DER SEPTEMBER 1962
7. Jahrgang, Heft 10
Herbstliche Staatsoperneröffnung
Es ist eine traurige Tatsache, daß die Wiener Staatsoper im September nicht wiedereröffnet, sondern einfach anfängt. Das ist ein Zustand, den wir alle Jahre mit der gleichen Geduld anprangern. Geschehen wird natürlich nie etwas. Karajans Regierungszeit muß sich einem späteren Beobachter als eine Zeit von Zwischenzeiten präsentieren. Etwa: Die Zeit Marboes, die Zeit Seefehlners, die Bühnenarbeiterstreikzeit und die Schaefer-Zeit. (Wir fühlen uns an die Eiszeiten und Zwischeneiszeiten gemahnt. Auch in der Eiszeit gab es neben den prachtvollen Malereien von Altamira primitive Faustkeile. Es ist daher kein Wunder, daß wir in der Karajanzeit herrliche Vorstellungen neben langweiligen erleben!) Was an diesem Zustand betrüblich erscheint, ist die Tatsache, daß immer ein Grund vorhanden ist, der normale und unbefangene Arbeit und Planung auf Jahre hinaus ausschließt. Das letzte Jahr wurde zum Beispiel von Karajans Kampf gegen die Bürokratie überschattet, den er heldenhaft führte. Nun scheint es allerdings, als ob er sich verrannt hätte und einen Mann statt eines Prinzips angreift. Hoffentlich kommt er wieder auf die richtige Spur, denn sonst gibt es Unfrieden ohne Ende, da zuviel Politik in die Oper hineingetragen wird.
Es wird allerdings nicht zu umgehen sein, daß die allgemeine Planung, von wem immer sie erstellt wird, weniger aus dem Handgelenk betrieben werden muß. Es sollte sich einmal irgendjemand finden, der allen Sängern, seien sie jetzt Wiener oder Ausländer, strikte Studieraufträge erteilt, ohne Widerreden zu dulden. Es ist hinausgeworfenes Geld, wenn Rollen, die Mitglieder des Ensembles längst hätten studieren müssen, an Gäste vergeben werden, was nur dazu führt, daß die ohnedies Engagierten ihre Abende nicht absingen können. Wir haben bereits unzählige Besetzungsvorschläge gemacht. Wir sind gerne bereit, wieder welche zu machen, wenn den leitenden Herren keine Möglichkeiten mehr einfallen. Es geht auch nicht an, daß die italienischen Spitzensänger mit großem Genuß in Rollen verheizt werden, die ihnen weniger liegen. Franco Corelli ist als Chénier besser denn als Cavaradossi, die Stella und Bastianini sind ebenfalls in der erstgenannten Oper besser als in der Tosca. Warum spielt man dann keinen Chénier? Weil Herr Pernerstorfer in Südamerika ist und nicht Herr Franc oder Herr Pantscheff seine Partie studieren können? (Sie täten es ja sicher gerne und sofort, wenn sie den Auftrag dazu bekämen.) Überdies ist es kompletter Nonsens, stargespickte Aufführungen an Kongresse zu verscheuern. Die Kongreßbesucher wollen doch einen Eindruck von Wien haben und werden daher auch mit einem echten Wiener Figaro oder Rosenkavalier, den man fast immer zureichend besetzen kann, zufrieden sein. Die Italiener lasse man doch den Wienern! Aber eines scheint uns besonders wichtig: Nicht mit Quantität, sondern mit Qualität ist der Staatsoper Wien besser gedient! Man kann nicht ständig in drei Häusern spielen, weil die Besetzungen an Solisten, Orchester, Chor und Technikern eine unerträgliche Verdünnung erfahren. Es gibt dann drei schlechte statt einer guten Aufführung. Gegen Zauberflöte mit Frau Mechera und Herrn Pröglhöf zu gemeindeeigenen Phantasiepreisen kann man berechtigte Einwendungen erheben. Das Bespielen des Redoutensaales, um pensionsreifen Sängern oder solchen, die man sich im großen Haus nicht in großen Rollen anzusetzen traut, ein Unterkommen zu verschaffen, ist mehr als fragwürdig. Dort wird nämlich der Ensemblegeist und die künstlerische Moral der Sänger getötet, nicht durch ein paar teurere Ausländer. Die armen Opfer, die die Redoutensaalaufführungen aufputzen müssen, können einem nur leid tun. Vielleicht wird man doch heuer diejenigen, bei denen es nicht mehr geht, nach einer viel bejubelten Abschiedsaufführung in Pension schicken? Vorläufig wäre es für die Wiener Oper besser und billiger, sie erhielten ihre Gage, ohne zu singen, statt daß ein eigenes Haus für sie betrieben wird. Die Vereinigung des traditionellen Beamtengeistes aus den Tagen des Obersthofmeisters Montenuovo mit kaltem zeitgenössischem Manager-Geschäftsgeist hat an der Wiener Oper schon die seltsamsten Blüten getrieben.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 1. September
Die neue Spielzeit begann mit gutem Repertoirebetrieb. Das Substitutenorchester hatte geprobt und spielte unter Heinrich Hollreisers Leitung exakt und sauber und mit schönen Klangdifferenzierungen. Der Souffleur hatte harte Arbeit zu leisten. Bei den Damen dominierte die für Frau Seefried eingesprungene Hilde Güden, die eine ganz zauberhafte Susanne sang und spielte, und Giulietta Simionato, deren Cherubino wunderschön gesungen und ganz köstlich gespielt war. Gerda Scheyrer als Gräfin blieb stimmlich gehemmt, tat sich auch in den Rezitativen schwer und hatte zu wenig Persönlichkeit ins Treffen zu führen. Hilde Rössel-Majdan hat sich über den Sommer etliche scharfe Töne mehr zugelegt. Eberhard Wächter und Erich Kunz hatten Freude am Spiel und am Singen und boten ihre gewohnt sehr guten Leistungen. Schlecht war der Bartolo Ludwig Welters. Die Stimme bedürfte eines gründlichen ‚Service’, um nicht dauernden Schaden zu erleiden. Die übrigen Partien waren mit Peter Klein und Anny Felbermayer wie immer besetzt. Beifallsfreudiges Publikum.
TOSCA am 2. September
Auslandstourneen unseres Orchesters machen sich sofort bemerkbar. Die wenigen Herren der ersten Garnitur, die zu Hause geblieben waren, konnten das Steuer auch nicht herumreißen. So bekam man unter Alberto Erede eine Tosca-Interpretation vorgesetzt, die der Dramatik des Pucciniwerkes nur gelegentlich entgegen kam. Der Dirigent konnte nicht verhindern, daß der zweite Akt, ohne einen Höhepunkt zu erreichen, am Ohr vorbeiplätscherte. Ohne jeglichen Eindruck zu hinterlassen stand Ettore Bastianini – ein schöner Mann wird stets seine Bewunderinnen finden – als Scarpia auf der Bühne. Ziemlich gleichgültig marschierte er auf und ab, wobei er sich ebenso wenig auf die Gesangslinie zu konzentrieren schien. Den Polizeipräfekten Roms schien weder die Tosca noch sein eigenes Stimmaterial, das er sehr vulgär einsetzte, zu interessieren. Tosca schien für ihn nicht vorhanden zu sein, auch wenn Antonietta Stella noch so schön aussah. Frau Stella befand sich in erstklassiger Tagesform. Die üppige Stimme erstrahlte in vollem Glanze. Wenn wir dennoch nicht von ihr in Begeisterung versetzt werden konnten, so lag dies nur an ihrer auf äußere Effekte bedachten Darstellung. Ihr rhythmisches Schluchzen bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit wirkt aufreizend und der Tränenstrom bei „perchè“ (im Gebet) brachte sie um jedes Mitgefühl. Aber nicht nur das. Auch die Gesangslinie erlitt dadurch erhebliche Einbuße. Zur Primadonna, die Frau Stella gerne sein möchte, fehlt ihr das echte Gefühl und gelegentlich der gute Geschmack. Immerhin verzichtete sie diesmal auf ihre eigenen überladenen Kostüme, was sich nur als Vorteil für die Inszenierung erwies. Eugenio Fernandi sang den Cavaradossi. Am ersten Abend seines Wiener Auftretens sorgte er zum Teil für eine angenehme Überraschung. Abgesehen von seinen zu tief gelegenen Forte-Tönen, die er weiterhin mit hochgezogenen Schulterbewegungen auch äußerlich untermauern will, bot er eine anständige Leistung. Bei „E lucevan le stelle“ vergaß er auf das Zurschaustellen seiner kraftvollen Spitzentöne und hatte damit Erfolg. Über die schauspielerischen Fähigkeiten des Sängers erübrigt sich jeder Kommentar. Er benimmt sich auf der Bühne weiterhin wie ein Schuljunge. Die Nebenrollen waren mit hauseigenen Ensemblemitgliedern besetzt, von denen der Vertreter ihrer Interessen im negativen Sinne auffiel. Das Publikum, durch die Sommerpause ausgehungert, spendete freundlichen Beifall. Der Kampf der Stimmen um die Gunst de Publikums hat aufs Neue begonnen!
LA CENERENTOLA am 3. September
Da das Ehepaar Ludwig-Berry der Wiener Oper zwischen den Salzburger Aufführungen und der Londoner Plattenaufnahme von Così fan tutte für einen Abend zur Verfügung stand, setzte man Rossinis entzückendes Werk wieder auf den Spielplan und garantierte damit einen heiteren, unbeschwerten Abend, der nicht nur beim Wiener Publikum sondern auch beim anwesenden UNO-Generalsekretär U-Thant viel Beifall fand. Es ist aber auch ein reines Vergnügen, Christa Ludwig als Angelina zu erleben! Sie spielt die Partie so echt und charmant, daß man sie einfach nicht aus den Augen lassen kann, ja man leidet sogar mit ihr, wenn die bösen Stiefschwestern sie herumjagen und der Vater sie verleugnet, und freut sich, daß sie am Ende ihren Prinzen bekommt. In Frau Ludwigs Interpretation ist jede Bewegung, jeder Augenaufschlag richtig. Man hat das Gefühl, es könnte gar nicht anders gemacht werden. Dazu kommt noch eine gesangliche Meisterleistung, die in der grandios hingestreuten Schlußarie gipfelt. Man war froh zu vernehmen, daß die Fidelio-Abstecher dieser herrlichen Mezzostimme noch nichts anhaben konnten und hofft nur, daß es weiterhin so bleiben möge. Walter Berrys Dandini ist eine Prachtbesetzung, gesanglich ausgezeichnet und im Spiel köstlich und frech. Waldemar Kmentt als Don Ramiro war diesmal bestens disponiert, die Stimme klang ausgeruht und frisch, und wir hoffen, daß diese Form anhält. Die übrigen Mitwirkenden fielen dagegen ab. Leider auch Ludwig Welter, der ausgesprochen schwach sang. Ob ihm die Salzburger Osmin-Auftritte (entweder im Freien oder im ungeeigneten Karabinierisaal) geschadet haben? Emmy Loose, Dagmar Hermann und Karl Dönch waren wie immer. Jedes weitere Wort darüber erübrigt sich. Leider hat Dr. Günther Rennert, als er die Regie zur Cenerentola übernahm, die Bedingung gestellt, daß keine der Partien umbesetzt werden dürfe. So werden wir also auch diese drei Genannten bis in alle Ewigkeit hören, so ferne nicht vorher Frau Ludwig die Partie nicht mehr singen will, denn dann hat’s ohnedies ein Ende. Traurig wäre das, traurig! Alberto Erede leitete den Abend sehr sicher und konnte auch geschickt einen falschen Einsatz von Frau Ludwig abfangen. Das Orchester war in guter Form.
EIN MASKENBALL am 4. September
Ein wahrhaft tragikomischer Opernabend, der einige typische Symptome aufwies. Es muß zuerst energisch dagegen protestiert werden, daß sich Sänger mit ungenügend studierten Partien auf der Bühne der Wiener Staatsoper produzieren. Kürzere oder längere Unterhaltungen mit dem Souffleur auf offener Bühne sind einfach peinlich. In solchen Fällen glaubt man sich nämlich dann in ein schlechtes Kabarett versetzt. Abgesehen von der unzulänglichen Beherrschung der Partie war Eugenio Fernandi, der Riccardo, auf den sich das oben Gesagte bezieht, schlecht beraten, diese Partie überhaupt zu singen. Seine Stimme ist viel zu wenig geschmeidig für die Kantilenen dieser Rolle. Denn mit heraus gebrüllten Spitzentönen allein kann man gerade hier nicht protzen. Wo blieb denn das Stilgefühl? So wurde das zweite Bild ein Musterbeispiel dessen, wie es nicht sein darf, in seiner aufreizenden Wirkung noch unterstrichen durch das aufdringliche Spiel des Tenors, für das der Ausdruck infantil fast noch zu schmeichelhaft ist. Wie sich Arie und Schluß anhörten, darüber sei der Schleier des Vergessens gebreitet. Kein Wunder, daß von dieser Leistung auch die anderen Mitwirkenden ziemlich irritiert waren. Antonietta Stella sang eine zwar gute Amelia, leider jedoch etwas schrill in der Höhe und unruhig in der Stimmführung. Giulietta Simionato rettete den Ulrica-Akt durch ihre Persönlichkeit und den selbstlosen Einsatz ihrer Stimme vor dem Dilemma. Ettore Bastianini brauchte längere Anlaufzeit, um aber dann nach dem gut gesungenen „Eri tu“ den einzigen Riesenapplaus (außer der Simionato) des Abends einzuheimsen, was nur recht und billig war. Rita Streich war der unbedeutende Oskar. Von einer persönlichen Beziehung des Dirigenten Nino Verchi zur Maskenball-Musik merkte man nicht viel. Das meiste blieb undifferenzierter Klangbrei. Solche Abende bilden kein Ruhmesblatt in den Annalen der Oper. Da genügt eine einzige miserable Leistung um einen ganzen Abend an den Rand des Lächerlichen zu bringen.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 5. September
Günther Rennert erklärte uns anläßlich eines Interviews, daß seine Inszenierungen nur für die Dauer von zwei Jahren gedacht seien. Daran mußten wir denken, denn inzwischen hat sich bei der Smetana-Oper manches in der Personenregie geändert (z. B. bei der Kegelpartie). Doch das würde man noch ohne weiteres in Kauf nehmen, weil die anheimelnden Bühnenbilder von Frau Leni Bauer-Eczy noch immer Stimmung aufkommen lassen. Weniger erfreulich war die Übernahme der musikalischen Leitung durch Heinrich Hollreiser, der in seinen alten Fehler verfiel, den Kopf in die Partitur zu versenken. Damit gab er das Geschehen an das Substitutenorchester ab, das leider nicht die richtige böhmische Freude am Musizieren zeigte. Man spielte um des Geldes willen und erfüllte damit eine Pflicht. Danach klang es auch! Das bewährte Trio der Verkauften Braut: Irmgard Seefried, Waldemar Kmentt und Oskar Czerwenka brauchte eine gewisse Anlaufzeit und erst im zweiten Akt hatte es gewohntes Format. Doch schien die böhmische Luft den Höhenlagen der Sänger nicht zu bekommen. Peter Klein bot als Wenzel ein Kabinettstück der Charakterisierungskunst und sorgte für mehr Humor als der Zirkusdirektor in der Person von László Szemere, dem die Saftigkeit und Improvisationskunst seines Vorgängers abging. Leider blieb es den Solisten vorbehalten, das berühmte Sextett improvisiert (also nicht exakt) vorzutragen, was natürlich Schweigen von Seiten des Publikums auslöste, wie überhaupt die Stimmung im Hause als mäßig bezeichnet werden muß. Fünf Schlußvorhänge eines ausverkauften Hauses waren kein Renommee für die mitwirkenden Künstler. Schließlich, so sollte man zumindest annehmen, müßte eine Spieloper in deutscher Sprache doch mehr Echo finden!
BALLETTABEND am 6. September
CARMEN am 7. September
Diese Aufführung erwies sich als gröbliche Enttäuschung für den Hörer. Das Orchester unter Heinrich Hollreisers Leitung klang stumpf, derb und unsauber, und der Chor benützte die neu erlernte französische Sprache als Vorwand zum Verpassen der Einsätze. Biserka Cvejic in der Titelrolle sang ungemein gepflegt, kultiviert und mit schöner Stimme. Auch ihr Aussehen ist prächtig, doch ist sie ausstrahlungsmäßig keine Carmen, sondern einfach ein munteres Mädchen. Wilma Lipp sang zum ersten Mal Micaela, endlich, könnte man sagen. Immer und immer wieder schreiben wir, unsere guten Sänger sollten mehr eingesetzt werden und ein großes und weites Fach beherrschen. Und in der Tat studieren sie die Fachpartien erst dann, wenn sie eine Rolle zufällig im Ausland brauchen. Frau Lipp ist in ihrer Natürlichkeit und der Fähigkeit, echt naiv zu erscheinen, für die Rolle wie geschaffen. Auch stimmlich bietet sie ihr keinerlei Probleme. Phrasierung und stilistisches Empfinden sind untadelig. Daß sie ihre schlanke weiße Stimme gelegentlich künstlich färben und verstärken will, führt dann zu einem Tremolo in der oberen Mittellage. Das ist schon bekannt. Wenn sie nicht auf ihre Stimme drückt, singt sie aber viel schöner! Ettore Bastianini ist ein stimmgewaltiger Escamillo mit Naturburschencharme. Die Rolle liegt ihm gut. Leider trübte er seine sonst sehr schöne Leistung dadurch, daß er bei dem kleinen Duett im 4. Akt gänzlich daneben sang. Ljubomir Bodurov, der gastierende Don José, enttäuschte. Er hat beim Konzert der bulgarischen Nationaloper einen wesentlich besseren Eindruck gemacht. Seine Stimme entbehrt des Metalls, des Feuers und der Sinnlichkeit, was alles man von einem Slawen doch erwarten könnte. Auf der Bühne ist er uninteressant und beschränkte seine militärische Tätigkeit auf viel Salutieren. Kostas Paskalis war in der kleinen Rolle des Morales prächtig und überragte die anderen Comprimarii beträchtlich, unter denen Hilde Rössel-Majdan und Lotte Rysanek dadurch auffielen, daß sie einander an Lautstärke zu überbieten trachteten. Da Frau Rysanek natürlich eine größere Stimme hat, gewann sie und Frau Rössel-Majdan büßte ihren Wetteifer mit steifen und verkrampften Tönen.
LA TRAVIATA am 8. September
Als Zugstückerl für die breite Masse erweist sich stets am Wochenende Verdis Vertonung der Kameliendame. Für den Stammbesucher gab es eine Überraschung: Vor Beginn der Aufführung war das Schild „ausverkauft“ an Sitz- und Stehplatzkasse zu sehen. Teresa Stich-Randall ist ansonsten doch kein Anziehungspunkt für Opernkenner, schon gar nicht in dieser Rolle, in der sie die Sentimentalität bis ins Unerträgliche auszudehnen weiß. Doch Alt und Jung im weiten Oval der Oper jubelte ihr zu, so sehr wirkte wieder einmal die tränenreiche Geschichte der Kurtisane Violetta auf die harmlosen Gemüter. Zur Ehre des ziemlich ahnungslosen Publikums (Wiener Herbstmesse) muß erwähnt werden, daß die impulsive Art Eberhard Wächters als Vater Germont, der als einziger Hauptrollenträger wunderbar, ja großartig Verdis Musik mit belkantesker Linie vortrug, den größten Beifall erhielt. Hier spürte auch der Laie, daß auf der Bühne ein großer Sänger und Künstler stand. Dies konnte man von seinen beiden Kollegen nicht unbedingt behaupten. Teresa Stich-Randall setzte die instrumentale Stimme spitz und scharf ein. Daß der Großteil der Leute die vielen zu tief gesungenen Töne nicht hörte, war ihr Glück. Ihre sentimentale Vortragsart feierte wahre Orgien. Der Dirigent versuchte vergebens, sie zu rascheren Tempi zu zwingen. Das Schicksal nahm seinen Lauf und Frau Stich-Randall entschlief selig in ihren eigenen Zeitmaßen, nicht ohne vorher unzählige Male mit den Augenlidern geklimpert zu haben. Noch unglücklicher als sie wirkte Eugenio Fernandi, dessen Stimme stark tremolierte und der in dieser Partie nicht dazu kam, einzelne seiner Paradefermaten anzubringen. Auch er war nicht intonationssicher. Über die Nebenrollen, den äußerst schwach klingenden Chor, die unzulängliche Bühnenmusik und das unkonzentrierte Orchester wollen wir kein Wort verlieren, denn jeder hat einmal seinen schwarzen Abend. Diesmal wollte nichts gelingen, und Nino Verchi als Sündenbock für diesen Abend hinzustellen, wäre unserer Meinung nach ungerecht. Verdis zündende, populäre Theatermusik trug trotz der genannten Einwände bei der Masse den Sieg davon. Ein Scheinerfolg, durch puren Zufall zustande gekommen!
TURANDOT am 9. September
Eine Aufführung, die recht gut besetzt war und von der man dennoch nicht restlos befriedigt nach Hause ging. Dies war vor allem Schuld des recht nachlässig spielenden Orchesters und eines noch nachlässigeren Chores. Wenn es in einer Aufführung ein- oder zweimal Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester gibt, nimmt man das hin. Wenn sich aber, so wie diesmal, der Chor hartnäckig weigert, den Anweisungen des Dirigenten zu folgen und auf seine stellenweise ungewohnt breiten Tempi einzugehen, dann ist dies entschieden zu viel. Dabei läßt Alberto Eredes Zeichengebung wirklich nichts zu wünschen übrig. Warum klappte es denn bei den Solisten? Die Szene der Minister z. B. war ein Genuß, da alle Sänger bereitwilligst den Intentionen Eredes folgten. Ein guter Chorist müßte das eigentlich auch können. Turandot war Amy Shuard, die ihre hübsche Stimme sehr geschickt einzusetzen wußte, klug phrasierte und bombensichere Spitzentöne sang. Dimiter Usunow liegt der Kalaf sehr gut. Außerdem war er prächtig disponiert, sang sehr temperamentvoll und begeisterte das Publikum besonders durch eine strahlende Höhe. Hilde Güden lieh der Liu den Zauber und die Innigkeit ihrer Stimme. Frederick Guthrie war vortrefflich als Timur.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 10. September
Da heuer leider wegen der Mitwirkung der Wiener Philharmoniker bei den Luzerner Festwochen und der Athen-Reise Karajans mit den Berlinern der obligate Wagner-Auftakt mit dem Nibelungenring ins Wasser fiel, spielte man dafür den Fliegenden Holländer. Leider hatte die Aufführung nichts sehr Erfreuliches. Staatsopernniveau, wie wir es erwarten, hatten eigentlich nur Otto Wiener in der Titelpartie, der gut disponiert war und eine intelligente darstellerische Leistung bot, und Elisabeth Höngen als ausgezeichnete Mary. Christl Goltz begann als Senta verhältnismäßig gut. Sie sang die Ballade sicher, und man vermeinte schon, daß die Sommerpause ihrer Stimme gut getan hätte. Doch zeigten sich bereits im Duett mit dem Holländer Mängel und im letzten Akt fehlte ihr dann auch jede Kraft, die Partie zu meistern. Daß sie auch in ihren besten Tagen keine ideale Senta war, ist kein Geheimnis. Aber was Frau Goltz jetzt darstellerisch aus der Partie macht, ist unerfreulich. Sie wirkt für diese Rolle viel zu unruhig, ja hektisch und erinnert meistens an die Elektra. So hat sich Wagner die Partie bestimmt nicht vorgestellt. Wo bleiben die Verantwortlichen, die da untätig zusehen? Entweder muß ein Regisseur der Künstlerin klarmachen, daß es so nicht geht, oder man besetzt die Partie um. Es ist leider anzunehmen, daß Frau Goltz (da nun der Fidelio nicht mehr als Lückenbüßer herhält) mit der Senta, der Salome und der Elektra wohl alle Aufführungen der Saison blockieren wird, um ihre Abende absingen zu können. Oskar Czerwenka war wieder als Daland eingesetzt. Er erwies sich abermals als fehlt am Platz. Ein guter Buffo muß noch lange nicht für die seriösen Wagnerpartien geeignet sein. Wir erlebten es an seinem Fasolt! Eugene Tobin aus Stuttgart sang den Erik. Er gefiel diesmal lange nicht so wie in der vorigen Spielzeit und sang die Partie mit italienischen Schluchzern, die uns schon bei seinem Canio mißfielen. Anton Dermota als Steuermann war nicht ganz im Bilde. Ernst Märzendorfer war der verläßliche musikalische Leiter der Aufführung. Er bemühte sich um guten Kontakt zwischen Orchester und Bühne. Schade, daß er mit der Zeichengebung sehr ungenau ist und dafür mit großen Dirigierposen alle Holländer-Dirigenten, die wir hörten, imitiert. Das Orchester hatte einen guten Abend ohne Blechschmisse, und der Spinnchor war ausgezeichnet. Die Inszenierung gehört endlich „ausge’ROTT’et“. Hoffentlich wird sich der Chef, wenn er Tannhäuser und Lohengrin inszeniert hat, auch dieses Werkes und der ebenso notwendigen Meistersinger-Erneuerung widmen.
DON CARLOS am 11. September
Müdes Repertoire trotz großer Namen! Die Hauptschuld daran trug der Dirigent des Abends: Nino Verchi als Gast. Obwohl Italiener, dürfte er wenig Bindung zu diesem Werk seines großen Landsmannes haben. So mag es nicht wundernehmen, daß auf der Bühne und natürlich auch im Hause keinerlei Stimmung aufkommen konnte. Unbestrittener Star des Abends war, wie schon so oft, Giulietta Simionato. Ihre Eboli ist gesanglich und darstellerisch außergewöhnlich. Antonietta Stella meisterte die Rolle der Elisabeth gut, doch möchte man ihrer Stimme mehr Wärme und Ausgeglichenheit wünschen. Walter Kreppel zeigte, daß ihm die Partie des Philipp gelegentlich ziemliche Schwierigkeiten macht. Eugenio Fernandi kam als Don Carlos über Unterdurchschnittsniveau nicht hinaus. Man hat nicht den Eindruck, daß sich der Sänger in letzter Zeit zu seinem Vorteil entwickelt hätte. Ettore Bastianini hatte nicht seinen besten Tag, was sich bei ihm in häufigem Distonieren äußert. Ludwig Welter (Großinquisitor) scheint sich zur Zeit in einer Stimmkrise zu befinden. Allerdings wäre es dann besser, das Organ zu schonen. Die Chorleistung blieb guter Durchschnitt.
ARIADNE AUF NAXOS am 12. September
Richard Strauss beklagte sich darüber, daß sich das Publikum seine Opern so wenig anhöre (Brief an Specht). Diesmal wäre es für ihn ein Glück gewesen, wenn die Leute die Oper Ariadne nicht gekannt hätten. Die Insel Naxos nämlich beherrschte eine Ariadne, die alle Höhenlagen zu tief sang und sehr wortundeutlich war . Es tut uns leid, diesmal Christl Goltz, der wir für einstmals schöne Abende zu danken haben, diesen Vorwurf machen zu müssen. Vielleicht gibt es ein Reich, in dem man solche Gesangsleistungen noch hinnimmt, aber die Wiener Oper ist doch nicht der richtige Platz für Künstlerinnen, die – einmal muß es ja gesagt werden – den Zenit ihrer Tätigkeit überschritten haben und noch dazu ein Abonnement auf alle Straussrollen für sich in Anspruch zu nehmen scheinen. Nicht besser war Rita Streich als Zerbinetta, die – auf großzügige Weise – „Großmächtige Prinzessin“ musikalisch zu verändern suchte. Dazu kam noch ein Bacchus aus provinziellen Gefilden. Walter Geisler sang ihn mit trockener (verengter) Stimme, in der bei größtem Wohlwollen kein Funke Gotteskraft innewohnte. Der Preis von Naxos stand einwandfrei dem Nymphentrio Laurence Dutoit-Gundula Janowitz-Ira Malaniuk zu. Die drei Stimmen paßten gut zueinander und waren der einzige Sonnenstrahl, der Naxos beleuchtete. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß sich Siegfried Rudolf Frese als Harlekin verbessert hatte. Er war vom Buffoquartett (Murray Dickie-Kurt Equiluz-Ludwig Welter) der Beste. Das Vorspiel stand im Zeichen Paul Schöfflers, der einen verständnisvollen, weit über den Dingen stehenden Musiklehrer spielte, und Irmgard Seefrieds, die als Komponist trotz mancher stimmlichen Grenze eine abgerundete Leistung bot. Wilhelm Loibner (und nicht Heinrich Hollreiser, wie der Kritiker des „Neuen Österreichs“ Herr Y. in einer langen Abhandlung irrte) begleitete die Sänger gut und sorgte dafür, daß man wenigstens vom Orchester her einzelne Leckerbissen im Gedächtnis behalten konnte. Die Inszenierung bedarf ebenso wie die Besetzung der kleineren Partien (vor allem in der Partie des Tanzmeisters) einer Auffrischung. Der Beifall wurde durch die Angehörigen der Hauptdarsteller künstlich verlängert.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 13. September
Dies war eine hübsche und saubere, recht solide Repertoirevorstellung. Zurück aus Salzburg, wo der Figaro mit tierischem Ernst und revolutionärem Trend gegeben wurde, begegneten wir dem Wiener Hang zum Blödeln und Überspielen, der in der noch immer guten Rennert-Inszenierung gelegentlich um sich greift. Etwa wischt der Graf höchst unvornehm des Pagen imaginäres Blut von der Klinge des Hirschfängers und Figaro und die als Gräfin verkleidete Susanne betrieben im 4. Akt bereits derartigen Klamauk, daß der Graf die Szene ja eigentlich gar nicht Ernst nehmen könnte. Aber das war immer ein Nachteil der Wiener Mozartsänger, und seien sie noch so gut gewesen. Das Kasperlspielen ließ sich nur bei Neuinszenierungen auf kurze Zeit unterdrücken. Die Gräfin sang Gerda Scheyrer sehr schön und mit gepflegtem Piano. Sie hat zwar die Gewohnheit, einfach in die Phrasen hineinzuatmen, wenn sie mit der Luft nicht zurecht kommt, hält sich aber in der schwierigen Rolle bei weitem besser als manche prominentere Kollegin. Auch Emmy Loose war als Susanne gut. Ihre Stimme ist zwar etwas zu unruhig für die breiten Phrasen der Rosenarie, aber sie hat Stilgefühl und Bühnensicherheit ins Treffen zu führen. Giulietta Simionato ist als Cherubino im 1. Akt damit beschäftigt, ihre Stimme zurückzuhalten. Die Cavatine singt sie prachtvoll. Bewundernswert ist der Geschmack und der Charme, mit dem die Künstlerin eine Rolle spielt, der sie natürlich längst entwachsen ist. Erich Kunz war der bewegliche und muntere Standardfigaro, auch stimmlich, von den bekannten heiklen Spitzentönen abgesehen, bestens in Form. Eberhard Wächter sang den Grafen mit prächtiger Stimme und wirkte so ausgeruht, als sei er den ganzen Sommer spazieren gegangen, anstatt eine Serie schwerster Wagnerrollen zu singen. Er beteiligte sich mit dem ihm eigenen Animo und Charme an den Verwicklungen des tollen Tages. Frederick Guthrie wandelte in voller Größe gelassen über die Bühne, was sich bei der Betriebsamkeit seiner Intrigantenkollegen eigentlich gut ausnahm, und sang die „Vendetta“-Arie ausgezeichnet. Die Besetzung wurde durch Anny Felbermayer und die Herren Peter Klein, Ljubomir Pantscheff und Erich Majkut vervollständigt und sah einen diesmal ausgezeichneten Heinrich Hollreiser am Pult. Er wahrte nicht nur Kontakt zur Bühne und hatte das Orchester fest in der Hand, sondern war auch schwungvoll und weit differenzierter als sonst. Das Orchester spielte – abgesehen von zwei Schmissen (einem am Ende des 1. Aktes im Blech und einem vor der Rosenarie im Holz) – ausgezeichnet. Bei diesen Schmissen wagte es Herr Hollreiser sogar, strafend nach den Übeltätern zu blicken, was beweist, daß er sich an diesem Abend sehr sicher fühlte.
TURANDOT am 14. September
Die italienische Galasaison in den ersten Herbstwochen ist heuer auf einige wenige Abende zusammengeschmolzen. Giuseppe die Stefano kommt nur auf einen Abend Anfang Oktober, Bergonzi war überhaupt nicht hier und statt ihm hat man Herrn Fernandi engagiert, das ewige Riesenbaby, den endlich an die Met verloren zu haben wir uns doch so glücklich schätzten. Tenöre, die auf der Bühne ungeschlacht und unbetamt sind und nur Stimme und keine Technik haben, besitzen wir wirklich selber. Wer so schwach war, Herrn Fernandi zu engagieren, sollte zur Strafe in allen seinen Abenden vom Anfang bis zum Schluß anwesend sein müssen. Dann würde er sich ein Re-Engagement überlegen. So konzentrierte sich das Interesse des guten Publikums zwangsläufig auf die paar Abende von Leontyne Price und Franco Corelli, wovon zwei auf die Turandot entfielen. Besetzungstechnisch allerdings war dies nicht ganz günstig, denn man hätte doch besser Frau Price an anderen Opern als Protagonistin angesetzt. Die Turandot wäre auch mit Hilde Güden zugkräftig gewesen. Die Liu von Leontyne Price ist allerdings ein Traum. Sie sang die Vorstellung einfach hinreißend, mit sinnlicher, blühender, schmiegsamer Stimme und schwebenden Piani Ihr Gesang ist so intensiv, daß sie auf der Bühne gar nicht mehr viel tun muß, um der Rolle Profil zu geben. Ihre Gegenspielerin war Amy Shuard, die diesmal – sie ist ja als Turandot immer gut – ganz hervorragend sang. Die Stimme ist angenehm timbriert, sehr gut geführt und den Höhen und Tiefen der Wahnsinnspartie bestens gewachsen. Auch ausdrucksmäßig und in der Phrasierung ist die Künstlerin auf der Höhe ihrer Aufgabe. Es wäre Zeit, sie einmal in ihren Partien des deutschen Fachs zu hören und zweifellos ist sie im gleichen Fach auf der Bühne wesentlich interessanter als etwa Anita Välkki. Franco Corelli führte an diesem Abend vor, wie blendend er seit seinem letzten Wiener Aufenthalt singen gelernt hat. (Er weiß, daß die Wiener kultivierte Tenöre sehr adorieren können). Doch damit tat er des Guten zuviel (vielleicht war er auch etwas indisponiert). So ließ er trotz seines wirklich schönen und kultivierten Singens kalt. Er kam nicht über die Rampe. Mit betrübten Mienen schlichen diejenigen, die ihn in früheren Jahren an der Scala oder in Verona als Kalaf gehört hatten, durch das Haus. Sie erklärten, er sei ihnen früher, als er vehement loslegte, lieber gewesen. Die drei Minister (Murray Dickie-Kostas Paskalis-Ermanno Lorenzi) sangen ihre höhnischen und träumerischen Terzette perfekt. Man geht nicht fehl, wenn man sagt, die Herren hätten zur Premiere mehr proben müssen, dann hätten sie es gleich gekonnt. (Die beiden letzteren jedenfalls, denn Herr Dickie konnte es immer). Da auch Frederick Guthrie – wie schon bekannt – ein vorzüglicher Timur und Peter Klein ein so echter, greiser, ohnmächtiger Kaiser, daß er direkt historisch richtig erscheint, fiel nur der Mandarin Hans Brauns aus dem Rahmen (leider war er der einzige Wiener im Ensemble!). Alberto Erede wird allen Stimmungen des großen Werkes gerecht. (Wenn einige Kritiker schreiben, die Turandot sei ein schwaches Werk, sprechen sie sich damit ein Todesurteil, denn nichts verrät deutlicher, daß sie keine Ahnung haben). Er gibt dem düsteren ersten Akt mit seinen mitten unter den Lebenden wandelnden Gespenstern und seinen geheimnisvollen Stimmen und flimmernden impressionistischen Effekten die große Linie des Musikdramas, den Ministerszenen die graziöse Melodik und der großen Oper den Prunk in Stimmen und Instrumenten. Chor und Orchester waren an diesem Abend gut.
MADAMA BUTTERFLY am 15. September
Antonietta Stella setzte ihre Abende an der Wiener Staatsoper mit der Cho-Cho-San fort. Die volle dramatische Stimme kam in dieser Rolle sehr gut zur Wirkung. Seitdem die heimischen Butterflys es ebenfalls vorziehen, beim Auftritt hinunter zu singen, bleibt uns der letzte Einwand gegen Frau Stella versagt. In gesanglicher Hinsicht blieb kein Wunsch offen. Daß der Intellekt der Künstlerin das Herz ersetzt, ist ohnehin bekannt. Man leidet bei ihrer Interpretation nicht mit, aber dafür konnte man sich am phrasenreichen Vortrag, dem Zurschaustellen einer voluminösen Stimme sehr erfreuen. Wenigstens ein Grund zur Zufriedenheit. Eugenio Fernandi singt Puccini besser als Verdi. Hätte er beim Abschied in der letzten Szene nicht wieder einen lang gedehnten Fermateanfall bekommen, wäre sein Gesamteindruck noch positiver ausgefallen. Eberhard Wächters persönlicher Charme gab in der Rolle des Konsuls Sharpless einen wohltuenden Kontrast zum Überspielen von Frau Stella. Seine unterspielten, fast gehauchten, teilnahmsvollen Phrasen wirkten mehr als gesangliche Bravourstücke der Sopranistin. Nino Verchi erwies sich als sehr versierter Kapellmeister, der auf Ordnung auf der Bühne und im Orchester schaute. Manches hätte packender sein können, doch dazu fehlte es ihm wahrscheinlich an Probenmöglichkeiten. Ein frischer Zug in den Nebenrollen würde nur von Vorteil sein. Doch wie würden dann alle engagierten Mitglieder auf ihre Abende kommen?
BALLETTABEND am 16. September
TURANDOT am 17. September
Leontyne Price sang in dieser Vorstellung einfach hinreißend. Ihre Gegenspielerin Amy Shuard sang ganz hervorragend. Eine Symbiose des Kalafs von früher mit dem kultiviert gesungenen von jetzt gelang Franco Corelli an diesem Abend. Da war die Spannung größer und die Intensität stärker. Da fand Kalaf zwischen endlosen Fermaten und kultivierten Phrasen, zwischen explosiven Spitzentönen und großen Legatophrasen die Fall-Linie. Hier war jener typische italienische Gesangsstil zu bewundern, der so ausdrucksvoll ist, daß man des Spiels auf der Bühne fast schon entraten kann. Was will man eigentlich von einem Tenor? Er hat eine Prachtstimme, beherrscht sie bestens und sieht außerdem noch aus wie ein nach Peking verschlagener Etrusker, von einem Fresko herunter gesprungen. Wenn er auch noch ein Schauspieler wäre, dürfte man ihn nicht mehr Tenor sondern nur mehr Weltwunder nennen. Und so etwas gibt es eben nicht. Die beiden Aufführungen hatten aber auch sonst noch viel Schönes zu bieten. Alberto Erede wird allen Stimmungen des großen Werkes gerecht. Chor und Orchester waren an diesem Abend hervorragend (Kunststück, der erste Abend diente als Verständigungsprobe!), und der anspruchsvolle Opernbesucher verließ besonders an diesem Abend zufrieden das Haus.
DON CARLOS am 18. September
An diesem Abend hätte das Werk jeden anderen Namen eher verdient als gerade Don Carlos. Denn während die übrigen vier Hauptrollen erstklassig besetzt waren, fiel Eugenio Fernandi in der Titelrolle ungeheuer ab. Wenn ein Sänger wenig oder gar nicht auffällt und von den anderen in den Schatten gestellt wird, spielt das keine Rolle, aber Herr Fernandi fiel zu sehr auf und zu unangenehm. Er quälte unsere Ohren durch andauerndes Forcieren der Spitzentöne und dabei mißlang es ihm, trotz ungeheuren Kraftaufwandes, mehrmals, die richtige Tonhöhe zu erreichen. Die Schlußszene des ersten Bildes litt ganz besonders unter einer Massenproduktion lautester und falscher Töne. Gott sei Dank waren die übrigen Sänger so große Könner ihres Faches, daß sie sich durch ihren Kollegen nicht aus dem Gleichgewicht bringen ließen. Über die Eboli der Giulietta Simionato und Eberhard Wächters Posa Worte zu verlieren, erübrigt sich. Beide sind in diesen Rollen derart vollendet, daß kein Wunsch offen bleibt. Man kann nur immer wieder hören, staunen und sich an diesen herrlichen Stimmen und dieser hinreißenden Darstellung begeistern. Ausgezeichnet war diesmal auch Antonietta Stella. Stimmlich bestens disponiert und ausgeglichen, meisterte sie souverän die schwierige Rolle der Elisabeth. Walter Kreppels Philipp hat sich gegenüber dem letzten Abend verbessert. Er scheint an der Partie gearbeitet zu haben und forcierte diesmal nicht. So erfreute er durch seine schöne Stimme und seine ausdrucksvolle Interpretation. Ludwig Welter als Großinquisitor bemühte sich sehr und war – von einigen Spitzentönen abgesehen – recht gut. Nino Verchi leitete die Aufführung mit sicherer Hand. Gerieten manche Stellen etwas zu grob und undifferenziert, hatte er auch ausgezeichnete Momente (besonders Vorspiele). Im Orchester fielen die Hörner bei den bewährten Vorspielen durch sauberes und ausdrucksvolles Musizieren besonders angenehm auf.
ELEKTRA am 19. September
Ernst Märzendorfer dirigierte mit einem disziplinierten Orchester eine laute, aber schwungvolle und recht ordentliche Elektra. Auf der Bühne schienen eindeutig die Herren das stärkere Geschlecht zu sein, denn sowohl Otto Wiener (Orest) als auch Gerhard Stolze (Aegisth) waren stimmlich und darstellerisch ausgezeichnet. Christl Goltz, die im Vorjahr alles, was höher als A, zu tief sang, tut das heuer bereits ab G. Da nützt auch ihre viel gerühmte Intensität nichts mehr. Es macht sich bemerkbar, daß sie jahrelang fast nur Wahnsinnspartien sang. Elisabeth Höngens Klytämnestra dominiert immer wieder durch die starke Persönlichkeit der Künstlerin. Hilde Zadek ist als Chrysothemis farblos, singt aber wenigstens richtig. Unter den Mägden waren die Soprane (Gundula Janowitz und Lotte Rysanek) die besten.
TOSCA am 20. September
Der Kritiker einer Wiener Boulevard-Zeitung polemisierte in seiner Tosca-Rezension nach langer Zeit wieder einmal für die deutsche Sprache. Er meinte, daß es sicher einen größeren Jubel gegeben hätte, wenn die Aufführung deutschsprachig gesungen worden wäre. Dazu erübrigt sich jeder Kommentar. Daß das Publikum sich reserviert verhielt, findet eindeutig darin seine Erklärung, daß es von der stargespickten Besetzung enttäuscht war. Vor allem von der Titelrollenträgerin Antonietta Stella, die anscheinend indisponiert war. Trotzdem dürfte eine Künstlerin, die sich in der Rang- und Gagenliste so hinaufgearbeitet hat, nicht einfach das hohe C in der Kantate des zweiten Aktes auslassen, was wiederum der besagte Kritiker wahrscheinlich nicht vernahm. Als Darstellerin war sie sehr unruhig in den Bewegungen und hatte gar nichts Primadonnenhaftes an sich. Als sie vor der Ermordung Scarpias das Messer vom Tisch in die Hand nahm hörte man das Geklirre des Besteckes bis in den letzten Winkel der Galerie. Nur Ettore Bastianini als Scarpia hörte nichts. Ihm fehlte auch diesmal das Interesse für das Bühnengeschehen. Stimmlich kam er beim „Te Deum“ nicht über das Orchester und auch sonst gab es rhythmische Unausgeglichenheiten. Trotzdem zeigte er sich seit seinem ersten Scarpia-Auftritt in dieser Saison verbessert. Franco Corelli bewies auch als Cavaradossi, wie sehr er seine Stimme in der Hand hat. Nach einer vorzüglichen stilistisch einwandfrei gesungenen ersten Arie sang er „La vita mi costasse“, daß die ganze Kraft seiner Stimme in schönstem Licht erglänzte. Seine „Vittoria“-Ausbrüche im zweiten Akt wirkten so vehement, daß wir uns nicht gewundert hätten, wenn dadurch Scarpia und seine Sbirren von der Bühne weggefegt worden wären. Im dritten Akt zeigte Corelli, daß er seine Stimme biegsam und geschmeidig machen kann. Daß er hier aber dennoch enttäuschte, mag darin seine Ursache finden, daß der Stahlglanz dieses Organes eben nicht den Schmelz eines lyrico-spinto-Tenors beinhalten kann. In der Gestaltung des Malers blieb er im Rahmen der Routine. Immerhin war er wunderschön anzusehen. Erich Kunz und Hans Braun ergänzten das Ensemble. Der Sängerknabe im 3. Akt sang eine persönliche Fassung, die das Ohr beleidigte. Er dürfte eben in die Mutation geraten sein. Alberto Erede und das Orchester waren streckenweise gar nicht im Bilde. Der zweite Akt geriet äußerst langweilig und spannungsarm.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 20. September im Redoutensaal
Eine geschlossene Aufführung für das „Theater der Jugend“ gab Anlaß, uns wieder einmal darüber zu informieren, was auch in der neuen Saison im Saal der Hofburg so vor sich geht. Noch immer wird diese Stätte dazu benützt, Sänger in Partien auf die Bühne zu schicken, denen sie nicht mehr gewachsen sind, und dies natürlich in weiser Spekulation darauf, daß die ausabonnierte Vorstellung einen Theaterskandal verhindert. Und damit auch gewißlich nichts passieren kann, putzt man die Katastrophe gefällig auf, indem man ins Ensemble neben unzureichende Leistungen künstlerisch hochwertige placiert. Wir würden von Herzen wünschen, daß sich Herbert von Karajan einmal überraschend und unvorhergesehen in eine solche Aufführung verirren – dann wäre der Spuk wohl zu Ende! Bei allen Verdiensten, die wir Anton Dermota zuerkennen und bei allem schuldigen Dank und Respekt – so geht es nicht mehr. Einige glanzvolle Töne und jahrzehntelang gesammelte Routine machen noch keinen staatsopernwürdigen Belmonte, auch dann nicht, wenn diese Leistung jene von Rita Streich als Konstanze noch turmhoch überragte. Was nützte es schon, daß das Buffopaar Renate Holm und Murray Dickie sich förmlich „zerriß“, um dieses traurige Ereignis durch den eigenen Einsatz hinauf zu lizitieren. Was frommte es auch, wenn Gottlob Frick, in großartiger stimmlicher Verfassung, einen köstlichen Osmin sang und spielte, wenn Andreas Wolf alle Intensität samt Burgtheaterniveau in die Sprechrolle des Bassa Selim hineinlegte? Auch das gut disponierte Orchester unter der Leitung von Lovro von Matacic konnte den deprimierenden Eindruck nicht vergessen machen. Dazu brauchen wir nicht Wiener Philharmoniker aus dem Staatsopernorchester herauszuziehen und drüben am Ring die Lücken mit Substituten zu stopfen. Vor allem aber ist Mozart dafür zu schade!
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 21. September
Die solide Besetzung Seefried-Windgassen-Wiener-Frick war der Tupfen auf dem i einer geprobten Repertoirevorstellung, mit anständiger Orchesterbesetzung und unter einem Dirigenten, der weiß, wo Gott wohnt. Man kann darüber diskutieren, ob Wolfgang Windgassen ein idealer Stolzing und Irmgard Seefried ein ebensolches Evchen sei, doch beide Sänger haben etwas in die Waagschale zu werfen, das ihre Leistung positiv bestätigt: Format. Optisch und akustisch ist damit Niveau gewährleistet. Otto Wiener freilich dominierte wieder als derzeit wohl bester Sachs und nötigte so dem Kritiker ein „Bravo“ ab. Besonders erfreulich ist es festzustellen, daß sich Gottlob Frick in Hochform zu befinden scheint. Der schönste Baß deutscher Prägung – landauf, landab – vermittelte dem Hörer wieder ungetrübten Genuß. Karl Dönch als Beckmesser nahm die gute Stimmung im Haus leider zum Anlaß des Überspielens und Auf-die-Stimme-Hauens. Ohne diese Unarten ist sein Beckmesser um Klassen besser! Die übrigen Mitwirkenden seien mit einem Pauschallob bedacht. Von zuständiger Seite der Wiener Philharmoniker wurden wir eindringlichst darüber belehrt, daß es geradezu ungeheuerlich wäre zu behaupten, daß unser Meisterorchester jemals durch passive Resistenz das musikalische Niveau einer Vorstellung trüben würde. Musiker seien einfach vom Pult aus inspiriert oder nicht inspiriert! Nun schön, dann waren die Herren diesmal eben in Stimmung! Unter der Leitung von Lovro von Matacic brachten sie in gestrafften Tempi ein blitzsauberes Vorspiel, eine äußerst eindrucksvolle Prügelfuge und eine in „C-Dur“ Laune gebannte Festwiese zu Gehör. Womit hier Lob und Wunsch ausgedrückt sei, unsere Philharmoniker so gut „gestimmt“ zu erleben und Matacic im deutschen Fach am Pult des öfteren wieder zu begegnen. Geprobte und in allen Fächern und Sparten gleichwertig besetzte Repertoireaufführungen des deutschen Faches verdienen es, nicht zum Glücksfall, sondern zur Dauereinrichtung zu werden!
BALLETTABEND am 22. September
AIDA am 23. September
„Holde Aida“! Du wirst in die Operngeschichte eingehen. Noch in Jahren werden diejenigen, die dabeizusein das Glück hatten, einen verträumten Blick bekommen, wenn sie an diesen Abend denken und in den Annalen wird 1962 als das Jahr verzeichnet sein, in dem Salzburg mit dem Troubadour und Wien mit der Aida der Scala (mit den Hugenotten) erfolgreich Konkurrenz machten. Herbert von Karajan riß die Aufführung mit der Kraft seiner Persönlichkeit aus dem Repertoiregetriebe. Jede Note hatte den Wert, der ihr zukam, jede Phrase wölbte und rundete sich, die großen Steigerungen wuchsen wie von selber, die Instrumente blitzten und die Stimmen leuchteten. Es war nur ein musikalisches Leuchten, denn die Inszenierung ist bereits indiskutabel. Nicht weil sie finster ist, daran haben wir uns gewöhnt, nein, weil sie ausgesprochen albern ist. Und die Ballettszenen sollte man auf die Gefahr hin, daß Rott böse ist und nie wieder an die Oper kommt (Es wäre kein Malheur!), umstudieren. Einige ganz dumme Sachen wurden ja mittlerweile gestrichen, so der steinerne Dreieckskäse, in den die Sänger immer die „glorreiche Fahne“ einfädeln mußten, die Bodengymnastik des Boten und die Sänften im Triumphfinale. Aber es bleibt noch immer genug! Im Falle Aida ist es sogar verzeihlich, daß die Damen ihre eigenen Sexbombenkostüme mitbringen, wogegen wir sonst sind. Aber bei der Inszenierung ist es ohnedies schon egal. Leontyne Price ist die große Aida der letzten Jahre. Unerreicht ist ihre Gesangskunst, die Schönheit ihrer Stimme, die Natürlichkeit ihrer Phrasierung. Die Nilarie mit einem herrlichen Mezzavoce-C war einfach umwerfend. Giulietta Simionato, die Große, die Bühnenbeherrschende, die Sängerin, bei der einem das Schwerste einfach und natürlich erscheint, war ihre Gegenspielerin. Zwischen den beiden Damen stand Dimiter Usunow, Intensitätsbombe, Höhenjäger und Kraftsänger. Wie die meisten Naturstimmeninhaber ist er in der Form unterschiedlich, hatte aber in dieser Aida den Abend des Jahres. Ja wir haben den Eindruck, daß er seinen legendären Debüt-Radames übertraf. Schon die „Celeste Aida“ sah ihn glänzend bei Höhe und nur mit einem ganz leichten Tremolo in der Mittellage. Da tut er sich sonst weit schwerer. Doch dann blühte er auf. Tempelszene, Triumphfinale, Nilakt und Gerichtsszene bildeten eine einzige Steigerung. Daß er das Schlußduett dann lieber Forte singt, kann man ihm bei soviel Einsatz und Intensität wirklich nicht übel nehmen. Er ist einer der wenigen Sänger, die sich ganz in eine Rolle einleben können und sich richtig und mit Begeisterung aufregen. Ettore Bastianini, ein gleichmütiger Amonasro, ist stimmlich bestens in die Rolle hineingewachsen und sang – mit den ihm eigenen kleinen Schlampereien – wunderschön. Gottlob Frick donnerte einen mächtigen, dunklen Ramphis und Ludwig Welter komplettierte das Ensemble der großen Stimmen. Der Chor sang diesmal prächtig, das Orchester spielte herrlich, mit einem Wort, die Aufführung war ein musikalischer Traum.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 24. September
Kurz nach Absage des Gastes Wilhelm Schüchter erklärte sich Berislav Klobucar bereit, die Aufführung zu übernehmen. Er waltete seines Amtes mit Geschmack. Nach einer sehr schönen, im vollen Klang der Romantik schwelgenden Ouvertüre erwies er sich wieder einmal als Helfer der Solisten, denen zuliebe er auf Lautstärke und Spannung verzichtete (2. Akt). Sehr prägnant gelang ihm der Beginn des 3. Aktes. Von den Solisten muß diesmal an erste Stelle der herrlich gesungene Daland von Gottlob Frick erwähnt werden. Er allein schon war den Besuch der Vorstellung wert. Otto Wiener als Holländer hatte seine besten Momente in den Legato-Stellen seiner Partie (Duett 2. Akt). In diesen Stellen hatte seine Stimme sogar eine dunklere Färbung. Bei den dramatischen Ausbrüchen glaubte man zuweilen einen Heldentenor singen zu hören. Einzelne hohe Töne klangen aber trocken und entbehrten der Fülle. Seine Partnerin war abermals Christl Goltz mit rotem Zopf. Abermals traten stimmliche Schwierigkeiten beim Duett zu Tage, und die Schärfe ihres Organs nimmt so beängstigend zu wie ihre Intonationsunsicherheit. Wolfgang Windgassen betonte mehr die lyrischen Seiten des Erik. Mit anderen Worten, er ging nicht ganz aus sich heraus. Gerhard Stolze als Steuermann war eher ein forscher Matrose. Die Partie liegt ihm nicht. Der Chor hielt sich sehr wacker und bot eine wohl abgerundete Leistung.
TOSCA am 25. September
Auch an seinem letzten Wiener Abend, vor Antritt großer Aufgaben in Amerika und an der Scala (Eröffnung der neuen Saison an beiden Häusern) sang Franco Corelli den Cavaradossi und hinterließ den gleichen Eindruck wie am 20. September. Antonietta Stella hingegen zeigte sich in dieser Aufführung verbessert. Sie war stimmlich gut disponiert, sang ein schönes Gebet und überzeugte auch in den dramatischen Ausbrüchen. Als Scarpia stand diesmal Giuseppe Taddei auf der Bühne. Konnte er auch stimmlich nicht immer voll befriedigen (Finale 1. Akt), so gelang es ihm doch als erfahrenem Routinier, einen dramatischen zweiten Akt zu gestalten. Schauspielerisch war er grandios. Am Pult stand Nino Verchi vor einem nicht besonders ambitionierten Orchester. Der Klang war oft sehr derb. Es fehlten die feinen Schattierungen, das genießerische Auskosten gewisser Motive, was einen Puccini erst spannend macht.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 26. September
Das Geheimnis des Erfolges von Poulencs Werk besteht unserer Meinung nach in seiner Ästhetik und der Inszenierung von Margarethe Wallmann, deren Regieanweisungen noch befolgt werden. In diesem Werk, das sich tatsächlich ohne „publicity“ auf dem Spielplan behaupten konnte, finden zahlreiche Ensemblemitglieder Aufgaben, die sie mit Erfolg ausfüllen können. Bewunderung müssen wir diesmal Emmy Loose als Blanche zollen, die eine außerordentliche schauspielerische Leistung vollbrachte. Man spürt mit ihr die Angst vor der Zukunft. Es wäre ungerecht, nicht auch ihre gesangliche Leistung lobend zu erwähnen. Abgesehen von einem einzelnen, etwas wackligen Spitzenton war nichts auszusetzen. Neben ihr brillierte Anneliese Rothenberger als Schwester Constance. Kein Wunder, daß ihr glockenheller Sopran in der letzten Szene Schwester Blanche beeinflußte. Hilde Zadek vermochte als Priorin Güte auszustrahlen und mutig schritt sie die Stufen zur Guillotine voran, sehr schön das „Salve Regina“ anführend. Elisabeth Höngens Sterbeszene ist weiterhin der Höhepunkt des ersten Aktes. Christl Goltz fiel durch einige schlecht placierte Töne aus dem Rahmen. Als Bruder der Blanche lernte man einen unbedeutenden Tenor namens Albert Weikenmeier kennen. Nach Schluß der Aufführung konnte man sich beim besten Willen nicht an das Timbre des Sängers erinnern. Anton Dermota, Hans Braun, Erich Majkut und Ljubomir Pantscheff bildeten die Randfiguren um das Kloster. Heinrich Hollreiser war mit Feuereifer bei der Sache und wußte die wenigen dramatischen Stellen des Werkes ins rechte Licht zu rücken. Je öfter man das Werk hört, desto mehr findet der künstlerische Ernst des Komponisten Anerkennung.
DER ROSENKAVALIER am 27. September
Eine recht gute Repertoireaufführung, die wenig Publikumsecho fand. Mit viel Mühe gab es knappen Applaus für den Dirigenten Hans Swarowsky (geschickt verlängert durch die Ablenkung auf die Wiener Philharmoniker), der einen handfesten, aber immerhin recht lebendigen Strauss dirigierte. Bei den Sängern gab es große Qualitätsunterschiede. Neben Irmgard Seefried, die als Oktavian stimmlich und darstellerisch ausgezeichnet war, als Mariandl etwas zu typisch weiblich, und Hilde Güden, deren Sophie wieder großartig war (Höhepunkt war demnach die Rosenüberreichung), fanden sich: als Faninal Rudolf Knoll, der sowohl stimmlich als schauspielerisch miserabel war, Karl Terkal, der statt Herrn Kmentt eine schlechte Sängerarie von sich gab und Karl Friedrich, dessen „Frau Fürstin Feldmarschall“ einen Hörnerschmiß im Orchester zum Echo bekam. Die übrigen hielten Mittelmaß: Hilde Zadeks Marschallin, stimmlich recht gut, darstellerisch wie immer etwas farblos und Oskar Czerwenkas Ochs. Stimmlich schwindelt er sich durch die Partie, schauspielerisch häuft er nun allmählich allzu viele Gags aufeinander, sodaß für die Rolle zu wenig Platz bleibt. Wenn er gerade nicht zu singen hat, redet er andauernd irgendetwas halblaut vor sich hin. Aber Hofmannsthal und Strauss müßten nun einmal genügen! Schließlich soll der Lerchenauer doch noch quasi eine Standsperson bleiben.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. September
War eine geschlossene Aufführung für den Pharmazeuten-Kongreß in der Besetzung: Gerda Scheyrer, Anneliese Rothenberger, Margareta Sjöstedt, Georgine Milinkovic, Eberhard Wächter, Erich Kunz, Oskar Czerwenka und Peter Klein. Dirigent: Wilhelm Loibner.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 29. September
Die veristischen Opernzwillinge waren erstmals in dieser Saison aufgeboten, um teils dem heimischen Ensemble und teils Gästen zu wirksamen Rollen zu verhelfen. Nino Verchi hatte einen ausgezeichneten Abend und leitete die beiden Stücke temperamentvoll und sicher. Das mit Substituten gespickte Orchester hielt sich brav. Allzu große Probleme hatte es ja nicht zu meistern, und der Chor, der doch sonst zumindest in der Cavalleria mindestens eine Schwimmstelle hat, zeigte sich gut und erfreulich sicher.
In der CAVALLERIA sang Giuseppe Zampieri die Siciliana derart unsicher, daß man schon eine Katastrophe befürchten mußte, fing sich aber im Laufe des Abends. Es ist merkwürdig mit ihm: Das Timbre wird immer schöne, die Atemtechnik und Stütze immer schwächer. Christl Goltz war in der tiefer liegenden Partie besser, als im angestammten deutschen Fach, legte sich aber, übermütig geworden, das Schluß-C ein, was nicht dafür spricht, daß sie über den Zustand ihrer Spitzentöne Bescheid weiß. Hans Braun gab den Alfio…
Im BAJAZZO gastierte eine solide, farblose Dame namens Eva Likova, die eigentlich nur dadurch auffiel, daß sie beim Spiel auf der Bühne Ballettschuhe trug. Solche Verlegenheitsgäste lehnen wir ab. Die Nedda könnten sicher noch einige engagierte Damen studieren (Lotte Rysanek etwa) – um einspringen zu können, wenn Frau Lipp nicht in Wien ist. Dimiter Usunow ist – obwohl stimmlich gut – als Canio nicht glaubhaft. Seine großen Gesten passen nicht in die naturalistische Inszenierung. In ägyptischer Rüstung, tatarischem Gewand oder dem Frack der Revolutionszeit wirkt er besser, denn im gestreiften Konfektionsanzug. Einen gänzlich unbekannten Mann lernte man in Gianni Maffeo als Tonio kennen. Die mittelgroße, weiche Stimme hat ein schönes Timbre, wird jedoch in der Höhe beim Ansatz etwas roh behandelt. In Maske und Spiel war er auf Quasimodo ausgerichtet, was wenig Aufschluß über seine Persönlichkeit gab. Robert Kerns sang mit frischer, kräftiger Stimme, die nun vielleicht schon etwas zu dramatisch ist, einen guten Silvio. Herr Kerns ist von den jungen Amerikanern, die wir bisher hatten, zweifellos der brauchbarste. Ermanno Lorenzi wirkte als Beppo fast wie ein Stimmprotz.
PELLEAS UND MELISANDE am 30. September
Eine Gala-Aufführung zu Ende des Monats. Sie zeigte wieder einmal die tiefe Kluft, die hier bei uns zwischen großen Abenden und Repertoire-Vorstellungen klafft. Diejenigen, die auf dem „heimischen Ensemble“ beharren, erweisen sich immer mehr als unbelehrbar. Hie die internationale Sänger- und Dirigentenklasse – Resultat: Spitze der Spitze. Hie die verbeamteten Sänger und Dirigenten – Ergebnis: Tragbares bis untragbares Repertoire. Der Debussy-Aufführung hat die Sommerpause nicht geschadet. Sie erstrahlt im höchsten Glanze. Ja, man wird sogar das Gefühl nicht los, daß das Orchester, bei den ersten Aufführungen vom Pult her inspiriert und zu höchster Leistung angespornt, nun auch Debussy „im kleinen Finger“ hat. Das Meisterorchester spielte unter Herbert von Karajans Leitung so, daß es alle Lobeshymnen, die man anstimmen könnte, übertraf. Warum können die Philharmoniker nicht öfter so sein? (Immer geht es ja wirklich nicht, das sehen auch wir ein). Die ideale Übereinstimmung zwischen Bühne und Orchester bestimmte auch diesmal wieder Atmosphäre und Ausdruck des Abends. Auch die Idealbesetzung war zur Stelle: Hilde Güdens sanfter Silbersopran, Henry Guis gallischer Tenorbariton-Charme, Eberhard Wächters belkanteske Herrenhaftigkeit, Nicola Zaccarias dumpfes Königstimbre und Adriana Martinos naive Kinderstimme. Die Ergänzung bildete ein kultiviertes und diszipliniertes Genießerpublikum, das die Künstler, allen voran Herbert von Karajan als den Schöpfer einer Traumaufführung, die schon Operngeschichte ist, stürmisch feierte.
ES IST ZEIT!
Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 10
Österreich steht vor Neuwahlen. Während die Propagandamaschinerien der Parteipolitik aller Richtungen auf Hochtouren laufen, macht der Wiener Opernfreund sich dabei seine besonderen Gedanken und Sorgen. Die Staatsoper ist ja leider nicht nur in den ganzen Fragenkomplex der Kulturpolitik mit eingeschlossen, sie nimmt darin auch einen besonderen Raum ein und ihre Belange sind bei besonders kritischen und entscheidenden gordischen Knoten angelangt, die dringend einer Lösung bedürfen. Der Opernfreund hofft also und wünscht und – wir gestehen es ein – er bangt auch, denn die vergangenen Monate haben ihm bewiesen, daß Gefahren für das Wiener Opernleben nicht nur gegeben waren, sondern noch immer nicht völlig gebannt, Mißstände nicht gänzlich behoben sind und Entscheidungen nicht endgültig und restlos getroffen wurden. Der Opernfreund ist sich dabei durchaus bewußt, daß er mit seinen Wünschen real bleiben muß und sich nicht in Träume verlieren darf. Er weiß aber auch, daß es eine ganze Reihe von Dingen gibt, die nicht nur erreicht werden sollten und müßten, sondern auch erreicht werden können, wenn Verständnis und guter Wille gegeben sind, wie man es von einer richtigen und guten Kulturpolitik erwarten darf. Schon allein das Wort Kulturpolitik stellt eine gewisse Zwiespältigkeit dar, denn Kultur im Allgemeinen, Musik und die Staatsoper im besonderen dürfen oder vielmehr dürften nicht zum Politikum werden. Hier ist kein Schlachtfeld für der Parteien Gunst und Haß, und im Haus am Ring haben weder parteipolitische noch personelle Machtkämpfe Fuß zu fassen! Die Staatsoper und ihre Belange haben auch keinesfalls Vorwand oder Grund zu liefern, daß eine Fraktion der anderen den schwarzen Peter zuspiele! Im Jahre 1962 haben sich in Bezug auf die Wiener Staatsoper eine Menge unerfreulicher Krisen ergeben, die teilweise beigelegt, teilweise nur überbrückt wurden und nun schweigend übergangen werden, weil man auf keiner Seite Lust hat, sich eine Blöße zu geben oder sich bei dieser oder jener Wählerschar mißliebig oder auch nur unpopulär zu machen. Dies alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Verschleppungstaktik nur nach außen hin ein Prestige wahren hilft, das näherer Betrachtung schon längst nicht mehr standhält. Das grundlegende Problem bildet hierbei der Fragenkomplex Staatsoper – Bundestheaterverwaltung. Derzeit nimmt für die Belange der Staatsoper ein interimistischer Beamter – Ministerialrat Dr. Weikert – den Platz des Chefs der Bundestheaterverwaltung ein, dieweilen Dr. Haertel aber von rechts wegen noch immer im Amte bestallt und besoldet ist. Die Staatsoper hat angeblich freie Verfügungsgewalt, ist aber dem Buchstaben des Gesetzes nach der Bundestheaterverwaltung unterstellt. Juristisch gesehen also ein reichlich seltsamer Zustand, der natürlich auch seltsame Auswirkungen zeitigt. Als Karajan hier von der ‚vox populi’ nachdrücklichst zurückverlangt und schließlich auch – notgedrungen (!) – von den zuständigen Stellen zurückgerufen wurde, galt die allgemeine Sympathie und Begeisterung nicht allein seiner Person, sondern ebenso den Ideen, die er bei seinem Abgang geäußert, den Vorschlägen und Plänen, die er veröffentlicht hatte. Diese waren kurz zusammengefaßt: Künstlerische Unabhängigkeit vom Beamtendiktat, Herauslösung der Oper aus dem gigantischen Apparat der Bundestheaterverwaltung und damit volle Freiheit beim Abschluß von Verträgen und freiem Verkauf aller Karten. Dies bedeutet nur eine natürliche kaufmännische und künstlerische Basis für den Aufbau eines internationalen Ensembles, das den allgemeinen Tendenzen der Zeit in der Oper zum Durchbruch verhilft. Als man Karajan zurückrief, hat man also Zugeständnisse gemacht und eine Zwischenlösung entriert, die als Zwischenlösung akzeptabel erschien. Aber nun ist dieser Zustand bereits stillschweigend zu einer Dauereinrichtung geworden, die aber das Moment des Untragbaren bereits wieder in sich einschließt. Dem Opernfreund geht es dabei gar nicht so sehr um die Person Dr. Haertels, von dem allerdings Karajan füglich sagen kann, er habe eine Schlange an seinem Busen genährt, als er anno 1957 dessen Berufung unterstützte. Wichtig ist, daß die künstlerische Selbständigkeit des Hauses am Ring nicht nur stillschweigend gewährt, sondern vielmehr ihre gesetzliche Grundlage und öffentliche Bestätigung erfährt. Ferner verlangt der Opernfreund, daß der Minister, dem das Institut am Ring unterstellt ist, dieses Haus nicht mehr mit einer Beharrlichkeit meidet, als herrschten dort Tod und Pestilenz. Wir möchten den privaten oder staatlichen Betrieb sehen, sei es auf welchem Sektor immer, wo der oberste Verantwortliche den Boden des Betriebes nur einmal jährlich, im Rahmen eines gesellschaftlichen Empfanges, – in Sachen Oper ist dies der Opernball – sonst aber niemals betritt, und die Interessenten sich damit einverstanden und zufrieden erklären. Wenn Dr. Drimmel Musik und Oper so unwichtig, oder man muß schon daraus schließen, so leidig und lästig sind, daß er sich mit geradezu herausfordernder Konsequenz davon fern hält, dann sollte er getrost diese Pflicht einem Mann, der dazu Liebe aufbringt, überlassen. Das ist das Mindeste, was der Opernfreund und Steuerzahler verlangen kann. Daß es nicht österreichische Art ist, Radikallösungen zu propagieren, ist nicht immer ein Nachteil, aber einmal müssen eben die Linien doch klar und deutlich abgesteckt werden. Darum kann man sich nun auf dem Kunstsektor nicht länger herumwinden. Und nicht länger herumwinden kann man sich auch um die Frage der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit nicht nur in den umfassenden Belangen, sondern auch in den untergeordneten. Nur klare Verhältnisse können Ordnung in Mißstände bringen. Und als Mißstand wagen wir es zu bezeichnen – um hier ein Exempel anzuführen – wie die Kartenfrage gehandhabt wird, die erst anläßlich der Tosca am 3. 10. einen Riesenwirbel vor und in den Kassenräumen des Hauses und lebhafte Proteste gezeitigt hat. Es gibt eine unter dem Namen Drimmel-Aktion bekannte Einrichtung, durch die so und so viele Karten frei – also ohne Bezahlung – über die Schuldirektionen an Schüler verteilt werden. Wir haben uns seit eh und je gegen diese Einrichtung gewandt, nicht um dem Herrn Minister etwas Unfreundliches zu entgegnen, wie nun nachträglich uns leicht unterstellt werden möchte, sondern wohl bewußt, daß der Ressortchef etwas Schönes in dieser Idee sah, das wir durchaus begreifen. Doch sieht die Praxis weit weniger schön aus, als die Theorie. Was jedoch der Herr Minister nicht überblickt, da er ja mit dem Opernleben in der Praxis überhaupt keine Berührung hat und nur mit der Theorie vertraut ist. Die traditionsreiche IV. Galerie aber war von jeher eine natürliche Auslese, die aus bestimmten Bedingungen entstanden und gewachsen ist, die sich in ihren Prinzipien bis heute nicht geändert haben. Der Opernfreund mußte sich seinen Eintritt in die Oper stets durch Anstellen und Bezahlen seiner Karte erwerben, oft sehr mühsam und unter Opfern. Darin bestand aber das Ausleseprinzip, das sich auf die Dauer stets bewährt hat. Es gibt also keinen Grund, warum dies geändert werden sollte. Es besteht kein Grund hiefür, junge Leute in die Oper zu zitieren, die nicht aus eigenem bereit sind, alles daranzusetzen, die Oper besuchen zu dürfen. Und hierbei gar ein soziales Moment anführen zu wollen, ist glatter Nonsens. Wir möchten in den Zeiten der Hochkonjunktur den Jugendlichen sehen, der heute nicht vier Schillinge für einen Stehplatz aufbringt. Und wenn er dadurch auf irgendetwas anderes verzichten müßte, dann ist damit genau jene Bedingung geschaffen und erfüllt, die wir als nötig erachten und bewahrt wissen möchten. Ministerialrat Dr. Weikert allerdings, den wir anläßlich der letzten Pressekonferenz der abgelaufenen Saison hierauf hinwiesen, erklärte, daß ihm von einer solchen Aktion überhaupt nichts bekannt sei (!) und er nur die Einrichtung des „Theaters der Jugend’ kenne, die mit der angeführten Einrichtung natürlich überhaupt nichts zu tun hat und nur ein Jugendabonnement, wenn auch zu ermäßigten Preisen, darstellt!!! In der Direktion der Staatsoper weiß man dagegen wieder kaum, wie viel Sitzplatzkarten (neben den Stehplätzen) zum freien Verkauf gelangen und der Opernchef ist sehr erstaunt, wenn er schließlich erfährt, daß hunderte Leute sich eine Nacht lang für eine Glanzvorstellung vergebens anstellten, weil ganze Kongresse ausgerechnet in die Vorstellungen für Kenner und Liebhaber hineingeschleust werden, weil über die Bundestheaterverwaltung Riesenkontingente an Karten abgezweigt werden, für Diplomaten ebenso wie für Musicalspezialisten und Quizonkels, Modenkönige und sonstige Adabeis, die natürlich alle samt und sonders nur bei Galavorstellungen zu sehen sind. Diese Herren sind doch überzeugte Verfechter der „heimischen Ensemblekultur’“. Warum gehen sie, mit dem mephistophelischen Pressechef an der Spitze, nicht in die Ariadne unter Loibner? Wir halten es auf der anderen Seite aber für falsch und gefährlich, immer über das Budget der Staatsoper zu nörgeln und über das viele für diese Zwecke ausgegebene Geld zu jammern. Wir möchten nachdrücklichst vor dieser Taktik warnen! Solange in unserem Lande – gottlob – keine wirtschaftliche Not herrscht, besteht kein Grund, die Belange des Hauses, durch das unser internationales Prestige ebenso wie die künstlerische Geltung (in unserer Tradition verankert und uns mit Recht heilig) dokumentiert wird, finanziell zu beschneiden. Beim kleinen Mann mag man sich mit solchen Vorschlägen populär machen, doch glauben wir nicht, daß gute und verantwortungvolle Politiker es nötig hätten, sich so billiger Mittel zu bedienen, die überdies noch eine äußerst akute Gefahr einschließen. Denn wie heikel gerade der Durchschnitts-Wiener, der zwar über das viele hinausgeworfene Geld gern raunzt, schließlich doch auf „seine“ Oper ist, wenn es darauf ankommt, das hat die Karajankrise sehr deutlich und hoffentlich auch nach allen Seiten hin sehr lehrreich bewiesen. Und da die Budgetkürzung auch den Niveauverfall nach sich ziehen würde, bliebe letzten Endes der Vorwurf der „Kulturpleite“ an jenen hängen, die die Budgetkürzung propagieren, womit der besagte schwarze Peter endgültig in feste Hände gelegt wäre! Wenn wir alles dies nun ins Treffen führen, so sind wir deshalb bestimmt nicht schlechtere Staatsbürger, noch unsozial denkend und möchten noch dazu bemerken, daß das Gros der Opernfreunde wirtschaftlich keineswegs der Schar der Besitzenden angehört, sondern zu recht durchschnittlichen Lohnempfängern zählt, die selbst viel besser um Alltagssorgen Bescheid wissen, als die Politiker. Daß das österreichische „kleine Wirtschaftswunder“ – im Abstand zum „großen“ des deutschen Nachbarlandes – zugleich ein kulturelles Wunder gezeitigt hat, liegt in der Art und Mentalität unseres Landes verwurzelt und berechtigt uns zu Stolz. Möge es die Verantwortlichen auch zur unbedingten Verantwortung verpflichten, gleichgültig ob sie im Nationalrat die Sitze zur Rechten oder Linken einnehmen. Wir wollen nicht vergessen, an dieser Stelle auch daran zu denken, daß Wunder stets zu Übermut reizen. Auch die Opernfreunde sind gegen diese Versuchung nicht gefeit. Die letzten Jahre haben durch Spitzenleistungen ein äußerst verwöhntes Publikum herangezogen. Dieses muß sich aber vor negativem Snobismus hüten, denn Ansätze dazu haben wir mit Schrecken vermerkt. Die Anzahl bereits „konsumierter“ Spitzensänger verleitet eine Anzahl junger Leute dazu, recht leichtfertig und blasiert mit Vorurteilen umzugehen. Dazu können wir nur sagen: „Mehr Ehrfurcht, Herrschaften!“ Diese Ehrfurcht zu bewahren, sollte nun allerdings von Seiten der Bundestheaterverwaltung den jungen Leuten nicht noch erschwert werden. Verdiente Sänger, trügen sie auch noch so bekannte Namen, die heute aber leider nicht mehr im Besitz ihrer vollen künstlerischen Mittel sind, dürfen nicht mehr – sich selbst zu Schaden, dem Niveau des Hauses zum Leid – auf die Bühne gestellt werden. Heute wird niemand dem Hungertod preisgegeben, wir nennen die soziale Errungenschaft der Pension unser. Man möge endlich rechtzeitig davon Gebrauch machen und es den verdienten Künstlern wie dem Publikum ersparen, ganze Opernabend zu Begräbnissen ehemaliger Pracht und Herrlichkeit werden zu lassen. Hier zu „sparen“ ist nicht nur unsozial, sondern unkünstlerisch, ja menschenunwürdig. Mit einem Wort, es ist Zeit, daß wir mit dem „Weiterwurstel“ aufhören, es ist Zeit, daß etwas geschieht und vor allem, daß man sich klar wird, was geschehen soll. Und zwar jetzt – obwohl sämtliche Parteipolitiker gewißlich behaupten werden, daß sie derzeit andere Sorgen hätten. Es stimmt nicht. Das Musikleben und mit ihm die Staatsoper stehen schon aus Gründen des Fremdenverkehrs in der ersten Reihe der österreichischen Staatsinteressen – und das Kopfzerbrechen ist daher auch vorher und nicht nachher wichtig, wenn die Milch bereits verschüttet ist. Österreich ist in den letzten Jahren in der Weltgeschichte nicht nur als neutraler Staat und durch adäquate Politik, sondern vor allem auch in seinem Ansehen als Kulturmacht hoch gestiegen. Daß es hierin nie tief fallen möge, möchten wir als Wunsch und Mahnung in diesen Wochen allen jenen zurufen, die nun zum Streit in den Wahlkampf ziehen!