DER OKTOBER 1962

7. Jahrgang, Heft 11

 

DIE OPER IM OKTOBER

Dieser Monat, der so großartig mit den Vorstellungen von Pelleas und Tosca begann, mutete in seinem weitern Verlauf dann an, wie ein einziges großes Warten. Ein Warten, daß endlich wieder etwas geschehe. Sicherlich warten auch Herbert von Karajan und Herr Schäfer darauf, daß die noch schwebenden Fragen geklärt werden, aber aus dieser verständlichen Haltung erwächst ein künstlerischer Leerlauf. Die Staatsoper Wien präsentierte in diesen vier Wochen der Spielzeit keinen einzigen Wagner und dokumentierte erschreckend, daß wir kaum noch in der Lage sind, gegenwärtig einen Strauss von Format zu Gehör zu bringen. Womit erschütternd deutlich ausgewiesen ist, wie nötig und dringend Karajans Pläne einer Verwirklichung bedürfen.

 

MADAMA BUTTERFLY am 1. Oktober

Eine Repertoireaufführung ohne das berühmte Format „Wiener Staatsoper“. Wer mit überaus positiven Erwartungen in die Aufführung hineingegangen sein sollte, wurde enttäuscht. Giuseppe Zampieri sah als Pinkerton wohl sehr gut aus, doch dafür klang seine Höhe reichlich belegt. Auch die Mittellage konnte nur im Piano zu einem schönen Klang kommen. Kostas Paskalis war ein überaus eleganter Konsul, der auch stimmlich der Partie nichts schuldig blieb. Antonietta Stellas Organ klang diesmal sehr gequält und bei den hauchzarten Stellen, die Puccinis Musik hier bietet, viel zu dramatisch. Doch spielte die Sängerin mit Raffinement und wußte so zu bestehen. Nino Verchi, der Dirigent der Aufführung, konnte keine überdurchschnittliche Leistung an den Tag legen. Das Vorspiel wirkte äußerst hart, und das Blütenduett erinnerte mehr an den Herbstwind, der durch die kahlen Bäume fegt. Die gesamte Aufführung blieb vom Orchester her ziemlich undifferenziert (auch wenn man die beiden Hornschmisse verzeihend ignoriert). In den Nebenrollen gefielen vor allem Peter Klein als Goro und Hilde Rössel-Majdan, die eine recht brave und mütterliche Suzuki abgab. Negativen Eindruck hinterließen Siegfried Rudolf Frese als Yamadori und Franz Bierbach, der als Onkel Bonze durch eine permanente „Hände-Hoch“-Stellung kaum die Wirkung eines Fluchenden hinterließ. Jenen, die im Textbuch die Vorstellung verfolgten, erleichterte dies der Souffleur durch große Lautstärke. Summa summarum, eine sehr durchschnittliche Aufführung!

PELLEAS UND MELISANDE am 2. Oktober

Der auf schmale Kost gesetzte Feinschmecker in Wien wirft sich, auch wenn er bisher gar nicht ein so überzeugter Impressionistenfan war, begeistert in die Arme des großen Debussy. Was bleibt ihm auch über? Ist doch kein Falstaff auf weiter Flur, kein Capriccio (in erster Besetzung versteht sich) in der Ferne zu sehen, keine Schweigsame Frau zeigt sich am Horizont, kein großer Wagner schwemmt ihn von hinnen… Aber die wunderbare Pelleas-Aufführung, in der so fugenlos alles stimmt und die so vollends gefangen nimmt, tröstet den müden Krieger. Vielleicht wird unser Ensemble, unsere Administration und unsere Direktion einmal doch entdecken, wie die Wiener Oper am besten ihre Spitzenleistungen erzielt? Und wieder einmal die Antwort des bangenden und hoffenden unglücklichen Opernliebhabers: Durch Ideen und Fleiß, durch Disziplin und Konzentration. Durch begeisterte Zusammenarbeit von auf ihren Spezialgebieten gleichwertigen Künstlern. Fazit: Heißen Dank an Herbert von Karajan und die Wiener Philharmoniker, die Sänger Hilde Güden, Elisabeth Höngen, Adriana Martino, Henri Gui, Eberhard Wächter, Nicola Zaccaria und Alfred Poell. Heißen Dank auch an Schneider-Siemssen gesegnetes Malerauge und die großen Unbekannten hinter den Scheinwerfern.

TOSCA am 3. Oktober

Schlangen an den Kassen, brodelnde Aufregung im Haus. (Karten von der Bundestheaterverwaltung an mittelmäßig Interessierte und Anhänger der Ensemble-„Kultur“ verteilt.) Stars auf der Bühne,  im Orchester erste Besetzung nach intensivem Schallplattentraining. Und die viel geschmähte Schmalzoper, die italienische Leierkastenmusik, die „Parade des hohen C“, wie Mißgünstige so gern sagen, obzwar die C-s in dieser Oper sehr dünn gesät sind, zeigt ihre Theaterpranke, ihre dramatische Kraft, ihre sinnliche Glut und ihren lyrischen Glanz. Herbert von Karajan hat sich unsterbliche Verdienste um die Oper erworben, indem er sie – so wie wahrscheinlich Toscanini in Amerika – zeigte, wie sie wirklich ist und sie rettete vor den spitzen Federn mitteleuropäischer Mythenarroganz. Leontyne Price ist auch als Tosca die sensible Gesangskünstlerin, die urwüchsiges Gefühl mit höchstem Raffinement vereint. Ihr Timbre und ihre Phrasierung ließen darüber hinweghören, daß sie für die fast hochdramatischen Ausbrüche einige Mühe aufwenden muß. Ihr Spiel entwickelte sich wie immer ganz natürlich aus der musikalischen Linie und gipfelte darin, daß niemand vor ihr so intensiv Grauen, Wut und Angst auszudrücken wußte. Dieser Tosca nimmt man den Affektmord ab, den man der großen Primadonna meistens nicht glaubt. Übrigens war sie phantastisch angezogen und wirkte wie eine jener aparten Übersee-Französinnen, die die französische Revolution in die makabren Salons des beginnenden 19. Jahrhunderts spülte. Giuseppe die Stefano war wieder da. Es hat niemand zu hoffen gewagt, daß dieser nervlich so labile Künstler dann, wenn es ums Ganze geht, seine eigene Spitzenleistung bieten werde. Doch er bot sie. Die Goldstimme ist zwar etwas härter geworden und außerdem versuchte er, offenbar von Corellis vorhergehendem Besuch wissend, mit kraftvollen Spitzentönen aufzuwarten, was ja nie seine Stärke war, und die natürlich etwas steif gerieten. Doch dann waren wieder seine schmeichelnden Piani, seine natürlich-raffinierten Schwelltöne, sein konzentriertes Spiel, sein intuitives Mitgehen und das gewisse Etwas, das er ausstrahlt, da. Er gewann die Schlacht und muß wiederkommen. Giuseppe Taddei ist Scarpia vom Scheitel bis zur Sohle, listig und verschlagen, aber mit Charme und brutal, mit schönem Timbre. Sein Scarpia ist Extraklasse. Nicola Zaccaria war ein guter Angelotti und unterschied sich vorteilhaft von der sonst üblichen Besetzung dieser Partie. Auch Ludwig Welter war ein angenehm dezenter Mesner, während Erich Majkut (Spoletta) seine Eskapaden fortsetzte (er hatte den üblichen Lacherfolg). Es wirkt direkt traurig. Wie ist es eigentlich mit solchen Sängerbeamten beschaffen? Sie tun sklavisch, was ihnen bei den Proben eingedrillt wurde, auch wenn es absurd ist, und werden nie davon abgehen. Und wenn auch Direktionen stürzen und wiederkommen, beinahe Kriege ausbrechen und wieder vermieden werden, der Majkut fällt immer noch von der Stiege, besonders dann, wenn ihn keiner hinunter stößt. Oh, heimisches Ensemble! Wie soll man nicht über dich herziehen.

DON CARLOS am 4. Oktober

Noch selten hörte man am spanischen Hof solch falsch singende Hauptakteure. Giuseppe Zampieri als Infant und Kostas Paskalis als Marquis von Posa überboten einander in dieser Hinsicht. Das Duett im ersten Akt klang dementsprechend. Was ist aus Herrn Zampieri, der einst zu den großen Hoffnungen gehörte, geworden? Zwar besitzt er noch immer Stimme, doch die Kunst des Singens ist entschwunden. Herr Paskalis sekundierte mit rauher Stimme. Als wuchtiger König stand Walter Kreppel auf der Bühne. Ob er auch ein König des Gesanges war? Dies muß verneint werden, setzte er doch sein großes Stimmvolumen barbarisch ein. Warum diese vielen Fortetöne? Es ist doch ohnedies jedem Opernfreund bekannt, welch Riesenstimme der Künstler besitzt. Mehr Kultur wäre da schon eher am Platz. Nicola Zaccaria hatte als Großinquisitor gesangliche Schwierigkeiten, auch im Ausdruck fehlte ihm viel. Mit zitternder Stimme sang Siegfried Rudolf Frese die Worte des Herolds. Um die Damen im Escorial war es besser bestellt. Antonietta Stella als Elisabeth war diesmal der Stern der Aufführung, der strahlen konnte, denn Biserka Cvejic blieb durch Nervosität, die sie jedes Mal vor ihrer Arie heimsucht, in ihrer Leistung gehemmt. Man bemerkte dies deutlich an ihrer Stütztechnik: Zu früh ging ihr für den schwierigen Aktschluß der Atem aus. Was man zum Teil auf der Bühne vermißte, konnte diesmal das Orchester unter Nino Verchi etwas ausgleichen. Der Dirigent hatte in Konzept mitgebracht und sorgte für vorzügliche Begleitung, aus der die Solisten nur wenig Vorteile zu ziehen wußten.

DER ROSENKAVALIER am 5. Oktober

Interessant wurde diese Aufführung durch einen Gast: Evelyn Lear sang den Oktavian. Obwohl die sympathische Sängerin nicht gerade über eine große Stimme verfügt, ist jede Phrase gut durchdacht, musikalisch sicher und ausdrucksvoll. Dazu kommt natürliches Spiel und eine anmutige Bühnenerscheinung. Die Künstlerin hütet sich vor allen Übertreibungen, sie will nicht mit Gewalt komische Effekte erzielen, und das sei ihr hoch angerechnet. Hilde Zadek als Marschallin ließ manche Wünsche offen. Besonders in den höheren Lagen klang die Stimme nicht, das arge Tremolo störte sehr. Die schlechteste Leistung bot Teresa Stich-Randall als Sophie. Welchen Liebreiz und welche Poesie legte der Komponist gerade in diese Rolle! An diesem Abend merkte man nichts davon. So schrill und scharf könnte nur eine verbitterte alte Dame singen. Zum Aufputz gab es dann noch einige Spitzentöne, die man eigentlich als Spitzenschmisse bezeichnen müßte. Staatsopernreif jedenfalls war diese Sophie nicht. Ludwig Welter sang einen recht guten Ochs. Auch seine Stimme ist nicht groß. Der Sänger setzt sie jedoch geschmackvoll ein. Im Spiel wirkt er locker und nie übertrieben. In ausgezeichneter stimmlicher Verfassung präsentierte sich Alfred Poell als Faninal. Die Nebenrollen waren wie üblich besetzt. Als Sänger plagte sich Waldemar Kmentt. Er hatte einen sehr schwachen Tag. Die Wiener Philharmoniker spielten unter der Stabführung von Joseph Keilberth recht ambitioniert.

BALLETTABEND am 6. Oktober

EIN MASKENBALL am 7. Oktober

Eine mäßige Repertoireaufführung. Aus dem Durchschnitt auf und vor der Bühne ragte eine Leistung weit heraus, Biserka Cvejic als Ulrica. Sie ist derzeit nach der Simionato die beste Vertreterin dieser Partie an der Wiener Oper. Die Altistin war stimmlich prächtig in Form. Die Spitzentöne strahlten, die Tiefe war wirklich gesungen, die ganze Partie war klug aufgebaut und gut gespielt. Die Leistungen in den anderen Rollen waren uneinheitlich. Antonietta Stella sang schön, mit einigen scharfen Höhen, schluchzt aber derzeit etwas zu viel. Lautes Weinen auf der Bühne ist nur in kleinster Dosierung erträglich, ansonsten geht von dem Gesang wenig Rührung aus. Es ist immer besser, das Publikum – nicht der Sänger – vergießt die Tränen der Ergriffenheit. Adriana Martino ließ sich als schwer indisponiert entschuldigen, sang aber trotzdem den Oscar sehr hübsch. Mit den Herren sah es schlecht aus. Giuseppe Zampieri war zwar gut bei Stimme, doch sehr schlecht bei Takt. Über seine diversen Ausstiege schüttelte nicht nur der Oboist, sondern auch das Auditorium den Kopf. Allerdings trifft die Schuld nicht ihn allein. Die Zeichengebung Nino Verchis war verwirrend und der Begriff „Kontakt mit Orchester und Bühne“ kam dabei zu kurz. Da das Orchester zum Großteil aus Substituten bestand, die, wenn sie gut spielen sollen, straff geführt werden müssen, blieb diesmal Verdi auf der Strecke. Als Renato war Kostas Paskalis zu hören. Er bemühte sich um Intensität in Spiel und Gesang, wobei er Intensität leider mit Lautstärke verwechselte und sein Fortissimo rauh, aber konstant, die Partie hindurch beibehielt. Daß er mit den tiefen Tönen seine liebe Not hatte, merkte man natürlich doppelt. Zwei gute Verschwörer: Nicola Zaccaria und Ludwig Welter. Als Silvano fiel Siegfried Rudolf Frese, als erster Richter Erich Majkut wenig erfreulich auf.

ARIADNE AUF NAXOS am 8. Oktober

Ariadne ist ein Trauerspiel. Wer das noch nicht wußte, konnte es bei dieser Aufführung erfahren. Niveauloser geht es nicht mehr. Hier wäre eine Neuinszenierung längst fällig. Was steckt nicht alles in dieser herrlichen Partitur, und was kommt derzeit heraus? Unter der Leitung von Berislav Klobucar wurde mehr als lustlos gespielt. Mehr als einmal kamen Sänger und Orchester auseinander. Präzision schien an diesem Abend tatsächlich ein Fremdwort zu sein. Ein Plus der Aufführung: Alfred Poell in hervorragender Verfassung als Musiklehrer. Er sang und spielte vortrefflich. Neu war Evelyn Lear als Komponist. Sie hatte es nicht leicht, haben wir doch in den letzten Jahren hervorragende Interpretinnen dieser Rolle bewundern können. Leider fehlt der jungen Künstlerin für diese Partie die nötige Durchschlagskraft. Die lyrischen Stellen gelangen ihr wesentlich besser. Bezwingend ihr einfaches und natürliches Spiel. Christl Goltz als Ariadne zeigte hier, daß sie Künstlerin ist. Wenn auch der eine oder andere Spitzenton zu tief angesetzt wurde, blieb doch das gute Gesamtniveau gewahrt. Als Bacchus wieder ein Gast: Herbert Schachtschneider. Er war besser als mancher seiner Vorgänger. Musikalisch wirkte er sehr sicher und blieb seiner Rolle nichts schuldig. Die Stimme wird schlank und konzentriert geführt, hat ein angenehmes Timbre und Glanz. Es wäre interessant, den Sänger auch in anderen Rollen zu hören. Großartig Ruth-Margaret Pütz als Zerbinetta, gesanglich und darstellerisch ein reiner Genuß. Weniger genußreich: die Vertreter der Nebenrollen. Besonders in den Ensembles gab es öfters Unstimmigkeiten.

TOSCA am 9. Oktober

Es gab an unserem Institut eine Zeit, da wurde Mozarts Zauberflöte zu Tode gespielt, dann folgte Beethovens Fidelio, der zahlreichen Ensemblemitgliedern die Möglichkeit gab, die vertraglich zugesicherten Abende abzusingen, und jetzt ist Puccinis Tosca damit an der Reihe. Der Unterschied besteht darin, daß man Tosca derzeit erstklassig besetzen kann (lediglich in den Nebenrollen stören einige „verdiente Ensemblemitglieder“ mehr oder weniger) und die Inszenierung von Frau Wallmann ausgezeichnet ist. Diese beiden Argumente kann man den berechtigten Vorwürfen vieler Opernbesucher, der Wiener Spielplan bestehe derzeit fast nur aus Tosca, entgegenhalten. Die Primadonna mit den schluchzenden Ausbrüchen auf der Engelsburg war wieder Antonietta Stella. Sie sang ihren Part mit der bei ihr gewohnten Souveränität, dramatisch geführt und konnte auch die für sie an schlechten Abenden gefährlichen Stellen meistern. Würde man doch endlich mitgerissen von dieser Sängerin, dann würde sich auch die Zurückhaltung des Publikums ihr gegenüber ändern! So aber hörte man nur gerne zu, doch das ist meistens leider auch alles. Dimiter Usunow hat von Gott nicht besonders edel timbriertes Stimmaterial in die Wiege gelegt bekommen, doch was versteht er aus diesem zu machen! Er sang den Cavaradossi mit Elan und Schwung, und man vergaß ganz darauf, daß auf seiner „Malerpalette“ nur kräftige Farbtöne vorhanden waren, denn Zwischentöne vermißte man in seinem Gesang. Trotzdem fühlte man bei „dolci mani“, die im Forte gesungen wurden, das Miterleben des Künstlers in dieser Szene. Als Scarpia gastierte Gabriel Bacquier, und in ihm lernten wir einen echten Künstler kennen. Dabei ist die Stimme weder groß, noch mit einem besonders ins Ohr gehenden Timbre ausgestattet. Die Höhe klingt eher flach, und dennoch vermochte der Gast das Publikum durch seine eiskalte Gestaltung des Polizeichefs für sich einzunehmen. Er wußte sehr pointiert die Phrasen zu setzen und war in seinen Szenen ganz da. Eine künstlerische Leistung, vor der man Achtung hat. So sehr man im Großen und Ganzen mit den Solisten zufrieden war, enttäuschte die musikalische Untermalung durch das Substitutenorchester. So viele Unfälle und Beiläufigkeiten der einzelnen Herren können nicht nur Nino Verchi zur Last gelegt werden. Das Gezische gegen ihn waren nicht am Platze, denn die Zischer hätten zuerst einen Blick in das bunt zusammen gewürfelte Orchester werfen sollen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 10. Oktober

Eine sehr schlechte Repertoireaufführung. Die Damenbesetzung Scheyrer-Loose-Sjöstedt ist nicht leicht zu ertragen. Gerda Scheyrer kann eine gute Gräfin sein, wenn die Rothenberger und die Jurinac singen, Emmy Loose eine routinierte, saubere Susanne geben, wenn die Schwarzkopf und die Simionato auf der Bühne stehen. Margareta Sjöstedt, die den Pagen immer noch so singt, als wäre es an einem Fragmentabend an der Akademie, obzwar sie jetzt sicher schon 100 Stück davon hinter sich hat, fällt weiter nicht auf, wenn die Sciutti neben ihr steht und die Persönlichkeit der Jurinac dominiert. Aber die Damen Scheyrer-Loose und Sjöstedt an einem Abend, könnten auch den Figaro-Fan dazu bringen, auf einem Bein stehend einzuschlafen. Renato Capecchi war als Figaro eine Enttäuschung. Er übertrieb in der Phrasierung so maßlos, daß man meinte, einen verkleinerten Fischer-Dieskau zu hören. So wechselte sein „Gesang“ zwischen Flüstern und Aufschrei. Offenbar meint er, das was Fricsay auf der Aufnahme mit den Mozartphrasen treibt, sei in Mitteleuropa obligatorisch. Der Arme! Eberhard Wächter sah sich so völlig isoliert und begann, ganz auf sich allein gestellt, zu outrieren. Warum unsere Wiener Mozartsänger (auch die großen!) in einer Mozartoper immer einen Vorwand zum Kasperlspielen finden? Berislav Klobucar wollte flott beginnen, sah sich bereits im ersten Duett Susanne-Figaro etlichen Ausstiegen gegenüber und resignierte bald. Emmy Loose sang diesen Abend überhaupt sehr unsicher, auch das Duett im dritten Akt (mit dem Grafen) brachte sie durcheinander. Wenn sie die Gelegenheit hat, die Susanne im großen Haus zu singen, sollte sie sich besser vorbereiten. Im großen Haus sitzen nämlich – im Unterschied zum Redoutensaal – Leute, die merken, wenn jemand aussteigt.

CARMEN am 11. Oktober

Bizets Werk vermochte das Publikum nicht zu enthusiasmieren. Vielleicht hätten sich alle Mitwirkenden mehr Beifall verdient, doch es ist eben nicht jeden Tag Sonntag und schon gar nicht bei uns, wo bekanntlich Proben zu Ausnahmefällen zählen. Dennoch war die Vorstellung gut, ein Verdienst auch des Dirigenten Heinrich Hollreiser, der unermüdlich die Divergenzen von Bühne und Orchester lötete und tatsächlich stets mit Bemühen der Aufführung vom Pult her Dramatik gab. Auf der Bühne stand Biserka Cvejic als rassig aussehende Carmen. Die Stimme klang voller und frischer als in der vergangenen Saison, die Höhe war explosiv und voll Durchschlagskraft. So gab es in gesanglicher Hinsicht nichts auszusetzen. Eine kultiviert singende Carmen hört man nicht alle Tage. Eines leider fehlt Frau Cvejic noch, die persönliche Ausstrahlung. Eine Gabe Gottes, die nicht allen Künstlern gegeben ist. Eine Carmen, die das Haus in Raserei versetzen soll, braucht sie aber. Gabriel Bacquier verstärkte seinen positiven Eindruck auch bei seinem zweiten Auftreten. Wieder verdient der künstlerische Ernst höchste Anerkennung. Es stand ein Torero auf der Bühne, der nicht mit der Stimme protzte, sondern durch seine Eleganz wirkte. Carmen dürfte ihr Herz beim Torerolied nicht durch die Stimme, sondern durch den Vortrag an Escamillo verloren haben. Wieder fiel auf, daß die Stimme des Franzosen nur von durchschnittlicher Qualität ist. Doch es verblüffte abermals, was er daraus zu machen versteht. Der zweite Gast des Abends war Eva Likova als Micaela, die ausgesprochen schwach blieb. Die Stimme hat in der oberen Mittellage ein starkes Tremolo, die Tiefe ist kaum hörbar. Nachdem wir bessere Sängerinnen im eigenen Ensemble haben, ist dieser Import völlig überflüssig. Man könnte doch endlich Gundula Janowitz in dieser Partie, die sie in Graz bereits in deutscher Sprache gesungen hat, vorstellen. Den Don José sang Dimiter Usunow, der im Duett mit Micaela nicht ganz überzeugen konnte, denn sobald er seine kraftstrotzende Stimme drosselt, klingt sie stumpf. Dann allerdings legte er seinem Organ keinen Zwang an, selbst beim Schluß der Blumenarie war das Forte eingesetzt, und der Effekt stellte sich ein. Die Nebenrollen waren zufriedenstellend besetzt. Besonders die Wachmannschaft findet in Frederick Guthrie und Kostas Paskalis stimmliche Verstärkung. Snobs fanden an diesem Abend vielen auszusetzen, doch mochten wir den Unzufriedenen ins Gedächtnis rufen, daß auch in Spanien die Leidenschaften variieren: nicht jeden Tag gibt’s spannungsgeladene Liebestragödien.

OEDIPUS DER TYRANN am 12. Oktober

Der in dieser Saison erstmalig wieder aufgeführte Oedipus der Tyrann von Carl Orff stand wie immer im Zeichen Gerhard Stolzes. Seine Verkörperung des von Leid getroffenen thebanischen Königs ist packend und bezwingend wie am ersten Tag. Schauspieler und Sänger vereinen sich hier in idealster Wiese. Rudolf Knoll als Priester formte in seinem kurzen Auftritt ein fest umrissenes Charakterbild. Karl Blühm deklamierte – so forderte es seine Partie – einen etwas zu starren und monumentalen Kreon, worunter auch sein Spiel und seine Gestik litten. Neu war diesmal Karl Mikorey als Seher Teiresias, der eine vorzüglicher Leistung, sowohl als Darsteller, wie auch als Sänger bot. Eine intensive Studie stellten seine Dialoge mit dem König dar. Christl Goltz als Jokaste spielte wie immer sehr dynamisch, war aber als Sprecherin allzu sehr Sängerin, um wirklich überzeugen zu können. Gesanglich meisterte sie ihre schwierige Partie fast ohne Schwierigkeiten. Den Boten aus Korinth, eine reine Sprechrolle, wie die des Kreon, gestaltete Josef Knapp leider viel zu vordergründig und humorlos, was der Profilierung dieser Figur sehr schadete. Dem alten Hirten des Laios verlieh Ludwig Weber seine massige Stimme und Gestalt und erweckte Mitleid als einer, der wider seinen Willen einen anderen ins Unglück treiben muß. Willi Domgraf-Fassbaender als Unheilsbote aus dem Königspalast enttäuschte diesmal arg: Die Rolle scheint dem Künstler weder stimmlich noch darstellerisch zu liegen. Schlechte Wortphrasierung und übertriebene Hektik im Spiel zerstörten alle Größe dieser Szene. Ludwig Welter war ein würdiger, sonorer Chorführer. Der Chor selbst – in diesem Werk ein sehr, sehr wichtiger Akteur –sang seinen mythosträchtigen Text brav und statuarisch. In sprechtechnischer Hinsicht allerdings gab es manch peinliches Pathos und Wortgeklapper. Orffs Spezialorchester wurde von Peter Ronnefeld geleitet. Der Dirigent schien sichtlich bemüht, die Instrumentalisten mitzureißen, was ihm aber nicht immer gelang. Die schlagzeuggepanzerten „Mannen in der Versenkung“ schienen bei dieser Aufführung nicht auf ihrer gewohnten Höhe zu sein. Zum Schluß durchschnittlicher Beifall des durchschnittlich besetzten Hauses.

DON GIOVANNI am 13. Oktober

…unter einem stark verbesserten Heinrich Hollreiser, der diese Oper, die sonst seine ärgste war, sicher über die Runden brachte. Gabriel Bacquier, der die Titelrolle sang, erwies sich als Mann in den besten Jahren mit dementsprechender Figur. Immerhin ist er klug genug, weder einen dämonischen, noch einen jugendlich-feurigen Helden spielen zu wollen, sondern gab ihn eher als humorvollen Genießer (er betonte nicht das „Dramma“, sondern das „gioccoso“, auch eine mögliche Auffassung). Stimmlich war er sauber. Die Sprünge nach der Champagnerarie hätte er besser unterlassen. Giuseppe Taddei war ein vollsaftiger, fröhlicher Leporello, mit dem nötigen Anflug von Ernst und Aggressivität, wenn es nötig ist. Auch stimmlich war er gut. Seine geplapperten Rezitative waren eine Ohrenweide. Luigi Alva erwies sich als hervorragender Don Ottavio. Er bewältigte die Schwierigkeiten beider Arien mühelos, und auch sein Auftreten auf der Bühne war gewandt und resolut. Auch Frederick Guthrie (Komtur) und Kostas Paskalis (Masetto) konnten gefallen. Gerda Scheyrer hatte mit der Donna Anna ziemlich Mühe, hingegen schien sich Mimi Coertse als Donna Elvira verbessert zu haben. Die Stimme ist gewachsen, sodaß weniger „draufgehaut“ wird, was die Schärfen vermindert. Hanny Steffek war eine natürliche, hellstimmige und frische Zerlina. Man atmet direkt auf, wenn man eine solche Zerlina hört. Frau Steffek hat es bestens verstanden, mit ihrem häufigeren Auftreten in Wien so lange zu warten, bis man nach einer jungen, frischen Stimme direkt lechzt. Alle Achtung!

LA BOHEME am 14. Oktober

In der Künstlerbude in Paris versammelten sich Antonietta Stella, Mimi Coertse, Eugenio Fernandi, Renato Capecchi, Hans Braun und Frederick Guthrie zu einem Stelldichein, um unter Nino Verchi und den Teil-Philharmonikern die traurig-süße Geschichte der armen kleinen Mimi abrollen zu lassen. Beginnen wir mit den Positiva: Antonietta Stella sang, in prächtiger stimmlicher Verfassung, die Highlights der Partie in gekonnter Souveränität. Weder an ihrer Arie, noch an ihrem Duett mit Rudolf gab es nur das Geringste auszusetzen, sieht man vom Schlußton des ersten Aktes ab. Renato Capecchi als Marcello imponierte mit seinem markigen Bariton und seiner Charakterisierung des Malers, der tatsächlich einem Künstlermilieu entsprungen sein konnte. Frederick Guthries Colline war zufrieden stellend – doch damit sind die Positiva zu Ende. Eugenio Fernandi sang den Rudolf (statt Zampieri). Mit seiner Gestaltung, seinem schrecklichen Spiel, zog der Kitsch ins Künstlerviertel ein. Gut, daß der Librettist nicht die Ergüsse des Poeten in das dramatische Geschehen eingebaut hatte. Das hätte noch zu unserem Glück gefehlt. Er sang die Partie ohne einen Schimmer von Poesie, legte Wert auf Fermaten, die raketenartig angesetzt waren. Daß sie manchmal ihr Ziel, d. h., die richtige Tonhöhe nicht erreichten, störte den musikalischen Zuhörer auf nicht unerhebliche Weise. Nicht kitschig, dafür aber sehr behäbig wirkte Hans Braun als Schaunard. Gesanglich hatte er wenig zu bieten. Mimi Coertse ergänzte als farblos bleibende Musetta den Reigen der weiteren Mitwirkenden. Nino Verchi dirigierte schwungvoll, nicht immer zur Zufriedenheit der Musiker, weil manche Einsätze wenig präzise waren, aber mit sehr viel Gefühl für die Sänger und den Melodienreichtum.

SALOME am 15. Oktober

Die Abschiedvorstellung für den gefeierten Heldentenor einer vergangenen Epoche, Max Lorenz, fand nicht statt. Der Künstler selbst verbat sich den Blumenwald auf der Bühne. Auf den Rängen fehlte diesmal die Jugend, denn Lorenz’ begeisterte Anhängerschaft, die ihm immer die Treue gehalten hat, ist inzwischen, genau wie der Künstler, älter geworden. Dennoch waren sie da. Zum Teil bereits mit Kindern, die den Schwarm ihrer Eltern – wahrscheinlich mit anderen Augen – sahen. Für all jene, die Max Lorenz in seiner Glanzzeit kannten und hörten, war er noch immer die Persönlichkeit, und sie hörten noch aus einzelnen Passagen, wie einst die Stimme geklungen hat. Unverändert ist das typische Kopfzurückwerfen, unverändert die beredte Gestik mit ausgestreckter Hand. Diese Eindrücke drehten das Rad der Zeit zurück, und vor unseren inneren Augen stand wieder jener Kammersänger Lorenz auf der Bühne, dessen Faszination, dessen heldischer, fast möchte man sagen, unerreichter Heldentenor, uns in Begeisterung versetzte. Wer erinnert sich dabei nicht an jene unvergeßlichen Wagner-Abende, an seinen Tannhäuser, Tristan und Siegfried, um nur einige zu nennen, die unser Herz höher schlagen ließen und wo die Beifallsstürme ihn immer wieder an die Rampe zitierten. Er war in seiner Zeit ein Idol. An dieser Stelle möchten wir Herrn Kammersänger Max Lorenz noch einmal für seine unvergeßlichen Abende von ganzem Herzen danken. Er möge gewiß sein, daß sein Name in der Geschichte des Hauses weiterleben wird.

Der große Künstler, von dem es Abschied nehmen hieß, hätte sich eine würdigere Umgebung verdient. Er, der unter den größten Dirigenten seiner Zeit gewirkt hatte, mußte diesmal mit Wilhelm Loibner vorlieb nehmen. Zwar fand die technische Bewältigung des großen Orchesters durch Herrn Loibner den Beifall der Philharmoniker, die nach Ende der Vorstellung ihre Zustimmung durch Klopfen an ihre Instrumente kundtaten. Weniger gefiel die Salome-Interpretation allerdings dem Publikum, das eine subtilere Klangwirkung vorzieht. Wilhelm Loibner bevorzugte das Blech und kraftvolle orchestrale Ausbrüche, die zum Teil die Stimmen zerschlugen. Viel machte dies bei Christl Goltz nicht aus, die diesmal sogar in der Mittellage zu tief intonierte. Unwillkürlich erinnerte man sich an die Worte Maria Ivogüns, die in der letzten Ausgabe des Forums in einem Interview erklärte, daß es besser sei, wenn das Publikum sage „Schade, daß sie schon abtritt“, als „Was, die singt noch immer?“. Wie das Wiener Publikum darüber denkt, ist allgemein bekannt, und das wird auch Frau Goltz eines Tages zur Kenntnis nehmen müssen. Letzten Endes kann auch ein noch so ekstatischer Tanz (mit immer weniger Hüllen) nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Salome auch richtig gesungen gehört. Hans Günther Nöcker brachte die Worte des Propheten mit einer Robustheit und Wildheit, daß man stets zittern mußte, die klobigen Spitzentöne würden umschnappen. War Jochanaan nur ein Wilder oder auch ein Prophet des Herrn? Elisabeth Höngen blieb als Herodias die einzige Künstlerin, von der die bösen Zungen nicht behaupten konnten, alle Solisten des Abends seien reif für einen Abschied von der Bühne. Schwacher Beifall, der noch schwächer wurde, als der Held Max Lorenz nicht vor den Vorhang kam.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 16. Oktober

Man kam, um die Rysanek zu hören, doch sie sagte ab. Wenn aber eine Einspringerin von der Klasse einer Antonietta Stella zur Stelle ist, macht das weiter nichts. Frau Stella füllte auch diesmal ihre beste Rolle stimmlich, technisch und ausdrucksmäßig völlig aus und sei für ihre Kollegialität und Ensembletreue sehr bedankt. Luigi Ottolini, der den Alvaro sang, ist ein ungemein sicherer Sänger. Er betritt eine Inszenierung, die er nicht kennt, bleibt dort stehen, wenn es sein muß, mit dem Rücken zum Dirigenten und singt, ohne mit der Wimper zu zucken, seinen Part sehr schön und ausdrucksvoll, mit kräftiger metallischer Stimme und todsicher (also ein Protti des Tenorfachs). Kostas Paskalis war an diesem Abend überraschend gut, nicht nur seines temperamentvollen Spieles wegen. Er sang die schwere Rolle, sogar die wahrhaft teuflische „Urna fatale“ prächtig, nur die nachfolgende Stretta liegt ihm zu tief. Daher verhaspelte er sich unten und hatte naturgemäß oben seine Mühe. Aber das ist schon prominenteren Kollegen passiert. Endlich hörte man einen anderen Fra Melitone, nämlich Renato Capecchi. Er ist, was in diesem Fach verwundert, gar kein vollsaftiger Komiker, sondern ein Intellektueller. Er macht alles mit dem Gehirn. Immerhin kamen die komischen Effekte der Rolle voll zur Geltung und vor allem sang er die Partie mit angenehmer Stimme. Walter Kreppels Distonieren ist so oft erwähnt worden, daß wir diesmal zu seiner Ehrenrettung feststellen müssen, er hat alles richtig und vortrefflich gesungen, was sowohl uns freute, als auch ihn freuen wird (vielleicht ist seine Krise im Abklingen). Biserka Cvejic sang eine gute Preziosilla, und da auch Nino Verchi für einen richtigen musikalischen Ablauf des Abends sorgte, stand der allgemeinen Zufriedenheit nichts mehr im Wege.

DER ROSENKAVALIER am 17. Oktober

Unter Heinrich Hollreisers animierter und einsatzfreudiger Leitung spielte das Orchester, mit dem jungen Konzertmeister Pichler an Stelle von Professor Sedlak – das hohe Es gelang ihm prächtig – einen beschwingten Rosenkavalier, wobei man staunte, daß trotz mancher Substituten solche Klangwirkungen zustandekamen. Der einzig schwache Punkt war der erste Hornist, der im ersten Akt schwach war und im dritten nicht nur seinen Einsatz verpaßte, sondern auch sehr vulgären Tons seine Stellen blies. Die Titelpartie sang Irmgard Seefried und bot – trotz mancher Schwächen (Höhenlage und die Legatostellen des ersten Aktes) – eine zufrieden stellende Leistung. Das Timbre der Stimme entschädigt weitgehend. Man hört ihr immer gerne zu und vergißt dabei, daß die obere Mittellage der Stimme nicht mehr so schlackenlos ist wie früher. Als Sophie stand Hanny Steffek auf der Bühne. Ihr schlanker Sopran kam sehr gut zur Geltung. Daß manche exponierten Töne nicht ganz glockenrein kamen, dürfte wohl auf Nervosität zurückzuführen sein. In der Darstellung wirkte sie sehr anmutig, und ihre Konversationsszene mit Oktavian verriet künstlerischen Geschmack. Als Verliererin im Spiel der Herzen zog sich Hilde Zadek als Marschallin mit verzeihender und souveräner Art aus der Affäre. Sie sang die Partie mit Zurückhaltung, ohne Aufdringlichkeit, sehr gekonnt und da sie auch die Schwierigkeiten der „silbernen Rose“ meisterte, blieb der verdiente Erfolg nicht aus. Kurt Böhmes großes Theatertemperament läßt sich nicht zügeln. Man muß ihm aber zugestehen, daß er sich diesmal viel Mühe gab, dezenter zu sein. In stimmlicher Hinsicht bot er eine prächtige Leistung. Die Stimme hatte Saft und Kraft und zuweilen auch die Schattierungen für die schwarze Seite des Herrn von Lerchenau. Deshalb finden wir ja, daß Herr Böhme es nicht notwendig hätte, manche Szene so breit auszuspielen. Von den Nebenrollen ist zu berichten, daß Dagmar Hermann sich gegenüber ihrer zuletzt gezeigten Leistung in der Rolle der Annina verbessert hat. Als Sänger sprang Georg Paskuda ein. Er wurde mit der Partie in atemtechnischer Hinsicht nicht fertig, abgesehen davon, daß er einen typisch deutsch geschulten Tenor besitzt, der keinen Funken Schmelz beinhaltet. Alfred Poell ist einer der liebenswertesten Faninals, die man zu sehen bekommt. Sein Charme springt über die Rampe und wirkt ansteckend. Für diesen schönen Abend gab es herzliche Anerkennung von Seiten des Publikums, das gutes Repertoire zu schätzen weiß.

 

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 18. Oktober, Neuinszenierung

Benjamin Britten hat seinen Sommernachtstraum – wie die meisten seiner anderen Bühnenwerke – für die British Opera Group geschrieben, und es scheint eigentlich gar nicht so, als ob er sich den internationalen Erfolg des Werkes erwartet hätte. Zuviel speziell Englisches ist darin, so die Verwendung von Knabenchören und eines Kontratenors, was sich beides in anderen Ländern schwer ähnlich besetzen läßt. Wie wir anläßlich des vorjährigen Besuches des Kontratenors Alfred Deller, für den die Oberonpartie im Original geschrieben wurde, (nicht für Peter Pears, wie manche irrtümlich annahmen), bemerken mußte, wird im traditionsbewußten England das Falsett-Singen in Kastratenlage noch eifrig gepflegt, wie auch der Chorgesang frischer Knabenstimmen. Die ursprünglich 1960 in Aldeburgh uraufgeführte Version hatte ein Kammerorchester von 26 Instrumenten aufzuweisen. Die Adaptierung für große Häuser folgte dann bald nach und wurde unter anderem schon in Covent Garden, Hamburg, an der Scala und im Teatro Colon gespielt. Mit der Neuinszenierung der Oper liegt die Staatsoper Wien also überraschenderweise ziemlich im Vordertreffen (München folgt bekanntlich erst bei der Eröffnung im nächsten Herbst). Es mag mit dem bitteren Mangel an spielbarem Material auf dem Sektor der zeitgenössischen Oper zusammenhängen, daß die Bühnen direkt gierig nach allen Stücken greifen, die halbwegs passabel sind. Vergleicht man den Brittenschen Sommernachtstraum mit anderen Werken, als da sind die Elegie für junge Liebende oder Intoleranza, kommt das Stück immerhin sehr gut weg. Britten und sein Helfer Peter Pears haben den Originaltext sehr liebevoll, aber stark gekürzt und im Übrigen nichts daran geändert – man sieht, daß die Aktion mit Respekt vorgenommen wurde. Den drei Ebenen des Stückes, der Welt der Geister, der Menschen und der Rüpel, wurde die entsprechende Musik zugeeignet, mysteriöse Streicherklänge, Harfentöne und Celesta für Oberon und sein Gefolge, fröhliche, derbe Rhythmik für die Handwerker. Die Liebhaber kamen etwas zu kurz, denn der kühle Sprechgesang bei beiden Paaren, der sich nur einmal zu einem allerdings musikalisch brillanten Streitquartett steigert, bleibt ansonsten eher farblos. In der Instrumentation ist Britten bekanntlich gut beschlagen, mit der Fähigkeit, eine herrliche Opernparodie zu schreiben (beim Rüpelspiel) überrascht er. Ob wohl die Trompetensoli, die den ansonsten sprechenden Puck begleiten, von dem Trompeter der British Opera Group gemeistert wurden, da sie schon unserem Professor Wobisch einige Mühe bereiten?

Die Aufführung war ausgezeichnet. Das Hervorstechendste auf der Bühne die herrlichen Dekorationen von Günter Schneider-Siemssen. Da ist einmal ein Maler, der keine Angst vor der Stimmung, der Romantik und der Farbe hat, und so machen seine Waldbilder einen traumhaften Eindruck. Sieht man näher hin, bemerkt man, daß sich der romantische Eindruck aus einer Fülle moderner Details zusammensetzt, aus dunklen Linien, farbigen Flecken, gänzlich unnaturalistischen Blüten aus dem seltsamsten Material. Schneider-Siemssen wird für die Staatsoper von ungeheurem Wert sein: Was für ein Glück, daß Karajan einmal zufällig nach Lübeck kam und ihn dort fand! Eines verlangen seine Bühnenbilder allerdings: eine treffliche Beleuchtungstechnik. Werner Düggelin, der Regisseur, zeigte sich darin sehr beschlagen. Die Personenführung geriet zwar etwas konventionell, doch war die Inszenierung weit besser als seine Burgtheateraufführung des gleichen Stückes (das liegt wohl am Bühnenbild). Für die bildschönen und sehr durchdachten Kostüme zeichnete Charlotte Flemming verantwortlich, die mit Schneider-Siemssen ein treffliches Team bildete.  Dirigent war Heinrich Hollreiser, sicher, agil und mit Autorität. Der jahrelang festgefahrene Dirigent hat in der heurigen Saison – Gott sei Dank – einen ziemlichen Auftrieb bekommen.

Die Besetzung war größtenteils ausgezeichnet. Gerhard Stolze sang die Wahnsinnspartie des Oberon. Man kann den Künstler kaum als Opernsänger bezeichnen, vielleicht eher als Gesamtkunstwerksinterpret oder so ähnlich (diese Bezeichnung müßte erst gefunden werden). Er bringt mit seiner weißen, grellen Stimme Dinge fertig, an die normale Sänger kaum zu denken wagen. Und in der darstellerischen Gestaltung und Erfassung einer Rolle ist er überhaupt nicht zu schlagen. Der Oberon wird so oft von den Schauspielern elegant geheimnisvoll dahergesäuselt. Stolze ist zum ersten Mal ein richtiger „Herr der Schatten“, grausam, düster, von geheimnisvollem Humor und schattenhaften Gebärden. Die zwischen Baritonlage und Falsett schwankende Gesangslinie meistert er souverän. Teresa Stich-Randall präsentierte als Titania ihre zweifellos vorhandenen Vorzüge: Technik, Musikalität, sichere Höhe, Gewandtheit in der Koloratur. Was sie nicht hat, brauchte sie diesmal nicht: Modulationsfähigkeit, natürliche, menschliche Schwingung der zu instrumentalen Stimme, dramatische Färbung und persönliche Anteilnahme. Was sie leider zuviel hat, nämlich Hang zur Sentimentalität und zum Glamourlächeln, konnte sie diesmal nicht verwenden. Sie war also gut besetzt und daher ausgezeichnet. Die Liebhaber waren mit jungen Sängern besetzt, wobei das Paar Demetrius – Helena (Robert Kerns – Gundula Janowitz) das Paar Lysander - Hermia (David Thaw – Margareta Sjöstedt) stimmlich und ausdrucksmäßig ziemlich weit übertraf. Doch immerhin ist Frau Sjöstedt in einer Rolle, auf der nicht der Schatten der Ludwig liegt, recht nett und stimmlich sicher. Der Gast David Thaw erwies sich als ausgesprochener Tenorino mit weißer Stimme und nicht gerade angenehmem Timbre. Da Herr Kmentt den Oberon zurückgelegt hat, was ihm wirklich niemand übelnehmen kann, hätte doch Irgendwer auf die Idee kommen können, ihn den Lysander studieren zu lassen. Dann hätte sich die Wiener Oper ein unnötiges Engagement erspart. Biserka Cvejic und Frederick Guthrie (Hippolyta und Theseus) sahen wohl imposant aus, es fehlte ihnen aber an der sprachlichen Prägnanz für die zynischen Bemerkungen beim Rüpelspiel. Zuletzt, doch nicht als Letztes also zu den Handwerkern. Die solide Ensemblearbeit des Teams (Ludwig Welter, Peter Klein, Ljubomir Pantscheff, Hans Braun und Ferry Gruber) wurde durch den Zettel von Erich Kunz weit übertroffen. Hier hat Kunz wieder einmal eine Bombenrolle gefunden, die er mit eigenen Gags füllen kann (siehe die beste aller Karajanstudien beim Dirigieren geisterhafter Musik!). Er ist so auftrumpfend in seiner Spielfreude und so lieb und arm als Verzauberter, daß man das Spiel, in dem er als Pyramus hinreißend komisch ist, noch als angenehme Draufgabe empfindet. Außerdem dürfte er die Regie ziemlich beeinflußt haben, denn der Gedanke, Titania vom Honigsacke der rotbeinigen Hummel, die ihm Mosjöh Spinnweb fangen muß, kosten zu lassen, ist hundertprozentiger Kunz. Es ist traurig, daß er solche Rollen nur bekommt, wenn Herr Dönch gerade zufällig nicht im Lande ist. Dieser weilt gerade an der Met und so nahm man es hin, daß die typische Dickie-Rolle der ‚Thisbe’ nicht von dem ebenfalls an der Met weilenden Dickie, sondern von Ferry Gruber gegeben wurde, der zwar ungemein komisch war, aber eine wenig angenehme Stimme, d. h. eigentlich überhaupt sehr wenig Stimme hat. In seiner kleinen Rolle als Mond war auch Hans Braun ausgezeichnet. Er ist in solchen Partien, die mehr Typisierung als Gesang verlangen, oft wirklich sehr gut und sollte sich mehr darauf verlegen. Den Puck spielte mehr als Caliban, denn als Puck und auch so geschminkt, Heinrich Schweiger, dem neben grellen Tönen auch sehr vergnügliche des Pointenfallenlassens gelangen, speziell bei den berühmten Puck-Gemeinplätzen („Wie ich auch den Wald durchstrich – kein Athener zeigte sich“ etc.). Der Sängerknabenchor hielt sich sehr wacker. Das Publikum verhielt sich erwartungsgemäß reserviert und brauchte Kunz und seine Handwerkerkollegen, um in Stimmung zu kommen. Trotz alledem ist die Aufführung und das Stück so, daß man es unbedingt wenigstens durch alle Abonnementgruppen durchspielen sollte, und zwar in möglichst kurzer Zeit. Es wäre sonst schade um die gute Arbeit.

 

TOSCA am 19. Oktober

In dieser für das Stammpublikum leider nicht zugänglichen Vorstellung (die Eisenbahnergewerkschaft hatte das Haus gemietet) gab es eine erfreuliche Wiederbegegnung mit Gianni Raimondi. Zu Beginn etwas belegt, sang er sich noch im ersten Akt frei, schmetterte im zweiten ein äußerst effektvolles „Vittoria“ über die Rampe und wußte im dritten Akt durch wunderbar gesungene Piani zu gefallen. Antonietta Stella war die stimmlich ausgezeichnet disponierte Tosca. In der Darstellung endlich etwas zurückhaltender geworden, gewann ihre Leistung dadurch ungemein. Der grandiose Scarpia war neuerlich Giuseppe Taddei. Ludwig Welter war der liebenswerte Mesner, während Erich Majkuts Spoletta unverändert blieb. Nino Verchi, durch die großartigen Leistungen der drei Hauptdarsteller anscheinend mitgerissen, ließ keinen Leerlauf der Vorstellung zu und wurde vom Orchester bis auf eine Ausnahme (Vorspiel zum 3. Akt) bestens unterstützt.

ELEKTRA am 20. Oktober

Christl Goltz stand auch an diesem Abend wieder in der Titelrolle der Straussoper auf der Bühne, und während sie unter Aufbietung aller gesanglichen und physischen Kräfte bemüht war, die Partie zu bewältigen, gingen unsere Gedanken zurück ins Theater an der Wien, wo Frau Goltz im Oktober 1950 debütierte. Sie kam aus Ostdeutschland und sang am ersten Abend die Fidelio-Leonore und erregte Aufsehen durch die hervorragende gesangliche Bewältigung der Rolle. Dann folgten neben italienischen Partien wie Tosca, Aida, die Salome, die Capriccio-Gräfin, und im Dezember 1951 schließlich sang sie zum ersten Mal unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm die Elektra (mit Höngen, Werth, Treptow und Ludwig Hoffmann). In kürzester Zeit sprach das ganze musikalische Wien von dieser neuen Elektra-Interpretin und zum ersten Mal in der Geschichte der Wiener Oper wurde durch Christl Goltz die Elektra auch ein Kassenschlager, denn die Wiener und inzwischen auch die herbeigeeilten Ausländer wollten diese einmalige Interpretin hören und sehen. Seit dieser Zeit sind mehr als zehn Jahre vergangen, und Frau Goltz hat nicht nur fast alle Elektra-Aufführungen seither an der Wiener Oper, sondern auch über fünfzigmal Salome, vierzigmal Leonore, alle Wozzeck- und alle Frau ohne Schatten-Aufführungen u. a. mehr gesungen. Die vorzeitige Ermüdung der Stimme durch diese gewaltigen Partien konnte also nicht ausbleiben, und in den letzten Monaten nehmen die Abnützungserscheinungen beängstigende Formen an, sodaß man eher traurig nach jedem Auftreten der Künstlerin heimgeht, denn andauernd nur von der Erinnerung zu leben, geht denn doch nicht. Und was sollen sich die jungen Menschen in der Oper denken, die die Künstlerin nicht von ihrer großen Zeit her kennen? Elisabeth Höngen war als Klytämnestra eingesetzt. Sie füllte die Partie schauspielerisch besser als gesanglich aus. Fritz Uhl hatte als Aegisth einen ausgezeichneten Abend. Er war blendend disponiert, und man bedauerte, daß er an diesem Abend nicht eine große Partie sang. Als Orest hörten wir Kurt Böhme, dem die Partie offenbar zu hoch liegt – auch sein Äußeres weist eher auf den wiedererweckten Agamemnon, als auf Orest hin. Die beste Leistung bot Leonie Rysanek als Chrysothemis. Sie stellte die beste Besetzung dieser Partie seit Jahren dar, eben seit sie diese selbst zum letzten Mal sang. Sie setzte ihre Prachtstimme, die wir besonders im deutschen Fach schätzen, bestens ein und ihre Spitzentöne kamen sicher und überzeugend. Es war nur recht und billig, daß sie den stärksten Widerhall beim Auditorium fand. Unter den Mägden stach wieder Gundula Janowitz vorteilhaft hervor. Man staunt immer wieder, wie groß ihre Stimmittel sind. Berislav Klobucar war der ambitionierte musikalische Leiter der Aufführung. Er ist in die Strauss-Musik ausgezeichnet hineingewachsen (ohne Zweifel tut bei ihm Graz ebensolche Wunder, wie bei Herrn Hollreiser die Deutsche Oper Berlin) und hielt Bühne und Orchester gut zusammen. Er möge nicht traurig sein, daß ihm die Philharmoniker nach der Aufführung nicht applaudierten, obwohl seine Elektra-Interpretation diejenigen seines Salome-Kollegen weit übertraf. Er gefiel an diesem Abend den Musikliebhabern im Publikum, und das ist gewißlich kein Fehler.

BALLETTABEND am 21. Oktober

MADAMA BUTTERFLY am 22. Oktober

Antonietta Stella zeigte als Cho-Cho-San erneut die Vorzüge ihrer Stimme und die Nachteile ihrer zu stark vom Intellekt getragene Darstellung. Durch große Willensanstrengung überbrückte sie einen Schwächeanfall im 2. Akt und erfreute im übrigen durch schöne Phrasierung ihrer voluminösen Stimme. Gianni Raimondi hatte als Pinkerton nicht seinen besten Abend. Seine stets so bewunderte explosive Höhe blieb wie in einer sich nach oben zu verengenden Röhre hängen. Dadurch wurde die Stimme spröde und trocken. Aber Spitzenleistungen sind gottlob noch nicht in Serienproduktion gegangen. Eberhard Wächter betonte stets den distinguierten Konsul englischer Prägung (amerikanische Diplomaten stellt man sich landläufig etwas anders vor) und nahm durch sein charmantes und mitfühlendes Auftreten für sich ein. Nino Verchi hatte das Orchester stets sicher im Griff, ohne sonderlich aufregend zu musizieren. Aber auch von ihm werden wir wegen des leidigen Probenproblems wohl kaum einen abschließenden Qualitätsnachweis erhalten.

BALLETTABEND am 23. Oktober

ARIADNE AUF NAXOS am 24. Oktober

Mit der Strausspflege in der Wiener Staatsoper ist es traurig bestellt. Während die Wangeropern in der Karajan-Interpretation immer auf hohem Niveau stehen und nun auch der Fidelio in einer würdigen Inszenierung vorhanden ist, stehen wir – unmittelbar vor dem Richard-Strauss-Gedenkjahr – praktisch vor einem Dilemma. Die schweigsame Frau ist wegen der Terminschwierigkeiten Karl Böhms immer wieder verschoben und nun fürs kommende Jahr versprochen worden, die Frau ohne Schatten haben wir seit Jahren nicht mehr am Spielplan, ebenso das Ballett Josephslegende. Arabella und Capriccio können wegen der Besetzung der weiblichen Hauptrollen nur äußerst selten angesetzt werden. Und dann gibt’s in diesen Aufführungen immer wieder unnötige Gäste, weil man hier anscheinend glaubt, nicht aus den eigenen Reihen diese Partien zumindest ebenso gut besetzen zu können. Das einzige Werk, das man öfter spielt, der Rosenkavalier, leidet an Eintönigkeit, wenn in jeder Aufführung die gleiche Besetzung der Hauptrollen anzutreffen ist. Mit Salome und Elektra schließlich ist es wegen der Besetzung der Titelpartie schlecht bestellt. Auch die Ariadne ist alles andere als eine gute Staatsopernaufführung. Die Inszenierung ist abgespielt und daher schwer zu ertragen. Dazu kommt noch (bereits dreimal hintereinander), daß man den Bacchus mit einem Gast besetzen muß, weil noch niemand Herrn Kmentt ersucht hat, diese ihm zweifellos besser als manche Mozartrolle liegende Partie zu studieren. Und Frau Pütz hat auch diesmal wieder abgesagt, wodurch man sich schnellstens um eine Ersatz-Zerbinetta umsehen mußte. Dies wäre leicht zu vermeiden, wenn man vor allem wieder Erika Köth holte, die ohnehin auch in anderen Partien (italienische Sängerin in Capriccio, Königin der Nacht, Konstanze, Oscar etc.) fehlt, und es auch endlich mit Renate Holm versuchen würde.

Wirkliches Staatsoperformat hatte die Trägerin der Titelrolle, Leonie Rysanek. Sie war ausgezeichnet disponiert und meisterte die Monologe ausgezeichnet. Ihren Höhepunkt fand sie bei Bacchus Kommen und brachte damit den Zuhörer förmlich aus dem Häuschen. Das war wieder die gute Leonie, wie wir sie immer geliebt haben. Es scheint nun nach ihrer Chrysothemis und Ariadne, daß die Sängerin ihre krisenhaften Erscheinungen überwunden hat und wieder zu Weltklasseformat aufsteigt. Im Spiel wirkte sie überzeugend und stimmlich ebenso, wie durch ihre starke persönliche Ausstrahlung. Alles neben und um sie stand um Klassen tiefer. Bella Jasper war die couragierte Zerbinetta aus Frankfurt, die im Vorspiel kaum vorhanden war, in der Oper selbst dann aber einen weit günstigeren Eindruck hinterließ. Sie ist von kleinem, zierlichen Wuchs und ebensolchen Stimmitteln, die sie aber in der „Großmächtigen Prinzessin“ vorteilhaft einzusetzen wußte. Verblüffend war ihre imponierend musikalische Beherrschung der Partie. So fand sie viele Anerkennung der Besucher, die leider wieder einmal (zum wievielten Mal nun schon?) nicht wußten, wann die Zerbinetta-Arie zu Ende ist und mitten hineinapplaudierten. Ernst Kozub demonstrierte sein enormes Stimmaterial, mit dem er leider sehr wenig anzufangen weiß. Das Nymphentrio war mit den Damen Laurence Dutoit und Ira Malaniuk sehr gut und mit Anny Felbermayer zufrieden stellend besetzt. Das Komikerquartett rekrutierte sich aus Erich Kunz als Harlekin, der Schwierigkeiten in seinem Ständchen hatte, Ferry Gruber, der unschönes Stimmaterial hören ließ und den Herren Gerhard Stolze und Ludwig Welter. Im Vorspiel sang abermals Evelyn Lear den Komponisten und enttäuschte. Es fehlte ihr trotz guter Erscheinung und netten Spiels die Ausstrahlung der jungen Seefried, das Herz der Jurinac und die gesangliche Brillanz der Ludwig. Die Stimme trägt im großen Haus in der Mittellage und Tiefe nicht optimal. Mit großem Bemühen war Alfred Poell als Musiklehrer am Werk. Sehr traurig war es um die orchestrale Wiedergabe bestellt. Das Orchester war wenig inspiriert, und es gab viele Unfälle, die als unentschuldbar angekreidet werden müssen. Dabei haben uns die Philharmoniker einmal gesagt, daß sie Richard Strauss viel lieber spielen als Verdi! Berislav Klobucar stand am Pult und konnte nicht verhindern, daß man nach seiner guten Elektra-Wiedergabe nun berichten muß, daß er an diesem Abend schlecht war. Freilich kann ihm nicht angekreidet werden, was bei den Streichern und Bläsern daneben ging!

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 25. Oktober

Die Aufführung weist naturgemäß noch die ganze Frische der Premiere auf und zeigt unveränderte Eindrücke und Leistungen. Was nun im Publikum jedoch unangenehm auffiel, war der Umstand, daß einige Opernfans glaubten, Unwillen an der Leistung Herrn Hollreisers bekunden zu müssen. Wir möchten nur wissen, wo diese Unzufriedenen ihre großen Vergleichsmöglichkeiten herhaben, die erst eine Kritik berechtigen würden? Wir selbst können nur feststellen, daß Herr Hollreiser, der sich im Gesamten sehr verbessert hat, hier für eine unfallfreie, präzise Vorstellung sorgte, und es ist uns rätselhaft, womit dabei selbst noch so snobistische Ohren beleidigt werden können. Sollte sich aber jemand durch Benjamin Brittens Musik herausgefordert fühlen, die hier aber schon gar nichts Avantgardistisches an sich hat, so ist jenen Leuten nur anzuraten, sich lieber mit Puccini und Verdi zu begnügen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 26. Oktober

Nach der Bundeshymne, die aus Anlaß des Tages der Fahne vor Beginn der Aufführung gespielt wurde (die Bühne war dazu sehr würdig hergerichtet), hörten wir einen teilweise interessanten Figaro. Berislav Klobucar dirigierte sauber und durchsichtig. Die männliche Sängerbesetzung war der weiblichen überlegen. Teresa Stich-Randall sang sehr instrumental und zeigte die üblichen messerscharfen Spitzentöne, blieb im Spiel blaß, um nicht zu sagen langweilig. Emmy Loose war die routinierte Susanne, neu Hanny Steffek als Cherubino. In der Darstellung sehr charmant, aber etwas zu mädchenhaft, stimmlich bestens, rhythmisch bei der ersten Arie etwas gehetzt (der Dirigent hatte seine liebe Not, mit ihren etwas unorganischen Tempomodifikationen zu Rande zu kommen). Störend mutete bei der Damenbesetzung das Fehlen einer etwas dunkler oder wenigstens betont persönlich timbrierten Stimme an. Eberhard Wächter gab einen prächtigen Grafen, stimmlich ausgezeichnet disponiert, darstellerisch mit neuen Spielnuancen versehen. Ausgezeichnet war der Figaro von Giuseppe Taddei. Er zeichnete diese Figur nicht als Hanswurst, aber auch nicht als Revolutionär und gestaltete einen typischen Südländer, der mit glühender Eifersucht – schon vor der Hochzeit ein verliebter Haustyrann – über seine Braut wacht. Alle seine Handlungen sind bedingt durch diese Eifersucht, und manchmal scheint es, er hätte Angst vor seinem eigenen Mut. Stimmlich gut, manchmal etwas zu explosiv bei den Übergängen vom Piano ins Forte, wirkte sich die andere Spielart Taddeis bei den übrigen Ensemblemitgliedern, insbesondere bei Wächter und Loose, sehr angenehm aus. Sie schalteten auf „gleiche Welle“ und brachten dadurch frische Luft in den schon etwas staubigen Routinealltag. Die übrige Besetzung (Elisabeth Höngen, Frederick Guthrie, Peter Klein, Anny Felbermayer) bot gewohnte Leistungen.

TOSCA am 27. Oktober

Eine gute italienische Repertoireaufführung. Nino Verchi wirkte natürlich nach Karajan etwas langsam, und am Ende des 2. Aktes fiel das Orchester einen Augenblick völlig auseinander, aber sonst ging es recht gut. Antonietta Stella sang eine sehr gute Tosca. Ihre große dramatische Stimme ist für die Rolle wie geschaffen. Das konventionelle Spiel wird durch ihre Erscheinung, die in unseren hauseigenen Kostümen besser zur Geltung kommt, als in ihren eigenen, einigermaßen kompensiert. Der sympathische Gianni Raimondi war, im Glanz seiner Höhen, wieder als Cavaradossi zu hören. Er zeigte aber auch – in der Sternenarie – fortschreitende Kultiviertheit und Gesangskunst. Giuseppe Taddei kreierte wieder seinen Idealscarpia. Die kleinen Rollen waren wie üblich besetzt. Nino Verchi dirigierte und hatte bis auf einige zu langsame Stellen die Aufführung gut im Griff. Zu einem Totalausstieg des Orchesters kam es leider, als alle Musiker gebannt zusahen, wie Frau Stella nach dem Messer griff. Aber zusehen und spielen zugleich ist ziemlich schwierig.

DON GIOVANNI am 28. Oktober

Die Empörung der Wangerfreunde machte sich in lautstarken Diskussionen an der Abendkassa Luft und die zurückgegebenen Karten (für die man sich oft stundenlang angestellt hatte) türmten sich zu Bergen. Für viele war die seit langem geplante Walküre eine kleine Entschädigung für das derzeit so spärlich beschickte Wagnerrepertoire. Aber nachdem der Chef die Leitung des Abends aus gesundheitlichen Gründen an Berislav Klobucar weitergeben mußte und dieser wiederum wegen Terminschwierigkeiten auf Bernhard Conz verwies, scheiterte der ganze Plan dann doch noch an der kurzfristigen Absage Hans Hotters (Ersatz war nicht zu bekommen, da Wiener und Edelmann derzeit in den Staaten sind). Das eilig zusammengerufene Wiener Ensemble sprang mutig in die Bresche und bot Mozart als Stegreifspiel. Da es deshalb müßig ist, auf das Zusammenspiel von Solisten, Chor und Orchester einzugehen, wollen wir es bei einer Beleuchtung der gesanglichen Leistungen bewenden lassen. Hier hatte es Eberhard Wächter in der Titelpartie nicht schwer, in jeder Phase Herr der Situation zu sein. Erstaunlich ist der stets volle Einsatz seiner wohlklingenden Stimme. Die Champagner-Arie erhielt Sonderapplaus. Eine erhebliche Verbesserung des Parlandos zeugt davon, daß er auch dann an seinen Rollen feilt, wenn er sozusagen im Alleingang zur Hölle fährt. Während Erich Kunz zu Beginn die Reaktion des Publikums auf seine uralten Leporello-Späße abtastete, legte er sich im zweiten Teil des Abends keinen Zwang mehr auf und wäre vor Übereifer fast an den Resten des Fasanbratens erstickt. Aber bei der müden Beteiligung seiner Mitspieler (Wächter natürlich ausgenommen) war man ihm für seine Einlagen noch dankbar (wenn es auch mit Mozart nur entfernt zu tun hatte). Hustend und prustend versteckte er sich beim Nahen des Komturs, dem Walter Kreppel – noch am Abend zuvor war er in München in derselben Partie in deutscher Sprache zu hören – seine riesige aber wenig modulationsfähige Stimme lieh. Allerdings liegt ihm der Steinerne Gast verhältnismäßig gut. Waldemar Kmentt quälte sich und die Zuhörer durch seine steife Höhe und unschöne Phrasierung. Kostas Paskalis war als Masetto diesmal stimmlich nicht vorhanden. Bei den Damen gefiel Hanny Steffek durch ihr natürliches Spiel, blieb aber stimmlich ein wenig farblos. Mimi Coertse als Donna Elvira suchte ihr Heil beim Dirigenten (der aber natürlich selbst genug mit der Partitur beschäftigt war). Ihr bevorzugter Platz wurde die Bühnenrampe. Sie verzichtete auf jede persönliche Note (von Rollenauffassung konnte keine Rede sein), vermied es aber andererseits, durch zu viel Auf-die-Stimme-Hauen unangenehm aufzufallen. Das überließ sie lieber ihrer Kollegin Teresa Stich-Randall als Donna Anna, die auch nach Belieben mit den Zeitmaßen umsprang. Den Dirigenten, der sie mit verzweifelten Bewegungen zur Eile antreiben wollte, übersah sie geflissentlich. Bernhard Conz machte die Umstellung von Wagner auf Mozart zu Beginn arg zu schaffen. Dann ließ er die Philharmoniker spielen, was sie auch eifrig taten, und beschränkte sich klugerweise darauf mitzuhalten. So mancher verpaßte Einsatz ging nicht auf sein Konto. Dank Wächter, Kunz und den gut disponierten Philharmonikern wurde dem Rückzug Mozarts in die tieferen Regionen der Provinz ein Riegel vorgeschoben.

ELEKTRA am 29. Oktober

Christl Goltz versuchte auch an diesem Abend, durch physische Kraftanstrengung das Ideal einer Elektra vor unseren Augen erstehen zu lassen. Das Ohr kommt dabei aber leider zu kurz. Nur einzelne Phrasen und die Verfluchung der Chrysothemis erinnerten an die große Zeit der Sängerin. Die übrigen Stellen waren zu tief intoniert, wobei sich auch diesmal die ungenaue Intonation bis auf die Mittellage erstreckte. Hilde Zadek als Chrysothemis war ihr an Tonreinheit haushoch überlegen, wenngleich einzelne Höhen nicht gerade angenehm klangen, aber zu ihrer Ehre sei gesagt: Sie waren da! Elisabeth Höngen bot als Klytämnestra eine fast sagenhafte schauspielerische Leistung. Möge ihr dieses ehrliche Kompliment genügen. Abermals fiel Gundula Janowitz durch ihre große Stimme auf. Eines Tages werden wir ihr sicherlich als Chrysothemis auf der Bühne begegnen. Kurt Böhme sprang für den erkrankten Hans Hotter ein. Der Orest kommt seiner Stimmlage nicht entgegen, und so kämpfte er verzweifelt gegen die exponierten Höhen an. Wolfgang Windgassen verkörperte intensiv den Aegisth. Berislav Klobucar am Pult dirigierte mit Werkkenntnis. Wie er das mit Substituten aufgefüllte Orchester zusammenhielt, verdient Anerkennung.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 30. Oktober

In der Premierenbesetzung ging – unter Heinrich Hollreisers musikalischer Leitung – wieder das Brittenopus über die Bühne, und der Clou der Aufführung war neuerlich Erich Kunz, dessen Zettel einfach einmalig ist und sogar den berühmten Burgtheaterkollegen und Ifflandringträger Josef Meinrad aussticht. Aber auch alle übrigen Mitwirkenden waren mit großem Bemühen bei der Sache. Der Besuch der Aufführung war recht gut. Allerdings ist zu vermerken, daß in der Pause einige Dutzend Leute das Haus verließen. Schade, denn das beste – nämlich die Rüpelszene – haben sie versäumt. Der Beifall hielt sich in Grenzen.

RIGOLETTO am 31. Oktober

Am letzten Oktobertag ging Verdis, auch durch Poettgens Verunstaltungen nicht umzubringendes Meisterwerk über die Bühne. Bei manchen verwackelten Bläsereinsätzen war die längere Pause deutlich zu spüren. Giuseppe Taddei hatte die Titelpartie übernommen. Seine Stimme hat weder das Volumen eines Protti, noch die Eleganz eines Bastianini. Dafür weiß er am meisten aus ihr zu machen. Vor allem versteht er es meisterhaft, die Bedeutung jedes Wortes durch feine Abstufungen in der Tonfärbung zu erhellen. Aus jeder Phrase spricht bei ihm der Mensch, nicht irgendein konstruiertes Wesen ohne Fleisch und Blut. Ist er als Scarpia ganz der skrupellos kalte Polizeichef, tritt er uns im Rigoletto schon in der ersten Szene als eine gedemütigte Kreatur entgegen und vermeidet es, die sarkastischen Züge des Hofnarren besonders zu betonen. Stimmlich schont er sich nie, auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist. Schade, daß ihm keine ebenbürtige Gilda zur Seite stand. Teresa Stich-Randall verzichtete auf ihre schrille Oberlage (die sie durch nicht minder aufreizend künstliche Drosselung der Stimme ersetzte), gab sich aber in der Darstellung so affektiert, daß sie bei „Caro nome“ Lacher und nachher Zischer erntete. Gianni Raimondi ist derzeit nicht in Hochform. Auch bei seinem Herzog störten die rauhe Tonbehandlung und die enge Höhe. Ludwig Welter als passabler Monterone, Walter Kreppel als stimmstarker Sparafucile und Margareta Sjöstedt als langweilige Maddalena vervollständigten das Ensemble. Ernst Märzendorfer kämpfte sich durch die Arien und Ensembles. Gegen Frau Stich-Randalls Verzögerungstaktik war auch er machtlos. Das Ballett im 1. Akt sollte auf den Opern-Index gesetzt werden.

 

„HONNI SOIT QUI MAL Y PENSE“

Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 11

Gerüchte entstehen, ohne daß man sagen könnte, woher sie kamen. Jeder hört sie, jeder kolportiert sie, doch keiner zeichnet dafür verantwortlich. Sie werden zunächst nicht allzu ernst genommen, doch wenn sie beginnen, die Runde zu machen, verdichten sie sich, und nach und nach ist jedermann davon überzeugt, daß zumindest etwas Wahres dran sein müßte. Und damit avanciert die betreffende Mundpropaganda zum heißen Eisen. Denn verantwortlich will niemand dafür gemacht werden. Man erzählt die gehörten Dinge einem Dutzend Leute weiter – unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versteht sich –, und eines Tages ist aus einem kleinen Stein des Anstoßes die berühmte Lawine geworden. Im vorliegenden Fall aber haben wir durchaus keine Lust, dieser Lawine ihren Lauf zu lassen. Manchmal ist der Mut zur Wahrheit wichtiger, als die Gefahr, sich unpopulär zu machen oder selbst als Gerüchtemacher verschrien zu werden. Es gibt Gerüchte, denen man zuleibe rücken muß, sei dies auch noch so undankbar. Und derzeit kursiert ein solches Gerücht. Es wird in Publikumskreisen von Ohr zu Ohr weitergegeben, und dies nicht nur in Wien. Auch Theaterkreise in Deutschland flüstern es bereits einander zu, und darum wird es Zeit, davon offen zu reden, damit das Gift entschärft werde. Da kam von irgendwann und irgendwoher, niemand vermag es genau zu sagen, wer dies zuerst propagierte, die Mär, daß es Differenzen zwischen Karajan und den Wiener Philharmonikern gäbe. Tragisch daran ist einzig und allein gewißlich nur das, was die Fama daraus zu produzieren bereit ist. Und diese Fama behauptet nun steif und fest, daß unser Orchester nicht allein der nach Salzburg eingeladenen Berliner wegen böse sei, nicht nur sondern auch…und schon folgt der erste Bergrutsch. Die Wiener Philharmoniker wären schon voriges Jahr verstimmt gewesen, daß aus Karajans Verschulden Schallplattenaufnahmen nicht fertig gestellt werden konnten, die natürlich im Weihnachtsgeschäft Einnahmen gebracht hätten. Nun, wir glauben nie und nimmer, daß unsere Musiker, die ja in erster Linie nicht Kaufleute sondern Künstler von echtem Schrot und Korn sind, zuvorderst an das liebe Geld denken. Wir haben ja auch Beweise für unseren guten Glauben. Die Philharmoniker waren es, die uns anläßlich der vorletzten Welttournee klar bewiesen, daß es ihnen nicht um Geschäfte sondern um das künstlerische Ansehen gehe! Man erzählt ferner, daß die Philharmoniker auch während der Karajankrise gar nicht sosehr linientreu gewesen wären, wenn nicht ihr Welttournee und ihr Plattengeschäft auf dem Spiel gestanden hätten. Nun, die vox populi vergißt, daß es die Philharmoniker waren, die den Ruf „nicht demonstrieren sondern intervenieren“ angestimmt und auch durchgeführt hatten. Wir glauben nie und nimmer, daß es nicht rein idealistische Gründe gewesen wären, die sie dazu bestimmten. Doch die Fama geht nun noch weiter. Sie berichtet, daß die Philharmoniker an den Plattengeschäften mit Herbert von Karajan gar nicht mehr so interessiert wären wie ehedem, weil sie recht scheel auf die Ankündigungen blicken würden, die Karajans Aufnahme der neun Beethoven-Symphonien mit den Berliner Philharmonikern voranzeigen, denn dies vermindere die Kaufanziehungskraft der hauseigenen Beethovenplatten. Aber, aber, wir halten es für völlig ausgeschlossen, daß unser Meisterorchester plötzlich Minderwertigkeitskomplexe bekommen könnte, und etwaiger Neid materieller Natur paßt schon gar nicht zu den sonstigen liebenswerten Eigenschaften unserer Musiker. Ganz absurd aber will uns die schlimme Behauptung dünken, der Verein Wiener Philharmoniker habe bereits einen ganz bestimmten Dirigenten ins Auge gefaßt, mit dem es in Hinkunft viel lieber ins Plattengeschäft einsteigen würde, als mit Wiens Opernchef. Nun, wir glauben das nicht, wenn wir hierbei auch feststellen müssen, daß es ausschließlich Sache des Vereines der Wiener Philharmoniker ist, mit wem und wo sie Plattenaufnahmen durchführen wollen. Der Verein Wiener Philharmoniker hat freie Hand, das Staatsopernorchester allerdings wird aus Steuergeldern entlohnt und gehört dem Haus am Ring an. Dies muß wohl erst nicht betont werden! Und weil der Teufel nie schläft, hat sich genau in dem Moment, als die Flüsterpropaganda unangenehm und unerfreulich zu werden beginnt, noch ein verdichtender Stein des Anstoßes gefunden. Angeblich soll bei der neuen Tosca-Schallplattenaufnahme mit Price, die Stefano und Taddei durch ein Versehen der Technik nun etwas nicht in Ordnung sein, wodurch neu geschnitten werden müsse. Aber die Korrektur werde nun durch Karajans Erkrankung verhindert, und dies bedrohe neuerlich das Geschäft. Und überhaupt hätten unsere Philharmoniker in der letzten Zeit bei einem Gastspiel viel mehr Erfolg unter einem anderen Dirigenten gehabt, denn unter Karajan, so sollen sie selbst gesagt haben! Es ist uns unerklärlich, warum manche Leute die höchst bemerkenswerte Eigenschaft an den Tag legen, allem, aber auch allem einen üblen Hintergrund hinzuzudichten. Wir haben dies natürlich auch geäußert, aber da wurde uns entgegnet und gefragt, was es denn unserer Meinung nach zu bedeuten hätte, daß die Philharmoniker bei der Salome am 15. Oktober dem Dirigenten Wilhelm Loibner Beifall geklopft hätten? Dies wissen wir ehrlich gestanden auch nicht. Es ist uns hingegen bekannt, daß die Philharmoniker Herrn Loibner schätzen. Sie schätzen, soviel uns bekannt ist, allerdings auch beispielsweise Furtwängler und Clemens Krauss, ohne ihnen anläßlich einer Opernvorstellung zu applaudieren. Also, wie gesagt, wir kennen uns da nicht ganz aus, aber wir glauben jedenfalls, daß es schon Gründe, und zwar lautere Gründe dafür geben wird. Wir sehen ja ein, daß man in Wien seit der unglücklichen Karajankrise nervös und mißtrauisch geworden ist, aber man sollte es vermeiden, hinter jedem Ereignis Böses zu wittern. Das haben unsere Philharmoniker bestimmt nicht verdient, und wir sind überzeugt, daß ihre einwandfreie Haltung in Zukunft ebenso unseren guten Glauben rechtfertigen wird. Wo kämen wir hin, wenn wir nicht mehr an die Integrität glauben wollten? Nein, Herrschaften, also irgendwo muß den Verdächtigungen eine Schranke gesetzt werden, sonst beginnen sie lebensgefährlich zu werden. Denn nun ist das Stammpublikum schon auf Vorschuß sauer, und es gibt Hitzköpfe, die dies bereits formulieren: „Wenn was passieren sollte, im Rahmen der Oper, wenn unser Orchester dem Chef nicht die Treue halten sollte, innerhalb der Oper, - dann…“ Das Publikum hat bewiesen, wie sehr es hinter dem Opernchef steht. Daß es ihm diese Treue bewahren will und wird, durch Dick und Dünn, ist sehr bemerkenswert und erfreulich. Jedoch vor Panik sei gewarnt, es ist gewiß und sicherlich kein Anlaß dazu gegeben, denn es gibt wohl kein Klasseorchester der ganzen Welt, das einen Karajan gegen jemand andern austauschen wollte. Warum sollten gerade in Wien so verrückte Hirngespinste Platz greifen? Und dies genau vor den Wahlen? Wie unvernünftig und absurd! Wir sind überzeugt, daß Herbert von Karajan wie die Philharmoniker über diese Quertreibereien nur lächeln werden, sobald sie ihnen zu Ohren kommen. Allerdings sind bekanntlich die unmittelbar Beteiligten immer die Letzten, die derlei zur Kenntnis bekommen. Wir sind überzeugt, daß die Wiener Philharmoniker durch ihre Haltung die Gräuelpropaganda Lügen strafen werden, und der heimlich gärenden Sturmstimmung auf den Rängen dadurch von selbst der Wind aus den Segeln genommen wird. Die Kunst- und Musikstadt Wien weiß schließlich, was sie einem Karajan und der Zukunft der Wiener Staatsoper schuldig ist. Wir glaubten jedenfalls, es ihr schuldig zu sein, die Gerüchte beim Namen zu nennen, und ihnen dadurch den Nährboden zu entziehen, kein Gift ins Kraut schießen zu lassen, und jedem, auch dem leisesten Anzeichen von Verderb sofort Einhalt zu gebieten. Wie gestern, so auch heute und morgen, denn wir wollen – von Karajan wissen wir es – daß sie einzig und allein nur der Musik dienen und damit dem Wahren und Schönen und Guten…

 

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