DER MÄRZ 1963

8. Jahrgang, Heft 4

 

Es mutet an, als wäre in der Staatsoper Wien das große Frühlingserwachen im Anzug. Programm und Besetzungen weisen in steilen Kurven aufwärts. Vor allem aber ist es die frohe Botschaft aus dem Unterrichtsministerium, die da lautet, daß nun doch jene von Karajan geforderten Änderungen in der Bundestheaterverwaltung durchgeführt wurden. Freilich war im Monat März noch mehr vom alten Sturm und der alten Müh’ zu verspüren als vom Anbruch neuen Glanzes, doch ohne der Wundergläubigkeit anheimzufallen, mutet es nun doch an, als ob wir vom Osterhasen erwarten könnten, daß er Karajans Vertrag mitbringt. Diese anscheinend nun greifbare und reale Formen annehmende Aussicht versüßt von neuem das bereits sauer gewordene Amt der Merker. In den Märzwochen überwog die – unserer Meinung nach – viel zu groß angewachsene Quantität der Aufführungen die Qualität in recht ungesunden Proportionen (zusätzlich gab es zwei Nachmittagsvorstellungen im Haus am Ring, je sechs Aufführungen im Theater an der Wien und im Redoutensaal). Wir bekamen auch prompt die Auswirkungen im großen Haus schmerzhaft deutlich zu spüren, denn staatsopernunwürdige Bläserleistungen des substitutendurchsetzten Orchesters und ihren Aufgaben nicht gewachsene Dirigenten drückten das Niveau peinlich herunter. Pensionsreife Sänger und eklatante Fehlbesetzungen belasten nach wie vor mehr als tragbar. Zu den Lichtpunkten des Repertoires zählten der Tristan am 10. 3. Hier muß einmal gesagt werden, daß wir uns sehr wohl noch gut der Zeit erinnern können, als sich Heinrich Hollreiser an der Wiener Oper quer durch den Spielplan dirigierte und uns die Einförmigkeit dieser leistungsmäßig sehr anfechtbaren Tätigkeit in Harnisch brachte. Wir können aber trotzdem nicht mehr ganz verstehen, daß man in Berlin zu einem Zeitpunkt, wo Hollreiser wesentlich besser gewordenes Niveau beweist und außerdem an der Deutschen Oper Berlin eine Reihe von Kapellmeistern tätig ist, die kaum Hollreisers Erfahrung, Routine und technisches Können besitzt, ein allzu lautes „Steinigt ihn“ erhebt. Der Wiener Tristan jedenfalls bewies, daß Hollreiser in seiner derzeitigen Form zu soliden Leistungen am Pult durchaus fähig ist, wenn auch von ihm keine Offenbarungen zu erwarten sind. Dies, um für die Gerechtigkeit einen Stab zu brechen. Die Wagnerabende Rheingold und Tannhäuser unter Karajan fügten dem deutschen Repertoire schließlich viel an Glanz und Pracht bei. Richard Strauss lag neuerlich darunter. Eine Walküre ging als Zumutung über die Szene und rundherum gruppierten sich guter, aber auch recht schlechter Durchschnitt. Wir möchten trotzdem oder gerade deshalb Herbert von Karajan von Neuem mit Vertrauen aber auch berechtigtem Wunsch und Ungeduld ein „Zu neuen Taten teurer Helde“ zurufen.

 

MARGARETHE am 1. März

Imperator des Abends: Nicolai Ghiaurov. Was an diesem Mephisto am meisten besticht, ist jedes Fehlen von Effekthascherei. Diese naturgewaltige Stimme strömt, nie wird geschwindelt, nie forciert, im Spiel auf jede „Blender“-Manier verzichtet. Ein Spötter mit glitzerndem Humor ist dieser „Geist, der stets verneint“. Im Zusammenspiel mit der Marthe Schwertlein der Elisabeth Höngen ergibt es ein Kabinettstück, das dem Publikum spontanes Lachen abfordert. Böse an diesem Bösen ist die aggressive Urkraft des Tones, und diese dunkle Macht ist so intensiv, daß sie den, der zu hören versteht, bis zum Erschrecken bannt und fasziniert. Ghiaurov als Mephisto ist ein Erlebnis und eine bleibende Erinnerung für jeden Opernliebhaber. Ihm zuliebe harrte man auch geduldig aus und überstand neuerlich, wenn auch seufzend, die drei Pausen und die endlosen Umbauwartezeiten. Wilma Lipp bemühte sich um die Margarethe, ohne sie zu sein. Giuseppe Zampieri sang eine wunderschöne Cavatine, hielt durch und bot immer wieder schöne Momente im Gesanglichen. Den Feuergeist vermag er ebenso wenig zu charakterisieren wie den Verführer. Auch Eberhard Wächters Valentin, schön gesungen, intensiv  gestaltet, ist trotzdem schon über die Figur hinaus. Das Heldische hat hier Vorrang bekommen und zeigt, daß der Sänger diesem Fach bereits entwachsen ist. Trotzdem sollte man sich ruhig darüber freuen. Der Siebel Laurence Dutoits ist dem der Miljakovic unterlegen und über die Inszenierung kann noch gesagt werden, daß sie von der Galerie aus (der beschränkten Sicht wegen) leichter ertragen wird, als vom Parterre aus. Dem Stammpublikum, das dort dem Himmel näher ist, blieben und bleiben wenigstens die „Hintergründigkeiten“ ebenso erspart, wie die Kristalluster, die sich über den Schauplatz der Walpurgisnacht herabsenken. Das Ballett tanzte mit Verve und Präzision und brachte Stimmung ins Haus, um die der Dirigent dankenswerterweise mit Eleganz und Einfühlungsvermögen bemüht war. Georges Pretre scheint eine große Hoffnung zu sein!

MADAMA BUTTERFLY am 2. März

Cho-cho-San: Sena Jurinac. Das ist für den Wiener Opernfreund bereits ein fester Begriff. Immer wieder ist man fasziniert, erlebt mit der Künstlerin die große Liebe des japanischen Mädchens, die Wandlung zur reifen liebenden Frau, ihren Schmerz und ihr tragisches Ende. Stimmlich großartig disponiert, riß die Künstlerin ihr Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Neben dieser Superleistung hatte es Karl Terkal als Pinkerton schwer zu bestehen. Wohl hatte er einen stimmlich ausgezeichneten Abend, doch fehlte ihm der für diese Partie sinnliche Glanz der Stimme. Kostas Paskalis in der Partie des Sharpless bemühte sich, sein mächtiges Organ zu drosseln – mit wechselndem Erfolg. Die Suzuki von Margareta Sjöstedt war Durchschnitt. Peter Klein war als Goro eingesetzt. Am Dirigentenpult stand Georges Pretre und musizierte einen harten realistischen Puccini, wie wir ihn bisher nur von Mitropoulos und Karajan gewohnt waren. Das Orchester war in guter Form.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 3. März

Es war eine der armseligsten Wagnervorstellungen, die in diesem Hause stattfanden. Otto Wiener rettete trotz eines Grippeanfalles die Situation. Was wäre geschehen, wenn er es nicht getan hätte? Dieser Einsatz des Künstlers, seine Selbstdisziplin und sein Verzicht auf einen Einzelvorhang, der ihm als Hauptrollenträger gebührt hätte, verdient höchstes Lob. Das Orchester unter Berislav Klobucar hatte einen schwachen, substitutenreichen Abend, an dem die Hörner mit den obligaten Schmissen beim Publikum Heiterkeit auslösten. Der Dirigent versuchte, einen klangreichen Wagnerabend zu gestalten. Endresultat seiner Bemühungen war jedoch leider ein Brei, der – manchmal zum Vorteil einiger Solisten – die Stimmen zudeckte. Hilde Zadek als Senta war mit gutem Willen am Werk, kam aber nicht mit. Die Höhen klangen gequält und derart angespannt, daß man um ihre Stimmbänder fürchtete. Ausgesprochen schwach blieb Oskar Czerwenka als Daland. Die Partie liegt ihm zu hoch, und nur mit Humor allein kann man diese Rolle nicht meistern. Gerhard Unger enttäuschte diesmal als Steuermann. Er sang viel zu offen und unpoetisch. Der Einzige, der Stimme mitbrachte, war Hans Beirer als Erik. Darstellerisch blieb er im Opernstil einer vergangenen Epoche befangen. Der mäßige Beifall nach der Aufführung war nicht mehr als eine Höflichkeitsgeste der zahlreichen Freikartenbesitzer, die in einem geradezu beängstigendem Ausmaß vom Haus Besitz ergreifen. Aber die deutschen Vorstellungen sind in letzter Zeit, außer den Chefabenden, derart schlecht verkauft, daß man die Lücken irgendwie zu füllen trachtet. Man muß sich ja nur wundern, wo man immer diese „Freiwilligen“ hernimmt!

MARGARETHE am 4. März

Eine Reprise des Werkes, die dem Montag-Abonnementpublikum nur schüchternen Beifall entlockte. (Mit Ausnahme der akrobatischen Darbietungen von Traute Brexner und Willy Dirtl, wie übrigens das Ballett den besten Eindruck des Abends hinterließ). Die Besetzung war eine Kombination von erster und zweiter Premiere. Wilma Lipp sang das Gretchen. Sie ist keine Idealbesetzung der Rolle, weder im Darstellerischen noch im Gesanglichen. Sie ließ in keiner Szene des Werkes richtig aufhorchen, im Schlußterzett noch am ehesten. Als Faust stand ihr Giuseppe Zampieri zur Seite, der stimmlich mit großem Einsatz sang, durch sein bekanntes Phlegma aber jede Illusion des Liebenden restlos zerstörte. Die Cavatine klang schön, war sicher gesungen, von einem schönen C gekrönt, aber larmoyant zum Einschlafen. Hermann Uhde fehlt es besonders an Stimme. Gerade die bedeutendste Szene des Mephisto, das Rondo, war trotz diskretester Orchesterbegleitung nicht zu hören. Überforderung ist hier ein gelindes Wort. Ein Mephisto der Wiener Staatsoper darf beim Rondo und in der Domszene nicht überfordert sein. Hat man bei der Planung der zweiten Besetzung denn noch immer nicht erkannt, dass Herr Uhde versagen muß? Ein unzureichender Capriccio-Graf kann doch als Mephisto schon gar keinen Stich machen! Thomas Stewart debütierte als Valentin an unserer Oper. Diese Partie kam ihm dabei sehr entgegen. Die Stimme ist groß, leider rauh, besonders in der Höhe (Gebet!), aber sicher geführt und ansprechend. Auch darstellerisch machte er gute Figur. Er konnte für starken Beifall danken. Laurence Dutoit sang einen netten Siebel, während Alois Pernerstorfer alles andere denn den Noten Gounods getreu blieb (es war fast zum „Aussteigen“ beim Mitlesen im Klavierauszug). Elisabeth Höngens Marthe Schwertlein bedeutete eine Erholung. Georges Pretre als Dirigent des Abends kennt die Partitur in- und auswendig. Er bringt Gounods Musik im Lyrischen wie im Effekt gleich genial zur Geltung. Einzig störend wirkte (schon bei der dritten Aufführung!) die Unstimmigkeit zwischen Chor und Orchester, sprich Dirigenten. Ist unser Chor wirklich so stur, so wenig anpassungsfähig, oder liegt es an der Art der Zeichengebung des sympathischen Franzosen? Jedenfalls ein bedauerlicher, aber leider nicht zu überhörender Mißstand!

DON GIOVANNI am 5. März

Für eine heitere Einleitung sorgte vor Beginn Herr Meinert, der aufgeregt vor dem Vorhang erschien und dem Publikum bekanntgab, daß Herr Dermota sich bereit erklärt hätte, trotz Grippe den „Oktavian“ (die Betonung lag auf der letzten Silbe!) zu singen. Allgemeines Gelächter. Darauf kündigte er als Don Giovanni Herrn Millos aus Budapest an und verwechselte somit Herrn Giörgy Melis mit dem neuen Ballettchef des Hauses. Man sollte doch von Herrn Meinert wenigstens erwarten dürfen, daß er vom Zettel lesen kann. Oder stand die Blamage schwarz auf weiß darauf? Immerhin sang Herr Giörgy Melis den Giovanni in Glyndebourne. Leider blieb dieser amüsante Beitrag des Hilfsregisseurs die einzige Aufheiterung des Abends. Unter Berislav Klobucars klobiger und besonders im ersten Akt trostloser Begleitung rollte ein Giovanni-Abend ab, der nur entfernt an Mozart erinnerte. Giörgy Melis beherrschte in musikalischer Hinsicht seinen Part, doch enthält die Durchschnittsstimme keine Merkmale für den Ton. Viele Passagen kamen zu schwer von seinen Lippen und die höfische Geste mit der er das Publikum zu betören glaubte, wirkte ermüdend. Man erwartet nicht Verbeugungen am laufenden Band von einem Dämon, dem das Spiel mit Frauen Lebensinhalt war. Wie man ihm auch nicht glauben kann, daß er damit zum Ziel kommen kann. Sena Jurinac dürfte indisponiert gewesen sein. Sie tat sich diesmal noch schwerer mit der Partie der Donna Anna als sonst. Mimi Coertse betonte die Hysterie der Donna Elvira mit scharf klingender Stimme, die sie aber diesmal richtig in der Hand hatte. Emmy Loose trippelte mit derselben Gestik über die Bühne wie Anfang der vierziger Jahre. Anton Dermota ließ beide Arien weg, was verständlich war, denn man hörte bereits in den Ensembleszenen seine Indisposition deutlich. Geraint Evans als Leporello bot die weitaus gediegenste Leistung des Abends. Er kam mit einem Konzept auf die Bühne und war auch gut bei Stimme. Unbehagen löste Walter Kreppel aus, der den Komtur sang und dabei verzweifelt nach den richtigen Tönen suchte. Kostas Paskalis als Masetto ergänzte die Besetzung. Fazit: Ungarn konnte Spanien nicht ersetzen. Die Entfernung ist zu weit!

DER WILDSCHÜTZ am 6. März

In der Staatsoper gab man vor einem Abonnementpublikum – also daher fast en famille – die Lortzingoper. War man schon anläßlich der Premiere von der Aufmachung und Regie keineswegs begeistert, so merkt man, hat man das Werk längere Zeit nicht gesehen, die Unzulänglichkeiten der Bühnenausstattung und vor allem die Plattheiten der Regie umso mehr. Es ist auch allzu ulkig, wenn erwachsene Menschen sich wie Schulkinder benehmen (Chor 1. Akt) und dabei Späße von sich geben, die Kinder nie machen würden, weil ihnen einfach das Verständnis hierfür fehlt. Hat man jedoch eine solche Inszenierung zur Hand, so müßte wenigstens die Besetzung derart sein, daß sie allein die Wiederaufnahme in den Spielplan rechtfertigt. Da diese jedoch nicht vorhanden war, so hätte man das Werk besser nicht gespielt. Ein schwaches Werk in guter Besetzung kann sogar gut sein, in unzureichender Besetzung wird es unerträglich und des Hauses am Ring unwürdig. Hans Georg Schäfer war der musikalische Leiter. Er war sichtlich um flottes Dirigieren und reibungslosen Ablauf zwischen Orchester und Bühne bemüht, konnte jedoch einige Unregelmäßigkeiten (Finale 2. Akt fiel auseinander) nicht verhindern. Sehens- und hörenswert an diesem Abend war lediglich die Leistung von Renate Holm als Gretchen (beim Ausruf Baculus: Oh Margarethe! - dachte man unwillkürlich an die noch ärgere Hager-Pleite der Gounod-Inszene), ein quicklebendiges Persönchen, der Mund am rechten Fleck. Stimmlich blieb kein Wunsch offen. Sehenswert erwies sich gleichfalls noch der Baculus von Ludwig Welter, der die Rolle im Gegensatz zu seinem Rollenvorgänger sehr dezent anlegte und seine Späße im Rahmen des Erträglichen hielt. Die gesangliche Leistung konnte hier nicht ganz mit, und der Besucher mußte sich mehr am Spiel, denn an Gesang erfreuen. Die übrige Besetzung war – mit Ausnahme des sächselnden Dieners von Peter Klein – einer Aufführung in der Staatsoper am Ring nicht angemessen. Die Damen Lotte Rysanek, Anny Felbermayer, Annemarie Ludwig, sowie die Herren Hans Braun und Murray Dickie vervollständigten die Besetzung.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 7. März

Man hörte an diesem Abend ausgezeichnete Sängerleistungen, die durch den Dirigenten Hans Swarowsky leider empfindlich beeinträchtigt wurden. Der hochgepriesene „Swa“ drückte durch sein eiskaltes, unnachgiebiges, im Tempo tyrannisches und sich durch gänzliche musikalische Gefühllosigkeit und völligen Mangel an Phrasierung auszeichnendes Taktschlagen das Niveau der Aufführung von ausgezeichnet auf passabel. Otto Wiener stand wieder im Mittelpunkt der Aufführung, in Stimme und Spiel gleicherweise vollkommen mit dem Sachs verwachsen. Geraint Evans als Beckmesser hatte eine gesangliche Leistung zu bieten, wie wir sie noch von keinem Beckmesser gehört haben. Hier wurde jeder Ton gesungen, und das mit klangvoller, schön timbrierter, kräftiger Stimme. (Der versierte Meistersingerbesucher hatte den Eindruck, die Partie zum ersten Mal zu hören). Auch die Auffassung der Rolle war bemerkenswert. Der hochintelligente Künstler spielt natürlich weder einen Kasperl noch einen Wurstel. Er gibt einen Herrn in wichtiger Position (der Stadtschreiber wird im Mittelalter schon eine solche innegehabt haben), der einen kleinen Tick hat. Dieser wächst sich im Laufe der Geschehnisse, die den ruhigen Ablauf des Beckmesserschen Junggesellenlebens bedrohen, zu einem totalen Zusammenbruch aus. Allerdings war Herr Evans trotz hörbar gut studiertem Deutsch wenig wortdeutlich. Das lag wohl an der Bevorzugung der Gesangslinie vor dem Wort. Es bleibt jedem Hörer überlassen, sich auszusuchen, was ihm lieber ist: „Musica oder Parole“. (Jetzt sind wir in welschen Dunst und welschen Tand verfallen.) Wilma Lipp singt das Evchen anders als bei ihrem Wiener Debüt, weniger bemüht, durch Drücken auf die untere Mittellage stets hörbar zu bleiben, als bedacht auf Stimmschönheit. Diese revidierte Auffassung gereichte ihr zum Vorteil, denn das Evchen hat ja noch genug höhere Stellen, in denen sie brillieren kann. Auch in Spiel und Erscheinung ist sie sehr eindrucksvoll. Gerhard Ungers, der hellstimmige und temperamentvolle David, war als geradezu ideal zu bezeichnen. Hans Beirer kommt diese Bezeichnung als Stolzing zwar nicht zu, er sang aber die für ihn zu lyrische Partie trotzdem sehr sicher und gut. Walter Kreppel (Pogner) steckt leider derzeit in einer gewaltigen Formkrise. Eine Ruhepause täte ihm gut. Sein Pogner war noch vor einiger Zeit hervorragend. Alfred Poell sang einen sehr komischen und stimmlich vorzüglichen Kothner. Georgine Milinkovic vervollständigte das Ensemble. Über die Meister ist zu berichten, daß sie keine Meistersinger waren.

BALLETTABEND am 8. März

LA BOHEME am 9. März

Eine Aufführung, die überraschendes Niveau hatte. Georges Pretre sorgte für lebendigen musikalischen Ablauf. Sein Puccini klang nuancenreich und ohne Sentimentalität. Auf der Bühne wurde – mit einer Ausnahme – sehr schön gesungen und mit Animo gespielt. Diese Ausnahme – beginnen wir mit ihr, um das Unerfreuliche zuerst zu erledigen – war Lotte Rysaneks Musetta. Sie besaß an diesem Abend lediglich Lautstärke Fortissimo und sang ihren Part durchwegs um etwa einen Drittelton zu tief. Wer’s nicht gehört hat, mag sich’s vorstellen, wie sich das auf halbwegs empfindliche Ohren auswirkte. Luciano Pavarotti, ein junger Tenor, der für den erkrankten Zampieri einsprang, bot eine sehr sympathische Leistung. Eine nicht außergewöhnliche, aber angenehm klingende Stimme. Technisch noch nicht ausgereift, aber das, was da ist, zeigt Solidität. Die Spitzentöne sind sicher und füllig, allerdings nicht frei von der Tendenz zum Stemmen. Die Tiefe ist noch nicht sehr tragfähig. Das Spiel ist weniger auf Aktion, als auf freie Sicht zum Dirigenten ausgerichtet. Marcello und Schaunard waren Extraklasse. Hier bürgten Namen für Qualität. Eberhard Wächter und Geraint Evans verschenkten freigiebig Stimme, Spielfreudigkeit und Persönlichkeit. Carlo Cava vervollständigte das Quartett auf bescheidene, nette Art. Er spielt lebhaft. Die ansprechende Stimme wird solide geführt. Für Sena Jurinac’ Mimi würde das Vokabular zwischen rührend und erschütternd nicht ausreichen, wollte man versuchen, ihre Leistung an diesem Abend zu beschreiben. Da sie auch in guter stimmlicher Verfassung war, blieben keine Wünsche offen. Gut die Herren Peter Klein und Laszlo Szemere und der Staatsopernchor. Das Orchester glänzte nicht immer philharmonisch.

TRISTAN UND ISOLDE am 10. März

Zum ersten Mal in der heurigen Saison ging diese Wagneroper über die Bretter. Der Name Karajan stand allerdings nur unter der Sparte „Regisseur“ auf dem Programm. Hoffentlich bürgert sich das nicht noch stärker ein. Doch erwies sich Heinrich Hollreiser, dem es anscheinend guttut, nicht mehr (so wie Jahre hindurch) in Wien alles herunterspulen zu müssen, als guter musikalischer Leiter der Aufführung. Seine Interpretation hatte Farbe und war stets um guten Kontakt zwischen Bühne und Orchester bemüht. Einen sehr guten Abend hatte Martha Mödl als Isolde. Sie war ausgeruht, daher stimmlich voll auf der Höhe (selbst die gefürchteten drei Stellen des ersten Aktes waren diesmal beinahe makellos). Darstellerisch blieb sie wie immer, auf einsamer Höhe. Als Brangäne war ihr Ira Malaniuk eine ausgezeichnete Partnerin. Nach anfänglich etwas zurückhaltender Stimmgebung wurde sie im Laufe des Abends immer besser und beeindruckte durch einen Wachtruf von selten gehörter Stimmschönheit. Darstellerisch brachte Frau Malaniuk endlich jene Persönlichkeit für die Brangäne mit, die wir bei der Wiener Standardbesetzung immer vermissen müssen. Tristan war Hans Beirer, ein Sänger der sein schweres Heldenorgan schonungslos einsetzt und vor allem im dritten Akt mit seinen schier unerschöpflichen Kraftreserven voll zur Wirkung kam. Außerdem war Herr Beirer bestens disponiert und wußte auch darstellerisch zu überzeugen. Was eine große Persönlichkeit vermag, zeigte Paul Schöffler als Kurwenal (für Otto Wiener einspringend), wenn auch der letzte Akt deutlich über seine Kräfte ging. Ein etwas rauher und distonierender König Marke war Walter Kreppel. In den Nebenrollen hörte man die Herren Anton Dermota (Seemann), Murray Dickie (Hirte) und Hans Braun (Melot). Ein großer und sehr schöner Wangerabend, der viel Jubel im vollen Hause hervorrief.

DER WILDSCHÜTZ am 11. März statt Margarethe

Da sowohl Kmentt als auch Zampieri plötzlich erkrankten, Gedda oder Raimondi natürlich nicht frei waren und eine Telefonverbindung nach Paris und Umgebung nicht besteht (dort sind nämlich die Franzosen gemeinhin zu Hause, nur zur Information der maßgeblichen Herren im Besetzungsbüro), mußte für diesmal der Wildschütz als Notnagel herhalten. Wir haben schon zu wiederholten Malen darauf hingewiesen, daß dieses Werk – wenn überhaupt – ins Theater an der Wien gehört, allerdings auch nur dann, wenn eine bessere Besetzung aufgeboten werden kann, als sie der Wiener Volksoper zur Verfügung steht. Außerdem stellen wir wieder einmal die bescheidene Frage (nur zur Unterstützung der angeblichen Sparmaßnahmen): Zu welchem Zweck existiert eigentlich die Volksoper? Doch wohl kaum, damit in der Staats-Oper Volksopern gespielt werden, während sich die Volksoper im italienischen Repertoire tummelt. Die Aufführung besaß lediglich fragmentarischen Wert. Ludwig Welter war der gutmütige Schulmeister, Renate Holm seine aufsässige Braut. Ansonsten sangen abermals Murray Dickie, Lotte Rysanek, Hans Braun und Annemarie Ludwig. Hans Georg Schäfer dirigierte recht brav, wenn auch meist zu langsam. Die Stimmung lag allgemein unter dem Gefrierpunkt. In den leeren Reihen konnte man bequem versäumten Mittagsschlaf nachholen.

DIE WALKÜRE am 12. März

Der erste Akt begann nicht schlecht. Daß Hilde Zadek keine Idealbesetzung der Sieglinde darstellt, ist bekannt, aber die Sängerin verzeichnete einen guten Abend und bot eine wesentlich bessere Leistung als erwartet. Hans Beirer bewies erneut, daß der Siegmund einem dunkeltimbrierten Heldentenor besonders entgegenkommt, und die gesunde Kraft seines Organs wirkt hier voll überzeugend. Walter Kreppels Hunding wurde dem Niveau gleichfalls gerecht. Daß Berislav Klobucar streckenweise ziemlich vorwärtshetzte, nahm man hin, da die Solisten sich unfallfrei anpassen konnten. Das Unheil nahte mit dem zweiten Akt, sobald der Göttervater die Bühne betrat. Otto Edelmann wußte mit der Partie des Wotan niemals etwas anzufangen. Was er jedoch an diesem Abend bot, war indiskutabel. Die warme, schöne Mittellage ist kein Trost dafür, daß Höhe, Tiefe und Volumen der Stimme unzureichend blieben. Was jedoch den Hörer mit Recht empörte, war die Lerchenauerische Diktion und das Mangeln jedes Bemühens um Gestaltung und Ausdruck. Der Dirigent verlor darob anscheinend jeden Schwung und wurde in noch größerem Ausmaß zu langsam, als er zuvor zu schnell war. Auch die klug angelegte Fricka Grace Hoffmans und die stimmschöne Brünnhilde Anita Välkkis konnten wachsenden Zorn und deprimierteste Stimmung des Auditoriums nicht aufhellen. Der Rezensent des Abends verließ am Schluß des zweiten Aktes wutentbrannt das Haus. Mögen ihm der leidende Wagner und die schwergeprüfte Polyhymnia, von lichten Höhen herab, gütigst verzeihen.

Anmerkung: Allerdings litt die Aufführung auch unter dem Bekanntwerden des „Opernmordes“. Die elfjährige Dagmar Führich, eine Ballettschülerin, wurde – von vielen Messerstichen getötet – aufgefunden. Am 6. August 1963 wurde ihr Mörder Josef Weinwurm verhaftet

LA BOHEME am 13. März

Der Schatten des Opernmordes fiel über das gesamte Haus. Überall, wohin man hörte, gab es Diskussionen über das schreckliche Geschehen. Statt des vorgesehenen Ballettabends schob man La Boheme ein, in der Hilde Güden als Mimi ihre großartige Gesangskunst demonstrierte. Ihre Leistung hatte großes Format. Ihr Ausdruck war rührend und echt. Wie arm mutete im Vergleich dazu Ermanno Lorenzi (Rodolfo) an. Die Stimme – man kann es nicht genug betonen – ist in tragenden Partien für das große Haus zu klein, der näselnde Klang in der Höhe störend und sein Spiel unbeholfen. Wie man auf der Bühne agieren soll, zeigte Eberhard Wächter als Marcello. Hans Braun starb als Schaunard in Routine. Carlo Cava wußte durch eine gute gesangliche Leistung zu gefallen. Mimi Coertse als Musetta zeigte ihr Temperament und ihre gute Erscheinung. Könnte uns nur einmal ihre gesangliche Leistung ebenso gefallen, wie die vorgenannten Attribute, wären wir hoch zufrieden. Berislav Klobucar kam nicht über eine Durchschnittskapellmeisterleistung hinaus. Ganz ohne Stimmung endete dieser Abend, was in Anbetracht der tragischen Ereignisse hinter den Kulissen gefühlsmäßig entschuldbar erscheint.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER  am 14. März

Der Besetzungsliste nach war eine schöne Vorstellung zu erwarten, doch herbe Enttäuschung ward den Hoffnungsfrohen bereitet. Hans Hotter bleibt auch dann „der Hotter“ wenn er indisponiert ist. Einen so schlecht disponierten Holländer wie diesmal, haben wir jedoch seit langem von ihm nicht mehr vernommen. Es war jammerschade! Doch Sänger sind keine Maschinen – wir verdanken Hotter so viele wunderbare und unvergeßliche Abende, daß es verpflichtend ist, ihm diesen nicht anzukreiden. Anita Välkki stand gleichfalls unter einem Unstern, gepreßte Piani und unreine Intonation wechselten mit schönen Fortetönen allzu oft ab. Manche Höhe, gerade noch mit voller Kraft erklommen, verursachte dem Hörer Bangen. Keine Stimmschwierigkeiten hatte Hans Beirer aufzuweisen. Sein Erik schöpfte aus dem Vollen. Im Spiel stellen wir uns allerdings den nordischen Jägerburschen anders vor. Kurt Böhmes Daland ist eine Durchschnittsleistung. Karl Terkal sang den Steuermann ausgezeichnet und für den Chor konnte man die weiße Fahne hissen: er blieb unfallfrei! Nicht unfallfrei blieben die Bläser des substitutendurchsetzten Orchesters. Lovro von Matacic kämpfte sich durch, straffte die Tempi und gab nicht auf. Kämpfenden Dirigenten gebührt Sympathie. Beim Aufstehen des Orchesters wurde auf der Galerie eine Stimme laut: „Bläser sitzen bleiben!“, und dies war dem Musikfreund aus der Seele gesprochen. Warum freilich das Publikum am Ende dieser Aufführung für die Solisten geradezu raste, bleibt unerfindlich. Der frenetische Applaus mutete an, als ob das Haus von einer Organisation Schwerhöriger ausgemietet gewesen sei.

 

DIE KLUGE und DIE GESCHICHTE VOM SOLDATEN am 14. März, Premiere im Theater an der Wien

Die Erkrankung von Paul Hager brachte seinen Regieassistenten Wolfgang Weber zu Premierenehren, wobei allerdings eher anzunehmen ist, daß die Gestaltung der Rollen von dem in Wien anwesenden Carl Orff ausgegangen sein dürfte.

Da in der Klugen nicht viel Bewegungsregie verlangt wird, und da sich die Beleuchtungseffekte auf einen Sonnenaufgang beschränkten, gelang die Aufführung gut, ohne daß man über die tatsächlichen Qualitäten Wolfgang Webers ein Urteil abzugeben imstande ist. Ein zum Großteil heimisches Ensemble bevölkerte die „Pawlatschen“, auf der das fröhliche Stück abrollte. Die drei Strolche, die ihre Sprichwörter- und Plattitüden-Sammlung hinreißend komisch servierten, können kaum besser besetzt werden, als mit Peter Klein, Karl Dönch und Erich Kunz. Man darf nicht vergessen anzumerken, daß sie stets im Rahmen blieben, was bei dem gelegentlich etwas ordinären Text ja nicht so selbstverständlich ist. Gerhard Unger, der den Wiener Opernfreunden schon wegen seiner Erscheinung – er sieht aus wie der kleine Bruder von Dimiter Usunow – über Nacht sehr sympathisch geworden ist, präsentierte sich als vielseitig verwendbarer Sänger, diesmal als denkbar bester Mann mit dem Esel. Hans Braun, der in solchen Ensemblerollen oft sehr gute Leistungen bietet, sekundierte als Mauleselmann bestens. Ludwig Weber war der komische Kerkermeister, der in Abwesenheit von Gefangenen die Weinfässer zu bewachen hat, und Oskar Czerwenka gab den Bauern ohne jede Spur seiner komischen Talente sehr aufrührerisch und verzweifelt, was dafür spricht, daß er vielseitiger ist, als wir dachten. Und die Hauptrollen? Sie wurden von Evelyn Lear und Thomas Stewart gesungen. Nach der Lulu der Frau Lear haben wir uns gewundert, warum die Berliner von ihr nichts halten und häufig kein gutes Haar an ihr lassen. Aber man muß sie nur in einer zweiten Partie hören (mittlerweile sind es sogar schon mehrere geworden), um zu erkennen, daß sie immer das Gleiche macht. Sie spielt jede Rolle so, wie ihre pikante Stupsnase aussieht: Mit einer eiskalten, perfekten, rosafarbenen Süße. Stimmlich war sie bei der Premiere gut (sie hat die Schwarzkopf-Schallplattenaufnahme sichtlich sehr oft angehört!) und sang – ja wie denn…mit einer eiskalten, perfekten, rosafarbenen Süße. Wir haben schon jetzt genug davon. Thomas Stewart ist ein so typischer Amerikaner, wie seine Frau eine typische Amerikanerin ist. Die Damen haben fast stets eine perfekte Technik und keine Seele. Die Herren haben fast stets robuste Stimmen und keine Technik. Herr Stewart hat noch dazu keine Spur von Persönlichkeit und klammerte sich an die Regieanweisungen wie ein Ertrinkender an den Rettungsschwimmer. Zu loben ist bei beiden jedoch der Fleiß, der ja auch für die Amerikaner typisch ist. Die beiden Sänger waren allerdings klug genug, der mitteleuropäischen Kritik den Mund mit Zwölftonmusik zu stopfen. Jetzt erheben sich zwei Fragen: Eine an die Staatsoperndirektion: Ist es nötig, in einer typischen Ensembleoper Gäste einzusetzen? Wir könnten besetzen mit: Wächter-Lipp; Prey-Janowitz; Berry-Seefried, ja Paskalis-Miljakovic (die eben erst Orff im Musikverein mit Erfolg absolviert haben); zweitens an die Wiener Kritik: Sind Sänger von jenseits des Ozeans eigentlich keine feindlichen Ausländer, sondern nur die von jenseits der Alpen?

Das zweite Stück war eine vergrößerte Auflage der Redoutensaal-Inszenierung der Geschichte vom Soldaten Strawinskys. Hier dominierten der prachtvolle, zwischen Erzählen und Mitspielen perfekt die Balance haltende Sprecher von Boy Gobert und der skurrile, dämonische Teufel von Gerhard Stolze. Dadurch allerdings, daß letzterer, bei aller körperlichen Beweglichkeit, kein Tänzer ist, ergaben sich allerlei Leerläufe, die durch Stellen lobender Bilder (z. B. der Teufel als Paganini im Opernhaus) überbrückt werden mußten. Für das Tänzerische sorgte perfekt und humorvoll Christl Zimmerl, mit langen Ballerinenbeinen (wer hat eigentlich die Choreographie gemacht?) und naivem Schmollmündchen. Der sympathische Heinz Holecek war nur sympathisch. Man sollte ihm eher Partien geben, in denen er etwas zu singen hat. Die kräftige, junge Baßbaritonstimme wäre eines Aufbaus wert.

Die Bühnenbilder entwarf Wolfram Skalicky für beide Stücke, wobei ihm manchmal hübsche Lösungen einfielen. (Der Magnolienbaum in der Schlußszene der Klugen, die Hölle als hölzerne, russische Datscha in der Geschichte vom Soldaten.) Hans Georg Schäfer leitete beide Stücke mit vorzüglicher Schlagtechnik, wobei dem Humor der Musik genügend Spielraum gelassen wurde. Das Orchester fühlte sich hörbar bei Orff wohler, als bei der schweren, kammermusikalischen Strawinsky-Partitur. Resümee: Ein hübscher, schöner Abend, schwacher Kartenverkauf, unzählige Freikarten, Spesen zu hoch.

 

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 15. März

wurde nicht besprochen

DIE VERKAUFTE BRAUT am 16. März

Ein Abend von mittlerer Repertoiregüte mit heimischem Ensemble. Die Ouvertüre und die diversen Ballettmusiken waren sehr schön gespielt, hatten Glanz und Schwung. Der Kontakt mit den Sängern jedoch ließ etliche Wünsche offen. Wahrscheinlich auf Grund der intensiven Proben, die im Haus am Ring für Repertoireaufführungen üblich sind, gab es von Duetten aufwärts ziemliche Schwimmfeste, bei denen der Dirigent Miltiades Caridis alle Mühe hatte, keinen daran Beteiligten zu verlieren, was ihm auch gelang. Die Sängerleistungen waren durchwegs nur Mittelklasse. Weder die Damen Gerda Scheyrer, Hilde Konetzni, Hilde Rössel-Majdan und Liselotte Maikl noch die Herren Waldemar Kmentt, Murray Dickie, Ludwig Welter, Alfred Poell und Franz Bierbach konnten mehr als Durchschnitt bieten. Erich Kunz’ Extempores bringen zwar immer Neues, da aber seit etwa drei Jahren immer nur das Thema :„Karajan, die Italiener und das heimische Ensemble“ behandelt werden und der ständige Opernbesucher beim Beginn schon weiß, wie’s endet, wird’s langsam fade. Herr Kunz ist doch intelligent. Es fällt ihm bestimmt einmal etwa ganz Neues ein!

DER ROSENKAVALIER am 17. März

„Die Zeit, sie ist ein sonderbar Ding…“ und vor allem, wo ist die Zeit, als die Auswahl von erstklassigen Dirigenten wie Clemens Krauss, Erich Kleiber, Hans Knappertsbusch, Rudolf Kempe, André Cluytens und Karl Böhm und viele andere für Strauss zur Verfügung stand. Selbst in einer Zeit, wo sämtliche anderen Aufführungen an Niveau eingebüßt hatten, konnte man getrost in den Rosenkavalier gehen und wurde nicht enttäuscht. Heute hat die Straussoper, wenn sie als Repertoire gespielt wird, meist nur einen Kapellmeister zum musikalischen Leiter und verliert daher von Haus aus den größten Teil ihrer Wirkung. Hans Swarowsky mag ein guter Pädagoge sein, ist vielleicht auch für textliche Neufassungen von Opern geeignet. Er versteht es jedoch nicht, der in vielen Facetten schillernden Strauss’schen Klangwelt nachzuspüren. Er bringt lediglich einen sich vor der Bühne auftürmenden Klangbrei zustande, der die Sänger eher behindert, als sie führt. Daß dann auch gute Sänger nicht ihre bewohnten Leistungen erreichen, kann nicht verwundern. Hilde Zadek konnte als Marschallin nach einem schwächeren ersten Akt dann im dritten gefallen. Ihr Quinquin war wieder einmal Sena Jurinac. Ein eleganter junger Mann aus großem Hause, stimmlich gut disponiert. Das Fräulein Faninal war bei Wilma Lipp in guten Händen, jedoch forcierte die Sängerin mehrmals, was anscheinend auf die Lautstärke des Orchesters zurückzuführen war. Ein stimmgewaltiger Herr über zwölf Häuser nebst einem Palais am Hof war Otto Wiener. Seine Darstellung neigte allerdings diesmal zu Übertreibungen, die man ansonsten nur von großen Persönlichkeiten ohne Stimme gewöhnt ist. Einen etwas stimmschwachen Lerchenauer bot diesmal Otto Edelmann. Das Intrigantenpaar kann mit Gerhard Stolze und Hilde Rössel-Majdan als gut besetzt bezeichnet werden, wenn man auch bemerken muß, daß man beide schon wesentlich besser gehört hat. Einen Dauerpachtvertrag scheint Judith Hellwig auf die Duenna ihr eigen zu nennen. Hier wäre endlich eine Umbesetzung von Vorteil und man könnte ohne weiteres Lotte Rysanek für diese Aufgabe heranziehen. Als Sänger hörte man Ermanno Lorenzi. Daß er keine schönere und kräftigere Stimme hat, dafür kann er nichts, doch ist sein einwandfreier Vortrag der nicht leichten Arie zu loben. Das Messepublikum jubelte.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 18. März

In letzter Minute erklärten sich Hilde Zadek und Hans Braun bereit, die Vorstellung des Mascagni-Einakters zu retten. Aus diesem Grunde wollen wir auf die Rezension der beiden Sänger verzichten. Interesse erweckte Charles Craig als Turiddu. Er spielte den Dorfcasanova. Der Stimme fehlte es für den Turiddu an biegsamen Schmelz und Ausdruck der Leidenschaft. Er sang die Rolle mit Kraft und einer Geradlinigkeit, die eher zu einer deutschen Partie passen würde. Doch da er sich voll einsetzt und nicht mit seinem Material sparte, brachte ihm dies verdienterweise den größten Applaus ein. Gundula Janowitz imponierte durch die Größe ihrer Stimme und Georgine Milinkovic durch ihre Darstellung der Mama Lucia.

Daraufhin stellte sich Geraint Evans als Tonio vor. Von Natur aus kein Belcantosänger, vermochte er durch einen klug gespielten Prolog, in dem er die darauf folgende Tragödie durch seine eminente Darstellungsgabe ahnen ließ, zu gefallen. Ein Beweis dafür, daß man mit Intelligenz auch Rollen gestalten kann, die einem nicht auf den Leib geschrieben sind. Um dies zu verstehen, muß allerdings das Publikum Herrn Evans auch sehen können. Carlos Guichandut als Canio diktierte den Abend durch das Volumen der Stimme. So laut ging es bei einem Bajazzo schon lange nicht mehr zu. Auch Lotte Rysanek, die zum ersten Mal die Nedda sang, und Ronald Dutro (Silvio), ebenso Ermanno Lorenzi (Beppo) fühlten sich bemüßigt, im ffff zu singen. Damit wurde man zuweilen an einen Wettkampf um die Lautstärke erinnert. Überflüssig zu sagen, daß Guichandut zur Freude seiner Anhängerschar daraus als Sieger hervorging. 

Am Pult stand Giuseppe Patané, der in der Cavalleria zuerst Schwierigkeiten mit dem Chor hatte, aber dann mit deutlicher Zeichengebung mit ihm einig werden konnte. Erfrischend seine Theaterpranke, die Effekte herauszuholen weiß.

DIE KLUGE und DIE GESCHICHTE VOM SOLDATEN am 18. März im Theater an der Wien

Die dritte (und bis zu den Festwochen letzte) Aufführung der beiden Werke an diesem Abend brachte vorerst einmal eine (durch Umbesetzungen im Haus am Ring notwendige) Umstellung. Die Geschichte vom Soldaten wurde zuerst gespielt und Orffs Märchenspiel beschloß den Abend.

Die Strawinsky-Oper lebt von der großartigen Gestaltungskraft und Wandlungslust von Gerhard Stolze, dem herrlichen Erzähler Boy Goberts und der ausdrucksstarken Christl Zimmerl. Unterbesetzt erscheint Heinz Holecek als Soldat, und es verwundert, warum nicht auch diesmal ein Schauspieler diese Aufgabe übertragen bekam. Die rhythmisch exakte Bühnenmusik stand unter der Leitung von Hans Georg Schäfer.

Nach der Pause folgte dann die Kluge. Ein umsichtiger Leiter des orffschen Werkes war Herr Schäfer. Wegen Erkrankung von Herrn Czerwenka sang Ludwig Welter den Bauer, der ausgezeichnet zu gefallen wußte. Der Mann mit dem Esel war bei Gerhard Unger in den besten Händen. Hans Braun (der direkt aus dem Haus am Ring herübereilte, wo er als Alfio eingesprungen war) hörte man als Mauleselmann. Ein Kabinettstück für sich wieder der großartige Ludwig Weber als Kerkermeister. Und erst die drei Strolche! Peter Klein, Karl Dönch und Erich Kunz, das kann man nicht beschreiben, das muß man gesehen und gehört haben. Nachdem Evelyn Lear mit der Festwochen-Lulu Aufsehen erregte, wurde sie an die Staatsoper engagiert, wo sie allerdings das bei Alban Berg gegebene Versprechen weder als Strauss- noch Mozart- und jetzt als Orff-Sängerin halten konnte. Ein gutes Studium der Plattenaufnahme der Columbia bedingt noch keine gute Wiedergabe, noch dazu bei einer schwachen Abendverfassung. Außerdem stört die fast statuarische Haltung dieser klugen Frau. Aber dagegen ist an und für sich nichts zu sagen, denn jeder Sänger hat nun einmal gute und weniger gute Partien in seinem Repertoire. Wohl aber ist dagegen etwas zu sagen, daß man anscheinend nach dem Motto „bring your family“ auch gleich den Gatten der Sängerin, Thomas Stewart, mitengagieren mußte, der für die Partie des Königs weder Gestaltung noch außergewöhnliche Stimme mitbringt. Wenn man noch dazu bedenkt, daß die Wiener Staatsoper im Baritonfach ohnedies ausreichend besetzt ist. Wir würden weit mehr einen Koloratursopran oder einen erstklassigen Baß benötigen. Das Haus war von Freikartenbesitzern gestürmt.

MARGARETHE am 19. März

Die Direktion darf sich glücklich preisen, weiterhin Georges Pretre zur Verfügung zu haben, der sich wieder sichtlich Mühe gab, einige Funken aus dem Substitutenorchester zu schlagen. Allerdings konnte auch er nicht verhindern, daß mitreißender Schwung nur in wenigen Augenblicken verschämt aufblitzte. Auf der Bühne ging es höchst provinziell zu. Das Besetzungsbüro hat es mit viel List zu Wege gebracht, daß bisher nicht ein einziges Mal die besten zur Verfügung stehenden Kräfte, nämlich Güden, Höngen, Miljakovic, Ghiaurov, Zampieri, Wächter und Welter, gemeinsam eingesetzt wurden. Seit das Werk ins Repertoire abgewandert ist, sind Hermann Uhdes Chancen, die Aufführung ohne Skandal zu überstehen, wieder gestiegen. Nach dem Rondo, dem Ständchen und selbst nach der Kirchenszene schleuderten ihm aber sogar die (oft ahnungslosen) Abonnenten eisiges Schweigen entgegen. In stimmlicher Hinsicht unterbot er seine Premierenform noch um etliche Grade, hatte dafür aber wenigstens die darstellerischen Übertreibungen des „wilden Teufelchens“ aufgegeben. Trotzdem bleibt Herr Uhde völlig unzureichend. Wilma Lipps Gretchen geriet kühl, zu distanziert und in den vielfältigen Wandlungen von der ersten Begegnung mit Faust bis zu den Wahnsinnsausbrüchen nicht immer überzeugend. Waldemar Kmentt hatte im Faust endlich eine Partie gefunden, die ihm stimmlich entgegenkommt, bleibt aber trotzdem von der Idealbesetzung entfernt. Zudem hatten Kmentt und Uhde erneut Schwierigkeiten in der Bewältigung der französischen Sprache. Es klang manchmal nach keltischen Volksweisen. Nach Wächter und Paskalis sang nun abermals Thomas Stewart den Valentin. Da man ihn in ein viel zu enges Kostüm gezwängt hatte, drohte er auf den Stufen des Brunnens einem vorzeitigen Erstickungstod zu erliegen. Nachdem er die Gefahr aber noch rechtzeitig erkannt und stehend seine Flüche auf die Schwester ausgestoßen, sank er in die Knie, dann nach vorne und als auch diese Stellung nicht den gewünschten Erfolg zeigte, probierte er es mit der Seitenlage und landete schließlich mit verrenkten Gliedern auf dem Rücken. Das Publikum verfolgte seine Aktionen mit wachsendem Vergnügen. Stimmlich fehlte Stewart manchmal die einheitliche Linie in den großen Ausbrüchen. Zudem wurden einzelne Töne rauh und zu heftig hervorgestoßen! Dagmar Hermann (als dritte Besetzung der Schwertlein!) wußte mit der Partie nichts anzufangen. Wie zu erwarten, ernteten die hinreißend getanzten Balletteinlagen den größten Beifall. Ansonsten blieb die mehr als vierstündige Aufführung ohne Widerhall beim Publikum. Quod erat demonstrandum!

AIDA am 20. März

Die schaurige Rott-Inszenierung war der Schauplatz auf dem sich für Wien neue Interpreten vorstellten. Höflicherweise bezeichnet man solche Abende als Informationsgastspiele. Wer genauer informiert war, bzw. wer sich mit der einschlägigen Opernpresse beschäftigt, konnte keine Sensation erwarten. Es wurde denn auch keine. Gloria Lane sang zwar an der Scala Carmen, Margaret Tynes in Spoleto Salome, Charles Craig tat dasselbe mit dem Radames in den Caracalla-Thermen Rom – doch das alles genügte nicht um an der Wiener Oper einen Erfolg von vornherein in der Hand zu haben. Publikum wie Kritik waren keineswegs begeistert. Über einen Durchschnittsabend kam es nicht hinaus. Den besten Eindruck hatte man von Giuseppe Patané, der die Partitur zum Unterschied von vielen seiner Kollegen im Kopfe hat. Souverän hielt er Bühne und Orchester in Einklang. Unaufhörlich kurbelte er das Orchester, das zwar nicht mehr als eine Routineleistung bot, an. Bei etwas mehr Bereitwilligkeit der Orchestermitglieder wäre wahrscheinlich mehr herausgekommen, doch dafür den Dirigenten verantwortlich zu machen, erschiene sehr ungerecht. Eines steht fest, daß Giuseppe Patané intuitiv den Melos der Verdimelodie erfaßt und eine Verdiaufführung in echt italienischem Stil zustande brachte. Somit klag es echt, natürlich und gar nicht erdacht. Margaret Tynes, bereits zum zweiten Mal an der Oper die Aida singend, war mit der Titelrolle eindeutig überfordert. Sie mußte fortwährend auf die Stimme drücken, wobei besonders die Höhenlage einen heiseren Klang bekam, der einem die Illusion einer jungen Äthiopiertochter raubte, wenngleich sie tatsächlich jung war und sehr klug auf der Bühne agierte. Als Amneris sah man Gloria Lane, Besitzerin einer sehr schönen Mittellage, die bei langsamen Passagen glänzte. Damit allein aber kann man noch keine Amneris singen. Die Höhenlage der Sängerin ist zwar füllig, aber scharf und schrill, während die Tiefenlage kaum hörbar bleibt. In der Darstellung wirkte sie ebenso langweilig wie im stimmlichen Ausdruck. Die Leidenschaft der Amneris trat keinen Augenblick hervor. Der körperliche Zusammenbruch in der Gerichtsszene konnte daran auch nichts ändern. Charles Craig, der Haustenor der Covent-Garden war der Zankapfel der gastierenden Damen. Nicht daß er so schön aussah, aber in stilistischer Hinsicht, in puncto Gesangskultur hätten sie beide eine Menge von ihm lernen können. Dabei verfügt der Tenor nur über eine gerade, nicht sehr modulationsfähige Stimme, die keineswegs Strahlkraft in der Höhe besitzt. Aber wie er sang, wie er sich einsetzte, erwarb Sympathien. Giuseppe Taddei sang den Amonasro mit listig funkelnden Augen, die auch nicht darüber hinwegtäuschen konnten, daß Amonasro in stimmlicher Hinsicht müde war. Carlo Cava anfangs ein wenig dem Orchester nachschleppend, war intonationssicherer als die derzeit in Wien zur Verfügung stehenden Bässe. Ein Abend, der wenig Begeisterung hervorrief und dennoch ein gewisses Niveau verriet, was allerdings für Wien noch kein Maßstab sein sollte. Ein Triumphmarsch, dem kein Triumph folgte!

SALOME am 21. März

Wie schon so oft, erhob sich auch an diesem Abend wieder die Frage, warum die Direktion der Staatsoper Salome auf den Spielplan setzt, wenn man keine entsprechende Vertreterin der Titelpartie hat. Christl Goltz ist nun einmal nicht mehr imstande, die Schwierigkeiten dieser Rolle zu meistern. Dabei muß man ihr zugestehen, daß sie sich an diesem Abend sehr bemühte. Besonders zu Beginn war sie intonationssicherer als sonst, doch im weiteren Verlauf der Vorstellung machten sich dann doch deutlich die Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Wenn aber Christl Goltz in stimmlicher Hinsicht schon so viel schuldig bleibt, warum unterzieht sie dann nicht wenigstens die schauspielerische Auffassung einer Revision? So lange die Künstlerin im Vollbesitz ihrer stimmlichen Mittel war, stieß man sich weniger an ihrer übertriebenen Darstellung, doch jetzt wäre Mäßigung am Platz, vor allem im Tanz, aber auch in Bezug auf Kostüm und Frisur. In ihrer derzeitigen Auffassung wirkt Frau Goltz leider peinlich – und was noch ärger ist – stellenweise auch lächerlich. In Ira Malaniuk lernte man eine sehr gute Herodias kennen. Sie gefiel sowohl durch ihre stimmlichen Qualitäten, als auch durch blendendes Aussehen und profiliertes Spiel, wobei sie aber nie vergessen ließ, daß sie aus „königlichem Blut“ stammt. Otto Wiener sang schön und wortdeutlich den Jochanaan. Anton Dermota ist der Rolle des Narraboth entwachsen. Die stärkste Wirkung des Abends ging wieder einmal von Gerhard Stolze aus, dessen Herodes in jeder Hinsicht eine Idealbesetzung darstellt. Miltiades Caridis dirigierte sehr klar und routiniert, allerdings auch etwas derb, so daß viele Feinheiten der Partitur verloren gingen.

OTHELLO am 22. März

Nach langer Abwesenheit sang wieder Carlos Guichandut die Titelrolle, und man konnte feststellen, daß die mächtige, baritonal gefärbte Stimme in der Zwischenzeit nicht gelitten hat. Sie schien im Gegenteil eher noch voluminöser geworden. Guichandut fühlt sich nach wie vor im temperamentvollen Fortissimo-Ausbruch am wohlsten, wo es ihm an Glanz und heldischer Kraftentfaltung nicht so bald einer gleichtut. Er war aber diesmal, wo es nötig ist, auch um die Drosselung seiner Riesenstimme bemüht, was ihm zwar gelang, die Stimme aber an Qualität einbüßen ließ. Giuseppe Taddeis Sache sind kraftvolle Ausbrüche nie. Da er diesmal noch dazu nicht gut disponiert war, sang er zwar eine wirklich traumhaft schöne Traumerzählung, aber bei den dramatischen Stellen blieb mancher Wunsch offen. Durch seine ausgefeilte, faszinierende Darstellung konnte er allerdings viel wettmachen. Bei Taddei  bleibt vom ersten bis zum letzten Satz keine Pointe ungenützt, und doch entsteht nie der Eindruck, er „mache“ zu viel, weil alle Nuancen aus der Musik heraus entwickelt werden, und er sie mit seiner Künstlerpersönlichkeit zu einem lebensvollen Ganzen zusammenfaßt. Selbst der jahrelang durch Schöffler verwöhnte Zuschauer konnte immer noch neue Feinheiten entdecken. Sena Jurinac bot wieder eine unvergleichliche Desdemona. Da zu der beseelten, ergreifenden Darstellung eine ausgezeichnete stimmliche Tagesverfassung kam, blieb kaum ein Wunsch offen. Heinz Wallberg stand der Aufführung als sicherer und routinierter Leiter vor. Nun ist aber gerade beim Othello Routine allein nicht ausreichend. Man dürfte besonders von einem noch jungen Dirigenten wie Wallberg wohl etwas mehr Begeisterung erwarten.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 23. März

Mozart im Repertoirebetrieb birgt stets die Gefahr in sich, den Mangel an Probenarbeit aufzudecken. Die Ensembleszenen verlangen eine intensive Beschäftigung sämtlicher Beteiligten. Unter Heinz Wallbergs routinierter Leitung kam ein Abend zustande, der zwar solides Format zeigte, aber dennoch von jenem Niveau entfernt war, wie wir es seinerzeit als selbstverständlich hinnahmen. Lisa Della Casa als Gräfin war herrlich anzusehen – eine schöne Frau wird immer ihre Bewunderer haben – aber die Stimme hat an Schönheit eingebüßt. Unüberhörbar hat sie Schärfen in der Höhe bekommen, und das „Dove sono“ war nur mehr eine Erinnerung an vergangene Zeiten. Rita Streich bot als Susanne eine brave Leistung. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß sie diesmal eine schön ausgewogene Rosenarie sang. Sona Cervena feierte als Cherubino ihr Wiener Debüt. Sie spielte sehr hübsch, hatte auch den nötigen Charme für die Rolle, blieb aber in stimmlicher Hinsicht vieles schuldig. Die Stimme ist für den Cherubino zu dramatisch und wird außerdem technisch nicht richtig geführt. Die Diminuendi klappten gar nicht, die beiden Arien verpufften dadurch in ein Nichts. Die beiden männlichen Hauptrollenträger Eberhard Wächter und Geraint Evans erwiesen sich als ein gut eingespieltes Paar. Ein besonderes Lob verdient Herr Wächter für seine große Arie und Evans für seinen gekonnten Vortrag der Partie des Figaro. In den Nebenrollen fiel Georgine Milinkovic durch ein stark rollendes ‚R’ unangenehm auf.

DAS RHEINGOLD am 24. März

Welch eine Abwechslung im trüben Repertoirealltag bildete doch unsere unvermittelt zum Leckerbissen avancierte Rheingold-Aufführung! (Echte Wagnerianer rümpfen zwar die Nase über das Ringvorspiel, in dem die Motive noch so schön im Rohzustand serviert werden, aber – besser ein gutes Rheingold als eine flaue Walküre!) Herbert von Karajan war von der ersten bis zur letzten Sekunde uneingeschränkt gespannt, konzentriert und auf dem Posten, was ihm die Philharmoniker mit besonders schönem Spiel lohnten. (Sogar die heikle Einleitung gelang beinahe hundertprozentig). Auf der Bühne stand bis auf wenige Ausnahmen das Stammensemble, mit dem großartigen und stimmlich in ganz besonderer Form befindlichen Wotan Hans Hotters und Gerhard Stolzes phantastischem Loge an der Spitze. Ira Malaniuk, Gerda Scheyrer und die Herren Alois Pernerstorfer, Peter Klein, Eberhard Wächter und Waldemar Kmentt boten in ihren Rollen sehr Gutes bis Hervorragendes. Die Riesen waren mit Gästen besetzt. Der schon bekannte Fafner von Peter Roth-Eranger wies sich hierbei als besser. Otto von Rohr phrasierte zwar vorzüglich und hat eine würdige, profunde Stimme, aber leider überhaupt keine Höhe. Sona Cervena fiel sowohl als Erda, wie auch als dritte Rheintochter unangenehm auf und störte damit besonders die erste Szene und ihre „Fisch“-Kolleginnen Lotte Rysanek und Margarita Sjöstedt.

ANDREA CHÉNIER am 25. März

Unerwarteterweise hörte man an einem ganz gewöhnlichen Montag eine Repertoireaufführung, die auch einen einigermaßen verwöhnten Hörer zufrieden stellen konnte und von der man sagen muß, sie sei durchaus würdig gewesen. Berislav Klobucar hatte das gut spielende Orchester fest in der Hand und brachte viel Schwung in die Aufführung. In der Titelrolle hörte man einen gegenüber seinem ersten Auftreten in dieser Partie sehr verbesserten Giuseppe Zampieri, besser nicht nur deshalb, weil der Sänger die Rolle offenbar inzwischen gründlich studiert hat. Er hat sie auch richtig in die Kehle bekommen. Seine traumhaft schöne, baritonale Mittellage kommt in dieser Oper gut zur Geltung. Auch vergaß er streckenweise darauf, daß er sich vor der Höhe sonst fürchtet, und sang den Spitzenton im Schlußduett ganz prächtig. Seine geschmackvolle Phrasierung trug zur Verstärkung des positiven Eindrucks noch bei. Gerda Scheyrer ist als Madeleine natürlich bei einem lyrischen Partner besser aufgehoben, als bei einer Stimmbombe. Sie sang sehr innig, schön und geschmackvoll. Die Aufgabe, echtes intensives Operntheater in die Aufführung zu bringen, lag bei dem ausgezeichneten Gerard von Kostas Paskalis. Er holte aus der dankbaren Rolle stimmlich und darstellerisch alles heraus, stellte eine sehr durchdachte Konzeption des gefühlvollen Revolutionärs auf die Bühne und sang mit schöner und kraftvoller Stimme. Über die Comprimarii ist nichts Wesentliches zu berichten. Es erhebt sich nur die Frage, warum man die alte Gräfin mit einer Sopranistin besetzt, der sie natürlich zu tief liegt. Wir sollten doch eigentlich genug Mezzosoprane haben?

TANNHÄUSER am 26. März

Der lang entbehrte Tannhäuser kehrte aus dem Depot wieder auf die Bühne zurück und es kam genau so, wie wir uns das immer gedacht haben. Herbert von Karajan nahm vieles, das er bei der Premiere langsam gemacht hatte, in viel schnellerem Tempo und brachte dadurch eine weit größere Spannung als bisher auf die Bühne. Orchester und Chor spielten und sangen, bis auf Kleinigkeiten, prachtvoll und so kam auch der Wagnerianer wieder einmal auf seine Rechnung. Wolfgang Windgassen hatte sein projektiertes erstes Auftreten in dieser Inszenierung leider absagen müssen. Es ist verständlich, daß er gerade in dieser Rolle topfit antreten will, da der Premiere so unerfreuliche Präludien vorangegangen waren. Aber wir freuen uns schon auf den nächsten Tannhäuser. Hans Beirer sprang dankenswerterweise in der Titelrolle ein. (Die Ansage vor dem Vorhang, daß er extra aus Berlin herbeigeflogen sei, hätte man sich ersparen können, denn Einspringer kommen gemeiniglich mit dem Flugzeug. Das hat sich schon herumgesprochen). Er erwies sich als gut bei Stimme, nur hat er die Zurückhaltung, der er sich bei der Premiere befleißigte, zu Ungunsten der Gesamtkonzeption mit seinen obligaten Fortevorstößen vertauscht. Wenn man ihm auch immerhin konzedieren muß, daß er echte, große Heldentenortöne hervorbringt, bleiben sie, losgelöst, eben denn doch nur Töne. Die Linie fehlte, obzwar die Technik gegenüber früher verbessert ist. Doch bleibt im Zeichen des Wagnertenormangels nichts übrig, als das in Kauf zu nehmen. Eberhard Wächter sang einen hervorragenden, ungemein ausdrucksvollen Wolfram, sehr viel lyrischer als bisher. Franz Crass brachte für den Landgrafen eine schöne, junge, gut geführte Stimme, sowie vorzüglichen Vortrag mit. Gré Brouwenstijn und Grace Hoffman, Elisabeth und Venus, blieben beide solide und mit Ausdruck, aber mit dem gleichen keuschen Timbre. Hoffentlich hören wir einmal Stimmen mit mehr Farbe. Die Vertreter der kleineren Rollen sind weit sicherer geworden. Eine nicht unerhebliche Verbesserung hatte zum Beispiel Ludwig Welter zu verzeichnen.

LA BOHÈME am 27. März

Der große Gewinn des Abends für den Boheme-Kenner war die musikalische Interpretation von Georges Pretre und das völlige Mitgehen des Orchesters, welches hörbar den jungen Franzosen ins Herz geschlossen hat. Man spürte, daß unten ein Dirigent stand, der mit vollem Einsatz bei der Sache war und dem das Werk mehr galt als das bezahlte Taktschlagen. Schade, daß auf der Bühne die Solisten so wenig Verständnis für den Dirigenten zeigten. Lisa Della Casa als Mimi brachte ihren berühmten Namen mit. Allein, unbekannte Sängerinnen übertrafen sie in jeder Hinsicht bei weitem. Noch deutlicher war die Abnützung der hohen Lage ihrer Stimme zu hören (Schlußton des ersten Aktes). Dafür konnten auch die im dritten Akt eingestreuten Fermaten in der Mittellage, die sie bis ins pppp spann, nicht entschädigen. Giuseppe Zampieri als Rudolf war in den ersten beiden Akten nur mit Anstrengung zu hören. Gott sei Dank erholte er sich darauf. Doch wo blieb die Empfindung beider Hauptdarsteller? Giuseppe Taddei als Marcello, Geraint Evans als Schaunard und Carlo Cava als Colline bildeten den Rahmen um das langweilige Liebespaar. Mimi Coertse fiel gegen die übrigen Rollenträger durch die Schärfe ihrer Stimme ab. Ein Abend, an dem Dirigent und Orchester die Solisten an die Wand spielten.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 28. März

Die Wagneroper wurde zu Ehren eines internationalen Kongresses gegeben. Das konnte man an der schier endlosen Pause erkennen. Hans Hotter in der Titelrolle warf seine ganze Persönlichkeit in die Waagschale, um den Abend interessant zu machen. In schauspielerischer Hinsicht gelang es ihm auch, in stimmlicher Hinsicht nur zum Teil. Manchmal hörte man (z.B. beim Auftritt) allzu deutlich sein Bemühen heraus, seiner Rauhheit Herr zu werden. Die Legatostellen im ersten Akte kamen etwas gestoßen heraus. Dafür war aber der übrige Teil seiner Partie gekonnt vorgetragen. Gré Brouwenstijn ist derzeit nicht in Form. Die Stimme klang müde und überraschend klein an Volumen, und man hatte den Eindruck, daß sie manche Stellen nur unter Aufbietung aller Kräfte schlecht und recht durchstehen konnte. Senta, was tatest du uns an? Wolfgang Windgassen schien noch unter seiner Heiserkeit zu leiden, denn sonst hätte der gewissenhafte Künstler nicht die Cavatine ausgelassen! Kurt Böhme als Daland sollte sich nicht nur um das Gold des Holländers Sorge machen. Seine Stimme und Intonation ist auch nicht in Ordnung. Doch zu seiner Ehre sei gesagt, daß er – trotz dieser Einwände – ein weitaus besserer Vertreter der Baßpartie war als sein unmittelbarer Vorgänger. Anton Dermota sang ein gutes Steuermannslied, nur beim „…Südwind blas…“ wurden er und wir blaß. Schade! Miltiades Caridis war der Herrscher über Sturm, Wind und Meer. In der Stube der Senta war er weniger zu Hause. Hier hätte eine akzentuierte musikalische Begleitung nicht geschadet. Doch wir erwarten uns von dem jungen Mann am Pult noch mehr. Der Kongreß dankte mit diplomatischer Höflichkeit. Das Stammpublikum war wieder einmal zu Hause geblieben.

ELEKTRA am 29. März

Abermals ein niederschmetternder Strauss-Abend! Am Pult stand (zum zweiten Mal bei diesem Werk) der junge, in Freiburg und Dortmund wirkende Dirigent Hans Gierster, der, mit drei Taktstöcken bewaffnet, den Orchesterraum betrat, nach einer Begrüßung des Konzertmeisters und einer tiefen Verbeugung vor den Musikern so lange mit dem Beginn zögerte, daß zuerst ein lautes Lichtsignal von der Bühne dem Dirigenten zeigte, daß man auf den Beginn wartet. Als Herr Gierster darauf nur mit einem komischen Kopfschütteln reagierte, erhob sich der Vorhang von selbst, ehe das Agamemnonmotiv aufklang. Der Dirigent war den ganzen Abend so sehr in die Partitur vertieft und wahrscheinlich froh, heil über die Distanz zu kommen, daß er den Karren einfach laufen lassen mußte, und so entstand natürlich eine Strauss-Interpretation ohne jeden Höhepunkt. Man war direkt froh, daß sich endlich der Vorhang über dem Geschehen und einer für den Strauss-Verehrer beschämenden Aufführung senkte. Im Vergleich zu Herrn Gierster, dem jede Erfahrung und die Persönlichkeit für ein Opernhaus wie das von Wien fehlt, sind unsere Hausdirigenten wie Toscaninis, womit schon alles gesagt ist. Man muß es aber den Besetzern ankreiden, daß man, wenn Keilberth schon zur Verfügung steht, ihm am liebsten den Giovanni andreht, der ihm weit weniger liegt als die Elektra. Mit Matacic ist es genauso. Er muß im Theater an der Wien vor ahnungslosen Schülern die Zauberflöte leiten, statt daß endlich ein Dirigent, der die Strauss’sche Farbpalette voll zur Geltung bringen kann, sich dieses Werkes annehmen darf. Viel mag natürlich Schuld tragen, daß selbst Dirigenten von Format Orchesterproben verweigert werden. Daher sind wir ja auch Cluytens und Kempe leider losgeworden. Da der Opernchef der Aufführung (auf der Suche nach einer Chrysothemis für seine Neuinszenierung) den ersten Teil der Aufführung bis zur Auseinandersetzung Elektra-Klytämnestra selbst verfolgen konnte, wird er sich über diese Aufführung auch seine Gedanken gemacht haben. Damit allein ist es aber nicht getan. Hier muß endlich etwas geschehen! Das einzig Mögliche wäre eine sofortige Absetzung dieser Inszenierung bis zur projektierten Neuinszenierung im kommenden Dezember. Auf der Bühne sah es leider auch traurig aus. Hildegard Hillebrecht sang die Chrysothemis. Eine Partie, in der sie vor Jahren einen überzeugenden Erfolg an der Wiener Oper erringen konnte. Diesmal war sie eine arge Enttäuschung. Ihre Höhe klang strapaziert und schrill, die Tiefe wirkte unnatürlich. Im Spiel schien sie nervös. Obwohl wir keine Lokalpatrioten sind, was uns von Sängern aus Wien immer wieder vorgeworfen wird, müssen wir gestehen, daß Frau Zadek die Partie korrekter singt. Leider gibt’s heutzutage kaum eine überragende Chrysothemis außer der Rysanek. Hans Hotter beeindruckte vor Allem durch seine Gestaltung und Wolfgang Windgassen war in der winzigen Partie des Aegisth zu hören. Das Mägdeensemble war diesmal auch unter dem sonstigen Niveau, woran auch Gundula Janowitz mit Schärfen in der Höhe und die neuengagierte Sona Cervena nichts ändern konnten. Georgine Milinkovic war die Klytämnestra, die gesanglich ausreichend, darstellerisch wie immer in dieser Partie, völlig unzulänglich war. Nicht eine Spur von Dämonie und Gefährlichkeit kommt zum Ausdruck. Man vermeinte eher der Türkenbab aus Rakes Progress gegenüberzustehen. Christl Goltz schließlich sang mit der Elektra einen weiteren ihrer vertraglichen Abende ab. Daß sie der Partie aber nicht mehr gewachsen ist, scheint den Verantwortlichen wenig auszumachen, denn es wird von keiner Seite her eine Änderung herbeigeführt. Völlig deprimiert verließ man das Haus, sich lange darüber Gedanken machend, wie es möglich ist, innerhalb einer Woche eine so herrliche Rheingold-Aufführung zu erleben und dann einen Straussabend serviert zu bekommen, bei dem einem das kalte Grausen kommt. Irgendetwas ist da doch faul?

BALLETTABEND am 30. März

CAPRICCIO am 31. März

Die Aufführung stand unter dem Leitmotiv: 70. Geburtstag von Clemens Krauss. Es ist erfreulich, daß man sich in der Wiener Operndirektion daran erinnerte, daß der allzu früh verstorbene, unvergeßliche Krauss zu diesem Alterswerk des Garmischer Meisters das Textbuch verfaßte. Wie viel Geist steckt doch hinter den Worten des genialen Dirigenten! Es ist ewig schade, daß wir ihn nie am Pult dieses Werkes in Wien erleben durften. Daß heute Strauss-Dirigenten sehr spärlich gesät sind, ist kein Geheimnis, umso erfreulicher aber, daß für diese Aufführung endlich wieder ein Mann von Format zur Verfügung stand: Georges Pretre. Er dirigierte mit viel Schwung und Hingabe, und so wurde das Zwischenspiel zum Höhepunkt des Abends. Schade, daß die Besetzung nicht ideal zu nennen war. Die Konversation stand zu sehr im Vordergrund, leider oft auch an Stellen, wo die gesangliche Linie hätte dominieren sollen. Beim la Roche störte dies nicht so sehr, Paul Schöffler spielte ihn souverän, und sein saftiger Theaterdirektor wird noch immer von den Menschen bewundert. Lisa Della Casa schien gegenüber früheren Auftritten in der Partie der Gräfin schwächer. Sie wirkte nicht gut disponiert. Christl Goltz und Hermann Uhde (Clairon und Graf) müßten eigentlich schon längst durch andere Sänger ersetzt sein. Anton Dermota zeigte sich recht gut disponiert, während Heinz Imdahl (Olivier) farblos blieb. Das italienische Sängerpaar Ermanno LorenziLiselotte Maikl hielt sich an La Roche: Der Belcanto liegt im Sterben! Einen völlig verzeichneten Taupe steuerte Paul Kuen bei. Somit wieder einmal ein Strauss-Werk, das man mit zwei Gästen (Imdahl und Kuen) spielte und außer den Philharmonikern und ihrem ausgezeichneten Dirigenten manches zu wünschen übrig ließ. Ob man wohl auch im Strauss-Gedenkjahr die Werke des Meisters in unzulänglicher Besetzung und womöglich ebensolchen Dirigenten aufführen wird? Die Ankündigung der Einsatzfreude des Chefs für Richard Strauss im kommenden Jahr (Elektra und Frau ohne Schatten – hoffentlich endlich auch den Rosenkavalier) läßt unser Herz höher schlagen. Wirklich glücklich sind wir aber erst, wenn diese Pläne verwirklicht sind.

 

DAS THEATER AN DER WIEN ALS BALLAST

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 4

Das hätte auch der versierte Wiener Musikfreund in seinen Alpträumen nicht erwartet! Das liebe, alte, kleine Haus, nach dessen Rettung wir geschrieen haben, ist nach einer Saison zu einem Hemmschuh mehr im ohnedies an Hemmschuhen reichen Betrieb der Bundestheater geworden. Nun rächt sich bitterlich das Versäumte, daß sich nicht die Bundestheater des jahrelang leerstehenden Hauses bemächtigt haben. Wie oft erhoben auch wir die Stimme nach Ankauf des Theaters und – um es ganz billig und wirklich rentabel zu machen – schlimmstenfalls nach Übersiedlung der Volksoper mit ihrem gesamten Spielplan und gesamten Apparat an die Wien. Aber wann hat jemals die Bundestheaterverwaltung, von der doch immerhin die Initiative und nüchterne Projektierung hätte ausgehen müssen, einen gesunden, vernünftigen Gedankengang befolgt, auch wenn er von anderen stammt? (Daß den hohen Beamten von selbst etwas einfällt, verlangt ja schon gar niemand mehr.) Sukzessive hätte dann der größtenteils alberne, zwischen Konkurrenzierung des Opernringes und billigstem – d. h. teuerstem – Unterhaltungstheater schwankenden Spielplan aufgeopfert und mit Sängern vom Ring aufgestockt werden können. Für Aufgaben solch programmatischer Natur haben wir ja mit Herrn Dr. Schäfer den absolut geeigneten Mann im Haus. Doch nein – es konnte nicht sein. Das Wiener Opernleben spielt sich weiterhin in zwei großen Häusern ab. Ja, sieht denn niemand ein, daß es absurd ist, zwei Staatstheater mit zum Teil ähnlichem Spielplan zu führen? Zwangsläufig muß doch eines davon schlechter sein, notwendigerweise das an der Peripherie. Da nützt kein Umbau etwas, der das Niveau des Hauses nicht heben wird! (Und der fast schon mehr kostet als der Erwerb des Theaters an der Wien!) Der agile Festwochenintendant Dr. Egon Hilbert, der wohl den Posten bei der entgegengesetzten (Partei-) Richtung nur angenommen hat, um in „seinem“ Theater an der Wien sein „Königreich“ wieder aufzurichten, mußte auch seinen Thron wanken sehen, bevor er ihn noch bestiegen hat. So kulturbeflissen ist ja nun die Gemeinde Wien auch wieder nicht, daß sie ein städtisches Opernhaus führt, wie es kleinere und ärmere Städte in ganz Mitteleuropa nach bestem Wissen und Gewissen unterstützten. Da ist es für die Gemeinde wohl viel praktischer, das ziemlich aufwendig renovierte Haus an die Bundestheaterverwaltung zu vermieten – um den Betrag von 21.000 Schilling für den Abend. Planlos und ohne Voraussicht hat die Bundestheaterverwaltung diesen Vorschlag akzeptiert, ohne vor allem zu bedenken, daß die Bundestheaterverträge für dieses Haus gar nicht gelten, weil es schließlich ein städtisches Theater ist. Man vergaß, die diesbezüglichen Gesetze zu ändern, was wohl gegangen wäre. Und so tritt jetzt der groteske Fall ein, daß zu der teuren Miete im Theater an der Wien noch viel größere Aufwendungen für das künstlerische Personal der Vorstellungen gemacht werden müssen, die außerhalb der Staatsopernverträge bezahlt werden müssen. Man kann also nicht einmal froh sein, daß diese oder jene Dame, dieser oder jener Herr des „heimischen Ensembles“ ihre Abende im Theater an der Wien abbiegen und man sie im großen Haus nicht oder zumindest weniger zu Gesicht und Gehör bekommt. Denn diese Abende gelten ja gar nicht! Nun kann man einwenden, die Preise im Theater an der Wien seien nicht gerade niedrig, sodaß doch immerhin eine Menge Geld hereinkommen müsse. Weit gefehlt! Durch den unmöglichen Status des Hauses, das Niemandem so recht gehört und für das sich Niemand einsetzt, wird von Niemandem Propaganda gemacht. Ja es gibt nicht einmal Plakate, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Haus lenken. (Wir haben uns schon so oft den Kopf darüber zerbrochen, wozu Dr. Kalmar, der Pressechef der Bundestheaterverwaltung überhaupt bezahlt wird.) Das Resultat ist eine Freikartenverschenkerei und Verschleuderei der Karten an Schulen und Organisationen, wie sie wohl seit der Wirtschaftskrise, als die Leute kaum Geld fürs Theater hatten, nicht mehr da war. Nun wird täglich gemahnt, die Bundestheater müßten sparen. Täglich hämmern die Schlagzeilen der Blätter dem unwilligen Leser mit einer gewissen Schadenfreude ein, nun sei es endlich aus mit diesen Stargastspielen, die Zeiten des Ensembletheaters seien wieder im Kommen usw. Nun ist die Situation aber so, daß die großen Sänger, die naturgemäß teurer sind als die durchschnittlichen, den Vorstellungen und damit der Oper eben das Niveau geben. Wenn man nun höherenorts an den Gagen zu sparen beginnt, werden die Wiener kaum mehr in die Oper gehen. Die mühsam getarnte Leere der Staatsoper in den Wintermonaten, die durch die bereitwilligsten Freikartenspenden nicht zu verschleiern war, ist dennoch zumindest dem Merker nicht unbekannt. Wir sind schließlich oft genug in der Oper, um die verschiedensten Gattungen der Besucher, gutes Publikum, hineingeschaufelte Organisationen, Kriminalbeamte und Freikartenempfänger, sehr wohl auseinanderhalten zu können. Bei Repertoirevorstellungen, wo sich auf der Bühne nichts tut, muß man sich oft mit dem Publikum befassen, um nicht einzuschlafen! Wir hatten eine „Deutsche Woche“: Alle Zeitungen priesen dies Ereignis in den höchsten Tönen. Das Resultat war betrüblich – der absolut schlechteste Kartenverkauf seit der Eröffnung des Hauses 1955! Wir hatten eine Entführung (der Merker berichtete, daß sie statt Figaro und dieser statt La Cenerentola gegeben wurde) in der im Parkett eine einzige Karte an der Kasse verkauft worden war. (Es gab aber nebenbei noch Abonnement). Das ist nun keineswegs eine Polemik gegen die deutschen Opern, im Gegenteil. Wir verlangen nur immer wieder, daß sie zumindest so gut (oder zureichend) wie die italienischen besetzt werden. Also bedeutet Hebung des Niveaus keinen Luxus, sondern eine Notwendigkeit zur Vermehrung des Kartenverkaufs. Damit geht Hand in Hand die Möglichkeit, die Abonnements dann anzusetzen, wenn die Karten im freien Verkauf nicht anzubringen sind, also von Mitte Oktober bis Ostern. Da kann die Oper ruhig täglich Abonnement spielen. Die Stars, die teuer sind, müssen in den Herbst- und Frühsommerwochen bei absolut freiem Kartenverkauf angesetzt werden. Ein wenig Reklame in die Zeitungen, daß alle Karten zur Kasse gelangen! Die Anstellorgien würden sich bessern und die Stars ihr Geld schon wieder einspielen. In diesem Zusammenhang gehört auch die schon oft angeprangerte Unsitte erwähnt, daß ganze Reihen, ganze Logen einfach von Staats wegen beschlagnahmt sind. Verlangt der Staat von der Oper Sparsamkeit, dann soll er mit gutem Beispiel vorangehen und sich in seinen Kartenwünschen auf die Mittelloge beschränken, die wir ihm konzedieren wollen. (Alle Musikliebhaber in höheren Positionen politischer und wirtschaftlicher Natur finden unschwer dort Platz.) Aber interessanterweise sind – wie vom zahlenden Publikum – auch von den Freikartenbeanspruchern nur Karajan-Vorstellungen oder solche mit Top-Stars gefragt. Aber gerade diese Vorstellungen sollte man verkaufen, nicht verschenken. Natürlich gibt es auch Einsparungsmaßnahmen künstlerischer Natur. Die Schließung von Häusern, die nur dazu dienen, um Sängern die Abende abdienen zu lassen und in die niemand geht (Redoutensaal) und die radikale Abkehr vom völlig unwirtschaftlichen Betrieb im Theater an der Wien wären wesentlich rentabler als eine Reduzierung der Abende von Giulietta Simionato oder Giuseppe di Stefano. Wenn die Staatsoper dann nicht weiß, wohin sie mit den vielen Leuten soll, dann kann man der Direktion nur den Rat geben, nicht jeden x-beliebigen Sänger zu engagieren. Doch zur momentanen Sparsituation gibt es nur eine Bemerkung: Verzicht auf Herschenken! Dazu gehören Kinder- und Gewerkschaftsvorstellungen, die füglich in der Volksoper abgehalten werden können. Dazu gehört eine Aufforstung des Abonnements, aber nicht, was die Anzahl der Gruppen betrifft, sondern die Anzahl der Besucher einer Gruppe. Dann wären die Karten verkauft und müssen nicht verorganisiert werden. Dazu gehört der Abbau aller unrentablen Filialen, was uns im Falle Redoutensaal fröhlich, im Falle Theater an der Wien traurig stimmen würde. Die bisherigen Inszenierungen in der Wienzeile: Zauberflöte, Don Pasquale, Die Kluge (mit einem anderen zweiten Stück, die Geschichte vom Soldaten muß man eben im Rahmen von Ballettabenden weiter verwenden) und das kommende Strauss’sche Intermezzo kann man sicherlich mühelos ins große Haus übersiedeln. Die projektierte Barbier-Neuinszenierung gehört ohnedies dort hin. Für die Verwendung der überzähligen Sänger könnte vielleicht ein Abkommen mit der Volksoper eine Lösung bringen. Das, was für das große Haus nicht tragbar ist, kann für den Gürtel noch immer eine Verstärkung bedeuten. (Bisher haben sich nämlich die schlauen Volksopernleute, besonders bei den Herren, meistens Sänger geholt, die auch am Ring gefragt sind). Aber unsere Vorschläge sind wahrscheinlich wieder einmal zu vernünftig, um berücksichtigt zu werden. Die Budgetkürzung wird sich sicherlich bei den Spitzensängern am ehesten auswirken, weil dies der Weg des geringsten Widerstandes ist, und die Staatsoper nie den Mann finden wird, den sie außer dem großen Künstler Karajan und dem klugen Kenner Schäfer auch noch braucht: Einen eiskalten, unsentimentalen, geldgierigen und zugleich geizigen Manager. Wo ist er?

 

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