DER MAI 1963

8. Jahrgang, Heft 6

 

Es gibt nichts Neues, was man aus den Erfahrungen, die dieser Opernmonat brachte, resümieren könnte. Wie immer begannen in ihm die Wiener Festwochen. Wie immer vereinigen sie in sich alle Pracht und Herrlichkeit, die wir während der abgelaufenen Spielzeit allzu oft vermißten. Noch immer warten wir darauf, daß Herbert von Karajan endgültig auch im Amt sei, und neuerlich werden Termine genannt, zu denen dieses Ereignis endgültig eintreten soll. Sehr erhebend ist dieser Vorgang nun gerade nicht, jedoch noch lange kein Grund für dermaßen unverschämte Angriffe, wie sie sich ein Kurt Riess in einer ansonsten angesehenen Züricher Zeitung erlaubt. Die Staatsoper Wien leidet nicht unter der Direktion Herbert von Karajans, sie leidet darunter, daß es noch immer nicht gelungen ist, diese Direktion in allen Belangen zu verwirklichen: Trotzdem hat es Wien nicht nötig, sich vom Ausland her bejammern zu lassen, noch dazu, wo es gerade die Ausländer sind, die als Gäste der Wiener Festwochen samt und sonders gerne bestätigen werden, daß ihnen hier geboten wird, was sie ansonsten nirgends in der Welt an künstlerischen Werten in einer solchen Konzentration vorgesetzt bekommen. Doch darum geht es in solchen Pressekampagnen ja auch gar nicht. Es geht um Angriffe gegen eine Person, oder Hilfen für eine andere Person, die ihre eigenen und eigensüchtigen Ziele und Zwecke verfolgt. Dabei scheut man vor keinerlei Gemeinheiten und Unwahrheiten zurück. Und dazu gehört es auch, wenn behauptet wird (dies in einer Wiener Tageszeitung), daß die Direktion Karajan für Karl Böhm keinen Platz hätte. Nun, es ist gerade umgekehrt. Wien entbehrt seit zwei Jahren die Schweigsame Frau, weil Böhm, dem zuliebe man die Termine dieser Aufführung mehrfach verschob, schließlich erklärte, doch keine Zeit zu haben! Dies paßt glänzend zu seiner Grundhaltung, die er in seiner eigenen mißglückten Direktionen an den Tag legte. Aber über alte Geschichten soll man weder ewig reden noch sich stets von Neuem aufregen, aber man soll auch gefälligst nicht die tatsächlichen Gegebenheiten gezielt entstellen. Das „Novum“ des Monats bestand in der nicht stattgefunden Meistersinger-Aufführung vom 13. Mai, doch darüber berichten wir im Zusammenhang mit der Saisonübersicht in dem Leitartikel unserer nächsten Nummer.

 

CARMEN am 1. Mai

Manchmal kann man in der Wiener Oper Überraschungen erleben. Von dieser Carmen hatte man sich eigentlich relativ wenig erwartet. Sie wurde jedoch eine prächtige Aufführung. Der Dirigent Berislav Klobucar verzeichnete einen sehr guten Abend. Er leitete das Werk nicht nur mit Temperament, das er ja meistens in genügendem Maße hat, sondern auch mit ausgesprochenem Gefühl für Linie und Form, das er im Repertoire sonst weniger aufbringt. Die Titelrolle war mit Regina Resnik geradezu ideal besetzt. Die Figur ist trotz aller aufgewendeten Intelligenz und Überlegungen unmittelbar ansprechend und lebendig. Frau Resnik ist einer der seltenen Fälle einer leichten Dämonie. Frauen bringen diese auf der Bühne nicht häufig zustande. Die Gesangsleistung war ebenfalls hervorragend, speziell in der Tiefe. Die Höhe ist etwas schärfer geworden, aber hier kann man mit Berechtigung von interessanter Schärfe sprechen. Jon Vickers hat in der Zeit seines unfreiwilligen Fernbleibens von der Bühne offenbar fest gearbeitet. Die Mittellage ist ausgeglichener, nicht mehr ein Poltern von erratischen Blöcken. Er ist auch in der Phrasierung wesentlich forscher. Das Zurückweichen ins Falsettieren erfolgt nicht mehr dauernd, sondern nur mehr gelegentlich. Bei der Blumenarie konnte er’s nicht lassen. Der Dritter und vierter Akt wurden aber kräftig und wohlklingend gesungen. Daß er auf der Szene ein Künstler von Format ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Hilde Güden sang eine prachtvolle Micaela und wurde nach der Arie gebührend bejubelt. Für den absagenden Protti sprang Hans Günther Nöcker, der an der Wiener Oper bisher wenig in gutem Sinn aufgefallen war, erfolgreich ein. Er donnerte (in deutscher Sprache) ein kraftvolles Torero-Lied und als man im 3. und 4. Akt dahinterkam, daß seine Phrasierung höheren Ansprüchen nicht genügt, hatte er den Sieg praktisch schon in der Tasche. Vielleicht auch deswegen, weil er sehr spanisch aussieht. (Das war ja schon bei der Bluthochzeit zu bemerken). Die kleineren Rollen waren mit den Damen Lotte Rysanek, Margarita Sjöstedt und den Herren Frederick Guthrie, Alfred Poell, Harald Pröglhöf und Kurt Equiluz gut gesetzt.

INTERMEZZO am 1. Mai im Theater an der Wien

Die zweite Aufführung des Werkes war sehr beschwingt und gelöst. Einige Male fanden die Mitwirkenden sogar den Mut zur Parodie, was einige der Familienszenen etwas weniger peinlich machte. Hanny Steffek wirkte stimmlich manchmal etwas scharf und spitz in der Diktion. Alle übrigen Mitwirkenden (Hermann Prey, Ferry Gruber, Waldemar Kmentt, Oskar Czerwenka usw.) konnten das Premierenniveau halten. Ein Kabinettstück für sich ist nach wie vor die Skatrunde. Leider benahm sich ein Teil des (hineingeschleusten?) Publikums wie im Kino. Die Orchesterzwischenspiele – also ungefähr ein Viertel des Werkes – wurden konstant halblaut zerredet und mit Zuckerlpapier zerraschelt.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 2. Mai

Es ist sehr traurig, was in Wien mit Mozart getrieben wird! Selbst Aufführungen mit bekannten Namen auf dem Programmzettel und oft wirklich guten Leistungen leiden unter der stilistischen Diskrepanz zwischen der italienischen Sprache und dem deutschen Stil, in dem die Aufführungen ablaufen. Wenn ein Ernst Märzendorfer in seiner teils uninteressanten, teils aggressiven Art Mozart „dirigiert“, dann kommt er damit eventuell bei einer deutschen Repertoireaufführung über die Runden, nicht aber bei einer gemischt deutsch-italienischen. Etwas mehr Gefühl bei der Planung wäre hier dringend vonnöten. Allerdings waren zwei der Sänger Italiener und stellten so aus eigenem Antrieb einige der verschobenen Maßstäbe richtig. Graziella Sciuttis Susanna ist kein entfesseltes Soubrettchen, sondern Gott sei Dank ein Mensch mit all seinen kleinen Freuden und Schmerzen, gelegentlich sogar etwas ernster als üblich, aber charmant in jeder Situation. Stimmlich scheint die Sängerin sich wieder erholt zu haben. Die Stimme klang klar und schön. Rolando Panerai ist in der glücklichen Lage, seine Figaro-Auffassung stimmlich untermauern zu können. Er spielt einen aalglatten, häufig süffisanten, mit allen Wassern gewaschenen, echten, rechten Kammerdiener und singt diesen Teil der Partie mit Buffo-Stimme, beweglich, ausdrucksreich und mit meisterhafter Phrasierung. Doch plötzlich zeigt er die Pranke des Löwen. Hier bricht der Revolutionäre durch, der es wagt, seinen Herrn zu düpieren, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und hier legt er auch gesanglich los, mit profundem, vollem, schönem Organ. Seine im Forte gesungenen  Spitzentöne sind ein Genuß. Schade, daß er seinen mächtigen Brustkasten nicht in das rote Ledergilet zwängen konnte, das Ita Maximowna für Figaro entworfen hat. Gerade zu seiner Auffassung hätte es so gut gepaßt. So aber mußte er ein improvisiertes Kostüm tragen. Lisa Della Casa war stimmlich, von einigen scharfen Höhen abgesehen, recht gut. Die Zeiten, wo sie auf der Opernbühne das Understatement erfunden hat und so damit zu begeistern wußte, sind leider vorbei. Jetzt tut sie in einem fort etwas, nestelt am Kostüm, an der Frisur, blitzt mit den Ringen, zieht ganze Akte lang ein Schmollmündchen usw.. Das ist doch gar nicht mehr ihr Stil? Eberhard Wächter sang den Grafen sehr gut. Darstellerisch gerät er gefährlich in Schöffler-Nähe, nur paßt dessen „Alter Steiger“-Auffassung Wächter sehr schlecht. Evelyn Lear sang einen sauberen, routinierten Cherubino und die Comprimarii waren so gut wie sehr selten besetzt: Elisabeth Höngen, Anny Felbermayer, Ludwig Welter, Peter Klein, Kurt Equiluz und Ljubomir Pantscheff. Sie waren alle angenehm und dezent.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 3. Mai

In der Vorschau wurde Hans Hotter als Titelfigur genannt. Da aber seit Jahresfrist feststand, daß Hotter am gleichen Abend einen Liederabend im Konzerthaus zu absolvieren hat, und Otto Wiener zur gleichen Zeit den Sachs in Wiesbaden singt, mußte man einen Gast für die Titelpartie holen. Dieser kam aus Hamburg, und heißt Laurence Winters, bei uns bekannt durch das Porgy and Bess-Gastspiel. Die Stimme des Negerbaritons wäre nicht unschön, aber leider hat der Sänger keine Ahnung von Gesangstechnik und versucht sich in wildesten Stemmübungen, wozu ihm aber wieder die Kraft fehlt. So endeten die Versuche zumeist in zu tief gesungenen Höhen, was die Nerven der Zuhörer über Gebühr beanspruchte. Anita Välkki sollte auch noch an ihrer Technik feilen, denn wie bei ihrer ersten Senta gab es an der gleichen Stelle im Liebesduett wieder einen Kapitalschmiß, der nur auf die mangelnde Atemtechnik zurückzuführen ist. Ansonsten bot sie stimmlich und darstellerisch eine ansprechende Leistung. Walter Kreppel sang den Daland. Je größer die Stimme des Sängers in den letzten Jahren wurde, desto unangenehmer ist sie anzuhören. Das fortwährende Forcieren hält auf die Dauer weder die Stimme noch das Tommelfell des Zuhörers aus. Wirklicher Pluspunkt des Abends war Hans Beirer als Erik, der es auch verstand, bei den lyrischen Stellen seinen mächtigen Heldentenor zu drosseln. Nur zusehen darf man nicht, aber bei unserer Rott’schen Inszenierung soll man sich ja sowieso nur auf das Zuhören beschränken. Die weiteren Akteure waren Elisabeth Höngen als Mary und Anton Dermota, der sich als Steuermann fehlbesetzt erwies. Am Pult stand Heinrich Hollreiser, der diesmal ehrliches Bemühen zeigte und eine gute Leistung bot. Daß sich einzelne Orchestermitglieder gelegentlich zwischen den Noten verirrten, ist nicht seine Schuld.

BALLETTABEND am 4. Mai

LA BOHEME am 5. Mai

Eine erfreuliche Wiedergabe des Werkes unter Nello Santi. Der Dirigent nahm rasche Tempi, ließ jedoch die lyrischen Stellen der Partitur mit Übereinstimmung der Sänger langsam ausschwingen, so daß sich die Künstler voll entfalten konnten. Das Orchester zeigte sich dem Dirigenten diesmal sehr gewogen. Gundula Janowitz übernahm nach längerer Pause für die absagende Della Casa die Mimi. Sie sang die Partie sehr gekonnt, wenn auch manchmal zu sehr auf deutsche Art, trotz italienischer Sprache. Dennoch war die Besetzung der Mimi durch Frau Janowitz sehr zu begrüßen. In ihr wächst eine Hoffnung im jugendlich-dramatischen Sopranfach heran. Giuseppe Zampieri als Rodolfo hatte gute Momente, besonders was den ersten Akt betrifft. Doch leider singt er kaum eine seiner Partien mit voller Kraft aus. Etwas mehr Begeisterung würde seine Leistungen wertvoller machten. Eberhard Wächter hatte seine Freude mit dem Marcello –wir auch mit ihm. Er brachte Stimmung ins Haus. Dabei wurde er durch die kokette Musetta von Ruth-Margaret Pütz, die ebenfalls gesanglich eine gute Leistung bot, bestens unterstützt. Die Nebenrollen waren von Hans Braun als Schaunard und Frederick Guthrie als Colline auf die gewohnte Art gesungen. Der Abend fand lebhafte Anerkennung, auch von Seiten der wenigen Stammbesucher, die sich ins Haus verirrt hatten.

DON PASQUALE am 5. Mai im Theater an der Wien

Das war wieder ein musikalischer Leckerbissen! Donizettis Operchen ging nach längerer Pause neuerlich in den prächtigen Bühnenbildern und Kostümen von Frau Bauer-Escy in Szene. So verfolgte man abermals mit viel Vergnügen die Geschichte vom alten Don Pasquale und der jungen Norina, ausgezeichnet gesungen und gespielt von Giorgio Tadeo und Graziella Sciutti. Man freut sich, feststellen zu können, daß die Sciutti wieder prachtvoll bei Stimme ist und ihre Höhe wieder Glanz aufweist. Rolando Panerais Dr. Malatesta ist ein Kabinettstückchen besonderer Art. Seinetwegen allein schon lohnt es sich, die teuren Einrittspreise zu berappen. Ermanno Lorenzi sang endlich wieder den Ernesto. Hier ist er bestens am Platze. Ein besonderes Lob gebührt dem ausgezeichneten Staatsopernchor. Der animierte musikalische Leiter des Abends war Giuseppe Patané. Sehr herzlicher Beifall, der nach dem Duett Pasquale-Dr. Malatesta und am Schluß der Aufführung, geradezu südländische Ausmaße annahm.

ELEKTRA am 6. Mai

Wenn heutzutage ein Strauss-Fan zu einer Elektra pilgert, dann nur, um diese herrliche Musik wieder einmal um ihrer selbst willen hören zu können. Von der Aufführung als solcher erwartet er sich kaum noch etwas Erhebendes. Das Werk wird ja in Wien zur Zeit meistens an Kindergärten und ähnliche Institutionen verschenkt, dient als Repertoire-Lückenbüßer und ist noch dazu fast immer in den weiblichen Hauptpartien schlecht oder unzureichend besetzt. Welch angenehme Überraschung also an einem alltäglichen Repertoireabend. Eine erregende Wiedergabe dieses Strausswerkes mit Gästen und Neubesetzungen zu erleben! Die angenehmste Überraschung bereitete uns der Dirigent des Abends, Heinrich Hollreiser. Diese Elektra war zweifelsohne die beste, die er in Wien je dirigierte: er ließ die blühende Lyrik ebenso ergreifend verströmen, wie er die geballte Dynamik mit ihren oft grellen Akzenten dem Hörer schonungslos effektvoll darbot. Blendend der sichere Kontakt mit der Bühne und vor allem mit den herrlich musizierenden Philharmonikern, die ihr Bestes an Tonqualität und Ausdruck gaben. Nicht zuletzt ließ eine bei Hollreiser ganz neue (und bei der Elektramusik besonders bemerkenswerte) Transparenz des Orchesterklanges, die selten gehörte Nebenstimmen ans ungewohnte Ohr gelangen ließ, aufhorchen. Wir freuen uns besonders, Herrn Hollreiser bei Strauss dieses gute Zeugnis ausstellen zu können, zumal die unzulänglichen Leistungen meistens indiskutabler Dirigenten in umso schlechterem Licht erscheinen. Hollreiser erwies sich bei dieser Aufführung geradezu als Stardirigent. Im Mittelpunkt des Interesses stand die erste Klytämnestra Martha Mödls in Wien. Die schöne, dunkle Stimme im Mezzofach zu hören, bereitete ungetrübten Genuß. Vor allem deshalb, weil Frau Mödl die Seelenqual und Gewissenspein fast nur in die Ausdruckskraft ihrer Stimme legte. Ihre äußerst sparsame Gestik, ihr scheinbar starrer Gesichtsausdruck intensivierte, in Verbindung mit klarster Diktion, die Gestaltung dieser Charakterrolle. Die Unterredungsszene mit Elektra stellte einen Höhepunkt musikdramatischen Theaters dar. Auch die Titelpartie war bei Gladys Kuchta in besten Händen. Obwohl die Stimme der Amerikanerin kühl und nicht besonders expressiv klingt, vermag sie dank einer sicheren Höhe und vollen Mittellage dem schweren Part vollauf gerecht zu werden. Nur die Tiefe ist ohne Resonanz und klingt nicht recht. Darstellung und Ausdruckskraft sind weniger befriedigend. Frau Kuchtas Elektra wirkt statuarisch und zu wenig leidenschaftlich. Im Gesamten aber eine verläßliche, gediegene Leistung, der man Anerkennung zollen muß. Ingeborg Gelderer, eine Jugendlich-Dramatische aus Deutschland, hatte für die Chrysothemis zu wenig Höhe, und das ist leider gerade bei dieser Partie ein arges Handicap. Ihr Durchschnittsorgan läßt nicht aufhorchen und ist Dutzendware, ebenso das konventionelle und unpersönliche Spiel. Walter Kreppel ist bestimmt zu bedauern, daß er den Orest ohne eine einzige Orchesterprobe zum ersten Mal in seinem Leben singen mußte, doch ließe sich in Wien (wo solches ja leider Usus ist) von einem doch immerhin versierten Sänger wie Herrn Kreppel erwarten, daß er die Partie wenigstens einigermaßen zu gestalten vermag. Er machte aber sowohl darstellerisch als auch stimmlich einen ziemlich hilflosen Eindruck. Ein Orest im ständigen Fortissimo, intonationsunsicher und durch das Riesenorchester sichtlich irritiert, geht wohl zu Lasten fehlender, intensiver Probenarbeit. Das Publikum jedenfalls kam so um das Kernstück der Oper, die Erkennungsszene, die auf der Bühne allzu improvisiert wirkte. Schade um diese herrliche Szene. Schade um Walter Kreppel! Hans Beirer sang den Aegisth – pardon den Mohren von Mykene. Beim ersten Anblick glaubte man sich im Othello: ein dunkelhäutiger Herrscher mit wallendem, pelzbesetztem Mantel sang statt „Esultate“ dann aber doch „He Lichter“ und gab so zu erkennen, daß er sich dennoch nicht in der Partie geirrt hatte. Jedenfalls eine neuartige Aegisth-Erscheinung, aber ziemlich unnötig in ihrer unmotivierten Auffälligkeit. Das Mägdequartett fiel weder angenehm noch unangenehm auf.

OTHELLO am 7. Mai

Ein Meisterstück der Verwaltung: die Aufführung wurde an einen Kongreß verkauft, auch als geschlossen angekündigt. Dabei gelangten jedoch die billigen Karten und die Stehplätze an der Abendkasse zum Verkauf, was natürlich kein Mensch ahnen konnte. So hielt man wieder das gute Wiener Publikum künstlich von einer Aufführung fern, die hervorragend war und die ein besseres Auditorium verdient hätte, als Inder, die während Othellos Monolog munter schmatzten, als säßen sie in Bombay im Kino und amerikanische Globetrotter, die nachher äußerten: „Very nice, but a bit too long“. Es kommt selten vor, daß an einem Abend gleich zwei Hauptrollenträger den Abend ihres Lebens haben! Leonie Rysanek haben wir fast noch nie so herrlich gehört. Die Stimme war von der profunden Tiefe bis zur explosiven Höhe, vom Fortissimo bis zum Pianissimo ganz ausgeglichen und von großer Schönheit, dabei förmlich ausdrucksgeladen. Die groß angelegte, sehr dramatische Gestaltung rundete die Leistung zu einer ganz großen ab. Giuseppe Taddei ist darstellerisch immer großartig – ein Wolf im Schafspelz – ein Jago hinter der Maske des behäbigen Biedermannes, von größter Eindringlichkeit, Eleganz und Beweglichkeit. Hinzu kam eine großartige stimmliche Verfassung, die ihn mühelos sogar die „A“ im Trinklied anpeilen ließ, sich im Credo manifestierte und ihn im Schwurduett neben Usunow durchaus bestehen ließ, was ja nicht so leicht sein muß. Die traumhafte Phrasierung der Cassio-Szene im 3. Akt ließ Rückschlüsse auf seinen Falstaff zu, den wir doch auch hoffentlich einmal hören werden. Dimiter Usunow ist als Othello immer gut. Diesmal war er noch besser, mit Stahl in der Stimme, mit Feuer in den Adern und Glut im Herzen. Sein Temperament, seine eifersüchtige Liebe und seine rasende Verzweiflung gestalteten den Othello geradezu ideal. Margarita Lilowa sang eine sehr gute Emilia. Anton Dermota und Frederick Guthrie hielten Niveau. Siegfried Rudolf Frese und Erich Majkut waren eher komisch. Nello Santi ist seit seinem ersten Wiener Othello wesentlich gemäßigter geworden. Er nimmt Rücksicht auf die Sänger und scheint sich auch mit Chor und Orchester nunmehr zu verstehen. Da er noch dazu ein Dirigent mit Verve und einer Ader für die dramatische Phrase ist, machte er die Aufführung zu einer der mitreißendsten, die wir je gehört haben.

BALLETTABEND am 8. Mai

RIGOLETTO am 9. Mai

Nino Verchi dirigierte zäh und klebrig. Er leitete die Sänger fahrlässig zu falschen Einsätzen und schlug im übrigen brav und bieder den Takt. Ohne spürbares Konzept blieb so sein Rigoletto eine fade Angelegenheit. Da Verchi sich nicht der besonderen Sympathien des Orchesters erfreut, spielten diese so wie er dirigierte. Das Ergebnis klang danach. Aldo Protti verzeichnete einen rabenschwarzen Abend. Die Stimme klang rauh und belegt, die Höhen kamen sehr unsicher und wurden mehrmals geschmissen. Auch darstellerisch war Protti nicht ganz bei der Sache. Giuseppe Zampieri sang – mit einem Minimum an Bewegungen – einen larmoyanten Herzog, der im übrigen bei jeder spielfreien Minute in den Kulissen verschwand. So blieb es Hilde Güden vorbehalten, die Ehre der Staatsoper auf ihre charmante Art zu retten. In punkto Gesangstechnik und sauberer Phrasierung ist sie vorläufig kaum zu schlagen. Da sie auch das Herz mitsprechen ließ, blieb kein Wunsch offen, außer dem einen, einmal wieder eine dramatischere Gilda zu erleben. Als Graf von Monterone schleuderte ein Mann mit einem wilden Namen wilde Anklagen durch die verbauten Poettgen-Hallen: Bogumil Manov. Allein die Kraft zum Fluch fehlte auch ihm. Im entscheidenden Augenblick blieben ihm die Töne in der Kehle stecken. Walter Kreppel war der leicht verbesserte Sparafucile und Margarita Lilowa die gut aussehende Maddalena. Der Chor mutete stimmlich wie nicht vorhanden an.

DIE VERKAUFTE BRAUT  am 10. Mai

Jaroslav Krombholc dirigierte wieder die von ihm einstudierte tschechische Nationaloper. Er hatte anfangs Mühe, gleich den richtigen Kontakt mit der Bühne (sprich: Chor!) zu finden, doch minderten sich die Unstimmigkeiten im Verlauf des Abends zusehends. Von diesem Umstand abgesehen, konnte man nur aufs Neue von der bestechenden Art des gelösten, gelockerten, beschwingten Dirigierens dieses Mannes begeistert sein. So muß man Smetanas herrliche Musik zum Klingen bringen und nicht anders! Hier atmet man die Luft aus „Böhmens Hain und Flur“ in der Musik und nicht zuletzt auch in einer der glücklichsten Inszenierungen des Hauses. Leider halten sich einige heimische Künstler nur mehr sehr wenig an dessen Regieanweisungen. Allen voran Erich Kunz, der überdies seine extemporierten Bemerkungen einmal ausnahmsweise nicht über Karajan  machen könnte. (Sie leiden schon sehr stark an Abnützungserscheinungen. Der wirklich einmalig gekonnte Schmiß der Trompete beim Fanfaré bereitet uns wesentlich mehr Vergnügen). Im Gesanglichen überraschte Irmgard Seefried durch eine makellose stimmliche Leistung, die an ihre besten Zeiten im Theater an der Wien erinnerte. Mühelos und leicht kam die Höhe, die Stimme klang ausgeruht, sprach leicht an und betörte durch das echte, unverwechselbare Seefried-Timbre. Daß ihr Spiel diesmal wohltuend dezent blieb, ist wohl ihrer hervorragenden stimmlichen Verfassung zu danken. (Wenn man gut disponiert ist, hat man es nicht nötig, schauspielerisch zu übertreiben! Eine bei vielen Künstlern oft zu beobachtende Tatsache). Waldemar Kmentt als Hans war so gut bei Stimme, daß er sogar ein h auf ein c transponierte, was bestimmt nicht in seiner Absicht gelegen war. Oskar Czerwenka als Heiratsvermittler bot die obligate Prachtleistung im komisch-derben Auftreten, leider aber auch die zu schwache stimmliche, besonders im 3. Akt. Czerwenkas Spiel mit Georg Hanns unvergeßlichem profundem Baß – das wäre ein Traum-Kezal! Murray Dickie reizte durch seine drollige Komik zum Lachen. Olivera Miljakovic bildet den Idealfall einer Esmeralda, optisch und stimmlich. Das Elternpaar Maries war bei Alfred Poell und Hilde Konetzni in besten Händen. Summa summarum – eine prächtige Aufführung in jeder Hinsicht, vor fast leeren Stehplätzen: und das, wo doch – so sagt man – ‚jeder zweite Weana a Böhm is!’

AIDA am 11. Mai

Eine Überraschung bot diesmal Leonie Rysanek in der Titelpartie. Sie war weitaus besser als im Vormonat in der gleichen Rolle. Die erste Arie war fabelhaft gesungen und bis zum Nilakt bot sie keinerlei Anlaß zur Kritik. Am Ausdruck war Intensität vorhanden und das Forte der Sängerin kam leuchtend über die übrigen Stimmen hinweg. Nach der großen Pause fiel Frau Rysanek merklich ab. Das o patria mia klang nicht rein gesungen und im darauf folgenden Duett mit Radames gab es unkontrollierte Töne. Im Schlußduett herrschte das Forte vor. Vielleicht mag daran auch ihr Partner Dimiter Usunow als Radames schuld sein. Der Künstler sang, wie stets, mit vollem Einsatz und Hingabe. Würde die Kraft seiner Stimme einmal eine weichere Form erhalten, wäre er der ideale Vertreter dieser Partie. Ideal in jeder Beziehung: Christa Ludwig, die derzeit ungekrönte Königin ihres Faches. Hoheitsvoll im Spiel, gesangstechnisch ein Vorbild für alle ihre Kollegen, die Stimme von einmaliger Schönheit. Herz was willst du noch mehr? Man war von ihr wieder einmal im wahrsten Sinne des Wortes begeistert. Aldo Protti als Amonasro wirkte (durch die gleichzeitig laufenden Mailänder Verpflichtungen?) abgekämpft. Er wollte und es ging nicht so, wie er wollte und wie wir es von ihm ansonsten gewohnt sind. Die Rauheit seines Organs dominiert allzu sehr. Walter Kreppel als Ramphis gab einen „rauhen Gesellen“ mit noch rauherer Gesangslinie. Tugomir Franc als König und Fritz Sperlbauer als Bote (ohne aufdringliche Spielastik) rundeten den Abend ab. Nello Santi dirigierte mit Temperament effektvoll. Die raschen Tempi waren einzelnen Sängern weniger angenehm, trugen aber dafür zur Spannung des Abends bei.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 12. Mai

Wilhelm Brückner-Rüggeberg als Gast dirigierte sicher und routiniert eine teilweise umbesetzte Aufführung des Stückes, das sich auch Habitues ruhig ein zweites Mal ansehen können. Es ist kurz, gut gemacht und ziemlich abwechslungsreich, was sonst bei zeitgenössischen Stücken meist nicht der Fall ist. Gerhard Stolze war auch diesmal auf der Bühne und im Reich der Geister ein souveräner König. Die Handwerker: Erich Kunz, Ferry Gruber, Ludwig Welter, Peter Klein, Ljubomir Pantscheff und Hans Braun gewannen ihren dankbaren Rollen wieder viel komische Wirkung ab. Margarita Lilowa und Frederick Guthrie herrschten imposant über Athen. Ihre vier verliebten Untertanen waren neu besetzt. Hierbei erhebt sich die Frage, warum man den beiden Herren die Premiere nicht gleich anvertraut hat, denn sie waren natürlich weit besser als die von den Frankfurter und Züricher Bühnen erborgte erste Besetzung. Ermanno Lorenzi bewies gegenüber seinem Premierenvorgänger geradezu ein Edeltimbre. Er war stimmlich angenehm und sicher. Kostas Paskalis konnte man  trotz blonder Perücke unschwer daran erkennen, daß er doppelt so laut sang, als die Übrigen. Auch puncto Bühnentemperament dominierte er. Die Damen Laurence Dutoit und Dagmar Hermann, ebenfalls neu besetzt, blieben eher farblos. Dasselbe ist über Liselotte Maikls Titania zu sagen, die sicher gesungen war, aber nicht mehr. Der Shakespeare-Text blieb (außer bei Gerhard Stolze und den Handwerkern) total unverständlich, was ja wohl nicht beabsichtigt ist. Präzises Deutsch fehlte – unbeschadet der Nationalität – durchaus.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 13. Mai fanden nicht statt.

Vorgesehen war folgende Besetzung: Heinz Wallberg, Irmgard Seefried, Otto Wiener, Wolfgang Windgassen, Gerhard Unger, Karl Dönch.

Anmerkung: Wolfgang Windgasse war bis knapp vor der Aufführung nicht erschienen. Man erreichte ihn letztlich in seinem Heim, und es stellte sich heraus, dass er von dem Termin nichts gewusst hat. Tagelang gingen die Wogen hoch. Wer letztlich der Schuldige war, wurde aber nie ganz eruiert.

LA BOHEME am 14. Mai

Ein äußerst anregender Abend, an dem die parodistischen Momente des Librettos manchmal geradezu dominierten! Hätte ein Meister des Taktstocks am Pult gestanden, wäre es eine festspielreife Aufführung geworden. Auf der Bühne gab es bei den Solisten wenig Anlaß zu Klagen. Giuseppe Zampieri wird langsam zu einem Stimmrätsel. Von seiner einstigen vielversprechenden Leistungssteigerung kletterte er in den beiden letzten Jahren langsam, aber sicher in die Mittelmäßigkeit hinab. In letzter Zeit jedoch passiert es immer wieder (wir haben es mehrfach registriert), daß er nach einigen langweiligen Abenden, an denen man ob seines Phlegmas und seiner unsicheren Höhe schier verzweifeln möchte, plötzlich eine echte, mitreißende Leistung bietet. Woran mag das wohl liegen? An seinen Partnern wohl kaum denn die haben in „Zampieri-Opern“ in letzter Zeit nur selten gewechselt. Diesmal besaß sein Rodolfo lyrischen Ausdruck, Schmelz in der Höhe und eine weiche, biegsame Mittellage. Zudem wirkte er längst nicht so hölzern im Spiel wie sonst. Hilde Güden befindet sich derzeit in Super-Form. Ihre Mimi war mit viel Empfindung und Einfühlungsvermögen gestaltet und fand ihren Höhepunkt in der Schlußszene, deren Piano-Töne sie nur so hinhauchte, die aber dennoch voll und rund klingen. Das gut aufgelegte Künstler-Quartett wurde von Giuseppe Taddei angeführt, der die nicht mehr vorhandene Regie geschickt überspielte und manch neuen Gag in die Vorlage brachte. Stimmlich strahlte er Ruhe und Gelassenheit aus. Walter Berry glänzte als Colline mit einer emphatisch vorgetragenen Mantelarie. Hans Braun fiel dagegen sehr stark ab. Anneliese Rothenberger gab eine kecke, frivole Musette, spielte aber, wie stets in dieser Partie, gegen ihren Typ. Stimmlich war sie zufrieden stellend. Nino Verchi am Pult fehlte abermals die musikalische Gesamtkonzeption. Der Chor geriet wieder arg ins Blödeln und „schwamm“ mehr als einmal bedenklich. Trotzdem eine über dem Durchschnitt liegende Aufführung, die das Publikum mit viel Beifall honorierte.

ARIADNE AUF NAXOS am 15. Mai

Das Ereignis und das Erlebnis fand im Vorspiel (wieder einmal!) und nicht auf der Insel Naxos statt und hieß Christa Ludwig als Komponist. Sie sang die Rolle mit überragendem Können und unvergleichlichem Ausdruck. Dazu kam noch ihre Darstellung, in der das Feuer des Idealismus entzündet wurde. Paul Schöffler als Musiklehrer erfreute durch sein gediegenes Spiel. Die stimmliche Kraft zur exakten Gesangslinie fehlte ihm leider. Leonie Rysanek als Ariadne war diesmal enttäuschend. Wieder fiel dabei auf, daß sie allzu unkontrolliert singt und es mit der Intonation nicht sehr genau nimmt. Schade, dies schreiben zu müssen, denn sie begann sehr gut und auch der Monolog ‚„Es gibt ein Reich“ verhieß noch Wunder. Dimiter Usunow vermochte ebenfalls nicht sein erfolgreiches Rollendebüt als Bacchus zu wiederholen. Mattiwilda Dobbs debütierte in Wien als Zerbinetta und blieb blaß und farblos. Die Stimme ist klein, rauscht am Ohr vorbei, und schon hat man sie wieder vergessen. Die technische Bewältigung der Partie war hingegen bewundernswert. Ausgezeichnet die Übereinstimmung des Nymphenterzetts verkörpert durch die Damen Anneliese Rothenberger, Gundula Janowitz und Ira Malaniuk. Über das Buffoquartett und die übrigen Nebenrollenträger sei gnädig Stillschweigen bewahrt. Heinz Wallberg dirigierte mit Routine und hielt Bühne und Orchester zusammen. Könnte man doch endlich einmal wieder mehr über ihn sagen!

CAPRICCIO am 16. Mai

Nach Clara Ebers und Lisa Della Casa stand in der dritten Aufführung dieser Saison (und überhaupt zum ersten Mal in dieser Spielzeit) Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin auf dem Theaterzettel. Als schließlich vor dem Vorhang eine Erkältung der Künstlerin angesagt wurde, war die Enttäuschung der Besucher hörbar groß. Doch wurde von einer Indisposition der Künstlerin wenig merklich. Wenn sich Frau Schwarzkopf stimmlich nicht hundertprozentig wohl fühlt, so merkt man das bei ihr (glücklicherweise) nur durch das größere Stimmvolumen. So war es auch diesmal, und außer einer einzigen etwas scharfen Höhe klang alles sehr schön. Der Schluß war wieder ein Meisterstück der Interpretation und entfesselte das vorwiegend ausländische Parkettpublikum zu einem Beifallssturm, noch ehe der Schlußvorhang sich senkte. Paul Schöffler stattete die Partie des Theaterdirektors wieder mit seiner imposanten Persönlichkeit aus. Mit La Roches eigenen Worten wäre dazu zu sagen „Unauslöschlich meine Verdienste“…„leb ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte“. Aber man muß dazu auch zitieren: „Wo bleibt der Gesang, diese Gabe der Götter?“ Im Zuge der notwendigen Verjüngung der Besetzung war zum ersten Mal Ira Malaniuk als Clairon eingesetzt, die ihre Aufgabe vorbildlich löste. Sie sieht blendend aus, wirkt unerhört charmant und weiß diese Partie, die ja für eine Mezzostimme geschrieben wurde, auch gesanglich auszufüllen. Hoffentlich bleibt es nun endgültig bei dieser Erneuerung! Anton Dermota bemühte sich um den Flammand, doch müßte man hier schließlich und endlich auch an eine Verjüngung durch Wunderlich, Gedda oder Kmentt denken, ganz zu schweigen von der Partie des Grafen, in der abermals Hermann Uhde eingesetzt war und der Partie stimmlich einfach alles schuldig bleiben mußte. Auch das italienische Sängerpaar ist mit Liselotte Maikl und Murray Dickie unzulänglich besetzt. („Dahin die Tradition des alten italienischen Gesanges!“). Peter Klein war der ausgezeichnet charakterisierte Monsieur Taupe, Alois Pernerstorfer als Haushofmeister ebenfalls unzulänglich. Die beste Leistung von den Männern bot Walter Berry als Olivier. In dieser Partie, die er seit der Neuinszenierung 1960 inne hat, merkt man deutlich, wie seine Stimme mächtiger und dünkler geworden ist. Am Pult stand Robert Heger, der diesmal einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ. Das Orchester war gut disponiert und erfreute wirklich, was man gerne vermerkt, umso mehr als die Strauss’schen Klangfeste in letzter Zeit sehr selten geworden sind.

BALLETTABEND am 17. Mai

DER ROSENKAVALIER am 18. Mai Festwochenbeginn

Elisabeth Schwarzkopf bedeutete als Marschallin wieder das Herzstück der Aufführung, war gesanglich in guter Verfassung und wußte der Partie wieder neue interessante Seiten abzugewinnen. Es ist verblüffend, wie sie die Fürstin Resi immer wieder mit anderen Gesten und Gesangsnuancen glaubhaft zu machen versteht. Ihr Pianoeinsatz beim Schlußterzett wurde ihr leider vom Pult aus zunichte gemacht. Schade, daß sie an diesem Abend nicht die Jurinac oder Ludwig zur Partnerin hatte, denn Irmgard Seefried, die zwar gesanglich einen guten Abend verzeichnete und der die Rolle des Quin-Quin infolge der für sie günstigen Gesangslage weit mehr entgegenkommt als der Großteil ihres übrigen Repertoires, wirkte an diesem Abend darstellerisch geradezu untragbar. Sie war als Mariandl dem Klamauk verhaftet und ließ als Oktavian jede Eleganz vermissen. Sie tätschelte ununterbrochen die Marschallin und im Schlußduett Sophie. Es war beinahe peinlich! Im dritten Akt nahm die schauspielerische Entgleisung schon ein derartiges Ausmaß an, daß man von der Galerie herab deutlich Zischer vernahm. Kammersängerin Irmgard Seefried, deren 20-jährige Zugehörigkeit zur Wiener Staatsoper durch den Meistersinger-Ausfall nicht gefeiert werden konnte, fühlte sich bemüßigt, in einer Wiener Zeitung zu dem Ausfall der Meistersinger-Aufführung wörtlich zu erklären: „Es ist halt nicht mehr unser altes Haus. Sicherlich kann so eine Panne einmal passieren, aber sie dürfte es nicht, und sie passierte auch bestimmt nicht, wenn noch der alte Geist herrschte, wenn wir in der Oper nicht nur Nummern wären, sondern Angehörige jenes Ensembles, das dieser Oper einmal den Standard gegeben hat.“ Dazu wäre zu sagen, daß eben zwanzig Jahre eine lange Zeit sind und die Künstlerin den Übergang in ein anderes Fach versäumte und noch heute in einem Fach tätig ist, dem sie stimmlich längst entwachsen ist, wobei Frau Seefried noch immer genau so „niedlich“ wie vor zwanzig Jahren spielt. (Beim Wiener Operndebüt Frau Seefrieds gab es übrigens auch einen Zwischenfall. Als nämlich der Sachs-Sänger wegen Kontroverse mit dem Dirigenten, der damals auch Direktor des Hauses war, nicht weitersang, und man nach einer einstündigen Pause nach Radioaufrufen endlich einen Einspringer herbeischaffen konnte. Davon sagte Frau Seefried wohlweislich nichts!). Jedenfalls hat sich Frau Seefried mit diesem Oktavian selbst zu einer Nummer degradiert. Wir möchten appellieren, daß sich auch einmal einer der zuständigen Herren diese schauspielerische Leistung ansieht, um endlich Abhilfe zu schaffen. Es ist uns zwar bekannt, daß die Künstlerin diese Partie nicht mit einem guten Regisseur durchgearbeitet hat. Aber selbst das würde bei ihr kaum helfen, denn wir wissen, wie sie z. B. unter Günther Rennert als Susanne und Marie gezügelt war, um dann, als der Regisseur der Wiener Oper kaum den Rücken zugedreht hat, wieder in die alten Übertreibungen zu verfallen. Die Sophie war Wilma Lipp anvertraut, die eine hervorragende Leistung bot. Vater, der Edle von Faninal, war mit Otto Wiener ebenfalls ausgezeichnet besetzt. Man freut sich über die gesangliche Souveränität und das kluge, diesmal wieder in normalen Bahnen sich bewegende Spiel. Schade, daß Herr Wiener diese Partie nicht öfter singt. Kurt Böhme sang den Ochs auf Lerchenau. Von den Nebenrollen sei der passable Sänger Anton Dermotas und die schrille Annina der Hilde Rössel-Majdan erwähnt. Hans Swarowsky stand dem Orchester vor, und es gab abermals hörbare Unstimmigkeiten, die bereits im Vorspiel begannen. Alles in allem, eine Aufführung, die zu Beginn der Festwochen ruhig festlicher hätte sein können.

WOZZECK, Neueinstudierung am 19. Mai

Diese Methode der Auffrischung könnte man bei vielen anderen Stücken des Repertoires auch anwenden. Statt verschlampte oder bereits vergessene Inszenierungen gar nicht oder schlecht zu spielen, ist es wirklich besser, sie ein Jahr ruhen zu lassen und dann mit neuer Besetzung und einiger Orchesterproben wieder zu bieten. (Wie wäre es mit den Trionfi, mit Falstaff, Mathis, Eugen Onegin, Fürst Igor, Orpheus und Eurydike, Arabella, Julius Caesar oder Palestrina?). Leopold Ludwig, einst Hausdirigent in Wien, kam für den Wozzeck wieder und erwies sich als Fachmann ersten Ranges und als verständnisvoller Interpret von Bergs aufwühlender, bis in die Tiefen des Unterbewußtseins dringender Musik. Die Szene hatte Oscar Fritz Schuh persönlich renoviert. Er sondert Marie und Wozzeck dadurch von allen andern Rollen des Stückes ab, daß er die Randfiguren ausgesprochen übersteigert und überspitzt spielen läßt, während Wozzeck und Marie einen gewissen Realismus in ihre Partien legen. Grandios ist der Wozzeck Walter Berrys, der eine geradezu beängstigende Intensität in der Gestaltung des dumpfen, wirren, blindlings durch sein armseliges Leben taumelnden unglücklichen Menschen zeigt und die Partie noch dazu prachtvoll singt. Marie war Christa Ludwig mit der ganzen explosiven Kraft ihrer Persönlichkeit, gefährlich, triebhaft, ein Vulkan von einem Weib. Auch sie sang mit geballtem Ausdruck und prächtiger Stimme. (Auch bei Zwölfton-Musik schadet eine schöne Stimme nicht, ganz im Gegenteil zur weit verbreiteten Ansichten). Allerdings sind die beiden Rollen besser bedacht als die Randfiguren, die sich mit irrsinnigen Intervallsprüngen und Höhenlagen (Hauptmann) zu plagen haben. Neu war der Tambourmajor Fritz Uhls, Erich Majkut als Narr und der erste Handwerksbursch des vorzüglichen und sehr verwendbaren Ludwig Welter. Bekannt waren der Hauptmann Gerhard Stolzes, Karl Dönch (Doktor), Dagmar Hermann, Murray Dickie (der Andres ist halsbrecherisch) und Harald Pröglhöf. Der Chor sang sicher, das Orchester spielt die Musik Bergs vielleicht nicht ganz so exakt, wie andere Orchester, aber dafür umso schöner. Der Abend hatte einen stürmischen Erfolg zu verzeichnen. Es gab sehr viele Vorhänge (wir haben seinerzeit im Theater an der Wien noch regelrecht arbeiten müssen, daß wir es auf zehn Vorhänge brachten. Jetzt wurde diese Anzahl mühelos überschritten!). Merkwürdigerweise wirkte das Publikum gänzlich normal. Für die typischen „Bärtigen“ ist Alban Berg offenbar schon ein alter Hut.

BALLETTABEND am 20 Mai

INTERMEZZO am 20. Mai im Theater an der Wien

Zum dritten Mal ging Richard Strauss’ „bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ in der Neuinszenierung über die Bretter des Hauses in der Wienzeile und fand vor einem animierten Publikum, in dessen Mitte sich auch Dr. Franz Strauss befand, viel Beifall. Ohne Zweifel ist Intermezzo eines der schwächsten Werke des Garmischer Meisters. Der Text allein ist oft ziemlich banal. Das merkt man besonders beim mehrmaligen Hören des Werkes, doch gibt es in Wien gottlob noch immer Opernfans, die auch den schwächsten Strauss einer „Ameise“, „Aniara“ oder „Vanessa“ vorziehen, mit denen das Publikum an anderen Opernhäusern oft bis zum Verdruß gefüttert wird. Joseph Keilberth war wieder der souveräne Leiter der Aufführung, bestens unterstützt vom philharmonischen Orchester. Es erwies sich abermals wie ausgezeichnet Keilberth das Strauss’sche Oeuvre liegt und wie wichtig er in dieser Sparte (und nicht bei Mozart!) für unsere Oper ist. Möge man Intermezzo nie in andere Hände geben. Allzu oft wird man es ohnedies nicht aufführen können. Hanny Steffek in der tragenden Partie des Werkes war in gesanglicher und schauspielerischer Hinsicht prachtvoll. Sie bringt die richtige Mischung von Charme, Kratzbürstigkeit und Zungenfertigkeit für die Christine Storch mit. Ihr zur Seite Hermann Prey als Hofkapellmeister, gesanglich souverän, in der Gestaltung von einer erfrischenden Jugend und Natürlichkeit, die seinem Gegenspieler Ferrry Gruber als Baron Lummer abgeht, der noch dazu ein Timbre besitzt, das nicht Jedermanns Sache ist. Unverständlich, daß man nicht aus den eigenen Reihen unseres Wiener Ensembles die Partie (etwa mit Equiluz oder Dickie) besetzt hat. Die übrigen Mitwirkenden konnten durchwegs gefallen (Anny Felbermayer, Judith Hellwig, Waldemar Kmentt, Oskar Czerwenka, Alfred Poell, Ludwig Welter, Alois Pernerstorfer) und trugen so zum Gelingen dieses schönen Abends bei, dessen Gesamteindruck noch geschlossener war als bei der Premiere.

MADAMA BUTTERFLY am 21. Mai

Nino Verchi ist gelegentlich besser als sein Ruf. So dirigierte er eine dramatische, schwungvolle, in den Tempi völlig richtige und durchaus gefühlsintensive Butterfly-Aufführung. Mit Genuß stellte man auch wieder einmal fest, daß kein Italiener, und sei es nur ein Kapellmeister (und kein großer Dirigent) in den Fehler verfällt, auch nur ein Gramm Schmalz in die Puccinische Phrase zu schmieren. Da hat die Musik ihre dramatische und rollenformende Funktion. Das Gerücht, Puccini sei sentimental, haben nur jene Kapellmeister aufgebracht, die nichts damit anfangen können. Sena Jurinac ist Butterfly in der Anmut ihrer Bewegung, in der Ausdruckskraft ihrer Stimme, in der Intensität ihrer Darstellung und in der Kraft ihres Herzens. Sie ist weit glaubhafter als die zierlichen, trippelnden Porzellanpüppchen. Sie hatte mit Giuseppe Zampieri einen dezenten, schön singenden Pinkerton und in Kostas Paskalis einen kultivierten Sharpless zur Seite.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 22. Mai

Fast wäre es am 150. Geburtstag von Richard Wagner wieder zu einer Absage gekommen, da sich der Tenor Fritz Uhl, der tags zuvor in Theater an der Wien den Siegmund (erste Akt, konzertant) sang, krank meldete. Der Helfer in der Not kam aus Zürich, und ist hier in Wien gänzlich unbekannt. Es war nicht das Einzige, was uns an dieser doch irgendwie dem Tag entsprechenden „festlichen“ Aufführung störte. Am Pult stand Heinz Wallberg, der gerade vor zwei Jahren hier in Wien die erste Meistersinger-Aufführung seines Lebens dirigierte. Er kommt auch heute noch nicht über eine durchschnittliche Aufführung hinaus, dazu war das Orchester nicht sehr konzentriert und es wurde recht unambitioniert musiziert. Otto Wiener war der gut disponierte Sachs der Aufführung. Wilma Lipp war als Evchen besser als sonst. Sie konnte überzeugen. Schade, daß sie sich im Quartett hörbar plagt. Hans Hotter war der persönlichkeitsstarke Pogner. Murray Dickie hatte mit dem David seine liebe Not. Alfred Poell war der köstliche Kothner. Karl Dönch war gesanglich zufrieden stellend, darstellerisch wie immer. Ken Neate war der gastierende Stolzing. Der Sänger verfügt über eine angenehme, wenn auch nicht sehr große Stimme, konnte sich nicht immer gegen das Orchester durchsetzen, bot aber dennoch eine ausreichende Leistung. Daß er im Text nicht sattelfest war, darf man ihm kaum verübeln, denn es ist nicht leicht, hier in „höchster Not“ diese Partie zu übernehmen und sozusagen Hals über Kopf in eine völlig fremde (und dazu wenig stimmungsvolle) Inszenierung einzusteigen. Hilde Rössel-Majdan war hörbar indisponiert. So blieb man enttäuscht darüber, daß dieser Aufführung nicht jene Sorgfalt zugewendet wurde, die man dem italienischen Repertoire hier jederzeit schenkt.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 23. Mai (geschlossene Vorstellung für den Sparkassenkongreß)

Dem internationalen Publikum wurde an diesem Abend eine größtenteils wirklich festliche Vorstellung geboten. Man sah und hörte Elisabeth Schwarzkopf als wunderschöne, im Schmerz und in der Resignation ebenso wie im heiteren Spiel vollkommene Gräfin, deren kostbare Stimme diesmal wieder rein und ausgeglichen erklang. Anneliese Rothenberger war die Susanna, fein und bezaubernd, mehr Vertraute als Kammermädchen der Gräfin. Sena Jurinac war der Cherubino, die, obwohl der Partie längst entwachsen, noch immer alle ihre Nachfolgerinnen übertrifft. Bei den Herren verdient diesmal eindeutig Giuseppe Taddei an erster Stelle genannt zu werden, der als Figaro der Partie ganz neue, für uns ungewohnte Aspekte gibt. Der Vollblutkomödiant Taddei verzichtet nämlich auf alle illegitimen komischen Wirkungen, die, wie man sieht, vollkommen überflüssig sind und nur das Publikum ablenken. So kommt z. B. bei ihm im vierten Akt der echte Schmerz Figaros und daher auch das befreiende, alle Verwirrungen lösende Ende viel schöner zum Ausdruck als bei einem vorwiegend um den Heiterkeitserfolg bemühten Figaro. Stimmlich blieb vom zungenfertigen Parlando bis zur breit dahinströmenden Kantilene kaum ein Wunsch offen, außer dem, Taddei auch in Mozart-Partien öfter und vielseitiger eingesetzt zu sehen. Die einzige Enttäuschung des Abends war der Debütant Kieth Engen als Graf, obwohl auch er der Partie einige neue Seiten abgewann. Er gibt einen dekadenten Adelssproß, hinter dessen Liebesabenteuern man schon das Donnergrollen der Revolution zu vernehmen glaubt, wahrscheinlich vor allem deshalb, weil er seine Eroberungszüge ohne jeden Charme durchführt. Doch kommt seine durchaus vertretbare und durchdachte Interpretation auch beim Publikum nicht an, ebenso wie die an sich gut geschulte Stimme, die aber eines persönlichen Timbres und jeder Ausstrahlung entbehrt. Um sich über seine Fähigkeiten ein endgültiges Urteil zu bilden, müßte man ihn wohl noch in einer anderen Partie hören. Hilde Rössel-Majdan, Oskar Czerwenka und Peter Klein ergänzten das Ensemble gut. Heinz Wallberg war der Aufführung ein schwungvoller Leiter, allerdings gelangen ihm die etwas lauteren, turbulenteren Szenen besser als der schwebende Zauber des Briefduettes oder der Rosenarie. Alles in allem ein schöner Abend, der den Kongreßteilnehmern auch durchaus gegönnt sein soll, falls sie das Gebotene zu schätzen wußten. Der „vornehm-zurückhaltende“ Applaus klang allerdings nicht darnach.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 24. Mai

Es war einmal eine wunderschöne Premiere im Jahre 1960, die musikalisch dank der großen Persönlichkeiten auf der Bühne und des Weltklassedirigenten zu einem stürmischen Erfolg wurde. Es gibt auch heuer wieder ein schön gedrucktes Festwochenprogramm, in dem die Besetzungen für die Monate Mai und Juni 1963 für alle Aufführungen der Wiener Staatsoper bis ins Detail enthalten sind. Wenn in diesem Prospekt für den 11. 6. eine Hochzeit des Figaro von Giuseppe Verdi angekündigt erscheint, ist das mehr als blamabel. Wozu sitzen so viele Leute im Haus herum? Aber darüber hinaus stimmen auch die Besetzungen der einzelnen Aufführungen nicht mehr. Wer sich also laut Programm auf diese Macht des Schicksals mit Leonie Rysanek als Leonore und Christa Ludwig als Preziosilla freute, wurde arg enttäuscht. Immerhin wären dies zwei Persönlichkeiten gewesen, die einer Aufführung ihren Stempel hätten aufdrücken können. Wenn auch auf dem Plakat statt Frau Ludwig bereits Gloria Lano aufschien, so wurde die Absage von Frau Rysanek (die übrigens in der vorjährigen Festwochen die gleiche Partie abgesagt hatte und durch Frau Stella ersetzt wurde) erst knapp vor Aufführungsbeginn durch roten Zettel angekündigt. Liebenswürdigerweise, wie es so schön heißt, hat sich Gerda Scheyrer bereit erklärt, die Partie der Leonore zu übernehmen. Wir möchten hier festhalten, daß ihr Einspringen sicher die Aufführung rettete und daher von einer kritischen Betrachtung absehen. Gloria Lano war der Partie der Zigeunerin überhaupt nicht gewachsen. Mit gutem Aussehen und schauspielerischen Mätzchen allein läßt sich die Rolle nicht hinbringen. Es wird Zeit, daß Frau Lilowa die Partie übernimmt, damit mit ihr und Frau Cvejic immer griffbereite Preziosillas vorhanden sind. Unbedeutend und völlig farblos die Curra von Annemarie Ludwig. Aber auch die Besetzung der männlichen Hauptrollen war – mit einer Ausnahme – nicht zum Besten bestellt. Der weiße Rabe an diesem Abend war Carlo Cava, der zum ersten Mal den Pater Guardian sang. Mit seiner wohlklingenden, schön geführten Baßstimme wußte er zu überzeugen. Er ist jedenfalls besser als sein Premierenvorgänger und wird sicher bei öfterem Singen noch mehr in die Partie hineinwachsen. Giuseppe Zampieri debütierte als Alvaro. Er bringt für die Partie eine schöne baritonal gefärbte Tenorstimme mit, die interessanterweise an den dramatischen Stellen der Partie am besten klingt. Leider passierte ihm in seiner Arie ein Ausstieg, und er wirkte überhaupt riesig nervös. Wir erwarten auch von ihm in dieser Rolle noch eine gewaltige Formverbesserung. Aldo Protti hatte einen schlechten Abend. Am Beginn war er mäßig, konnte sich dann im Laufe der Aufführung verbessern, ohne jedoch als Carlos diesmal zu überzeugen. Karl Dönch als Fra Melitone neigt immer mehr zu Übertreibungen und nimmt der Figur des neugierigen Klosterbruders jeden sympathischen Zug. Da er zudem die Partie gesanglich nur mehr durchschreit, kann von einer zufrieden stellenden Besetzung dieser Partie keine Rede sein. Wir freuen uns auf Corena, der im Oktober zusammen mit Siepi als Guardian hier debütieren wird. Ludwig Welter sang den Marchese di Calatrava. Am Pult stand Nino Verchi, dem man wohl die musikalischen Unfälle im Orchester und auf der Bühne anlasten muß. Er zeigte überhaupt keine Ambition, der Musik Schattierungen und Gefühl abzuringen, sondern versuchte nur, halbwegs über die Distanz zu kommen. Man verließ das Haus enttäuscht.

DER ROSENKAVALIER am 25. Mai

Wider Erwarten wurde es eine recht gute Repertoire-Aufführung. Relativ viele Philharmoniker bewirkten, daß unter der Leitung Ernst Märzendorfers eine teilweise zwar etwas lärmende, aber soweit sichere und gute Orchesterleistung zustande kam. Von den Solisten waren Sena Jurinac als Quin-Quin und Wilma Lipp als Sophie ausgezeichnet. Hilde Zadek war im ersten Akt nicht in Form und sang fallweise zu tief, im dritten Akt war sie dann gut. Oskar Czerwenka war stimmlich gut. Im Spiel legt er die Interpretation des Begriffes „Landadel“ leider mehr zu Gunsten „Land“ aus, der „Adel“ kommt dabei zu kurz. Für den absagenden Rudolf Knoll sprang Richard Kogel als Faninal ein. Er zeichnete einen gutmütigen Wiener (mit etwas zu wenig Betonung des Neuadels) und bot eine abgerundete Leistung. Es wäre nur die Frage an die Direktion zu richten, ob  tatsächlich keiner der drei Wiener Faninals (Otto Wiener, Erich Kunz und Alfred Poell) zur Verfügung gestanden wäre? Als Annina wirkte Hilde Rössel-Majdan schrecklich aufdringlich, Peter Klein als Valzacchi und die übrigen Vertreter der kleinen Partien boten ihre gewohnten Leistungen. Bei der Arie des Sängers starben schon größere Tenöre als Ermanno Lorenzi in leicht derangierter Schönheit. Starker Beifall des Festwochenpublikums.

PARSIFAL am 26. Mai

Die Wagnerianer sind auch in Wien eher kämpferisch, als andächtig, wenn es gilt, das „Tabu“-Werk des großen Richard zu genießen. Der Beifall einiger ahnungsloser Ausländer, die nichts davon wissen, daß sie sich nicht in der Oper, sondern auf dem Friedhof befinden, wird erbarmungslos niedergezischt, was den normalen Musikfreund, der Wagner unter anderem auch schätzt, weit mehr stört als Applaus, zumal nach dem 2. Akt. Der ist ja wirklich nicht allzu sakral. Man hörte eine prachtvolle Aufführung des gewaltigen Werkes, vollkommen als Ensembleleistung und in der Übereinstimmung von Bühne und dem – abgesehen vom Beginn des Vorspiels – prachtvoll spielenden Orchesters. Hier liegen die Motive ohne schützenden romantischen Polster in ihrer Urgestalt hintereinander und jeder nicht ganz korrekte Einsatz eines einzelnen Streichers ist erbarmungslos hörbar. Doch wenn Ausdruck und Emotion zur Motivaufstellung hinzutreten, was ja schon recht bald mit dem Gralsritter-Motiv geschieht, wird der Klang des Orchesters zu einem Gewebe von einmaliger Schönheit. Wir haben schon oft genug betont, daß die vergeistigte und irrationale Auffassung der beiden Eck-Akte durch Herbert von Karajan die Musik und besonders die Chorszenen zum Teil ihrer menschlichen Kraft beraubt. Umso stärker wirkt natürlich dann der glühende und rauschende zweite Akt. Vom Stammensemble ist zu berichten, daß Eberhard Wächter, der den Amfortas in großem Stil und mit herrlichem Ausdruck gestaltet, offenbar den Danton doch ein wenig spürt. Die Stimme war nicht so ausgeglichen wie sonst, auch nicht die von Christa Ludwig, die aber den zweiten Akt mit verzehrender Intensität und explosiv dramatischem Ausdruck sang. Prachtvoll war der Klingsor Walter Berrys, dessen Stimme im letzten Jahr gewaltig gewachsen ist und der die Rolle jetzt so beherrscht, wie wir es uns am Anfang vorgestellt haben. Offensichtlich braucht er für die meisten Partien eine längere Anlaufzeit. Elisabeth Höngen, die Künstlerin von Format, Fritz Uhl, der verläßliche, konzentrierte Parsifal und Hans Hotter der ritterliche Gurnemanz, füllten ihre Rollen voll aus. Gut, mit der obligaten Ausnahme (Erich Majkut) die Gralsritter und Knappen, sowie die Blumenmädchen, die diesmal ohne internationale Größen antraten, aber sich dennoch gut hielten.

DIE KRÖNUNG DER POPPEA am 27. Mai

Erfreulicherweise stand die Aufführung wieder unter der Leitung Herbert von Karajans und scheint sich – mit Recht und dies gänzlich unerwartet – zu einem Zugstück zu entwickeln. Einen so durchschlagenden und anhaltenden Erfolg, bei einem über die Musikliebhaber-Kreise hinausreichendem Publikum war jedoch völlig überraschend. Noch dazu wo gerade die Aufführung dieses Werkes mit dem größten Risiko verbunden war, weil es ja schließlich zum Ältesten gehört, was man überhaupt noch auf der Bühne wieder entdecken kann. Freilich ist unsere Zeit einer Renaissance jeder nur einigermaßen interessanten Epoche sehr zugeneigt, so sehr, daß man in Einzelfällen vielleicht schon wieder übers Ziel hinaus schießt. Dies hat einen triftigen, wenn auch traurigen Grund. Die gelinde gesagt unerfreuliche Situation der zeitgenössischen Tonsetzerei treibt den Musikfreund ja mit Gewalt dem Barock, der Renaissance und neuerdings sogar der Gotik in die Arme. Und wir müssen zugeben, daß wir dabei allerhand erfahren haben, das uns Augen und Ohren aufsperren ließ. Die Werke des großen Monteverdi, eines der wenigen Meister seiner Epoche, der aus dem Bewußtsein der Musikbeflissenen nie ganz verschwand, wurden trotz dieses Bewußtseins immer mehr gerühmt als gespielt. Die stilkundigste und originalgetreuste Bearbeitung mußte doch immer eine Bearbeitung bleiben, bedingt durch die fragmentarische Aufzeichnung. Sie vermittelte darüber hinaus den Eindruck, für die heutige Musiktheaterpraxis seien die Stücke denn doch nicht mehr geeignet. Es gehörte ein beträchtlicher Mut dazu, eine so tiefgreifende Bearbeitung zu schaffen, aber dieser Mut wurde belohnt. Es ist gelungen, unter Erhaltung dessen, was eindeutig aufgezeichnet war, durch die neue, im erfreulichen Sinn moderne Fassung das Werk zu einer uns unmittelbar ansprechenden Wirkung zu bringen. Und es stellt sich dabei heraus, daß vieles, was uns kühn und modern erscheint, nicht nur dem Geist des „göttlichen Claudio“ nicht widerspricht, sondern ihm entstammt. Die Szene Senecas und seiner Getreuen etwa ist in die allerersten Reihe der größten Würfe in der Musikgeschichte zu stellen, jener erfüllten Eingebungen, vor denen Kritik und Diskussion in Bewunderung verstummen. Weiters wissen wir heute, daß Glucks Orpheus in seiner letzten Wiener Inszenierung sein weiteres trauriges Schicksal erspart geblieben wäre, daß selbst die Alkeste und Händels Caesar noch munter im Spielplan sein könnten, wären sie von Günther Rennert inszeniert worden. Anhand eines Vergleiches seiner Inszenierungen mit den genannten könnte man wohl ein Buch schreiben über das Thema: „Der Unterschied zwischen trockener und inspirierter Stiltreue“ oder so ähnlich. Die musikalische Einstudierung des in seinen Ansprüchen doch etwas ungewohnten Werkes hat sich als dauerhaft erwiesen. Die Besetzung ist unverändert. Die Streichung der einen Buffo-Szene, obwohl sie für den Ablauf der Handlung unwichtig erscheint, ist gleichwohl aus musikalischen, wie musikgeschichtlichen Gründen zu bedauern, aber immerhin zu verschmerzen. In grandioser Form, ihre vorherigen Auftritte als Poppea noch überbietend und voll persönlichsten Ausdrucks ist Sena Jurinac, die hier eine neue Glanzpartie gefunden hat. Prächtig und locker in Stimme und Spiel blieb auch Gundula Janowitz. Hilde Rössel-Majdan erweist sich als bestens eingesetzt. Herrlich und hoheitsvoll und doch voll dramatischen Ausdrucks bewährt sich Margarita Lilowa als verstoßene Kaiserin. Stimmlich auf der Höhe und seine bekannte Charakterisierungskunst ausspielend, gibt Gerhard Stolze den Nerone. Ein erschütterndes Erlebnis bietet Carlo Cava durch Darstellung und Gesang – wobei es ihm gelungen ist, die beiden ineinander aufgehen zu lassen – als Seneca. Der Herrenchor ist so phantastisch gut, daß man aus dem Staunen nicht herauskommt. Otto Wiener (Ottone) schien gegenüber der Premiere noch freier, souveräner in Stimme und Spiel. Murray Dickie hat hier gleichfalls wieder einmal eine Partie, die ihm auf den Leib geschneidert erscheint. Gerda Scheyrer, Ermanno Lorenzi und Siegfried Rudolf Frese waren auf der Höhe ihrer Aufgaben. Erich Majkuts Leistungen sind nicht länger tragbar. Die Erreichung des Kammersängertitels – über den Inhalt und die Tradition dieser Würde, welche allmählich in Vergessenheit geraten, wollen wir nicht weiter reden – wäre doch eigentlich ein Anlaß, es genug sein zu lassen. Herbert von Karajan konnte am Ende an der Spitze eines Ensembles, wie wir es uns vorstellen, die begeisterte Zustimmung eines restlos ausverkauften Hauses und restlos überzeugten Publikums entgegennehmen.

DON CARLOS am 28. Mai

Ausverkaufte Sitzplätze, gähnende Leere am Stehplatz, vorwiegend ausländische Besucher. Die Wiener Musikfreunde sind nicht nur sehr verwöhnt, sondern durch die Überfülle des Festwochenprogrammes außerdem in der glücklichen Lage, unter einigen Veranstaltungen zu wählen. Und es bedarf derzeit einiger klingender Namen, um sie in die Oper zu locken. Vorweggenommen sei, daß bei dieser Don Carlos-Aufführung das Niveau vorwiegend dem Dirigenten des Abends Francesco Molinari-Pradelli zu danken war, dem es gelang, den überlasteten Philharmonikern eine erstklassige Leistung abzufordern. Alle Kostbarkeiten der Partitur ausschöpfend, behielt er außerdem auch die Bühne unter schärfster Kontrolle, und wenn man den Chor diesmal uneingeschränkt loben konnte, war der Mann am Pult daran sehr maßgeblich beteiligt. Speziell für das unausgeglichene Ensemble bedeutete Molinari-Pradelli einen wahren Glücksfall. Von diesem Ensemble erreichte allein Giulietta Simionato als Eboli die gewohnte Form. Stimmlich ausgezeichnet disponiert, beherrschte ihre starke Persönlichkeit bei jedem ihrer Auftritte die Bühne. Als Elisabeth hörte man Leonie Rysanek, die stimmlich eine sehr gute Leistung bot, ansonsten aber farblos blieb. Es fehlte ihr ohne Zweifel eine überragende Persönlichkeit als Philipp. Walter Kreppel hatte es besonders schwer, denn man hörte schließlich Christoff, Ghiaurov und Siepi in dieser Partie und er hatte gesanglich einen schlechten Abend. Hans Hotter, sonst markantester Großinquisitor, war stimmlich ebenfalls nicht sonderlich gut disponiert und darum gezwungen zu forcieren. Giuseppe Zampieri bot in der an sich schon ziemlich profillosen Titelrolle noch etwas weniger Profil. Darüber konnte die schönste Phrasierung nicht hinwegtäuschen. Aldo Protti war als Rodrigo schlecht in Form. Die Namen der flandrischen Edlen wollen wir tunlichst verschweigen und erweisen ihnen und der Staatsoper auf diese Weise zweifellos den besten Dienst.

TANNHÄUSER am 29. Mai

Eine prächtige, intensitätsgeladene und größtenteils herrlich gesungene Wiedergabe von Wagners Zwischenstadiumwerk. In der Titelrolle gab Wolfgang Windgassen alles, speziell im zweiten und dritten Akt. Er setzte zudem seine Intelligenz im Aufbau der Rolle und im stimmlichen Ausdruck ein und gab so ein Musterbeispiel dafür, wie man auch ohne besonders gute Abendform eine eindrucksvolle künstlerische Leistung bieten kann. Elisabeth Schwarzkopf war zum ersten Mal in Wien als Elisabeth zu hören und dokumentierte, daß selbst bei einer Gesangskünstlerin ihres Ranges die Elisabeth etwas zu dramatisch für einen lyrischen Sopran ist. Frau Schwarzkopf versuchte diesem Umstand durch Hinunterdrücken und Dunklerfärben der herrlichen Stimme zu begegnen, was ihr wohl weiter nicht schaden wird, da sie die Partie fast nie singt. Immerhin hatte man das Gefühl, sie strenge sich an, was bei ihr sonst nicht vorkommt. Vor allem die Vokale verfärbten sich bis zur Unkenntlichkeit. Die Erscheinung der Künstlerin wirkte wunderbar. (Sie sah aus, wie einem kostbaren Gobelin entstiegen). Die Phrasierung war an vielen Stellen herrlich, auch beeindruckte die große Linie des Gesanges, die dem echten Schwarzkopf’schen Drange zum Detail abgerungen wurde. Christa Ludwig scheint an ihrer Venus weiter gefeilt zu haben. Sie bot mit sinnlicher Stimme und glühender Intensität eine absolut ideale Interpretation. Eine ebensolche schenkte Eberhard Wächter (trotz derzeit seiner in der Höhe etwas überanstrengten Stimme) dem Wolfram. Er sollte wohl etwas weniger singen. Was er sich in diesen Festwochen zumutet, ist weit anstrengender, als eine Welttournee mit 20 Rollen an 10 verschiedenen Opernhäusern. Der Landgraf ist eine der besten Partien von Walter Kreppel. Seine technischen Schwächen fallen hier nicht so ins Gewicht. Die kleinen Rollen waren wie immer gut besetzt. Der Chor sang bis auf das Nachhängen der Damen im Einzug auf der Wartburg ausgezeichnet. Das Orchester spielte nach einigen Minuten des Auftauens schön und diszipliniert. Am Pult stand Herbert von Karajan, der sich diesmal – trotz des großen Aufbaus und der Intensität der musikalischen Gestaltung – besonders liebevoll mit der Begleitung der Sänger befaßte.

RIGOLETTO am 30. Mai

Das Interesse konzentrierte sich an diesem Abend naturgemäß auf die Debütantin Roberta Peters als Gilda und – um es vorwegzunehmen – sie konnte an diesem ersten Abend nicht voll überzeugen. Die überaus gutaussehende Sopranistin besitzt eine technisch gut geschulte, aber nicht allzu große Stimme, die in der Höhe an Volumen abnimmt, so daß die exponierten Spitzentöne zwar alle sicher da – immerhin eine Seltenheit – aber fadendünn sind. In der Mittellage, die sie mit viel Kunstfertigkeit behandelt, bevorzugt sie vorwiegend kindliche Töne, die aber auf Kosten der Natürlichkeit gehen. Ähnliches ist auch von ihrer Darstellung zu sagen, die, wie bei den meisten ihrer amerikanischen Kolleginnen, bei aller äußeren Lieblichkeit zu unterkühlt und vom Verstand diktiert wirkt. Zumindest an diesem Abend stand sie hauptsächlich dekorativ neben ihrer Rolle. Wieviel davon der Debütnervosität zuzuschreiben ist, müssen erst spätere Abende zeigen. Um Frau Peters herum die vielfach bewährten „Haus-Italiener“: Aldo Protti und Giuseppe Zampieri. Protti scheint momentan nicht in bester Form zu sein, erreichte aber trotzdem mit dem mit Elan vorgetragenen „Cortigiani“ beachtliche Wirkung. Zampieri hatte einen sehr guten Abend. Besonders in der großen Arie des dritten Aktes kamen seine wunderbare Mittellage und Tiefe schön zur Geltung. Margarita Lilowa sang eine junge frische Maddalena, Nicola Zaccaria einen stimmlich müden Sparafucile. Als Monterone hörte man einen neuen östlichen Import, Bogumil Manov, der aber den Versuch nach einem das Haus zum Erzittern bringenden Fluch auch diesmal nicht erfüllen konnte. Mit Francesco Molinari-Pradelli schien wieder echter Verdi-Geist in die Wiener Oper eingezogen zu sein, etwas lautstark zwar, aber mit nie erlahmender Begeisterung, der sich nun auch endlich das Orchester nicht mehr zu entziehen scheint.

TOSCA am 31. Mai

Zum Abschluß des Monats gab es eine herrliche Aufführung zu hören. Es wird oft und zu Unrecht behauptet, Karajan habe die Wiener Hörer derart mit Sensationen gefüttert, daß sie nun viel zu verwöhnt für die hohen Gaben musikalischer  Ensemblekultur und großer Werke seien und eben nur für „flache Starabende ohne künstlerischen Wert“ Interesse hätten. Die Verfechter oben erwähnter Theorien sind entweder taub oder sonst wie in den Funktionen, die sich im allgemeinen im Kopf abspielen, empfindlich gestört (vielleicht brauchen sie die Gehirnwindungen zum Ausdenken von Kabalen und Intrigen), sonst müßten sie unschwer hören, was sich an einem Abend wie dieser Tosca auf der Bühne und im Orchester ereignet. Die vielgelästerten Stars bieten nämlich künstlerische Leistungen von absoluter Größe. Sie wissen, daß ihr Name zu einer Spitzenleistung verpflichtet und schonen sich nicht. Das Orchester ist der begleitenden Funktion enthoben und spielt mit im Aufbau der dramatischen Höhepunkte, hat seine wichtige Funktion in der Formung der Charaktere und Konflikte und im Malen der Situationen und der Atmosphäre. Daß der von den Philharmonikern so wegwerfend beurteilte Puccini schwerer ist, als sie selbst glauben, bewies z. B. ein zu früh erfolgter Einsatz der Piccoloflöte im Rahmen der durch Probenlosigkeit bedingten Anlaufzeit. Leontyne Price hat die gewaltige Mittellage einer echten italienischen Primadonna bekommen. Geblieben ist ihre Gesangskultur, ihre intuitive Phrasierung und die Schönheit des Prachtorgans. Giuseppe Taddei, der Vollblutkomödiant, der den Scarpia auch stimmlich und ausdrucksmäßig ideal gestaltet, ist im Spiel geradezu überwältigend. Carlo Bergonzi, der kultivierte Stilsänger, hat in der Höhe Kraft und Glanz hinzugewonnen, die sich in explosiven und endlosen Spitzentönen äußert. Herbert von Karajan stürzte sich offenbar mit sehr viel Freude zur Abwechslung in Puccinis Melodienstrom, den er zu gewaltiger Erregung gleicherweise aufputschte, wie er ihn zu subtilen und kultivierten Phrasen formte.

 

DANTONS TOD am 23. Mai

Eigenproduktion der Wiener Festwochen im Theater an der Wien

Gottfried von Einems bisher größter Wurf erlebte seine Uraufführung in Salzburg und wurde im Herbst des gleichen Jahres (1947) in das Repertoire des Theaters an der Wien aufgenommen, dort zweimal gespielt und beim dritten Mal abgesetzt. (Man spielte damals statt dessen Butterfly eine Tatsache, die etwa Herrn Curt Riess nicht bekannt ist und über die er sich giften würde, wüßte der sie. Das gab es also auch schon damals, wo noch dazu Dr. Hilbert noch Intendant der Bundestheater war!). Dann verschwand das Stück vom Spielplan. Wir damaligen Stehplatzler waren ganz verrückt nach Dantons Tod, denn es hatten uns sowohl Stück als auch Wiedergabe ungemein gut gefallen. Umso neugieriger waren wir, wie ein neuerliches Zusammentreffen mit Einems Danton ausfallen würde. War es doch für uns damals fast die erste Konfrontation mit einer modernen Oper, die im Theater an der Wien fast überhaupt nicht gepflegt wurde. In der Hochburg der Ensemblekultur und des ach so hochklassigen Spielplans hörte man außer dem Danton nur den Prozeß, Rakes Progress, den Konsul und die Johanna auf dem Scheiterhaufen, Wozzeck und Liebermanns Penelope. Alle diese Stücke erreichten lediglich einige Aufführungen und wanderten dann ins Depot. Daran wird sich in der Wiener Oper wohl nie etwas ändern, Direktoren egal. Immerhin konnten wir mittlerweile Verschiedenes hören. Es trat aber der erfreuliche Fall ein, daß der Danton seine Wirkung durchaus bewahrt hat. Einem hat sich damals nicht davor gefürchtet, eine kraftvolle und wirksame Theatermusik zu schreiben, die ihre Stärken in prachtvoll gesteigerten Chorszenen zeigt, sehr prägnante Zwischenspiele liefert, aber den Sängern auch Spielraum für lyrische Phrasen läßt. (Beispiel: „Wir sind im Kerker geboren…“ aus der Tribunalszene, das großartige Zwischenspiel zwischen der zweiten und dritten Szene, in der die Klarinette bedrohlich über einem Abgrund hängt, die Stelle Dantons aus dem Kerker: „Ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern…“). Im Verein mit dem geschickt gekürzten Büchner-Stück ergibt diese gute und gekonnte Musik ein Werk, mit dem sich etwas anfangen läßt, und das sich eigentlich nach menschlichem Ermessen auf den Spielplänen halten sollte. Die neue Inszenierung unterschied sich allerdings von der ersten grundlegend. Hatten damals Oskar Fritz Schuh und Caspar Neher abstrahiert und überhöht, ließ der Regisseur Otto Schenk absoluten Naturalismus walten. Das entbehrte nicht krasser Effekte, besonders in den Chorszenen, die aber der Atmosphäre der französischen Revolution durchaus entgegenkommen. Die Personenführung und Chorregie ist von einer Präzision, wie sie selten vorkommt und sehr einfallsreich. Einschränkend muß man nur sagen, daß der gewiß außerordentlich begabte Regisseur alle Mitwirkenden zwingt, so zu gehen wie er selbst in Warten auf Godot. Das wirkt bei manchen Sängern, die einen „anderen körperlichen Rhythmus haben“ (wie dies Wieland Wagner zu präzisieren pflegt), etwas unnatürlich. Doch bedeutet diese kleine Einschränkung bei einer so großartig durchdachten und studierten Aufführung wohl nichts. Sehr vielseitig dürfte Otto Schenk allerdings nicht sein, das kann man schon nach seinen drei Wiener Operninszenierungen sagen (von denen der Don Pasquale leider an der Musik völlig vorbeiging. Schenks Pasquale hätte nicht Donizetti, sondern Strawinsky komponieren müssen). Nach der Zauberflöte im heurigen Salzburger Festspielsommer können wir darüber weiterreden. Die Wiener Symphoniker spielten unter der Leitung des unglaublich sicheren und die Höhepunkte mit Elan ansteuernden Dirigenten Ferdinand Leitner mit großem Einsatz und großem Können. Der Staatsopernchor, durch den Singverein und vielleicht auch noch andere Amateurchöre kräftig verstärkt, sang und spiele, von Wilhelm Pitz meisterhaft (wie könnte es anders sein) vorstudiert, bravourös. Die Titelrolle gestaltete Eberhard Wächter großartig. Er ist der ewige Kämpfer, der um sein Leben ringt, obzwar es ihm nichts mehr bedeutet. Er ist der Zyniker mit den großen Idealen, die er verbirgt. Er ist der mit allen Wassern gewaschene Demagoge, der die Masse psychologisch durchleuchtet und dennoch ihr Opfer wird. Seine Rede vor dem Tribunal wurde zum unbestrittenen Höhepunkt des Abends. Stimmlich war er prächtig, setzte aber seine letzten Reserven ein. Ein wahres Glück, daß er die Partie nicht ständig singen muß! Es freut die Wiener Opernbesucher, daß Wächter in einer Saison, die er sinnlos zu verplempern schien, doch einen so großen künstlerischen Erfolg, quasi zum Abschluß, landen konnte. In einer unheimlichen Studie als Robespierre, stimmlich und darstellerisch von eisiger Kälte, war wieder Gerhard Stolze zu bewundern. Jetzt müßte er einmal eine solide oder komische Rolle bekommen, denn sonst wird er nur mehr auf den „Bösewicht vom Dienst“ festgelegt. Donald Grobe erwies sich als ausgezeichneter Sänger und Darsteller. Sein Camille war eine Figur aus einem Guß, wobei die helle kräftige Stimme mit starkem Trend zum Charaktertenor (eine Mozartstimme ist das wirklich nicht!) den guten Eindruck unterstützte. Der Fernsehsprecher Hans Christian (St. Just) verfügt über eine verblüffend voluminöse Baßbaritonstimme. Die Lucile Sonja Schöners blieb gänzlich ohne eigene Persönlichkeit. Sie lebte von der Regie. Gutes Teamwork, besonders in der Typisierung, weniger im Singen leisteten die Episodisten Josef Knapp, Karl Terkal, Hans Braun, Kurt Equiluz, Karl Schmitt-Walter, Helli Spittler und Edith Vonkilch. Die Persönlichkeit von Elisabeth Höngen überragte diesen Durchschnitt mühelos. Düstere, aber gute Bühnenbilder schuf Walter Dörfler, die sehr charakteristischen Kostüme, die Sängereitelkeit nicht zuließen, stammen von Hill Reihs-Gromes. Der Premierenerfolg nahm verdientermaßen große Dimensionen an. Diese Stagione im Theater an der Wien, die alljährlich ein Werk bringt, das nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung des Staatsopernspielplans ist, wird hoffentlich trotz der immensen Kosten zu einer ständigen Einrichtung werden

 

FESTWOCHEN IN WIEN

Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 6

Nun sind die Tage wieder angebrochen, in denen der Musikfreund von Veranstaltung zu Veranstaltung eilt und sich zur Revanche für die nicht nur vom „Merker“ als entsetzlich langweilig empfundenen Wintermonate kräftig mit Musik aller Stilarten vollpumpt. Die Wiener Staatsoper bietet im Zeitraum der Festwochen 28 verschiedene Opernwerke (davon zur Genugtuung der Italienhasser nicht weniger als 15 deutsche Opern, 9 Italiener, 2 Franzosen, 1 Engländer und 1 Strawinsky, bei dem man nie weiß, ob man ihn zu den Russen oder Amerikanern zählen soll) und die höchst erfolgreiche Dornröschen-Produktion des Balletts. Das ist ja eigentlich nicht gar so armselig, wie die Besserwisser immer tun, umso mehr mit Poppea und Wozzeck geradezu die Eckpfeiler der Operngeschichte auf dem Spielplan stehen. Wenn das ganze Jahr über die Besetzungen so wären, würde der Musikfreund die Wiener Staatsoper in den Himmel heben, statt über sie zu schimpfen, was er häufig und kräftig tut. Nicht zu Unrecht übrigens, wie der sattsam bekannte Meistersinger-Vorfall und gewisse krasse Dispositionsfehler am Beginn des Wonnemonats Mai bewiesen. Derartiges ist wohl unvermeidlich, wenn viele Köche einen Brei rühren, und jeder Koch noch dazu einen Lebensmittellieferanten hinter sich hat, dessen Waren er verarbeiten soll. Dieses Pasticcio löffeln die Wiener Opernfreunde nun schon seit zwei Jahren mit wirklich einmaliger Geduld, das Jahr über höchst wütend, in den Festwochen vom vielfältigen Angebot so in Anspruch genommen, daß sie nicht zum Schimpfen kommen. Wenn nur manche Leute in Wien einmal so beschäftigt wären, daß sie nicht zum Intrigieren kommen! Apropos… Die Wiener Festwochen haben ja seit dem Vorjahr ihr eigenes Theater an der Wien, in dem sie in geschickt ausverschenkten vollen Häusern ganz hervorragende Produktionen zeigen, die sich den Besuch wirklicher Musikfreunde redlich verdienen würden. Egon Hilbert ahnt ja gar nicht, was er mit seinen Aufführungen für eine Propaganda für das vielgelästerte Stagionesystem macht! Der geplagte Besucher, der bei jedem Opernabend die Probenlosigkeit des internationalen Opernbetriebes einkalkulieren muß und der noch geplagtere Sänger, der neue Rollen kräftig durcharbeiten möchte, atmen auf, wenn sie auf eine so völlig erprobte und sitzende Aufführung wie Gottfried von Einems Dantons Tod stoßen. Die Methode, die Sänger aus allen Himmelrichtungen zusammenzuengagieren, wenn sie der darzustellenden Rolle entsprechen, sie drei Wochen kräftig proben zu lassen und dann ein Reinkultur-Ensemble vorzustellen, das die Produktion fünfmal spielt und dann wieder zerstiebt, hat schon gewaltige Vorteile. Das kann aber natürlich nur im Theater an der Wien geschehen, das pikanterweise, obzwar städtisch, an keinerlei gewerkschaftliche Regeln gebunden ist, weil es ja kein fixes Ensemble hat. Glückliches Theater an der Wien! Das Wiener Konzerthaus, das heuer das 50-jährige Jubiläum seiner Gründung feiert, veranstaltet die Konzerte dieses Festwochenfrühlings. Die Konzerthausgesellschaft hat in den beiden vorangegangenen Jahren  viel von dem Terrain wieder erobert, das sie in den Jahren nach dem Krieg langsam aber sicher verlor. Auch wenn eine Gesellschaft Wert auf eine nach musikalischen (oder literarischen) Gesichtspunkten ausgerichtete Programmierung legt, sollte sie nicht auf das Publikum vergessen. Konzerte werden in erster Linie deswegen veranstaltet, damit jemand hineingeht. Nun hatte der früher im Konzerthaus wirkende Generalsekretär Seefehlner diesen Aspekt völlig aus den Augen verloren. Die gewiß oft sehr interessanten Konzerte, besonders die modernen, fanden vor leerem Saale statt. Es bedeutet natürlich kaum eine Förderung der neuen Musik, daß sie erst recht niemand hört, wenn sie einmal doch gespielt wird. Der agile Generalsekretär Weiser stand nun vor der schwierigen Aufgabe, zuerst einmal ein Publikum anzuziehen. Das ist natürlich ein Programmpunkt von Jahrzehnten. Die Wiener sind solche Gewohnheitstiere, daß sie zwar seit fünfzig Jahren in die „Philharmonischen“ und seit sechzehn Jahren in die „Große Symphonie“ gehen, aber sich für alles andere, auch wenn es qualitativ gut ist, einfach nicht interessieren. Abonnementreihen erfordern also nicht nur künstlerisches, sondern auch merkantiles Einfühlungsvermögen. Ähnlich gelagert ist der Fall bei den Musikfesten. Die kluge Abmachung zwischen den beiden großen Wiener Gesellschaften hat zur Folge, daß immer zwei Jahre Zeit zur Vorbereitung eines Musikfestes bleiben, und die Vorteile dieses Arrangements liegen auf der Hand. Es können Orchester und Solisten von Rang verpflichtet werden und die Programmbildung erfolgt nach reiflicher Überlegung. Das heuer ersichtliche Motto: „Jeder Tag ein Komponist“ hat seine großen Anziehungspunkte für das Publikum und seinen besonderen Reiz für den Musikfreund. Ist es vielleicht für Prokofieff oder Kodaly gefährlich, allein zu stehen, so sind dafür Ravel-, Bartok- und Debussy-Abende umso aufregender. Die Komponisten sind: Strauss, Strawinsky, Schumann, Blacher, Haydn, Prokofieff, Bruckner, Vivaldi, Ravel, Beethoven (Backhaus), Kodaly, Bach, Tschaikowsky, Bartok, Brahms, Beethoven, Debussy, Berlioz, Mozart, Janacek, Britten, Schubert, Mahler, Dvorak, Henze, Chopin und Verdi. Das ist fürwahr ein reichliches Angebot für jeden Geschmack, und das Publikum scheint, wie man bis jetzt sehen konnte, diese Programmierung zu schätzen. Vielleicht gelingt es der Wiener Konzerthausgesellschaft zu ihrem Jubiläum, mit diesem Musikfest neue Freunde und Abonnenten zu gewinnen. So finden Wiener und Fremde ein wahrhaft „festwöchiges“ Angebot vor, durch das sie bei konsequenter Konsumation wie alljährlich urlaubsreif werden.

 

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