APA-Meldung vom Di. 26.6.2007:

 

Wiener Schnitzel kommt nicht aus Italien

Italienischer Gastroführer sorgte für Legendenbildung 

Lexikon der österreichischen Küchensprache* sorgt für Aufklärung

 

Wien (APA) Das Wiener Schnitzel stammt aus Mailand. Das behauptete zuletzt nicht nur der Hausverstand einer großen österreichischen Lebensmittelkette in diversen Werbespots, diese Legende hält sich vielmehr hartnäckig seit vielen Jahren in verschiedenen Büchern. Tatsächlich dürfte das Flaggschiff der Wiener Küche österreichischen Ursprungs sein. Der Sprachwissenschafter Heinz Dieter Pohl zeichnet in dem kürzlich veröffentlichten Buch Die österreichische Küchensprache die wahre Herkunft des Gerichts nach. Beruhigendes Ergebnis: Wir sind Wiener Schnitzel.

Dass die Lieblingsspeise der Österreicher aus Italien kommt, wurde übrigens erst ziemlich spät, und zwar erstmals im Jahre 1969 in einem italienischen Gastroführer behauptet. Das Wiener Schnitzel sei eine nach Wien gewanderte Form des costoletta alla milanese. In Österreich wurde diese Geschichte aber erst nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung

des Buches unter dem Titel Italien tafelt wirklich bekannt. Der Verfasser behauptete, dass ein von einem Graf Attems, dem Flügeladjudanten des Kaisers Franz Joseph, verfasstes Schriftstück an die kaiserliche Regierung gefunden wurde, in dem ein ausführlicher Bericht des Feldmarschalls Radetzky über die politisch-militärische Lage in der Lombardei zitiert und am Rande auch auf eine außergewöhnliche Spezialität der Mailänder Küche hingewiesen wird: ein Kalbskotelett, in Ei gewälzt, paniert und in Butter gebacken. Diese Randbemerkung soll den Kaiser beeindruckt haben, denn als Radetzky nach Wien zurückkehrte, sei er an den Hof gerufen und gebeten worden, dem Chefkoch das genaue Rezept des gepriesenen Gerichtes zu verraten.

Wissenschaftlich ist diese Geschichte laut Pohl allerdings belanglos. Sie enthält keinerlei Quellenangaben, sie wird in der Literatur über Radetzky nicht erwähnt, und in keinem biografischen Werk über die Monarchie erscheint ein Graf Attems, der dieser Zeit und Position entspräche, hält Pohl unter Verweis auf diverse Sekundärliteratur fest. Da es in Wien, lange bevor Radetzky nach Oberitalien kam, ähnliche und identische Speisen gab, ist ein Import des Wiener Schnitzels aus der Lombardei höchst unwahrscheinlich.

Von seiner soziokulturellen Struktur her, ist das Wiener Schnitzel ein frühbürgerliches Gericht, das sich aus einer typischen bäuerlich-bürgerlichen Produktionssituation entwickelte: Vorhandensein von hoch erhitzbarem tierischen Fett, Weißbrot und -gebäck, Hühner- und Rinderhaltung. Die Art der Zubereitung, paniert und schwimmend im Fett gebacken, teilt es mit einer Vielzahl anderer Speisen, die es in dieser Form nur in der Wiener Küche gibt. Für Österreich ist diese Zubereitungsart spätestens seit 1719 in einem Backhuhn-Rezept bezeugt.

Das Wiener Schnitzel dürfte seinen Namen Ende des 19. Jahrhunderts analog zum Wiener Backhendl bekommen haben, klärt der Sprachwissenschafter auf.

Tatsächlich italienischen Ursprungs sind hingegen die Frittaten. Die aus Palatschinken geschnittene Suppeneinlage, für viele die klassische Vorspeise zum Wiener Schnitzel, kommt vom italienischen frittata, was soviel wie Eierkuchen heißt. Das erste überlieferte Rezept findet sich in einem italienischen Kochbuch aus dem Jahr 1542. Italienische Wurzeln hat auch der Schanigarten. Die Erlaubnis, in Wien im Sommer Tische und Sessel vor einem Lokal aufzustellen, erhielt um 1750 erstmals der Cafetier Gianni Tarroni am Graben. Giannis Garten lieferte so die sprachliche Basis für den Schanigarten. Pohl widmet sich in seiner sprachwissenschaftlichen Aufarbeitung der österreichischen Küche noch unzähligen weiteren Speisen und Phänomenen. Er stellt den für ganz Österreich von Vorarlberg bis Wien typischen Wortschatz vor und erfasst die Sprache der heimischen Küche im Rahmen des österreichischen Deutsch. Dabei geht er auch auf die besondere prachliche Befindlichkeit der Österreicher ein. So wird die Bezeichnung Marmelade von vielen etwa mit Messer und Gabel gegen die Brüsseler EU-Bürokratie verteidigt, obwohl es sich dabei um ein Wort portugiesischen Ursprungs handelt. Und dass Erdäpfelsalat Erdäpfelsalat zu bleiben hat, weiß der gelernte Österreicher spätestens seit der Werbekampagne für die EU-Volksabstimmung 1994.

Im Zeitalter der Globalisierung und des sprachlichen Ausgleichs über staatliche Grenzen hinweg ist die Küchensprache immer noch ein Refugium regionalen und staatsräumlichen Sprachgebrauchs, beschreibt Pohl denn auch die Motivation für sein Lexikon der österreichischen Küchensprache.

 

*(S E R V I C E)

Heinz Dieter Pohl: Die österreichische Küchensprache Ein Lexikon der typisch österreichischen kulinarischen Besonderheiten (mit sprachwissenschaftlichen Erläuterungen), Praesens Verlag, 199 Seiten, ISBN 978-3-7069-0452-0

 

 

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