oder Callas kommen, um die Rolle ausfüllen zu können. Für diese halsbrecherische Arien ist die Stimme von Frau Grümmer wohl beweglich genug, aber viel zu hell und zu lyrisch. Auch liegt ihrem Wesen die düstere Atridentochter gar nicht; Elsa als Ortrud, Evchen als Kundry, was für eine Fehlbesetzung! Ernst Haefliger, der im vorigen Jahr eine wahre Katastrophe darstellte, sang zwar heuer technisch besser, sein fahles, hartes Timbre oder besser gesagt Nicht-Timbre und seine Ungeschicklichkeit und Farblosigkeit auf der Bühne machen seine Mitwirkung bei Festspielen mehr als problematisch. Aber man muß offenbar froh sein, daß nicht die Damen Schech und Stadler auch noch angesetzt wurden, da traut man sich eine Umbesetzung der Rolle des Idamantes ja gar nicht zu verlangen. Sie wäre ohnedies von den „Höheren Mächten" nicht gestattet worden. Renato Capecchi, dem die Partie des Arbaces zu hoch liegt, und die Herren Ludwig Welter und Georg Litassy waren in kleineren Rollen zu hören. Zum Abschluß muß noch erwähnt werden, daß es weite Teile des Werkes hindurch auf der Bühne sehr einfallslos finster ist. Karajan hat doch jetzt schon oft genug Anschauungsunterricht gegeben, wie man schön finster beleuchten kann. Der Gesamteindruck des Abends blieb also in Großen und Ganzen gleichfalls finster.