Ostarrîchi 996 - 1996
„Millennium“ – tausend Jahre Name
Österreich
Österreich feierte am 1. November
1996 sein "Millennium", doch diesem Tag kommt in der Geschichte Österreichs
keine besondere Bedeutung zu, außer als Namenstag 1, denn mit diesem Tag
ist die erste Erwähnung unseres Landes in einer Urkunde Kaiser Ottos III.
verbunden, wo es heißt 2:
...Noverint omnium industriae fidelium
nostrorum tam praesentium quam futurorum, qualiter nos dignis petitionibus
dilectissimi nepotis nostri Baioariorum ducis Heinrici annuentes quasdam nostri
iuris res in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi in marcha et in comitatu
Heinrici comitis filii Liutpaldi marchionis in loco Niuuanhova dicto, id est
cum eadem curte et in proximo confinio adiacentes triginta regales hobas cum
terris cultis et incultis, pratis, pascuis, silvis, aedificiis, aquis aquarumve
decursibus, venationibus, zidalweidun, piscationibus, molendinis, mobilibus et
inmobilibus, viis et inviis, exitibus et reditibus qusitis et inquirendis
omnibusque iure legaliterque ad easdem hobas pertinentibus super gremium
Frigisingensis aecclesiae..., cui nunc fidelis noster Kotascalhus venerabilis
presidet episcopus, in proprium atque perpetuum usum concessimus firmiterque
tradidimus nostra imperiali potentia,...
...All unsere eifrigen Getreuen,
gegenwärtige und auch künftige, mögen wissen, dass wir, den würdigen Bitten
unseres geliebtesten Vetters Heinrich, des Herzogs der Bayern, Folge leistend,
gewisse Besitzungen unseres Rechtsanspruches in der Gegend, die in
der Volkssprache Ostarrîchi heißt, in der Mark und Grafschaft des Grafen
Heinrich, des Sohnes des Markgrafen Liutpald (= Leopold), in dem Ort, der Niuuanhova (=
Neuhofen an der Ybbs) genannt wird, das heißt eben diesen Hof und 30 in
seiner unmittelbaren Umgebung liegende königliche Hufen (= ca. 1000 ha.) mit
bebauten und unbebauten Ländereien, mit Wiesen, Weiden, Wäldern, Gebäuden, Gewässern,
Wasserläufen, mit Jagden, Bienenweiden, Fischwässern und Mühlen, mit
beweglichen und unbeweglichen Gütern, mit Wegen und unwegsamem Gebiet, mit
geforderten und zu fordernden Einkünften und Erträgen und mit allem, was nach
Recht und Gesetz zu diesen Hufen gehört, dem Schoße der Freisinger Kirche, der
jetzt unser getreuer Gottschalk, der ehrwürdige Bischof vorsteht,... zu eigenem
und ewigen Gebrauch überlassen und durch unsere kaiserliche Macht fest
übergeben haben,....
In dieser Urkunde wird also der
Name Österreich bzw. Ostarrîchi (das ist althochdeutsch Ôstarrîhhi),
zum ersten Mal genannt, er bedeutet (wörtlich übersetzt) "Ostreich",
"Reich" allerdings nicht im Sinne von "König- oder
Kaiserreich", sondern im Sinne von "Herrschaftsbereich", und zwar
den östlich gelegenen Bereich einer Herrschaft oder Landschaft. In diesem so
genannten Gebiet (damals Teil des Herzogtums Bayern) schenkte Kaiser Otto III.
dem Bistum Freising in Bayern einen Hof mit dazugehörigem Land (also eine
ziemlich großzügige Zuwendung), der in Neuhofen an der Ybbs lag. Der Kontext
weist eindeutig auf einen geographischen Namen hin, keinen Personennamen (wenn
es auch einen solchen seit dem 5. Jhdt. gibt, z.B. Ostariccus 3 in
einer Inschrift in Nordafrika). Jedenfalls war es ein relativ kleines (zum
Herzogtum Bayern gehörendes) Gebiet, das damals "Ostreich“ hieß.
Diese Schenkung wurde in einer Urkunde mit dem Datum 1. November 996
festgehalten; diese liegt im Hauptstaatsarchiv München und wurde auf der Österreichischen
Länderausstellung 1996 in Neuhofen a.d. Ybbs ausgestellt 4.
Semantisch könnte man den Namen Ostarrîchi
auch als "Königs- (oder Reichs-) gut im Osten" sehen. Der
bayerische Historiker K. Bosl wies darauf hin, dass dem deutschen rîche im
Lateinischen regnum entspricht, mit der Bedeutung "Gebiet
unmittelbarer königlicher Herrschaft, Königsland, ausschließlicher Königsgut-
und Königsherrschaftsbezirk". Dieser Terminus scheint mit Vorliebe für
slawisch besiedelte Länder gebraucht worden zu sein, die als Gebiete der
Eroberung dem König zufielen 5. Vielleicht ist dies der Grund, warum ein "Ostergau"
im bayerischen Stammesgebiet fehlt, obgleich es einen "Nordgau"
(nördlich von Regensburg), "Westgau" (an der Isar) und
einen "Sundergau" (= Südgau im Seengebiet) gegeben hat;
gerade der Osten wird sonst bei der Namengebung bevorzugt 6. So gesehen könnte unser Ostarrîchi
oder Osterriche an Stelle des zu erwartenden "Ostergaues"
stehen. Eine Parallele zu Osterriche ist Charentariche oder Charintariche
= regnum Carentanum (das spätere Kärnten), bei dem es sich um "einen
eigenen rechtlich organisierten Macht- und Verwaltungsbezirk" innerhalb
des Fränkischen bzw. Deutschen Reiches handelte 7.
Der Name Ostarrîchi selbst
dürfte noch um einige Jahrzehnte älter sein; mit diesem Namen wird übrigens in
althochdeutscher Zeit auch das Ostfrankenreich bezeichnet, er war also
mehrdeutig. 20 Jahre nach Errichtung des Herzogtums Kärnten und der
Belehnung der Babenberger mit der Ostarrîchi genannten
Mark wird der Name selbst erstmals urkundlich genannt, doch es sollte noch bis
zum Jahre 1156 dauern, bis Österreich selbst zum (von Bayern losgelösten)
Herzogtum wurde und damit den Weg beschritt, der erst nach Jahrhunderten zu dem
unseren Vorstellungen entsprechenden Österreich geführt hat. Das Jahr 996
bedeutete also keinen Einschnitt in der Geschichte unseres Landes, denn
historisch gesehen blieb Österreich bis ins 19. Jhdt. ein Teil des Reiches (die
Habsburger waren mehrere Jahrhunderte deutsche Könige bzw. römisch-deutsche
Kaiser).
Von 976 an, als die Babenberger
mit der Mark Österreich belehnt wurden, unterlag
der Österreich-Begriff mannigfaltigen Veränderungen. Der österreichische
Historiker E. Zöllner listet sie in seinem Buch 8 auf: Ostarrîchi, Osterlant
"Ostland", Ostergau (s.o), Ostmark(s.u.), Herzogtum
Österreich (seit 1156), Haus Österreich, Kaisertum Österreich,
um die wichtigsten namenkundlichen Stationen zu nennen. Österreich
ist älter als sein Millennium, und sehr jung, was unser heutiges Empfinden
betrifft; sein Weg zu unseren heutigen Vorstellungen von Österreich
begann mit seinem von Preußen betriebenen Hinausdrängen aus dem Deutschen Bund
1866/71 und fand mit dem Jahre 1945, mit der Wiederherstellung der unabhängigen
(1938 zur "Ostmark" degradierten) Republik Österreich,
seinen Abschluss.
Osterlant (Osterland): Diese Bezeichnung sie kommt in
den Urkunden nicht vor war v.a. in der Volksdichtung, weniger in der
höfischen Poesie, verbreitet und wurde oft gemeinsam mit Osterriche verwendet
9.
Ostmark: "Sowohl in deutschen wie in
lateinischen Wortbildungen wird die karolingische und die altbairische Mark an
der Donau als im Osten gelegene Herrschaftsbildung charakterisiert. Eine
deutsche Benennung «Ostmark», die man auch erwarten könnte, lässt sich aber
nicht nachweisen. Im deutschen Sprachgebrauch verwendete man die
Landesbezeichnungen Österreich oder vorübergehend Osterland; man gebrauchte
wohl auch die Formulierung «Mark Österreich», wie das etwa in einer Urkunde
Kaiser Heinrichs IV. zum Ausdruck kommt, wenn im lateinischen Text die
Bezeichnung «marcha Osterriche» gebraucht wird" 10. Somit wurde Mark nicht zum Grundwort des
deutschen Landesnamens unserer Republik. Mehrfach ist jedoch die lateinische
Formulierung marc(hi)a orientalis belegt, was zwar übersetzt "Ostmark"
bedeutet, wobei aber freilich an eine "bayerische" oder
„fränkische Ostmark" zu denken ist. Die Uminterpretation zu einer "Ostmark
des Deutschen Reiches" war erst durch deutschnationale und
konservative Parteigänger und Organisationen im 19. und 20. Jhdt. erfolgt 11
und diese Bezeichnung gehörte dann zum Vokabular der NS-Machthaber nach der "Wiedervereinigung
Österreichs mit dem Deutschen Reich", wie diese den "Anschluss"
von 1938 propagandistisch bezeichneten. Im Jahre 1942 ging man überhaupt
zur neutralen Bezeichnung "Alpen- und Donau-Reichsgaue" über;
schon 1938 war der Name Österreich auch in den Reichsgauen "Ober-
und Niederdonau" (für Ober- und Niederösterreich,
analog zu den französischen elsässischen Departements Haut-Rhin und Bas-Rhin)
eliminiert worden. Die Auslöschung des Namens Österreich durch die
Nationalsozialisten ist von den österreichischen Nazi übrigens nicht
widerspruchslos hingenommen worden 12 und ist wohl als Nachspiel zur
Auseinandersetzung zwischen Österreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland
zu sehen, die zwar bekanntlich seit 1866 entschieden war, doch im totalitären "Dritten
Reich" sollte mit der Bezeichnung Ostmark jede Erinnerung an
Österreichs essentiellen Anteil an der deutschen
Geschichte so weit wie möglich getilgt werden. Für ein Kernland des
alten (modern ausgedrückt: föderalistischen) "Reiches" ist die
Bezeichnung "Ostmark" onomastisch gesehen eine Demütigung und
Herabwürdigung, denn "die östlichen Marken des hochmittelalterlichen
Reiches waren sehr entwicklungsfähige Gebilde; das gilt für die Mark
Österreich ebenso wie für die Mark Brandenburg, die Keimzelle des preußischen,
und die Mark Meißen, jene des sächsischen Staatsgebildes" 13.
Ein Land bereits Herzogtum seit 1156 unter den Babenbergern , das die "Hausmacht"
der Habsburger war, die durch mehrere Jahrhunderte deutsche Könige bzw.
römische Kaiser stellten und zuletzt selbst "österreichische" Kaiser
waren, im 20. Jhdt. zur Ostmark zu degradieren, zeugt vom gestörten
Geschichtsbild der Machthaber des Jahres 1938. Zum Abschluss einige Worte zur
international üblichen Bezeichnung
Austria: Im Jahre 1147 werden auf einer
Urkunde König Konrads III. die Markgrafen von Österreich als "Austrie
marchionibus" (Dativ pl.) bezeichnet 14. Dieses erstmals im
lateinischen Kontext gebrauchte Wort ist zwar nicht lateinischer Herkunft (die
Ähnlichkeit mit lat. Auster „Südwind" ist zufällig), sondern von
einem altgermanischen *austar-, althochdeutsch ôstar- "östlich,
im Osten" abzuleiten, als Landesbezeichnung latinisiert Austria 15.
* * *
Andere Deutungen des Namens Österreich sind
auszuschließen, so z.B. Otto KRONSTEINERs 16 slawische Herleitung als
"Spitzberg" wie beispielsweise slowenisch Ostrovica (Burg Hochosterwitz
in Kärnten). Diese scheitert sowohl am Fehlen spitzer Berge im Ursprungsgebiet
des Namens als auch an lautgeschichtlichen Erwägungen.
Anmerkungen
1) vgl. E.
Bruckmüller, Millennium! Millennium? Österreich in Geschichte und
Literatur 39(1995)142. – 1000 Jahre Österreich feierte man auch im Jahre
1976, als man der Belehnung der Babenberger mit der Mark
Österreich im Jahre 976 gedachte.
2) zitiert
nach Ostarrichi Gedenkstätte Neuhofen/Ybbs (Ausstellungskatalog o.J. [um
1981])6f.
3) vgl. E.
Zöllner, Der Österreichbegriff, Wien 1988, 12 mit Lit.
4) vgl. Bruckmüller
a.a.O. 149ff.
5) K. Bosl, Zur
Geschichte der Bayern, Darmstadt 1965, 346 Anm. 54 = Zeitschrift für
bayerische Landesgeschichte 18(1955)158.
6) vgl.
Zöllner a.a.O. 14f. und E. Kranzmayer, Die österreichischen Bundesländer und
deren Hauptstädte in ihren Namen, Wien 1970, 22. – Bemerkenswert
erscheint mir auch der Umstand, dass in diesen drei "Gauen" sowie in
Ostarrîchi der Nukleus einer gemeinsamen Hofform, des Vierseithofes, liegt, der
im Westen und Südwesten von der Hausform des Einhofes, im Nordosten von der des
Dreiseithofes und im Südosten vom Paar- und Haufenhof abgelöst wird. Allerdings
liegt inmitten des Vierseithofgebietes im (heutigen) östlichen Oberösterreich
und westlichen Niederösterreich das Gebiet der Vierkanter (Kernzone: Städteviereck
Wels - Linz - Amstetten - Steyr). Die Mark Ostarrîchi liegt in ihrer ältesten
(kleineren) Ausdehnung vorwiegend auf dem Gebiet der Vierseithöfe, hat aber im
Westen Anteil am Vierkanthofgebiet. Im bairischen Süden herrschen Ein- (v.a.
Tirol), Paar- und Haufenhof vor, im Westen geht der Vierseithof in ein
Mischgebiet mit dem Einhof über. Der Dreiseithof ist auf das heutige
Niederösterreich (Waldviertel, Wiener Wald und Wiener Becken) und die
Oststeiermark mit Teilen des Südburgenlandes (neben anderen Formen) beschränkt.
7) vgl. K. Bertels, Carantania, Carinthia
I 177 (1987)167 mit Lit.
8) wie Anm.
3.
9) Näheres
vgl. bei Zöllner a.a.O. 12f. mit Lit.
10) Zöllner
a.a.O. 15.
11) vgl.
Zöllner a.a.O. 16.
12) vgl.
Zöllner a.a.O. 81 und Anm. 178 mit Lit.
13) Zöllner
16f.
14) Zöllner
17f.
15) vgl. u.a.
Kranzmayer a.a.O. 21f.
16) O.
Kronsteiner, Bedeutet Ostarrichi wirklich "Ostreich"? Die
slawischen Sprachen (Salzburg) 50(1996)127ff. bzw. gekürzte Fassung in der
Tageszeitung Der Standard vom 30.11.1996 (mit einer der sachlichen
Diskussion nicht dienlichen Polemik).
Gekürzte Fassung eines in der vom Verfasser herausgegebenen Zeitschrift ÖSTERREICHISCHE NAMENFORSCHUNG (Jg. 24/1996)
erschienenen Artikels