DER JÄNNER 1963

8. Jahrgang, Heft 2

 

Fast wäre man versucht zu einem Erlösungsschrei! Endlich, endlich sanft steigende Tendenz im Niveau des Opernalltags. Aber wer Kummer gewöhnt ist, wagt es schließlich nicht mehr, sich unbekümmert zu freuen vor lauter Angst, er könnte es verschreien. Immerhin gab es im ersten Monat des neu angebrochenen Jahres in der Staatsoper Wien vier ihrem Niveau würdige Wagnerabend, zwei durchschnittlich gute Figaro-Aufführungen, das erfreuliche, wenn auch kurze Gastspiel von Carlo Bergonzi, und im Don Carlos das Debüt von Nicolai Ghiaurov, das hier wie eine Bombe einschlug. Die Strauss-Abende liegen leider, leider noch immer im Argen. Beschämend das! Karajan, Keilberth, Kempe. Cluytens und Matacic, wann wollt ihr endlich der Wiener Strauss-Misere ein Ende setzen? Und vielleicht möchte auch Karl Böhm seinen Schmollwinkel verlassen und – (für Wien gesehen) – sich von den Lulu-Lorbeeren erheben, auf denen er noch immer schläft, wie weiland Fafner am Hort? Wenn sich nun endlich außerdem noch das Wissen dazu gesellen würde, daß in kurzer Zeit Herbert von Karajan seinen Vertrag so erhalten würde, wie er nötig ist, um dem Chef die Möglichkeit weiteren Handelns zu geben, dann könnte dem Opernliebhaber der Riesenstein vom Herzen plumpsen, der ihn monatelang belastet hat. Immerhin wird Herbert von Karajan im Februar, entgegen vorheriger Planung, zwei Abende an der Wiener Oper dirigieren. Um zu beweisen, daß er nun bereit ist, nicht mehr zu streiken, oder vielleicht auch, um endlich bei dieser Gelegenheit doch energisch von den übergeordneten Stellen zu fordern, was das Haus am Ring als Lebensnotwendigkeit braucht? Hoffen wir es!

 

AIDA am 1. Jänner

„Bunt gemischt“ schien die Parole dieses Abends zu sein. Alle Hauptpartien waren mit Gästen besetzt. Gabriella Tucci sang die Titelpartie recht gut. Ihre Stimme ist nicht gerade umwerfend – man ist bei uns in dieser Hinsicht verwöhnt – aber sie singt gekonnt und zeigt im Piano ihre stärksten Momente. Sehr gut Margarita Lilowa als Amneris, die über ein gepflegtes Organ verfügt und die beste Leistung der Aufführung bot. Den Radames sang Luigi Ottolini und schenkte sich nichts. Seine Spitzentöne klangen manchmal etwas erzwungen, während die Stimme in der Mittellage und bei den Pianostellen schöner klingt. Louis Quilico sang einen etwas rauhen Amonasro. Giorgio Tadeo brachte für den Ramphis nicht das nötige Material mit (im Theater an der Wien kam seine schöne Stimme weit besser zur Geltung). Wenig ambitioniert zeigte sich das Orchester unter Oliviero de  Fabritiis.

LA BOHEME am 2. Jänner

Wieder stand die Boheme auf dem Spielplan, einer der häufigsten Lückenbüßer in dieser Saison. Der Besuch war dementsprechend, gähnende Leere herrschte allenthalben. Trotzdem muß man gerechterweise feststellen, daß der Abend einen besseren Besuch verdient hätte, denn er bot eine gute Aufführung. Wilma Lipp als Mimi war ausgezeichnet bei Stimme. Da sie diesmal auf jegliches Forcieren verzichtete, erfreute sie sowohl durch ihre ausgeglichene und ruhige Gesangslinie, wie durch ihr inniges Spiel. Giuseppe Zampieri begann schwach, doch schon in der Arie sang er sich frei. In den letzten beiden wunderschön gesungenen Akten überzeugte er nicht nur durch seine stimmlichen Qualitäten, sondern auch durch den Einsatz, den wir in letzter Zeit leider öfter bei ihm vermißten. Kostas Paskalis gefiel abermals sehr gut als Marcello und auch Graziella Sciutti als Musetta war diesmal nicht nur optisch ideal, sondern sang auch (mit Ausnahme einer exponierten Stelle im Walzer) sehr gut. Hans Brauns als Schaunard und Frederick Guthries als Colline vervollständigten die Besetzung nicht gleichwertig. Berislav Klobucar gebührt zum Schluß noch besonderes Lob. Er dirigierte schwungvoll und ohne jede Derbheit und hatte die Aufführung jederzeit fest in der Hand.

EIN MASKENBALL am 3. Jänner

Als Dirigent dieser Aufführung zeigte sich Oliviero de Fabritiis zwar schwungvoller als von ihm gewohnt, doch war er nach wie vor zu keinen Konzessionen an die Sänger bereit und bemüht, sein Konzept eisern durchzusetzen. Kleine Pannen waren daher an der Tagesordnung. Nun zur Vorstellung selbst: Normalerweise haben die Damen das Vorrecht, an erster Stelle genannt zu werden. An diesem Abend verwirkten sie diese Gunst. Auch sonst geriet manches nicht nach Wunsch. Doch wurde man immerhin durch die tadellose gesangliche Leistung Carlo Bergonzis und (ab dem 3. Akt) auch Ettore Bastianinis entschädigt. Carlo Bergonzi begann zwar etwas nervös und forcierte im 1. Bild, fand aber bald zu seiner gewohnten Form. Seine ausgeglichene Gesangslinie, seine kunstvolle Phrasierung, seine Gesangskultur muß man immer wieder von neuem bewundern. Schade, daß er beim Liebesduett keine gleichwertige Partnerin hatte, nur einen Sopran, der ihm fast sämtliche leisen Passagen zerschrie. Ettore Bastianinis erste Arie war nicht gerade erhebend, doch erholte er sich nach einem kolossalen Ausstieg schnell, und mit dem gekonnten Vortrag des „Eri tu“ hatte er das Publikum wieder ganz auf seiner Seite. Auch das Verschwörerpaar (Tugomir Franc und Frederick Guthrie) war figürlich und stimmlich groß da. Als Amelia hatte man Mirella Parutto eingeladen, die im Forte-Singen ihr Heil suchte, unsicher in der Intonation war und in den höheren Lagen unangenehm schrill wurde. Auch konnte die italienische Sängerin ihre „Luftlöcher“ im Vortrag nicht vermeiden. Einige Phrasen gelangen ja ziemlich gut, auch die zweite Arie (die erste Arie ließ das Schlimmste befürchten), aber was nützt es schon, wenn man sich nachher sagen kann: So arg war’s gar nicht. Schade um diese Stimme, schade, daß Frau Parutto sie nicht richtig einsetzen kann. Das Material ist nämlich beachtlich. Aber Technik ist nun einmal auch nicht zu verachten. Aus unseren Breiten stammten die beiden anderen Damen: Hilde Rössel-Majdan plagte sich sehr mit der Ulrica und kam mehr schlecht als recht mit der Partie zu Rande. Rita Streich als Oscar trällerte wie eh und je und blieb trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, farblos. Der Gesamteindruck der Vorstellung war jedenfalls zwiespältig und schon am „Vorhangspiel“ konnte man feststellen, daß auch die Zuschauer genau wußten, wem sie ihre Sympathien schenken konnten.

SALOME am 4. Jänner

Wenn, wie an diesem Abend einzig die Herodias (Elisabeth Höngen) voll dem Niveau der Wiener Staatsoper entspricht, so ist das für ein solch anspruchsvolles Werk, wie es die Strauss’sche Salome darstellt, doch entschieden zu wenig. Christl Goltz, zu deren Glanzpartien einst die Prinzessin von Judäa gehörte, verzerrte die Partie nun geradezu ins Groteske und singt sie – der jeweiligen Abendform entsprechend – mit mehr oder weniger starken Intonationsschwankungen. Wie lange glaubt die Sängerin Leistungen dieser Art noch mit ihrem künstlerischen Gewissen vereinbaren zu können? Und wie verantwortet es die Direktion? Hans-Günther Nöcker, der abermals als Jochanaan gastierte, ist ein ausgesprochener Charakterbariton, der mit den heldenbaritonalen Anforderungen dieser Strauss-Partie hoffnungslos überfordert ist. Für eine weitere positive Entwicklung kann man dem jungen Sänger nur raten, diese Rolle – wenn überhaupt – so selten wie möglich und nur an kleineren Häusern zu singen. Gerhard Stolze (Herodes) gelang es, stimmliche Schwächen durch seine bezwingende Darstellungskunst voll auszugleichen. Dem jugendlich-schwärmerischen Narraboth ist Anton Dermota längst entwachsen. Berislav Klobucar am Pult war verläßlich, konnte aber die Aufführung musikalisch nicht über den Durchschnitt erheben.

MADAMA BUTTERFLY am 5. Jänner

Gabriella Tucci setzte ihr Gastspiel an der Wiener Oper mit der Cho-Cho-San fort. An diesem Abend bemerkte der aufmerksame Zuhörer unschwer, daß die Sängerin nicht bestens disponiert war. Einige Kratzer in der ansonst tadellos geführten Mittellage deuteten dies an. Wir wollen daher diesmal auch nicht zu streng kritisieren, denn der Eindruck, daß Frau Tucci eine sehr verläßliche Sängerin ist, verstärkte sich aufs Neue. Schade, daß Frau Tucci in ihrer Darstellung das Konventionelle sucht. Etwas mehr an Eigeninitiative würde ihre Bühnenfiguren lebendiger machen. Giuseppe Zampieri als Pinkerton sang ausgesprochen schlampig und verführte seine Partnerin beim Liebesduett nicht nur dem Rollenbuch entsprechend, sondern auch zu einem gewaltigen musikalischen Ausstieg. Kostas Paskalis als Sharpless wirkte sympathisch und die Comprimarii taten das Ihrige. Sie sangen nach Vertrag und Pflicht, jedoch lustlos ihren Part herunter. Ernst Märzendorfer, der den Philharmonikern lautstark und mit wenig Sinn für Subtilität vorstand, erwies sich in dieser Situation als hilflos. Das Haus war schwach besucht, die Stimmung samstagmäßig, also um einige Grade wärmer als sonst, aber von einer echten Begeisterung war beim besten Willen nichts zu verspüren, wodurch hätte sie auch ausgelöst werden sollen?

DIE ZAUBERFLÖTE am 5. Jänner im Theater an der Wien

Es lag uns daran, in diesem Monat auch einen kleinen Überblick darüber zu gewinnen, was an den Opernabenden im Theater an der Wien vor sich geht. Drei Zauberflöten gaben uns schließlich Anlaß zum Besuch des Hauses, für dessen Erhaltung der Merker schon damals plädierte, als die Stadtgemeinde sich noch wenig beeindruckt davon zeigte, daß dieses historische Juwel in eine Großgarage umgewandelt werden sollte. Nun allerdings hat die Stadt das Geld gegeben, um es zu retten, was uns jedoch nicht so umwerfend beeindruckt, daß wir darauf verzichten würden, stets daran zu gemahnen, daß das Theater an der Wien keineswegs dem Niveau der Stadthalle gleichgeschaltet werden darf, auch nicht um des schnöden Mammons willen, und dies werden wir uns auch fernerhin sehr angelegen sein lassen. Lovro von Matacic leitete die Vorstellung. Interessant war es für den Stammbesucher insofern, da dieser Dirigent, in dem Wiener Raum aufgewachsen und ihm verhaftet, für dieses Werk eine besonders starke, persönliche Bindung mitbringt. Matacic glaubt nicht, daß hier Konzessionen an den Zeitgeschmack hinsichtlich musikalischer Interpretation gemacht werden könnten. Er besteht auf den breiten, feierlichen Tempi der freimaurerischen Szenen und dem reizvollen Gegensatz der tänzerisch durchsichtig angelegten, vom Lokalkolorit gesättigten Parts. Die Interpretation hatte Format, Werktreue und atmete Mozart’sche Tradition. Unserem Orchester muß bescheinigt werden, daß es beispielsweise bei der Feuer-Wasserszene eine Fuge spielte, wie man sie weit und breit sonst kaum hören kann! Die Besetzung war mit Positivem und Negativem gesättigt. Fels in der Brandung war Erich Kunz, dessen Papageno noch immer ein Kabinettstück ist, solange er nicht Konzessionen an den breiten Publikumsgeschmack macht und dem Outrieren huldigt. Diesmal tat er’s nicht. An diesem Abend war seine Papagena Graziella Sciutti, bezaubernd wie immer. Hanny Steffek war die Pamina. Frau Steffek bringt dazu eine hübsche Stimme und ebensolche Erscheinung mit, aber man vermißt die warme Ausstrahlung. Diese kühl anmutende Pamina hätte überdies Grund gehabt (allerdings sprang sie ein) dem Dirigenten Rosen zu streuen, so gentlemanlike half er ihr zweimal über musikalische Ausrutscher hinweg. Erika Mechera (Königin der Nacht) hat auch dann nicht Staatsopernniveau, wenn es keine sternenflammenden Königinnen weit und breit gibt. Der Tamino Murray Dickies wäre wesentlich besser über die Runden gekommen, wenn er vom Forcieren Abstand genommen hätte, das ihn in chronische Intonationsschwierigkeiten brachte. An diesem Abend füllte sich der Stehplatz nur nach und nach.

TOSCA am 6. Jänner

Als dritte Puccini-Oper innerhalb einer Woche wurde die Tosca angesetzt. Carlo Bergonzi sang seinen ersten Cavaradossi in Wien. Er hätte sich wahrhaft einen besseren Rahmen für dieses Debüt verdient. Seinem Naturell folgend, legte er die Partie ganz lyrisch an, setzte seine schöne Stimme überzeugend ein und verstand es, die tenoralen Glanznummern effektvoll aufzubauen. Seine stärksten Momente hatte er im letzten Akt. Die Sternenarie war schallplattenreif und die „dolci mani“ hat selten jemand besser gesungen. Schade, daß ihm von Seiten des Dirigenten (Oliviero de Fabritiis) so viel verpatzt wurde. Es geht doch wirklich nicht an, daß vom Pult her ein Fortissimoeinsatz kommt, gerade wenn sich ein Sänger um eine besonders schön ausgesungene Pianostelle bemüht. Ganze Phrasen wurden da gewaltsam abgewürgt. Einsicht oder gar Rücksicht, gab es keine! Daß es anders auch geht, haben wir in Wien immerhin schon von großen Dirigenten vorexerziert bekommen. Gré Brouwenstijns Stimme paßte nicht gerade ideal zu der ihres Partners. Man hätte sich einen anpassungsfähigeren gleich getönten Sopran mit ähnlicher Schulung gewünscht. Die Stimme klang diesmal zu dramatisch, zu hart. Von diesem Manko abgesehen (dafür ist das Besetzungsbüro zuständig) bot Frau Brouwenstijn eine recht interessante Leistung. Ettore Bastianini bemühte sich sehr und mit Erfolg um den Scarpia. Hinter der gezeigten Lässigkeit dürfte doch einiges an Heimtücke und Hinterlist verborgen sein. Man muß nur die richtigen Stellen aufzuspüren wissen. Von den Comprimarii ist nur Erich Kunz als Mesner positiv zu erwähnen, der Interpret des Spoletta sorgte, wie gewohnt, für Heiterkeit, knapp vor dem Fallen des Schlußvorhanges.

LA TRAVIATA am 7. Jänner

Ettore Bastianini ist Liebling der Wiener. Das ist längst kein Geheimnis mehr. Es war aber besonders an diesem Montag wahrzunehmen, dem ansonst spärlichst besuchten Opernspieltag der ganzen Woche. Das Stehparterre, wie die Galerien, waren dichter besetzt als sonst und nach der Germont-Arie gab es frenetischen Beifall, gemischt mit vielen hochgestimmten Bravorufen aus Damenkehlen, was nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß es auch in der Germont-Arie Stellen gab, wo es der Sänger mit der Intonation nicht sehr genau nahm. Natürlich, wenn man seine Leistung mit der seiner Partner verglich, war der Beifall gerecht. Für Hilde Güden sprang Mimi Coertse ein, die einen schlechten Abend hatte. Ihre Fortissimo-Töne bohrten sich wie Dolchstöße ins Ohr. Giuseppe Zampieri ließ sich als indisponiert entschuldigen. Oliviero de Fabritiis dirigierte einen seiner Abende ab, - nicht mehr, nicht weniger!

 

TANNHÄUSER Premiere am 8. Jänner

Karajans Tannhäuser war ein Erlebnis besonderer Art. Wenn man Karajans vorangegangene Wagner-Inszenierungen kennt, weiß man nun, sobald man sie in der Rückschau an sich vorüberziehen läßt, daß Karajan dabei nicht nur um einen eigenen Stil bemüht war, nicht nur damit beschäftigt, neue Möglichkeiten, die für Wien gangbar sind zu suchen und sich dabei die technischen Feinheiten der modernen Licht- und Bühnenmaschinerie dienstbar zu machen. Er tat mehr. Er setzte sich mit jener geistigen Welt auseinander, die gleichsam hinter Richard Wagners Gestalten steht, und die anderenorts sooft in Glanz und Herrlichkeit des Vordergrunds unterging und nicht zum Vorschein kam. Auseinandersetzungen geistiger Art bringen natürlich nicht geschlossene Vollendung, aber sie bringen Werte, wirkliche Werte für den, der zu hören und sehen weiß. Den Tauben und Blinden ist ohnedies nicht zu helfen, gleichgültig ob sie nur im Theater oder im Redaktionszimmer einer Zeitung durch ihre Kritiken Unverständnis dokumentieren. So lag auch die Stärke der Tannhäuser-Premiere optisch wie akustisch in Karajans Konzept und dessen Ausführung. War an Solistenleistungen dies und jenes auszusetzen, so muß zugleich gesagt werden, daß sie in einem Punkte bestehen konnten: in der Stilreinheit mit der sie sich in den Gesamtaufbau der Wiedergabe bewundernswert einordneten. Vor den Augen des Zuschauers überschneiden sich auf der Tannhäuser-Bühne das Reale und das Irreale, und wie Karajan das macht, ist großartig. Zugleich ist ihm die Schönheit des optischen Eindrucks nicht Selbstzweck, sondern Ausdrucksmittel. Nicht das Geschehen und die mittelalterlichen Sagengestalten, sondern die Erkenntnisse der deutschen Mystik beherrschen die Interpretation. Und dies haben wir noch kaum jemals in einer solchen Eindringlichkeit und Klarheit zu sehen und zu fühlen bekommen. Und damit ist es nun auch an der Zeit, einmal mit vielen Mißverständnissen und noch mehr dummem Gerede aufzuräumen. Da sind zunächst einmal die vielen Witze über Karajans „verfinsterte Bühnenbilder“. Wir kennen diese Scherze und wir haben dazu gelacht und – soweit sie Humor und Geist hatten – auch kolportiert. Nachgerade aber beginnen Leute mit wenig Humor und noch weniger Geist den Scherz zum Ernst zu stempeln und darüber zu jammern wie zullende Kinder, die sich im Dunkeln fürchten. Wer handfestes Theater auf der Bühne sehen will, gehe in Aida und Tosca (daß die Aida auch verfinstert ist, ist ja gottlob nicht Karajans Schuld!). Wer sich in der Oper nur unterhalten oder bestenfalls am Klang berauschen will, beschränke sich auf den Besuch von Vorstellungen, die nicht mehr Voraussetzungen verlangen. Jedem das Seine! Wer in der Musik aber mehr sucht, dem muß es auch einleuchten, daß sie die Sprache der Seele ist, daß sie genau dort einsetzt, wo mit dem Wort allein nicht alles ausgedrückt und daher auch nicht alles dargestellt werden kann, weil die Ahnung das Wissen und das Metaphysische das Reale abzulösen beginnt. Und eben dort haben die grellen Jupiterlampen nichts verloren. Bei der Einkehr in die Stille verschwimmen die harten Konturen, und können nur dem fehlen, der sich an das rein Äußerliche klammert. Karajan hat sich ganz folgerichtig dafür entschieden, Vorgänge, die real nicht darzustellen sind, in den Zauber des verschwommenen Lichtes zu entrücken. Nicht alle diese Versuche sind so gelungen, wie er sich das vorgestellt und gewünscht haben mag, aber seine Idee ist absolut richtig, und dort, wo er dieses Ziel in der Ausführung erreichte, beglückend. Zugleich müßten auch jene Leute schamrot verstummen, die eine heitere Platte, die uns allen Spaß macht – gemeint ist Georg Kreislers „Karajanuskopf – nun zur Aussage über Karajans Persönlichkeit hervorzukramen, und noch immer krampfhaft versuchen, ihn zum Poseur und zum Reisedirigenten zu stempeln. Im Tannhäuser hätte eigentlich der Letzte dieser Schreiber endlich ruhig sein müssen und ist es wohl auch gewesen, falls ihn nicht Dummheit oder Bosheit daran verhindert haben. Dies soll nicht heißen, daß Karajans Intentionen ein Tabu darstellen: Wer sie nicht bejahen kann, mag sie ruhig begründet verneinen. Wir wehren uns einzig und allein gegen die Ahnungslosigkeit und Indolenz, aus denen plattes Geschwätz entsteht und unter der Fahne der geistigen Armut zum Propagandamarsch antritt. Und den Superklugen, die Karajan noch immer einen Amateurregisseur nennen, sei gesagt, daß es mindestens einem halben Dutzend Berufs-Regisseuren gut tun könnte, bei Karajan in die Schule zu gehen. Vielleicht würde dann dem Stammpublikum in Zukunft weniger Kummer bereitet. Dies nur so nebenbei, aber es sind Gedanken, die sich dem Besucher dieser Premiere geradezu aufdrängten. Die Nörgler sagen: „Na, ja, die Premiere wurde ausschließlich deshalb verschoben, weil Karajan sich zu lange mit dem Licht gespielt hat“. Wie dem auch gewesen sein mag, er hat nicht gespielt, sondern damit gearbeitet, und zwar mit einer Poesie, die uns schon bei Siegfried (Waldweben), bei Pelleas und Melisande und im Troubadour hell entzückte. Seine Ausdrucksmöglichkeiten leben vom Licht und gerade darum sind sie der Musik so vollkommen adäquat, weil Aug und Ohr so einheitlich einschwingen in die große Bezauberung. Allerdings bliebe selbst diese Gestaltung ein Nichts, ohne das grundlegende geistige Konzept! Ein Konzept, das zwingend beweist, daß der Schöpfer dieses Regieplanes mehr vom Gedankengut des Mittelalters weiß, als es die allgemeine Schulbildung vermittelt und das durchschnittliche Verständnis erfaßt. Dem Venusberg bleibt das erhalten, was er braucht: Imagination, die nicht eine bestimmte Vorstellung aufzwingt, sondern ihr individuellen Raum gibt. Die Atmosphäre ist glänzend eingefangen, das Bild großzügig und schön, das Bacchanal wohltuend dezent. An jene die darin zu wenig Ausdruck fanden, sei die Frage gerichtet, wie sie sich wohl derlei dargestellt denken, ohne daß Peinlichkeit, Unästhetik und Unbehagen mit einziehen. Was hier in der Musik Richard Wagners liegt, hat in der Vorstellung weitesten Raum, in der Darstellung aber Grenzen des guten Geschmacks, die Maurice Bejart verließ, ohne daß er damit mehr auszudrücken vermochte (Bayreuth 1961 und 1962). Zu wenig davon ist freilich in dem Pas de deux des Solopaares enthalten. Dieser Tanz wirkt wie Schöngesang dort, wo man einen elementaren Ausbruch erwartet. Die Venus wächst aus dem Mittelpunkt der Bühne förmlich auf und sie wird von Christa Ludwig vollendet gesungen, nicht dramatisch exponiert angelegt, nicht so lautstark wie von mancher ihrer Vorgängerinnen, aber von einer Stimmkultur, Phrasierung und Noblesse des Vortrags, wie wir dies zuvor noch nie gehört haben. Schauspielerisch fordert ihr die Regie nichts Besonders ab, bringt aber mit einigen Andeutungen deutlich zu Bewußtsein, daß die Göttin der Liebe ihrer Macht entkleidet ist, sobald Tannhäuser endgültig seine Freiheit erzwingt. Sie wird in diesem Augenblick nur noch Frau, die um den Geliebten zu kämpfen bereit ist. Sie beschwört ihn, sie kniet vor ihm, und wird sich erst wieder ihrer Zauberkraft bewußt beim Fluch, dessen Bann durch Tannhäusers „Mein Heil ruht in Maria“ gebrochen wird. Bei diesem Ruf verblaßt hier nicht nur der Zauber des Venusberges. Sein Reich geht in Trümmer vor der Erscheinung des aufleuchtenden Kreuzes, als Erlösungssymbol und Weg nach oben. Es wird hier nicht nur als wirkungsvoller Regieeinfall gedacht und gebraucht. Seine Bedeutung bleibt bis zum Schluß gewahrt. Dieses Kreuz, das zuerst im matten Licht aufstrahlt und dann als schlichtes, rohbehauenes Holz auf der angedeuteten Waldlichtung im Frühlingszauber steht, führt dank meisterlicher Beleuchtungseffekte ein unerhört eindrucksvolles Eigenleben. Es bleibt immer das gleiche und ist doch dauernd in Wandlung begriffen, die der ablaufenden Handlung symbolisch verbunden wird. Es ist wirklich und unwirklich, greifbar und entrückt zugleich und in ihm löst sich die Gestalt Elisabeths auf (Eine wunderbare und technisch vollkommen gelungene Regieintention!). Vor dem gleichen Kreuz glänzt auch der grünende Hirtenstab auf und gemahnt einen Augenblick lang an das mystische Zeichen der Rosenkreuzer. Wer’s nicht begreift, soll es lassen – aber schweigend –, das möchten wir uns ausgebeten haben! Rund um dieses Symbol lebt und webt eine irreale Welt, im Wechsel von Lenz und Herbst, von Tag, Dämmer und Nacht, von Licht und Dunkel, von Klarheit und Nebel. Schemenhaft bleiben alle Gestalten, die sich darum gruppieren, sei es die des vorbeischreitenden Hirtenknaben, die der Pilger, der Gesandten aus Rom, oder die der Elisabeth, die direkt davor ihr Gebet singt, von Bühnenmusik begleitet, wodurch ein sehr eindrucksvoller akustischer Effekt erzielt wird. Lebendig ist sozusagen auch die Bühnenfläche, matt rot aufleuchtend im Venusberg, in sanftem Grün nach der Verwandlung und im herbstlichen Gelb im letzten Akt, wodurch das abgefallene Laub unerhört plastisch daraus hervorzuwachsen scheint. Dem gegenüber stellt Karajan das betont Reale. Der Jagdzug ist vollsaftige, diesseitige Welt, Hunde und Falken beleben sie. Da schmettert auch Wangers Blech, während Karajan die Musik dort, wo es Not tut, zu einer so durchsichtigen Reinheit zu führen und aller Effekthascherei zu entkleiden weiß, daß es anmutet, als würde man manches aus dem Orchester zum ersten Mal vernehmen. Der Dirigent hatte die größte Ausdruckskraft in der Ouvertüre und in dem von unserem Orchester vollendet gespielten dritten Akt. Die Personen- und Bewegungsregie ist vollkommen bruchlos eingefügt. In den gelbbraunen Ton der Wartburghalle ordnen sich die Farbwirkungen der unerhört geschmackvoll abgestimmten Kostüme ein. Das warme Kerzenlicht überstrahlt das gesamt Bild und seine Gestalten erinnern an Tillman Riemenschneider. Die gotische Entkörperung ist ihnen zugedacht, vor allem der Gestalt Elisabeths. Diese Wirkung weiß Gré Brouwenstijn überzeugend zu erfüllen, auch im Gesanglichen. Darin liegt ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche. Denn die instrumental geführte Stimme, die im Finale des zweiten Aktes beglückt, vermag in die Hallenarie nicht den blühenden Jubel hineinzulegen, den man gern heraushören möchte. Vollendet wirkt die Figur des Wolfram. So asketisch und von kühlem Feuer erfüllt haben wir Eberhard Wächter noch nicht gesehen. Gottlob Frick machte sich ohne Widerspruch den von Karajan geforderten Stil zu eigen und sang ganz auf Linie. Über das Bemühen dazu ist nur Hans Beirer öfters nicht hinausgekommen, obwohl dabei nicht die ganze Schuld den Sänger trifft. Der schwere Heldentenor war schon von Haus aus dem übrigen Ensemble kaum anzugleichen. Auch in seiner Erscheinung ist er mehr ein kämpfender und sterbender Held als der hier verlangte Tannhäuser: ganz der „Unglücksel’ge, den gefangen ein furchtbar mächt’ger Zauber hält“, der von innen heraus brennende und glühende, der faustische Tannhäuser. Gewiß, Herr Beirer hatte Momente, wo das zum Ausdruck kam: beim Sängerkrieg kurz vor „Dir töne Lob“, im dritten Akt noch am geschlossensten und besten, auch noch beim Eindringen in den Venusberg. Man sieht daraus, daß der Sänger sehr wohl wußte, was Karajan wollte, es verstanden hat, aber es doch nicht voll auszudrücken vermochte. Zur einheitlichen Leistung genügte das nicht, und das „freie“ Singen störte erheblich die sonstige musikalische Präzision. Dafür muß dem Chor an dieser Stelle ein ganz großes Lob ausgesprochen und Meister Wilhelm Pitz ein dreifaches Hoch zugerufen werden. Was hier von ihm an feinen Nuancen und Schattierungen herausgeholt wurde, war bewundernswert und geradezu faszinierend in der Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Regie, wodurch Akustik und Optik zu einer Einheit gelangten, der Bayreuthglanz anhaftete. Die übrigen Solisten (Waldemar Kmentt, Ludwig Welter, Kurt Equiluz und Tugomir Franc) fügten sich dem hohen Niveau ein. Gundula Janowitz’ taufrische Stimme bereitete helle Freude, und Dank verdienen der Bühnenbildner Heinrich Wendel und der Choreograph Erich Walter, aber auch die Helfer und dienstbaren Geister des Regisseurs, die wahren Künstler der Technik und Beleuchtung!

 

ANDREA CHÉNIER am 9. Jänner

Oliviero de Fabritiis dirigierte diesmal einen flotten, energischen Chénier ohne Sentiment, zu dem das Stück verleiten mag. Da ihm durchwegs gute Sänger zur Verfügung standen, verlief die Aufführung recht anregend. Gabriella Tucci ist eine raffinierte Sängerin, doch nicht in gleichem Maß auch Künstlerin. Sie setzt ihre gut geschulte, im Timbre nicht sehr interessante Stimme richtig ein und ist optisch eine sehr gute Madeleine. Darstellerisch beschränkt sie sich auf bewährte Operngesten. Carlo Bergonzi sang den Chénier mit einem Maximum an Stimmschönheit und Phrasierungskunst. Leider passierte ihm das Malheur, daß ihm ausgerechnet das Schluß-C abriß. Traurig, da er doch den ganzen Abend lang so gut gesungen hatte, daß man ganz darauf vergaß, ihn als Darsteller unglaubwürdig, das soll heißen, zu temperamentlos zu finden. (Nach Usunow ist es allerdings schwierig, den Chénier zu spielen.) Ettore Bastianini hatte einen prächtigen Abend. Die Stimme klang schön, wie in seinen besten Zeiten, aber natürlich wesentlich voluminöser und außerdem war er blendend bei Höhe. Unter den Comprimarii ragten Elisabeth Höngen und Alfred Poell hervor, die ihre kleinen Aufgaben mit Dignität ausfüllten. Überraschend gut war auch Rudolf Knoll als Roucher, (was bei den sonstigen Besetzungen dieses Parts allerdings keine Kunst ist).

DER ROSENKAVALIER am 10. Jänner

Abermals mußten wir eine der leider schon üblichen saft- und kraftlosen Reprisen über uns ergehen lassen. Von Hans Swarowsky wurde das Orchester hastig und ohne Spannungsmomente, stellenweise gerade noch das Ärgste vermeidend, geführt. Der ganze Zauber der Strauss’schen Stimmung ging dabei verloren, und blieb bestenfalls noch Andeutung. In der Rollenbesetzung wurden ebenfalls viele Wünsche nicht erfüllt. Marschallin Hilde Zadek und Lerchenauer Kurt Böhme konnten uns nichts Besonderes bieten. An Stelle der erkrankten Jurinac sang Regina Sarfaty, eine Sängerin, die über eine schöne Mittellage und Tiefe verfügt, deren Höhe aber sichere Modulation vermissen läßt. Zwei Lichtblicke des Abends: Wilma Lipp als Sophie und Erich Kunz als Faninal.

TANNHÄUSER am 11. Jänner

Herbert von Karajan mag selbst anderer Meinung sein, aber er ist uns als „kämpfender“ Repertoiredirigent fast lieber, denn als Leiter lang geprobter und sorgsam vorbereiteter Fast-noch-Premieren. Hier ist sein Konzept beinahe zu streng, sein Festhalten am Gesamtkunstwerk fast zu konsequent, speziell im Falle des Zwischenwerkes Tannhäuser. Denn neben traumhaft aufgelockerten Chorszenen, die wir wirklich noch nie in solcher Schönheit gehört haben, finden wir die spontane, jugendliche Romantik des Werkes speziell im Falle des Finales im ersten Akt, etwas vernachlässigt. Karajan hat wohl nicht nur aus Vergnügen einen fröhlichen Jagdzug auf die Bühne gestellt, sondern zur Betonung der noch naiven Romantik dieser Szenen, die musikalisch viele Beiklänge von Lortzing und Meyerbeer haben. Bei der Premiere und der ersten Reprise zumindest, hat er hier musikalisch nicht ganz dasselbe getan, wie auf der Bühne. Aber überraschenderweise hat er – wie die Erfahrung lehrt – oft im Repertoire das erreicht, was ihm bei der Premiere nicht gelang. (Siehe Walküre I. Akt, Fidelio!) Wir warten also begierig auf den nächsten Tannhäuser. (Hoffentlich ist der große Meister bis dahin nicht von seinen sogenannten Helfern schon kalt abgeschossen). Die Besetzung war fast die gleiche wie bei der Premiere. Gré Brouwenstijn sang ihre ernste, keusche, gotische Elisabeth, nicht mit ebensolchem Erfolg von Grace Hoffman als Venus kontrapunktiert. Die intelligente Charakterstimme Frau Hoffmans entbehrt des sinnlichen Timbres und hat überdies gewisse Schwierigkeiten mit der Höhe. Hans Beirer war stimmlich etwas unsicherer, als bei der Premiere. Über etwas anderes als seinen schweren Heldentenor ist bei ihm kaum zu berichten. Eberhard Wächter war wie immer ein edler und ernster Wolfram, Gottlob Frick ein stimmgewaltiger Landgraf. Die Herren Ludwig Welter (hoffentlich erläßt ihm Karajan Einiges von der übertriebenen Gestik), Waldemar Kmentt, Kurt Equiluz und Tugomir Franc fügten sich ein. Gundula Janowitz, der stimmgewaltige Hirte, wäre wohl imstande, eine jubelnde Hallenarie zu singen.

LA BOHEME am 12. Jänner

Der Lückenbüßer wurde an diesem Abend zum Glücksfall, denn die Aufführung stand vom ersten Takt an unter dem Motto „allegro con brio“, und es wurde mit viel Seele gespielt und gesungen. Dankbar gedenkt man einer stimmungsvollen Vorstellung, die derzeit leider Seltenheitswert besitzt. Der Hauptgrund dafür war wohl, daß die Stimmen der Sänger dem Timbre und der Kultur nach hervorragend zu einander paßten und sich in ihrem Zusammenklang eine selten gehörte Harmonie ergab, und daß sich alle Mitwirkenden in blendender Spiellaune befanden. Selbst für den Stammbesucher gab es neue Pointen zu verwundern – und das will viel heißen. Menschen, wie du und ich, standen da auf der Bühne und zwangen das Publikum förmlich, mit ihnen mitzuleben. Der Rodolfo ist eine der besten Rollen Carlo Bergonzis: ein schwärmerischer Dichter, der besondere Freude an den kleinen Dingen des Lebens zeigt, bei dem gerade geringe Ursachen große Wirkungen hervorrufen. Wie versteht es dieser Künstler doch, mit einer einzigen Phrase, einem kaum erfühlbaren Zurücknehmen oder Steigern der Stimme Rodolfos Gefühle weit besser auszudrücken als es mit großer Gestik möglich wäre. Man denke nur an den 3. Akt oder das Duett mit Marcello: hier wurde ein Höchstmaß an Perfektion und Luxusqualität von beiden Künstlern erreicht. Bergonzis weicher, schmiegsamer Tenor fühlte sich in jeder Stimmlage gleich wohl und erhob sich mühelos zu den hohen Tönen. Ein Finale des Liebesduettes von solcher Reinheit haben wir in letzter Zeit nicht gehört. Schade, daß das diesmalige Gastspiel des Tenors nur von so kurzer Dauer war. Seine Mimi, die ihm nicht nur an der erwähnten Stelle glänzend zur Seite stand, war Hilde Güden. Es ist fast überflüssig zu sagen, daß sie makellos sang und ihre eigene Auffassung der kleinen Pariserin treffend spielte. Sympathisch im Auftreten, immer zu Späßen und kleineren Neckereien bereit, zudem stimmlich prächtig in Form, Ettore Bastianini als Marcello. In der Rolle der Musetta jederzeit am Platz Lotte Rysanek, die darstellerisch und stimmlich nie in Verlegenheit kam. Ludwig Welter und Hans Braun ergänzten das Quartett der Mansardenbewohner. Die Zuschauer bejubelten lange und begeistert dieses Fest schöner Stimmen, dessen schöne Weisen auch von Maestro Oliviero de Fabritiis nicht verdorben wurden. Seine Vorliebe für Lautstärke und Dehnen der Tempi war diesmal weniger zu merken.

DIE ZAUBERFLÖTE am 12. Jänner im Theater an der Wien

Auch diese Aufführung leitete Lovro von Matacic. Ebenso war an diesem Abend Erich Kunz, dessen Papageno noch immer ein Kabinettstück ist, der Fels in der Brandung. Die Papagena dieses Abends war Adriana Martino, deren Sprechstellen teilweise in unverständlichem Kauderwelsch untergingen. Gottlob Frick – der Sänger befindet sich derzeit in Glanzform – erfreute des Besuchers Ohr, mit seinem gegenwärtig unerreichten Sarastro. Daß während der „Heiligen Hallen“ sich der Zwischenvorhang senkte und der Baß seine Arie zu Ende singen muß, während das Gehämmer und Poltern des Umbaues ihm sekundiert, gehört mit dem Bannfluch belegt. Und wenn einige Priester bei Isis und Osiris müde herumsitzen, ist dies ein Lapsus des Regisseurs, der unbegreiflich anmutet. Wilma Lipp schien an einer Erkältung zu leiden. Die Stimme war hörbar belegt, doch hielt sich die Sängerin tapfer, was ihrer tadellosen Technik zu verdanken ist. Der Tamino Anton Dermotas wäre wesentlich besser über die Runden gekommen, wenn er vom Forcieren Abstand genommen hätte, das ihn in chronische Intonationsschwierigkeiten brachte. Er legte stellenweise los, als müßt er zum Othello-Esultate antreten. An diesem Abend blieben eine ganze Reihe von Karteninteressenten ohne Billett vor der Tür.

DIE WALKÜRE am 13. Jänner

Die erste Walküre der Saison, gute Besetzung, mit vollem Einsatz singende Solisten, Wiens Meisterorchester in Geberlaune und ein Dirigent, der die Aufführung zu Glanz zu bringen wußte. Der Wagnerfreund fühlte sich geradezu nach Walhall versetzt, und als ob Wotans Tochter ihm selbst traulich den Trank reiche. Kein Wunder, nach der permanenten Aushungerung, der er lange Wochen zuvor unterworfen wurde. Zudem waren an diesem Abend zwei schwere Wangerstimmen zu hören, die an den Reichtum dieser Art, der nun schon einer vergangenen Epoche angehört, gemahnten. Die neu engagierte Anita Välkki zog gerade wegen dieses Engagements das Interesse besonders auf sich. Nun, sie mutet zunächst an, als stehe die junge Konetzni oben auf der Bühne. Ihr Material ist dementsprechend. Außerdem verfügt die Stimme über ein apartes Timbre. Musikalisch ist die Sängerin sicher. Nervosität war ihr nur bei den ersten Hojotoho-Rufen anzumerken. Bemüht hat sie sich sehr. Ein gutes Niveau verstand sie zu halten. Grund zur Freude für Wien bedeutet das alles nur dann, wenn sich an unserem Haus nun jemand dieser Begabung annimmt. Frau Välkki muß arbeiten und wieder arbeiten. Sie hat aus diesem Grunde einen Elevenvertrag. Zumindest sagte man uns dies anläßlich einer Pressekonferenz. Sie muß Diktion und Phrasierung lernen. Dann werden wir endlich wieder eine hauseigene Brünnhilde zu haben. Wird jemand dies tun? Oder wird Anita Välkki verheizt werden? Bitten wir den Himmel, daß wir einen guten Anfang zu gutem Ende führen können! Hans Beirer als Siegmund bot eine sehr gute Leistung, schöne Wälserufe, guter Rollenaufbau, und dieser schwere Held liegt ihm auch darstellerisch um vieles besser als der Tannhäuser. Er bereitete uns diesmal wirklich Freude. Gré Brouwenstijn war Sieglinde. Bewundernswert an dieser Sängerin ist ihre Intensität, ihr Geschmack, ihr Stilgefühl und die Sicherheit, mit der sie ihre Stärke dort ins Gewicht wirft, wo die Schwächen zu kaschieren sind. Sie sang und stellte eine gute Sieglinde dar, optisch vollendet, darstellerisch rührend, gesanglich stark im Ausdruck, schlicht und manchmal verhalten, doch gab sie stets alles, was sie geben konnte. Was wir bei Frau Brouwenstijns Hallenarie vermißten, vermißten wir auch diesmal bei ihrem „hehrsten Wunder“. Aber hier konnte – vielleicht mit Ausnahme der sich in Hochform befindlichen Rysanek – noch niemand mit der Erinnerung an Hilde Konetzni konkurrieren. Ausgezeichnet war Gottlob Frick als Hunding. Großartig disponiert war Otto Wiener – vielleicht von der allgemein festlichen Stimmung betont inspiriert – besonders intensiv in jeder Phase um die Gestaltung des Göttervaters bemüht. Daß Wiener einer der ehrlichsten Sänger ist, die wir zur Zeit haben, ist bekannt. Kein Schwindler, kein Sparer – und das kann nicht oft genug betont und muß ihm stets von Neuem hoch angerechnet werden. Man könnte ihm endlich einmal einen kompletten Ring anvertrauen. Hilde Rössel-Majdan als Fricka sang korrekt. Die Interpretation der Walküre durch Lovro von Matacic ist großer Wagner. Gekonnt in der dramatischen Steigerung, mit dem gewissen Gespür für den Atem des Werkes, dem die Gestaltung aus dem Gefühl heraus mit dieser besonderen Betonung von Rhythmus und Temperament, die für diesen Dirigenten typisch ist, zugute kommt. Der Kontakt Philharmoniker und musikalischer Leiter, die dieses Werk zum ersten Mal zusammen musizierten, war untadelig. Das spricht für das Orchester und den Mann am Pult, wenn man bedenkt, daß es keine Orchesterprobe gab. Trotzdem werden wir nicht aufhören, für Orchesterproben zu plädieren, denn man sollte nicht in der Direktion jetzt aufatmend feststellen, es gehe auch so. Wenn es schief geht, dann bringt das zwar den Dirigenten nicht um, aber veranlaßt ihn wahrscheinlich, unter gleichen Bedingungen hier nicht mehr zu dirigieren. Das haben wir nun schon zur Genüge erlebt (traurigstes Beispiel: André Cluytens) – und wir können es uns nicht leisten, weiter so leichtsinnig zu verfahren!

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 14. Jänner

Wieder einmal erwies sich, wie sehr das Gelingen einer Hochzeit auf dem Schloß des Grafen Almaviva von der jeweiligen Abendverfassung der Sänger und von ihrer Spiellaune abhängt. An diesem Abend war es damit bestens bestellt. Was Wilhelm Loibner zu einem Mozartdirigenten von Format fehlt, ist einerseits der nötige Schwung in der musikalischen Begleitung und andererseits das fest umrissene Konzept. Die Solisten haben ihren Mozart im kleinen Finger und dominierten eindeutig. Walter Berry bleibt trotz Evans und Capecchi vorläufig der beste Figaro, vor allem, was das Singen angeht. Schade, daß er sich schon für zu erwachsen für die Partie hält. Hilde Güden war als Susanne stets im Bilde, wenn auch nicht stets im Gleichschritt mit der Musik. Sena Jurinac als Gräfin verhalf dem Briefduett mit Frau Güden zu einem Höhepunkt des Abends. Beide Stimmen schmelzen zu vollstem Einklang zusammen. Im übrigen verzeichnete Sena Jurinac in ihrer stets schwachen (weil zu hohen) zweiten Arie einen bösen Ausstieg. In der Darstellung gab sie der Frau den Vorrang vor der „blaublütigen“ Gräfin. Eberhard Wächter als Graf outrierte einige Male im Spiel. Gesanglich blieb er ohne Tadel. Olivera Miljakovic bezauberte als Cherubino durch ihr blendendes Aussehen und eine ausgeglichene, höchst musikalisch geführte, wenn auch kleine Stimme, zu der sich eine temperamentvolle Darstellung gesellte. In den Nebenrollen standen bewährte Mozart-Interpreten: Elisabeth Höngen, Oskar Czerwenka und Murray Dickie zur Verfügung. Alles in allem ein erfrischender Abend.

ELEKTRA am 15. Jänner

Auf der Suche nach einem Hausdirigenten ist die Wiener Staatsoper schon lang. Hans Gierster (Freiburg) wurde diesmal zu einem Informationsgastspiel eingeladen. So weit, so gut. Wozu jedoch das Ganze, wenn man diesen Mann ohne jede Probe in eine Elektra hineinwirft. Glaubt man wirklich, daß in Freiburg die musikalischen Kalanags beheimatet sind? Zauberer aber müßte jeder Neuling sein, der hier bestehen sollte. Herr Gierster kam nachher ganz aufgelöst an Leib und Seele aus dem Orchesterraum. Daß er über die Distanz gelangte, ist sicher nicht das Verdienst des Besetzungsbüros. Wenn es dort um die eigene Haut geht, ist man wesentlich vorsichtiger und hat nicht halb so viel Courage. Das Orchester spielte lange Zeit erschreckend teilnahmslos, erwachte aber im Finale aus seiner Lethargie, so daß man die wahren Qualitäten dieses Klangkörpers wenigstens erahnen konnte. Auf der Bühne boten Christl Goltz als Elektra und Hilde Zadek als Chrysothemis schlechte Leistungen. Da auch Elisabeth Höngen (Klytämnestra) einen schwachen Abend hatte, blieb es den Herren allein überlassen, den guten Ruf der Wiener Staatsoper zu wahren. Hermann Uhde (Orest) und Gerhard Stolze (Aegisth) boten das von ihnen erwartete gute Niveau.

DON GIOVANNI am 16. Jänner

Über diese Inszenierung gehört jetzt bereits das Schild: „Eintritt verboten“ ausgehängt. War sie ja nie als gelungen zu bezeichnen, so ist sie jetzt bereits unmöglich. Man sah oft und gern über alles Schlechte hinweg, wenn ein sehr guter Dirigent am Pult erschien und alle Rollen gut besetzt waren. Kommt aber einer, der es nicht versteht, die Sänger und das Orchester zu guten Leistungen anzuspornen, so sieht man alles Schwarze tiefschwarz. Es ist allerhöchste Zeit, daß dieses Juwel der Opernliteratur neuinszeniert wird. Auf der Bühne gab es unterschiedliche Leistungen. Eberhard Wächter hatte leider einen schwachen Abend. Jedoch der gut gesungene und gestaltete Schluß versöhnte uns wieder mit ihm. Es wird Zeit, daß Wächter am Ring nicht nur immer in denselben Partien eingesetzt wird, sondern mehr in verschiedenen Rollen seines Repertoires, dem noch eine Menge kleiner und großer Aufgaben (beispielsweise der Onegin, der Capriccio-Graf, der Musiklehrer und der Mandryka) hinzuzufügen wären. Die „Tändeleien“ an der Volksoper würden damit von selbst ihr Ende finden. Leporello war Walter Berry, gut bei Stimme und bemüht, die flaue Stimmung etwas aufzulockern, was ihm teilweise auch gelang. Gerda Scheyrer als Donna Anna hatte einen guten Abend, doch anscheinend keine Freude daran, für die abermals absagende Jurinac einspringen zu müssen. Die zweite Arie blieb unverständlicher Weise aus. Warum wohl? Man hat Grund annehmen zu können, deshalb, weil die erste Arie nicht mit Beifall quittiert wurde. Wo sind wir denn eigentlich? Mimi Coertse als Elvira war besser als gewohnt. Man hatte fast den Eindruck, sie hätte an dieser Partie gearbeitet. Adriana Martino als Zerlina sah aus, als ob sie mit ihrem Bruder zur Erstkommunion gehen wolle und blieb stimmlich ebenso farblos. Kostas Paskalis hat mit dem Masetto wenig Freude. Hier wäre eine Umbesetzung notwendig. Waldemar Kmentt bemühte sich um den Ottavio. Frederick Guthrie war ein annehmbarer Komtur. Das Orchester unter Wilhelm Loibner spielte lustlos, und es gab einige Unstimmigkeiten. Einen Mozartdirigenten von Spitzenformat hätte die Wiener Oper sehr nötig.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 17. Jänner

Licht- und Schattenseiten prallen selten so kraß aufeinander, wie an diesem Abend.

Zunächst glaubte man noch einer tödlich langweiligen Cavalleria einen unnützen Abend in der Wiener Oper absolviert zu haben. Gertrude Grob-Prandl als Santuzza schritt grimmigen Blicks über die Bühne und präsentierte ihre Stimme in voller Lautstärke, wobei sie ihren Partner Giuseppe Zampieri akustisch vollends wegwischte. Armer Turiddu! Wo sind die Zeiten, da man mit Freude die Fortschritte des Tenors beobachtete. Heute ist man froh, daß er einige Stellen (Abschied von der Mutter) annähernd so sang, wie damals. Kostas Paskalis wetteiferte im Racheduett an Lautstärke mit Frau Grob-Prandl. Gundula Janowitz und Georgine Milinkovic ergänzten das Ensemble, umgeben von einem Chor, der mit den Einsätzen nicht zurecht kam. Oliviero de Fabritiis dirigierte ein Intermezzo, bei dem der Hörer sich der Versuchung einzunicken, nur mit Mühe erwehren konnte.

Aus diesem Dämmerzustand wurde man durch den nachfolgenden Bajazzo aufgescheucht. Mit einem prachtvollen Prolog von Ettore Bastianini kam der Umschwung. Man traute kaum seinen Ohren und Augen. War das dasselbe Orchester, der gleiche Dirigent, der plötzlich Sinn für dramatische Effekte bekommen hatte. War das das gleiche Institut, in dem man zuerst einen provinziellen Mascagni-Einakter hörte? Plötzlich war der Funke da, und die Künstler gingen aus ihrer Reserve. Es machte ihnen Freude und so kam eine Aufführung zustande, die das Publikum in Wallung brachte und es auch zu Jubelstürmen hinriß. Gott sei Dank, daß es so etwas gibt, denn zuweilen bildeten wir uns selbst schon ein, einem Opernsnobismus zu verfallen. James McCracken begeisterte in der Titelrolle. Seine schwere heldische Stimme klang ausgeruht. Die Spitzentöne wurden souverän und mit voller Kraft gesungen. Wilma Lipp als Nedda befand sich in Prachtform und bot eine schauspielerische Leistung, die ihresgleichen sucht. Ettore Bastianini spielte als Tonio einen vom Alkohol zerstörten Menschen. Er sprang auf der Bühne gewollt lustig herum, charakterisierte jedoch durch die Stimme die Gefährlichkeit dieses Gauklers. Kostas Paskalis und Ermanno Lorenzi gaben ebenfalls in ihren Rollen dem Theater, was des Theaters ist. Der Dank für ihren Einsatz äußerte sich in lebhafter Zustimmung des Auditoriums, welches keineswegs das Haus am Ring besucht, um Sensationen nachzujagen, wie man dies so oft vorwurfsvoll zu hören bekommt!

DER WILDSCHÜTZ am 18. Jänner

In dieser, aus dem Jugendabonnement genommenen und dem normalen Abonnement vorgeworfenen Vorstellung (Oh Planung!) konnte man im Zuschauerraum den Herrn Bundespräsidenten und prominente Mitglieder des Corps diplomatique bemerken. Was sich diese wohl dachten? Der Gastdirigent Hans Gierster hatte den Abend in der Hand, arbeitete heftig und relativ erfolgreich. Warum man allerdings ausgerechnet den Wildschütz zum Ausprobieren ansetzt, ist uns unerfindlich. Erstens wird dieses Genre in der Wiener Oper logischerweise kaum gepflegt (warum auch?) und zweitens kann man nach diesem Stück kaum ruhigen Gewissens ein Urteil über einen Dirigenten abgeben. Dazu ist er wohl doch zu wenig anspruchsvoll. Auf der Bühne stand ein Ensemble von ihren Rollen entwachsenen Sängern. Unter diesen war Waldemar Kmentt trotz alledem stimmlich der Beste. (Dennoch sollte er eher den Lohengrin singen, als den Baron Kronthal). Gespielt hat er ja immer nett. Irmgard Seefried ist schon fast ein tragischer Fall. Noch immer vorhandenes, reizvolles Timbre in der Mittellage, große Gesangskunst, echtes Bühnentemperament! Und wie entwachsen ist sie dieser Baronin Freimann, die eher eine Partie für Frau Rothenberger wäre! (Die Höhe klang, wie nicht anders zu erwarten, scharf und das obligate Überspielen war nicht zu übersehen). Liselotte Maikl ist schon eine ausgewachsene Grete, kein Gretchen mehr. Überdies fiel auf, daß sie im Vergleich zu Renate Holm über sehr wenig Mittellage verfügt. Hans Brauns „Heldentenorgestalt“ endlich steht nicht im Einklang mit seiner leider kraftlosen Baritonstimme. Annemarie Ludwig spielte eine unauffällige Gräfin. Mit Freude registrierte man das Wiedererscheinen des lang erkrankten Peter Klein, das hoffen läßt, daß die Majkut-Festwochen der Wiener Staatsoper endlich ein Ende haben. Und die Titelrolle? Wie nicht anders zu erwarten, Karl Dönch, im ersten Akt noch sehr um sauberes Singen bemüht. Bei der Arie jedoch ging er durch und war nicht mehr zu halten. Das heißt: wilde Outrage im Spiel, Schreien statt Singen. Daß er bei der Stelle: „…ich war ein hochberühmter Mann“ gleich alle beiden Schuhe auszog und damit auf den Tisch hieb, spricht Bände. Da sind hochberühmtere Männer bisher nur mit einem ausgekommen!

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 19. Jänner

Der Name Hans Hotter sorgte für ein volles Haus und ausverkaufte Stehplätze (was ja neuerdings schon die Ausnahme bildet). Hotters Zeichnung des unstet auf den Weltmeeren umhergetriebenen Mannes, hünenhaft aus der Finsternis emportauchend, in nachtschwarzes Gewand gehüllt und mit bleicher, in Selbstverzweiflung sich ergehender Miene, schlägt die Zuschauer nach wie vor in Bann. Neben Hotter nehmen sich die anderen Personen auf der Bühne nur wie unwirkliche Schemen aus, die seinen Leidens- und Erlösungsweg mit Staunen und Schrecken verfolgen. Nach einem stimmlich etwas überforderten Auftritt war er im zweiten Akt grandios. Das Duett mit Senta bewies wieder die einmalige Persönlichkeit dieses Wagnerheroen. Gré Brouwenstijn konnte ebenfalls im Duett am besten gefallen, auch wenn ihr der Jubel in der Stimme nun einmal leider abgeht. In der Ballade störten einige scharfe Höhen und eine unsichere Gesangslinie den Gesamteindruck. Wahrscheinlich könnte die Künstlerin diese in letzter Zeit schon öfter registrierten Schärfen in der oberen Mittellage weitgehend kaschieren, wenn sie ihre Stimme bei den exponierten Stellen ein wenig mehr zurücknehmen würde. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ diesmal Eugene Tobin als Erik, der mit viel Einsatz und einer sauberen Stimmführung die Partie meisterte. Auch Elisabeth Höngen und Karl Terkal hielten Staatsopernniveau. Der einzige, Wermutstropfen in dieser von Heinz Wallberg mit raschen Tempi und etwas knalliger Dynamik geleiteten Aufführung bildete Oskar Czerwenka (Daland). Natürlich ist es eine undankbare Aufgabe, einem Frick nachsingen zu müssen, aber Czerwenkas norwegischer Seefahrer hatte kaum Profil in der Darstellung und kein Mark in der Tiefe aufzuweisen. Er mutete eher wie ein Leichtmatrose im Fährverkehr von Fjord zu Fjord als ein in Wind und Wetter erprobter Nordlandkapitän an.

CAPRICCIO am 20. Jänner

Strauss’ Alterswerk endlich, nach fast siebenmonatiger Unterbrechung, wieder am Spielplan, noch dazu mit der Schwarzkopf, da freute sich der Straussliebhaber – leider allzu früh, denn Elisabeth Schwarzkopf mußte infolge Erkrankung absagen, und um wenigstens Capriccio am Spielplan halten zu können, suchte man nach einer Ersatzsängerin, die dann nach Absagen der Damen Grümmer und Bjoner, die nicht verfügbar waren, in Person von Clara Ebers auf der Bühne stand. Wir erinnern uns, die Sängerin vor rund zwanzig Jahren als Königin der Nacht gehört zu haben, und sind ihr dankbar, daß sie durch ihr Einspringen den Abend rettete. Bewundernswert sind ihre ausgezeichnete Technik und ihr bemühter Einsatz um Richard Strauss. Die Aufführung war das typische Musterbeispiel dafür, daß Richard Strauss schwer zu interpretieren ist und das Niveau von Strauss-Aufführungen in gleichem Maß von einem erstklassigen Dirigenten und einer gleichwertigen Schar von Sängern abhängig ist. Diesmal überwogen abermals die Schattenseiten, denn was Hermann Uhde als Graf stimmlich hören ließ, war beinahe skandalös und für die Wiener Oper untragbar, dazu ein italienisches Sängerpaar in Gestalt von Ermanno Lorenzi und Rita Streich, das kaum einmal die richtige Tonhöhe fand. Christl Goltz als Clairon ließ sich als indisponiert entschuldigen, obwohl sie nicht anders war als sonst. Besonders das Dienerensemble führte uns mit Eindringlichkeit vor Augen und Ohren, wie notwendig es ist, diese Partien endlich mit Nachwuchs zu besetzen. Alois Pernerstorfer war der schwache Haushofmeister, Peter Klein bemühte sich um den Souffleur. Wirkliches Staatsopernformat, wie wir es uns vorstellen, hatten an diesem Abend nur drei Sänger: Walter Berry der prachtvolle Olivier, der seit der Premiere im Jahre 1961, wie man jetzt immer deutlicher merkt, weit dramatischer geworden ist. Sein Olivier weist schon sehr deutlich auf den Gerard hin, den er ohne Zweifel einmal singen wird. Otto Wiener gab den La Roche. Gesanglich war er souverän, setzte seine Stimmittel voll ein und ließ nichts unter den Tisch fallen, wie es gerne andere Sänger dieser Partie tun. Schauspielerisch war er gewandt und voll feinen Humors. Anton Dermota schließlich hatte einen guten Abend. Schade daß er beim Sonett so forciert und auch schauspielerisch blaß bleibt. Robert Heger (statt der vorher genannten Pretre und Swarowsky) am Pult, brachte die Aufführung gut über die Distanz. Er begann sehr gut, wurde aber zusehends matter. So wurde das Ganze nicht mehr als passabel. Noch dazu, da das Orchester weit unter seiner Premierenform unter Böhm spielte.

RIGOLETTO am 21. Jänner

Schwer enttäuscht verließ jeder, der Bastianini, Zampieri und die Güden für die Garanten einer guten italienischen Vorstellung hielt, an diesem Abend das Haus. Viele gingen schon in der Pause. Sie hatten die mit Abstand beste Leistung versäumt. Margarita Lilowa sang zum ersten Mal die Maddalena. Die junge, blendend aussehende Altistin erfüllte alle Wünsche, die man an diese Partie stellen kann. Sie wird uns, vorausgesetzt, daß sie nicht vorzeitig in falschen Partien eingesetzt wird, bestimmt noch viele schöne Abende bereiten. Ettore Bastianini sang die Titelpartie, und er war die zweifellos größte Enttäuschung. Erschütternd seine Intonationsunsicherheit, besonders in den Pianostellen, was sehr oft zum ausgesprochenen Falschsingen führte. Beim „Cortigiani, vil razza dannata“ fehlte es ihm am nötigen Stimmvolumen. Die Höhen wurden ungemein forciert und unter Aufbietung aller stimmlichen Reserven gesungen. Der Herzog gehörte nie zu Giuseppe Zampieris besten Partien. Diesmal hatte er jedoch merkliche Schwierigkeiten in der Höhe. Am besten geriet noch das Duett des zweiten Aktes, obwohl er auch hier den Schlußton Hilde Güden allein singen ließ. Leider hatte auch sie nicht ihren besten Abend, sodaß die Koloraturen unsicher klangen und die Höhen oft sehr schrill waren. In den Nebenrollen hörte man Tugomir Franc als nicht immer ganz sauber singenden Sparafucile und Rudolf Knoll als unzulänglichen Monterone. Berislav Klobucar sorgte für einen präzisen Ablauf der Vorstellung. Daß es keine feurige italienische Aufführung wurde, war diesmal nicht seine Schuld. Als stimmkräftigster Mann des ersten Aktes erwies sich der Souffleur, der seine Aufgabe wohl etwas forcierte.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 22. Jänner

Nach langer Zeit standen wieder Wagners Meistersinger auf dem Spielplan. Diese Vorstellung hatte endlich einmal jenes Niveau, das wir von Aufführungen des deutschen Repertoires erwarteten. Ein Spielplan kann nicht nur aus Sensationen bestehen, doch wir wären sehr glücklich, wenn wir solche Abende öfter zu hören bekämen. Otto Wieners Leistung als Sachs wurde schon oft gewürdigt. Er sang den Riesenpart ohne die geringste Ermüdungserscheinung, sodaß auch seine Schlußansprache ungetrübte Freude bereitete. Bei Elisabeth Grümmer ist das Evchen in besten Händen. Sie ist das gut erzogene Mädchen, aus bester bürgerlicher Familie, das in seiner Liebe zu Walther einfach mitgerissen wird, ohne selbst ganz zu begreifen, was mit ihr geschieht. Mit nahezu kindlichem Lachen verfolgt sie die Szene zwischen Sachs und Beckmesser und es entstand im Zusammenwirken von Spiel und Gesang, der nur durch einige Schärfen in der Höhe etwas getrübt wurde, eine Idealgestalt. Walter Geisler ist trotz der Schwierigkeiten, die ihm seine Höhe öfter bereitet, für das Zustandekommen der Aufführung zu bedanken. Walter Kreppel sang einen eindrucksvollen Pogner. Seine Stimme hatte er diesmal vollkommen unter Kontrolle. Murray Dickie jedoch hatte im ersten Akt mit der Höhe einige Schwierigkeiten. Sie geriet zumeist etwas steif. Mag sein, daß Karl Dönch mit seinem Beckmesser an der Met Triumphe feiert, in Wien wäre jedoch etwas mehr Bemühen um eine richtige Zeichnung Beckmessers, anstelle der oftmaligen Übertreibungen, am Platz. Elisabeth Höngen trübte das Quintett etwas. Ein guter Nachtwächter war Tugomir Franc. Rudolf Knoll als Kothner hatte mit der Tabulatur seine liebe Not. In dieser Partie könnte Wien eine Idealbesetzung haben, doch leider interessiert sich jener Sänger mehr für die Operettenprinzen, als für Nürnbergs Bäckermeister. Heinz Wallberg hatte das Orchester stets fest in der Hand. Für die diversen Hörnerschmisse ist er kaum verantwortlich zu machen. Die Festwiese gelang ihm auch diesmal am Besten und war vom Orchester her der absolute Höhepunkt des Abends. Im Ganzen gesehen eine gute Vorstellung, mit viel Beifall.

OTHELLO am 23. Jänner

Die Aufführung wirkte wie ein Wechselbad, mal heiß, mal kalt. Auf dem Programm steht der Name Karajan leider nur unter der Rubrik Inszenierung. Wann wird uns endlich wieder die Ehre zuteil, einen Othello unter dem Chef des Hauses zu hören? Heinz Wallberg nahm die Orchesterpassagen für einen Verdi zu hart, zu knallig und dazu oft auch zu laut, wobei ihm zugute zu halten ist, daß er eine sehr präzise Schlagtechnik besitzt. Aber Lautstärke ist nicht gleich Dynamik. Gerade ein Verdi darf rhythmisch nicht zu eckig angepackt werden, sonst fliegen die Späne. Während Herr Wallberg im ersten und bis zur Mitte des zweiten Aktes zufrieden stellend war, begann er dann plötzlich aus unerfindlichen Gründen, die Tempi zu verschleppen. Bester Mann auf Zypern war, wenn auch an diesem Abend nur relativ, Aldo Protti, gut bei Stimme und mit gewohntem Können bei der Sache. Dagegen wollte es mit dem Tonansatz nicht klappen, und wenn ein so stimmgewaltiger Bariton einmal aussteigt, dann aber gleich weithin hörbar. James McCracken konnte nicht so viel Stimmglanz in der Höhe aufweisen wie im vorigen Winter. Vielleicht ist er mittlerweile schon zwischen die Mühlsteine des Managements geraten und wird für harte Dollars verheizt. Leider gibt es derzeit außer ihm nur noch zwei Othellos von internationaler Klasse auf der Welt. Mario Del Monaco und Dimiter Usunow. McCracken also mußte zu stark um eine saubere Phrasierung kämpfen, abgesehen davon, daß er derzeit physisch die Partie nur mühsam durchsteht. In der Mittellage und Tiefe wirkte die Stimme stumpf, trocken und halsig. Hoffentlich wird das Wellental bald überwunden! Für die absagende Jurinac gastierte Maria van Dongen aus Zürich, die in der vorigen Spielzeit schon hier zu hören war. Wir konzedieren ihr gern eine ausgezeichnete Schulung der Stimme, die aber leider keinerlei persönliche Ausstrahlung besitzt und zudem zu breit und offen geführt wird und deshalb in der Höhe scharf klingt. Weidenlied und Ave Maria hinterließen trotz größten Bemühens der Sängerin keine tiefe Wirkung. Was hilft es, wenn die Töne brav und sauber aneinandergereiht werden, aber die große Linie fehlt. Darstellerisch kam sie einfach nicht über die Rampe. Es sprang kein Funke über. Sie schien neben der Partie zu stehen und vermochte es nicht, ihr wirklich Leben einzuhauchen. Dabei konnte sich der Zuschauer wiederholt davon überzeugen, daß Frau Dongen mit Intensität bei der Sache war. Anton Dermota sang den Cassio mit wenig Stimme und konnte darstellerisch den ‚Beau’ noch weniger glaubhaft machen. Ermanno Lorenzi (Rodrigo) und Alois Pernerstorfer (Lodovico) blieben unauffällig.

LA BOHEME am 24. Jänner

Eine neue Inszenierung sollen wir ja nächstes Jahr bekommen. Das wäre uns nicht so wichtig. Viel vordringlicher erscheint uns hingegen zu sein, daß eine neue Besetzung der Hauptpartien Publikumsinteresse hervorruft. Und das Allerwichtigste, daß endlich wieder ein Dirigent von großem Format sich Puccini annimmt. Von den Stammbesuchern war keiner im Haus, denn es gab nichts, was ihm besonderes Interesse hätte abgewinnen können. Ernst Märzendorfer leitete das Orchester zu solcher Lautstärke, daß die arme Mimi im Fortissimogesang sterben mußte, um gehört zu werden. Sicher beherrscht dieser Dirigent seinen Rhythmus, aber theoretisch wird man dieser Musik nicht gerecht. Wenn die Orchestermusiker nur drauflosspielen, ohne daß der Dirigent sich bemüht, Feinheiten herauszuholen, werden unpoetisch die Phrasen der Belcantooper hingeopfert. Auf der Bühne mußte sich Wilma Lipp, wie schon gesagt, übers Orchester hinwegkämpfen. Sie tat dies mit Geschmack und Können, strahlte allerdings für diese Rolle zu wenig Wärme aus. Giuseppe Zampieri klang müde und war ebenfalls durch die Lautstärke des Orchesters arg behindert. Kostas Paskalis lieh dem Marcel seine Fröhlichkeit und die Fülle seines gesunden Organs. Ludwig Welter blieb als Colline im Rahmen des Gebotenen und Hans Braun vervollständigte das Bohemien-Quartett. Viel hörte man auch von ihnen nicht. Mimi Coertse als Musetta imponierte mehr durch temperamentvolles Spiel als durch Gesang. Resümee der Aufführung: Mit Ach und Krach fünf Schlußvorhänge, womit jeder weitere Kommentar sich von selbst erübrigt.

DIE ZAUBERFLÖTE am 24. Jänner im Theater an der Wien

Elisabeth Grümmer war es, die an diesem Abend die Opernfans in die Wienzeile lockte. Auch diesmal waren die Karten im Nu verkauft und man konnte sich einer sehr guten Aufführung – mit zwei schwachen Besetzungen – erfreuen. Frau Grümmers Pamina ist eine Meisterleistung. Die Stimme klingt frisch und ausgeruht. Der Gesang ist edel und von großer Wärme erfüllt, das Spiel innig und verhalten, die Deklamation vorbildlich. So wurde ihre Arie und die Szene mit den drei Knaben (die ohnehin keine unserer anderen Sängerinnen in dieser Partie je so vollendet meisterte) zu einem Höhepunkt des Abends. Anton Dermota war der diesmal ausgezeichnet disponierte Tamino, der durch die akustischen Verhältnisse des Theaters an der Wien heldentenoral klang. Heinz Holecek sang den Papageno und zwar sehr ordentlich. Schauspielerisch muß er sich erst abschleifen, da wird manchmal zu viel des Guten getan, doch wird sich das sicher alles noch ins richtige Verhältnis bringen lassen. Seine bezaubernde Papagena war Olivera Miljakovic mit hübscher Stimme und sehr undeutlicher Aussprache begabt. Otto Wiener war der eindrucksvolle Sprecher und Peter Klein überragte als Monostatos die Premierenbesetzung um Klassen. Die drei Damen in Gestalt von Gerda Scheyrer, Margareta Sjöstedt und Georgine Milinkovic waren zufrieden stellend, während Erika Mechera als Königin der Nacht so ziemlich alle Wünsche offen ließ. Freilich holt man sich heutzutage sogar bei den Salzburger Festspielen für diese Partie die Koloratursängerin Roberta Peters von der Met! Aber etwas mehr gesangliche Brillanz und Musikalität kann der Wiener Opernbesucher immerhin erwarten, wenn man schon rein optisch bescheidene Ansprüche stellen muß. Walter Kreppel konnte als Sarastro nicht gefallen. Er forcierte derart, daß das Haus dröhnte. Schade um diese schöne Stimme, die zur Zeit sehr unökonomisch eingesetzt erscheint. Berislav Klobucar hatte die Aufführung ausgezeichnet im Griff. Das Orchester mit dem jungen Konzertmeister Pichler war ambitioniert, der Chor einsatzfreudig und so gab es eine sehr gute Aufnahme beim Publikum.

LA CENERENTOLA am 25. Jänner

Rossinis entzückende Oper stand nach längerer Pause wieder auf dem Spielplan. Unter Peter Ronnefelds schwungvoller und sehr sicherer musikalischer Leitung erlebten wir eine temperamentvolle Aufführung. Die Besetzung ist sei der Premiere – auf Günther Rennerts ausdrücklichen Wunsch hin – unverändert geblieben. (Das tut uns leid, wo jetzt endlich Fritz Wunderlich dem Haus zur Verfügung steht und wieder seine Abende, die uns so kostbar sind, entweder in der Redoutensaalschmiere, im teuren Theater an der Wien oder als Rosenkavalier-Sänger abbiegen soll – und sehr erfolgreich den Don Ramiro in München gesungen hat). Die Inszenierung hat kaum von ihrer Frische und Natürlichkeit verloren und alles läuft vortrefflich. Günther Rennert, der der Aufführung beiwohnte, konnte zufrieden sein. Christa Ludwig war wieder die entzückende Angelina, die mit ihren Schwestern und dem Papa viel Kummer hat. Man vergönnt diesem Aschenbrödel den sie erlösenden Prinzen von Herzen. Stimmlich haben wir Frau Ludwig schon besser gehört. Walter Berry war der ausgezeichnete Dandini. Die Stimme des Künstlers ist schwerer geworden. Sie drängt zu neuen Taten, allerdings müssen es die richtigen sein! Waldemar Kmentt, gut disponiert, hatte auch mit der Höhe keine Schwierigkeiten. Ludwig Welter als Fadenzieher des Stückes, verzeichnete einen guten Abend. Emmy Loose, Dagmar Hermann und Karl Dönch gaben das Ihre.

TOSCA am 26. Jänner

In dieser Aufführung hörten wir zwei Debütanten. Es stellten sich vor: Beverly Bowers aus USA als Pseudoprimadonna und Mario Zanasi als römischer Bösewicht aus Italien. 1: 0 stand es nach dem Fallen des Schlußvorhangs für Italien, um in der Sprache des Ressortministers zu sprechen. Beverly Bowers ist eine der typischen amerikanischen Sängerinnen, die das Rüstzeug in technischer Hinsicht beherrschen, aber doch niemals über den Durchschnitt hinauskommen. Dabei hat die Stimme dramatische Durchschlagskraft. Doch stundenlang sinniert man nach der Vorstellung, wie eigentlich die Stimme klang. Das Timbre, das Juwel der Stimme, löste sich in ein Nichts auf. Vielleicht war gar keines vorhanden. „Long is the way“ von Frau Bowers, um auf europäischen Großbühnen Fuß  fassen zu können. Darstellerisch bewegte sie sich wie eine amerikanische Kleinstädterin. Die Aussage der Rolle war dementsprechend. Mario Zanasi, der Mann aus dem sonnigen Süden, besitzt ein kräftiges, helles Stimmaterial, das zwar der Dämonie entbehrt, aber mühelos sich beim Te Deum durchsetzte. Der sehr gut aussehende Bariton gestaltete seinen Polizeichef als brutalen Bösewicht, mit herabgezogenen Mundwinkeln. Er unternahm jedoch nicht den Versuch, sich in die Psyche eines Scarpia hineinzudenken. Ebenso wenig versuchte er Mezzavoce- oder Piano-Töne in den Gesangspart einzubauen. Aber immerhin: ein kräftiges, gesundes Material, mit dem der Sänger sich noch manche Bühne erobern kann. Für Giuseppe Zampieri befürchtete man nach dem ersten Akt das Schlimmste. Die Einsätze kamen unsicher, die Stimme wackelte, und kein einziger schöner Ton kam über die Rampe. Das änderte sich im zweiten Akt, wo Zampieri all seine Kraft in die Vittoria-Ausbrüche legte, und damit Selbstvertrauen für einen guten Schlußakt gewann. Es freut uns, etwas Positives über den Tenor berichten zu können. In der Nebenrolle des Mesners gefiel uns Karl Dönch, der im Vergleich zum Angelotti Hans Brauns wie ein Stimmprotz wirkte. Wohltuend in der Darstellung war Kurt Equiluz als Spoletta. Ohne Übertreibungen geht’s viel besser! Ein besonderes Lob gebührt Berislav Klobucar, der nicht nur den gastierenden Sängern eine große Hilfe war, sondern auch noch Zeit fand für eine nervige Interpretation des Werkes. Für den Schwächeanfall des Orchesters zu Beginn des 3. Aktes kann man ihn nicht zur Verantwortung ziehen. Somit ein Bravo dem Mann am Pult, der unter schwierigsten Voraussetzungen diese Tosca zuwege brachte.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. Jänner

Fazit des Abends: gutes Repertoire, durchaus akzeptabel. Und das ist schon sehr viel nach den Erfahrungen der letzten Monate. Das Unbescheidensein wurde uns gründlich abgewöhnt. Am Pult stand Wilhelm Loibner, der sich mit Erfolg bemühte, Wackelkontakte zwischen Orchester und Bühne auszugleichen und für einen gesicherten Ablauf des Abends Sorge trug. Wir sahen dem Dirigenten länger als eine halbe Stunde lang intensiv zu, ohne einen Blick von ihm zu wenden, um endlich der Sache auf den Grund zu kommen, warum er von Seiten unseres Orchesters sosehr geschätzt wird und warum das Stammpublikum nicht zur gleichen Überzeugung gelangen kann. Von Seiten des Zuschauers also muß dazu gesagt werden, daß Herr Loibner ein versierter Dirigent ist. Er kennt auch seine Partitur, besitzt Technik, läßt aber den Abend abrollen statt ihn zu gestalten. Er läßt die Philharmoniker spielen, in der sicheren Überzeugung, daß unsere Herren Professoren das können. Freilich können sie es, aber das Publikum möchte von dem Mann am Pult eine Auffassung des Werkes hören. Es möchte eine Aussage, eine Stellungnahme, ein Bekenntnis des Dirigenten vernehmen. Das ist es nämlich, was die großen Meister des Taktstocks vor guten Kapellmeistern auszeichnet! Wir geben ja zu, daß gute Kapellmeister für die Musiker bequemer und angenehmer sind, denn jene Großen die den Instrumentengruppen eigenwillig das Letzte abfordern, gleichgültig ob denen das paßt oder nicht. Dem Publikum aber paßt es nicht, wenn in künstlerischen Dingen das Mittelmaß, und sei es auch das gute Mittelmaß, zum Maßstab erhoben wird!

Die Solistenbesetzung war dem Namen nach gut, und rechtfertigte diesen Ruf auch. Besonders Gerda Scheyrer erfreute diesmal mit einer exzellenten zweiten Arie. Eberhard Wächter war ein idealer Graf Almaviva. Walter Berry mit seiner persönlichen Figaroauffassung erfreute und Hilde Güden bestätigte erneut Mozartkultur, wie wir sie in Wien kennen und verlangen. Der Cherubino von Olivera Miljakovic mutet bezaubernd an. Die Stimme ist winzig klein, wirkt manchmal fast nur noch wie ein – allerdings wohllautender – Hauch, das Spiel jetzt sehr gelöst, nett und nie überzogen, und die hübsche Erscheinung dieses richtig „süßen Persönchens“ trägt natürlich das ihre zum Erfolg bei. Peter Klein, Ira Malaniuk und Oskar Czerwenka bewährten sich in ihren Partien. Das Publikum war animiert und beifallsfreudig.

ARIADNE AUF NAXOS am 29. Jänner

Die Komödie erschlug das Trauerspiel, die Buffoszenen dominierten eindeutig. Ein Verdienst von Reri Grist, die eine erstklassige Leistung als Zerbinetta bot. Schon im Vorspiel wurde man auf die junge Künstlerin aufmerksam. Sie verriet nämlich großes Verständnis der Rolle – was heute nicht bei allen, die diese Partie singen – der Fall ist. Wortdeutlichkeit und Phrasierung waren in großem Ausmaß vorhanden. Sie bewegte sich ungemein geschickt und charmant auf der Bühne. Die Stimme hat vorwiegend lyrischen Charakter, dennoch war sie absolut Herrin über ihre Koloraturen. Beifallsstürme entfachte ihre große Arie, die sie temperamentvoll vortrug. Die Koloraturen funkelten wie fein geschliffene Diamanten, nur die extreme Höhe schien uns etwas getrübt. Von Reri Grist wird man in Zukunft sicherlich hören. Als Ariadne sprang liebenswürdigerweise Maria van Dongen (ebenfalls Zürich) für die erkrankte Frau Zadek ein. Liebenwürdigerweise wollen wir ihre Ariadne deshalb nicht kritisieren. Der rote Zettel auf dem Programm war immerhin für die Direktion ein Lotteriegewinn, Zadeks Ariadne jedoch das Gesprächsthema auf der Galerie! Ohne Gastzerbinetta kann es ebenso wenig mehr eine Ariadne in Wien geben, wie ohne Gastbacchus. Traurig das! Nun hörten wir in dieser Partie James King von der Deutschen Oper Berlin. Er hinterließ einen guten Eindruck. Noch ist das heldische Material nicht in rechte Formen gegossen (Die „Zauberin“ war ein wenig verwackelt), aber der Künstler weiß zu wirken. Im Vergleich zu seinem Salzburger Festspieldebüt schien er wesentlich verbessert. Im Vorspiel erwiesen sich Paul Schöffler als Musiklehrer und Irmgard Seefried, die sich mit der Höhe sehr plagen mußte, als erfahrene Routiniers der Opernbühne. Das Nymphentrio, gesungen von den Damen Gundula Janositz – Laurence Dutoit – Ira Malaniuk war in gesanglicher Hinsicht um Klassen besser als die Umgebung Zerbinettas (Ludwig Welter, Murray Dickie, Kurt Equiluz und Kostas Paskalis). Einen neuen Tanzmeister hätte die Aufführung ebenso von Nöten, wie eine Neuinszenierung. Wilhelm Loibner als Dirigent, versuchte, mit Erfolg, die verschiedenen Gäste auf einen Nenner zu bringen. Es gelang ihm, den Kontakt zwischen Bühne und Orchester herzustellen, mehr leider nicht.

DON CARLOS am 30. Jänner

Diejenigen Kritiker sind auf dem Holzwege, die behaupten, die Wiener seien nur mehr an strahlenden hohen Cs interessiert. Weit gefehlt. Wien ist weniger eine Tenorstadt, als eine Stadt der tiefen Stimmen. Die großen Baritons werden hier umjubelt, wie anderswo die Tenöre. Und tritt dann zur Stimme noch eine packende Persönlichkeit, liegen die Wiener vollends auf den Knien. Nicolai Ghiaurov gastierte schon in Wien, als er noch billig zu haben gewesen wäre. Das erinnert uns an den Fall anno 1937, als zwei Tenöre, nämlich Jussi Björling und Karl Friedrich vorsangen. Den Björling ließ man ziehen, den Friedrich hat man behalten. Im Falle Ghiaurov ist der Fehler des Managements allerdings doch ausgebessert worden. Immerhin dürfte er in Wien in Zukunft öfter zu hören sein. Es wundert uns überhaupt, warum man uns mit Bässen so knapp hält. Statt unnötiger Gastspiele hätten wir uns schon Cesare Siepi leisten können. Die hauseigenen Giovannis finden die Partie ja ohnedies fade? Wie wäre es also mit Siepi – oder natürlich mit Ghiaurov – als Giovanni? Doch zurück zum Don Carlos, resp. zu Philipp. Ghiaurov hat eine Stimme von ungeheurer Gewalt, dämonisch im Timbre, riesig im Losbrechen, dabei immer schön, niemals forciert, immer im Einklang mit der Gesangslinie. (Bei manchen Phrasen, u. a. im Quartett, schien es, als hörte man die Stelle zum ersten Mal.) Damit im Einklang steht die Gestaltung des Philipp. Das ist ein düsterer, gewaltiger, dämonischer Herrscher, in seinem Haß ebenso maßlos wie in seiner Einsamkeit und dabei doch von so imponierender Männlichkeit, daß die Eboli-Episode glaubhaft wird. Es spricht für das größtenteils heimische Ensemble (im guten Sinn, denn unter heimischem Ensemble verstehen wir Christa Ludwig, Giuseppe Zampieri, Eberhard Wächter, Hans Hotter…), daß es sich spontan den Stil des Königs zu eigen machte und so eine sehr geschlossene Aufführung zustande kam. Hier wurde losgelegt und mit Kraft, Dramatik und höchster Intensität gesungen. Auch Berislav Klobucar hielt sich in diesem Sinne an das zufällig zustandegekommene Konzept der Aufführung und dirigierte einen temperamentvollen und dramatischen Verdi. Im Don Carlos liegt allerdings noch mehr, aber das bringen oft prominentere Kollegen auch nicht heraus. Christa Ludwig sang schon das maurische Lied, was ja nicht notwendig gewesen wäre, mit voller Kraft, und die Eboli-Arie war explosiv und mit Dramatik geladen. Am schönsten gelang ihr jedoch der langsame Teil der Arie. Eberhard Wächter sprang in den Posa, als ginge es um sein Leben. Seine Gestaltung und Phrasierung ist oft genug gelobt worden, nur schien uns, als täte er bei Posas Tod allgemach etwas zu viel im Ausdrucksmäßigen – ohne Rücksicht auf die Gesangslinie. Hans Hotter war der gewaltige Großinquisitor, der einzige, der die überlegene Macht der Kirche über Könige von Format überhaupt glaubhaft machen kann. Der Wettkampf der Riesenstimmen in dieser Szene war ein wahres, nie gehörtes Fest! Unser Sorgenkind Giuseppe Zampieri hielt sich in diesem Aufgebot der dramatischen Stimmen sehr wacker. Er sang mit viel Einsatz und schön, wie schon lange nicht. Überdies trat er sichtlich wohlvorbereitet an. (Endlich kann er die Partie). Leider hatte Frau Jurinac, die Königin der Absagerinnen, wieder einmal die Reise nach Wien gescheut. Jetzt wird das Publikum langsam unruhig. Die Einspringerin war wieder Marcella de Osma, eine sichere Sängerin alten Stils, die eher wie eine Landfrau aus der Toscana anmutet, denn wie eine Königin. Stimmlich war sie bis auf scharfe Höhen gut, im übrigen unter den großen Persönlichkeiten des Abends so gut wie nicht vorhanden. Das Publikum übersah diesen Mangel und jubelte glücklich dem neuen Star und seinen bewährten Lieblingen zu.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 31. Jänner

In einer von Wilhelm Loibner recht geschickt geleiteten Cavalleria (wie er zu Beginn mit dem Chor wieder zusammenkam, zeigt seine Erfahrung), lernte man Umberto Borso (in Italien als Einspringer bekannt) als Turiddu kennen. Er ist ein typischer Krafttenor, für den nur die Lautstärke von Bedeutung ist. Er sang mit der in Italien üblichen Begeisterung, ohne Rücksicht auf Verluste. Geschmeidigkeit ist seine Sache nicht und so hörte man Fortetöne von Beginn der Siciliana bis zum Addio. Gegen Ende trat dadurch eine Ermüdung ein. Hilde Zadek war seine versierte Partnerin. Walter Berry bot als Alfio eine imposante Leistung.

Aldo Protti eröffnete mit einem sehr schön gesungenen Prolog den Bajazzo. Im Laufe des Abends wurde er etwas müde. Wilma Lipp, James McCracken und Kostas Paskalis waren die weiteren Mitwirkenden auf gutem Niveau. Wilhelm Loibner sorgte vom orchestralen Part diesmal für Spannung und Dramatik.

 

„WAS HILFT DAS SCHÖNSTE OPERNHAUS, WENN ES KEINE KRISE HAT“ (Dr. E. W. Schäfer.)

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 2

Dieser leider nur zu wahre Satz stand gleichermaßen als Motto über der Pressekonferenz, die Dr. Schäfer wohl nicht zufällig am ersten Jahrestag des Karajanrücktrittes abgehalten hat. Von einer bereits fortgeschrittenen Arbeit an Karajans Vertrag war natürlich nicht die Rede. Noch immer hängt der Hausherr (und damit das Haus) im luftleeren Raum. Neben den Plänen für die nächste Saison ging es um das Budget. Die allgemeine Kürzung des Kulturbudgets betrifft naturgemäß auch die Wiener Staatsoper. Aber da hätte es andere Mittel und Wege der Einsparung gegeben, als eine Reduktion der Premieren und womöglich der Spitzensänger. Wir schreiben nun seit Beginn des Merker anno 1956 immer und immer wieder die gleichen Leitartikel und sind der Litanei allgemach müde:

1.) Warum verkauft man die Karten für große Aufführungen nicht bei aufgehobenem Abonnement zu besonderen Preisen an der Kasse? Da würde eine Menge Geld hereinkommen. Aber je besser die Vorstellungen sind, desto geringer ist die Anzahl der öffentlich verkauften Karten. Sie verschwinden in dunklen Kanälen, und man sieht in solchen Vorstellungen immer diejenigen, die „das heimische Ensemble“ sonst so fördern. Anhören tun sie sich’s nicht, dazu ist der Merker verurteilt.

2.) Eine radikale Kürzung der Ministeriumslogen wäre zu empfehlen. Ka Geld, ka Musi! Alle Interessenten in der Regierung fänden unschwer in der Mittelloge Platz, wo man ja rot und schwarz durch ein Seil abtrennen könnte.

3.) Warum bespielt man mehrere Häuser, wenn man kein Geld dafür hat? Nun verbreitern wir uns die zweite Saison auf Kosten der Qualität in 2 ½ Theatern, ohne daß seitens des Publikums für auf Nebenkriegsschauplätzen gebotene Aufführungen auch nur das geringste Interesse besteht.

Wie ungeschickt unsere Verwaltung ist, beweist die Tatsache, daß sie sich auf die wohlbekannte Erscheinung, daß die Wiener eben von November bis März nicht gern ins Theater gehen, sondern lieber dann, wenn der Fremdenverkehr einsetzt, seit Jahren nicht einstellen kann. Und gerade das wäre so einfach: Die Abonnementabende spiele man eben von Mitte Oktober bis Ostern. Da kommen ungefähr 25 auf ein Monat, Sonn- und Feiertage bleiben für den allgemeinen Kartenverkauf. Und zu Zeiten des Fremdenverkehrsstroms, wo alle Karten weggehen wie die warmen Semmeln, verkaufe man alle Sitzplätze des Hauses. Wenn es die Qualität rechtfertigt, auch zu erhöhten oder besonderen Preisen. Dann würde das Budget gleich besser aussehen. Mühsam werden die Abende im Redoutensaal und dem Theater an der Wien mit Schulklassen gefüllt, an Gewerkschaften verscheuert und an Bekannte verschenkt. Wozu spielt man diese Abende überhaupt? Es käme doch viel billiger, wenn man den Sängern, die nicht auf ihr Plansoll kommen, die Gage trotzdem bezahlt. Dafür, daß Herr Majkut 100-mal und Frau Sjöstedt 75-mal pro Saison auftreten und dafür Übersing-Gagen beziehen, muß  der Redoutensaal offengehalten werden? Man wendet ein, daß der Redoutensaal benötigt werde, weil die Theater an der Wien-Abende eine außertourliche Bezahlung erfordern. (Laut Gesetz gilt nur ein Haus als Bundestheater, in dem reguläre Vorstellungen gegeben werden können, wenn es zu 51% bespielt wird). Aber wo steht geschrieben, daß man ein Gesetz nicht ändern kann? Ebenso schnell wie die Ministerpensionen beschlossen wurden, könnte man beschließen, daß nur eine 26%ige Bespielung ausreichend ist, um ein Haus zum Bundestheater zu stempeln. Überdies ist es ein unvertretbarer Luxus, daß man Sänger wie Wunderlich und Corena engagiert, um sie für teures Geld in geschlossenen Kindervorstellungen anzusetzen, anstatt in ordentlichen Aufführungen im großen Haus, die sie weit über den Durchschnitt heben könnten. Aber auch ohne kostspielige Neuinszenierungen ist ein derart öder Spielplan, der von mindestens 45 Inszenierungen kaum 1/3 für den allgemeinen Gebrauch zur Verfügung stellt, nicht nötig. Ist der Falstaff ganz vergessen? Hat vielleicht schon jemand daran gedacht, da man doch nächstes Jahr Wilhelm Pitz hat, ihn die Trionfi neu einstudieren und gleich auch dirigieren zu lassen, für die man das Notenmaterial vorschnell und eilig zurückerstattet hat? Hat schon jemand daran gedacht, Prey und Wunderlich im Eugen Onegin anzusetzen? Ist etwa den Herren Besetzern entgangen, daß mindestens die Damen Güden, Seefried, Jurinac und Scheyrer die Arabella (wenn George London kommt!) oder Capriccio-Gräfin singen können? Warum serviert man nicht Manon Lescaut (in italienisch) mit Jurinac, Rysanek, Usunow usw. als Pucciniabwechslung statt der ewigen Boheme? Warum traut sich niemand die Klosettbrillen des Orpheus wegzuwerfen und Christa Ludwig die Rolle zu geben? Wer gräbt den Igor wieder aus, statt dessen Premieren-Titelrollenträger seinem Drang nach unten nachgehen zu lassen? Wer zwingt die Sänger, das zu singen, was sie sollen, nicht nur das, was sie möchten? Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß es den Mitgliedern der Staatsoper in Wien bisher zu gut gegangen ist. Müßte das Orchester 50 Proben für Moses und Aaron machen, könnten sie sich nicht bei 14 Orchesterproben für eine Neuinszenierung gebärden, als ginge die Welt unter. Und müßten die Sänger Zwölftonopern singen, bis ihnen die Stimmbänder platzen, wie in Hamburg, wären sie gegenüber schönen Hauptrollen nicht so präpotent. Vielleicht hilft der Zwang, den Gürtel enger zu schnallen, auch der Wiener Oper und ihrem Ensemble? Denn budgetäre Sparmaßnahmen kann nicht auch noch das Publikum auf seinen Rücken nehmen, da es unter Bühnenarbeiter- und Karajankrisen unverdientermaßen fast zusammengebrochen ist! Man möchte den diesbezüglich unbeschwerten Herrn Unterrichtsminister am liebsten daran erinnern, daß er die Zusagen, die er Karajan als Minister gemacht hat, jetzt als geschäftsführender Minister nicht vergessen soll, damit uns wenigstens Karajan, der uns allein von der großen Pleite trennt, erhalten bleibe!

 

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