DER FEBRUAR 1963

8. Jahrgang, Heft 3

 

OPER BEI 15 GRAD UNTER NULL

Dieser Februar hatte es in sich. Langweiliges Repertoire, wenige Dirigenten, das öde Gleichmaß durch mehrere gute und ein paar hervorragende Sängerleistungen mühsam genug aufgehellt, eine Neuinszenierung in einer regielichen Totalpleite und zwei bejubelte Abende Karajans. Betrachten wir kurz das Repertoire: dreimal Ballett (wie gehabt), dreimal Rosenkavalier (davon eine Glanzleistung von Sena Jurinac), zweimal Bohème: Durchschnitt, zweimal Fliegender Holländer (davon ein großartiger Hotter-Abend), zweimal Entführung (davon eine interessant durch Wunderlich und Unger), zweimal Don Carlos: interessant durch Ghiaurov und Hotter, zweimal Margarethe (davon eine interessant durch Ghiaurov und Güden) und je einmal Sommernachtstraum, La Traviata, Carmen, Don Giovanni, Das Rheingold, Fidelio, Salome, Ein Maskenball, Madama Butterfly, Die Walküre und dann einmal wegen der Vorbereitungen zum Opernball geschlossen und schließlich der Opernball selbst, verschönt durch die Fernsehreportage von Rudolf Hornegg, der nicht nur die Namen der meisten adeligen Anwesenden wußte, sondern vor allem die Verdienste seiner Gattin Gräfin Schönfeldt um diesen Ball immer wieder den Zuschauern klar machte. Das ist ja die reinste Familienreklame. Das hat uns gerade noch gefehlt! Unter den Opernaufführungen sind nur die beiden Karajan-Vorstellungen, das Gastspiel von Fernando Corena und einige Abende Wächters wirklich Klasse. Eine wahrhaft traurige Bilanz, wie wohl jeder zugeben wird. Wir haben den Eindruck, daß wir den großen Nachteil des Stagionesystems, nämlich ein fades Repertoire (was aber weder Kritik noch Abonnenten sondern einzig und allein den Stammgast stört) bereits genug ausgekostet haben. Wann werden wir einmal auch seine Vorteile, nämlich geprobte Vorstellungen, große Sänger und gleich bleibende Dirigenten und Orchesterbesetzungen zu spüren bekommen? Voraussetzung für eine Verbesserung der Vorstellungen ist allerdings zumindest die Wiedergewinnung von André Cluytens und Rudolf Kempe, ferner die Verpflichtung der Herren Caridis, Patané, Pretre und Wich für Opern, die ihnen liegen und die sie proben können, in weit größerem Ausmaß, sowie die schon hundertmal geforderte größere Umsicht bei Besetzungen, die man dem bisherigen Team Deutsch-Fiedler-Schneider usw. nicht mehr zutrauen kann.

 

BALLETTABEND am 1. Februar

CARMEN am 2. Februar

in grellen Farben, zügigem Tempo und oft großer Lautstärke. So weit, so gut: die Interpretation Miltiades Caridis war jedenfalls gekonnt und trug den Stempel einer Persönlichkeit. Unverzeihlich, daß die Orchestermitglieder nicht immer ganz bei der Sache waren. Vor allem um die Bläser war es jämmerlich bestellt (die Begleitung der Micaela-Arie z. B. ging zweimal, an genau der gleichen Stelle daneben). Weit ist es schon gekommen! Auch die Qualität der Chöre war unterschiedlich. Am besten gedrillt und mit Eifer bei der Sache: die Sängerknaben. Die Damen zogen sich mit Anstand aus der Affäre. Die Herren versäumten vor Carmens Auftritt noch schnell den Einsatz, kamen aus dem Rhythmus und hätten beinahe kläglich geendet. Leider ist auch diese Inszenierung schon wieder sehr verschlampt: mit den Auftritten (Escamillo) und den Abgängen (Finale des ersten Aktes) wollte es nicht klappen. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß alles dem Zufall überlassen wurde. Aber, wieder einmal, meinte es das Schicksal letzten Endes doch noch gut mit dem Opernbesucher, denn der Abend brachte ein lang erwartetes Wiedersehen mit Regina Resnik als Carmen. Sie überzeugt durch ihre packende Gestaltung der Rolle und ihr intelligentes Singen. Frau Resnik war stimmlich nicht in Höchstform, man merkte es bereits nach einigen Takten, aber wie sie dieses Handicap überwand, wie sie die Stimme der Situation anpaßte, neue umstandsbedingte Nuancen und Ausdeutungen fand, das wird jedem, der dabei gewesen, in Erinnerung bleiben. Eine positive Überraschung bot auch Joao Gibin, der in Wien schon mehrmals, nicht immer mit Erfolg, aufgetreten war. Er hat in der Zwischenzeit viel dazugelernt. Er beherrschte die Partie sicher, führte seine eher heldische Stimme viel ruhiger als früher, wodurch sie schöner und ausgeglichener klang. Gesanglich konnte man kaum etwas an seiner Leistung aussetzen. Sie war bis zum letzten Ton gediegen und brav. Was fehlte, war der mitreißende Schwung, die dramatische Steigerungen im 3. und 4. Akt. Auch die darstellerische Reife sollte noch dazukommen. Walter Berry brachte einen schwungvollen, jugendlichen Escamillo auf die Bühne. Seine Übertreibungen, die man ihm oft angekreidet hatte, waren verschwunden. Wilma Lipp bereicherte die Vorstellung mit ihrer gefühlvollen Micaela. Warum forciert sie nur so? Im Gedränge der Soldaten fielen Kostas Paskalis und Ludwig Welter durch makellose Leistungen auf. Die beiden Schmuggler (Kurt Equiluz und Erich Kunz) sorgten für humorvolle Einlagen, die Zigeunerinnen – leider – quietschten mehr als sie sangen. Resultat: ein Repertoire-Abend am Ring. Man ärgerte sich über einige Unzulänglichkeiten und geht schließlich doch beeindruckt von einer großen künstlerischen Leistung nach Hause.

DON PASQUALE am 2. Februar im Theater an der Wien

Das Ereignis des Abends war Fernando Corena als Pasquale. Ein herrlicher Komödiant, mitten drin in seiner Rolle stehend, jeder Blick, jede noch so kleine Bewegung so aus de Musik heraus geboren, daß es beinahe einem Theaterereignis gleichkommt. Dort drastisch und umwerfend komisch, wo er sich diese Komik leisten kann, aber mit sicherem Theaterinstinkt fühlend, wo „prima la musica“ Not tut, wie überhaupt auch im temperamentvollsten, übersprudelnden Spiel nie auch nur ein Ton verloren geht (dadurch unterscheidet sich Corena von seinen deutschsprachigen Fachkollegen). Neben ihm Graziella Sciutti als entzückende Norina, in der ersten Szene stimmlich etwas angestrengt, sonst aber gesanglich sehr gut. Ermanno Lorenzi, der für Dickie einsprang, ist zwar keine Idealbesetzung, aber immerhin passabel (Luigi Alva wäre wohl der geeignete Italiener dafür). Gräßlich war Renato Cesaris Malatesta, stimmlich rauh und unzulänglich, schauspielerisch letzte Schmiere. Mit einem billigen Hochziehen der rechten Braue fühlt er sich zum Intriganten geboren. Man hätte die Partie in zweiter Besetzung ohne weiteres Kostas Paskalis anvertrauen können, der dabei nämlich auch stimmtechnisch Einiges dazulernen würde. Ausgezeichnet Miltiades Caridis, der vom Pult aus sicher und ambitioniert das Geschehen leitete.

LA TRAVIATA am 3. Februar

Wenn die Wiener Oper Hilde Güden nicht hätte…Ihrer Kunst und der von Maestro Erede allein verdankte man einen schönen Opernabend. An der Inszenierung konnte man sich ja nie erfreuen, so liegt bei jeder Aufführung das ganze Vertrauen auf den Künstlern. Und wehe, wenn dann einmal eine Flaute eintritt. Alberto Erede feierte damit seinen heurigen Einstand in Wien, die ihm besonders liegt. Ihm gelang es, lärmende Festesfreude und wehmutsvolle Abschiedsstimmung überlegen zu verbinden. Violettas Tragödie wurde persönlich gedeutet und klar umrissen. Die Sänger waren bei ihm in besten Händen. Hilde Güdens Violetta brillierte nach wie vor in der großen Arie und fand im folgenden zu schlicht menschlichen, wahr empfundenen Tönen. Von besonderem Vorteil gerade für die breit ausgeführten lyrischen Szenen erwies sich, daß die Mittellage der Künstlerin fülliger geworden ist und besser trägt als einst. Sollte sich das Studium neuer Partien eines anderen Faches schon so auswirken? Giuseppe Zampieri begann ungenau und wenig konzentriert, verpatzte auch „Di quell’ amor“, kam aber dann immer mehr in Form und bürgte für gutes Standardniveau. Kostas Paskalis als Vater Germont klang etwas rauh und stemmte in der Höhe, war in Haltung und Gesang aber durchaus nobel und korrekt. Die Episodenträger hinterließen den gewohnten Eindruck: Margareta Sjöstedts verläßliche Annina, Ljubomir Pantscheffs eleganter Doktor und Ermanno Lorenzis „Salonlöwe“ von Paris, weniger gut Laurence Dutoit als Flora und Alois Pernerstorfer als brummiger Baron Duphol, vom Gärtner und anderen untergebenen Chargen ganz zu schweigen.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 4. Februar

als Notnagel. Ursprünglich war La Cenerentola angesetzt, dann mußte man umdisponieren auf Figaros Hochzeit. Das vermeintliche Endresultat war schließlich Entführung mit Fritz Wunderlich, der aber auch noch erkrankte und im letzten Moment mit Anton Dermota, dem stets Hilfsbereiten, umbesetzt werden mußte. Das Publikum nahm die Absage vor dem Vorhang schon mit grimmigem Humor zur Kenntnis. Offenbar war man froh, daß überhaupt eine Vorstellung stattfinden konnte. (Dafür war der Beifall mager, ein Vorhang in der Pause!). Dermota erwies sich, obzwar er der Rolle sicherlich schon einigermaßen entwachsen ist, als der beste Sänger des Abends. Stilgefühl und Timbre ließen ihn nicht im Stich und über eine angekündigte eigene Indisposition half ihm seine Technik sehr gut hinweg. Kurt Equiluz, der Pedrillo, sang sauber und sicher. Das Spiel wirkte farblos. Darstellerisch gut wie immer war Ludwig Welter als Osmin. Er blieb stets im Rahmen, was beim Osmin weit prominentere Kollegen nicht tun. Stimmlich fehlte ihm ganz oben und ganz unten natürlich einiges. Auch das wurde schon oft genug festgestellt. Das Schlimme an diesem improvisierten Abend waren die Damen. Mimi Coertse bewältigte die Schwierigkeiten der Partie zwar klaglos, ihre Stimme ist aber alles andere als mozartisch, viel zu hart und grell und der sanften Lieblichkeit unfähig, die Konstanze neben dramatischer Koloratur auch entwickeln muß. Daß sie auf der Bühne wie Norma persönlich umherrauscht, verstärkt den Eindruck, daß sie bei Mozart fehlbesetzt ist. Liselotte Maikl wieder, eine routinierte Blonde, singt sauber und farblos und ist auf der Bühne nicht vorhanden. Es geht nicht an, daß die bezaubernde Partie derart oberflächlich behandelt wird. Frau Maikl ist als Einspringerin oder für Kindervorstellungen im Redoutensaal sehr gut zu gebrauchen, aber nicht als Standardbesetzung für das große Haus. Da sollte es doch andere Möglichkeiten geben. Der Gewinn des Abends war Alberto Erede, der mit einem verhältnismäßig groß besetzten Orchester sehr lebendig und spritzig musizierte, keinen Moment jene schläfrige Stimmung aufkommen ließ, die sonst solchen Verlegenheitslösungen anzuhaften pflegt und die Sänger auf der Bühne damit ebenfalls zur schärferen Konzentration zwang.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 5. Februar

Die ursprüngliche Besetzung ließ – Überraschungen ausgeschlossen – einen durchschnittlichen Repertoire-Holländer erwarten. Doch erstens kommt es anders…Statt Christl Goltz sang Maria van Dongen die Senta. Zugegeben, sie sang intonationsrein, das war aber auch schon alles! Die kleine, tremolierende Stimme wird mit zunehmender Höhe schwächer und ist den dramatischen Ausbrüchen (Schluß dritter Akt!) in keiner Weise gewachsen. So sang Hans Hotter seinen Holländer fast im Alleingang. Obwohl nicht in allerbester stimmlicher Verfassung, dominierte seine Persönlichkeit auf der Bühne, und damit war die Aufführung fesselnd genug, um die anderen Schwächen des Abends erträglicher zu machen. Zu diesen müssen wir leider auch Wolfgang Windgassen zählen, der seinem Jägerburschen einen sehr gequälten stimmlichen Ausdruck verlieh, in der Höhe preßte und auch sonst wenig Lust und Liebe an den Tag legte. Er überzeugte weder im Dramatischen noch im Lyrischen. (War es bloß schlechte Tagesverfassung?). Kurt Böhme sang einen braven Daland, rauh und polternd, mit richtigem Seemannsgehaben. Eine für den Steuermann zu grelle, zu wenig biegsame Tenorstimme besitzt Gerhard Stolze. Er schmetterte sein Lied in hartem Fortissimo in den Zuschauerraum, daß man ihm die Sehnsucht nach seinem Mädel nur schwer glaubte. Am Pult stand ein junger, energischer Mann, der das Orchester nach anfänglichen Schwierigkeiten unter seine Kontrolle zwang und mit der Bühne in gutem Einvernehmen stand: Miltiades Caridis dirigierte einen ausgezeichneten ersten Akt (die Ouvertüre litt noch etwas unter Kontaktmangel), einen beschwingten, dynamischen zweiten und energiegeladenen dritten Akt. Eine Wangerinterpretation, die aufhorchen ließ, zumal sich am Holländer schon diverse kleinere und größere Kapellmeister versuchten und kläglich Schiffbruch erlitten.

DON CARLOS am 6. Februar

Nicolai Ghiaurov bestätigte auch diesmal, daß er eine der schönsten und mächtigsten Stimmen der Welt besitzt. Nahm es Wunder, daß Wiens Opernpublikum ganz aus dem Häuschen geriet und ihn stürmisch bejubelte? Hier hört man eine Stimme voll Macht und Wildheit, die mehr auf slawische Weise geschult und eingesetzt wird, als im reinen Belcantostil. Selbst in der Darstellung zeigen sich slawische Merkmale. Der König war jung und zuweilen sehr aggressiv, mehr einem Fürsten der Steppe gleichend. Doch welch großer Sänger ist Nicolai Ghiaurov! In seinem Schatten mußten alle anderen Mitwirkenden stehen. Sena Jurinac lieh ihre Schönheit, ihr inniges Spiel und ihre Stimme der unglücklichen Elisabeth von Valois. Diese Attribute gaben der Königin Format und Ausdruck. Die Eboli Nadja Puttar, die für Regina Resnik einsprang, bewies, wie groß letzten Endes der Unterschied von Spitzen- und Provinzsängerinnen ist. Trotz vielem Bemühen gelang es ihr nicht, den geringsten Eindruck zu hinterlassen. Das Timbre ist uninteressant, die Tiefe wird künstlich gefärbt und die Höhe mühsam hervorgestoßen. Kostas Paskalis schenkte dem Posa sein Bühnentemperament. Schade, daß der sympathische Sänger immer Zuflucht zu forcierten Spitzentönen nimmt, die die kantable Linie so sehr verzerren. So schön das Mezzavoce klingt, so störend wirken die rauen, großen Acuti. Warum tut er dies immer wieder? Giuseppe Zampieri als Infant gab sich larmoyant und sang teilweise erschreckend leise. Don Carlos war kein Flüsterer. Hans Hotter imponierte als Großinquisitor durch große Gestaltungskraft und die stimmlichen Ausbrüche in der großen Szene. Alberto Erede dirigierte mit Brio und einer Überlegenheit, die gefangennahm. Ein Meister der Improvisation!

DER ROSENKAVALIER am 7. Februar

Die Aufführung bewies neuerlich, daß die Strausspflege der Wiener Oper (von der Johann-Strauß-Pflege unter Loibner wollen wir lieber gar nicht erst reden) auf einen beispiellosen Tiefpunkt zusteuert. Nicht genug damit, daß die bedauernswerten Abonnenten monatelang mit (meist) indiskutablen Elektras, Salomes und Ariadnen auf Naxos eingedeckt werden, in denen einige Künstlerinnen ihre vertraglichen Abend abbiegen, droht jetzt auch noch der letzte Rettungsanker – der Rosenkavalier – abzureißen und in Richtung Provinz davonzutreiben. Wer die größte Schuld an dieser Misere trägt? Erfahrungsgemäß niemand! Tatsache bleibt, daß ein Richard Strauss mehr als jeder andere Komponist auf ein erstklassig eingespieltes Orchester angewiesen ist. Und für diese Orchesterpflege ist derzeit niemand zuständig, da der Chef die Arbeit auf die nächste Saison vertagt hat und Karl Böhm grollend in die Staaten abgezogen ist. Die Dirigenten kommen probenlos ans Pult, stochern hilfesuchend ein wenig in der Partitur herum und verschwinden schleunigst wieder. Von den neun Aufführungen der bisherigen Saison dirigierten: Swarowsky 3, Wallberg 2, Keilberth 1, Conz 1, Holreiser 2. Eine wahrhaft traurige Bilanz! Der Abend selbst stand unter einem ungünstigen Stern, zumal Christa Ludwig als Octavian noch an den Nachwirkungen einer kaum überstandenen Erkrankung laborierte und sich verständlicherweise stark zurückhielt. Wilma Lipp war ebenfalls nicht in bester Form und kämpfte schon in der Mittellage mit hörbaren Schärfen, so daß die Rosenüberreichung diesmal leider wirkungslos verpuffte. Die Marschallin wurde von Clara Ebers als Gast verkörpert, die über weite Strecken nicht verbergen konnte, daß ihr stimmlicher Zenit schon einige Zeit zurückliegt. Da ihr 60. Geburtstag an der Hamburger Staatsoper gebührend gefeiert wurde, hätte sie es wahrhaft nicht nötig gehabt, um jeden Preis als jugendliche Fürstin zu erscheinen. Dadurch wurde ihre Darstellung weitgehend unglaubwürdig. Die Betulichkeit brachte den Betrachter bald in Harnisch. Nicht einmal der obligate Bühnenblick in den zierlichen Rokokospiegel vermochte sie auf die richtige Spur zu bringen. Gerade da lag „der ganze Unterschied“! Otto Edelmann war der bewährte Ochs, der allerdings stimmlich auch keine Bäume entwurzelte. Für den absagenden Fritz Wunderlich beglückte uns Karl Terkal mit einem hochgradig phlegmatischen italienischen Sänger. Der Chor hinkte oft einmütig mehrere Notenwerte hinter der Musik her, als wenn er Kanon einstudiert hätte: ohne Proben geht’s nimmer. Heinz Wallberg leitete das lustlos spielende Substitutenorchester ohne rechten Schwung (kein Wunder!) und hatte lediglich in den Walzerszenen weniger Mühe um die nötige Harmonie. Dem langsamen Zerfall stand nichts mehr im Wege, sodaß sich die nur spärlich bevölkerten Stehplätze in jeder Pause mehr lichteten. Der Abendkurs lag wieder einmal erheblich unter Staatsopernniveau.

LA BOHEME am 8. Februar

Eine solide Repertoireaufführung in der gewohnten Standardbesetzung. Wenn man an die Berichte über die Zefirelli-Inszenierung an der Scala denkt, kommt einem „die unsrige“ natürlich noch einfallsloser und verstaubter vor. Also hoffen wir, daß… Die Spiellaune der Bohemiens war gleich unserem derzeitigen Wetter unter dem Gefrierpunkt. (Die einzige Ausnahme bildete Eberhard Wächter). Giuseppe Zampieri sang, nach einem mühevoll überstandenen „Che gelida manina“, einen guten Rodolfo. Unerklärlich bleibt aber, wieso er von Anfang an ständig mit schmerzlicher Miene umherblickt. Hilde Güden, gesanglich wie immer makellos, steigerte ihre Leistung noch von Akt zu Akt. Die übrigen Mitwirkenden (Mimi Coertse, Ludwig Welter, Harald Pröglhöf und Peter Klein) sangen ihre bekannt besseren, bzw. schlechteren Abende ab. Alberto Erede war ein aufmerksamer Begleiter, der bewies, daß er mit Puccini vertraut ist.

BALLETTABEND am 9. Februar

DON CARLOS am 10. Februar

Sänger, die die Welt erobern, tun dies –zumindest in unserer Zeit – nicht nur dank ihrer hervorragenden Stimmittel, sondern ebenso auf Grund ihrer starken zwingenden Künstlerpersönlichkeit. Steht aber ein solcher Sänger auf der Bühne, macht er auch den Abend zum Erlebnis und zieht das Publikum in seinen Bann. Nicolai Ghiaurov ist ein Muterbeispiel dafür. Steht diesem Philipp ein Großinquisitor wie Hans Hotter gegenüber, erwächst eine Szene von so eminenter Wirkung, daß keine Sprechbühne landauf, landab imstande wäre, der dramatischen Aussage des Operntheaters das Gleichgewicht zu bieten. Solche freilich sind Sternstunden! Erfreulichen Glanz brachte auch Sena Jurinac mit einer diesmal schön gesungenen Elisabeth von Valois in diesen Abend. Giuseppe Zampieri schlug sich brav und partiturensicher durch. Kostas Paskalis hat die große, kultivierte Linie für den Posa noch nicht gefunden, aber sein voller Einsatz und sein natürlicher, jugendlicher Schwung verdienen Anerkennung. Eine Enttäuschung war diesmal die Eboli Regina Resniks. Weder das maurische Lied noch die Arie wollten der sonst von uns sehr geschätzten Künstlerin gelingen. Alberto Erede am Pult verfiel nicht dem Fehler, sich um Schillersches Pathos zu bemühen. Seine Interpretation war echter, blutvoller Verdi und dies kam der Oper zugute. Schönes Repertoire in anfechtbarer Regie!

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 11. Februar

Dieses Werk, interessant inszeniert und mehr ein Publikum ansprechend, das den Text kennt und versteht und außerdem viel zu sehen bekommt, gibt vielen Ensemblemitgliedern die Möglichkeit, zum Zuge zu kommen. Liselotte Maikl übernahm die Rolle der Titania und zog sich mit Anstand aus der Affäre. Star des Abends war natürlich Gerhard Stolze als Oberon. Seine schauspielerischen Fähigkeiten haben offensichtlich keine Grenzen. Daß die Partie fast unsingbar ist, dafür kann er nichts. Der großartige Eindruck wird dadurch nicht geschmälert. Erich Kunz sorgte als Zettel für heitere Laune im Haus. Am Pult stand Viktor Reinshagen, der das Werk bereits in Zürich herausgebracht hatte und sich somit als sehr versiert erwies. Heinrich Schweiger als Puck bewies jenes Schauspielerformat, das wir für die Sprechpartien in der Ariadne und der Entführung wünschen. Ansonsten gab es die gewohnten und schon oft besprochenen Leistungen der übrigen Mitwirkenden.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 12. Februar

Miltiades Caridis ist unter allen Dirigenten der letzten Jahre derjenige, der uns am meisten an Rudolf Moralt erinnert. Das Werk, das er dirigiert, hat er intus. Er ist von sicherer Musikalität und jener Kaltschnäuzigkeit, die ein hartbedrängter Repertoiredirigent so dringend braucht. Wenn er sich dann nach einer gewissen Anlaufzeit sicher fühlt, improvisiert er schöne Steigerungen (Liebesduett!). Er müßte für Strauss und Wagner unbedingt mehr herangezogen werden. Hans Hotters gewaltiger Holländer beherrschte die Bühne. Wir haben ihn noch selten beim Holländer derart gut bei Stimme gehört, wie diesmal. Ja, wir können nicht umhin, begeistert festzustellen, daß er einen der Holländer seines Lebens gesungen hat. Da stimmte alles, das düstere Timbre, das gewaltige orgeln der Stimme, der packende Ausdruck, die immense Steigerung des Liebesduetts, vom gehauchten Piano des Beginns bis zum jubelnden Ausbruch, und nicht zuletzt das immer aus der Musik entwickelte Spiel. Seinen Kniefall und das Emporwachsen aus diesem bei der Stelle „Ein heilger Balsam meinen Wunden…„ wäre ein eigenes Essay wert. Ausgezeichnet war die erste Senta von Anita Välkki, bravourös ohne Orchesterprobe gesungen. Die große, dramatische, aber dennoch schön timbrierte und modulationsfähige Stimme wurde (bis auf einen Ausrutscher im Liebesduett) sehr sicher geführt. Dazu kam Ausdruck im Singen und ein Spiel, das der Scylla und Charybdis der Larmoyanz und Hektik, zwischen denen bei uns so manche Senta rettungslos zerschellt, geschickt auswich. Wenn Frau Välkki die Partie öfter gesungen haben wird und mehr unter Kontrolle hat, kann sie sogar eine außerordentlich gute Senta werden. Walter Kreppel hatte einen schlechten Abend, plagte sich mit Höhe und Intonation. Die Stimme machte sich bisweilen selbständig. Walter Geisler als Gast sang mit trockenem Timbre einen soliden Erik. Anton Dermota und Hilde Rössel-Majdan ergänzten das Ensemble gut. Der Herrenchor hatte im ersten Akt gleich zu Beginn seinen obligaten Ausstieg zu verzeichnen. Die Damen sangen im zweiten Akt sehr schön. Gott sei Dank war das Orchester um Klassen besser, als bei früheren Holländern, so daß man mit gutem Gewissen die Aufführung als würdig bezeichnen konnte.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 13. Februar

Endlich war es so weit! Fritz Wunderlich begann seine vertragliche Tätigkeit an unserer Oper (nach einigen krankheitsbedingten Absagen) mit einer seiner Glanzpartien, dem Belmonte. In deutschen Landen ist Wunderlich heute als Mozarttenor konkurrenzlos – kein Wunder, denn er vereinigt alle Tugenden eines wirklichen Künstlers in sich: hervorragende Phrasierung, sicheres Stilgefühl, überzeugendes Auftreten, ausgezeichnete Prosa und schließlich und endlich eine betörend schöne Stimme. All dies konnte man an diesem Abend bewundern und dem Künstler in lang anhaltenden Ovationen danken. Dabei haben wir in Wien seit den Kriegsjahren eine Reihe erstklassiger Belmonte-Sänger gehört – Peter Anders den Unvergeßlichen, Anton Dermota, schließlich im kleinen Haus an der Wien am Höhepunkt ihrer Karriere Walther Ludwig und Rudolf Schock – doch vermag Wunderlich sie bis auf Peter Anders alle zu übertreffen. Wir würden uns sehr wünschen, daß Fritz Wunderlich nicht nur die Mozartpartien (endlich auch den Ferrando) sondern alle einschlägigen Partien wie Lensky, Flamand, Graf Almaviva, Don Ramiro etc. im Rahmen seiner Wiener Tätigkeit zu Gehör bringen kann. Ausgezeichnet gefiel auch der neue Pedrillo Gerhard Unger, ein erstklassiger Spieltenor mit angenehmer Stimme und quicklebendigem Spiel, das nie in Klamauk ausartet. Auch er ist ohne Zweifel ein Gewinn für unser Haus. Hoffentlich hält man ihn fest, denn auch er fände ein reiches Betätigungsfeld. Ludwig Welter bemühte sich sehr um den Osmin. Er vermag die Partie wohl schauspielerisch voll, gesanglich jedoch nur teilweise auszufüllen, da man sehr oft die tiefen Töne mehr erahnen muß, als man sie hören kann. Die beiden Damen der Aufführung fielen stark ab. Mimi Coertse forcierte derart, daß man das Gefühl hatte, sie wäre statt in die Kleider Konstanzes in die Kostüme der Bellinischen Norma geschlüpft. Als Mozartsängerin ist Frau Coertse fehl am Platz, und man sollte die Entführung nur ansetzen, wenn man entweder Frau Rothenberger oder Frau Pütz zur Verfügung hat. Alles andere ist ohnehin nur vergebliche Liebesmüh. Liselotte Maikl als Blondchen schließlich hielt sich hauptsächlich an das Motto „Tanzen will ich, hüpfen, springen“, was bei ihrer für diese Spielpartie viel zu wuchtigen Erscheinung doppelt belastend wirkt. Gesanglich war sie bestenfalls durchschnittlich. Als besondere Draufgabe bekam man schließlich wieder Alfred Jerger als Selim Bassa zu sehen (hören konnte man auf der Galerie wenig, und das war Burgtheaterstil anno 1900). Wann endlich wird man hier einen Schlußstrich ziehen? Wir haben den Selim Bassa früher doch immerhin von erstklassigen Burgschauspielern wie Albin Skoda und Curd Jürgens mitbekommen. Warum setzt man aus dem ohnehin mit jungen deutschen Schauspielern vollgestopften Burgtheater nicht etwa Jürgen Wilke oder gar den einheimischen Walter Reyer an? Dann bekäme das ganze Geschehen endlich jene Glaubwürdigkeit, die ihr jetzt leider fehlt. Heinz Wallberg war der umsichtige musikalische Leiter, der bemüht war, den Abend möglichst unfallfrei über die Runden zu bringen. Dafür sei ihm Dank gesagt, denn für die schlechte Verfassung des von Substituten durchsetzten Orchesters kann er nichts.

BALLETTABEND am 14. Februar

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 14. Februar im Redoutensaal

Dank der großartigen Planung unserer Oper mußte man wieder einmal in den Redoutensaal pilgern, um Fernando Corena als Figaro zu hören. Aber um diesen heute zweifellos berühmtesten italienischen Baßbuffo zu hören, nimmt man sogar das auf sich. Bei uns ist man als Figaro entweder den wienerisch liebenswürdigen Kunz oder die das Revolutionäre stärker betonenden Berry und Evans gewöhnt. Fernando Corena stellt einen pfiffigen, etwas behäbigen Figaro auf die Bühne, mit köstlichem Mienenspiel und voll von Humor (allerdings etwas dezenterer Art, als man ihn hier pflegt). Stimmlich blieb kein Wunsch offen, wobei besonders die exzellente Phrasierung hervorzuheben wäre. Schließlich genoß man es auch in sprachlicher Hinsicht, endlich wieder einen geborenen italienischen Figaro zu hören. Wieviele sprachliche Feinheiten die sonst verloren gehen, entdeckte man da plötzlich! Eine ideale Partnerin hatte Corena in Graziella Sciutti, die einen guten Abend hatte und sowohl stimmlich als auch darstellerisch bezauberte. Es spricht für das Format der beiden Künstler, daß sie im Stande waren, die übrigen Mängel dieser Aufführung fast vergessen zu machen. Als Gräfin bemühte sich Hilde Zadek zwar sehr, doch ist ihre Stimme für diese Partie viel zu schwer und unbeweglich und auch ihrem Spiel fehlen jener Charme und jene Leichtigkeit, die für diese Rolle nun einmal Vorbedingung sind. Erstaunlich gut war Alfred Poell als Graf. Wo seine Stimme nicht mehr genug mitwirkt, konnte er dies durch noble Haltung und Intensität wettmachen. Hingegen fehlt Margareta Sjöstedt so ziemlich alles, was zu einem Cherubino gehört. Ihr Spiel ist plump und unbeholfen, und stimmlich genügt ein braves und langweiliges Heruntersingen der Arien noch lange nicht. Nach der ersten Arie rührte sich keine Hand – das spricht wohl Bände! Von den Nebenrollen entsprachen nur Ira Malaniuks humorvoll gesungene Marzelline und Frederick Guthries Dr. Bartolo. Miltiades Caridis war so damit beschäftigt, die Vorstellung reibungslos abzuwickeln, (was ihm größtenteils gelang), daß von einer künstlerischen Gestaltung an diesem Abend nichts zu merken war. So bleibt nur zu hoffen, daß Herr Corena bei seinem nächsten Gastspiel auch am Ring als Figaro zu hören sein wird – ihm und dem Publikum wäre dies zu gönnen!

DAS RHEINGOLD am 15. Februar

Für das Publikum ist es uninteressant, ob es einen Karajanabend mit oder ohne Vertrag hört. Hauptsache, es hört überhaupt einen. Daß Herbert von Karajan sein Publikum nicht bestrafen darf, weil die Verwaltung und das Ministerium nicht auf Draht sind, hätte ihm wirklich schon im November einfallen können. Ein Hörnerschmiß brachte den Maestro gleich zu Beginn offenbar aus dem Konzept, denn die beiden ersten Szenen gingen vorüber, ohne Eindruck zu hinterlassen. Doch dann packte es ihn plötzlich und der Abstieg ins Reich der Nibelungen war ein Aufstieg in die höheren Regionen einer großen Wagneraufführung, die dann bei der Schlußsteigerung wieder durch einen Tubenschmiß eingerahmt wurde. Aus dem Rheingold-Ensemble ragte wie immer der herrschsüchtige, stürmische Gott von Hans Hotter und der grelle, böse, flackernde Loge Gerhard Stolzes hervor. Unter den Göttern fand man Anton Dermota (Froh) und Ira Malaniuk (Fricka) besonders gut disponiert, Gerda Scheyrer und Eberhard Wächter verläßlich wie immer und Regina Resnik (Erda) so schlecht bei Stimme, daß wir anfänglich glaubten, die Technik habe nicht funktioniert. Alois Pernerstorfer, nach einem Gickser in der ersten Szene stimmlich ausgezeichnet, und Peter Klein waren profilierte Nibelungen. Gottlob Frick und Walter Kreppel stimmgewaltige Riesen, wobei ersterem der halbe Hort vorzeitigt in den Rhein fiel, sowie Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan diesmal etwas unausgeglichene Rheintöchter. Das Publikum war glücklich, seinen Wagner mitsamt seinem Karajan wieder zu haben, und jubelte wie schon lange nicht. Immerhin war es ja, wie man nicht vergessen soll, eine Repertoireaufführung.

 

MARGARETHE am 16. Februar, Neuinszenierung, Premiere A

Clemens Krauss: Zum Schluß auf den Trümmern großes Ballett!

So und nicht anders kann das Motto unserer neuesten Premiere, Gounods Margarethe, heißen. Dabei wurden organisatorisch bereits derartige Fehler begangen, daß wir sie besprechen müssen, bevor wir auf das Musikalische eingehen.

Erstens ist man jetzt auch hier auf den totalen Unsinn der „Doppelpremiere“ verfallen, der sich in München schon nicht bewährt hat. Zwei gleich gute Besetzungen hat kein Haus unter seinen stets anwesenden Stammsängern. Gäste gleichen Faches zur gleichen Zeit einer Doppelbesetzung wegen in einer Stadt zu konzentrieren, ist erstens eine Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Opernbühnen und zweitens organisatorisch unmöglich. (Man könnte selten Siepi und Christoff, London und Hotter zugleich beschäftigen).

Zweitens muß sich die Wiener Staatsoper endlich um einen Regisseur umsehen, der auch richtige große Opern inszenieren kann. Das mitleidige Lächeln der Avantgardisten Mitteleuropas über diese Sparte resultiert ja nur aus dem völligen Unvermögen, sie szenisch und musikalisch richtig gestalten zu können. Es wurde die Wallmann, die solche Werke immerhin mit Geschmack und einem Blick für das Ästhetische zu machen pflegt, sehr geschickt hinausintrigiert. Und der Nachfolger Paul Hager samt family? Apollo möge uns in Zukunft vor ihm beschützen. Vielleicht könnte Günther Rennert, der an der Met und Scala ja auch große Opern inszeniert, doch auch ein solches Stück in Wien machen? Wenn nicht, werden wir in Zukunft um den teuren und scharf probenden Zeffirelli kaum herumkommen. Aber da ist dieser unsinnige Komplex des Hausregisseurs. Den hatte die Wiener Oper früher in Gestalt von Herrn Wymetal. Er saß das ganze Jahr in Wien, inszenierte alles und beschränkte sich bei seiner Regie darauf, den Sängern mitzuteilen, wo sie aufzutreten und wo sie abzugehen hätten. Die Aufführungen sahen danach aus, erduldeten aber ohne sonderlichen Schaden zwanzig verschiedene Besetzungen, und es verlangte ja auch niemand etwas anderes vom Regisseur und seiner Vorstellung. Im Zeitalter einer hochgestochenen „modernden“ Inszenierungsweise, in der die guten alten Stücke mit Komplexen, Tiefenpsychologie und womöglich sexuellem Trauma angepfropft werden müssen, damit die Herren Kritiker etwas zum Anreiz haben (das Publikum hat sogar von Wieland Wagners drohenden Phallussymbolen schon genug), kann sich ein Opernhaus aber auch dann, wenn es diesbezüglich keine Sensation sucht, nicht mehr mit Wymetals oder Hagers behelfen. Und ein Haus wie Wien, das in Herrn von Karajan einen der besten modernen Opernregisseure hat, darf auch die Opern, die er nicht macht, nicht verkommen lassen. Statt eines sogenannten Hausregisseurs, der, wie Herr Hager, nach einem schwungvollen Bajazzo nur mehr einen gut imitierten Don Pasquale und sonst entweder farblose (Fürst Igor und Eugen Onegin) oder verhaute Inszenierungen (Hoffmann in der Volksoper, Idomeneo und Bergwerk von Falun in Salzburg) geliefert hat und mit der Margarethe einen absoluten Tiefpunkt zeitgenössischer Inszenierungs-„kunst“ erreichte, sollte Wien lieber große Regisseure engagieren. Voraussetzung dafür wären aber einige agile und gute Abendregisseure, nicht die bisherigen schlummernden Routiniers. (Man müßte diese Assistenten aus der Provinz oder vom Fernsehen holen und natürlich etwas besser bezahlen).

Drittens ist die Margarethe, die man musikalisch nicht unterschätzen sollte, ist eine ideale Oper für große Sänger. Solche für dieses Werk zu gewinnen, ist die Pflicht der Direktion. Man kann nicht in der Besetzung den schlechten Geschmack des Herrn Hager, der sich mit der Besetzung des Mephisto durch Herrn Uhde eher nach Heidelberg, wo er herkommt, denn nach Wien orientiert hat, schalten und walten lassen.

Viertens muß man die Skizzen eines Bühnenbildners, wenn sie so schlecht sind wie diese, ja nicht annehmen, auch wenn der Erzeuger Jean Pierre Ponelle heißt und somit einen Namen hat. Es ist zwar klar, daß der beste Bühnenbildner nichts leisten kann, wenn er mit einem Nicht-Regisseur, wie Herrn Hager zusammenarbeitet, aber dann hätte eben Herr Schneider-Siemssen mit seiner abstrakten Romantik oder Frau Maximowna mit ihren gehauchten Schleier-Bildern eingreifen müssen.

Fünftens hat der echte Provinzler Hager bisher in Wien nur eines gelernt: Geld unnötig verpulvern. Daß er auch für den organisatorischen Posten, den er innehat, völlig unfähig ist, weiß inzwischen jeder, abgesehen von Herrn von Karajan, der in seiner Naivität auf jeden, der es ihm sagen will, eingeschnappt ist. Dazu tritt noch ein ziemlich undurchsichtiges Verhalten in der noch aus dem Vorjahr stammenden Karajan-Krise. Vielleicht bricht Hager diese künstlerische Pleite jetzt endlich das Genick! Es wäre der Staatsoper und Herrn von Karajan, der von einem Judas weniger umgeben wäre, zu gönnen.

Doch nun zur Sache: Ponelles Bühnenbilder passen absolut nicht zueinander. Nach einer manieristischen Studierstube und einer grellbunten Kirmes folgte Margarethens Orangerie, eines der gräßlichsten Bilder, die wir seit Jahren gesehen haben. Aber noch ärger wirkte das traute Städtelein mit Brünnelein und Fachwerkhäuselein, mit Erkerlein und Butzenscheibchen, das zum Soldatenchor und Valentins Tod mühsam in dreißig Minuten Arbeit zurechtgezimmert werden mußte. Die Kirche war, obzwar verbaut, doch immerhin stimmungsmäßig gut. Man wurde sich allerdings nicht recht klar, ob die Szene außen oder innen spielt. Das Ballettbild gelang noch am besten, weil außer einer Treppe nichts auf der Bühne stand. Der Kerker litt unter der Großräumigkeit aller Bühnenkerker, wo man sich nur wundert, warum die Gefangenen nicht einfach davonlaufen. Die Kostüme waren ohne alle Ausnahme, ob sie jetzt Solisten, Chor, Ballett oder Statisten betrafen, grellbunt und schrecklich kitschig. Darüber streute nun Paul Hager seine Künste, projizierte auf naturalistische Bilder abstrakte Muster, was nicht einmal ein Regieschüler im ersten Jahrgang täte, füllte die Kirmes mit einer geschmacklosen Variante von Rennerts Zirkus aus der Verkauften Braut, imitierte einen Wallmann-Aufmarsch mit Priester, der nicht nur Fahnen sondern auch Morgensterne und Hellebarden segnete, und ließ die Chordamen dazwischen Wäschewaschen. (Aus dem Bajazzo ist uns das Schaff dazu bereits bekannt.) Man muß nur froh sein, daß kein Fotograph aufgetreten ist. Das hat er ja auch so gern. Wazlaw Orlikovsky, dem ein großer Ruf vorausgegangen war, choreographierte den Walzer so albern, daß man sich schon wunderte. In der Walpurgisnacht zeigte er allerdings die Pranke des Löwen. Mit Goethes Walpurgisnacht hatte dieses Ballett wenig zu tun, die Musik allerdings bekanntlich auch nicht. Aber man sah eine unerhört abwechslungsreiche, phantasievolle Choreographie, in der alle Tänzer richtig eingesetzt waren und die unerhörte Schwierigkeiten beinhaltete. Man sah herrliche Hebefiguren von Traute Brexner und Willi Dirtl, temperamentvolle Sprünge von Paul Vondrak und vorzügliche Beinarbeit der Herren Ludwig Musil und Karl Musil, dazu Christl Zimmerl kühl und bravourös (sie ist ein gänzlich unwienerischer Tänzerinnentyp und daher wohl in Wien nicht so beliebt, wie es ihrem Können entspricht) und Margaret Bauer und Erika Zlocha auf der Höhe ihrer Aufgaben. Die Koryphäen hatten eine Massen-Fouette-Parade zu absolvieren und das Corps, bis herab zu den Kindern, die auch eingesetzt waren, hielt sich wacker.

Womit es Zeit ist, den Dirigenten Georges Pretre zu würdigen. Er ist eine Persönlichkeit, vereinigt Schwung und Grazie, Kraft und Intelligenz zu einer ganz hervorragenden Leistung. und man denkt mit Grauen daran, wie sich Gounods Musik wohl unter Swa, Mä und Loi ausnehmen wird. Es wäre am besten, das Stück nur dann zu spielen wenn Pretre (oder natürlich Cluytens) zur Verfügung stehen.

Die erste Besetzung an diesem Abend  war: Wilma Lipp in der Titelrolle, Hilde Rössel-Majdan als wild outrierende Martha, Olivera Miljakovic mit hübscher Stimme und schwärmerischem Vortrag als Siebel. Den Faust sang Waldemar Kmentt. Valentin wurde persönlichkeitsstark von Eberhard Wächter gesungen und gespielt. Ludwig Welter gab den Brandner. Den Mephisto zu übernehmen, erkühnte sich Hermann Uhde. Frau Lipp und Herr Kmentt haben zusammen in der Boheme gesungen und prächtige Kritiken erhalten. Als Gretchen und Faust kamen sie plötzlich weit schlechter weg, obzwar bei französischer Musik das Timbre nicht ganz so wichtig ist wie bei Puccini. Beiden Sängern gemeinsam war die Gewissenhaftigkeit der Vorbereitung und der Einsatz bis zum Letzten. Frau Lipp wirkte trotz ihrer Natürlichkeit in den ersten Szenen etwas farblos, sang jedoch eine gute Kirchenszene und mit gewaltigem Stimmeinsatz eine sehr gute Schlußszene. Herr Kmentt ist als Faust nicht nur besser denn als Rudolf, sondern es war seine beste persönliche Leistung in den letzten Jahren überhaupt, denn über Mozart sollte er sich gar nicht mehr wagen (den Tamino ausgenommen). Er litt allerdings unter der pathetischen Regie des ersten Aktes und der mangelnden Schmiegsamkeit seiner Stimme, was besonders im Liebesduett fühlbar war. Außerdem hat er die Tendenz, auf den Spitzentönen (diesmal am cis der großen Arie) solange sitzenzubleiben, bis der Registerwechsel in die Mittellage nicht mehr funktioniert. Aber das ist auch Routinesache. (Es fiel uns bei seinem Grazer Cavaradossi übrigens auch schon auf). Hermann Uhde ist zwar ein sehr trauriger Fall, aber die Wiener Staatsoper ist schließlich kein Fachumschulungsinstitut für gescheiterte Sänger. Man bewundert die – man muß schon sagen Chuzpe – mit der es ein Uhde wagt, mit einem Ghiaurov in die Schranken zu treten. Dabei hatte Uhde noch das Glück, daß sich der Mephisto hauptsächlich auf drei Tönen in der Mittellage abspielt, die Uhde doch noch hat. Oben und Unten war er völlig unhörbar und auch als Persönlichkeit sehr wenig überzeugend. Er spielte ein flinkes Teufelchen mit schönen Beinen, und man dachte, sooft er auftrat, an eine einstmals bekannte Sendung des Wiener Rundfunks und war versucht, ihn mit „Servas Teuferl!“ zu begrüßen. Ans Kabarett wurde man überhaupt gelegentlich gemahnt. Uhde hätte ruhig mit Helmuth Qualtinger sagen können: „Ich war der erste, der in dieser Rolle gehölzelt hat!“ Impertinenterweise stahl Herr Uhde, dem bei jedem Auftritt eine Welle kalten Hasses aus dem Zuschauerraum entgegenschlug, noch den Kollegen den Applaus, weil er sich immer nur zwischen Lipp und Kmentt vor den Vorhang wagte. Die Domszene hatte seinetwegen eisiges Schweigen zu verzeichnen. Der Haß kam daher, daß Ghiaurov, der für diesen Abend angesetzt war, absagen mußte. Das Publikum hatte „besondere Preise“ für die Karten, um die man sich stundenlang angestellt hatte, bezahlt, um dann Uhde in Kauf nehmen zu müssen. Da Herr Uhde aber für die Premiere B vorgesehen war, galt er nicht als Einspringer und stand daher unter keinem „Retter-Schutz“. Der Beifall des Publikums konzentrierte sich an diesem Abend auf Dirigent, Orchester und Ballett. Die Bühnenbilder und Inszenierungskünste wurden vom Auditorium verlacht, was ja noch ärger ist, als lautstarke Demonstrationen.

FIDELIO am 17. Februar

Eine Schreibmaschine reicht nicht aus, um die Hymne zu produzieren, die Herbert von Karajan und den Wiener Philharmonikern für diesen Abend gesungen werden sollte. Das war Beethoven in seiner ganzen Größe und Gewaltigkeit, die aus jeder Note dieses seltsamen Stückes leuchtete, das als Singspiel beginnt und als Oratorium aufhört und in dem die Spannung gewaltiger und die Lösung befreiender ist als in so mancher Oper mit 110 Mann Orchester. Christa Ludwigs Leonore hat sich sehr verbessert. Sie bekam die Figur ganz in den Griff und singt herrlich, fast mühelos und voll Spannung. Auch Walter Berrys Pizarro ist in der Phrasierung und Maske weit profilierter, und die Stimme scheint nicht unerheblich gewachsen zu sein. Giuseppe Zampieri war merkwürdigerweise diesmal der sicherste Sänger auf der Bühne und sang mit seiner schönen, weichen Stimme und gut verständlichem Deutsch. Walter Kreppel, Eberhard Wächter und Waldemar Kmentt füllten ihre Partien aus und Gundula Janowitz war erst ab der mit Empfindung gesungenen Arie gut. Das erste Duett, wo sie seit der Premiere schwimmt, müßte sie jetzt schon langsam erlernt haben. Auch der Chor hing einige Male, aber die Glanzform des Orchesters, das eine traumhafte Leonoren-Ouvertüre spielte, glich das alles wieder aus. Auch haben wir noch nie (und das bei über hundert Fidelii!) eine so erregende Kerkerszene und eine derart auf Ausdruck gesungene „Namenlose Freude“ erlebt. Das Publikum raste! Welch ein himmelhoher Unterschied zur vortägigen Margarethe-Premiere!

DER ROSENKAVALIER am 18. Februar

Wenn wir so nach dem Anhören der verschiedensten Opern nach Hause gehen, plagt uns oft der Zweifel, ob wir nicht zu jenen Snobs zählen, die keine richtige Freude mehr beim Opernbesuch haben, weil sie ohnehin schon alles auswendig können. Daß dem nicht so ist, bewies die Repertoireaufführung des Rosenkavalier, in dem die Solisten mit Können und Liebe bei der Sache waren. Heinz Wallberg dirigierte mit Schwung ein gut gelauntes Orchester. Im zweiten Akt war die Untermalung der Konversationsszene von Oktavian und Sophie zwar etwas derb, aber die Stimmen von Sena Jurinac und Wilma Lipp wurden damit spielend fertig. Frau Jurinac, für uns der Begriff des Quinquin, sang zwei Akte „nur“ gut. Der letzte hingegen war ein Traum, sowohl was die Darstellung, als auch was den Gesang betraf. Hier hatte die Stimme Wohlklang ohne manchmal auftretende Schärfen. Sie ist und bleibt in der Gesamtheit der Rosenkavalier unserer Tage. Der Charme und das dezente Spiel in den Mariandl-Szenen ist unüberbietbar. Von ihrer inspirierten Leistung wurde auch Hilde Zadek als Marschallin angesteckt. Sie überwand zuweilen ihre Reserviertheit, fand dabei zu Herzen gehende Töne, und deswegen allein vergaß man, daß ihre Stimme nicht mehr zu den frischesten zählt. Frau Lipp hat die wienerische Note für die Sophie. Ihre Phrasierung ist perfekt, der Tonfall leicht, nur leider gibt sie manchmal zuviel Stimme. So erscheint die Partie dramatischer, als sie in Wahrheit ist. Otto Edelmann bot als Lerchenauer eine ganz erstklassige Leistung. Die Stimme klang voll und saftig wie schon lange nicht, und in der Darstellung verfiel er nicht in die kleinste Übertreibung. Bravo Edelmann! Rudolf Knolls Stimme ist für den Faninal zu klein, zumindest für die Wiener Oper. Fritz Wunderlich sang einen Sänger, dem der italienische Belcantostil nicht fremd ist. Allerdings war er erst zum Schluß seines kurzen Auftrittes so, wie wir ihn uns vorstellen. Von den Nebenrollen müssen wir diesmal Karl Friedrich als Wirt hervorheben. Schon lange war er nicht so gut bei Stimme. Ein Repertoireabend, der mit Ovationen für die Jurinac endete.

MADAMA BUTTERFLY am 19. Februar

„Frau Gerda Scheyrer ist plötzlich erkrankt, Frau Lotte Rysanek hat sich, trotz eigener Indisposition bereit erklärt, die Partie der Butterfly zu übernehmen“. So begann eine der schwächsten Aufführungen dieses herrlichen Pucciniwerkes, die wir in letzter Zeit hörten. Dabei stand mit George Pretre ein Mann am Pult, der um Puccinis Musik genau Bescheid weiß und sie auch bestens zur Wirkung brachte, doch Butterfly mit dem Orchester allein…Lotte Rysanek soll (siehe oben) keiner Kritik unterzogen werden, doch eine ergreifende Cho-Cho-San wird sie, auch wenn sie bestens disponiert ist, nie sein. Giuseppe Zampieri erfreute diesmal nur durch seine angenehme Mittellage, die Höhe war stets forciert und gepreßt, manchmal auch unhörbar. Hilde Rössel-Majdan und Kostas Paskalis boten gute Leistungen. Die übrigen Nebenrollen waren leider unzulänglich besetzt. Eine Aufführung, an die der Merker vom Dienst nicht gern zurückdenkt.

DIE ZAUBERFLÖTE am 19. Februar im Theater an der Wien

Junge Stimmen lockten uns ins Theater an der Wien zu einer Zauberflöte. In erster Linie natürlich der vollkommene Mozartsänger Fritz Wunderlich, der in Phrasierung, Stil, Timbre und Ausdruck, ja noch dazu in Erscheinung, Spiel und Prosa das Maximum dessen darstellt, was in der derzeitigen Opernsituation in diesem Fache geboten werden kann. Neben ihm bestand in Ehren Gundula Janowitz als Pamina, die mit Technik und viel Stilgefühl ihre große, aparte instrumentale Stimme zu führen und mit Empfindung zu singen und spielen versteht. Olivera Miljakovic, die couragierte hübsche Sopranistin, die uns da so unvermittelt ins Haus geschneit ist, verriet auch mit ihrer lustigen und hübsch gesungenen Papagena, daß sie das Zeug hat, Karriere zu machen. Die Wiener Oper scheint plötzlich aller Sorgen im hohen Sopranfach ledig, denn daß die fleißige junge Dame alle vakanten Partien von der Zdenka bis zur Zerline und vielleicht noch darüber hinaus in kürzester Zeit erlernen wird, scheint doch ziemlich klar zu sein. Auch Heinz Holecek, der Papageno, wußte mit gesunder Stimme und dem Bemühen, weder Kunz noch Berry zu imitieren, sehr gut zu gefallen. Er klebt nur noch ein wenig an den Noten, an den Worten. In diesem Fach muß alles locker wirken, sonst merkt man die Mühe, die dahintersteckt. Überdies gehört er regelrecht und sorgsam aufgebaut. Er könnte ruhig in der Oper das Fach des jungen Berry (Schaunard, Masetto) aber auch den Harlekin und noch einige andere hübsche Rollen voll ausfüllen. Die Volksopernleitung scheint ja wieder einmal von allen guten Geistern verlassen, wenn sie Herrn Holecek nur als Papageno und Montschi beschäftigt und etwa den Malatesta und Belcore mit einem Herrn Foster oder ähnlichen Leuten besetzt. Heraus mit Holecek aus der Volksoper, solange es noch nicht zu spät ist! Otto Wiener sang den Sprecher mit viel Würde. Christa Ludwig wurde als zweite Dame mißbraucht. Der Rest war Routine: Erika Mechera als Königin der Nacht, die die Partie sicherlich nicht wegen der Stimme an sich, sondern der Fähigkeit wegen, Koloraturen zu quietschen, erhalten hat, Walter Kreppel, Peter Klein, Karl Friedrich, Ljubomir Pantscheff. Gustav Elger hat wohl den Ersten Priester als Würdigung seiner jahrelangen Opernbesuchertätigkeit erhalten. Die Referentin dieses Abends wird auch den Anspruch stellen, als Ida in der Fledermaus angesetzt zu werden, wenn es danach geht. Leo Meinerts Leistung als Zweiter Priester läßt Rückschlüsse auf seine Qualitäten als Regieassistent und Abendregisseur zu. Berislav Klobucar plagte sich redlich mit einem schlechten Orchester. In der von uns überblickten Hälfte des Orchesterraumes fanden wir neun Philharmoniker, in der anderen, der Bläserhälfte, dürften es dem Klang nach noch weniger gewesen sein.

GESCHLOSSEN am 20. Februar, Vorbereitung zum Opernball

OPERNBALL am 21. Februar

DIE ZAUBERFLÖTE am 21. Februar im Theater an der Wien

Am Tag des Opernballs traf sich im Theater an der Wien eine gute Sänger- und eine mäßige Orchesterbesetzung. Mit letzterer hatte Berislav Klobucar viel Mühe und erzielte nicht mehr als einförmige Begleitung. Fritz Wunderlich war ein herrlicher Tamino. Wilma Lipps Pamina hörte man noch die Anstrengung der Margarethe an. Für Walter Kreppels Sarastro ist das Haus zu klein (er kann die Stimme nicht zurückhalten, orgelt darauf los und intoniert unrein). Entzückend Papageno und Papagena von Walter Berry und Graziella Sciutti, gerade noch erträglich die Königin der Nacht von Erika Mechera. Die drei Damen Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Hilde Rössel-Majdan waren manchmal nicht ganz „beieinander“, sowohl beim Singen als auch beim Sprechen. Peter Kleins Monostatos war gut wie stets. Bei den Priestern und Geharnischten wurde man wieder dran erinnert, daß Karl Friedrich noch aktiv ist. Gut und sicher der Staatsopernchor. Das Publikum war ambitioniert.

SALOME am 22. Februar

Dieses Stück sollte man nur mit einem großen Dirigenten spielen, doch hat die Wiener Oper keinen dafür. Gott sei Dank standen nun nicht „Swa“ und „Mä“, die Lieblinge der Kritik, auch nicht „Loi“, der Liebling der Philharmoniker am Pult, sondern Berislav Klobucar, der zwar niemandes Liebling ist, bei dem aber zumindest Gewähr besteht, daß weder gegen den Geist der Musik noch gegen den Atem der Sänger gesündigt wird. Daß Straussens funkelnde Musik durch Klobucars schwere Hand nicht farbig sondern höchstens bunt wird und dem gesunden Musiker jede Möglichkeit zur Ekstase fehlt, ist wieder eine andere Sache. Ähnlich geht es uns mit der Titelrollenträgerin. Die Zeiten sind vorbei, in denen eine Salome begeistern konnte. Auch die Zeiten, in der es zumindest eine zufrieden stellende gab. Jetzt ist man schon froh, wenn man beim Anblick des Tanzes der sieben Schleier keinen Brechreiz bekommt. Margaret Tynes sang die Partie zum ersten Mal in Spoleto, was unter normalen Musikfreunden eben keine Empfehlung darstellt. Ihre Stimme ist mittelgroß und nicht ganz ausgeglichen, doch singt sie richtig. (Auch schon ein Grund zur Zufriedenheit!) Sie tritt züchtig verhüllt auf, läßt den Mantel aber schon in der Jochanaanszene fallen, um dann die gesamte Partie im Bikini und barfuß zu absolvieren (Was muß die langbeinige coloured Lady gefroren haben!) und hatte somit keine Überraschungseffekte mehr zu bieten. Der Tanz rückte schon etwas in Night-Club-Nähe, aber es ist ja schließlich ethisch auch nicht hochstehender, ob man sich wegen eines Männerkopfes oder für Geld auszieht. Die Problematik des Sujets scheint in der letzten Zeit wegen des Trends zur Massen-Strip-Tease überhaupt keine mehr zu sein. Margaret Tynes kam jedenfalls gekonnt über die Runden, ohne aufregend zu wirken. Wegen eines Jochanaan wie Robert Bruce Anderson aus Augsburg hat sich jedenfalls die ganze Aktion auch gar nicht gelohnt. Er hat keine wie immer geartete Ausstrahlung und ein rauhes und häßliches Organ. Das Tetrarchenpaar, geradezu ätzend scharf gezeichnet von Regina Resnik und Gerhard Stolze, war das Beste an diesem Abend. Niveau hielten auch das Judenquintett, Margareta Sjöstedt, Anton Dermota und Walter Kreppel. Der Rest ist Schweigen.

 

MARGARETHE am 23. Februar, Premiere B

An diesem Abend betrat Nicolai Ghiaurov durch den Kamin (Herr Hager muß sich auf diese Idee einiges eingebildet haben!) die Bühne, und von diesem Moment an hieß die Oper beinahe „Mephisto“. Der faszinierte Hörer konnte nicht nur die gewaltige, aggressiv-schöne Stimme bewundern, sondern auch die Profilierung, die ein wahrhaft großer Sänger einer Partie angedeihen läßt. An die Regie hielt er sich überhaupt nicht, sondern spielte den Mephisto Gott sei Dank so, wie er ihn sich vorstellt: als großen Herrn aus der Hölle, der die Menschen mit einer Mischung von Spott und Humor betrachtet und der gar nicht viel hüpfen und springen und herumteufeln muß, daß sie ihm parieren. Grandios im Ausdruck Rondo und Ständchen, herrlich sein Zusammenspiel mit der charmanten und überlegen humorvollen Elisabeth Höngen als Marthe, das wirklich nur mit dem Zusammenwirken von Will Quadflieg und Susi Nicoletti in ebendieser Szene in Salzburg zu vergleichen ist. Faust sang Giuseppe Zampieri, mit natürlicher Phrasierung, schöner, weicher Stimme, aber großer Zaghaftigkeit und ohne jeden Einsatz. (Man müßte Kmentt und Zampieri mischen können). Kostas Paskalis hatte in Valentins Gebet, das ihm in seiner liedhaften Lyrik wenig liegt, einige typisch hinaufgeschliffene Paskalis-Höhen. Hoffentlich lernt er gelegentlich, die Höhen Mezzoforte und nicht Fortissimo zu nehmen, dann wären sie nämlich schöner. In Valentins Tod waren aber die große Stimme und das eminente Bühnentemperament richtig eingesetzt. Alois Pernerstorfers rauhe Stimme kam dem Brandner nicht zugute. Laurence Dutoit sang einen sauberen Siebel. Aber die Vorstellung hatte neben Ghiaurov noch ein zweites Juwel: Hilde Güden stand auf der einsamen Höhe großer Gesangskunst. Die lyrischen Szenen (König von Thule, Liebesduett) waren vollendet dargeboten, mit Empfindung und kostbarem Timbre gesungen. Die Koloraturen kollerten mühelos wie die Perlen französischen Champagners, und das Spiel, das sich auch nicht an die Regie hielt, war fein abschattiert und gefühlvoll. In der Domszene und im Schlußduett kam sie mit weit weniger Anstrengung als Frau Lipp zur vollen Wirkung. Wenn es nach uns ginge, müßte Frau Güden schnellstens folgende Partien singen: Fiordiligi, Donna Anna, Arabella, Capriccio-Gräfin, Christine Storch, Daphne, Evchen und die vier Partien im Hoffmann. Nach dieser Aufführung konzentrierte sich der Beifall mit Recht auf die Sänger, aber auch den Dirigenten und das Ballett. Der Chor schwamm an beiden Abenden im zweiten Bild gehörig, war aber dann im fünften Bild sehr gut. So war es diesmal ein schöner Abend ohne Mißfallenskundgebungen und weit weniger Gelächter. Wir hoffen, bald Herrn Gedda als Faust zu hören, die Oper nur unter geeigneten Dirigenten vorgeführt zu bekommen und die großen Bässe und Baritons alle als Mephisto erleben zu können. Je zweimal Christoff, Ghiaurov, Hotter, London und Siepi = 10 mal. Öfter kann man das Werk pro Saison ohnedies nicht aufführen. Nur so ist die Inszenierung verwertbar.

 

DON PASQUALE am 23. Februar im Theater an der Wien

In dieser Aufführung konnte man in den reizenden, südlichen Atmosphäre atmenden Bühnenbildern von Frau Bauer-Ecsy und der etwas turbulenten Regie Paul Hagers (man merkt dies besonders bei mehrmaligem Besuch der Aufführung) wieder einmal Lieben und Leiden des Don Pasquale erleben. Unter der sicheren und sehr animierten musikalischen Leitung von Miltiades Caridis stand ein recht unterschiedliches Ensemble auf den Brettern des Theaters an der Wien. Die Krone gebührt abermals dem Pasquale des Fernando Corena. Ein vollsaftiger Baßbuffo, stimmlich überragend (mit Pasquale-Sängern waren wir in den letzten Jahren nie verwöhnt!), konnte er alle Register seines eminenten Könnens ziehen. Ob ihm nun beim Anblick der schönen Norina ein überraschtes „una bomba“ entschlüpfte, oder er nach Erhalt der ersten ehelichen Ohrfeige den gequälten und erschütterten Menschen und Ehemann glaubhaft machte, immer wußte er zu überzeugen. Wir wünschen uns, diesen Erzkomödieanten noch oft in dieser und auch vielen anderen Partien seines umfangreichen Repertoires (hoffentlich auch im neuen Barbier als Bartolo!) zu hören. Graziella Sciutti als Norina ließ nicht nur wahrnehmen, daß sie indisponiert war, sondern auch vermuten, daß der silbrige Glöckchenklang derzeit nicht vorhanden ist, wenn auch alles gut gesungen und vor allem hinreißend gespielt wurde. Ob nicht etwas Schonung am Platze wäre? Renato Cesari als Dr. Malatesta ist ein sehr mittelmäßiger Bariton, was sowohl das Gesangliche als auch das Darstellerische betrifft. Den Ernesto sang Murray Dickie mit steifer, unbeweglicher Stimme und gequälter Höhe. Er ließ uns abermals deutlich erkennen, daß er eben ein Tenorbuffo und niemals ein lyrischer Tenor ist. Es ist nötig anzumerken, daß ihm Ermanno Lorenzi hier überlegen ist. Warum hat man überhaupt umbesetzt? Schade, daß Wunderlich diese Partie nicht italienisch beherrscht, das wäre dann goldrichtig und würde auch die Kassen füllen, sodaß nicht nur Freikartenbesitzer in Parkett und Logen versammelt sind, wie es zur Zeit der Fall ist. Glänzend bei Spiellaune und Stimme präsentierte sich der Staatsopernchor, dem hier ein Sonderlob gebührt. Alles in allem eine Aufführung, die trotz des herrlichen Corena und der beschwingten Musizierlaune des Dirigenten manchen Wunsch offenlassen mußte.

LA BOHEME am 24. Februar

Man hatte keinen Rodolfo, telefonierte sich durch halb Europa und fand schließlich ihn, der es der Staatsoper ermöglichte, die geplante Vorstellung einzuhalten. Der junge Mann, der plötzlich die Ehre hatte, an der Wiener Oper den Rodolfo zu singen, hieß Luciano Pavarotti. Er sah sehr gut aus und hinterließ, von einem von der Nervenbelastung erschwerten ersten Akt abgesehen, in dem ihm von Anfang bis zum Ende der Angstschweiß auf der Stirn stand, einen positiven Eindruck. Die Stimme hat ausgesprochen lyrischen Charakter, klingt sehr schön im Mezzavoce, wird jedoch zuweilen in der Höhe zu forciert eingesetzt. Die Phrasierung war sehr ausdrucksstark, und er war daher in dieser Beziehung unseren hauseigenen Rodolfos überlegen. Überflüssig zu sagen, daß der junge Mann mit einer Begeisterung und Anteilnahme sang, die als Vorbild für die Routiniers der übrigen Besetzung gelten sollte: Hans Braun als Schaunard, Frederick Guthrie als Colline und Mimi Coertse als Musetta. Sollte in Österreich das Phlegma des Beamtentums schon auf die Künstler übergreifen? Als Mimi gastierte Joan Carlyle, die sich erst im letzten Akt entwickeln konnte. Bis dorthin gefiel sie zwar durch ihre dezente, unaufdringliche Darstellung, aber die Stimme fing erst in der oberen Mittellage zu blühen an. Die untere Mittellage klang wenig voluminös und die Tiefe fahl. Nach der Nedda hatten wir uns mehr von ihr erwartet. Eberhard Wächter als Marcello war die größte Persönlichkeit auf der Bühne, wobei er auch großzügig mit seiner Stimme umging. Heinrich Hollreiser war den beiden Gästen wohl gewogen. Er richtete sich nach ihnen, aber eine Puccinische Boheme darf man von ihm nicht erwarten. Dazu ist er viel zu grob und laut.

DER ROSENKAVALIER am 25. Februar

Den letzten Rosenkavalier des Monats dirigierte Heinrich Hollreiser. Er war leider sehr derb im Orchesterklang und ohne den wienerischen Charme, dessen diese Oper bedarf. Von der leichten Hand seines Lehrers Clemens Krauss, der uns unvergeßlich bleibt, war nicht das Geringste zu verspüren. Wienerisch waren an diesem Abend nur Sena Jurinac, stimmlich allerdings nicht so in Fahrt wie einige Tage vorher als Oktavian und Wilma Lipp als Sophie, die diesmal einen ausgezeichneten Abend hatte. Nicht zu vergessen Alfred Poell als Faninal, der diese Figur wie eh und je mit seinem Charme ausstattete. Bei der Marschallin Hilde Zadeks ist die Beifügung „wienerisch“ nicht angebracht. Da scheiden sich die Geister. Noch dazu war diesmal das Herz der Künstlerin in Watte verpackt, und der leichte Ton kam nicht so recht von den Lippen. Doch immerhin kann man über sie noch diskutieren. Keineswegs wienerisch – und darüber waren sich alle einig (nur Herr Schneiber bildete eine Ausnahme!) war der Gast aus London: Michael Langdon als Ochs. Er hatte Mühe mit dem Dialekt und außerdem war er in stimmlicher Hinsicht nicht so eine Größe, daß man darüber hinwegsehen konnte. Wozu diese Gastverpflichtung? Ludwig Welter saß zuerst in der Künstlerloge, dann ging er weg. Wir konnten ihn verstehen! Oskar Czerwenka ging vermutlich spazieren. Vielleicht holt man den nächsten Ochs aus Japan, um dem deutschen Spielplan neue Lichter aufzusetzen. Von den übrigen Rollenträgern verdient Anton Dermota als Sänger aufrichtige Bewunderung. Er sang die Arie diesmal ganz vorzüglich. Gerhard Stolze als Valzacchi war schauspielerisch so stark, daß Margareta Sjöstedt sich noch schwerer als sonst, tat.

EIN MASKENBALL am 26. Februar

Eine italienische Aufführung, wie sie nicht sein soll. Wenn dem Haus am Ring keine entsprechende Besetzung zur Verfügung steht, so ist es besser für alle Beteiligten, in den ihnen fachgemäß mehr liegenden Partien eingesetzt zu werden. Unter der sicheren Leitung von Berislav Klobucar ging nun dieser Maskenball vonstatten. Es ist zwar grundsätzlich unhöflich, den Herren den Vortritt zu lassen, doch waren sie diesmal der bessere Teil. Die relativ beste Leistung des Abends bot Kostas Paskalis als Renato, wenn auch zu bemerken ist, daß er seine Stimme unökonomisch einsetzt. Jedenfalls hatte er mit „eri tu“ den weitaus größten Erfolg des Abends zu verzeichnen. Giuseppe Zampieri war wieder einmal ein wohlklingender Tenor in der Rolle des Riccardo, gut singend, aber ohne Ausstrahlung. Von den beiden Verschwörern konnte Frederick Guthrie besser gefallen als Tugomir Franc. Harald Pröglhöf war als Silvano gut und Kammersänger Erich Majkut war als primo judice eingesetzt. Interesse sollte das Gastspiel von Juan Carlyle erwecken. Daß es dies nicht tat, mag vor allem daran liegen, daß Frau Carlyle der Partie des Oscar entwachsen ist. Sie wußte wohl ihre ansprechende Stimme gut einzusetzen, doch waren die Koloraturen in den beiden Arien verwaschen und ohne die erforderliche Brillanz. Hilde Rössel-Majdan als Ulrica gab ihrer Stimme in der Tiefe eine ungewohnt dunkle Färbung und konnte sodann den Registerwechsel nur unter größter Anstrengung vollführen. Hatte man seinerzeit bei der Premiere schon Bedenken, die Rolle der Amelia mit einer Hochdramatischen besetzt zu sehen, so wurde in dieser Aufführung der Beweis dafür erbracht, daß eine Stimme mit großer Mittellage, scharfer Höhe und fast ohne Tiefe noch lange keine italienische Primadonna ausmacht. Gertrude Grob-Prandl konnte sich nur dort in Szene setzen, wo sie der Stimme freien Lauf lassen mußte und nicht italienische Gesangskultur zeigen sollte. Die Reaktion des mittelmäßig besuchten Hauses war dementsprechend: ein Vorhang nach dem ersten, zwei Vorhänge nach dem zweiten und drei Vorhänge nach dem dritten Bild…

DON GIOVANNI am 27. Februar

Armer Mozart! Amer Opernliebhaber! In der grausigen Fahlheit der absolut schlechtesten Inszenierung, die Wien in den letzten zwanzig Jahren erlebt hat, tummelte sich ein Ensemble, in dem sich nur einige der Herren diesen Namen überhaupt verdienten. Davor saß ein schlafendes Orchester, von Heinrich Hollreiser ebenfalls schlafend zusammengehalten. Hollreiser macht sonst bei Mozart das Gegenteil. Er zerschlägt ihn in einzelne Noten. Diesmal gab er den Takt an, als habe er 39,5 Grad Fieber und einen permanenten Schwächeanfall. Mit neuer Perücke samt angegrauter Schläfen und einigen ebenfalls neuen fast Schöffler’schen Piani singt Eberhard Wächter die Titelrolle mit der ihm eigenen Intensität, vorbildlicher Phrasierung und darstellerischem Totaleinsatz. Warum spricht er eigentlich so schlecht über diese Rolle, wenn er darin so gut ist? Im Übrigen mußte der Musikfreund, der hauptsächlich gekommen war, um Fernando Corena zu hören, sich diesen schwer verdienen. Statt der angekündigten Ingrid Bjoner sang Gerda Scheyrer die Donna Anna, farblos in Stimme und Spiel, aber wenigstens sauber. Aber Mimi Coertse, der große Liebling der Wiener Fachkritik, singt mit spröder und greller Stimme und absolut unzulänglicher, gleichförmig zänkischer Phrasierung. Sängerinnen, die keine Persönlichkeiten darstellen, sind in der Rolle der Elvira entweder unerträglich larmoyant oder ebenso unerträglich bissig und ließen Mozart besser gleich sein. Kostas Paskalis, der jetzt nach vielem Probieren doch die Möglichkeit entdeckt hat, für die ihm weniger liegende Partie eine Gesangslinie zu finden, ist für die Zerline Emmy Looses, die nichts mehr mitbringt als Stilgefühl, um wenigstens zwanzig Jahre zu jung. Anton Dermota absolvierte die schwere Rolle des Ottavio mit vollem Einsatz seiner beachtlichen Technik. Walter Kreppels an sich gute Stimme klang alt und verbraucht. Was wird wohl aus dieser falsch geführten Riesenstimme noch werden? Fernando Corena schließlich, der anno 1956 in Salzburg noch stimmlich und darstellerisch weit mehr auf die Pauke gehauen hat, entpuppte sich in der Partie des Leporello als charmanter, subtiler, ungemein dezenter Sänger und Darsteller, souverän in Phrasierung und Stimmführung, überlegen in seinem humorvollen Mienenspiel und stilistisch völlig auf der Höhe. Auch dies ist eine schätzenswerte Art, den Leporello zu gestalten, die unseren verdienten Ensemblemitgliedern wohl ebenso gut anstünde. Aber diese sind weit weniger diszipliniert und spielen sich mehr an die Rampe.

DIE WALKÜRE am 28. Februar

Wagner, wie er nicht an der Wiener Staatsoper aufgeführt werden sollte, präsentierte die Direktion der immer spärlicher werdenden Wagnergemeinde. Kein Wunder, daß das Wagnerpublikum die Oper meidet! Bei solchen Aufführungen verliert man die Freude an Richard Wagner noch mehr. Man findet die Werke endlos und verfällt in einen Dämmerschlaf. Nicht nur Brünnhilden, auch das Publikum! Drei Vorhänge nach dem ersten Akt sprechen Bände. Am Schluß der Aufführung gab’s gar sieben Hervorrufe und die mit Ach und Krach. Hauptschuld an diesem ermüdenden Abend hatte Heinrich Hollreiser, der seinen Kopf in der Partitur versteckte und dem Geschehen freien Lauf ließ. Ermüdend seine Zeitmaße, ermüdend der monotone Klang des Orchesters. Als Siegmund gastierte Sebastian Feiersinger. Er sang zwar den Part, wie er in der Partitur stand, aber mit der Vokalisation stand er auf Kriegsfuß. Sein Organ entbehrt für das Heldenfach des Metalls und des Glanzes. Glanzlos war auch Hilde Zadek als Sieglinde, die viel zu nüchtern ihren ohnedies nicht blühenden Sopran einsetzte. Walter Kreppel als Hunding war laut, sonst nichts. Doch kam es noch besser: Für Hotter sprang Rolf Polke als Wotan ein, der außer der großen Gestalt gar nichts für den Gott mitbrachte. Man kann diese Partie mit einer weich klingenden Mittellage alleine nicht bewältigen. Wotans Ausbrüche wurden vom Orchester verschluckt, und im dritten Akt war der oberste der Götter so fertig, daß er kaum noch seinen Speer in der Hand halten konnte. Der einzige Lichtblick des dritten Aktes war Anita Välkki, die neuerlich eine Talentprobe gab. Sie wirkte stimmlich sehr frisch, doch sie müßte sich noch mehr in die Partie (Wortdeutlichkeit und Phrasierung) einarbeiten. Regina Resnik ist derzeit nicht in Hochform. Ihre Stimme wirkte in der Mittellage sehr unruhig. In Punkto Ausdruck war sie allerdings allen anderen Mitwirkenden weit überlegen. Ein trostloser Abend, der kaum die Leere bei den deutschen Opern beheben wird.

 

HOFFNUNG SEI DEIN WANDERSTAB!

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 3

Unsere Leser im Ausland werden wahrscheinlich schon darauf warten, daß die Themen unserer Leitartikel sich endlich wieder mehr mit allgemeinen Opernproblemen beschäftigen mögen, als ständig die Sorgen Wiens variiert zu betrachten. Allein es stimmt nicht, daß es sich hierbei um rein lokale Probleme handelt, denn es ergeht dem Opernleben wie der Wirtschaft. Die Zusammenhänge sind enger und unlösbarer geworden, als sie es jemals waren. Und die einzelnen, wie auch die allgemeinen Ausblicke sind weniger erfreulich – auch wie in der Wirtschaft! Es ist Wien nicht gelungen, aus der Opernkrise auszusteigen, bevor sich ihr die österreichische Regierungskrise zugesellte und beide zusammen eine üppige Blüte im Garten der Kuturinflation großzogen. Ohne Illusionen betrachtet, bedeutet dies zweifellos, daß dem Opernsektor magere Jahre näher rücken. Die Programmplanung der nächsten Spielzeit Wiens trägt ihnen bereits Rechnung. Nun gut, das Geld ist rar geworden, und daran wird sich für die nächste Zeit auch nichts ändern. Es hilft dem Opernfreund nicht, darüber zu jammern, denn die Lage auf dem gesamten Kultursektor führt ihm ohnedies täglich vor Augen, daß sich die Zahl jener, die meinen, der Mensch lebe vom Brot allein eher vermehrt hat. So bleibt also nur das Eines: der ehrliche Wille, aus den Gegebenheiten das Bestmögliche herauszuholen und die erreichbaren Vorteile zu nützen. Dies gilt für die Zukunft, denn die in der Gegenwart herrschenden Zustände sind ohnedies indiskutabel, wobei der „vertragslose Zustand“ unseres Opernchefs schon längst kein Zustand mehr ist, sondern perfekte Schildbürgerei, vor deren Unsinnigkeit uns endgültig die Luft zum Reden wegbleibt. Die Frage: bekommt Karajan seine Zusagen nun effektiv erfüllt oder nicht, fordert uns zwangsweise den Optimismus ab, die positive Erledigung nunmehr als selbstverständlich vorauszusetzen, ansonsten könnte am Opernhaus ohnedies nur noch die Kapitulationsfahne gehißt werden, während das Wiener Musikleben im Pomp funèbre daran vorbeidefiliert. Die Wiener Staatsoper kann in der schwieriger gewordenen Situation nur dann (und dies im Dienst des gesamten Opernlebens) an der Spitze bleiben und Entscheidendes leisten, neue Wege suchen und beschreiten, wenn ihr ein Mann mit Vollmachten vorsteht, dessen Persönlichkeit Garant dafür ist, daß er den weitschauenden Blick ebenso hat, wie Geltung und Kraft zur Durchführung. Die Aufgaben sind: Loslösung vom veralteten Verwaltungsapparat und Beamtenwesen, Schaffung eines neuen Status durch Symbiose von Stagione und Repertoiresystem, Ablösung des überholten Ensemblebegriffes durch die Bindung eines internationalen Spitzenensemble durch übernationale Verträge und Planungen. Außer Karajan jedoch ist gegenwärtig kein anderer weit und breit dafür zu entdecken. Bevor Wien aber Schrittmacher für das gesamte Opernleben sein kann, ist es nötig, daß die internen Belange des Hauses radikal so geändert werden, daß sie dem schmäleren Budget einem Ausgleich entgegensetzen können. Dieser sehr wirkungsvolle Ausgleich aber heißt: unbarmherziges Ausmerzen von Schlendrian, Unfähigkeit und Intrigantentum, wo immer diese sich offen oder heimlich im Haus am Ring eingenistet haben. Dies wird natürlich Anliegen Herbert von Karajans und Direktor Schäfers sein und zunächst in einer Reihe personeller Veränderungen bestehen müssen. Wir wollen davon Abstand nehmen, hier mit Apostrophierungen vorzugreifen, um die nötigen Maßnahmen nicht zu komplizieren. Hoffen wir, daß Chef und sein Schäfer nun selbst endgültig wissen, wo die weißen und die schwarzen Lämmlein stecken und wie die Schafe von den Böcken geschieden werden müssen. Hoffen wir auch, daß in Hinkunft, wenn schon gespart werden muß, dem Publikum wenigstens das gegeben wird, was ohnedies existiert: die neuen Inszenierungen, die bedauerlicher Weise mehr in der Garage, als im Spielplan stehen (Fidelio, Tannhäuser, Parsifal, der gesamte Ring, Falstaff, Eugen Onegin, Trionfi usw.). Hoffen wir, daß die neue Poppea sich nicht unrühmlich zu diesen Beispielen gesellen wird! Hoffen wir, daß das Freikartenunwesen, das besonders heuer unglaubliche Ausmaße angenommen hat, aufhöre und so auch im Kleinen am richtigen Ort gespart werde. Hoffen wir, daß lächerliche und deprimierende Eindrücke der „äußeren Erscheinungen“ abgebaut werden, denn diese Äußerlichkeiten sind leider nicht so unwesentlich wie man glaubt, sondern Dekadenzsignale innerer Haltung. So zum Beispiel sind an Coca-Cola-Flaschen nuckelnde Schulkinder in einer Zauberflöten-Vorstellung ebenso eine Verfallserscheinung, wie sich bei Premieren, wo zahlungswillige Besucher die ausverkauften Kassen belagern, auf „Ehrensitzen“ räkelnde Wirtschaftsmagnaten, Filmgrößen und High-society-Mitglieder. Hoffen wir, daß Pension erhält, wem Pension gebührt und man die wohlverdiente Ruhe genießt, statt sich und das Publikum durch entehrende „Weiterarbeit“ zu quälen. Hoffen wir, daß unsere Sänger mehr und rechtzeitig Studienaufträge erhalten, die sie schon längst hätten erhalten müssen, sich selbst und dem Haus zum Heil und zur Verminderung der Verlegenheiten und chronischen Telefonitis des Besetzungsbüros an alle erreichbaren Bühnen. Hoffen wir, daß wir den Nöten noch genügend Idealismus entgegen zu setzen haben. Mit jenen, die nur ihr wohltemperiertes Schreibtischstühlchen oder die Gage suchen, ist uns nicht gedient, und dies weniger denn je. Machen wir uns nichts vor: Die Staatsoper Wien hat Hilfe so nötig, wie schon seit Jahren nicht mehr. Karajan kann sie dem Institut gewähren, hoffen wir also…Eines freilich hat sich bisher erwiesen: Wiens Opernchef leidet an dem gleichen Nachteil wie gekrönte Häupter, denen die Höflinge, teilweise aus edlen, teilweise aus egozentrischen und zwielichtigen Motiven, die klare Sicht vernebeln. Daß es dem österreichischen Staatsbürger leichter möglich ist, persönliche Anliegen dem Herrn Bundespräsidenten vorzutragen, als Belange des Opernlebens näher an Herrn von Karajan heranzubringen, als bis zum Papierkorb seines Antichambres, hat manch Übel verschuldet, das nicht hätte eintreten müssen! Hoffen wir, daß Direktor Schaefer hier einen vernünftigen Ausgleich schafft! Mit einem Wort: hoffen wir für Wien im Besonderen und für das Opernleben im Allgemeinen!

 

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