DER NOVEMBER 1962

7. Jahrgang, Heft 12

 

Der künstlerische Niveaurutsch hält kontinuierlich an. Ungeduld und Unzufriedenheit unter den Wiener Opernliebhabern wachsen. Mittlerweile wird verhandelt, wie man sagt unter positiven Vorzeichen. Das walte Gott! Das Haus am Ring hat die große erwartete Wende mittlerweile bitter nötig. Und für nötig hält man es auch hier, daß Karajan den Amtsschimmel einerseits zu beschleunigen suche, daß er, wenn gegeben, Hürden nimmt und kämpft. Die Wiener Staatsoper ist dies wert, auch für einen Karajan! Die Publikumsstimmung ist derzeit keineswegs rosig, wie sollte sie auch? Praktisch täuschen wir uns hier, durch glanzvolle Lichtblicke hin und wieder getröstet, nun länger als ein dreiviertel Jahr über Notstandszeiten hinweg. Gewiß anderenorts sieht es nicht besser aus, wie wir Berichten entnehmen. München und Berlin haben uns nichts voraus und keineswegs mehr Grund zur Fröhlichkeit. Doch erscheint uns dies nicht als Beruhigungspille.

 

CARMEN am 1. November

Zu Allerheiligen gehörte hierorts seit je Parsifal wie das Amen zum Gebet. Solange man das Werk nicht im Spielplan hatte, entbehrte man es seufzend, und akzeptierte eine Ersatzoper. Jetzt haben wir zwar Parsifal im Repertoire, aber wir genießen statt dessen Ersatzvorstellungen, bei deren Wahl die Einfallslosigkeit des Besetzungsbüros wahrlich Kapriolen schlägt. Zunächst glaubte man dort Cavalleria und Bajazzo ansetzen und auch besetzen zu können, doch das Schicksal schritt schnell und man brachte die dazu nötigen Hauptrollenträger nicht zusammen. Da am Abend doch der Vorhang in die Höhe gehen mußte, gab man Carmen, und mit ihr kam das Wunder in der Person von Ingrid Paller, die die Micaela – auf welche Weise sie es zustande brachte, bleibt uns ein Rätsel – französisch sang und damit der Staatsoper ein Fiasko ersparte. „Carmen, je t’aime!“. Aber mußte das ausgerechnet am Allerheiligentag sein? Doch was nützt die Raunzerei, es bleibt doch bei Konditionen wie gehabt! Vielleicht spielt man nächstes Jahr am 1. November Die Fledermaus – gar nicht so ausgeschlossen: wenn solches ein einflußreicher Mann wünscht, wird auch das geschehen. Die Aufführung selbst hatte gutes Niveau. Wilhelm Loibner am Pult war zwar manchmal sehr undifferenziert, doch an den dramatischen Stellen konnte man erkennen, daß er ein Theaterpraktiker ist. Mehr persönliche Initiative könnte ihm trotzdem nicht schaden. Der Blick auf die Bühne und sorgfältige Betreuung der Sänger macht noch keinen großen Operndirigenten aus. Daß Loibner der Chor im vierten Akt auseinander fiel, wollen wir ihm nicht ankreiden, das passierte auch schon anderen Dirigenten. Dimiter Usunow bewies einmal mehr sein starkes Theaterblut. Prächtig disponiert sang er einen prachtvollen dritten Akt und drohte im letzten sogar den Rahmen der Aufführung zu sprengen. Man glaubt ihm jede Nuance, man erlebte die verzweifelte große Liebe des Sergeanten tatsächlich mit und vergaß darüber, daß man im Theater saß. Durch seine impulsive Darstellung und seinen hinreißenden Gesang vermochte er seine Partnerin Biserka Cvejic aus ihrer Reserve zu locken. Längst schätzen wir diese Sängerin in der Partie der Carmen gesanglich sehr, doch diesmal wußte sie auch als Schauspielerin zu gefallen. Die magnetische Ausstrahlung Usunows tat ihre Wirkung. Aldo Protti, stürmisch und herzlich vom Publikum begrüßt, trat sein diesjähriges Engagement mit dem Torero an. Zur Freude aller sang er seinen bisher besten Escamillo. Die große breite Stimme entfaltete sich voll in unserem Haus, und wir sind glücklich darüber, daß dieser hochmusikalische Sänger der Wiener Oper nun neue Impulse im italienischen Repertoire geben wird. Ingrid Paller war, wie schon angedeutet, eine bezaubernd aussehende Micaela. Die Stimme ist nicht groß, klingt hell und wird mit Geschmack geführt. Zuweilen mutete das Höhenregister etwas scharf an, aber letzten Endes verdient ihr mutiges Einspringen hohe Anerkennung, umso mehr als sie die Partie wohl erstmalig im Originaltext sang, oder irren wir uns? In den Nebenrollen waren Alfred Poell, Frederick Guthrie, Hilde Rössel-Majdan und Lotte Rysanek zu hören, die ihre oft bewährten Leistungen boten.

DON CARLOS am 2. November

Mit gewissem Interesse sah man dem Auftreten Alfonso Lamorenas als Infant von Spanien entgegen. Ein neuer Tenor bringt Bewegung unter die Opernfans, und die Ränge waren dementsprechend voll. Leider blieb die erhoffte Sensation aus. Der Sänger besitzt ungewöhnliches Material (besonders kräftig ist seine Höhenlage, die ein erregendes Vibrato beinhaltet), doch ist der junge Spanier unserer Meinung nach noch lange nicht richtig ausgebildet. Er sang die Partie ziemlich ungenau und mit zuviel Stimme, sodaß bald eine Ermüdung deutlich hörbar wurde. Als Darsteller wirkte er sehr unbeholfen, und seine ständige Geste – rechte Hand aufs Herz – fand lebhafte Nachahmung bei den Orchestermitgliedern, die unter Nino Verchi einen sehr schlechten Abend zu verzeichnen hatten. Die Schlampigkeit der einzelnen Musiker wirkte geradezu aufreizend. Den geschlossensten Eindruck hinterließ Antonietta Stella als Elisabeth, die einwandfrei ihre Partie beherrschte. Aldo Prottis Posa konnte man die Strapazen des Vorabends anhören. Zuweilen klang sein Prachtorgan rauh und müde. Biserka Cvejic hatte die üblichen Schmisse in „Don fatale“ zu verzeichnen. Eigentlich für uns keine Überraschung. Aber daß sich die sympathische Sängerin nach der Arie dann trotzdem feiern läßt, zeugt von wenig Selbstkritik. Walter Kreppel hat den Philipp schon weit besser gesungen. Zu oft hat der Hörer das Gefühl, daß Herr Kreppel die Kontrolle über seine Stimme verliert. Die Intonation wird immer ungefährer. Hans Hotter dominierte dank seiner Persönlichkeit als Großinquisitor. Kein Wunder, daß der König sich vor dem Priester beugen mußte. Tugomir Franc zeigte als Mönch sein schönes dunkel gefärbtes Material. Ein Abend, der nicht das brachte, was man sich von ihm versprach.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 3. November

Diese Oper wäre ein durchaus brauchbares Repertoirestück, wenn die Abonnements besser organisiert wären. Aber da es seit der Hoftheaterzeit offenbar üblich ist, nur das halbe Haus für das Abonnement zu vergeben, ist es leider nicht möglich, ein Stück, das nicht zieht (und welches zeitgenössische Stück zieht schon in Wien?) durch alle Abonnementgruppen durchzuspielen. Allein zu diesem Zweck wurde es doch eigentlich einstudiert, oder nicht? So gähnt ein halbleeres Haus, oder aber, es muß durch Gewerkschaften und Organisationen künstlich ausorganisiert werden. So geschehen bei diesem Sommernachtstraum. Das Publikum des Abends war natürlich nicht imstande, die saubere Arbeit von Komponist, Regisseur und Besetzung richtig zu beurteilen. Im Falle Bühnenbild muß man die schmückenden Beiwörter schon etwas steigern. Wilhelm Loibner hatte die musikalische Leitung übernommen und war – seiner persönlichen Eigenart entsprechend – weicher und verwaschener als Heinrich Hollreiser, was aber die Musik nicht sehr schädigte. Die Sängerbesetzung war noch die gleiche und – wie anläßlich der Premiere festgestellt wurde – gute: Gerhard Stolze, Teresa Stich-Randall, die jungen Paare Gundula Janowitz – Robert Kerns und Margareta Sjöstedt – David Thaw, Biserka Cvejic – Frederick Guthrie und das blendende Komikerteam Erich Kunz – Ferry Gruber – Walter Kreppel – Hans Braun – Ljubomir Pantscheff – Peter Klein. Absurd ist es natürlich, ein solches Stück umzubesetzen. So litt die Rolle des Puck unter der sprachlich und mimisch völlig unzulänglichen zweiten Besetzung durch den Regieassistenten Peter Busse.

ARIADNE AUF NAXOS am 4. November

Sena Jurinac als Komponist hieß das Ereignis des Abends. Das Vorspiel wurde durch sie zum „Losungswort“. Ihre Ausstrahlung verbannte alle übrigen Mitwirkenden in den Schatten. Das Publikum erfreute sich so sehr an diesem Komponisten, dem Frau Jurinac ihr ganzes Herz schenkte, dem herben Timbre ihrer Stimme, das in schönstem Glanz erstrahlte. Nach dem Vorspiel gingen viele Opernliebhaber heim, um den großen Eindruck ungetrübt von nachfolgenden, schwächeren Leistungen, mit sich zu nehmen. Alfred Poell hatte als Musiklehrer einen stimmlich müden Abend, und was sonst noch im Vorspiel tätig war, erheischt mildtätiges Schweigen. Hilde Zadek begann als Ariadne recht gut, doch gegen Ende der Partie überforderte sie ihre Stimmittel und brachte sich dadurch um den Erfolg, wenngleich wir betonen möchten, daß sie die Partie in musikalischer Hinsicht im kleinen Finger hat. Sehr brav vorbereitet zeigte sich Bella Jasper als Gast als Zerbinetta. Die Stimme ist wohl klein, kam jedoch im großen Haus trotzdem gut zur Wirkung. Die Bravourarie trug sie gekonnter vor als manches Wiener Ensemblemitglied, doch leidet die Intonation einzelner Höhen zuweilen darunter, daß das Organ zu forsch angesetzt wird. Ernst Kozub als Bacchus verriet echtes Heldenmaterial, über das er jedoch nicht Herr noch Gott ist, schade! Das männliche Buffoteam unterbot das Niveau der Nymphen, bei denen Anny Felbermayer als Echo unangenehm auffiel. Wilhelm Loibner als Dirigent erwies sich als tüchtiger Routinier, dem jedoch für die Feinheiten der Partitur keine Zeit verblieb.

LA BOHEME am 5. November

Vor nicht ausverkauftem Haus – die Stammbesucher scheinen noch immer an der Überfütterung in der vorigen Notstands-Saison zu laborieren – konnten wir uns erneut davon überzeugen, daß gerade diese Inszenierung noch viel Frische und Lebendigkeit besitzt. Den Staub auf den Bühnenbildern muß man mit der Lupe suchen. Erstaunlich und des besonderen Lobes wert war die sprühende Spiellaune aller (!) Solisten. Ein Zustand, der sonst nur bei besonders festlichen Anlässen beobachtet wird. Antonietta Stella bot als Mimi eine hervorragende stimmliche Leistung, auch wenn sie die Partie dramatischer anlegt als z.B. Hilde Güden. Darstellerisch konnte sie mit ihren Partnern mithalten, von denen wieder Aldo Protti (Marcello) alle Register seines Könnens zog. Wenn er nicht gerade einen seiner (nicht sehr zahlreichen) rauhen Abende hat, läßt er seine riesige Stimme freigebig verströmen. Böse Zungen, die ihn gern als Brüller klassifizieren, sollten sich seinen Marcello öfter anhören. Gianni Raimondi zeigte sich als Rudolf in erheblich verbesserter Form und verblüffte die Zuhörer durch schier endlose Spitzentöne. In der Höhe fühlt er sich nun einmal am wohlsten. Hans Braun (Schaunard) und Ludwig Welter (Colline) vervollständigten das Künstlerquartett in positiver Hinsicht. Lotte Rysanek bot als Musetta eine ansprechende Leistung, wobei sie in der Darstellung billige Übertreibungen vermied. Die Philharmoniker legten sich mächtig ins Zeug und waren bei gespannter Aufmerksamkeit mehr mit ihrer Partitur, als mit den Vorgängen auf der Bühne beschäftigt (oft ist es leider umgekehrt). So hatte auch Nino Verchi am Pult keinerlei Schwierigkeiten, die Spannung aufrecht zu erhalten. Ein über dem Durchschnitt liegender Repertoireabend.

BALLETTABEND am 6. November

TOSCA am 7. November

Immer wieder verblüfft die Einsatzfreude, mit der unsere italienischen Künstler auf der Bühne stehen. Jedes Mal spürt man, daß es für sie nichts Schöneres geben kann, als das Publikum stets aufs Neue für sich zu erobern. Hier wird nichts rationiert und auf möglichst späte Pension gespart, hier wird für gutes Geld ehrlich gesungen. So war die x-te Tosca der Saison ein herrlicher, mitreißender Abend, wenn man vom ersatzgeschwächten Orchester unter Nino Verchi absieht. Welch großer Künstler ist doch Giuseppe Taddei, der vom Augenblick heraus jedes Mal dem Scarpia neue Züge verleiht. An diesem Abend zeigte er ihn in der Maske des Genießers mit hintergründiger Gefährlichkeit, in der die Unbarmherzigkeit des Despoten deutlich wird. Erstaunlich, wie die breite, vollströmende Stimme in den Szenen mit Tosca weich und besinnlich klingt, um gleich darauf wieder hart und brutal zu wirken. Sein richtiger Theatersinn übertrug sich auf Antonietta Stella, die diesmal eine darstellerisch hervorragende Leistung bot. In stimmlicher Hinsicht sang sie ihre beste Tosca in Wien, denn plötzlich gab es in ihrer Stimme Schattierungen von echt erfüllter Leidenschaft, wodurch zwar die formschöne Linie ihres Gesanges beeinträchtigt, aber die Glaubhaftigkeit gesteigert wurde. Gianni Raimondi als Cavaradossi zog alle Register seines Könnens. Ein Tenor der ebenso weich und kultiviert zu singen vermag, wie durch mit metallischem Klang erfüllte Fermaten das Haus in Begeisterung zu versetzen weiß. Im Spiel wirkt er zuweilen noch zu temperamentvoll und gestenreich für unsere Zonen, doch bleibt er stets in den Grenzen des guten Geschmacks. Herr Raimondi gehört heute zweifellos zur ersten Garnitur seines Faches. Ansonsten gab es die typischen Ensemblevorfälle, wobei Erich Majkuts Treppensturz weiterhin als unpassende humoristische Einlage den Stammbesucher ergrimmt.

DON GIOVANNI am 8. November

Der Weg zum Anti-Mozart wurde mit dieser Aufführung beschritten. Mit einer schlechten Besetzung wird die einfallslose Inszenierung in ihrem unmöglichen Bühnenbild an die Grenze des Unzumutbaren gebracht. Das Negative wurde nahezu beschämendes Ereignis. Bis hierher und nicht weiter, ist man versucht zu sagen. Teresa Stich-Randall hatte außer einem atemberaubenden Décolleté nicht Erwähnenswertes zu bieten. Es sei denn, die völlig verfehlte Tosca-Attitüde in einer Mozart-Rolle. Mimi Coertse produzierte unschöne Töne am laufenden Band, sodaß es Emmy Loose nicht schwer hatte, von den Damen die am wenigsten Schlechte zu sein. Rudolf Jedlicka spielte den Giovanni wie ein Vorstadt-Beau, der in Dämonisch macht. Stimmlich war er matt und trocken und galoppierte so durch die Champagner-Arie, daß Wilhelm Loibner mit dem Taktsteckerl nicht mehr mitkam. Ansonsten ließ der Dirigent mit schöner Unbekümmertheit Tempodiskrepanzen zwischen Bühne und Orchester zu, daß dem Hörer die Haare zu Berge standen. Dazu gesellte sich Frederick Guthrie als Komtur, dessen Abendleistung kaum mehr zu unterbieten war, und ein sehr schwacher Kostas Paskalis als Masetto. Luigi Alva gab sich große Mühe mit dem Ottavio, sang technisch einwandfrei, wobei eine hervorragende Atemführung auf das angenehmste auffiel, und ließ auch seine verhältnismäßig kleine Stimme strömen. Sein Spiel dagegen erschöpfte sich leider in larmoyanten Tasso-Mienen: ein halbwegs zorniger junger Mann des Settecento. Erich Kunz indessen blieb allein auf einsamer Höhe, indem er Mozart gab. Daß er stimmlich mit dem Leporello nicht mehr so ganz mitkommt, wer wollte ihm das, als einzigem Lichtpunkt inmitten einer totalen Versündigung an Mozart, ankreiden?

RIGOLETTO am 9. November

Statt des leider absagenden Georges Pretre übernahm der fleißige Ernst Märzendorfer die Leitung des Abends. Er hat im Zuge allgemeiner Formverbesserung auch an Italianità dazugewonnen und kam so verhältnismäßig gut über die Distanz. Aufregend hingegen wird er nie werden. Außerdem kann er es noch immer nicht lassen, wagnerische Steigerungen am ungeeigneten Objekt anzubringen und viele Phrasen zu zerknallen. Eine andere Umbesetzung – Anna Moffo als Gilda – war allerdings kein Nachteil, denn Frau Moffo ist, wie bereits bekannt, eine hervorragende Gilda mit bombensicherer Höhe, exzellenter Technik und einer schönen, tragfähigen Stimme. Auch optisch und darstellerisch wird sie der schwierigen Partie bestens gerecht. Giuseppe Taddei war ein Rigoletto mit Persönlichkeit, starkem Ausdruck, unüberbietbarer Phrasierung und Wohlklang in der schönen, breiten, modulationsfähigen Mittellage. Die Höhe klingt zwar gepreßt, aber er hat sie sicher. Gianni Raimondi spielt sich mit der stimmlich so schwierigen Partie des Herzogs geradezu. Seine Spitzentöne sind explosiv und die langen, heiklen Phrasen entströmen mühelos seinem gewaltigen Brustkasten. Die Mittellage klingt heuer allerdings etwas leer, doch hat der Sänger dafür die Phrasierung verbessert und singt weit eleganter. Mit dem Takt ist er allerdings so frei, daß man Herrn Märzendorfer bescheinigen muß, es sei kein Vergnügen, Gianni Raimondi zu begleiten. Nicola Zaccaria gab einen guten Sparafucile mit entsprechend düsterem Timbre, und Biserka Cvejic sang sein loses Schwesterlein ganz vorzüglich, dabei sehr dezent und mit großer Stimmschönheit.

DIE FLEDERMAUS am 10. November

Wilhelm Loibner stand diesen Abend wieder am Dirigentenpult. Wer mit den großen Erinnerungen an die Premiere hineinging, verließ enttäuscht das Haus nach einem Kleinkrieg zwischen Bühne, Orchester und Dirigenten, in dem man sich schließlich doch wieder auf Frieden einigte. Dabei spielten die Philharmoniker mit wunderschönem Ton. Im Mittelpunkt des Abends glänzten Hilde Güden und Eberhard Wächter als Rosalinde und Eisenstein. Beide rissen mit ihrem unwiderstehlichen Charme und der großen Gesangskunst das Publikum zu begeisterten Ovationen hin. Renate Holm, die als Adele einsprang, bot eine sehr schöne und abgerundete Leistung. Als Gastgeber des Festabends erfüllte Murray Dickie alle Erwartungen. Für die Unterhaltung des Publikums sorgten ein blendender Erich Kunz als Gefängnisdirektor und Richard Eybner als Frosch. Einige neue Pointen fügten die beiden dem Stammwitzrepertoire bei, zum Teil bedingt durch den Alfred Anton Dermotas, der statt Zampieri die Partie übernahm und einiges an strahlender Höhe schuldig bleiben mußte. Die exponierte Lage klang gepreßt und man befürchtete öfter einmal einen Schmiß, der aber Gott sei Dank! ausblieb. In den kleineren Rollen waren Elfriede Ott als Ida und Peter Klein als Dr. Blind sehr gut, während Hans Braun als Falke eine abgerundet schwache Leistung bot. Wunderbar besetzt der Souffleur, dessen wohltönenden Bariton man bis zur Galerie hinauf vernahm. Zusammenfassend: eine mittelmäßige Repertoireaufführung mit glanzvollen Lichtern aufgeputzt.

DON CARLOS am 11. November

Die Wallmann wird wegen ihrer kuriosen Regieeinfälle oft angefeindet Wie man auch zu ihr stehen mag, eines muß man ihr lassen: die Qualität ihrer auf den ersten Blick manchmal unbefriedigenden Inszenierungen zeigten sich erst in der durch den Opernalltag gegebenen, natürlichen Abnützung. Denn die monumentale, pomphafte Personenführung ist leicht überschaubar und läßt sich viel schwieriger auseinander brechen als manch feine Einstudierung, die schon nach zwei oder drei Umbesetzungen auseinander fällt. Unerklärlich bleibt allerdings, warum das Team Wallmann-Wakhevitch auf der Scala-Bühne die Großzügigkeit in Person ist, in Wien dagegen mit kleinlichen Lösungen aufwartet. Die Idee mit der riesigen Treppe, die durch mehrere Szenen als Sockel bestehen bleibt, ist sicher gut gemeint. Warum muß dieses Monstrum aber bis in die Bühnenmitte hineinragen? Und außerdem: findet sich denn kein barmherziger Abendregisseur, der das Bündel Mensch, das von den Leidengenossen unter dem Arm über die Szene geschleppt wird, aus dem Autodafé verbannt? Der arme Kerl hätte glatt eine Marterzulage verdient. Zwei Solisten lohnten den Besuch des Abends. Leonie Rysanek scheint ihre Stimmkrise langsam aber sicher zu überwinden und zur früheren Form zurückzufinden (bis auf die explosive Höhe, die wohl für immer dahin ist). Wenn sie auch die Elisabeth in manchen Szenen zu kühl und zurückhaltend anlegt, so vermeidet sie dafür andererseits kultiviert, sich in den Vordergrund zu drängen. In der großen Arie verblüffte sie durch die Ausgeglichenheit ihres Organs in jeder (!) Lage und die ruhige Stimmführung. Hans Hotters Großinquisitor steht auf einsamer Höhe. Die ganze Unmenschlichkeit, Verbohrtheit, aber auch Größe dieser Institution wird in dieser mächtigen Gestalt personifiziert. War ihm bei der Premiere in Boris Christoff ein ebenbürtiger Gegenspieler zugesellt, so vermochte es Nicola Zaccaria nicht, ein Gleiches zu tun, und damit dem Zwiegespräch der beiden Mächte – Kirche und Staat – eine der erregendsten Episoden des Musiktheaters – gerecht zu werden. Im Ganzen gesehen, konnte Zaccaria trotzdem gefallen. Biserka Cvejic sang zufriedenstellend. Ihre übergroße Nervosität bringt sie leider jedes Mal um einen Teil des Erfolges. Aldo Protti bezwingt den Marquis ohne Schillersches Pathos und Feuer in Darstellung und Stimme, sondern nur Kraft seines Organs. Daß wir den Titelhelden erst an letzter Stelle erwähnen, hat seinen Grund, denn Giuseppe Zampieri quälte sich heldenmütig über die Runden, man konnte ihm die Verkrampfung förmlich vom Gesicht ablesen. Tugomir Franc war der bewährte Mönch. Nino Verchi leitete den Abend umsichtig und war stets darauf bedacht, den Sängern über die schwierigen Klippen zu helfen. Den Staatsopernchor weckte er erfolgreich aus seinem Dornröschenzustand.

RIGOLETTO am 12. November

Ernst Poettgen kann als zweifelhaftes Plus seiner Inszenierung für sich buchen: die endlosen Umbauten treiben auch dem gutwilligsten Besucher den letzten Funken Phantasie aus. Was bleibt, ist eine Nummernoper, die nur dann Interesse zu erwecken vermag, wenn große Künstler auf der Bühne stehen. Und die sind leider dünn gesät! Giuseppe Taddei verabschiedete sich bis zum Frühjahr und warf in der Titelpartie noch einmal die ganze Überzeugungskraft seiner Persönlichkeit in die Waagschale. Daß ihm der letzte Erfolg versagt blieb, lag nicht zuletzt an der schwachen Leistung seiner Tochter, die ihren Vater mehr als einmal im Stiche ließ. Für die leider absagende Hilde Güden sprang Mimi Coertse als Gilda ein (übrigens schon die fünfte seit der Premiere im Frühjahr nach Pütz, Güden, Moffo und Stich-Randall). Ihr Mut war zwar bewundernswert, doch reicht Mut allein nicht aus, die stimmlichen Feinheiten einer Verdi-Partie zu bewältigen. Der Hörer fühlt sich zudem ständig in eine Generalprobe versetzt. Frau Coertse markierte praktisch den ganzen Abend lang und umklammerte bei „Caro nome“ krampfhaft einen für diese Zwecke ideal hingepflanzten Baum. Gianni Raimondi ließ sich’s dadurch lobenswerterweise nicht verdrießen und schmetterte einen Herzog ins Auditorium, dem nur bei den endlosen Spitzentönen der letzte Schmelz in der Höhe fehlte (auch der kommt wieder). Ihn deshalb gleich als mittelmäßig zu bezeichnen, heißt den Snobismus auf die Spitze treiben. In weiteren Partien ließen sich vernehmen: Rudolf Knoll (als unseliger Monterone), Nicola Zaccaria (Sparafucile) und Biserka Cvejic (sie kramte als Maddalena die Premieren-ha-ha wieder aus). Auch diesen Abend mußte Pretre wegen Erkrankung absagen, sodaß Ernst Märzendorfer für die musikalische Leitung sorgte. Wer ihn einem Verchi vorzieht (und das sollen manche tun!), muß schon einen ausgeprägten Hang zu knalligen, deutschen Verdi-Rhythmen haben.

SALOME am 13. November

Diese Oper erscheint (ebenso wie die Elektra) regelmäßig auf dem Spielplan des Hauses. Anscheinend weniger um des Werkes willen, als um einer Künstlerin die Möglichkeit zu geben, ihre Abende schablonenhaft abzusingen. Auch eine Methode, den Spielplan aufzustellen! Weil man außerdem weiß, daß das Publikum dem traurig gewordenen Spectaculum ohnehin schon längere Zeit deshalb fernbleibt, schickte man scharenweise Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren ins Haus. Hauptsache das Haus scheint voll! Wir glauben kaum, daß der Herr Unterrichtsminister darüber informiert ist, denn nach unserem Wissen steht die Salome erst auf dem Lehrplan der Oberstufe. Und ob gerade dieses Werk geeignet ist, unter der jungen Generation Freunde für die Opernkunst zu werben, bleibe dahingestellt. Einfallsloses Spiel unserer Fußballer treibt auch das Publikum aus dem Stadion, füllt man es dann auch mit Schulklassen auf oder versucht man, das Niveau der Mannschaft zu heben, die Senioren aus der Nationalliga zu ziehen und das Team zu verjüngen? (Vielleicht wird uns Herr Minister Dr. Drimmel so deutlicher verstehen!) Wilhelm Loibners Interpretation gefiel uns weit besser als letztes Mal. Doch vielleicht haben wir uns an seine Lautstärke schon gewöhnt. Christl Goltz sang diesmal richtiger als sonst. Ohne zu tief angesetzte Töne allerdings geht keiner ihrer Abende mehr zu Ende. Otto Wiener verlieh dem Propheten klare Diktion. Sicher war er der einzige, dessen Text die Jugend, die zum ersten Mal in der Oper saß, auch verstand. Fritz Uhl spielte den Herodes als zittrigen Lustgreis, wobei er allerdings vergaß, sein Gesicht dementsprechend zu schminken. Gesanglich war er zufrieden stellend. Elisabeth Höngen als Herodias bot eine vorzügliche Charakterstudie und war auch stimmlich in guter Verfassung. Waldemar Kmentt sang den Narraboth mit schöne Stimmfärbung. Für das Übrige: „In dumpfem Schweigen richtet Gott“.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 14. November

Wie einfach scheint es doch, Mozarts bezauberndes Singspiel auf die Bühne zu bringen: einige lustige Requisiten, ein agiler junger Regisseur, eine trällernde Soubrette, ein gut aussehender Mozarttenor, eine schmachtende Geliebte und ein polternder Haremswächter, das alles munter durcheinander gewirbelt, und schon herrscht größte Freude auf der kleinsten Szene. Aber weit gefehlt! Da steigen Sänger auf die Rampe, die Mozarts lockeres Singspiel mit hohlem Pathos zertrampeln und um jeden Preis große Oper spielen wollen. Im großen Haus kann das heimische Ensemble nun einmal nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit herumwursteln und die Entführung al fresco spielen. Kurt Böhme war um Witz und Tempo bemüht, was man von den anderen Akteuren nicht gerade behaupten konnte. Waldemar Kmentt ist kein Mozart-Tenor! Leider scheint er das immer noch nicht einsehen zu wollen. Mimi Coertse verfügt weder über die für die Konstanze unentbehrliche sichere Höhe, noch über die Koloraturengeläufigkeit. Zudem wollte sie unbedingt Persönlichkeit beweisen (ausgerechnet in dieser Partie!). Liselotte Maikl als Blondchen, Murray Dickie als Pedrillo und Alfred Jerger als Selim spielten und sangen unter Staatsopernniveau. Heinz Wallberg sorgte für den reibungslosen Ablauf des Abends vom Pult her, ohne die zahlreichen Ausstiege der Solisten verhindern zu können. Was mag wohl ein Fremder denken, der sich zufällig an einem solchen Abend in das ehrwürdige Haus am Ring verirrt, um zu seiner verrosteten Liebe zum Ensembletheater zurückzufinden? Wahrscheinlich entringt sich ihm nur der Stoßseufzer: Martern aller Arten!

DON CARLOS am 15. November

Eine Aufführung mittlerer Güte, die die erhöhten Preise keineswegs rechtfertigte. Nur zwei Künstler wahrten den Ruf des Hauses, zu den besten Bühnen der Welt zu zählen: Hans Hotter als Großinquisitor und Herr Scheiwein mit seinem Cellosolo. Hotter hatte es nicht leicht. Ein nicht nur stimmlich schwacher König erforderte, daß er die Szene König-Priester, den Höhepunkt des Werkes, im Alleingang bewältigen mußte. Trotzdem, bei diesem Großinquisitor gefror einem das Blut in den Adern. Nicola Zaccaria allerdings blieb ungerührt. Zu diesem Zeitpunkt nämlich waren seine stimmlichen Kräfte bereits erschöpft. Diese reichten knapp bis zum Autodafé. Von da an konnte er nur noch mit belegter und rauher Stimme singen. Herr Zaccaria ist ein guter Vertreter kleinerer Rollen. In solchen akzeptiert man ihn auch als Partner großer Sänger. Warum er ausgerechnet an der Wiener Oper (und sonst nirgends) erstes Baßfach singen darf, wird immer ein Geheimnis bleiben. Für Giuseppe Zampieris derzeitige stimmliche Verfassung gibt es nur ein Rezept: mehr arbeiten! Ein direktorales Donnerwetter würde seinem in jeder Hinsicht (Tonhöhe, Rhythmus, Gesangstechnik) verschlampten Singen bald wieder den richtigen Weg weisen. Aber für derlei Dinge ist anscheinend niemand zuständig. Aldo Protti sang einen lauten, aber uninteressanten Posa. (Der mit Abstand beste Sänger dieser Rolle, Eberhard Wächter, muß sich ja an der Volksoper in Operetten dem Publikum mitteilen!) Bei den Damen dominierte diesmal Biserka Cvejic, deren Eboli – abgesehen vom letzten Ton der Arie – ausgezeichnet war. Leila Gencer sang die Elisabeth. Sie hat bestimmt eine ausgezeichnete Gesangstechnik, trotzdem befriedigt ihr Singen nicht. Es wäre für einen Forscher interessant zu untersuchen, welche Verschiedenheiten im Bau des Kehlkopfes und des Schädels zwischen Orientalen und Vertretern des Abendlandes besteht. Frau Gencer macht keine Ausnahme. Der Tonumfang der Orientalen ist weit geringer und auch die Lautstärke hat ihre Grenzen, viel früher; als es die Wiedergabe mitteleuropäischer Musik erfordert. Die Stimmen klingen nur in einer gewissen Lage und Lautstärke, wird diese überschritten, hört man nur mehr Technik statt Stimme. In kleineren Rollen waren Tugomir Franc (Mönch) und Liselotte Maikl (Stimme vom Himmel) gut, Siegfried Rudolf Frese (Herold) mehr als schlecht. Ernst Märzendorfer dirigierte sicher und genau in der Zeichengebung, im Forte klang es manchmal brutal. Die Aufnahme durch das Publikum war matt.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 16. November

Wir sind nicht diejenigen, die Heinz Wallberg bescheinigen, er sei in seiner derzeitigen Verfassung der rechte Mann, um zwei Festspiele zu eröffnen. Für das Repertoire ist er jedoch ein großer Gewinn, denn er gibt nie auf. Sein Enthusiasmus währt bis zum letzten Takt, und liegt ihm noch dazu ein Stück so gut wie der Holländer, dann darf man eine schöne Leistung von ihm erwarten. Er benötigt dazu allerdings auch ein gutes Orchester. Ohne Bläser kann man eben den Holländer nicht spielen. Was sich da vom ersten Takt weg an Schmissen tat, ist fast unglaublich, und man hätte Lust gehabt, sämtliche Blechbläser in die Rente zu schicken, wenn man nicht den jungen Herrn Berger auch unter den Schmeißern erblickt hätte. Sogar den streichenden und holzblasenden Orchestermitgliedern war die Gickserei schon zuviel, denn sie machten betretene Gesichter. Das Streicherkorps warf sich herzhaft in die Bresche und spielte sehr intensiv. Das Vorspiel war trotzdem eine Katastrophe, wurde aber vom ahnungslosen Kinderpublikum beklatscht. Im Verlaufe des Abends konnte man dann eine Besserung wahrnehmen. Der Chor (erfreulicherweise auch die Damen) bot eine sehr gute Leistung. Otto Wieners Holländer ist oft genug gelobt worden, des schonungslosen Einsetzens der Stimme wegen genau so wie als kluger Darsteller. Ähnlich geartet war Fritz Uhls Erik, nicht eben interessant vom Timbre her, doch frisch und gut gesungen und ebenso gespielt. Solch solide Leistungen gewinnen natürlich in einer gehobenen Umgebung mehr, als wenn sie isoliert unter Routinedarstellungen stehen. Hilde Zadek ist als Senta eher farblos, was aber nach traurigen Erfahrungen mit entfesselten Kolleginnen gar keinen Vorwurf mehr bedeutet. Bei der Ballade litt sie unter Intonationsschwierigkeiten, kam aber im Laufe des Duettes stimmlich in Form und hatte auch im dritten Akte alle Höhen, zwar scharf, aber sicher. Kurt Böhme hingegen war in der Höhe und Tiefe wenig erfolgreich („…wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen…“), aber als Sänger und Darsteller routiniert genug, um im Rahmen zu bleiben, um so mehr, als seine komische Auffassung Dalands von Wagnerscher Seite her sanktioniert worden ist. Anton Dermota offenbarte mit einigen bezaubernden Piani und einigen unkontrollierten Fortetönen die Rudimente einstigen Glanzes.

DIE FLEDERMAUS am 17. November

Auch an diesem Wochenende regierte im übervollen Haus am Ring die heitere Muse. Am Pult stand Wilhelm Loibner, der sich bemühte, Bühne und Orchester sicher zu führen, was ihm meistens auch gelang. Das Orchester spielte ambitioniert, doch nicht unfallfrei. Freilich kamen die Herren direkt von der Gerhard Hauptmann-Feier im Burgtheater, wo sie (angeblich ausgesprochen schlecht) den dritten Satz aus Bruckners IX. gespielt hatten, und auch der Chor hatte mit den Einsätzen seine liebe Not. Schwach blieb auch das Ballett, erstens weil am Vormittag des gleichen Tages die Generalprobe zur Ballettpremiere stattfand und die Tänzer anscheinend verausgabt waren und außerdem zahlreiche männliche Hauptpartien umbesetzt wurden, (Dirtl fehlte sehr!) und so klappte das Ganze nicht recht. Auf der Bühne dominierte einmal mehr Hilde Güden als Rosalinde. Frau Güden ist einfach ein Wunder, sang großartig disponiert einen Csardas, daß sogar die Musiker Augen und Ohren der Bühne zuwandten und bewies im Spiel soviel Charme, wie ihn kaum eine andere Künstlerin der Wiener Oper ihr eigen nennt. Renate Holm ist eine ausgezeichnete Adele, weitaus besser als die seinerzeitige Premierenbesetzung (Streich), ja selbst Frau Rothenberger völlig gleichwertig und hat dazu noch die wienerische Aussprache, obwohl auch sie nicht in der Donaustadt geboren wurde. Daß Frau Holms Prosa anders ist (sie hat bekanntlich bisher in der Wiener Volksoper die Adele gesungen) stört keineswegs und daß ihre Adele auch etwas kompakter angelegt wird, gilt uns begrüßenswert, denn immerhin ist das Stubenkätzchen ja die Schwester Idas. Ida war wieder Elfriede Ott. Ein Juwel, das erst dann richtig gewürdigt wird, wenn man sie zuvor vermissen mußte. Eberhard Wächter schüttelte den Eisenstein aus dem Handgelenk. Er ist charmant, keck und gesanglich gut. Wie immer wirkte Erich Kunz geradezu zwerchfellerschütternd (er setzt auch immer wieder neue Pointen!). Im Gefängnis markierte er so überzeugend Asthmaanfälle, daß einem angst und bange wurde. Nur sollte er es während Adeles „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ unterlassen, denn dies mutet wenig kollegial an, und den Kollegen streichen doch viele Künstler so gerne heraus! Anton Dermota sang auch diesmal wieder den Alfred und hielt sich wacker. Gerhard Stolze war der prächtige Fürst Orlofsky und Richard Eybner der Gefängnisdiener Frosch mit einigen neuen Spaßettln. Hans Braun und Erich Majkut fielen ab.

LA BOHEME am 18. November

Überraschungen im angenehmen Sinn haben wir in letzter Zeit kaum erlebt. Umso mehr erfreute sich das immer kleiner werdende Häufchen von Stammbesuchern an der bis dahin völlig unbekannten Sopranistin Mietta Sighele, die sich als Mimi von Akt zu Akt steigerte und eine Schlußszene hinlegte, daß sogar die abgebrühtesten Theaterhasen der Rührung erlagen. Die Sängerin besitzt eine frische, große Stimme, die man weder zu den weißen, noch zu den dunklen zählen kann. Ihr Timbre hat einen eigenartigen Reiz, der  schwer zu beschreiben ist. Ihr Organ wird nach obenhin zu stärker und blühender, breitet sich mühelos im Raum aus. Eine anfängliche Nervosität verleitete die Künstlerin zum Dehnen ihrer Gesangslinie im ersten Akt und ließ sie auch beim Schlußduett das ‚Amore’ zu früh ansetzen, doch sang die Debütantin dann geistesgegenwärtig die Phrase in einem Atem richtig zu Ende. Damit fand auch ihr Lampenfieber ein Ende und die Stimme entwickelte sich mehr und mehr. Beim großen Duett mit Rudolf, den Gianni Raimondi mit dem Schmelz seines Tenors ebenfalls in großer Form sang (wenngleich wir fanden, daß er manchmal zuviel Stimme einsetzte, wodurch ungewollt zu metallische Töne den Poeten in zu hartem Licht erscheinen ließen), hörte man deutlich von Mietta Sighele, daß sie eine Künstlerin mit viel Gefühl ist, deren Herz in ihrem Gesang mitschlägt. Dieser Eindruck verstärkte sich noch in dem schon erwähnten großartigen letzten Akt. So schlug Mietta Sighele wie eine Bombe ein und bewies, daß man auch als gänzlich Unbekannte, das Wiener Publikum zu Beifallsstürmen hinreißen kann. Neben ihr und Herrn Raimondi feierte Aldo Protti als Marcello durch Humor und Stimme ebenfalls einen Triumph. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Herr Protti im zweiten Akt dem Dirigenten Heinrich Hollreiser, der sich übrigens als Kavalier der Debütantin gegenüber zeigte, indem er ihre extrem langsamen Tempi im ersten Akt akzeptierte, bei einem heillosen Durcheinander zu Hilfe kam. Er schlug laut und kräftig den Takt mit dem Fuße und brachte damit erstaunlicherweise alles wieder in Ordnung. Graziella Sciutti als Musetta sang ein inniges Gebet. Der Walzer allerdings gelang weniger gut. Hier muß die Sängerin forcieren und schon ist es damit um den Reiz ihres Timbres geschehen. Ludwig Welter (Colline) ergänzte durch Stimme akustisch die Bohemiengruppe, Hans Braun (Schaunard) nur rein visuell. Im Orchester sah man viele neue Gesichter und dementsprechend klang es auch. Spielten einige der Herren zum ersten Mal Bohème? Darunter wird aber der Ruf unseres Staatsopernorchesters ganz gehörig leiden! Das Publikum hielt sich an die Sänger und bejubelte sie zu Recht.

BALLETTABEND am 19. November

EIN MASKENBALL am 20. November

Zwei Tage nach der Bohème gab es wieder eine kleine Sensation. Giuseppe Patané feierte ein bemerkenswertes Debüt und bewies jenen österreichischen Instanzen, die ihm eine Arbeitstätigkeit in Linz verboten, deren völlige Ahnungslosigkeit in künstlerischen Dingen. Fast schüchtern betrat Patané das Podium und wollte dem ganz links sitzenden Geiger die Hand geben, welcher ihn mit einer Handbewegung an den zweiten verwies, der seinerseits die Begrüßung an den Konzertmeister vermittelte. Also Proben gab’s kein, sonst hätte der Dirigent den Konzertmeister wohl gekannt. Trotzdem kam dann die Überraschung: Ohne Partitur dirigierte Herr Patané einen schwungvollen, rhythmischen Maskenball, wobei er nicht nur für die Sänger die Textworte mitsprach, sondern auch Zeit und Augen für Orchestereinsätze hatte. Der Debütant fand sogar den Mut, einzelne Solisten zu schnelleren Tempi zu zwingen. Schon lange nicht hatten wir einen so spritzigen, vom Orchester her interessanten Maskenball gehört. Aber auch die Solisten gaben ihr Bestes. Leyla Gencer sang in stilistischer Hinsicht die beiden Arien gut. So lange die Sängerin nicht ins Forte geht, macht sie einen durchaus günstigen Eindruck. Wehe aber, wenn sie, auf dramatische Art mit Primadonnengestik, ihre Stimme losläßt. Sofort wird das Organ schrill und die Tonhöhe unsicher. Biserka Cvejic hat in der Ulrica eine ihrer besten Rollen gefunden – eine erstklassige Besetzung. Als Page hörten wir Olivera Miljakovic, die damit zum ersten Mal im großen Haus auftrat. Die Stimme hat lyrischen Charakter, klingt angenehm und wird gut geführt. Nur in der Darstellung müßte Frau Miljakovic graziöser wirken. Giuseppe Zampieri zeigte sich als Riccardo formverbessert. Die Stimme klang voller und freier als zuletzt. Er verzichtete aufs Forcieren, und wenn auch manches im Liebesduett lauter hätte klingen können, war es doch mit Geschmack gesungen. Aldo Protti lieh dem Renato die dramatische Schlagkraft seines Organs. Immer wieder fesselt bei ihm das intuitive Erfassen der dramatischen Ausdruckskraft. Die beiden Verschwörer (Frederick Guthrie und Tugomir Franc) waren lautstark, aber rhythmisch nicht immer im Bilde. Eine Vorstellung, die durch einen talentierten Dirigenten ein höheres Niveau als erwartet bekam. Wir hoffen, daß der gute Kontakt zwischen Pantané und dem Orchester und dem Publikum auch noch bei der fünfzigsten Vorstellung vorhanden ist.

ARIADNE AUF NAXOS am 21. November

Ein deprimierender Opernabend. Inszenierung nicht vorhanden (aber darüber wurde schon oft genug berichte). Am Pult stand Wilhelm Loibner. Klobig und undifferenziert erklang unter seiner Leitung das Orchester. Auch der Kontakt zur Bühne fehlte stellenweise vollkommen, sodaß es der Routine der einzelnen Sänger überlassen blieb, wie sie sich in ihren Parts zurechtfanden. Das Vorspiel profitierte in erster Linie vom Musiklehrer Paul Schöfflers und dem Tanzmeister Murray Dickies. Interessant war die Begegnung mit Hanna Ludwig, die als Komponist gastierte. Die Künstlerin hat die ideale Erscheinung für Hosenrollen und wirkt allein dadurch schon glaubhaft. In der Gestaltung wäre etwas mehr Gelöstheit erwünscht. Die gesangliche Leistung erschien zufrieden stellend, wenngleich nicht zu überhören war, daß die Mittellage der Stimme für die Größe unseres Hauses zu wenig tragfähig ist. Der Mittelpunkt der Oper war diesmal die Ariadne Hilde Zadeks mit einem sehr schön gesungenen Monolog. Leider verfiel die Sängerin in der Szene mit Bacchus in den Fehler des Forcierens, wodurch die Stimme wieder unschönes Timbre annahm. Als Bacchus enttäuschte diesmal James McCracken. Wohl gelangen neuerlich die dramatischen Ausbrüche großartig, die lyrischen Stellen jedoch wurden so gut wie nicht bewältigt. Mit Kopftönen allein ist es da nicht getan. Auch blieben kleine musikalische Unsicherheiten nicht zu überhören. Die Zerbinetta des Abends war Maria Michels. Sehr hübsch anzusehen, mit unwahrscheinlichem Charme in Spiel und Gesang. Nur die exponierten Lagen des Gesangsparts klangen etwas mühsam. War es schlechte Tagesverfassung? Eine Wiederbegegnung mit der Sängerin wird uns darüber Aufschluß geben. Das Nymphenterzett war mit Liselotte Maikl gut, mit Anny Felbermayer und Annemarie Ludwig ungenügend besetzt. Die Herren Murray Dickie, Erich Majkut, Kostas Paskalis (als neuer Harlekin) und Ludwig Welter bildeten das Männer-Buffoquartett. Von Ensembleleistung keine Spur. Jeder versuchte auf eigene Faust, je nach Können, seinen Gesangspart zu absolvieren. Und die Darstellung? Einzig Paskalis wahrte dabei den guten Geschmack. Seine Kollegen verwechselten anscheinend Posse mit Hanswurstiade. Hier müßte endlich die starke Hand eines Regisseurs von Format fühlbar werden, um diesen Unfug abzustellen. Aber wann wohl erleben wir eine Neuinszenierung dieses Strauss’schen Musikjuwels?

CARMEN am 22. November

George Pretre stand am Pult dieser Aufführung. Daß er Persönlichkeit hat, bemerkten wir schon bei seinem ersten Wiener Konzert. Aber er war auch klug genug, sich der Eigenart des Orchesters anzupassen, das diesmal klaglos spielte. (Es gab eine Probe!). Pretre tat etwa beim Vorspiel überhaupt nichts, als ganz klein den Takt zu schlagen und fuhr erst mit dem Unheilsmotiv temperamentvoll hinein. Seine Interpretation ist nicht so hart und geladen wie die Karajans, aber flüssig, schwungvoll und intelligent gesteigert. Im Ganzen gesehen war es so, wie man es sich von Monteux oder Cluytens erwartet hätte. Auf der Bühne stand eine gute Besetzung, mit der tadellos und bildschön singenden und gefällig agierenden Biserka Cvejic an der Spitze. Hilde Güden war die Micaela mit makelloser Stimmschönheit und angenehm dezentem Spiel. Otto Wiener war ein schwungvoller Torero, der sich die Partie, die ja eigentlich nicht unbedingt die seine ist, darstellerisch und stimmlich mit allergrößtem Geschick zu eigen gemacht hat. Als José war wieder Ljubomir Bodurow zu hören, besser, ausgeglichener und sicherer als beim ersten Gastspiel. Laurence Dutoit sang erfolgreich die Frasquita. Sie wirkt verläßlich und sicher. Dagmar Hermann ist sich über ihr starkes Tremolo im Klaren und übte angenehme Zurückhaltung, sodaß sie weit leichter zu ertragen war, als manche Kollegin, die glaubt, prominent zu sein und auf die Stimme haut. Die Herren Alfred Poell, Murray Dickie, Harald Pröglhöf und Frederick Guthrie wirkten unauffällig in den kleineren Partien. (Diesmal war alles auf Unterspielen und Untersingen geschaltet). Beim Chor erwiesen sich diesmal die Damen besser als die Herren, die gleich im ersten Akt zwei Einsätze verhauten.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 23. November

Abermals mußte man sich über das Besetzungsbüro ärgern, das die Herren Protti und Zampieri an diesem wie auch am folgenden Abend (Rigoletto) angesetzt hatte, sodaß zu erwarten stand, die Sänger würden einen der beiden Auftritte absagen. In diesem Fall trat dies auch prompt bei Mascagni und Leoncavallo ein. So hörte man schließlich Terkal und Panerai an ihrerstatt. Wilhelm Loibner stand am Pult und damit blieb die Aufführung sehr bescheidenes Mittelmaß. Der Dirigent hatte den Kopf in die Partitur versenkt und bemühte sich, aus dem Orchester ein südliches Brio herauszuholen. Leider gelang dies nicht, denn im Orchesterraum saßen allzu viele unbekannte Musiker (böse Zungen behaupten, selbst die Philharmoniker würden die mit ihnen spielenden Substituten nicht mehr kennen!), und es gab Unfälle bei beiden Opern (besonders arg der Trompetenschmiß bei geschlossenem Vorhang vor dem zweiten Akt Bajazzo, der Unruhe im Haus hervorrief). Außerdem konnten sich die Holzbläser bei Beginn der Cavalleria nicht einig werden. Einer von ihnen schien eine persönliche Fassung zu spielen und als ihm ein Kollege unter Kopfschütteln sein eigenes Notenblatt vorhielt, wies auch der Betroffene das seine vor. Ob etwa noch die Carmen-Noten vom Vorabend am Pult lagen? 

In der Cavalleria stand als einziger Ausländer Kostas Paskalis auf der Bühne. Er sang und spielte den Alfio ausgezeichnet. Mit Freude stellt man fest, daß er sich doch immer mehr verbessert. Seine neuen kommenden Aufgaben (darunter der Gerard) werden zeigen, ob er tatsächlich das halten kann, was man sich nun von ihm verspricht. Hilde Zadek bemühte sich sehr um die Santuzza. Sie war stimmlich sicher, darstellerisch unglaubwürdig. Elisabeth Höngen als Mama Lucia dokumentierte in der kleinsten Partie die größte Persönlichkeit des Abends, womit eigentlich über die Aufführung schon alles gesagt ist. Frau Höngen schleppt sich nicht kniezitternd die Kirchenstufen hinauf, um dann mit falschem Gewimmer zusammenzubrechen. Die Tragödie spiegelt sich in ihrem Gesicht. Unechter Töne und Gesten bedarf sie nicht. Lotte Rysanek war die Lola der Aufführung. Turiddu stand auch auf der Bühne in Gestalt von Karl Terkal. Er sang die Siciliana mit gepreßter Höhe und den Abschied von der Mutter schön. Leider störte er den guten Eindruck dann durch falsches Schluchzen und unterstrich damit noch, daß er schauspielerisch von einer Unbeholfenheit ist, die sträflich anmutet. Da Terkal nicht imstande war, auch nur einen Moment lang den Dirigenten aus den Augen zu lassen, konnten seine Partner auch keinerlei Kontakt mit ihm finden. Frau Zadek blieb so völlig isoliert, und man glaubt diesem Turiddu einfach nicht, daß er überhaupt Zeit gefunden hätte, Santuzza mit Lola zu betrügen. So sehr ist ihm der Kapellmeister das Non plus ultra.

Im Bajazzo: Rolando Panerai als Tonio. Man war mehr als skeptisch. Eine Silvio-Stimme in der schweren Toniopartie, würde das gut gehen? Beim Prolog sah es zuerst danach aus, als ginge es jeden Augenblick schief, denn Panerai war weite Strecken mit dem Orchester auseinander und vor den hohen Tönen zitterten er und das Auditorium um die Wette. Doch siehe, da er sie erklommen hatte, ließ er sie mächtig anschwellen und hielt sie so endlos lange, daß man vermeinte, er würde darauf übernachten. In der Commedia dell’arte war Panerai dann gut. Im Spiel erinnerte er frappant an seinen Salzburger Masetto. Jedenfalls sollte man dieses Husarenstück besser nicht wiederholen, sondern lieber von den Besetzern mehr Klugheit und Umsicht fordern. James McCracken wurde als Canio neuerlich umjubelt. Er war gut disponiert und erfreute als einziger ungetrübt. Kostas Paskalis absolvierte den Silvio brav, Murray Dickie ließ als Beppo steife Höhen hören und Mimi Coertse, als Nedda eingesetzt, sang mit dieser Partie wieder einen ihrer Abend ab, nicht mehr, nicht weniger.

RIGOLETTO am 24. November

Es war ein Abend, bei dem man vom ersten Ton an zum Zuhören förmlich gezwungen wurde. Der junge Dirigent des Werkes, George Pretre, forderte durch seine Intensität nicht nur allen Mitwirkenden das Beste ab, das sie zu geben hatten, er hat auch die Gabe, das Publikum in jene Hörbereitschaft zu versetzen, die Voraussetzung ist für den Kontakt zwischen Ausführenden und Zuhörenden. Ist diese unsichtbare, dafür umso stärker fühlbare Brücke einmal geschlagen, erzielt die so entstandene Spannung auch bei allen Bestleistungen. Pretres starke Persönlichkeit und sein genaues Kennen jeder Einzelheit brachten alle Mitwirkenden so weit, daß sie mit Begeisterung ihre Aufgaben bewältigten. Fazit: Trotz vieler Substituten kaum Blechschäden im Orchester, sauberes, klang- und sinnvolles Spiel und ein Giuseppe Zampieri, wie wir ihn schon lange nicht gehört haben. Nach einem noch unrhythmischen mäßigen ersten Akt, steigerte er sich im Laufe des Abends zu einer Leistung, die man sich von ihm nicht einmal erträumt hätte. Seine ganze sogenannte Krise kommt wahrscheinlich daher, weil er „far niente“ für „dolce“ hält. Hilde Güden, Biserka Cvejic, Aldo Protti und Frederick Guthrie waren ausgezeichnet. Der Herrenchor sang klangschön, korrekt und sehr intensiv. Selbst Rudolf Knoll als Monterone schwang sich zu zwar nicht schönen, aber immerhin sinnvoll aneinander gereihten Tönen auf. Der Beifall des Hauses für den Dirigenten und die Sänger war stark und von ehrlicher Begeisterung getragen.

MADAMA BUTTERFLY am 25. November

Anstelle des Britten’schen Sommernachtstraumes wurde Puccini gespielt. Es gab nur wenige enttäuschte Gesichter im schwach besuchten Haus, denn die traurige Geschichte von der kleinen Japanerin findet beim breiten Publikum (halbes Haus Gewerkschaftsbund) wieder Anklang. Lotte Rysanek als Cho-Cho-San bot eine brave Durchschnittsleistung, die jedem kleinen deutschen Repertoiretheater zur Ehre gereicht hätte. Ihre Stimme fühlt sich in der Höhe am wohlsten. Der Auftritt wurde sogar hinaufgesungen. Leider wurde das Auditorium dadurch nicht aus der Lethargie gerissen, denn es fehlte Lotte Rysaneks Leistung der zündende Funke in rein stimmlicher Hinsicht. Den Phrasen mangelte es an Ausdrucksintensität und in der Darstellung dominierten die stereotypen Handbewegungen. Inneres Erleben war ebenso wenig spürbar wie Faszination von der Stimme her. Voraussetzungen, die an der Wiener Oper in der einen oder anderen Form gegeben sein müßten. Butterflys Partner waren Giuseppe Zampieri, dessen Formanstieg weiter anhält. Außerdem kamen seine Einsätze von „Vieni, vieni“ nach langer Zeit korrekt, und Robert Kerns, der einen gut aussehenden Sharpless auf die Bühne stellte. Leider fehlte diesem Konsul der noble Vortrag der Rolle. Margareta Sjöstedts Suzuki wirkte gänzlich farblos und Erich Majkuts groteskes Benehmen als Goro peinlich. Was sich sonst noch auf der Bühne tummelte, ist besonderer Anführung kaum wert. Wilhelm Loibner wechselte willkürlich die Tempi und gab sich laut und dramatisch, worunter Frau Rysanek am meisten zu leiden hatte.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 26. November

Montagabend in der Oper: Stehplätze nicht ausverkauft, reserviertes Abonnementpublikum. Auf dem Programm stand Die Macht des Schicksals. Die Zuhörer brauchten einige Zeit, um zur Überzeugung zu kommen, daß ihnen eine durchaus gute Repertoirevorstellung geboten wurde. Dann freilich wurde mit Beifall nicht gespart. Berislav Klobucar, der Dirigent des Abends, nahm fallweise zu schnelle Tempi und verlor ab und zu ein wenig den Kontakt mit der Bühne – (Chorszene im ersten Bild) –, war aber ansonsten sehr um die Aufführung bemüht. Gerda Scheyrer bewies wieder, daß sie zu unseren verläßlichsten Repertoiresängerinnen gehört. Stimmlich der Rolle gewachsen, wird sie dem Dramatischen der Partie nicht ganz gerecht. Die Preziosilla war bei Biserka Cvejic wie schon so oft in besten Händen. Vielleicht gelingt es ihr, in Zukunft ihr manchmal schablonenhaftes Spiel etwas aufzulockern. James McCracken sang den Alvaro. Seine herrliche, baritonale Tenorstimme ist dieser Rolle mühelos gewachsen. Außerdem legt er viel Wert auf ausdrucksvolles Singen. Aldo Prottis stimmgewaltiger Don Carlos begeisterte die Zuhörer. Die beiden Überraschungen des Abends boten zum Ersten: Oskar Czerwenka, der mit schöner, ausgeruht klingender Stimme den Pater Guardian sang. Es ist sowohl dem Sänger als auch dem Opernbesucher zu wünschen, daß diese stimmliche Verfassung nicht auf einen Abend beschränkt bleiben möge. Die zweite Überraschung: Michele Casato, der den Fra Melitone sang und aus dieser Rolle eine Studie machte. Er überspielte den Part genau wie sein Vorgänger, doch gelang es ihm zu beweisen, daß Überspielen nicht unbedingt unangenehm auffallen und stimmliche Mängel kaschieren muß. Ein gelungenes Debüt. Von einem Totalschmiß im ersten Bild abgesehen, sang der Chor gut und exakt. Erfreuliches Repertoire.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 27. November

Im Monatsplansoll war Rheingold unter dem Chef zu erhöhten Preisen vorgesehen. Dann kündigte man, ebenfalls bei erhöhten Preisen Die Walküre unter Karajan an. Schließlich sagte der Chef ab, und man entschloß sich, zu gewöhnlichen Preisen mit Wallberg am Pult das gleiche Werk zu spielen. Doch bereits am Vorabend der Aufführung ging’s schon von Mund zu Mund, daß es wieder einmal Besetzungsschwierigkeiten gäbe und so kam dann letztlich neuerlich Der fliegende Holländer auf Programm und Bühne. Daß die Kartenbesitzer darüber nicht sehr glücklich waren, ist verständlich, denn der Holländer ist ja leider die einzige Wangeroper, die seit Saisonbeginn den Spielplan ziert, während man ansonsten – eine einsame Meistersinger-Aufführung ausgenommen – nicht ein einziges Wangerwerk zu Gehör brachte. Weit sind wir gekommen! Wahrscheinlich werden wir für die Wagnerianer bald Wochenendfahrten in die deutsche Provinz veranstalten, wo immerhin und trotz allem doch noch Walküre-Aufführungen möglich sind. Von der Walküre-Besetzung blieben die Solisten Hilde Zadek, Hilde Rössel-Majdan, Hans Hotter, Wolfgang Windgassen und Gottlob Frick auch der Ersatzvorstellung erhalten, ebenso der Dirigent Heinz Wallberg. Man mußte also nur noch einen Steuermann herbeiholen und dieser stand unter dem Namen Karl Terkal am Plakat, während tatsächlich Anton Dermota sang, womit der Punkt erreicht schien, daß man dem zahlenden Publikum nicht noch eine weitere Abänderung (nicht einmal vor dem Vorhang!) mitzuteilen wagte! Das Niveau der Aufführung war dennoch ein gutes. Heinz Wallberg liegt der Holländer von seinen in Wien gehörten Wagnerinterpretationen (Meistersinger und Walküre) weitaus am besten. Er packt hier fest zu und hat das Orchester sicher in der Hand. Einige kleine Schönheitsfehler können ihm nicht angelastet werden. Hilde Zadek wird mit der Senta ebenfalls besser fertig, als mit der Sieglinde. Sie war mit größtem Bemühen und schonungslosem Stimmeinsatz am Werk, gefiel diesmal besonders im Duett mit Holländer, während sie im letzten Akt wieder deutlich hören ließ, wo ihrer Stimme Grenzen gesetzt sing. Darstellerisch bleibt diese Senta farblos, aber man ist ehrlich froh, Frau Zadek richtig singen zu hören, was heute nicht mehr bei allen hauseigenen Sängerinnen selbstverständlich ist. Gut war auch Hilde Rössel-Majdan als Mary. Sie war gesanglich zufrieden stellend, und Persönlichkeit wird ihr in dieser Partie ja nicht so sehr abverlangt, wie beispielsweise bei der Fricka. Hans Hotter sang den Holländer. Er hätte gewiß mit dem Wotan mehr Freude gehabt, da der Holländer ihm derzeit sicher schwerer fällt als der Göttervater. So begann Hotter etwas schwächer, steigerte sich aber im zweiten und dritten Akt zu einer mitreißenden, gesanglichen Leistung. Daß Hotter darstellerisch noch immer unerreicht ist, braucht nicht erneut betont zu werden. Eine einzige Handbewegung, ein Schritt, oder der Kniefall vor Senta drücken mehr aus, als andere Sänger dies während eines ganzen Abends zu tun vermögen. Gottlob Frick als Daland war grandios. Diese Partie ist neben dem Mozart’schen Osmin sein Glanzstück. Hier ist er darstellerisch einfach unübertrefflich. Sein gutmütig-verschmitztes Gesicht spricht Bände und gesanglich ist er gegenwärtig als Wagnerbaß ohnehin unerreicht. Schade, daß Herr Frick so selten den Daland in Wien zu singen bekommt. Wolfgang Windgassen war Erik. Er ist in dieser Rolle entweder ganz hervorragend oder schwach. Diesmal allerdings lag er irgendwo in der Mitte: Der Spinnchor war prachtvoll gesungen. Auch das Auge kommt zu seinem Recht, denn die vorderen Spinnstühle sind mit jungen Kräften besetzt, was doch überzeugender wirkt. Im dritten Akt allerdings war der Herren- und Damenchor leider ungenau und unschön. Es gab am Schluß viele Vorhänge und jubelnden Applaus um Hans Hotter und Gottlob Frick.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. November

Heinz Wallberg dirigierte einen ausgezeichneten Repertoire-Figaro. Die Besetzung war gut, bei den männlichen Hauptrollen gab es nichts Neues. Erich Kunz war der gutgelaunte Standardfigaro. Eberhard Wächter ein charmanter Graf, der ausnahmsweise bei der anspruchsvollen letzten Phrase der Arie einige Schwierigkeiten hatte, aber sonst so schön wie immer sang. Neu war, daß Oskar Czerwenka sich als Bartolo in allerbester stimmlicher Verfassung befand und daß die kleinen Tenorpartien eine atemberaubende Besetzung hatten. (Erich Majkut – Hugo Meyer-Welfing). Tiefer geht’s nicht mehr! Hilde Zadek sprang statt Frau Scheyrer als Gräfin ein. Eine Mozartsängerin war sie nie, dazu ist die Stimme zu wenig modulationsfähig und zu guttural. Sie hat immerhin Elvira, Anna, Gräfin, Vitellia und erste Dame gesungen, wobei sie sich als Gräfin verhältnismäßig noch am Besten hält. (Übrigens hatte sie am Abend vorher Senta gesungen, daher sei ihre Kollegialität bedankt). Hilde Güden ist (auch als Susanna) die Sängerin, deren klare Silberstimme nie von irgendeinem Schatten getrübt wird und deren Gesangslinie blitzsauber und elegant ist, wie sie selbst. Wir kennen Frau Güden jetzt schon seit 1946 (ihr Gastspiel als Despina 1941 wollen wir dabei nicht mitrechnen) und haben noch nie einen unschönen Ton von ihr gehört. Denn selbst die beiden steifen Piani, die bei der Eröffnung des Salzburger Festspielhauses 1960 als schwerste Indisposition bezeichnet wurden und die zu monatelangem Pausieren nötigten, gehören bei anderen lyrischen Sopranstimmen zum täglichen Brot. Wir haben also in Frau Güden eine Art Phänomen der Stimmschönheit vor uns. Edith Mathis sang zum ersten Mal den Cherubino. Die zierliche Sängerin ließ sich etwa vorhandenes Lampenfieber nicht anmerken und füllte mit einer klaren, tragfähigen und wohlklingenden Stimme das Haus. Das Timbre ist etwas dunkler, als man bei einer Koloratursoubrette vermuten könnte und daher kommt sie auch in den tieferen Lagen der Partie gut zur Geltung, die für die meisten Sopran-Cherubinos gefährlich sind. Auch im Spiel war sie nett. Allerdings finden wir, daß ein Cherubino nicht unbedingt so ganz graziös und zierlich sein muß. Die Liebeserklärung eines winzigen Knaben an eine meist doch recht erwachsene Gräfin verliert einiges von ihrer Glaubwürdigkeit.

OTHELLO am 29. November

Hat einmal die Staatsoper eine Aufführung zu bieten, an der das Publikum Interesse nimmt, versteht es der Amtsschimmel ganz köstlich, ihm den Eintritt zu verwehren. Man organisiert das Haus aus, mit dem Erfolg, daß eine ganze Reihe von billigen Karten zwar verschenkt, verkauft oder vermietet waren, diese Sitze aber dann unbesetzt bleiben. Der Schrei der Beamten im Fall eventueller Gastengagements an die Oper „Wer soll das bezahlen“, erinnert an eine Parodie, denn das Publikum will ja bezahlen, doch es kommt nicht dazu, weil die Herren der Bundestheaterverwaltung gar nicht wollen. Man organisiert und füllt das Haus aus, ohne dabei zu bedenken, wie der Opernliebhaber darauf reagiert. Die, die trotzdem drinnen waren, erlebten einen schönen Opernabend. Giuseppe Patané erwies erneut sein großes Talent. Daß es manchmal zu kleineren Unfällen kam, liegt an der konstanten Probenlosigkeit des Orchesters (derzeit wird bekanntlich Wagners Lohengrin im Theater an der Wien auf Platte aufgenommen). Patané begann sehr schwungvoll, brachte manches vielleicht zu stürmisch. Aber dennoch kamen die kleinen Details der Partitur voll zur Wirkung, weil der Dirigent mit eiserner Konzentration bei der Sache ist. Die innere Beziehung zu Verdi verriet er vor allem im vierten Akt, wo ihm die lyrischen Stellen sehr stimmungsvoll gelangen. Den Titelhelden spielte James McCracken. Ihn hatten wir schon zweifellos besser gehört. Lag es an der Tagesverfassung, daß er so dumpf klang? Zu oft nahm der Sänger Zuflucht zu gestoßenen Tönen, was er früher nicht tat. Beim dritten Akt fürchtete man um Othellos Luftzufuhr, doch ging der Schwächeanfall gottlob vorbei. Da war der Jago in Person von Aldo Protti aus anderem Holz geschnitzt. Um diesen Sänger braucht man keine Angst zu haben. Er ist musikalisch todsicher und bringt die Partie so, wie es die Partitur vorschreibt. Hier sitzt einfach alles und die Rollenzeichnung findet ihre Charakterisierung auch in der Stimme. Das Credo mutete tatsächlich als diabolisches Bekenntnis an, Sena Jurinac hingegen als Bild eines Engels. Die Sängerin war nach einem Ausstieg im 1. Akt fast ganz so, wie wir sie lieben. Die Stimme klingt viel freier und gelöster als vergangene Saison und meisterte die gefährlichen Stellen der Partie souverän. Unvergleichlich schön war das Lied von der Weide und Ave Maria. Anton Dermota, Ermanno Lorenzi, Hilde Rössel-Majdan und Alois Pernerstorfer vervollständigten die Besetzung. Der Abend brachte viel Stimmung ins Haus.

 

Das Resümee des Monats November zeigt die gleichen Resultate wie der Vormonat. Man kann in Wien nach wie vor keine akzeptable Straussvorstellung mehr spielen. Wir hatten schandbare Mozartabende zu verzeichnen. Wir vermögen (außer dem Holländer) keinen Wagner mehr über die Bühne gehen zu lassen. Weit und breit ist kein Dirigent von Format für das deutsche Fach in Sicht. Unser Besetzungsbüro arbeitet chronisch in althergebrachter Weise, das heißt, wienerisch gesagt: es wurstelt weiter. Von der Anwesenheit Direktor Schaefers war kaum etwas zu bemerken, und die pensionsreifen Sänger quälen sich nach wie vor mit Aufgaben ab, denen sie nicht mehr gewachsen sind. ‚Gäste kamen und Gäste gingen’, nur wenige unter ihnen machten Freude, die anderen waren ebenso mühselig anzuhören, wie sie im letzten Moment als rettende Engel herbeizutelefonieren gewesen sein mochten. Die Kartenwirtschaft obliegt weiterhin den willkürlichen Dispositionen der Bundestheaterverwaltung. Immer weniger Musikliebhaber bevölkern die Ränge. Es gibt nur noch selten Abende, die unter ihnen Interesse wachrufen. An diesen wenigen aber gibt es Schwierigkeiten, zu einem Billet zu kommen. Mit einem Wort, die Situation ist so, daß man in Wien endlich Taten sehen will! Taten von Seiten Karajans! Daß er es beim Verhandeln mit Beamten nicht leicht haben wird, ist uns klar. Aber wäre es leicht, so bedürften wir hier ja auch nicht eines Mannes von seiner Persönlichkeit und hätten uns getrost mit irgendeinem Chef zufrieden gegeben. Verhandlungen brauchen ihre Zeit. Wir wissen es. Sie brauchen Ruhe, auch das ist bekannt. Aber wenn irgendwo das Dach brennt, kommt die Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene und der übrige Verkehr hat vor ihr anzuhalten. Im übertragenen Sinn ist eine ähnliche Lage in der Wiener Staatsoper gegeben. Es ist Karajans Aufgabe, diese jetzt den zuständigen Stellen klar zu machen! Die Wiener Oper spielte im Monat November, Redoutensaal und Theater an der Wien mitgerechnet vierzigmal. Doch überwog die Quantität die Qualität des Gebotenen beträchtlich. Man hat zudem in der Staatsoper bei allen möglichen (und auch unmöglichen) Aufführungen ‚erhöhte Preise’ und im Theater an der Wien sind pro Vorstellung rund fünf bis sieben Stehplatzkarten verkauft. Im Redoutensaal muß das Theater der Jugend und seit Neuestem auch der Gewerkschaftsbund die schlechten Aufführungen abnehmen. Auch eine Art, um diese Schmiere überhaupt bespielen zu können – zusperren ist die einzige Lösung! Das nach außen hin bis jetzt einzig sichtbare Resultat von Dr. Schaefers Wirken ist das Engagement des neuen Ballettchefs Aurel von Milloss. Wir sind dankbar dafür, obwohl es unter diesen Umständen nur wie ein Trostpreis auf Sicht wirkt, denn auch der neue Ballettchef tritt sein Amt de facto erst im September 1963 an. Daß nur auf Sicht geplant werden kann, ist selbstverständlich, aber der derzeitige Zustand ist so trist, daß es für den Opernliebhaber einiger greifbarer Hoffnungen bedarf, nicht ferner, guter Sterne am Horizont. Und wenn man sich trotz der sauren Zeiten noch etwas Humor bewahren will, könnte man nur sagen. ‚Die Herrschaften stehen von der Tafel auf, man sollte sich hier beeilen!’

 

KARAJAN IN DER IGELSTELLUNG

Leitartikel, 7. Jahrgang, Heft 12

Eine neue Nuance in der an Malheurs, Krisen und Obskuritäten reichen Geschichte der Wiener Staatsoper! Der Künstlerische Leiter tritt in einen Dirigierstreik, um so wie weiland Gandhi durch Hungern seinerseits durch künstlerische Aushungerung des Publikums die Einhaltung von Zusagen zu erzwingen, die das vorgesetzte Ministerium schon vor mehr als einem halben Jahr gemacht hat. Nun wird es wahrscheinlich keinen Theaterchef geben, der nicht mit seiner vorgesetzten Behörde gelegentlich Bruderzwiste auszufechten hat. Meist dreht es sich dabei um das liebe Geld. Daß das Geld aber im Falle der Wiener Staatsoper vom Finanzminister zwar nicht willig, doch immerhin gegeben wird, aber die Staatsoper nicht frei darüber verfügen kann (das Burgtheater legt offenbar keinen Wert darauf!) ist wohl paradox und dem Staate Kakanien wohl angemessen. Man kann Herbert von Karajan den Vorwurf nicht ersparen, daß er diesbezüglich weltfremd war. Anno 1956 hätte er, bei dem damals gutwilligen Bundestheaterchef Dr. Ernst Marboe, wohl verhältnismäßig leichtes Spiel gehabt, mit Hilfe eines gewitzigten Rechtsanwaltes ein Vertragswerk aufzusetzen, das ihm unwiderruflich alle Vollmachten überantwortet hätte, deren er bedarf. Ja, er war damals so optimistisch und guten Willens, daß er auf Leute – die die Hierarchie der Bundestheaterverwaltung besser kannten als er – sehr schalt, weil er wortwörtlich meinte, „man könne nicht alles in Grund und Boden verreißen, man müsse auch positive und aufbauende Arbeit leisten“. Diese aufbauende Arbeit bestand nach Marboes frühem Tode in unablässigen Canossagängen um das liebe Geld, das nun einmal zu einem großen Hause gehörte. Ka Geld, ka Musi! Als sich nun dazu noch der von der Bundestheaterverwaltung einzigartige verschleppte Bühnenarbeiterstreik schlug, platzte Karajan der Kragen und er ging, um nach Erlangen der oben erwähnten Zusagen voll frischen Mutes wieder zurückzukehren und zu erleben, daß er wieder einmal zu idealistisch gedacht hatte. Leider trifft Karajan mit seinem Streik weder einen Minister noch den Chef der Bundestheaterverwaltung, denn die hören ja die farblosen und faden Vorstellungen nicht, die seit September kümmerlich genug im letzten Moment zusammengekratzt werden. Ersterer geht ohnedies nur zum Opernball in die Oper und letzterer darf offenbar momentan nicht, vielleicht deswegen, weil man höherenorts einen Ausbruch der Volkswut fürchtet, wenn er sich zeigt. Leidtragend ist das Publikum, das immer zu Karajan gehalten hat, auch schon, als er in der Presse noch nicht populär war. Das Publikum hat immer erkannt, was es an ihm hatte, auch, als in den Kritiken seine Leistungen heruntergerissen und die der Repertoirekapellmeister in den Himmel gehoben wurde, da man beim Lesen einer Karajankritik noch den Eindruck hatte, der Kritiker wolle Herrn von Karajan einen Platz unterhalb von Loibner, Bauer-Theussl und Swarowsky anweisen. Das Publikum urteilte besser und hat sich deshalb eine solche Behandlung seitens des Opernchefs nicht verdient. Wenn schon Streik, dann hätte das Orchester mitstreiken müssen, denn die Philharmoniker haben durch Probenunwilligkeit die meisten Dirigenten von Format, wie Cluytens oder Kempe, aus dem Haus vertrieben. Oder das technische Personal, das beim Streik gleich da war, als es gegen die Oper ging! Ein verdienstvoller Streik für die Oper, die das Ministerium zu schnellerem Handeln zwingt, steht markanterweise außerhalb der Diskussion! Und so schleppen sich, von autoritätslosen Kapellmeistern müde über die Distanz gebracht, Repertoireaufführungen dahin, die mit pensionsreifen „verdienten Künstlern“ besetzt wird oder mit Lieblingen der Kritik, die nie solche des Auditoriums werden können. Das Niveau ist in einer derart erschreckenden Weise abgesunken, daß sich das Stammpublikum bereits verlaufen hat und lieber viermal hintereinander zum Talisman ins Akademietheater oder ins Kino geht und die Lücken im Zuschauerraum durch unwissendes hineinorganisiertes Volk geschlossen werden müssen. Jeder Mensch weiß, wie schwierig es ist, einen Niveauverlust wieder auszugleichen. Und leider interessiert man sich in der Oper nicht dafür, in einem Haus pro Woche wenigstens sieben passable Abende zu veranstalten. Nein, da wird unverdrossen im Theater an der Wien und im Redoutensaal, den wir doch schon losgeworden zu sein gehofft hatten, gespielt! Für kein Publikum, denn die Aufführungen sind alle geschlossen. Aber sie überschreiten in unverantwortlicher Weise die Kapazität des Orchesters, sodaß in allen Aufführungen drittrangige Substituten das Geschäft des Schmeißens und Schwimmens betreiben. Die Besetzungen sind obendrein alle schlecht. Kann sich die Oper nicht wenigstens auf das Theater an der Wien konzentrieren? Così fan tutte und Die Entführung aus dem Serail können schließlich auch dort gegeben werden, in den Inszenierungen, die im großen Haus ja für Notfälle auch gut genug sind! Es bestünde bei einer solchen Übersiedlung auch nicht die Gefahr, daß das ungeschulte technische Personal des Theater an der Wien die Kulissen ruiniert, was bei der Zauberflöte leider schon geschehen ist. Und außerdem hätten die Stücke Così und Entführung die kleinste Orchesterbesetzung und jede weitere Benützung der Barockschmiere in der Hofburg wäre unnötig! Aber dafür ist ja niemand zuständig. Die unzähligen Angestellten in der Bundestheaterverwaltung und in der Operndirektion schwimmen weiter so dahin, in der schlammigen Flut von Routine und Schlamperei. Hauptsache, der Vorhang geht auf! Wenn wir für Ariadne keinen Sänger haben, setzen wir sie trotzdem an, irgendwer wird schon einspringen! Wenn die Leute nicht gehen, macht es auch nichts! Wir werden das Haus schon mit Steuerkarten füllen (schließlich haben die Ministerien immer Bedarf!). Wenn die Sängerin in der Titelrolle falsch singt, macht es auch nichts! Vom Stammpublikum ist ohnedies keiner mehr drinnen, und die Hineingeschleusten hören es ohnedies nicht! Dabei fällt das Niveau immer mehr. Unsere Rettung sind ohnedies nur die vielgeschmähten Italiener. Eine Stella hat zwei Monate lang den Spielplan gehalten, ein Raimondi, eine Simionato, ein Protti können eine Aufführung retten und Einspringer bieten oft die angenehmsten Überraschungen (Mietta Sighele, Luigi Ottolini, Giuseppe Patané!). Wenn die Leute, die im deutschen Fach singen, auch im italienischen auf die Bühne stiegen, ginge überhaupt niemand mehr in die Oper (siehe Cavalleria mit Terkal!). Die Wiener vergessen schlechte Zeiten allerdings schnell. Das Stammpublikum war wütend auf Karajan, bis er das Brahms-Requiem (24. und 25. November) dirigiert hatte. Die Bewunderung dieser herrlichen Aufführung ließ die Erbitterung über den streikenden Opernchef zum Verstummen bringen. Und wenn er den Tannhäuser dirigiert haben wird, werden wieder alle einen Kniefall machen und ein halbes Jahr Misere vergessen. Trotzdem müssen auch Herr von Karajan und sein Mitstreiter Dr. Schaefer das Ihre dazu beitragen, daß die Wiener Staatsoper aus dem Wellental wieder herauskommt. Karajan dadurch, daß er die Studieraufträge an die Sänger mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit selbst erteilt, denn die Damen und Herren nehmen von untergeordneten Stellen kaum einen Auftrag entgegen, sondern lachen darüber und machen, was sie wollen. (Eberhard Wächter, welch böses Beispiel! Er sollte statt der diversen Schnickis und Schnackis, die er in der Wiener Volksoper zu singen geruht, lieber die Rollen studieren, in denen ihn die Wiener Oper braucht. Um den Onegin braucht er sich nicht zu drücken, denn er kann bestimmt etwas aus der Rolle machen und ob er in Graz als Scarpia oder in Wien als Mandryka auftritt, ist stimmlich schon egal, nur letzeres relativ besser für die Wiener Oper). Und Herr Direktor Schaefer wird um die Aufgabe nicht herumkommen, in Wien sein zu müssen, wenn die Herren von Karajan und von Mattoni außer Landes sind, aufzupassen, daß ordentlich gearbeitet wird, und vor allem das Orchester zu überwachen, das keine Disziplin hat. In diesem Sinne erwarten wir den Abschluß der Verhandlungen mit Herbert von Karajan. Wir erwarten dann zwar keine Wunder, hoffen aber auf kontinuierliche Arbeit aller Mitglieder des Hauses und auf bestmöglichen Einsatz der vorhandenen Kräfte. Wir sind leider bis Redaktionsschluß nicht in der Lage, den bei uns gewohnten positiven Ausblick zu geben. Aber dieser Artikel wird zweifelsohne in der nächsten Nummer seine Fortsetzung finden.

 

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