DER DEZEMBER 1962

8. Jahrgang, Heft 1

 

So rauh wie das Wetter im Dezember war auch das Klima im Haus am Ring, wo man dreißig Vorstellungen zu größtenteils „erhöhten Preisen“ gab, was wir höchst ungerechtfertigt finden, Kaum ein Abend ohne Schönheitsfehler, müdes, schlampiges Repertoire! Wenn das wo weitergeht, muß der Merker die Repertoireberichterstattung einstellen, was aber die Mitglieder des „heimischen Ensembles“ nicht freuen sollte. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß wir eine Aufführung, wo es sich sicher wähnt, herausgreifen und an den Pranger stellen. Nach diesem Dezember weisen die Repertoirekritiker jedenfalls alle Anzeichen nervöser Störungen auf.

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 1. Dezember

Diese Oper steht und fällt mit dem Interpreten des Titelhelden. Otto Wiener sang den Holländer, und man muß leider feststellen, daß er diesmal einen schwachen Abend hatte. Nach einem gut gesungenen Monolog fand Herr Wiener seine stärksten Momente im Duett mit Daland. Im Duett mit Senta – ansonsten der Höhepunkt in Wieners Holländer-Interpretation – machten sich jedoch Ermüdungserscheinungen bemerkbar und im dritten Akt erfolgte ein totaler Zusammenbruch. War es eine plötzlich auftretende Indisposition oder ist der Künstler eines der vielen Met-Opfer geworden? Christl Goltz überraschte als Senta angenehm. Wohl gerieten wieder einige Spitzentöne zu tief, doch wurde die Stimme ruhig und ohne störendes Tremolo geführt. Die beste stimmliche Leistung des Abends bot Gottlob Frick als Daland. Dieser breiten, dunklen Stimme zuzuhören, war ein ungetrübter Genuß. In der Darstellung ist Herr Frick in erster Linie der rauhe, gutmütige Seemann. Den profitgierigen Kaufmann glaubt man ihm jedoch in keiner Phrase des Stückes. Wolfgang Windgassen hinterließ als Erik einen zwiespältigen Eindruck. Während er den dramatischen Szenen vollauf gerecht wurde, waren Schwierigkeiten in den lyrischen Passagen nicht zu überhören. Zu oft wurde die Stimme kehlig geführt. Über den Steuermann Karl Terkals sei gnädig der Mantel des Vergessens gebreitet. In der Wiener Staatsoper sollte eigentlich kein Platz für unfreiwillige Komik sein! Heinz Wallberg am Pult sorgte für einen spannenden Ablauf des musikalischen Geschehens. Daß nicht alles so gelang, wie es sein sollte, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Ist es Bosheit oder Unvermögen unserer Blechbläser wenn trotz klarer Stabführung des Dirigenten jeder dritte Einsatz unklar und verwischt klingt? Hier müßte einmal scharf durchgegriffen werden. Aber es scheint, daß in dieser Hinsicht alle Worte in den Wind gesprochen sind.

LA BOHEME am 2. Dezember

Giuseppe Patané gab erneut eine Probe seines Talentes. Zwar ging diesmal nicht alles nach Wunsch – besonders in den ersten beiden Akten kam es zu Pannen mit den Solisten – doch stimmten uns die beiden anderen Akte versöhnlich, in denen der Dirigent Kontakt zu den Solisten fand. Von diesen gefiel uns Rolando Panerai am besten. Die weiche, geschmeidige Stimme kam glänzend zur Geltung, und der Charme des Künstlers wirkte so auf das Publikum, daß es ihm das zeitweilige Distonieren verzieh. Rolando Panerai machte Marcello zum Mittelpunkt der Oper! Neben ihm gefiel Giorgio Tadeo als Colline mit seinem angenehm sanft klingenden Baß. Leider wirkte er als Darsteller etwas unbeholfen, doch wahrscheinlich hat ihn niemand in die Inszenierung eingewiesen. (Das ist bei uns so Sitte. Jeder helfe sich, wie er kann). Waldemar Kmentt war als Dichter unpoetisch und im Ausdruck zu trocken. Dazu kam noch, daß er in den ersten beiden Akten nicht gut in Form war. Man darf doch wohl von einem Rudolf sinnlichen Stimmglanz erwarten? Dies sei nur hinzugefügt, um den Künstler zu überzeugen, daß er in der italienischen Oper nicht begeistern kann. Nicht deshalb, weil er keinen italienischen Paß besitzt, was unsere heimischen Kräfte so leicht als Entschuldigung anführen. Hans Braun war der Schaunard. Wilma Lipp mühte sich mit der Rolle der Mimi ab. Sie glaubt, mit großem Stimmaufwand der Partie nahezukommen, und vergißt dabei, daß dadurch ihr hell gefärbter Sopran an Klarheit verliert. Graziella Sciuttis Aussehen entspricht der Idealvorstellung einer Musette. In gesanglicher Hinsicht aber wird sie mit dem Walzer nicht fertig. Sie wetteiferte mit ihrer Partnerin punkto Lautstärke und dadurch wurden beide Stimmen, die wir wegen ihres Timbres schätzen, des persönlichen Reizes beraubt.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. Dezember

Ein durchschnittlicher Repertoireabend, an dem jeder, wie es so schön heißt, seine Pflicht tat. Eberhard Wächter sang einen sehr lockeren und gut aufgelegten Grafen und fegte nicht als herrisch wilder Adeliger durch die Zimmer seines Schlosses (im Gegensatz zu Fischer-Dieskau, der sich auf jede psychologische Pointe wie ein Geier stürzt). Seine Gattin Gerda Scheyrer war um Ausdruck bemüht, ohne Anteilnahme zu erwecken. Hilde Güden bestach als Susanna, der sie nun langsam zu entwachsen beginnt, durch die kultivierte und geschmackvolle Stimmführung. Auch wenn sie sich in der Rosenarie ein wenig zu sehr zurückhielt. Bei Erich Kunz als Figaro hielten sich Vorzüge und Nachteile die Waage, obwohl nicht zu überhören war, daß er weiter an Stimme verliert. Wenn man aber hört, wie elegant er sich über schwierige Stellen hinwegzuhelfen vermag, kann man ihm deswegen nicht böse sein. Hanny Steffek blieb ein etwas farbloser Cherubino. Weiße Stimmen scheinen endgültig zum Aussterben verurteilt. Dabei verfügt Frau Steffek über eine gut ausgebildete Stimme, die sie sicher einzusetzen versteht. Trotzdem fand ihr Page wenig Anklang. In die weiteren Partien versenkten sich mit mehr oder weniger Andacht: Ira Malaniuk (Marcellina), Murray Dickie (Basilio, seine Stimme ist in der Höhe derzeit steif wie Schlagobers), Oskar Czerwenka (Bartolo) und der unverwüstliche Erich Majkut als Don Curzio. Heinz Wallberg schlug nur spröde Funken aus dem stark reduzierten Orchester (man begnügte sich mit vier Bässen, der Rest probte für das Karajan-Konzert) und trat vornehmlich durch schwankende Tempi in Erscheinung. Er scheint in letzter Zeit überhaupt stark in seinen Leistungen zu schwanken. Dafür ist er nun wieder noch lange nicht alt genug! So mancher Dirigent der jüngeren Generation leidet offensichtlich an vorzeitigen Kreislaufstörungen.

OTHELLO am 4. Dezember

Giuseppe Patané stand auch diesmal am Pult und hatte in den ersten beiden Akten seine liebe Mühe, erstens das schlecht disponierte Orchester (der Konzertmeister ließ sehr zu wünschen übrig), zweitens einen zu schwach besetzten Damenchor beim Auftritt Desdemonas im zweiten Akt und drittens die Solisten unter einen Hut zu bringen. Man war schon recht verzweifelt, doch siehe da! Es wurde dann ab dem dritten Akt wesentlich besser, und man mußte erneut feststellen, daß in Patané der Oper ein großes Talent ins Haus geschneit ist, das wohl auch das Publikum anspricht – mehr als andere brave Hausdirigenten, die bereits seit Jahrzehnten die Aufführungen herunterspulen. Sena Jurinac war eine ergreifende Desdemona. Die Gestaltung der Partie ist schon so gelobt worden, daß wir uns hier nicht wiederholen müssen. Gesanglich war sie gut. Der letzte Akt ist von ihr ein Erlebnis. James McCracken in der Titelpartie brauchte eine längere Anlaufzeit. Der Auftritt war mehr als mäßig, dazu drückte er sehr auf die Stimme, wodurch sie vulgär wurde. Seinen Höhepunkt fand der Künstler im Schwurduett mit Aldo Protti, der wieder seine Stimme machtvoll durch das Haus orgeln ließ. Othellos Tod war dann wieder schwächer als gewohnt. Man hatte diesmal das Gefühl, daß McCracken froh war, als sich der Vorhang senkte. Alle weiteren Mitwirkenden waren schwach. Hilde Rössel-Majdans Kreischen im letzten Akt ist eine Nervenbelastung, Anton Dermota ist der Partie längst entwachsen und darstellerisch indiskutabel. Erich Majkut erheiterte auch in der Partie des Rodrigo, und Alois Pernerstorfer sang ausgesprochen häßlich. Das Publikum hielt sich an die Hauptdarsteller und den Dirigenten und spendete viel Beifall.

ARIADNE AUF NAXOS am 5. Dezember

Ein neuer Gott! Dimiter Usunow debütierte in seiner ersten deutschsprachigen Rolle an der Staatsoper. Mit dem Bacchus stellte er sich ein hohes Ziel, und man muß feststellen: Usunow hat dieses Ziel erreicht. Auf völlig neue Weise machte er mit einer Parodie auf den arroganten, supernervösen Star den Tenor zu einer Hauptfigur des Vorspiels. In der Oper bestach Usunow vor allem durch strahlend gesungene Spitzentöne. Doch auch die Mittellage, für die man allgemein fürchtete, wurde tadellos bewältigt. Zu bemängeln wäre vielleicht nur die Vernachlässigung der lyrischen Stellen. Überrascht hat uns der Künstler durch ein akzentfreies Deutsch und einwandfreie Phrasierung. Der absolute Höhepunkt des Abends war jedoch Christa Ludwigs grandioser Komponist. Ob wild verzweifelt, still resignierend oder jugendlich schwärmerisch: Die Ludwig vermochte den jungen Stürmer und Dränger mit einem Optimum an Ausdruck und Stimmschönheit (selbst in den exponiertesten Lagen) glaubhaft zu machen. Alfred Poells Musiklehrer war in der Darstellung die ideale Ergänzung zum Komponisten. Auch mit der stimmlichen Leistung konnte man – abgesehen von einigen hohen Tönen – zufrieden sein. In kleineren Partien gefielen noch im Vorspiel Murray Dickie als Tanzmeister und Ljubomir Pantscheff als Lakai. Alles andere war tiefste Provinz! Christl Goltz als Ariadne war für den Zuhörer eine Zumutung (zu tief gesungene Spitzentöne, störendes Tremolo in der Mittellage und dazu noch ein übertriebenes Spiel). An dieser Frau ist nur noch der Mut zu bewundern, mit dem sie sich in anspruchsvollen Rollen auf die Bühne wagt. Eva-Maria Rogner war die äußerst langweilige Zerbinetta. Die Bravourarie sang sie ganz passabel. Sonst trat sie aber weder stimmlich noch schauspielerisch in Erscheinung. Das Nymphentrio war mit den Damen Laurence Dutoit, Gundula Janowitz und Ira Malaniuk besetzt. Eine Zumutung war diesmal das Herren-Buffoquartett in der Besetzung Murray Dickie, Erich Majkut, Kostas Paskalis und Ludwig Welter. Wilhelm Loibner am Pult servierte einen musikalischen Eintopf, aus dem hin und wieder ein Strauss’scher Melodienbogen entsprang. Bei einer solchen Dirigentenleistung muß das Niveau einer Aufführung bescheiden sein.

RIGOLETTO am 6. Dezember

Hilde Güden, Giuseppe Zampieri und Aldo Protti war es zu danken, wenn das Publikum – anfangs nur bereit, einen Opernabend zu absolvieren – schließlich begeistert nach Hause gehen konnte. Die drei Künstler nutzten unverdrossen jede noch so kleine Chance, um die Opernbesucher ganz in den Bann der Musik zu ziehen. Hilde Güden sang eine silberstimmige Gilda, gleicherweise rührend in der Liebe wie in der Verzweiflung. Sie ist stimmlich makellos und mühelos, obwohl sie eigentlich theoretisch längst aus diesem Fach herausgewachsen sein müßte. Giuseppe Zampieri hatte einen guten Tag. Schauspielerisch war er zwar ein etwas tollpatschiger, gutmütiger Herzog, kein flatterhafter Verführer, dafür aber sang er mit bestechend schöner Phrasierung. Für Aldo Protti ist der Rigoletto eine Leib- und Magenrolle. Im Spiel ein wenig grobschlächtig, was keineswegs störte, zog er gesanglich alle Register seiner großen, etwas rauhen Stimme und begeisterte durch mühelose Höhe und Stimmgewalt. Ziemlich mäßige Stimmittel hatte Rudolf Knoll für Monterone einzusetzen, dagegen war der Sparafucile mit Frederick Guthrie gut besetzt. Die Stimme gewinnt hörbar an Größe und Ausgeglichenheit. Biserka Cvejic gab eine verführerische, hübsche Maddalena. Dirigent des Abends war Ernst Märzendorfer. Er schlug Verdi „Zack-Zack“ und war dort gut, wo in der Partitur Fortissimo und presto steht. Ansonsten fehlte ihm der Sinn für den weichen langen Atem des Belcanto und für die emotionell bedingten Fermaten und Ritardandi der Sänger. Chor und Orchester boten gute Leistungen.

DER ROSENKAVALIER am 8. Dezember

Wohl dem Opernfreund, der kein Mitarbeiter des Merker ist. Ein Großteil des guten Wiener Publikums war am 3. Oktober (bei der Tosca mit Karajan, Price, di Stefano und Taddei) zum letzten Mal in der Oper und ging erst wieder in den Rosenkavalier am 8. Dezember, der einmal etwas Abwechslung in den grauen Alltag des deutschen Repertoires brachte. Dabei geschah nichts anderes, als daß Elisabeth Grümmer die Marschallin sang. Ist das früher noch niemandem eingefallen? Elisabeth Grümmer ist eine Persönlichkeit von Format. Sie freut sich ihres jungen Liebhabers. Sie hat Gefühl und Herz und ärgert sich rechtschaffen, daß er sie so schnell vergißt. Eine logische und durchdachte Auffassung, die alles Larmoyante, das von unvermögenden Darstellerinnen der Marschallin so oft verliehen wird, vergessen läßt. Wenn Einwände erlaubt sind, so ist es vor allem der, daß die klare, helle Stimme der Sinnlichkeit entbehrt, die in Wien eben einmal zu Strauss gehört. Andererseits ist Frau Grümmer rollenmäßig derart auf deutsche Seele festgelegt, daß man eher annehmen würde, sie warte als Penelope des 18. Jahrhunderts brav auf die Rückkehr des Marschalls aus dem krowotischen Wald, anstatt sich einen Amante zu nehmen. Aber das mag ein subjektiver Eindruck sein. Und überhaupt ist Frau Grümmer derzeit eine der wenigen Sängerinnen, die die Marschallin überhaupt singen dürften. Wilma Lipp gibt eine zur rechten Zeit süße, wenn es aber sein muß, auch resche Sophie, die sich in hervorragender, stimmlicher Verfassung befand. Christa Ludwig war Oktavian von Kopf bis Fuß. Ein hitziger junger Kavalier und eine großartige Sängerin. Im 3. Akt geriet sie etwas zu sehr ins Blödeln, offenbar von Oskar Czerwenka angesteckt, der sich erfreulich gut bei Stimme, aber zu gut bei Spiellaune präsentierte. Hat ihm denn noch niemand gesagt, daß allzu viele Gags die große Linie stören und die Figur verzeichnen? Dafür war Rudolf Knoll, den wir ja so dringend gebraucht haben, ein zwar sauber singender, aber total farbloser Faninal. Karl Terkal hat Schwierigkeiten mit der Höhe (!!!) und somit jede Existenzberechtigung im ersten Fach an der Wiener Staatsoper verloren. Denn außer seiner Höhe hatte er ja sonst nie etwas zu bieten. Bernhard Conz dirigierte überraschend schmissig und temperamentvoll. Allerdings war er viel zu laut, was bei Dirigenten, die aus der Provinz nach Wien kommen, schon öfter festgestellt wurde. Offenbar sind die akustischen Unterschiede größer, als man gemeiniglich annimmt.

DIE FLEDERMAUS am 9. Dezember

Die Fledermaus ist eine der wenigen Aufführungen des deutschen Repertoires, in die man beruhigt gehen kann. Wilhelm Loibner, der vom Orchester so Geschätzte, leitet sie gut und schwungvoll. Das Luxuspaar Hilde Güden und Eberhard Wächter als die Eisensteins verbessert sich, soweit das überhaupt möglich ist, von Aufführung zu Aufführung. Frau Güden singt geradezu traumhaft und ist die charmante Dame schlechthin. Eberhard Wächter stellt geradezu einen Ausbund von Laune und Charme mit der richtigen Dosis Opernblut dar. (Könnte man dieses Paar nicht einmal in der Arabella einsetzen?) Renate Holm, die blitzsauber und sicher singt und eine für eine Soubrette beachtlich farbig timbrierte Stimme hat, legte sich eine sehr liebe, raunzende und quietschende Tramperl-Auffassung zurecht, mit der sie die Lacher auf ihrer Seite hatte. Erich Kunz und Murray Dickie waren voll auf dem Posten, ebenso Elfriede Ott als Ida. Anton Dermota beginnt langsam in den Alfred wieder hineinzuwachsen. Hans Braun ist allerdings eine typische „zweite Besetzung“. Richard Eybners Frosch ist leider zu wenig profiliert. Nach Meinrad könnte den Frosch nur mehr ein junger, schärferer Komiker spielen, als da sind Heinrich Schweiger, Otto Schenk oder Helmut Qualtinger. Blödelroutine allein ist da zu wenig.

LA BOHEME am 10. Dezember

Zwei Akte lang war man ob der musikalischen Leitung Heinrich Hollreisers ziemlich verzweifelt, um schließlich erstaunt und angenehm überrascht einen dritten und vierten Akt zu hören, der nicht nur gut war, sondern sogar Atmosphäre ausstrahlte und inneres Mitgehen und Anteilnahme abnötigte. Es berührt immer wieder seltsam, wie sehr dieser Dirigent innerhalb eines einzigen Abends in seinen Leistungen zu schwanken vermag. Zunächst zerschlug seine undifferenzierte Lautstärke erbarmungslos das Duett Mimi-Rudolf (das überdies soweit untadelig gesungen war, samt C und allem drum und dran, wobei man allerdings die Ohren spitzen mußte, um von den gegen die Orchesterwogen kämpfenden Solisten etwas zu vernehmen). Der zweite Aufzug wurde recht kühl, gerade und „deutsch“ abgeschnurrt, dann aber kam wie gesagt, Puccini zu seinem Recht. Wilma Lipps weiße Stimme stellt keine Idealbesetzung für diese Partie dar, aber die Sängerin wußte durch Kultur und Tadellosigkeit der Gesangslinie Achtung und Anerkennung zu erzielen. Giuseppe Zampieri gab vollen Einsatz, schonte sich nicht, erreichte streckenweise den Wohllaut vergangener Tage und kämpfte gleichzeitig gegen seine hin und wieder hörbar werdenden Krisenerscheinungen. Sein Rodolfo war jedenfalls eine brave Leistung, wenn sie auch nicht mitreißend genannt  werden kann. Kostas Paskalis wußte als Marcello zu gefallen, sehr gelöst im Spiel und auf angenehme und unaufdringliche Art modern anmutend. Sein Gesang hatte eine ausgeglichene, warmtimbrierte Linie aufzuweisen. Dies spricht für den Fleiß und die fortschreitende Entwicklung, die der Sänger nun kontinuierlich zu nehmen scheint. Die Musetta wurde von Mimi Coertse gesungen, die manchmal recht dick auftrug und beim Walzer stimmlich überfordert war, doch wurde das Gebet des letzten Aktes so erstaunlich innig und tadellos interpretiert, daß es mit den vorhergegangenen Mängeln versöhnte. Hans Braun und Frederick Guthrie vervollständigten das Bohemien-Quartett, mit Eifer bei der Sache und sichtlich mit viel gutem Willen. Im Ganzen gesehen, lief somit ein durchschnittlicher Repertoireabend über die Bühne, zu dem man immerhin ja sagen konnte.

TOSCA am 11. Dezember

Die Aufführung hatte durch die Besetzung der Hauptrollen gutes Niveau. Gré Brouwenstijn sang die Titelpartie. Die Stimme klang füllig und ausgeruht, abgesehen von der etwas stumpfen Tiefe. Im Spiel betonte sie mehr die liebende Frau als die Primadonna. Ihre stimmgewaltigen Partner waren Dimiter Usunow, der sich um die Puccinische Kantilene sehr bemühte und eine gute Leistung bot, obwohl er nicht unbedingt die Idealbesetzung des Cavaradossi darstellt, und Aldo Protti als Scarpia, der den Bösewicht so ehrlich nach Schema F nimmt, daß nichts passieren kann. Den Mesner sang diesmal Erich Kunz. Er spielte ihn gut und sang schön. Der Kampf mit dem Orchester darf nicht ihm angelastet werden, da ja auch Bläser und Streicher dank Bernhard Conz’ Leistung nicht ganz einig waren. Mit der Zeit reizt die Spielastik von Erich Majkut nicht mehr zum Lachen, sondern versetzt die Zuschauer in Wut.

RIGOLETTO am 12. Dezember

Kein großer Abend, jedoch ein Abend, wie wir ihn für den täglichen Repertoirebetrieb wünschen. Dafür, daß diese Aufführung so über dem zur Zeit herrschenden Durchschnitt lag, zeichneten zwei Künstler verantwortlich: Giuseppe Patané und Kostas Paskalis. Der junge Dirigent erwies sich als Bezwinger von Orchester und Bühne. Unerbittlich drängte er Musikern und Sängern seine Auffassung auf und willig beugten sich diese (bis auf eine Ausnahme). Kostas Paskalis hatte den Abend seines Lebens. Sowohl die dramatischen Ausbrüche als auch die lyrischen Passagen wurden gekonnt gemeistert. Dazu kam, daß er ausdrucksmäßig einem Taddei z. B. kaum nachstand. Nur im Spiel enttäuschte er. Hier wirkte er eher wie ein frühzeitig ergrauter Bruder Gildas. Hilde Güden als Gilda enttäuschte diesmal, wohl weniger als Sängerin (wenngleich einige Koloraturen mühsam klangen) als als Künstlerin. Die zentrale Figur einer Opernaufführung ist noch der Dirigent. Gilda hat sich nach dem Dirigenten zu richten und nicht der Dirigent nach Gilda. Frau Güden war nie eine typische Primadonna. Was ist ihr denn diesmal eingefallen? Giuseppe Zampieri als Herzog begann recht gut. Im letzten Akt machten sich jedoch Ermüdungserscheinungen bemerkbar, was in andauerndem Zutiefsingen zum Ausdruck kam. In kleineren Partien gefielen Biserka Cvejic als Maddalena und Frederick Guthrie als geradezu idealer Sparafucile, während sich Rudolf Knoll für den Fluch des Grafen von Monterone wieder als zu stimmschwach erwies.

BALLETTABEND am 13. Dezember

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 14. Dezember

Brittens Shakespeare-Opus in teilweiser zweiter Besetzung: Liselotte Maikl sang die Elfenkönigin Titania mit Musikalität, sicherer Höhe und war optisch gut anzusehen. Statt Peter Klein hörte man Erich Majkut im Handwerker-Sextett. Ansonsten die bewährten Kräfte der Premiere: In Gesang dominierend Gerhard Stolze als „Herr der Schatten“ und Gundula Janowitz als Helena. Im Sprechgesang hatte Erich Kunz als Zettel die Lacher auf seiner Seite. Er ist, besonders als Pyramus, so zwingend komisch, daß sich der Besuch der Aufführung allein schon seinetwegen lohnt, wobei aber das Werk Brittens nicht geschmälert werden soll: besonders die Instrumentierungskunst Brittens steht auf großer Höhe (Steicherglissandi zu Beginn des Werkes!). Als Puck enttäuschte Peter Busse durch undeutliches Deklamieren. Wilhelm Loibner leitete die (von Heinrich Hollreiser übernommene) Aufführung unauffällig, aber korrekt und sauber. Freundlicher Applaus.

 

DON PASQUALE am 14. Dezember, Neuinszenierung im Theater an der Wien

Und wenn die Zeiten noch so schlecht sind: eine gute italienische Premiere bringen wir immer noch relativ mühelos zustande. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß genug anderes in unserem Opernhaus faul ist. Aber eben um dieses Andere müssen sich die leitenden Herren und deren engere Umgebung kümmern, auch wenn die italienische Oper vielleicht mehr ihrem persönlichen Geschmack entspricht. Wir betonen noch ausdrücklich, obzwar dies nicht nötig sein dürfte, daß wir die italienischen Opern keineswegs als schmalzige Hausmeistermusik oder Ähnliches bezeichnen. Das tun nur diejenigen, die diese Sparte Oper nur schlecht hören. Aber Mozart, Wagner und Strauss sind schließlich ebenso wichtig. Gleiches Recht für alle! Und statt des Pasquale wäre eine neue Entführung oder die schon lange versprochene Schweigsame Frau auch nicht zu verachten gewesen. Das soll jedoch nichts gegen diese Aufführung besagen. Das Stück ist allgemein bekannt und steht überdies in deutscher Sprache auf dem Spielplan der Wiener Volksoper, so daß es richtig erscheint, eine noblere, sozusagen Luxusvorstellung des Werkes in der Originalsprache im Theater an der Wien zu präsentieren. (Warum hat man aber eigentlich nicht den Barbier gespielt, wenn schon?). Die musikalische Leitung lag in den Händen von Giuseppe Patané, der mit echter Musizierfreude, authentischen Tempi und der richtigen leichten Hand für das musikalische Lustspiel seines Amtes waltete. Daß der arme Kerl deswegen, weil er einen vollen Terminkalender hat, von der Presse angegriffen wurde, finden wir gemein und ungerecht. Andere Dirigenten verwenden volle Terminkalender auch zum Reklamemachen. Ein so junger Dirigent wird natürlich die Chance wahrnehmen, an der Wiener Oper eine Premiere zu leiten und wird sie so gut wie möglich in wahrscheinlich schon ein Jahr früher abgeschlossene Engagements einbauen. Was kann er dafür, daß an der Wiener Oper drei Wochen vor der projektierten Premiere erst die Leute dafür zusammengekratzt werden? Sagt ein Künstler nämlich zu Gunsten der Wiener Oper andere Verpflichtungen ab, könnte es ihm leicht passieren, daß er zwischen sämtlichen Stühlen in den Nesseln sitzt, und das kann sich ein junger, finanziell noch keineswegs saturierter Dirigent kaum erlauben. Auch Paul Hager, der Regisseur, erntete diesmal ungerechtfertigte Verrisse. Es ist betrüblich, wie festgefahren die Wiener Kritik in ihren Neigungen und Abneigungen ist. Paul Hager ist nicht immer gut, folglich verreiß’ ma ihn halt auf alle Fälle! Blamage! Er machte nämlich einen ganz ausgezeichneten, lebendigen, aber doch immer dezenten Pasquale, der doch häufig als Vorwand für Komik im Stile der Pradler Ritterspiele mißbraucht wird. Allerdings kam er darum nicht herum, besonders in den Chor-Ballungen und in der Führung der stummen Rollen Günther Rennert zu imitieren. Aber da sich dieser auch gelegentlich selbst imitiert, kann man es hinnehmen. Desgleichen hat Paul Hager sichtlich auch den Stil des Piccolo Teatro samt der Persönlichkeit Giorgio Strehlers genau studiert. Aber auch das ist nur ein Vorteil gegenüber Regie-Originalität um jeden Preis (Siehe Pasquale in der Volksoper!). Die Bühnenbilder waren bezaubernd und stammen von Leni Bauer-Eczy, wie auch die Kostüme. Parallelen zu schon früher gesehenen Arbeiten der Künstlerin waren allerdings nicht zu übersehen. Das zeitgenössische Kulturleben animiert alle noch so Großen offenbar, einmal Gelungenes immer wieder abzuziehen.

Die Besetzung war vorzüglich. Graziella Sciuttis bezaubernde Persönlichkeit brachte es fertig, aus der Norina wirklich einen Menschen und trotz allen Humors und Temperamentes auch eine junge Dame zu machen. Sehr fein fanden wir das Mitleid, das sie für den armen Alten aufbringt, statt in der ganzen Oper, wie es entfesselte Soubretten gerne tun, mit tellerschmeißendem Overdrive zu agieren. Stimmlich, besonders technisch, war sie perfekt. Im Legato klingt die süße Stimme derzeit etwas gläsern, aber sie gebraucht es in dieser Partie ja kaum. Ein wahres Musterexemplar an männlichem Charme war auch wieder der lang vermißte Rolando Panerai als Dr. Malatesta. Ein Schauspieler von umwerfendem Humor, der aber immer im Rahmen bleibt. Stimmlich war er bemüht, sein Organ zu drosseln, das infolge von Wahnsinnspartien (er singt z. B. in Italien den Mathis!) enorm gewachsen ist. Doch ist es andererseits wieder angenehm, auch in Bufforollen Sänger mit Stimme zu hören. Solche Besetzungen sind ja nördlich der Alpen leider selten. Giorgio Tadeo, ein sichtlich junger Sänger mit beachtlicher, fast gar nicht buffonesker Baßstimme, hatte eine ungewöhnliche, nette und sozusagen veredelte Pasquale-Auffassung zu bieten, die die Partie fast in die Nähe des Sir Morosus rückte. Er spielte einen sehr netten und schüchternen alten Herrn, dessen einziger Fehler eigentlich ist, daß er den Neffen nicht länger am Hals haben will, was ja nicht unbedingt mit Geiz gleichzusetzen ist. Und gerade diese natürliche Reaktion wird so grausam bestraft, daß er dem Hörer richtig leid tut. Stimmlich war das Duett der beiden „tiefen“ Herren die Erfüllung des Abends. Es hob sich aus dem stilvollen und fein ziselierten Gesang heraus durch seine Fluten echt italienischen Buffogeplappers, was natürlich im Deutschen nicht realisierbar ist und auf den Hörer einen geradezu umwerfenden Eindruck macht. Ermanno Lorenzi war ein überraschend guter Ernesto. Die schlanke Stimme paßt für dieses Fach und wird nur selten nasal breitgedrückt, was dem Sänger am Ring in großen Rollen immer wieder passiert. Wenn man bedenkt, daß selbst in Italien nur Luigi Alva in solchen Rollen besser ist, während solche Sänger wie Cesare Valetti, Juan Oncina, Nicola Monti und Alvino Misciano internationale Erfolge haben, muß man Herrn Lorenzi sogar ausgezeichnet finden. Die Wiener Kritiker, die ihn als Krawatteltenor bezeichnen, kann man nur völliger musikalischer Ahnungslosigkeit zeihen. Soll vielleicht Herr Usunow den Ernesto singen? Der durchwegs aus jungen Leuten bestehende Chor war darstellerisch gelöst und stimmlich sicher. Das Orchester spielte die Ouvertüre nur mittelgut, um sich dann zu einer Form zu steigern, die dem Gesamtniveau des hübschen, heiteren Abends und dessen musikalischer und stilistischer Sicherheit adäquat war.

 

EIN MASKENBALL am 15. Dezember

Endlich ein Lichtblick. Birgit Nilsson, die führende Wagnerheroine der Welt, schneite – ganz unverhofft, dafür aber umso herzlicher begrüßt – infolge der Turandot-Absage in Rom ins Wiener Repertoire, wo sie für Verdis Maskenball angesetzt wurde. Sie sang schon seit vielen, vielen Monaten die Amelia nicht mehr in Wien, und man war natürlich, wie immer wenn eine ganz Große nach längerer Welttournee wieder heimkehrt, neugierig, ob die Stimme noch immer ohne Schaden und glanzvoll ist und – gottlob muß man bei dem heutigen Stimmverschleiß sagen – sie ist es. Frau Nilsson sang eine eindrucksvolle Arie im Hochgerichtsakt und ein prachtvolles Liebesduett, schließlich eine unbeschreiblich schöne zweite Arie, in der auch die Piani (die einer Wagnersängerin dieses Kalibers natürlich nicht so leicht gelingen können, wie einer italienisch geschulten Stimme) restlos glückten. Unnötig zu sagen, daß es Beifallsstürme im Haus gab, wie sie während des ganzen Dezember nicht zu hören waren. So war man schließlich auch einigermaßen versöhnt, daß man nicht in aller Eile eine Wagneraufführung zusammengebracht hatte. Möglich wäre es gewesen. Erstens waren auch Brouwenstijn, Hotter und Frick da, Windgassen, wie wir inzwischen erfahren haben, auch bereits wiederhergestellt. Also hätte man ruhig den ausgehungerten Wagnerianern eine Walküre oder Tristan bieten können. Dirigenten hätte man sicher auch noch gefunden, wenn der Chef noch immer zu streiken geruhen. Doch zurück zum Maskenball. Auch die übrigen Mitwirkenden waren gut bei Stimme. Biserka Cvejic ist eine ausgezeichnete Ulrica. Sie ist in dieser Partie der Simionato gleichwertig. Von den übrigen Sängerinnen, die wir seit der Neuinszenierung hörten, wollen wir ohnehin lieber schweigen. Liselotte Maikl bemühte sich als Oscar sehr. Daß sie der figürlich größte und unglaubwürdigste Page ist, dafür kann sie nichts, doch ihr Einsatz soll gelobt werden. Giuseppe Zampieri ließ erkennen, daß er rein stimmlich seine Krise überwunden zu haben scheint. Doch immer wieder verärgert der Sänger dadurch, daß er einfach seine eigenen Tempi nimmt und so Mitwirkende und Dirigenten oft auf harte Nervenproben stellt. Prachtvoll war Aldo Protti, der sich – bestens disponiert – für zwei Wochen von Wien verabschiedete, um an der Mailänder Scala den Rigoletto zu singen. Frederick Guthrie und Tugomir Franc waren die beiden Verschwörer von stimmlich gutem und figürlich eindrucksvollem Format. Am Pult stand Oliviero de Fabritiis und überraschte durch eine gute Wiedergabe des Werkes. Diese Oper scheint ihm besser als andere von ihm gehörten Werke zu liegen. Das Orchester war erfreulich gut und ambitioniert.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 16. Dezember

Wenn das so weitergeht, werden wir im Holländer bald einen neuen Lückenbüßer besitzen, obwohl die Inszenierung vor Altersschwäche in allen Fugen ächzt und kracht. Hoffentlich bleibt uns bei der längst fälligen Neuinszenierung eine neuerliche Ver-ROTT-ung erspart. Gustav Neidlinglers Leistungskurve in der Titelpartie fiel nach einem packenden „Die Frist ist um“ im Laufe des Abends ständig ab. Die Legatostellen im Liebesduett klangen undifferenziert, trocken, rauh und ohne Zusammenhang, und im dritten Akt versank Neidlinger samt Schiff, Ladung und Senta in den aufschäumenden Orchesterfluten. Die Stimme ist zudem in tiefere Lagen gerutscht, aus der sie sich nur mühsam emporarbeiten kann. Auch die Darstellung ist besonders im zweiten und dritten Akt nicht gerade imponierend und schon gar nicht aufregend: Ungläubig starrte dieser Holländer auf die schwärmerischen Ausbrüche Sentas und wußte zu den Erlösungsbeteuerungen nur schüchtern mit dem Kopf zu nicken. Gré Brouwenstijn konnte als Senta ein großes Loch in der Mittellage nicht verbergen. Zudem klang die Höhe unsauber, manchmal sogar schrill, was den Vortrag der Ballade beeinträchtigte und für ein spannungsarmes Duett auch von ihrer Seite sorgte. Anton Dermota versuchte als Steuermann vergeblich, sich und die Zuhörer wach und bei Laune zu halten. Er sollte sich lieber nicht mehr bei schweren Gewittern und Stürmen auf den Weltmeeren herumtreiben. Gefallen konnte dagegen Fritz Uhl, dessen kehlige Stimme sich längst nicht so weit wie sonst im Hals versteckte und der deshalb mit heldischem Glanz den Erik meisterte. Wenn er auch nie ein großer Darsteller war, liegt ihm dieser Naturbursche in seiner unwissenden Hilflosigkeit sehr gut. Gottlob Frick lohnte als jovialer, gutmütiger Daland neuerlich den Besuch der Aufführung, über die auch von der musikalischen Seite her sonst nicht viel Rühmenswertes zu vermelden ist. Was sich das Orchester neuerdings an Bläserschmissen leistet, übersteigt das selbst im

Repertoirealltag zulässige Maß ganz erheblich. Nachdem die Musiker beim Philharmonischen mit Knappertsbusch am Vormittag ihre Lorbeeren eingesammelt hatten, glaubten sie wahrscheinlich, abends im Abonnementkreise ruhig etliche Male danebengreifen zu können. Proben, geehrte Herren! Und zwar für die Oper und nicht für die diversen Plattenaufnahmen! Ernst Märzendorfer war der stürmische, dabei aber vorwiegend laute musikalische Begleiter, der ohne Rücksicht auf hörbare Verluste im forte schwelgte. Dabei hat er den Holländer ganz gut im Griff. Eine geistige Durchdringung des Werkes von ihm zu erwarten, wäre zu viel verlangt. Was ihn in erster Linie von den landläufigen Kapellmeistern unterscheidet, ist sein unerschöpflicher Bewegungsreichtum im Umgang mit dem Taktstock. Weniger wäre besser und käme präziser. Ein Sonderlob dem stimmstarken Spinnchor! Trotzdem bewahrheitete sich wieder einmal: Ein mittelmäßiger Wagner nimmt kein Ende!

DON CARLOS am 17. Dezember

Oliviero de Fabritiis am Pult sorgte für die Langweiligkeit eines Abends, der höchstens durch einige lärmende Orchesterausbrüche unterbrochen wurde. Nach Absage von Frau Jurinac hatten wir Gelegenheit – von Vergnügen zu sprechen wäre Vermessenheit – eine neue italienische Sopranistin kennenzulernen. Marcella de Osma, die zum Bestand der Scala gehört, debütierte als Elisabeth. Die Stimme wird nach oben zu sehr scharf und entbehrt einer speziellen Klangfarbe, die dem Hörer ins Ohr geht. Sie beherrschte in technischer Hinsicht die Partie einwandfrei und auch Empfindung für die Rolle kann man ihr nicht absprechen. Für die zweite Absage sorgte Grace Hoffman als Eboli, für die Biserka Cvejic verläßlich und in gewohnter Weise singend, einsprang. Den Infanten kreierte Giuseppe Zampieri ziemlich zwiespältig, wobei die negativen Punkte die Vorherrschaft hatten. Die Stimme wirkte müde, glanzlos und rutschte stellenweise in den Hals. Fabritiis verwischte sie an einigen Stellen ganz. Das gelang dem Dirigenten bei Posa – von Kostas Paskalis verkörpert – nicht. Dieser sang mit einem Elan, der gewisse Fortissimotöne entschuldigt. Eine große schauspielerische Leistung vollbrachte Hermann Uhde, doch wo blieb die Stimme und wo der italienische Gesangsstil für die große Arie? Neben Hans Hotters wuchtigem Großinquisitor in der großen Auseinandersetzung glaubte man das Stammeln eines singenden Greises zu verspüren. Noch geht man hier in Wien in die Oper, um Stimmen zu hören und nicht um nur Gestaltungskraft zu bewundern. Das paßt eher ins Burgtheater und ist in den letzten Monaten auch dort Seltenheit geworden. Alles in Allem war es ein Abend, der sehr ermüdend wirkte und dessen Ende sowohl das Orchester, das blitzartig verschwand, als auch das Publikum herbeisehnte. Der Beifall wirkte wie der Ausdruck eines von Schlafmitteln benommenen Auditoriums.

ELEKTRA am 18. Dezember

Endlich eine Stimme und keine Stimmrudimente! Gerda Lammers gastierte in der Titelpartie und konnte  neuerlich einen Erfolg erringen. Die Stimme der Sängerin ist geradezu geschaffen für diese mörderische Strauss-Partie. Eine breite Mittellage dient als Basis für eine unerhört explosive Höhe. Die Orchesterklangmassen bedeuten überhaupt keine Probleme. In der Darstellung beschränkte sich Frau Lammers nur auf die allernotwendigsten Bewegungen. Hier gab es, Gott sei Dank, kein hysterisches Herumtoben und doch wußte diese statische Darstellungsweise auch zu fesseln. Positiv wäre noch die Wortdeutlichkeit der Künstlerin zu vermerken – eine Seltenheit bei Elektrainterpretinnen. Mutter und Schwester fielen gegen diese Elektra ab. Wohl ist Elisabeth Höngen nach wie vor die überragende Persönlichkeit in der Rolle der Klytämnestra, doch läßt die stimmliche Leistung nach. Die Mittellage ist brüchig geworden und die Höhen sind von einer zunehmend grellen Schärfe. Hilde Zadek als Chrysothemis ist und bleibt sowohl gesanglich als auch darstellerisch farblos. Hans Hotter als persönlichkeitsstarker Orest schien an diesem Abend indisponiert. Der Aegisth war mit Gerhard Stolze ideal besetzt. Berislav Klobucar dirigierte einen überraschend guten Strauss. Einige Szenen, wie der Monolog der Elektra, gelangen ihm überdurchschnittlich gut. Die Fortschritte, die Herr Klobucar macht, seit er in Graz ein neues Betätigungsfeld gefunden hat, sind unverkennbar.

TOSCA am 19. Dezember

Da haben wir rein zufällig zwei große Wagnerstimmen, Hotter und Nilsson, im Haus. Aber was macht die Direktion? Statt mit Uhl und Brouwenstijn, die ja auch zur Verfügung stehen, eine Walküre (die erste in dieser Saison!) anzusetzen, bleibt es bei Tosca. Das Angebot von Birgit Nilsson, zwei Abende in Wien zu singen, kam wohl zu plötzlich, um den eingerosteten Apparat noch wirksam in Bewegung zu setzen? Es wurde auch so ein großartiger Abend, der wieder bewies, daß Künstlerpersönlichkeiten selbst in Partien, die ihnen (wie die Tosca der Nilsson) nicht auf den Leib geschrieben sind oder in denen sie (wie Hotter als Scarpia) bis an die Grenze der stimmlichen Reserven gehen müssen, zu außergewöhnlicher Leistung fähig sind. Das kann niemand erlernen, das muß ganz einfach von der Natur gratis dazugelegt worden sein. Da die Tosca zu den Werken gehörte, die durch stets gleichbleibende Qualität wenigstens im italienischen Repertoire ein Abgleiten in provinzielle Gefilde verhinderte, lohnt sich ein Jahresrückblick auf die gebotenen Aufführungen (insgesamt vierzehn – einschließlich dieses Abends). Die Stella sang 8 Toscas, Cavalli 1, Goltz 1, Rysanek 2, Price 1, Nilsson 1. Als Cavaradossi ließen sich vernehmen: Usunow (4), Zampieri (3), Fernandi (1), Corelli (2), di Stefano (1) und Raimondi (3). Das Feld der Scarpias war am weitesten gefächert: Taddei (5), Berry (1), Gobbi (1), Bastianini (2), Bacquier (1), Hotter (1), Polke (1), Protti (2). Es dirigierten: Karajan (3), Verchi (6), Erede (2), Klobucar (2) und Fabritiis (1). Wenn alle Werke so vorzügliche Interpreten gefunden hätten, wären wir stolz und zufrieden. Aber leider, leider!!!

Von der Aufführung selbst ist zu berichten: nach einem schwächeren ersten Akt, in dem Oliviero de Fabritiis noch Kontakt zum Orchester suchte (ohne Proben geht es offenbar nicht mehr anders), war er im weiteren Verlauf recht ordentlich und sehr um die Einsätze der Sänger bemüht. Für das schlampige und oft unpräzise Spiel des Orchesters kann man ihn nicht verantwortlich machen. Disziplin ist für sie schon seit einiger Zeit ein unaussprechliches Fremdwort. Man kommt und geht, wenn's einem Spaß macht und bringt es sogar fertig, in Originalbesetzung, aber nur mit fünf (!) Bässen zu spielen (es wird noch so weit kommen, daß die Zuschauer selbst die Instrumente mitbringen müssen). Auf der Bühne gab es dafür umso erfreulichere Leistungen. Birgit Nilsson war ganz Primadonna und ließ nach einem schwächeren ersten Teil im Gebet ihre Stimme, der im Volumen keine Grenzen gesetzt scheinen, triumphierend emporschwingen. Minutenlager Jubel donnerte durch das Haus. Auch Hans Hotter wuchs erst im zweiten Akt zu seiner ganzen Größer heran, stand ihm doch in der Nilsson eine ebenbürtige Gegnerin gegenüber. Stimmlich schonte er sich keine Minute, sodaß die beiden ständig um die Wette sangen (an der Scala wäre man davon wahrscheinlich weniger begeistert gewesen, da man von Wagnerstimmen natürlich keinen Belcanto verlangen kann!). Zudem weiß Hotter seinem Polizeichef, der in den Grundzügen stets ein beherrschter Grandseigneur bleibt und der auch ohne Gewalt das zu bekommen glaubt, was er will, stets neue Akzente zu geben. Dimiter Usunow hielt sich sehr wacker zwischen diesen beiden Giganten, obwohl er einen schwächeren Abend hatte (die erste Arie kam sehr trocken und flach), was er aber durch sein nie erlahmendes Spieltemperament ausglich. (Als die Nilsson auf seine Liebesbeteuerungen nur zögernd einging, riß er sie plötzlich so heftig an sich, daß sie erschreckt zum verrutschten Schleier griff). Erich Kunz als Mesner, Hans Braun als farbloser Angelotti und Erich Majkut als stets Heiterkeit hervorrufender Spoletta waren in den Nebenpartien eingesetzt. Etwas mehr Würde in einer Kirche, liebe Damen vom Chor! Der Jubel um Nilsson und Hotter wird manchen Herren auf der ersten Etage noch lange in den Ohren nachhallen, denn das heimische Ensemble bringt es sonst kaum auf drei Achtungsvorhänge.

LA TRAVIATA am 20. Dezember

Routine, nochmals Routine und wiederum Routine! Das sind die Hauptmerkmale der Vorstellungen, die jetzt am Ring zusammengestoppelt werden, um den Vorhang in die Höhe zu bringen. Es stellten sich in dieser dahinplätschernden Aufführung Gabriella Tucci als Violetta und Louis Quilico als Vater Germont vor, umrahmt von dem matt singenden Haustenor Giuseppe Zampieri als Alfred und einem Ensemble von hauseigenen Nebenrollenträgern, die nur wenig Stimme besitzen. Gabriella Tucci bringt eine ausgezeichnete Figur für die Kameliendame mit. Allerdings, Temperament und persönliche Ausstrahlung sind ihre Sache nicht. Der Begriff Gefühl ist auch nicht vorhanden, so daß man in der Oper saß und wie durch einen Nebelvorhang die schrecklichen Utensilien der Inszenierung sah und dann fröstelnd nach Hause ging. Für dies war zum Teil auch Gabriella Tucci verantwortlich. Sie rührte nicht. Die Stimme hat unserer Meinung nach ganz lyrischen Charakter und spricht am besten in der kultiviert gepflegten Mittellage und Tiefe an. Die Höhe dagegen klingt scharf und wird oft künstlich anders gefärbt, wodurch ein dramatisch wirkender Effekt erzielt wird, der aber wenig zur Stimme paßt. Die Koloraturarie war schlampig vorgetragen und einzelne Töne waren deutlich zu tief angesetzt. Hörte das niemand von der anwesenden Berufskritik? Louis Quilico kam mit der Gebärde eines Heldenvaters auf die Bühne. Wie sein Auftreten wirkte auch sein Organ pompös laut. Nach wenigen Takten schon war man im Bilde. Er steht mit dem Belcanto nicht auf gutem Fuß und gibt einen rauhen Vater mit einer verengten Höhe, was Erinnerungen an Edmond Hurshell wachrief. Oliviero de Fabritiis dirigierte wie ein Fabrikant, der Einheitstöpfe in Massenproduktion herstellen muß. Verzierungen oder persönliche Einfälle sind bei einer solchen Herstellung verboten. Die Wiener Oper hat heuer viel zu viele davon in Gebrauch.

BALLETTABEND am 21. Dezember

OTHELLO am 22. Dezember

Mit großer Spannung erwartet: Giuseppe Taddeis erster Jago an der Wiener Staatsoper. Wenn wir etwas enttäuscht waren, liegt es daran, daß der Künstler in den hochdramatischen Szenen (Credo, Schwurduett) stimmlich nicht ganz mithalten konnte und im ersten Akt arge musikalische Unsicherheiten zeigte. Ansonsten hörte und sah man einen außergewöhnlich ausdrucksstarken Jago. Der Höhepunkt des Abends war Dimiter Usunow. Großartig disponiert, hinreißend in der Darstellung, gepaart mit einer idealen Bühnenerscheinung, war er ein Othello, wie wir ihn kaum je zuvor im neuen Haus am Ring erlebt haben. Gabriella Tucci sang (statt Gré Brouwenstijn) eine recht gute Desdemona. Für eine außerordentliche Leistung fehlt ihr die Innigkeit einer Jurinac oder das Qualitätstimbre einer Rysanek. Die kleineren Rollen waren mit Hilde Rössel-Majdan (Emilia), Ermanno Lorenzi (Cassio), Alois Pernerstorfer (Lodovico), Erich Majkut (Rodrigo) und Hans Schweiger (Montano) völlig ungenügend besetzt. Oliviero de Fabritiis am Pult zeichnete für einen lauten, eher langweiligen Ablauf des musikalischen Geschehens verantwortlich und wurde vom Orchester in dieser Beziehung auch bestens unterstützt.

DER ROSENKAVALIER am 23. Dezember

Wie sehr das deutsche Repertoire darniederliegt, beweist die Richard Strauss-Wiedergabe unter der akademischen, trockenen Stabführung von Hans Swarowsky (daß diesmal nicht der Kurier-Kritiker in der Oper saß, und in der Zeitung auch keine Zeile stand, ist kaum zu glauben). Wie sehr das Publikum solcher Vorstellungen müde ist, bewies der schwache Besuch und noch viel mehr das Echo, das dieses Werk hinterließ. Drei ganze Vorhänge nach dem ersten, drei nach dem zweiten Akt (wo blieb die Wirkung der Walzerszenen von Herrn Swarowsky?). Dafür, daß am Schluß die Anzahl der Vorhänge verdoppelt wurde, gebührt Christa Ludwig ganz allein der Dank. Der Zauber dieser Stimme bestätigte sich aufs Neue, wenngleich wir ihr diesmal vorhalten müssen, daß sie sehr ins Überspielen kam. Oder tat dies die Künstlerin, um die Krematorienstimmung des Hauses aufzuhellen? Oskar Czerwenkas Ochs besteht nur mehr aus lauter derben Schwänken, wobei man sagen muß, daß er recht brav sang und er die Spielastik gar nicht nötig hätte. Wozu? Für wen? Freut ihn das Gelächter jener Zuhörer, die vielleicht zum ersten Male in der Oper saßen? Sicherlich waren jene in der Überzahl, denn der Beifall setzte sofort nach dem Fallen des Vorhanges ein und die letzten Takte wurden dadurch meuchlings getötet. Ein Werk der zahlreichen Freikartenbesitzer, für die das goldene Zeitalter seit einiger Zeit angebrochen ist. Hilde Zadek sang die Marschallin in einer Konfektionsausgabe und Wilma Lipp enttäuschte durch eine gar nicht satte Mittellage. Karl Terkal sang die Arie schlecht. Alfred Poell war der Faninal, und die übrigen Nebenrollen waren so besetzt, wie schon oft beschrieben und gehört.

SPIELFREI am 24. Dezember

AIDA am 25. Dezember

Am Christtag wurde dem Publikum eine gute, über dem Durchschnitt liegende Aufführung geboten. Daß es kein Fest wurde, lag daran, daß am Pult ein Mann seines Amtes waltete, der es nicht verstand, Verdis Partitur impulsiv und mitreißend wiederzugeben. Oliviero de Fabritiis war der Dirigent, der für einige Wackelkontakte zwischen Bühne und Orchester verantwortlich zeichnete, im Übrigen ungenaue Einsätze gab und konstant seinen persönlichen Ansichten über die zu schlagenden Tempi Rechnung trug. Für wenig geprobte Vorstellungen also ein Mann, der mehr für Verwirrung als für Ruhe sorgte und der schließlich doch ein etwas plattes Niveau der Interpretation nicht überwinden konnte. Die Leistung der Sänger, die von sich allein aus für dramatische Gestaltung sorgen mußten, ist daher umso höher einzuschätzen. Gabriella Tucci sang an diesem Abend ihre erste Wiener Aida und konnte gefallen. Ihre Stimme, wenn auch nicht sehr persönlich timbriert, entspricht allen Anforderungen der Partie. Ob in lyrischen Passagen, ob im dramatischen Ausbruch, sie ist gleich eindrucksvoll. Mittellage und Tiefe klingen angenehm, die Höhe kommt sicher und sie weiß genau, wie sie ihre Phrasen darzubieten hat. Sie beherrscht die Kunst des Gesanges ausgezeichnet, nur merkt man halt, daß es Kunst ist. Das eben Gesagte gilt auch für ihr Spiel, das zu kontrolliert, zu genau einstudiert ist. Auf völlig andere Weise überzeugte Dimiter Usunow als Radames: echt und wahrhaft im Spiel, mit vollem Einsatz von Persönlichkeit und Stimme. Nach der diesmal in schnellerem Tempo überwundenen „Celeste Aida“ begeisterte er durch strahlende und heldische Töne, sang kraftvoll über die Orchesterbrandung der Triumphszene hinweg und fand seine Höhepunkte im Nilakt und in der Auseinandersetzung mit Amneris. Seinen dramatischen Gegenpol in der Intensität von Spiel und Gesang bildete hier Biserka Cvejic, die sich stimmlich in ausgezeichneter Verfassung befand und sich schon in den vorherigen Szenen nichts geschenkt hatte. Frau Cvejic gehört jetzt zu den besten Vertreterinnen dieser Partie. Sie hat eine innere Beziehung zur Rolle gefunden und versteht es, das Publikum am Seelenkonflikt der Pharaonentochter teilhaben zu lassen. Hans Hotter als Amonasro imponierte durch Persönlichkeit und Stimmgewalt, wenn er auch nicht immer eine rein italienische Gesangslinie wahrte. Giorgio Tadeo machte als Ramphis guten Eindruck. Alois Pernerstorfers König klang rauh. Die übrigen Nebenrollen lagen unter dem Niveau. Das zu Weihnachten anders als sonst zusammengesetzte Publikum verhielt sich zunächst abwartend, taute aber bald auf und spendete den Sängern den reichlich verdienten Beifall.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 26. Dezember

Vor einem vorwiegend ausländischen Publikum wurde am Stephanitag Mozart abgewickelt. Wer in der Pause ein Wort Deutsch vernahm, durfte sich glücklich schätzen. Man fand den Abend very pleasant, charming and nice. Wiens Opernliebhaber suchte man vergebens, und wir können versichern, daß sie nichts versäumt haben. Der Dirigent Heinz Wallberg hatte Teilerfolge zu verzeichnen. Manches war besser gebracht, als man etwa von Loibner gewöhnt ist, doch reibungslos und frisch geölt lief die Vorstellung nicht ab. Es fehlte die Durchsichtigkeit in den Ensembleszenen. Auf der Bühne hatte Erich Kunz als Figaro die meisten Lacher auf seiner Seite. Eberhard Wächters diesmal nicht überzeugendem Grafen flogen die Mädchenherzen zu. Mit Hilde Güden stand als Susanne die technisch am besten geschulte Künstlerin auf der Bühne. Gerda Scheyrer als Gräfin offenbarte endlich einmal Seele in ihrer großen Arie und Olivera Miljakovic erfreute uns durch schüchterne Darstellung und liebliche Stimme als Cherubino. Die Nebenrollen lagen in den Händen von Oskar Czerwenka, Hilde Rössel-Majdan, Murray Dickie und Anny Felbermayer. Wo sind die Zeiten, als der Hausherr noch für einen Figaro Zeit hatte? Wo ist die Zeit, als das Publikum noch jubelte? So war es, um im Stile der Anwesenden zu sprechen, very nice, indeed.

LA BOHEME am 27. Dezember

Nach der Tosca füttert man das Publikum nun bis zum Überdruß mit der Boheme. Man tut dies im Zeichen der Konjunktur zu erhöhten Preisen. Sehr phantasievoll, wenn man die zahlreichen Freikartenbesitzer sieht! Sehr phantasievoll, wenn man damit Wilma Lipp ausgerechnet als Mimi ihre Abende absingen läßt! Daß die Phantasie kein rechtes Echo erweckt, stört an der Wiener Oper niemanden. Uns tun die Sänger aufrichtig leid. Sie dürfen zwar singen, finden aber keinen Widerhall. Unter Oliviero de Fabritiis einschläfernder Leitung sangen außerdem Graziella Sciutti Musetta, Frederick Guthrie Colline, Hans Braun mimte den Schaunard und Giuseppe Zampieri den Rodolfo. Auch diesmal blieb es dem Vertreter des Marcello überlassen, den größten Eindruck zu hinterlassen! Bravo Kostas Paskalis! Das sogenannte Stimmfest wurde mit fünf Schlußvorhängen bedacht. Auf den Stehplätzen gähnende Leere.

ANDREA CHÉNIER am 28. Dezember

Nach längerer Zeit stand wieder Giordanos Revolutionsoper auf dem Spielplan, und man mußte feststellen, daß das bei seiner Neuinszenierung ohnedies nicht sehr sorgfältig behandelte Werk im Laufe der letzten zwei Jahre derart verschlampte, daß es bereits ein Wagnis bedeutet, es überhaupt anzusetzen. Chor und Statisterie haben nur mehr eine sehr vage Vorstellung von ihren Aufgaben, und auch dem Orchester merkt man an, daß die Oper nur sehr selten auf dem Spielplan erscheint. Daß es dennoch eine gute Vorstellung wurde, verdankt man in erster Linie Dimiter Usunow als Andrea Chénier. Die persönliche Ausstrahlung und stimmliche Kraft dieses Sängers erscheint fast unglaublich, und Wien kann froh sein, ihn im Ensemble zu haben. Nach einem etwas zu sehr auf Sicherheit gesungenen Improviso steigerte er sich von Akt zu Akt und dürfte mit seiner Verteidigungsrede und dem Schlußduett wohl fast konkurrenzlos dastehen. Neben ihm haben es die anderen Sänger schwer, zu bestehen. Gabriella Tucci als Madeleine bewies erneut, daß sie eine verläßliche Sängerin ist. Die Stimme ist leider nicht besonders interessant und weist auch technische Mängel auf, doch werden diese gut kaschiert. Daß sie im Schlußduett neben ihrem Partner verblaßte, soll kein Vorwurf sein, denn auch berühmtere Kolleginnen hätten es neben Usunow sehr schwer. Alles in allem bot sie eine befriedigende Leistung, mehr nicht. Nach längerer Pause hörten wir auch Ettore Bastianini wieder, der mit dem Gerard seine neuerliche Tätigkeit an der Wiener Oper begann und, man muß es leider sagen, eine Enttäuschung bereitete. Dieser Sänger wurde in seiner Glanzzeit typisch verheizt, von einem Opernhaus zum anderen getrieben, und das hält auf die Dauer keine Stimme aus. Von dieser herrlichen Samtstimme ist nur mehr die Mittellage geblieben. Tiefe war von Haus aus nicht viel vorhanden, und die Höhe wird nun gestemmt und gepreßt. Eine Pause würde Bastianinis Stimme sicher gut tun und uns wahrscheinlich wieder einen großartigen Bariton zurückgeben. So blieb uns von diesem Abend nur ein gut gesungenes „Nemico della patria“ in Erinnerung und sonst Trauer um eine schöne Stimme. Über den Rest: Judith Hellwig, Erich Majkut, Alois Pernerstorfer breiten wir den Mantel des Schweigens. Berislav Klobucar am Pult bewies, daß er um vieles besser ist als die Gastdirigenten, die in letzter Zeit unser Haus überfluteten. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester gelang es ihm, der Situation Herr zu werden und für die nötige Spannung, die diese Oper braucht, zu sorgen.

RIGOLETTO am 29. Dezember

Der Abend kann als charakteristisch für den derzeitigen Stand der Wiener Opernbühne angesprochen werden. Obwohl so manches bei uns im Argen liegt, so sind wir auf dem italienischen Sektor immer noch in der Lage, mehr zu bieten, als es der Opernalltag wo auch immer in der Welt hervorzubringen vermag. Was natürlich keineswegs die trostlose Verwahrlosung des deutschen Faches und die niveaulose Spielplangestaltung entschuldigt. Über die verfehlte Inszenierung lachten wir bei der Premiere. Jetzt wäre langsam Grund vorhanden, darüber zu weinen, daß niemand sich findet, der einige der verfehlten Regieeinfälle einfach streicht und Grotesken mildert. Doch diese Forderung erheben wir ja seit Jahr und Tag vergebens. Hinreißend war die Aufführung nicht, doch hatte sich ein äußerst beifallsfreudiges Publikum eingefunden, das nicht nur Aldo Prottis phänomenales Riesenorgan begeistert mit Beifall belohnte und die Gilda der Hilde Güden feierte, sondern auch die Unstimmigkeiten musikalischer Natur, besonders zu Beginn des ersten Aktes, nicht hörte oder nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Der Abend gewann in seinem Verlauf an Niveau. Dem Dirigent Oliviero de Fabritiis gelang es auch, schließlich unter vollem Einsatz der Unebenheiten Herr zu werden, und erreichte, insgesamt gesehen, eine recht gute, wenn auch nicht mit knalligen Effekten sparende Interpretation. Bei Hilde Güden zeigten ein paar zu tief angesetzte Höhen, daß ihre Verfassung nicht die beste war. Aber sie entschädigte mit einem traumhaft schön gesungenen Part im Schlußduett, wo die silberne Stimme wirklich engelsgleich und schwebend, noch im gehauchtesten Piano, auf dem letzten Platz des Hauses zu vernehmen war. Giuseppe Zampieri schlug sich durch diese Partie, die ihm – man muß es immer wiederholen – wenig liegt, tapfer und brav. Protti ist ein fest umrissener Begriff. Grace Hoffman als Maddalena blieb wohltuend dezent. Von den berüchtigt gewordenen und stets Gelächter hervorrufenden Ha-Ha-Ausbrüchen, die sich seit der Premiere als Unsitte eingebürgert hatten, war keine Rede, der Halstuchmord an Giovanna hingegen findet noch immer statt. Die übrigen Solisten bemühten sich, ihr Bestes zu geben. Daß im Besetzungsbüro des Hauses noch immer niemand erkannte, daß der Monterone keine Partie für Rudolf Knoll ist, schadet allen und nützt niemand.

MADAMA BUTTERFLY am 30. Dezember

Das Puccini-Festival der Wiener Staatsoper im Wagnergedenkjahr fand in der Butterfly seine Fortsetzung. Gerda Scheyrer durfte (oder wollte, man weiß dies nicht) das Schicksal der kleinen Japanerin verkörpern. Sie sang die Rolle mit Geschmack und großer Hilfe des Souffleurs, der sich sehr in den Vordergrund spielte. Zuweilen deckten wilde Orchesterfluten, von Oliviero de Fabritiis erzeugt, die arme Cho-Cho-San ganz zu. Tränen gab es keine im Publikum, dazu ist Frau Scheyrer viel zu kühl in ihrer Aussage, doch man respektiert Durchschnittsleistungen, wenn man umsonst in die Oper gehen kann. Wieviel Karten wurden an diesem Abend wirklich verkauft? Eine Frage, für die Herr Dr. Kalmar einmal Zeit aufbringen sollte! Doch hat er dafür wahrscheinlich ebenso wenig Muße, wie die Herren der Direktion für ihr Haus. Giuseppe Zampieri hatte als Pinkerton einen seiner besseren Abende. Kostas Paskalis war der rauh singende Sharpless und Hilde Rössel-Majdan eine Suzuki-Tragödin. Laut war sie, das muß man ihr lassen! Erich Majkut als Goro agierte wieder mit einer Schauspielkunst, daß einem Hören und Sehen verging. Im Burgtheater anno 1900 wäre man beeindruckt gewesen, wir waren es nicht. So wenig wie von der ganzen Aufführung!

DIE FLEDERMAUS am 31. Dezember

Zum Jahresende gab es die traditionelle Fledermaus. Sie paßte sich würdig dem derzeitigen Niveau unseres Repertoirealltages an, obwohl man besondere Preise verlangte. (Wir erinnern uns, daß selbst in der dritten Karajan-Aufführung nach der Premiere bei erstklassiger Besetzung nur erhöhte Preise verlangt wurden – somit waren diesmal die besonderen eine Frechheit!). Außer diesen Preisen wurde leider nichts Besonderes geboten. Auf der Bühne dominierten Hilde Güden als Rosalinde und Eberhard Wächter als Eisenstein. Beide waren in prächtigster Spiellaune. Für Stimmung sorgte auch Erich Kunz als Gefängnisdirektor, der immer wieder neue Pointen auf Lager hat. Nicht zu vergessen auch Anton Dermota, der einen prächtigen Alfred hinlegte, deutsch und italienisch sang und so für gute Laune sorgte. Murray Dickie blieb als Prinz Orlofsky durchschnittlich. Hans Braun als Falke war wie gewohnt im Spiel schwerfällig, stimmlich einfach nicht da und dazu mit einer fast unverständlichen Prosa. Wozu dieses Experiment? Erich Majkut sprang als Dr. Blind für Peter Klein ein. Dazu wurde den geduldigen Besuchern noch Rita Streich als Adele geboten! Elfriede Ott als Ida gefiel jedenfalls weit besser. Als Frosch sorgte Richard Eybner für die obligaten Späße im dritten Akt. Demjenigen, der Meinrad nicht gesehen hat, hat er bestimmt gefallen. Das Orchester unter Wilhelm Loibner spielte unkonzentriert, der Kontakt zwischen Bühne und Orchester ließ viel zu wünschen übrig. Hat es nur der Champagner verschuldet, daß es solche Schwimmfeste gab?

Auch an diesem letzten Abend des Jahres waren die Stehplätze nicht ausverkauft. Ein bedenkliches Zeichen für das schwindende Interesse der Stammbesucher durch die wochenlangen uninteressanten Aufführungen.

So schloß das Jahr, das mit einer improvisierten Così fan tutte begann, mit einer offenbar ebenso improvisierten Fledermaus. Wann wird im Haus am Ring endlich wieder einmal gearbeitet werden?

 

„Wahnmonolog“ auf Wienerisch

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 1

Die derzeitigen Probleme der Wiener Staatsoper gleichen so ungefähr dem Bild eines Mannes, der vor vollen Fleischtöpfen verhungert, weil ihm Messer und Gabel fehlen… Wir haben das schönste Haus des Kontinents, mit allen technischen Erfordernissen für das moderne Musiktheater ausgestattet. Wir haben – an österreichischen Verhältnissen gemessen – ein legendäres Budget zur Verfügung. Wir haben den derzeit ersten Dirigenten der Welt zum Chef, dessen Pläne eine Blüte des gesamten Opernlebens einleiten könnten. Wir haben das verpfändete Wort eines Ministers, das die Voraussetzungen dazu garantieren soll. Wir haben ideell alles und praktisch: eine bereits elf Monate währende, latente Opernkrise, die nun in den Bankrott auszuarten droht. Das Publikum ist böse, so böse, daß die Mundpropaganda bereits von einem neuen Opernskandal zu munkeln wußte, der allerdings nicht stattfand. Wohl nicht deshalb, weil die großartige Tannhäuser-Inszenierung Karajans die Mißstände vergessen ließ, sondern darum, weil in der gegenwärtigen Lage kein Mensch mehr weiß, gegen wen er in dieser grotesken Situation eigentlich pfeifen soll! Seit Monaten haben wir davon geschrieben und darum gefleht, daß nur eines nicht geschehen möge, nämlich daß nichts geschieht, und genau das ist geschehen. Der zuständige Bundesminister versteht seit eh und je die Sprache der Musikliebhaber nur mit Hilfe von Dolmetschern (dies sind seine sachlich nur teilweise informierten Beamten), und nur auf die Demonstrationen im vergangenen Februar reagierte sein Ohr direkt und recht empfindlich. Jetzt aber will er schon gar nicht begreifen, was jene Eiferer eigentlich noch wollen, wo sie nun glücklich wieder ihren Karajan haben und der Minister andere Sorgen! Im Ressortministerium ist man allseits überzeugt, daß ohnedies alles in schönster Ordnung wäre, und stützt sich auf die Erfahrung, daß unerledigte Akten (in diesem Fall die nicht abgeschlossenen Verhandlungen mit Karajan) sich öfter durch Liegen von selbst erledigen und die Zeit Schwierigkeiten von alleine aus dem Weg schafft. Im übrigen gilt es, nur kein Aufsehen zu machen! Wie gehabt! Karajan hingegen protestiert weiterhin durch Abwarten. Dies halten wir nach wie vor für falsch und nehmen es ihm übel. Für seine Person hat er „kämpfen“ gewiß nicht nötig, in Sachen Oper jedoch wäre ihm dies recht wohl angestanden. Und eine solche Reaktion hätte auch das Publikum, das sein gut Teil dazu beitrug, daß seinerzeit der Wiener Opernchef (höherenorts nolens volens) zurückgeholt wurde, als einzigen Dank für seine Treue gefordert. So aber sind wir glücklich bei dem Punkt angelangt, wo nicht nur der Repertoirebetrieb darniederliegt, sondern auch bei jenem Termin, an dem jedes Institut seine Planung für das kommende Spieljahr bereits abgeschlossen haben müßte, wenn ein Betrieb nicht rettungslos in der Stagnation versinken soll. Direktor Schaefer versuchte in der Rundfunksendung Aus Burg und Oper das Volk zu beruhigen, mit dem Hinweis, daß die Wendung zum Guten bereits im Anzug wäre. Karajan erklärte, daß er die neue Planung fertig durchgeführt habe, allerdings „illegal“, denn er hätte ja nun einmal keinen juristisch rechtskräftigen Vertrag und sei damit, genau genommen, gar nicht zu Entscheidungen befugt! Tatsache ist, daß die Sitzungen in der Operndirektion in den letzten Tagen und Abenden einander jagten, und es besteht kein Grund, an Karajans Wort zu zweifeln. Karajan fügte hinzu, daß er das neue Programm sofort bekannt geben würde, sobald er seinen Vertrag unterschrieben habe. Unterschreiben würde er sofort, wenn seine Forderungen (also jene Zugeständnisse, die ihm bei seiner Rückkehr gemacht wurden) effektiv erfüllt seien. Würden wir dazu den Ressortminister befragen, könnte er natürlich mit gleichem Recht erklären, daß er eigentlich ein „illegaler“ Minister sei und seine Entschlüsse sofort bekannt geben würde, sobald er neuerlich nominiert wäre. Dies bedeutet also: Ohne Abschluß eines juridisch gültigen Vertrages zwischen der zuständigen staatlichen Stelle und Herbert von Karajan geht es nicht weiter. Der Vertrag aber hat zur Voraussetzung die Auflösung der Bundestheaterverwaltung (zumindest in Sachen Staatsoper) und Wahrung der freien Verfügungsgewalt des Opernchefs im Rahmen des ihm staatlich gewährten Budgets. Dies setzt eine gesetzliche Regelung voraus. Eine gesetzliche Regelung setzt eine neue, beschlußfähige Regierung voraus. Die neue Regierung setzt eine Einigung der beiden Parteien voraus… Demnach also „Wahn, wohin man forschend blickt…“ Denn kommt es zum Abschluß dieses Vertrages mit Karajan nicht, so ist Wien wieder beim status quo angelangt. Die akute Krise vom Februar 1962 entfaltet sich neuerdings zur vollen Blüte: Dann hat Wien keinen Chef, das Haus keine Planung, und die Misere nimmt ihren unaufhaltsamen Lauf, womit sich dann glücklich zum Wahn der Sinn gesellt. Wahrscheinlich kann an dem allen auch zu Wien nur ein Kobold Schuld tragen, ein anderer wollte es ja seit eh und je auch nie gewesen sein. Wir sind nur neugierig, woher wir einen Hans Sachs bekommen, der diesen „Wahn fein lenken kann“. Er müßte allerdings mit der Klugheit der Schlange, der Langmut eines Esels und dem Humor eines Wilhelm Busch begabt sein, wenn er nicht an seiner Mission verzweifeln soll!

 

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