DER JUNI 1963
8. Jahrgang, Heft 7
DIE OPERNSAISON KLANG AUS
Der Monat Juni bedeutete rauschenden Festesglanz, dem diesmal nicht einmal die bedauerlichen Absagen von Elisabeth Schwarzkopf und Franco Corelli Abbruch taten. Die Höhepunkte stellten zweifellos die Ring-Aufführungen und durch traumhafte Gesangsleistungen die Margarethe-Aufführung am 4. Juni dar. Womit nun die ärgste Premiere der vergangenen Saison sich wenigstens musikalisch großartig gerechtfertigt hat. Das deutsche Repertoire konnte diesmal im künstlerischen Niveau neben dem italienischen vollgültig bestehen – zu unserer Freude. Daß bei großen Gesangssolisten gegen Ende der Saison hin und wieder Ermüdungserscheinungen hörbar werden, ist unvermeidlich geworden. Und zu verlangen, daß die großen Prominenten ausgeruht zu den Wiener Festwochen zu kommen hätten, hieße beim derzeitigen Managementwahnsinn gegen Windmühlenflügel anzukämpfen. An besonderen Ereignissen bescherte uns der Juni noch die Giovanni-Premiere und eine sehr erfreuliche Wiederbegegnung mit dem Dirigenten Josef Krips. Der allgemeine Jubel über den rauschenden Saisonabschluß wurde nur durch die traurige Erscheinung getrübt, daß unser Meisterorchester, das berückende Leistungen unter Karajan bot, an mehreren anderen Abenden – teils durch Substituten geschwächt, teils durch Überforderung – ein erschreckendes Formtief aufzuweisen hatte. Und darüber ist der Wiener entsetzt und sehr traurig! Was die sonstigen Niveauentwicklungen in Wien anbelangt, verweisen wir auf unseren Leitartikel und wünschen der Direktion des Hauses, ebenso wie dem musikalischen Wien ein „Glück auf“ für die kommende Spielzeit.
EIN SOMMERNACHTSTRAUM am 1. Juni
Der Monat Juni begann mit einer Aufführung von Brittens Werk, der ersten Premiere der vergangenen Saison, das aber wie die meisten anderen modernen Opern wenig Zugkraft auf das Publikum ausübt. Das Haus war auch diesmal – obwohl ansonsten sämtliche Aufführungen der Staatsoper seit Mitte Mai, einschließlich des Wozzeck, gestürmt wurden – schlecht besucht und auf den Galeriestehplätzen herrschte gähnende Leere. Heinrich Hollreiser war der sichere musikalische Leiter. Aus der großen Besetzungsliste möchten wir den herrlichen Gerhard Stolze in der fast unsingbaren Partie des Oberon, sowie Erich Kunz als urkomischen Zettel besonders hervorheben. Durch die am gleichen Abend laufende Lulu-Produktion der Festwochendirektion mußten einige Partien der Handwerker umbesetzt werden. So sang Erich Majkut statt Peter Klein, Heinz Holecek statt Ludwig Welter und Siegfried Rudolf Frese statt Hans Braun, die alle hinter der Premierenbesetzung zurückblieben. Unbedeutend und blaß Liselotte Maikl als Titania. Tugomir Franc lieh seine imposante Erscheinung dem Theseus und Peter Busse konnte seinen Vorgänger Heinrich Schweiger (Puck) nicht vergessen machen. Mäßiger Beifall eines fast durchwegs ausländischen Publikums.
LA BOHEME am 2. Juni
Das feiertäglich gestimmte Auditorium erlebte eine schöne Aufführung des Werkes. Held des Abends war neben Maestro Francesco Molinari-Pradelli Carlo Bergonzi als Rodolfo, der wie gewohnt vorbildlich sang und – wie man schon bei seinem Cavaradossi bemerken konnte – in letzter Zeit zu seiner schönen baritonal gefärbten Mittellage auch noch eine herrlich strahlende Höhe dazu gewonnen hat. Bergonzi bietet als Rodolfo überdies noch mehr als Belcanto in höchster Vollendung. Der Sänger, der in Heldenpartien oft Gefahr läuft, in leeren Posen zu erstarren, vermag Liebe, Leid und Verzweiflung des Dachstubenpoeten auch wirklich ergreifend zu gestalten. In gesanglicher Hinsicht war ihm Antonietta Stella als Mimi eine ausgezeichnete Partnerin, nur fiel in seiner Nachbarschaft besonders auf, daß das Herz dieser Mimi genau so eiskalt war wie ihr Händchen. Eberhard Wächter überspielte mit Temperament einige stimmliche Müdigkeitserscheinungen. Anneliese Rothenberger war im Spiel bezaubernd und sang überdies ausgezeichnet. Nicola Zaccaria und Hans Braun ergänzten nicht sehr berühmt das Bohemien-Quartett. Der himmelhohe Unterschied zwischen dieser Boheme und einer gleichwertig besetzten im vorigen Monat ist beinahe ausschließlich auf den Dirigenten zurückzuführen. Francesco Molinari-Pradelli ließ allen Zauber der Puccini-Melodien aus dem Orchester erblühen und vernachlässigte darob nie den Kontakt mit der Bühne. An einigen Ausstiegen in den Ensembles trifft ihn keine Schuld. Wenn Marcello und Musetta nicht auf der Probe erscheinen, anstatt froh zu sein, daß es eine gibt, kann der klaglose Ablauf der Vorstellung nicht garantiert werden.
AIDA am 3. Juni
Es gibt derzeit keine idealere Interpretin der Titelpartie als Leontyne Price. Ihre Stimme hat eine Wandlung durchgemacht. Tiefe und Mittellage haben sich unwahrscheinlich verbreitert. Der betörende Wohlklang ist hier der Dramatik gewichen, während in der Höhe der lyrische Silberhauch gewahrt blieb (Nil-Arie!). Diese Diskrepanz wirkt in dieser Partie jedenfalls nicht störend, eher besonders reizvoll und gestaltet so schon rein vom Gesanglichen her das Wesen der Äthiopiertochter, in dem ungebändigte Wildheit und Innigkeit eines schrankenlos liebenden Herzens vollendeten Ausdruck finden. Hier steht wirklich eine Aida auf der Bühne, die verstehen macht, daß ein Mann, der ein Held und kein Schwächling ist, Leben, Vaterland und Ehre für sie hergibt. Dimiter Usunow macht den Feldherrn glaubhaft. Dort, wo er loslegen kann, ist seine metallische Stimme in ihrem Element, während sie sich – wenn der Sänger nicht in Superform ist – mit den lyrischen Phrasen müht. („Celeste Aida“ und Schlußduett). Aber dennoch eine anerkennenswerte Leistung des stets einsatzfreudigen Künstlers. Auch Giulietta Simionato singt anders als früher. Das Prachtorgan wird nicht mehr in geschlossener Linie von unten bis oben geführt. Auf die pastose Tiefe und dunkel strömende Mittellage wird die Höhe aufgesetzt, allerdings faszinierend meisterlich. Die Intensität, die Persönlichkeit, die Ausdruckskraft dieser Künstlerin zwingen einfach in ihren Bann und entfesseln mit Recht Begeisterung. Ettore Bastianini spielte den Amonasro mit soviel Hingabe und Aktivität, als müßte er das böse Wort vom Stehbariton ewig und für alle Zeiten Lügen strafen. Stimmlich zeigte er sich recht gut disponiert, wenn auch den Anforderungen der Partie nicht voll gewachsen. Doch dies war er ja nie, und hatte seit eh und je statt Kraft den Reiz des Belcanto in die Waagschale geworfen. Statt Nicolai Ghiaurov sang Walter Kreppel den Ramphis und Tugomir Franc den König recht ordentlich. Die musikalische Leitung des viel umjubelten Abends hatte Lovro von Matacic.
MARGARETHE am 4. Juni
Es war die Aufführung des Jahres, ein Abend, über den man nur in Superlativen sprechen kann. Eine Ensembleleistung, von Stars produziert, eine Sternstunde, die in den Opernhäusern der ganzen Welt zu den seltenen Glücksfällen gehört. Beginnen wir bei den Sängern! Hilde Güdens Margarethe: akustisch und optisch gleicherweise ideal. Schönheit, Reinheit, Liebe und Wahnsinn der Verzweiflung, verklärt durch die Kunst des Gesangs. Nicolai Gedda: der Faust! Zu Beginn wirklich ein Greis, nicht nur greisenhaft vermummt. Jede Geste, jede Bewegung, ja der Tonfall der Stimme ist so alt, wie Faust sein soll. Und nachher blüht und strahlt die Jugend. Nichts mehr von „le docteur“, nur mehr Liebe und Jubel und zum Schluß Reue und Verzweiflung. Wenn sich dieser Faust hinstellt, lächelnd zu Margarethes Fenster aufblickt und ein strahlendes C singt, so weiß man plötzlich, warum dieses C in den Noten steht. Das Liebesduett, bei dem die Stimmen Hilde Güdens und Nicolai Geddas in idealster Weise zusammenklangen, war einer der Glanzmomente dieser an Höhepunkten reichen Aufführung. Nicolai Ghiaurov als Mephisto: noch besser als die beiden Male vorher, da er diese Partie in Wien sang. Die Stimme strömt, orgelt, hat hundert Nuancen, klingt bald geschmeidig elegant, bald so vulgär, daß man darüber erschrickt. Das Spiel ist erlebt, hat Dramatik, Humor, Spott (hält sich Gott sei Dank nicht an Hagers Regie) kurz, ein Superteufel. Eberhard Wächters Valentin litt beim Gebet etwas am Danton, erreichte aber in der Sterbeszene stimmlich und darstellerisch erschütternde Wirkung. Olivera Miljakovic’ Siebel war wieder eine Ohren- und Augenweide. Ludwig Welter und Dagmar Hermann fügten sich ein. Am Dirigentenpult: Georges Pretre. Seine Leistung muß doppelt gewürdigt werden, denn unter seiner Leistung spielte das Orchester wie die Philharmoniker an ihren besten Tagen. Dabei saßen die Philharmoniker im Musikvereinssaal! Selbst der Chor (abgesehen von dem einen Männerchor, der noch nie geklappt hatte) war in Hochform. Es war eine Aufführung von so hoher musikalischer Qualität, daß man die sinnlose Regie und die häßlichen Bühnenbilder vergaß. Das Publikum jubelte endlos.
EIN MASKENBALL am 5. Juni
Eine gute Aufführung mit Schönheitsfehlern, leider nicht mehr! Erstklassig waren nur die leidenschaftliche, dämonische Ulrica der Giulietta Simionato und in kleinem Respektsabstand Carlo Bergonzi als Riccardo, der wieder in blendender stimmlicher Verfassung war und sein heute beinahe konkurrenzloses Können in vollem Umfang bewundern ließ. Nur mangelt ihm in dieser Partie ein wenig jener Elan, der das Publikum zur Raserei bringt. Kann sein, daß die alles verklärende Erinnerung an di Stefano einen bei diesem Urteil ungerecht macht, denn auch der Tod von Bergonzi-Riccardo war aller Bewunderung wert. Leonie Rysanek als Amelia hatte einen guten Abend. Sie sang dramatisch und impulsiv und überschritt nur an den lyrischen Stellen manchmal die Grenze von der Kunst zur Künstelei. Außerdem wäre es ihr im Interesse der theatralischen Wahrscheinlichkeit anzuraten, sich beim Auftauchen Renatos im zweiten Akt nicht nur bis zu den Augenbrauen zu verschleiern. Renato wurde nach der Absage Bastianinis von Kostas Paskalis verkörpert. Der Sänger hat so viel Bühneninstinkt und Sinn für dramatische Effekte, daß es ein Genuß sein könnte, ihm zuzusehen und zuzuhören, wenn er sich nicht selbst durch sein ständiges Forcieren alles verderben würde. So produzierte er bereits nach der ersten Arie nur mehr rauhe, heisere Töne, die das Ohr des Zuhörers geradezu beleidigten. Auch Graziella Sciutti als Oscar scheiterte am „Auf die Stimme Drücken“, das sie mit argen Entgleisungen bezahlen mußte. Francesco Molinari-Pradelli war der Aufführung ein temperamentvoller und umsichtiger Leiter, der es jetzt im Gegensatz zu früher auch mit den Einsätzen sehr genau nimmt. Der Riesenschmiß des Orchesters im Finale des zweiten Aktes kann also nur auf Unaufmerksamkeit zurückzuführen sein.
PELLEAS UND MELISANDE am 6. Juni
Der Debussy-Fanatiker hatte den noch nie erlebten Fall zu verzeichnen, daß er einen Tag nach dem Pierre-Monteux-Konzert den Pelleas in der Oper hören konnte. Zur Freude über diese Tatsache gesellte sich die Freude über die Aufführung selbst, die subtil und konzentriert, verträumt und intensiv zugleich war. Wenn man nach der Premiere meinte, eine Steigerung der Qualität dieser Aufführung sei gar nicht möglich, so wird man bei jeder Vorstellung eines Besseren belehrt. Der Pelleas wird von Mal zu Mal schöner. Hilde Güden und Henry Gui sangen die Titelrollen stimmlich und in der Phrasierung gleich vollendet. Eberhard Wächter gestaltete einen prachtvollen Golo. Seine immer dramatischer und dünkler werdende Stimme gab der Rolle Gewicht und Profil. Adriana Martino, Elisabeth Höngen und die Herren Nicolai Zaccaria und Alfred Poell rundeten die vollkommene Ensembleleistung auf das Beste ab. Die Philharmoniker hatten einen herrlichen Abend und spielten unter Herbert von Karajans meisterlicher Leitung vollendet.
WOZZECK am 7. Juni
Leider die erste und letzte Reprise der Neueinstudierung vom 19. Mai! Dabei dürfte es sich ja schon herumgesprochen haben, daß der Wozzeck sich vom Abonnentenschreck zur ausverkauften Zugoper entwickelt hat und somit weit öfter auf dem Spielplan stehen müßte. Gegenüber der Neueinstudierung war nur die Rolle des Hauptmanns mit dem altbewährten Peter Klein besetzt, da Herr Stolze kurzfristig abgesagt hatte. Der Vergleich fiel eindeutig zu Gunsten des großartigen Charakterdarstellers Peter Klein aus. Als Narr hörte man statt Herrn Majkut August Jaresch. Sonst stand das bewährte Wozzeck-Ensemble auf der Bühne: allen voran Walter Berry in der Titelpartie in beängstigender Realistik, Christa Ludwig, die neue Marie, über deren glaubhafte Triebhaftigkeit man geteilter Meinung sein kann. (Es wirkt noch nicht alles echt an ihr!). Gesanglich ist ihre Leistung grandios. Fritz Uhl ist kein Tambourmajor (aber wo ist schon ein Tambour-Major par excellence?), zu wenig Stimme, zu wenig Profil! Ausgezeichnet Ludwig Welter als erster Handwerksbursch, Murray Dickie als Andres (mit unverändert bombensicherem C!), Karl Dönch als Doktor sollte sich mehr an die Notenwerte halten. Man würde über die Partie des Doktors staunen! Leopold Ludwig, der Dirigent des Abends, war der sichere Leiter des Orchesters.
DER RING DES NIBELUNGEN
DAS RHEINGOLD am 8. Juni
DIE WALKÜRE am 9. Juni
SIEGFRIED am 12. Juni
GÖTTERDÄMMERUNG am 15. Juni
Herbert von Karajan war der überragende musikalische Leiter der Festwochen-Aufführung, der von der transparenten Rheintöchterszene des Vorabends bis zum überwältigenden Schluß der Götterdämmerung eine vollendete Interpretation bot, die stets ausgewogen in den Tempi war und mit den Sängern lebte, sie niemals deckte, bis auf das schauerliche Walküren-Ensemble, bei dem dies die einzige Rettung war. Als Höhepunkt der vier Abende wollen wir diesmal Die Walküre bezeichnen, denn Karajan war bereits im ersten Akt (zweifellos durch die Besetzung der Partie des Siegmund mit Windgassen, der aufs Tempo drückte), flüssig im Tempo und dies bis Aktschluß – nach einem herrlichen Liebesduett – klug gesteigert. Der zweite und dritte Akt ist ohnedies auf einsamer Höhe. Wir haben darüber schon so oft und ausführlich geschrieben, daß wir uns nur wiederholen könnten. Das Orchester hielt sich sehr gut. Daß es nicht ganz ohne Schönheitsfehler abging, ist zwar bedauerlich, aber bei der herrschenden Probenlosigkeit und Überbeanspruchung der Philharmoniker während der Festwochen kaum zu verhindern. Diesmal trat dieser Umstand besonders im Siegfried zu Tage. Die Besetzung war fast durchweg erstklassig und allen voran wollen wir das große Loblied auf Wolfgang Windgassen singen, der an allen vier Abenden bestens disponiert auf der Bühne stand. Sein Loge war geistvoll, von hellwachem Intellekt und klug gespielt, sein Siegmund der beste, den wir je von ihm gehört haben und der Siegfried in gesanglicher und schauspielerischer Hinsicht an beiden Abenden voll überzeugend. Daß Windgassen selbst in dieser gesanglichen Hochform im ersten Akt Siegfried nicht ganz zur Geltung kommt, liegt an dem oft bekrittelten viel zu nieder hängenden Vorhang, gegen den er ansingen muß. Er sollte einmal die Schmiede- und Schmelzlieder an der Rampe ins Publikum schmettern, das wäre dann richtig! Wir schätzen uns glücklich, Windgassen in unserem Ensemble zu haben! Brünnhilde war Birgit Nilsson, die heute als Wagner-Hochdramatische konkurrenzlos ist. Sie ist die einzige Weltklasse-Sängerin die diese Saison nicht nur ohne Formschwankungen überdauert hat, sondern im Gegenteil besser denn je scheint. Freuen wir uns über jeden ihrer Abende und mögen uns die hinaufgepeitschten Pseudo-Primadonnen, die heute an vielen Bühnen ihr Unwesen treiben, erspart bleiben. Frau Nilsson vermag mit ihrer metallischen hellen Stimme allen Anforderungen der Partie mühelos gerecht zu werden und keinerlei Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Bei ihren Walküre-Rufen muß man sich gewaltig zurückhalten, um nicht in laute Begeisterung auszubrechen. Im Siegfried sang sie zusammen mit dem ihr ebenbürtigen Windgassen ein Liebesduett von strahlender Schönheit und in der Götterdämmerung wußte sie sowohl die Freude, als auch den Haß und tiefen Schmerz Bünnhildens glaubhaft zu machen. Hans Hotter war Wotan und Wanderer. Er ist eine faszinierende Persönlichkeit, die den Opernbesucher sofort in ihren Bann zieht. Er war heuer während des Ringes allerdings nicht in gesanglicher Hochform (vielleicht hat er in den letzten Monaten in München, Wien und Italien denn doch zuviel gesungen?), auch die Diktion ließ zu wünschen übrig. Trotzdem vermag kein anderer Sänger dem einsamen, wissenden Gott, der dem Ende zustrebt, so erschütternde Züge zu verleihen. Sein Wotan wird in die Annalen der Musikgeschichte mit goldenen Lettern eingetragen werden. Als Nibelungen waren Peter Klein und Alois Pernerstorfer richtig eingesetzt, wobei Pernerstorfer im Rheingold stimmstärker als im Siegfried war. Gottlob Frick, der rabenschwarze Baß, war ein überzeugender Fafner, ausgezeichneter Hunding und grandioser Hagen. Er bewies mit diesem Ring erneut seine führende Position als Wagnerbaß. Hilde Rössel-Majdan sang die Erda und war wesentlich besser als in der Walküre, wo es ihr für die Fricka an Persönlichkeit mangelt und sie außerdem stimmlich einen schwachen Abend hatte. Für die Festwochen sollte man doch eine andere Besetzung finden. Schließlich hat Christa Ludwig die Partie schon in Amerika gesungen, warum also nicht in einem derart festlichen Wiener Ring? Im Rheingold waren ferner zu hören: Ira Malaniuk und Gerda Scheyrer, die akzeptabel waren, Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter als schön singende Götter und Walter Kreppel als stimmstarker Fasolt. Die Rheintöchter traten in der Besetzung: Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel-Majdan an. In der Walküre war Leonie Rysanek als Sieglinde – dank einer herrlichen Disposition – großartig. Daß die Künstlerin die Partie heute nicht mehr so glatt und eben singt, wie vor Jahren ist uns bekannt. Sie verdunkelt die Stimme im unteren Register künstlich. Aber wie dramatisch ist sie nun und wie mitreißend die Art der Interpretation, wenngleich wir glauben, daß es noch wirksamer wäre, wenn sie bei Siegmunds Schwertgewinnung und vor dem Zweikampf Siegmund-Hunding weniger schreien würde. Wie dem auch sei, sie war einer der Trümpfe im Ring. Den ewigen Nörglern möchten wir nur sagen, daß es heute an keiner deutschen oder ausländischen Bühne eine Sieglinde von derartigem Stimmkaliber gibt. Das Walküren-Ensemble war leider ausgesprochen schlecht. Eine derart schwache Leistung ist für eine Bühne vom Rang der Wiener Oper fast eine Schande. Wäre die hochmusikalische Lotte Rysanek nicht gewesen, wäre das Ensemble wahrscheinlich überhaupt auseinander gefallen. Im Siegfried sang Anneliese Rothenberger einen passablen Waldvogel. In der Götterdämmerung schließlich war die Gutrune mit Gré Brouwenstijn richtig besetzt. Ein Ereignis war die Waltraute der Christa Ludwig, herrlich in der Stimmführung und im Ausdruck. Otto Wiener sang einen prachtvollen Gunther. Die Nornen waren mit Ursula Boese (mit schönem dunklem Material, aber wenig Ausdruck), Hilde Rössel-Majdan und Gerda Scheyrer besetzt, die Rheintöchter traten in der Besetzung Gundula Janowitz, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel-Majdan an. Die Inszenierung des Ringes durch Herbert von Karajan ist unserer Meinung nach durchaus gelungen. Man merkt zwar, daß die erste Arbeit (Walküre) noch wesentlich schwächer ist als die den Zyklus vollendende Götterdämmerung. Wir sind (entgegen einigen Besuchern aus Deutschland, die allein auf Wieland Wagner schwören und unsere Inszenierung als stümperhaft abtun) der Meinung, daß sich diese Inszenierung für das Repertoire – und schließlich ist es ja eine Repertoire-Aufführung und nicht für einen Festspiel-Sommer – durchaus als praktisch erweist, weil dadurch auch Gäste in eine stehende Aufführung einsteigen können, was beispielsweise bei den szenischen Lösungen der Brüder Wagner kaum der Fall ist. Daß Karajan heute schon eine ganz andere Idealvorstellung – etwa in Verbindung mit Schneider-Siemssen – vorschwebt, ist anzunehmen. Dennoch können wir (ohne Überheblichkeit, nur als feststehende Tatsache) sagen, daß heute keine andere Bühne (selbst Bayreuth nicht) imstande ist, eine derart vollkommene Realisierung des Ringes durchzuführen. Wo gibt es noch eine derartige Dirigentenpersönlichkeit und ein solches Ensemble? So war auch die Begeisterung des Publikums im wahrsten Sinn des Wortes grenzenlos und während der Tage der Ring-Aufführungen war das Opernhaus tage- und nächtelang von Kartensuchenden für Sitz- und Stehplätze belagert.
DON CARLOS am 10. Juni
Francesco Molinari-Pradelli am Pult bewies wieder einmal mehr, welch hervorragender Theaterpraktiker und welch guter Dirigent er ist. Er erfreut sich nicht der besonderen Gunst des Orchesters. Man braucht nur einen Augenblick ins Orchester zu schauen, um festzustellen, wer von den Professoren wieder durch Abwesenheit glänzte. Aber seine Liebe zum Werk und seine Sachkenntnis überwinden diese Hindernisse. So war auch diesmal seine Interpretation des Werkes denen seiner Kollegen überlegen. Er sorgte für einen reibungslosen Ablauf der Vorstellung, in der, zum einzigen Mal in dieser Saison, Boris Christoff als König Philipp auf den Brettern der Wiener Oper stand. Der Künstler bot neuerlich eine ungemein wirksame Charakterstudie, in der sich die Einsamkeit des Monarchen widerspiegelte. Kein Wunder, daß die große Arie einen Jubelsturm entfachte, der deutlich ausdrückte, daß der große Künstler an unserem Institut mehr eingesetzt werden sollte, umso mehr als wir ohnehin im heimischen Ensemble keinen König Philipp von Format haben. Neben ihm wurde Giulietta Simionato als Prinzessin Eboli stürmisch gefeiert. Nach einem nicht ganz makellos gesungenen Schleierlied, legte sie ein „don fatale“ hin, das begeisterte. Unwahrscheinlich der erstaunlich dramatische Ausdruck in ihrer Stimme, unglaublich die technische Vollendung der Künstlerin, die die ewige Jugend gepachtet zu haben scheint. Antonietta Stella bot als Elisabeth eine ihrer gewohnt guten Leistungen. Sie ließ ihre breite Stimme durch das Haus strömen und war auch darstellerisch eine schöne, wenn auch etwas reservierte Königin. Ettore Bastianini als Rodrigo begann schlecht, wußte sich aber im Laufe des Abends zu verbessern. Für Denjenigen der seinen Posa noch von der Salzburger Festspielaufführung unter Karajan im Ohr hatte, war er freilich nur mehr ein Schatten von einst. Er vermag derzeit nicht aus dem Vollen zu schöpfen und dadurch tritt eine hörbare Anstrengung zu Tage, die die Gesangslinie beeinflußt. Giuseppe Zampieri als Infant blieb diesmal unter dem Durchschnitt seiner allgemeinen Verfassung. Zu oft fehlte der Glanz in der Stimme. Nicola Zaccaria sang routiniert den Großinquisitor und Tugomir Franc zeigte als Karl V. sein beachtliches Material. Alles in allem ein Abend, der in seiner Gesamtheit der Festwochen würdig war.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 11. Juni
Dieser Figaro war tatsächlich von Mozart (und nicht von Verdi, wie das Festwochenprogramm ankündigte). Ja noch mehr, es war die vollendete Mozartinterpretation, auf die wir diese Saison bisher vergeblich gewartet haben, denn bei den verschiedenen Figaro-Aufführungen im großen Haus und im Redoutensaal wurde Mozart je nach Können und Gefühl mehr oder weniger malträtiert. So stand diesmal (nach Erede, Hollreiser, Keilberth, Klobucar, Loibner, Märzendorfer und Wallberg) wieder Josef Krips am Pult und machte diesen Abend zu einem Fest. Krips hatte eine Orchesterprobe bekommen und auch Bühnenproben abgehalten und das Ganze saß ausgezeichnet. So war denn die Stimmung sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum ausgezeichnet und das Einzige, was uns nach der Aufführung nachdenklich stimmte, war die Tatsache, daß die Künstler die an diesem Abend sangen ja nicht nur während der Festwochen, sondern auch während der Wintermonate oft wochenlang zur Verfügung standen, und man nicht imstande war, ein einziges Mal eine so ausgezeichnete Mozart-Aufführung zustande zu bringen. Man müßte wieder einmal über die verantwortlichen Besetzer eine Abhandlung schreiben! Die Wiener Philharmoniker waren diesmal so großartig, daß man am liebsten in der Pause in den Orchesterraum geeilt wäre, um jedem die Hand zu schütteln, für seinen ganzen Einsatz für Mozart und Krips! Es war ein Vergnügen dem Dirigenten zuzusehen, mit welchem Elan und welcher Freude er die Vorstellung leitete, und man wünscht ehrlich, daß Krips wieder eine engere Bindung mit der Wiener Oper zu Nutzen derselben und dem Dirigenten zur Ehre eingehen möge. Erfreulich ist, daß Krips nie von seinen Lieblingswerken spricht und sich nicht als Apostel von Alban Berg bis Richard Wagner (je nach Gebrauch) bezeichnet, sondern lieber ohne große Worte die Aufführungen leitet. Auf der Bühne stand ein durchwegs gutes Sängerensemble, mit Sena Jurinac als sozusagen „Dienstältesten“, denn sie sang blutjung bereits 1945 den Cherubino und erweist sich auch heute noch, trotz der vielen dazwischen liegenden Jahre als die Idealbesetzung: Denn welche andere Künstlerin vermag so vollkommen in diese Gestalt zu schlüpfen? Anneliese Rothenberger war die ausgezeichnet disponierte Susanne und erfreute diesmal wirklich. Was ist sie doch für eine reizende, grazile Sängerin! Für die absagende Elisabeth Schwarzkopf sprang Claire Watson als Gräfin ein, die trotz großem Bemühen in diesem Kreis fremd wirkte. Für unsere Begriffe ist Frau Watson kaum eine Mozartsängerin. Wir würden sie (nach der guten konzertanten Sieglinde) gerne in einer anderen Partie, etwa als Ariadne oder Tannhäuser-Elisabeth hören, weil wir der Meinung sind, daß sie für unser Institut ein Gewinn sein könnte. Eberhard Wächter sang den Grafen Almaviva. Er war bis auf die Spitzentöne in seiner Arie, die angekratzt klangen, gut. Schauspielerisch schien er den Almaviva mit dem Danton zu verwechseln. Nicht nur, daß er seine üblichen Mätzchen mit dem Degen vollführte, schleuderte er auch das Tintenzeug aufs Parkett und schob es dann auch noch mit dem Fuß beiseite. Etwas Mäßigung wäre wünschenswert. Wir können noch von einer entfesselten Susanne ein Lied singen und wollen nicht auch noch in Wächter ein Gegenstück dazu haben! Walter Berry als Figaro war vollendet! Wir freuen uns aufrichtig über die grandiose stimmliche und darstellerische Leistung des Künstlers und wollen hoffen, daß er möglichst lange noch seine unvergleichlichen Mozartpartien singt. In den Nebenrollen der trefflich charakterisierte Dr. Bartolo von Oskar Czerwenka. Es ist unglaublich wie der Sänger alles so selbstverständlich und natürlich serviert, ganz im Gegenteil zu seiner Partnerin Hilde Rössel-Majdan, bei der man merkt, daß sie nur die Kleider der Marzelline angezogen hat. Murray Dickie war der gute Basilio und Erich Majkut hatte als Richter wieder die Lacher auf seiner Seite (wann eigentlich nicht?). Ein voller Erfolg für alle Beteiligten, großer Jubel der dankbaren Zuhörer und der Wunsch, daß man sich endlich wieder besinnen möge, welche Verantwortung die Wiener Staatsoper mit der Mozart-Pflege übernommen hat!
SIEGFRIED am 12. Juni
unter Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung des gesamten RING am 8. Juni besprochen
TOSCA am 13. Juni
Unter Herbert von Karajan spielen die Wiener Philharmoniker so wie wir sie lieben. Plötzlich ist der Einsatz da und die Präsenz der einzelnen Ochestermitglieder verbürgt den Orchesterglanz, der sie berühmt gemacht hat. Karajan dirigierte eine spannungsgeladene Tosca. Man spürt förmlich die Folter des Polizeipräfekten. Man litt mit Floria Tosca unter den unmenschlichen Methoden Scarpias. Man schwelgte in den lyrischen Schönheiten des Werkes. Die hervorragendste Erscheinung des Abends war Giuseppe Taddei als Scarpia. Dieser Vollblutkünstler blieb unumschränkter Herrscher auf der Bühne. Gesanglich befand er sich ebenfalls in Superform. Der zweite Akt wurde im Belcantostil gesungen, wobei die Stimme Sinnlichkeit und Begierde in allen Nuancen widerspiegelte. Leontyne Price als Primadonna ist gegenüber ihrem Herbstdebüt dramatischer geworden. Die Mittellage der Künstlerin ist voluminöser geworden, die Höhe allerdings nicht, wodurch eine Diskrepanz in der Gesamtaussage entsteht. In den exponierten Lagen klingt die Stimme wie die eines Engels (lyrischer Sopran), in der Tiefe wirkt sie eher vulgär. Geht Frau Price als Tosca nicht über ihr Fach hinaus? Damit sei nicht gesagt, daß sie keine gute Tosca wäre (wer ist schon heute eine vollendete Interpretin dieser Rolle?). Aber manch lyrischer Sopran wurde durch Überforderung in kürzester Zeit zerschlagen. Wäre es nicht jammerschade um dieses einmalige Organ? Gianni Raimondi als Cavaradossi bot eine erstklassige Leistung. Er sang mit Freude und Einsatz, wobei man immer wieder das Metall in seiner oberen Lage bewundern kann. Nicht enden wollender Jubel des Auditoriums dankte dem Maestro und seinen Interpreten.
MARGARETHE am 14. Juni
Wenn das Ballett (das allerdings an sich sehr gut ist) bei einer Margarethe-Aufführung den größten Applaus hat, dann stimmt irgendetwas nicht. Stand das Publikum noch so im Banne der G-G-G-Aufführung zehn Tage vorher, oder war es von George London enttäuscht? Er sang wohl mit seiner dunklen, dramatischen, dämonisch timbrierten Stimme die Partie ganz hervorragend, blieb aber als Figur recht einseitig, nämlich düster und statuarisch. Es fehlte ihm nicht nur der diabolische Witz, sondern auch der teuflische Charme, den Mephisto schließlich auch haben muß. Da Londons Mephisto seinerzeit in der Wiener Volksoper Tagesgespräch war und als eine der Sensationen der Nachkriegszeit galt, kann man sehen, um wie viel die Ansprüche des Publikums in den letzten Jahren gestiegen sind. Nicolai Gedda ist ein idealer Faust, stimmlich hervorragend, in der Phrasierung nicht zu schlagen, Spitzentöne von spektakulärer Kraft und Schönheit anscheinend mühelos erzeugend und nicht zuletzt auch auf der Bühne ein Vergnügen, sowohl was Erscheinung, als auch das Spiel betrifft. Wilma Lipp sang diesmal eine ausgezeichnete Margarethe, ausgeglichener und beteiligter als bisher und sehr durchschlagskräftig in den dramatischen Szenen. Olivera Miljakovic ist ein reizender Siebel. Kostas Paskalis sang und spielte Valentins Tod sehr intensiv. Das Gebet ist unausgeglichen. Neben schönen Phrasen hörte man ihn gelegentlich grobe Stemmtöne produzieren. Dagmar Hermann und Ludwig Welter ergänzten die Besetzung. Georges Pretre stand wieder am Pult, temperamentvoll, elegant und beweglich. Ihm ist es zu verdanken, daß die gute, alte große Oper gegen die Präpotenz des mitteleuropäischen Publikums wieder eine Schlacht gewonnen hat. Die Margarethe ist weit besser, als ihr Ruf in unseren Landen und das merkt man an jeder Aufführung, die entsprechend besetzt ist.
GÖTTERDÄMMERUNG am 15. Juni
unter Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung des gesamten RING am 8. Juni besprochen
DER ROSENKAVALIER am 16. Juni
Zum Festwochenabschluß dirigierte Josef Krips die wienerischste aller Opern auf wienerische Weise. Die Streicher bekamen den melancholischen Klang, die Konversationsszene zwischen Oktavian und Sophie wurde mehr als musikalische Untermalung. Ganz hervorragend gelang Krips der letzte Akt. Bei weitem der beste Rosenkavalier-Interpret der letzten Jahre. Leider war die Besetzung der Hauptrollen nicht so geschaffen, den Abend zu einem Erlebnis zu machen. Lisa Della Casa war zwar wunderschön anzusehen und Irmgard Seefried überbot sich in komödiantischen Eskapaden, aber wo blieb die makellose Stimmführung beider Damen? „Die Zeit, sie ist ein sonderbar Ding…“ Anneliese Rothenberger als Sophie war mit Abstand die Beste, wenngleich auch ihre Stimme den zarten Silberglanz eingebüßt hat. Otto Edelmann war erst im dritten Akt in der berühmt gewordenen Salzburger Verfassung. Fritz Wunderlich wurde diesmal mit den Schwierigkeiten der Sängerarie nur mühsam fertig und Gerhard Stolze als Valzacchi legte zuviel Wert auf deutliche Deklamation. Hilde Rössel-Majdan und Karl Friedrich boten die gewohnten Leistungen. Das große Plus des Abends: Josef Krips!
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 17. Juni
Was der sogenannte Opernsnob sich in Wunschträumen erhoffte – nämlich das unvergeßliche Bayreuther Holländer-Team Rysanek-London auch einmal in Wien zu hören, sollte in Erfüllung gehen. Ursprünglich nicht vorgesehen, dann doch noch realisiert, sollte es Wirklichkeit werden. Mit hochgespannten Erwartungen betrat nun obgenannter Snob das Haus am Ring und wartete in höchster Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Sie kamen auch, aber anders als vorausgesehen. Der erste Takt des Holländervorspiels - und der obligate Hornschmiß, der sichtlich und hörbar Unruhe in die Zuhörerschaft brachte. Doch das war noch nicht alles. Denn was sich im Vorspiel und während des ersten Aktes im Orchester abspielte, ist einfach unbeschreiblich. Daß unser Blech manchmal keinen guten Abend hat – na ja, das nehmen wir fast schon hin und resignieren, daß aber auch alle anderen Instrumentengruppen davon angesteckt wurden, das ist uns neu gewesen. Es war schon wie ein Wunder, daß es letztlich doch noch möglich war, die einzelnen Musiker dazu zu bewegen, wenigstens gleichzeitig aufzuhören. Wohlwollend sei vermerkt, daß im zweiten und dritten Akt eine Besserung eintrat, die jedoch das Vorangegangene nicht mehr vergessen machte. Für die Unfälle im Orchester Lovro von Matacic verantwortlich zu machen, wäre ungerecht. Daß sich die Aufführung dennoch nur wie auf bleiernen Füßen fortbewegte, mag an der Abendverfassung des Dirigenten gelegen sein. George London als Holländer konnte nicht restlos überzeugen. Bestechend schön nach wie vor das Timbre seiner Stimme, ebenso bewundernswert die Gesangslinie. Es war jedoch nicht zu überhören, daß seiner Stimme Grenzen gesetzt sind. So vor allem im Finale des ersten Aktes, wo er stellenweise unhörbar blieb. Von der in Bayreuth erlebten Ausdruckskraft sowohl in der Stimme, wie in der Darstellung – die sich im übrigen diesmal auf sehr konventionelle Gesten beschränkte – war fast nichts zu merken. Seine Senta war Leonie Rysanek, prächtig bei Stimme, wenn man sich auch manchmal fragen muß, warum sie derart forciert. Doch soll dieser Einwand die Leistung der Künstlerin nicht schmälern, der es zu danken ist, daß wenigstens ab dem zweiten Akt Spannung und Lebendigkeit zu spüren war. In der Darstellung ist sie weniger das verträumte Kind, das – aus dem Traum erwacht – neuerlich in einen Wachtraum verfällt. Sie ist schon wissend, geplagt von der Angst, vielleicht schon zu sehr neurotisch, was insbesondere die Szenen mit Erik betraf. Verständlich und erregend die Spannung im Zusammenspiel mit dem Holländer. Die abgerundetste Leistung des Abends bot jedoch Wolfgang Windgassen als Erik. Stimmlich in bester Disposition wußte er dem Naturburschen sowohl im Gesang, wie in der Darstellung alle Nuancen abzugewinnen. Laut und bieder der Daland von Walter Kreppel. Anscheinend von einer kleinen Indisposition geplagt der Steuermann von Anton Dermota. In der kurzen Szene persönlichkeitsstark und eindrucksvoll Elisabeth Höngen als Mary. Sehr gut auch die Chöre. Resümee: Ein Abend, der trotz großer Namen nicht das halten konnte, was er versprach.
TURANDOT am 18. Juni
Eine Turandot mit dem Dreigespann Corelli-Nilsson-Price wäre der schlechthin unüberbietbare Höhepunkt des italienischen Teils der heurigen Festwochen geworden. Die Absage Corellis machte den Plan zunichte und bescherte zugleich dem sehr jungen, sehr gut aussehenden und auf den ersten Blick sympathischen italienischen Nachwuchstenor Bruno Prevedi sein erstes Wiener Auftreten, das er ohne Furcht und trotz kleiner Einschränkungen erfolgreich überstand. Die Stimme besitzt Kraft in der Mittellage und Höhe, ein weiches, angenehmes aber dabei doch männliches Timbre, ist biegsam und wäre beispielsweise für den Cavaradossi ideal geeignet. Als Kalaf fehlte ihm aber noch eine ausgefeiltere Technik (mit Material allein ist dieser mörderischen Partie nicht beizukommen) und die richtige Kräfteeinteilung (er wurde im zweiten Teil leiser). Da er noch so jung ist, gerade erst seit zwei Jahren auf der Bühne steht, fragt man sich wieder einmal erstaunt und verärgert: warum dieser falsche Ehrgeiz? Hier scheint ein listiger Manager mehr auf die vierstellige Abendgage als auf die natürliche Entwicklung einer schönen Stimme erpicht zu sein. Im Spiel beschränkte sich Prevedi, dem aus London und Italien ein ausgezeichneter Ruf vorauseilte, auf die üblichen Gesten an der Bühnenrampe (was er aber gekonnt und mit Einsatz machte), die bei einem probenlosen Debütanten kein Maßstab für die schauspielerische Begabung sein müssen. Birgit Nilsson mit ihrem metallischen Heroinensopran ist eine Turandot, die heute schlechthin unüberbietbar ist. Auch in der Darstellung hat sie die eiskalte Prinzessin von China jetzt völlig erarbeitet. Bei Frau Nilsson ergeht es dem Hörer ähnlich, wie bei Ghiaurov: Wenn diese Sängerin richtig loslegt, glaubt man, die anderen Sänger hätten ihre Stimme verloren, eine akustische Täuschung, die aber in diesem Fall entschuldbar ist. Leontyne Price ist fast schon ein wenig zu dramatisch als Liu. Stimmlich bot sie herrliche Momente echter menschlicher Demut und Liebe, dazu eine Innigkeit im Gesang, die jeder Nuancierung fähig ist. In den Nebenrollen Nicola Zaccaria, Peter Klein und ein ausgezeichnetes Ministerterzett (Murray Dickie, Ermanno Lorenzi und Kostas Paskalis). Die schwarzen Schafe des Abends saßen im Orchester. Sogar ein so versierter und großartiger Dirigent wie Francesco Molinari-Pradelli mußte wie ein Löwe um mehr Klangreichtum und präzise Einsätze kämpfen. Das gleichzeitig stattgefundene Prager-Konzert der Wiener Philharmoniker als Entschuldigungsgrund anzuführen, ist eine nicht akzeptable Ausrede. Wenn nicht ein gewisses Niveau des Staatsopernorchesters auch unter erschwerten Bedingungen gehalten und garantiert werden kann – noch dazu bei einem ansonsten festlichen Abend – dann müssen die Philharmoniker ihre Konzerttätigkeit eben einschränken, oder ihre Vorstände auf Mittel und Wege sinnen, dem Dilemma zu entgehen.
FIDELIO am 19. Juni
Die Neuinszenierung von Beethovens Oper ist ein großer Wurf. Das kann man nach jeder (der leider nur sehr spärlich angesetzten) Aufführungen erneut feststellen und man darf sich von dem Team Karajan-Schneider Siemssen noch viele gelungene Arbeiten (Frau ohne Schatten, hoffentlich auch Lohengrin und Holländer) erwarten. Auf der Bühne dominierten Christa Ludwig (Leonore) und Walter Berry (Pizarro). Sie als schlanker, schauspielerisch überzeugender Fidelio mit guter Prosa, er als bühnenbeherrschender Gouverneur von eisiger Kaltblütigkeit. Gundula Janowitz sang eine gute Marzelline. Hoffentlich wird man ihr bald auch Evchen, Komponist, Donna Anna und andere Partien geben. Walter Kreppel (Rocco), Eberhard Wächter (Minister) und Waldemar Kmentt (Jacquino) waren auch diesmal wieder gut eingesetzt. Zu ihnen stieß als neuer Florestan, nach dem Kanadier Vickers und dem Italiener Zampieri, nun der Bulgare Dimiter Usunow. Er hatte sich auf dieses Debüt gut vorbereitet und schien doch von einer argen Nervosität befangen, die sich erst allmählich legte. Die Arie hinterließ noch einen recht zwiespältigen Eindruck, doch sang der Künstler dann ein sehr schönes Duett mit Frau Ludwig. Die Prosa muß unbedingt noch verbessert werden. Hier wäre eine schnelleres Sprechen unbedingt von Vorteil. Der Chor hinterließ einen guten Eindruck. Der erste Gefangene fiel durch falschen Einsatz auf. Am Pult stand Herbert von Karajan und verlieh der Aufführung hohes Niveau. Allerdings müssen wir sachlich feststellen, daß wir schon bessere Fidelio-Interpretationen von ihm gehört haben. Vielleicht war auch der fast pausenlose Einsatz des Chefs in den letzten Tagen daran Schuld, in denen nicht nur der Nibelungenring aufgeführt, sondern auch Don Giovanni vorbereitet werden mußte, und schließlich waren unsere Philharmoniker mit Karajan noch am Abend zuvor beim Prager Musikfrühling tätig. Das Orchester bemühte sich sehr und spielte eine stürmisch bejubelte Dritte Leonoren-Ouvertüre.
TURANDOT am 20. Juni
Auch die zweite Aufführung des Pucciniwerkes brachte einen Triumph für die unvergleichliche Turandot Birgit Nilssons, die sich in dieser Partie, man hält es kaum für möglich, noch immer verbessert und heute auch herrliche Piani zu singen vermag. Neben ihr zu bestehen ist für jeden Tenor eine schwere Aufgabe, und der junge Bruno Prevedi wußte sie dank einer guten gesanglichen Leistung zu bewältigen. In der Art seines Singens und Auftretens erinnert er an Corelli ohne freilich dessen mitreißende Art in der Gesamtleistung zu haben. Das von Tenören so gerne eingelegte C in der Rätselszene sang er abermals nicht. Leontyne Price war wieder die rührende Liu mit dramatisch gefärbter Stimme. Alle übrigen Mitwirkenden hielten gutes Niveau. Francesco Molinari-Pradelli, der herrliche Musiker hatte diesmal eine bessere Orchesterbesetzung als zwei Tage zuvor und wußte die Farbpalette der Puccini-Musik voll zur Geltung zu bringen, wenngleich er etwas zu lautstark ist.
MARGARETHE am 21. Juni
Wahrscheinlich wird sich George London sein Comeback an die Wiener Oper nach den vorsichtig geäußerten Prognosen des letzten Jahres etwas anders vorgestellt haben. Zudem haben Siepi und Ghiaurov in der Partie des Mephisto Maßstäbe errichtet, die nur schwer zu überbieten sind. Eine Änderung der Rollengestaltung kam wegen der knappen Vorbereitungszeit nicht mehr in Frage. Londons Mephisto litt an Unbeweglichkeit (sozusagen darstellerisch das Gegenteil vom wild herumhüpfenden Teuferl des Herrn Uhde), war zu wenig wendig und darum als überlegener Drahtzieher im Hintergrund des Geschehens nicht ganz glaubwürdig. Als Persönlichkeit strahlte er Kraft und Bestimmtheit aus, ließ sich aber dann in der Kirchenszene mit den späteren Bildern zu stark in die statische Ruhe seines Bayreuther Holländers drängen. Dieser Mephisto drohte schließlich an seiner eigenen Monumentalität zu ersticken. Londons markante, düstere Baßbaritonstimme erklang auch nur zu Beginn in ihrer ganzen männlichen Kraft, verlor aber dann an Volumen. Nicolai Geddas größtes Plus als Faust liegt im musikalischen Vortrag, genauer gesagt in seiner phänomenalen Technik, mit deren Hilfe er sämtliche Schwierigkeiten (einschließlich des hohen C) mühelos und so wunderbar leicht bewältigt. In jeder Phrase ist er Herr über seine außergewöhnliche Stimme. Als sei es die einfachste Sache von der Welt produziert er die exponierten Spitzentöne mit denen er sozusagen spazieren geht. Einfach atemberaubend! Für Gedda existieren derzeit weder im Brust- noch im Kopfregister irgendwelche Schwierigkeiten. Man sollte diesen herrlichen Sänger stärker ans Institut binden, wo er ein reiches Betätigungsfeld vom Tamino, Ottavio bis zum Flamand und Bacchus fände! Wilma Lipp verzeichnete einen guten Abend und gestaltete die Margarethe mit viel Empfindung. Auch stimmlich wies sie in den dramatischen Momenten gute Verfassung auf. Thomas Stewart wartete mit einem wesentlich verbesserten Valentin auf. Sein Bühnentod vor allem war endlich keine Karikatur mehr. Der von Natur aus nicht gerade schöne Bariton klang sauber und besaß dramatischen Ausdruck. Elisabeth Höngen ist als Marthe die Kupplerin. Wie sie die Fäden spinnt, ist umwerfend! Laurence Dutoit (mäßig) und Ludwig Welter (gut ) beteiligten sich mit unterschiedlichem Erfolg am Bühnengeschehen. Georges Pretre waltete temperamentvoll seines Amtes, wobei ihm die Arbeit wieder einmal durch ein fast vollzählig angetretenes Substitutenorchester erschwert wurde.
DON GIOVANNI Premiere am 22. Juni
Mehr und mehr verschwinden die Reste der „Austrian Coronation“. Die scheußliche Inszenierung dieser Epoche ist nicht mehr, sie wurde durch die Salzburger Festspielinszenierung der Jahre 1960 und 1961 abgelöst und niemand, ausgenommen der damalige Dirigent, der ja auch jetzt gerne zum dritten Mal Operndirektor geworden wäre, wird dies bedauern. So wurde die Inszenierung von Oskar Fritz Schuh in den Bühnenbildern von Theo Otto ins Haus am Ring übersiedelt. Wie dies bei Übersiedlungen zumeist der Fall ist, lief nicht alles reibungslos ab. Die Bühne der Wiener Staatsoper ist breiter und tiefer als die des alten Salzburger Festspielhauses, und daher blieb der optische Eindruck nicht der gleiche. Viele Szenen verloren ihre Intimität. So wirkte die Elvira-Arie vor dem Goldgitter deplaciert und die Straßen und Plätze auf denen Giovanni und Leporello ihren Liebesabenteuern nachgehen, sind viel zu offen und groß. Auch die Ausstopfung des Ballsaales mit im Hintergrund sich tummelnden Masken war nicht glücklich und gar erst die Schlußszene, die man doch bestimmt eindrucksvoller hätte lösen können. Zuerst speist Giovanni vor einem Gobelin, der beim Erscheinen des steinernen Gastes auf den Schnürboden gezogen wird. Doch steht dann nicht der Komtur selbst vor dem Frevler, sondern ist – auf Gaze aufgenäht – als riesiges schwarzes Kapuzenungeheuer zu erkennen, während die Stimme durch den Lautsprecher übertragen wird. Als Giovanni schließlich in jener Versenkung versinkt, die, mit Leuchtfarben markiert, bereits Stunden vorher während der meisten Szenen der Aufführung zu sehen ist, fällt auch der Komtur in sich zusammen. Es liegt dann ein Stoffbündel auf dem Bühnenboden, und im Hintergrund wird der aufgestellte Scheinwerfer sichtbar. Eine sehr primitive Lösung. Zum Schlußsextett wird dann besagter Gobelin wieder heruntergelassen. Allerdings müssen wir zugeben, daß die Inszenierung vom Parkett aus sicherlich besser gewirkt hat. Die Personenführung war zufrieden stellend. Man vermerkt aber, daß beispielsweise Frau Price während der ersten Arie unentwegt mit den Händen agiert, und daß auch beim Giovanni einiges hätte korrigiert werden müssen. Was soll das unmotivierte Lachen im ersten Akt-Finale? Wächter wurde hier um seine Wirkung gebracht. So war es der szenische Teil, der bei vielen Opernbesuchern, vor allem bei denjenigen, die die Salzburger Fassung nicht kannten, zwiespältig aufgenommen wurde. Im Vergleich zur vorigen Inszenierung ist die jetzige aber dennoch schön, wozu auch die Kostümpracht (Erwin W. Zimmer) beitrug. Wenden wir uns der musikalischen Wiedergabe des Werkes zu. Herbert von Karajan dirigierte einen straffen, dramatischen Mozart. Ihm ging es darum, so schien uns, Don Giovanni als rastlos stürmenden Dränger zu zeigen, der nicht aus Verspieltheit zum anderen Geschlecht Abenteuer auf Abenteuer erlebte, sondern vielmehr aus innerer Unruhe seinem vom Schicksal vorgezeichneten Weg nicht entrinnen kann. Karajan begleitete die Sänger äußerst liebevoll, schuf mit ihrer Hilfe musikalische Kostbarkeiten, die einem unvergeßlich bleiben werden und die man, wie zum Beispiel des Duett Giovanni-Zerlina oder das Maskenterzett, nie vorher gehört hatte. War man in der Pause noch voll Begeisterung, so trat darauf dennoch eine kleine Enttäuschung ein. Die Spannung des ersten Aktes konnte nicht mehr gehalten oder übertroffen werden. Vielleicht liegt es auch an der Struktur der Oper, denn drei lyrische Arien ziemlich nacheinander sind fast zuviel des Guten. Andererseits war nicht zu überhören, daß Eberhard Wächter in der Titelpartie nicht mehr die Spannkraft für den zweiten Akt aufbrachte. Zwar entsprach er voll den Intentionen des Karajan’schen Konzepts. Er brachte die Jugend, den Übermut und auch die helle Stimme mit. Aber zu oft hatte man das Gefühl, daß Wächter den Giovanni spielt und nicht erlebt. Der riesengroße Schatten Siepis verdunkelte Wächters Bestrebungen, persönlichkeitsstark zu wirken. Dies bezieht sich nicht auf die vollständig andere Darstellung Wächters, sondern vor allem auf die mühelos belcanteske Art des Singens Siepis, mit der Wächter derzeit nicht Schritt halten kann. Wir möchten zum Vergleich nur das Finale des ersten Aktes und das Ständchen in Erinnerung rufen, welch Unterschied! Befremdend wirkte sein oft forciertes Lachen. Die größte Leistung des Premierenabends bot unserer Meinung nach Walter Berry, der den Leporello mit einem gewissen schleimigen Untergrund hervorragend sang und äußerst klug und fern jedem Klamauk spielte und umso größere Wirkung erzielte. Er war der herrlich charakterisierte Diener, der neidisch auf seinen Herrn und dessen ungezählte Liebesabenteuer aufblickt. So gerne wäre er an seiner Stelle gewesen! Leontyne Price (Donna Anna) sang die schwierigste aller Mozart-Partien technisch perfekt und mit großem Gefühl. Wie sehr entnimmt man ihrem Vortrag die Stimme des Herzens und des Impulses. Neu war die Elvira von Hilde Güden, die eine ansprechende Leistung bot. Die erste Arie gelang ihr weitaus besser als die zweite, in der sie nervös schien. Interessant ist ihre darstellerische Zurückhaltung. Ihre Elvira ist kein Racheengel, auch stimmlich nicht, sondern die leidende Frau, die ohne nachzudenken den Spuren ihres einstigen Mannes folgt, möge er sie auch noch so erniedrigen. Graziella Sciutti verlieh der Zerlina all ihren persönlichen Charme, wodurch die Partie allerliebst anmutete und sang ebenso. Fritz Wunderlich war der neue Ottavio. Er sang die Partie dankenswerterweise männlich, verzichtete auf Massenproduktion von Kopftönen und ließ die Stimme frei strömen, sang offen und mit verblüffender Technik. Seine zweite Arie war zweifellos der Höhepunkt des zweiten Aktes, der auch Maestro Karajan seinen Beifall zollte. Nicht zu vergessen ist Rolando Panerai, der als Masetto prächtig sang und sich nicht scheute, die Figur in ihrer ganzen Beschränktheit darzustellen. Daß er dies mit Charme tat, ist bei ihm eine Selbstverständlichkeit. Walter Kreppel als Komtur ergänzte das Ensemble, mehr leider nicht. Der Abend löste große Begeisterung aus. Allerdings nicht einhellig, denn gerade der Don Giovanni wird stets ein Werk sein, bei dem sich die Geister scheiden.
TRISTAN UND ISOLDE am 23. Juni
Mit dieser Aufführung verabschiedete sich Herbert von Karajan nach vollem Einsatz während der Festwochen für die heurige Saison von Wien und bot wieder eine Interpretation, die zum Erlebnis wurde. Seine musikalische Ausdeutung der Tristan-Partitur ist ein Rausch des Wohlklanges, den unser Meisterorchester, das (wie immer bei Karajan) in erster Besetzung antrat, bis auf einige kleine Schönheitsfehler (Holzbläserschmiß im Vorspiel, Bühnenmusik zu Beginn des zweiten Aufzugs) zu realisieren wußte. Welch unerhört transparentes Musizieren, das trotzdem die großen Bögen bewahrt! Schade, daß solche Feste stets viel zu selten bleiben. Auf der Bühne stand ein Wagner-Ensemble der großen Namen: Birgit Nilsson war (mit neuer vorteilhafter Perücke) die mitreißende Isolde, die besonders im ersten Akt grandios war und mühelos ihre Spitzentöne ins Auditorium schleuderte. Darstellerisch wirkt Frau Nilsson nun weicher und fraulicher und gewinnt dadurch gewaltig. Hans Beirer schien diesmal nicht so gut disponiert, wie in der vorhergegangenen Tristan-Aufführung, doch war er bemüht, sich der Karajan’schen Auffassung anzupassen, was für ihn sichtlich nicht leicht ist, denn Beirers schweres Heldentenormaterial läßt sich nur schwer zurückhalten und erst im letzten Akt hat er dann Gelegenheit, alles zu geben. Es mag auch daran gelegen sein, daß Beirer zwischen der Tannhäuser-Premiere in Paris am Freitag und der Wiederholung am Montag, seiner Wiener Verpflichtung nachkommen mußte und daher nicht ausgeruht wirken konnte. Hilde Rössel-Majdan sang die Brangäne gut, mehr ist über sie beim besten Willen nicht zu sagen. Leider gibt es gegenwärtig kaum eine wirklich überragende Brangäne auf europäischen Bühnen. Otto Wiener übertraf sich diesmal selbst. Die Partie des Kurwenal liegt dem Sänger besonders. Diesmal kam zu seiner kraftvollen Stimme und seinem klugen Spiel noch eine hervorragende Disposition, sodaß wir von einer Idealbesetzung sprechen dürfen. Hans Hotter war der hünenhafte, ergreifende König Marke, der seinen Monolog wie kein anderer mit größter Eindringlichkeit zu gestalten wußte. Ausgezeichnet Murray Dickie als Hirt, Anton Dermota gut als Seemann und Hans Braun passabel als Melot. Der Jubel des ausverkauften Hauses war groß und steigerte sich bei Karajans Erscheinen zu tosenden Ovationen. Möge der Opernchef doch endlich die Zahl seiner Abende in Wien vergrößern und uns auch jene Werke, die wir so gern von ihm hören würden, in die Reihe seiner Vorstellungen aufnehmen.
AIDA am 24. Juni
George London beendete mit dem Amonasro sein Wiener Gastspiel und bot an diesem letzten Abend seine beste Leistung. In seiner eher statuarischen Haltung war dieser Amonasro ganz König, und doch spürte man hinter seiner Ruhe immer die mühsam zurückgehaltene Wildheit des Naturmenschen. Diesem optischen Eindruck entsprach der akustische. Liebhaber der – auch in dieser Verdi-Partie reichlich enthaltenen – Belcantophrasen werden nicht auf ihre Rechnung gekommen sein. Londons Amonasro verströmte auch stimmlich männlich gebändigte Kraft und Autorität. Im ganzen zeigte er eine geschlossene und überzeugende Interpretation. Leonie Rysaneks impulsive Aida bildete zu diesem Bühnenvater einen reizvollen Kontrast. Sie sang nicht nur temperamentvoll, sondern auch schön und kultiviert. Störend wirkte leider ihre diesmal besonders starke Intonationsunsicherheit. James McCracken sang seinen ersten Wiener Radames. Mit großem Energieaufwand konnte er an den dramatischen Stellen, besonders im Triumphakt, starke Wirkung erzielen. An den lyrischen blieb wie bei vielen seiner Kollegen mancher Wunsch offen. Auch fiel es auf, daß die natürliche Schönheit seiner Stimme in tieferen Partien weit besser zur Geltung kommt. Diesmal blieben ihm die Töne allzu oft im Hals stecken. Einen fast ungetrübten Genuß bereitete wieder einmal Giulietta Simionato als Amneris. Walter Kreppel als Ramphis dagegen bewies Meisterschaft im Distonieren. Der König von Ludwig Welter hatte arge Schwierigkeiten in der Höhe. Ein wahres Aida-Fest bereitete Francesco Molinari-Pradelli am Pult. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzusehen, wie er mit Temperament, Gefühl und stets wacher Aufmerksamkeit im Triumphakt die Klangmassen auftürmt oder die Spährenklänge des Todesduettes hinhaucht. Echter Verdi-Geist war trotz zum Teil guter Leistungen nur bei ihm und bei der Simionato gegenwärtig.
DON GIOVANNI am 25. Juni
Diese Reprise brachte nur eine Änderung: Josef Krips übernahm die musikalische Leitung für den beim Holland-Festival wirkenden Karajan. Wie nicht anders zu erwarten, kam das Publikum auch bei dieser zweiten Aufführung voll auf seine Rechnung. Krips, durch seine unsentimentale, korrekte Interpretation für Mozart-Opern besonders gut geeignet, dirigierte seinen uns bereits von früher her bekannten Don Giovanni, der durch einige kleine Unebenheiten, offenbar durch die gegenüber der Premiere etwas anderen Tempi (Arien, Duett, Terzett z. B. etwas schneller) hervorgerufen, nichts an Wirkung einbüßte. Die Sänger traten in Premierenbesetzung, einige aber etwas abweichend von ihrer Premierenform an. Uneingeschränktes Lob gebührt dem herrlichen Zwiegespann Graziella Sciutti als fraulich-listige Zerlina und Rolando Panerai als ungelenkem Bauernburschen. Leontyne Price befand sich wieder in Superform und schlug die Zuhörer durch ihre dramatisch gefärbte Donna Anna – dazu im Spiel vorteilhaft gemäßigt – in Bann. Auch Fritz Wunderlich wiederholte seine Premierenleistung, ja überbot diese sogar noch in der zweiten Arie. Eine Wohltat, endlich einmal einen weniger langweiligen Liebhaber zu erleben (mehr kann ohne Übertreibung nicht aus der Partie geholt werden). Walter Berry kämpfte leider streckenweise mit einer leichten Indisposition. Hilde Güden, die auch bei ihrer zweiten Donna Elvira die dramatischen Teile der Partie noch mit etwas Druck auf die Stimmbänder singen mußte, im Spiel wieder zurückhaltend und dezent, ist in der Kultiviertheit des Vortrags und in der blendenden Bühnenerscheinung nur schwer zu schlagen. Walter Kreppel durfte ohne Megaphonverstärkung singen, war aber zu weit im Hintergrund postiert, sodaß er sein Riesenorgan in voller Lautstärke erschallen ließ. Das Resultat war nicht sehr erhebend! Eberhard Wächter war der jugendlich stürmische Don Giovanni, im Spiel etwas weniger konzentriert als bei der Premiere. Die lässigen Handbewegungen z.B. mit der er sich im Finale 1. Akt von seinen Gegnern verabschiedete, war zweifellos elegant und vornehm gemeint, sah aber mehr nach einer Einladung zu einem kleinen Pokerspiel hinter den Kulissen aus. Lässige Übertreibungen allein werden seine Wirkung als Don Giovanni nicht verbessern helfen. Bevor man diese Richtung in der Darstellung überhaupt einschlagen darf, muß eine Rolle einmalig gut sitzen, souverän aus dem Handgelenk geschüttelt werden. Vor Übertreibung d.h. Überspringen dieser Phase sei gewarnt. Eberhard Wächter ist – auf seine Art – als Giovanni viel zu gut, um sich durch solche Unüberlegtheiten selbst Grenzen zu setzen.
LA BOHEME am 26. Juni
Ein höchst anregender und zuweilen aufregender Abend, was nicht zuletzt der praktisch nicht mehr vorhandenen Regie zuzuschreiben war. Die Akteure tollten in Superlaune über die Bühne, der Chor fand größten Gefallen an der allgemeinen Verwirrung. Kein Wunder, wenn jeder sein eigener Abendregisseur sein darf! Daß die Aufführung musikalisch nicht auseinander fiel, war einzig und allein das Verdienst Francesco Molinari-Pradellis, der wie stets mit Temperament die Klangfluten steuerte. Allerdings auf Kosten der lyrischen Feinheiten des Werkes, die zugunsten einer packenden Interpretation zurückgestellt wurden. Das Künstlerquartett besaß nach längerer Zeit endlich wieder einheitliches Format. Ettore Bastianini sprang wie ein Preisturner über Tische und Bänke, kroch beim Eintritt des Hausherrn blitzschnell unter den Poetentisch und war auch beim Tanzvergnügen ein wackerer Anführer. Stimmlich war er erfolgreich um eine schöne Gesangslinie bemüht. Im Quartier Latin hatte er allerdings mehr Augen für seine hübsche Partnerin Anneliese Rothenberger als für die Einsätze des Dirigenten. Endlich erhielt durch die Besetzung mit Geraint Evans auch die Partie des Schaunard Gewicht. Walter Berry erntete mit einer effektvoll gesungenen Mantelarie viel Beifall. Als Poet vom Dienst präsentierte sich Giuseppe Zampieri in guter stimmlicher Verfassung. Allerdings hätte er beinahe noch das Stichwort zum Schlußschmerz verpaßt. Das Saisonende macht sich doch schon stark bemerkbar! Wilma Lipp als Mimi hatte einen guten Abend.
DER ROSENKAVALIER am 27. Juni
Josef Krips wiederholte seinen großen Rosenkavalier-Erfolg. Man freut sich aufrichtig, daß der Dirigent wieder nach Wien zurückgefunden hat. Die Marschallin war wieder mit Hilde Zadek besetzt, die die Partie in gewohnter Weise sang. Die grandioseste Leistung war der Oktavian von Christa Ludwig, über deren gesangliche Leistung man wohl keine weiteren Worte zu verlieren braucht. Sie ist derzeit wohl einer der größten Sterne der Wiener Staatsoper, eine Künstlerin, um die uns die Welt beneiden kann. Die übrige Besetzung war zufrieden stellend: Otto Edelmann als Ochs und Anneliese Rothenberger als Sophie. Ein Abend, der dank des Dirigenten hohes Niveau hatte.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 28. Juni
Diese Aufführung trug schon deutlich Züge des nahen Saisonschlusses: die Konzentration von Chor, Orchester und Solisten ließ zu wünschen übrig, und auch Francesco Molinari-Pradelli warf sich nicht mehr mit der gleichen Intensität wie an den Vorabenden ins Geschehen. Zudem bleibt in letzter Zeit beim Hörer stets ein bitterer Nachgeschmack in Anbetracht der Orchesterleistungen zurück. Die Bläser hatten wieder größte Mühe, wenigstens die ärgsten Fehler zu kaschieren. Da zudem an den Streicherpulten die schon obligaten Substituten saßen, konnte bei der probenlosen Aufführung vom blühenden Orchesterklang leider nur geträumt werden. James McCracken ist mittlerweile bald an einem Punkt angelangt, an dem die Vorteile seines baritonal gefärbten metallischen Organs von den Nachteilen überwuchert werden. Es ist ein Jammer mitansehen zu müssen, wie der Tenor von mal zu mal mehr um die physische Bewältigung der Partie zu ringen hat, so daß von einer echten schauspielerischen Leistung bald kaum noch die Rede sein kann. Zudem verengte sich die Stimme in der Höhe, klang verschwommen und unsauber. Wenn McCracken diesen Übelständen nicht in allernächster Zeit abhelfen wird, dürfte die Quittung nicht lange auf sich warten lassen. Der für den absagenden Bastianini einspringende Kostas Paskalis legte ebenfalls das Schwergewicht auf Lautstärke, nicht gerade zum Vorteil des Werkes. Giulietta Simionato war als Preziosilla wie stets hinreißend. Gerda Scheyrer sang eine ausgezeichnete Leonora. Schade, daß sie über so wenig persönliche Ausstrahlung verfügt. Walter Kreppel blieb als Pater Guardian wohltuend zurückhaltend, während Karl Dönch den Fra Melitone neuerlich geradezu karikierte und dadurch den Charakter der ganzen Oper verzerrte. Um ein Haar wäre er bei seiner zwischen Gesang und Dialog schwankenden Predigt samt Weinfaß in die Menge gefallen. Alles in allem: die künstlerische Ausbeute des Abends blieb gering!
BALLETTABEND am 29. Juni
DON PASQUALE am 29. Juni im Theater an der Wien
Knapp vor Saisonschluß gab es noch eine ganz exquisit besetzte Aufführung von Donizettis Oper im kleinen Haus in der Wienzeile. Fernando Corena war stimmlich prächtig. Im Spiel beherrscht er alle Register der Buffonerie, ohne in billige Effekte abzugleiten. Sein Pasquale: ein alter Genießer, der sich selbst noch „ben molto conservato“ findet und mit dem man, wenn er die Folgen seiner Heirat erkennt, richtig Mitleid bekommt. Wir hoffen, daß nach diesem Bombenerfolg des Künstlers eine noch engere Bindung an unser Institut erfolgt. Rolando Panerais Malatesta anfangs stimmlich etwas belegt, aber im Verlauf der Vorstellung sich frei singend, ist eine köstliche Studie. Ob er jetzt Pasquale die Vorzüge der Braut in den blühendsten Farben malt oder ob er mit Norina die Details des Ränkespiels berät, er ist immer ganz im Spiel. Keine Pointe fällt unter den Tisch, aber nie gerät er in unangenehmes Blödeln. Graziella Sciuttis Norina ist wirklich zum Anbeißen, glockenhell in der Stimme, reizend zum Anschauen, selbst in der Zerstörungsszene noch charmant. Ermanno Lorenzi ist zwar nicht der Idealfall eines Ernesto, aber er bemüht sich ehrlich und seine Stimme gehorcht technisch sicher, wenn sie auch nicht gerade edlen Schmelz besitzt. Giuseppe Patané führte Orchester und Bühne sicher. Die kleine Chorbesetzung sang schön (war aber im Einsatz zweimal unsicher!). Das Tambourin bei Ernestos Ständchen klopfte den Rhythmus allerdings reichlich frei. Die Regietabulatur hat sich bereits etwas gelegt, sehr zu Gunsten des Werkes. Nur die ‚Raumpflegerin’ könnte noch ein wenig dezenter sein, aber sie hat ja wirklich alle Lacher auf ihrer Seite. Das Haus tobte vor Begeisterung. Wahrscheinlich gab es seit der Wiedereröffnung des Theaters noch nie eine derartige Stimmung, wie an diesem Abend. Nun müßte sich die Operndirektion nur noch den Kopf zerbrechen, wie man diese guten Aufführungen auch während des Jahres vor vollem Haus abwickeln kann.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 30. Juni
Am letzten Tag der Saison 1962/63 herrschte im Orchester bereits Urlaubsstimmung. Man kannte kaum die Musiker, die sich hier zu Beginn der Aufführung ein Stelldichein gaben, um die letzte Aufführung in Szene zu setzen. Es klang (man verzeihe die Ausdrucksweise) schauerlich. Giuseppe Patané am Pult konnte auch keine Wunder wirken, doch hätte ein wenig Nachgiebigkeit den Solisten gegenüber nicht geschadet.
Bei CAVALLERIA RUSTICANA war Giulietta Simionato als Santuzza der Hauptanziehungspunkt der Aufführung. Sie sorgte denn auch für ein volles Haus. Nach einer gewissen Anlaufzeit war sie eben La Simionato, die derzeit wohl in dieser Partie unüberbietbar ist. Walter Berry als Alfio und Giuseppe Zampieri als Turiddu waren gute, wenn auch nicht gleichwertige Partner. Lotte Rysanek hatte einen schwächeren Abend. Der Chor befand sich ebenfalls bereits in Sommerstimmung. In der Pause nach der Cavalleria setzte bereits eine starke Abwanderung der Besucher ein:
Der Bajazzo war auch wirklich nicht erhebend. Die beste Leistung bot James McCracken, der diesmal einen ausgezeichneten Abend hatte, während Kostas Paskalis, der abermals für den absagenden Bastianini als Tonio einspringen mußte, vor allem mit der unbändigen Kraft seines Organs glänzte. Den Silvio, für den Paskalis vorgesehen war, übernahm Siegfried Rudolf Frese, der eine unbeschreibliche Leistung bot. Schwamm drüber! Derlei Besetzungen mögen uns in Zukunft erspart bleiben! Mimi Coertse sang die Nedda, Kurt Equiluz den Beppo. So wurde die Spielzeit nicht gerade aufregend beschlossen. Aber nach den herrlichen Festwochenabenden sind auch alle Mitarbeiter des Merker erschöpft.
DIE SAISON DER VERSÄUMTEN MÖGLICHKEITEN…
Leitartikel, 8. Jahrgang, Heft 7
die allerdings einen positiven Abschluß fand, an den niemand mehr zu glauben wagte, von dem man nicht einmal mehr gerne sprach, weil das endlose Warten und Hoffen, einschließlich Ärger und Enttäuschungen, das Thema gründlich verleidet hatten. Die Wendung verscheuchte schließlich wie ein Knalleffekt die allgemeine Müdigkeit und Resignation: Herbert von Karajan erwählt sich selbst Dr. Egon Hilbert (!) zum Operndirektor. Karajan erhält das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Minister und Künstlerischer Leiter tauschen endgültig Shakehand und „vergessen, begraben sind Zwist, Hader und Streit und was sonst sie entzweit!“ Made in Austria, im Juni anno 1963. Selbst jene Herren unserer Tagespresse, die ansonsten in Bundestheaterverwaltung und Unterrichtsministerium das Gras wachsen hörten, blieben bis zuletzt ahnungslos. Ja einer von ihnen braute eben noch neuen Sud zu einem für die Salzburger Nachrichten bestimmten Hetzartikel, als Karajan zum „So schneidet Siegfrieds Schwert“-Finale ansetzte, wobei gewissentlich nicht nur dieser Journalist, sondern etliche Zwerge verdattert aufs Rückenende fielen. So weit die heitere Seite der Wendung, die wieder einmal bestätigt hat, daß der Humor in Wien eine uneinnehmbare Hochburg bewohnt. Kritisch betrachtet wirft sich die Frage auf: ist die überraschende Lösung eine glückliche? Man kann unserer Redaktion gewiß nicht den Vorwurf machen, daß wir Dr. Hilbert kritiklos gegenüberständen. Wir haben uns nie gescheut, seine Nachteile zu beleuchten und manches gefiel uns wenig. Aber wir führten auch stets an, daß dieser Mann einen großen Vorteil sein Eigen nennt: er ist Idealist. Hilbert ist ein Theaterfanatiker und ein unermüdlicher Arbeiter (wir verweisen auf unsere Nummern 2. Jahrgang Nr. 10 und 3. Jahrgang Nr. 1). Hilbert ist kein Sparer, aber niemals hat er für seinen eigenen Vorteil gearbeitet, das muß ihm bescheinigt werden. Bleibt Dr. Hilbert diesen Eigenschaften nun ebenso treu wie unerschütterlich in seiner Partnerschaft mit Karajan, könnte dieses Arrangement sich segensreich auswirken. In diesem Sinn wünschen wir dem neuen Operndirektor alles Gute und viel Erfolg. Mit Karajan zusammen ist er uns herzlich willkommen. Ohne Karajan oder in einer anderen Allianz wäre die Neuernennung für das Wiener Publikum undenkbar! Dies allen Briefzerschneidern ins Tagebuch! Sosehr Dr. Hilberts Berufung überraschte, war es andererseits in Musikliebhaberkreisen nicht unbekannt geblieben, daß die Königsmacher (in Wien lancieren die großen Bosse bekanntlich nicht Staats- sondern Opernoberhäupter!) bereits wieder einmal ein ganz anderes, wenn auch nicht mehr ganz neues Konzept hatten. Mögen sie ob des Strichs durch die Rechnung nicht allzu ergrimmt sein. Er hat ihnen viel Ärger und Nervenverschleiß erspart, denn Wiens Opernpublikum hat Karajan nicht nur einmal die Treue bewiesen (Irrtum, Herr Fischer-Karwin!), es wird sie jederzeit wieder zu dokumentieren wissen. Diese Stimme ist nun einmal weiter zu hören, als Hetzartikel, Beziehungen, ja selbst Reportagen via Rundfunk reichen. Es wäre gut, wenn dies endlich einmal auch die Unverbesserlichen begriffen! Und weil wir gerade bei diesem Thema sind: Angriffe auf Vorschuß, wie sie in der Sendung „Aus Burg und Oper“ gegen Dr. Egon Hilbert vorgebracht wurden (16. Juni), müßte sich dieser nicht bieten lassen. Seltsam, solange Dr. Hilbert Festwochenintendant war, war er im Rundfunk sehr beliebt, kaum ist er Karajans Mitarbeiter, gefällt denselben Leuten seine Nase nicht mehr! Wie wir überhaupt fragen, wielange noch in einer Sendung der Bundestheater, versteckt und offen, gegen diese gestichelt werden soll? Dr. Hilbert täte gut daran, sich mit dieser Till Eulenspiegelei gleich einmal auseinanderzusetzen. Ebenso mit der Frage des neuen Pressechefs in Sachen Oper. Mag man sich die Zukunftsaussichten noch so rosig ausmalen, so täuschen sie doch nicht darüber hinweg, daß die vergangenen sechzehn Monate lang währenden Machtkämpfe hinter gepolsterten Türen zu Lasten des Hauses am Ring ausgetragen wurden. Und das vermerken wir auch Karajan übel. Sein abwartendes Verhalten mag klug gewesen sein und durch den endlichen Erfolg Bestätigung finden, die Spielzeit 1962/63 hat es nicht gefördert, und auch zwei Monate Opernglanzzeit entschädigen nicht für den langen Leerlauf des übrigen Jahres. Sie sind zu wenig für ein Haus von diesem Rang, und wir hoffen sehr, daß derlei herbe Enttäuschungen uns von nun an erspart bleiben.
Es ist seit den 25 Jahren, während derer wir die Oper besuchen, ein einziges Mal geschehen, daß man „die guten Leut“ aus dem Zuschauerraum weg wieder in Richtung heimischen Herd schickte (Im Theater an der Wien mußte man am 25. 9. 1949 bei einem Tristan kurz vor der Aufführung wegen einer Herzattacke von Anny Konetzni die Vorstellung endgültig absagen), wie dies in der abgelaufenen Saison anläßlich der nicht stattgefundenen Meistersinger passierte. Müßig wäre es, dafür einen Sündenbock zu suchen. Bei uns ist es seit eh und je doch immer „der andere“ gewesen. Und wirklich schuldtragend daran waren letzten Endes auch keine Personen, sondern die ungeordneten Verhältnisse, die herrschten. Überdies wurden nachträglich Stimmen laut, die dazu meinten, daß dieser Versager planmäßig stattgefunden hätte, um Karajan endgültig ein Bein zu stellen. Sollte daran etwas Wahres sein, könnte man nur noch mit des Kaisers berühmten Worten fragen: „Ja derfen’s denn des?“
Als versäumte Möglichkeit erwies sich auch Dr. Schaefers kurze Amtszeit. Die endlos hinausgeschleppte Vertragsunterzeichnung, die nicht endgültig begrenzten Kompetenzen und zuletzt seine plötzliche Erkrankung ließen sein Wirken nicht zur Entfaltung kommen. Wir können nun nichts anderes tun, als Herrn Dr. Schaefer herzlich für seinen guten Willen zu danken und ihm bei seinem Scheiden von unserem Institut alles Gute für seinen weiteren Arbeitsbereich zu wünschen. Weniger dankenswert sind die niederträchtigen, heimlichen Bestrebungen einiger Dunkelmänner, die Wühlmäusen gleich, eifrig wenn auch vergeblich versuchten, das Team Schaefer-Karajan in „Schaefer contra Karajan“ umzufälschen. Es sei diese „edle“ Konspiration hier nur am Rand angeführt, um dem neuen Operndirektor anzudeuten, was alles an Kombinationen sich verschiedene Leute in verschiedenen Situationen einfallen lassen können und könnten! Ferner wurde in der abgelaufenen Saison neuerlich verabsäumt, etwas gegen die Kartenmisere zu unternehmen. Wir haben dieses Problem so oft abgehandelt, daß wir uns hier eine Wiederholung ersparen können, doch ist nach wie vor die berechtigte Forderung offen, daß alle Stehplätze verkauft und weder verschenkt noch verscheuert werden. Dies gilt für alle künstlerisch besonders interessanten und wertvollen Aufführungen und nicht nur für Premieren. Dr. Hilbert wird überhaupt gut daran tun, soviel Kompetenzen wie möglich in seiner Hand zu vereinigen, damit sich auch endlich einmal der lächerliche Streit um Zuständigkeit und Verantwortlichkeit aufhört und fühl- und sichtbar einer für Anordnungen einsteht und geradesteht, für die bisher vier bis sechs sich als „unschuldig“ entschuldigten. Die Kartenpreise der Staatsoper für Parkett-, Parterre- und Logensitze während der Festwochen wurden in den alten Kategorien belassen, obwohl sie ohne weiteres auf das Doppelte hätten erhöht werden können. Hier wird gänzlich unbegründet auf bares Geld verzichtet, das der Wiener Staatsoper für die gebotenen Leistungen rechtlich sehr wohl zusteht. Wenn die per Dollar zahlenden Ausländer für einen Nobelsitz im Haus am Ring nicht einmal annähernd soviel berappen müssen wie in ihrer Heimat oder sogar in der deutschen Provinz, so ist dies keine Geste der Gastfreundschaft, sondern mangelnder kaufmännischer Verstand im Hinblick auf die rarer werdenden Steuergroschen, die der Kultur zur Verfügung stehen. Die Billetts im Theater an der Wien hingegen sind zu teuer. Die Vorstellungen während der Wintermonate sind ausverschenkt (man hat das Gefühl, daß man zugleich mit den Säuglingspaketen auch die Theaterkarten verschenkt!). Während der Festwochen wieder waren die billigen Karten verschwunden wie die bekannte Stecknadel im Heuhaufen. Es ist weiters auch nicht einzusehen, warum für dieses kleine Haus keine Abonnements aufgelegt werden und außerdem Vorstellungen an Gewerkschaftsbund und Theater der Jugend vermietet werden, sodaß die Neuinszenierungen von vornherein einen finanziellen Rückhalt bekämen. Versäumte Möglichkeiten, die dringend einer Abhilfe bedürfen, doppelt dringend darum, weil in Hinsicht auf dies so schwer erkämpfte Haus, das der Umwandlung in eine Großgarage schon beschämend nahe gekommen war, von seiten Staatsoper bereits allzu viel versäumt wurde und es an der Zeit ist, endlich und endgültig zu retten, was noch gerettet werden kann. Der neue Operndirektor, der eine Glanzzeit in diesem Haus nicht nur selbst miterlebte, sondern seinerzeit sich auch dafür voll einsetzte und an ihr, zunächst mit großem Erfolg, mitgearbeitet hatte, wird wohl sicher die Liebe der Opernliebhaber zu diesem Theater teilen und für diese Anliegen besonderes Verständnis haben. Möge er sich dazu auch die geeigneten Maßnahmen einfallen lassen und Initiative sowie Kraft zur Durchführung beweisen. Damit wäre ihm der Dank der Staatsoper gewiß.
In der Pressekonferenz der Staatsoper Wien im Juni 1962 wurde angekündigt, daß ein fixer Vertrag für 20 Substituten im Staatsopernorchester abgeschlossen würde, wodurch diese Musiker eine feste Verpflichtung erhalten, und sozusagen eine fixes und eingespieltes Zusatzorchester darstellen würden. Diese kluge und schöne Idee blieb ein exzellenter Gedanke, zur tatsächlichen segensreichen Auswirkung kam sie bisher nicht. Das Versäumte rächte sich bitter, denn von allen Negativa, die die vergangene Saison aufzuweisen hatte, war keines so niederschmetternd wie die nicht mehr länger zu übersehende Leistungskrise unseres Meisterorchesters. Vom sagenhaften Ruf allein kann auf die Dauer auch der berühmteste Klangkörper der Welt nicht zehren. Derzeit mutet es an, als würden sich die schockierenden Leistungsschwankungen zu einem Formabstieg auswachsen. Die peinlichen Bläserschmisse beginnen bereits grotesk zu wirken, und sogar in den anderen Instrumentengruppen macht sich nun schon schwankende Präzision bemerkbar, durch die nicht mehr nur die Opernfans, sondern bereits das breite Publikum verstört erscheinen, ganz zu schweigen von den Dirigenten. Die Schildbürgerei, daß bei Orchesterproben andere Musiker an den Pulten sitzen, als dann abends bei der tatsächlichen Aufführung, macht die ohnedies spärliche Probenarbeit zur Farce. So geht es eben nicht. Musiker sind nicht gewerkschaftlich organisierte Beamte, sondern Künstler. Sie arbeiten nicht, sondern sie musizieren, und an diese künstlerischen Gesetze haben sie sich auch zu halten, ohne zu riskieren, daß das künstlerische Niveau unter die Räder des sozialen Fortschrittes gerät. Nicht, daß wir nicht wüßten, daß unsere Musiker sich zerfransen, ja daß sie geradezu Raubbau mit ihrer Arbeitskraft betreiben. Unsere Philharmoniker sind mit Schallplattenaufnahmen und Konzertverpflichtungen (besonders während der Wiener Festwochen) dermaßen ausgelastet und überlastet, daß sie auch überfordert und überbeansprucht sein müssen. Dagegen müßte etwas geschehen! Und was ist geschehen? Nichts als daß Karajan sich für seine Vorstellungen die erste Besetzung an den Pulten strikte ausbedingt, und selbst da werden schon hin und wieder Übermüdungserscheinungen hörbar.
Freilich erleben wir hier auch Aufführungen, die musikalisch – vom Orchester her gesehen – so überwältigend sind, daß der Hörer bereit ist, unseren Herrn Professoren alles zu verzeihen und zu konzedieren, weil die Abende, an denen unser Orchester „in Form“ ist, wirklich zum einmaligen Erlebnis werden. Doch wächst sich dies nach und nach zum Parforceritt aus. Andere Dirigenten müssen dafür musikalische Unfälle verdauen, wie ein Boxer Tiefschläge einsteckt, und – obwohl dagegen machtlos – dafür verantwortlich zeichnen. Immerhin steht ja vor dem Namen des Dirigenten am Programm: Musikalische Leitung. Der Schrei nach Abhilfe kommt hier einem SOS-Ruf gleich!
Noch immer standen während der abgelaufenen Spielzeit Inszenierungen ungenützt im „Stall“ (Arabella, Falstaff, Manon Lescaut, Caesar, Onegin u. a.). Die Neuinszenierungen von Fidelio, Tannhäuser, u. a. wurden viel zu wenig ausgenützt. Wochenlang stand außer dem Holländer kein Wagner auf dem Programm. Karajans Dirigierstreik war eine absolut verkehrte und unglückselige Maßnahme. Und noch in nachträglichem, wildem Zorn möchten wir jenen, die ihn dahingehend beraten haben mögen, sagen, sie sollten das Denken den Pferden überlassen! Richard Strauss wurde geradezu mißhandelt und durch unzulängliche Besetzungen und Leistungen am Pult mehr als einmal unter das Niveau deutscher Provinzaufführungen herabgewürdigt. Immerhin hörten wir an mitteldeutschen Bühnen während des vergangenen Jahres hin und wieder Strauss-Aufführungen, die Wien glatt überrundeten, und dies empfinden wir als grimme Schande und Schmach. Unser Protest, den wir diesbezüglich während der ganzen zehnmonatigen Spielzeit in allen Tonarten vorbrachten, blieb ungehört. Und hierbei wäre gleich noch ein offenes Wort an Dr. Hilbert fällig: Der neue Operndirektor war durch seine Tätigkeit als Leiter der Bundestheaterverwaltung in den Jahren 1945 – 1953, schließlich als Leiter des Kulturinstitutes in Rom und letztlich als Intendant der Wiener Festwochen einer verdienstvollen Künstlergeneration innig verbunden, denen auch wir die großen Opernereignisse und Eindrücke unserer Jugend verdanken. Unvergeßlich sind uns allen diese einmaligen künstlerischen Leistungen der Vergangenheit, aber sie gehören eben der Vergangenheit an. Der Künstler selbst, der sich im Abstieg befindet, will dies fast niemals selbst einsehen und begreifen. Sänger, die von selbst aufhören und im Zenit ihrer Karriere abtreten, gibt es heute kaum noch, und so bestellen sie das Publikum, das sie einst vergöttert und umjubelt hat, zum Zeugen der Vergänglichkeit. Ja sie zerstören in ihm selbst die goldene Erinnerung. Wir bitten nachdrücklichst darum, daß hier endlich rechtzeitig Pensionsklauseln in Wirksamkeit treten! Wir hoffen, daß Dr. Egon Hilbert es sich persönlich nicht leicht machen wird, indem er aus künstlerischer Dankbarkeit und Zuneigung Konzessionen einräumt, die nicht gemacht werden dürfen! Härte ist manchmal ein größerer Freundschaftsdienst als mitleidige Zugeständnisse! Die persönliche Fairneß Herbert von Karajans, als menschliche Eigenschaft der vollen Anerkennung wert, hat im Hinblick auf die hauseigenen Ensembleleistungen manches übergangen und übersehen, was nicht übersehen werden kann, zu Frommen des Hauses. Wir hoffen ferner, daß der neue Operndirektor sich den nötigen weltweiten Blick angeeignet hat, um mit Nachdruck zu dokumentieren, daß unser Wiener Ensemble aus den ersten Kräften der internationalen Spitzenklasse besteht, und die Zugehörigkeit und das Heimatrecht in unserer Staatsoper nicht auf Grund des Heimatscheines, sondern durch die Leistungen auf unserer Bühne erworben wird. Damit auch von dieser Seite her einmal die Postkutschenansicht von 1910 über die falsche lokalpatriotische Ensembleidee endlich dorthin gelange, wo sie hingehörte: ins Museum.
Durch Verjüngung ist eine hörbare Verbesserung bei unserem Opernchor zu vermerken, die der Arbeit Wilhelm Pitz’ zu danken ist. Bis jetzt blieb es Geheimnis, ob Professor Pitz fix und voll an unser Haus gebunden wurde und die von ihm in künstlerischer Hinsicht geforderten Voraussetzungen geschaffen oder zumindest weiter in Angriff genommen wurden. Wir wollen nicht hoffen, daß auch hier etwas versäumt wurde, was den vielversprechenden Anfängen wieder ein jähes Ende setzen und die anlaufenden Bemühungen im Keime ersticken könnte!
Die Aussichten auf dem Ballettsektor sind gute. Hoffen wir auf eine segensreiche Tätigkeit des neuen Ballettchefs Millos, dessen Engagement wir den Bemühungen Dr. Schaefers verdanken.
Und nun zur alljährlichen Preisverteilung
Der „Schwarze Peter“ geht an die Herren Ponelle und Hager für die schlechteste Neuinszenierung der Saison, Margarethe,
für die niveaulosesten Repertoireaufführungen an die Vorstellungen:
Don Giovanni unter Loibner mit Stich-Randall, Coertse, Loose, Jedlicka (8.11.)
Elektra unter Gierster mit Goltz, Hillebrecht, Milinkovic (29. 3. 1963) und
La Traviata unter Verchi mit Coertse und Dermota (22. 4. 1963)
und zu Handen unserer Bläser anläßlich der Holländer-Aufführung am 27. 6.
Die beste Neuinszenierung der Saison 1962/63 war Die Krönung der Poppea, wofür Dr. Günther Rennert ein ‚summa cum laude’ gebührt, die goldene Palme dem Ensemble und der musikalischen Leitung Karajans.
Den größten Sängertriumph hingegen gab es in der Margarethe-Aufführung vom 4. 6. 1963 durch Güden, Gedda und Ghiaurov.
Als markanteste Leistungen der abgelaufenen Saison verleihen wir den ‚Sixtus’ an.
Walter Berry als Leporello (22. 6.),
Carlo Cava als Seneca (1. 4.),
Fernando Corena als Pasquale (29. 6.),
Nicolai Ghiaurov als Mephisto (4. 6.),
Hilde Güden als Margarethe (4. 6.),
Sena Jurinac als Poppea (27. 5.),
Christa Ludwig als Venus (29. 5.),
Birgit Nilsson als Turandot (18. 6.),
Leonie Rysanek als Desdemona (7. 5.),
Giuseppe Taddei als Jago (7. 5.),
Cesare Siepi als Don Giovanni (26. 4.),
Otto Wiener als Kurwenal (23. 6.) und
Wolfgang Windgassen für den gesamten Ring mit Loge, Siegmund, Siegfried (8., 9., 12. und 15. 6.)
Wenn wir auch unseren Leitartikel folgerichtig „Saison der versäumten Möglichkeiten“ betitelten, so wollen wir dabei doch nicht in jenen Fehler verfallen, der dann wie „Kinder hört ich greinen nach der Mutter“ wirkt. Die „verschüttete Milch“, vor der wir eingangs der Saison nachdrücklich warnten, ist zwar leider Tatsache geworden, zugleich aber wurde schließlich ein neuer Beginn gesetzt, auf den wir bauen und vertrauen wollen. Wir haben Grund zur Annahme, daß dieser Anfang nun, nachdem die leidigen Fragen hinsichtlich verwaltungsmäßiger und personeller Probleme erledigt wurden, den Weg frei macht für Karajans große Pläne zum Aufbau eines zeitgemäßen, weltweiten Opernhauses und zur Durchführung eines gekoppelten Stagione-Repertoiretheaters, das uns nach und nach der allgemeinen Opernmisere, die allerorts zu vermerken ist, entheben soll. Dieses Ziel möge über allen persönlichen Reminiszenzen stehen und in seiner Wichtigkeit allen klar werden, die an unserem Kulturleben beteiligt sind. Es möge allen begreiflich machen, daß die persönlichen Interessen ihm untergeordnet werden müssen, zum Ruhme unseres Hauses und im Dienst an der Musik.