Univ
Prof. Dr. Heinz-Dieter Pohl:
Was uns die Namen der Völker verraten
Zunächst einige
allgemeine Bemerkungen zur Einleitung zum Begriff „Volk“ – mit Überlegungen zu
den Begriffen Volk bzw. Ethnos und Nation, ethnische und nationale Identität. Ethnos / Ethnie, Nation,
Volk, Staat, Nationalismus, Patriotismus, ethnische / nationale Identität – sie
bedeuten alle etwas Ähnliches und werden in der Fachliteratur unterschiedlich
verwendet, definiert, verknüpft usw. Eine universelle Begriffsbestimmung zum „Volk“
bzw. „Ethnos“ bzw. zur „Nation“ zu geben, gelingt nicht; bei Durchsicht der
Literatur gewinnt man den Eindruck, es gebe so viele Nationsbegriffe wie
Nationen (dies zeigt sich u.a. auch im Verhältnis zwischen „deutscher
Kulturnation“ und „österreichischer Nation“). Grundlage für die Nationsbildung
waren dabei in der Regel sprachlich-kulturelle Gemeinsamkeiten, die nun
besonders betont wurden und beim Übergang von Agrargesellschaften zu modernen
Industriegesellschaften eine große Rolle spielten und wesentlich zur Sicherung
der Homogenität der Bevölkerung beitrugen. Die oft geäußerte Bestimmung des
Begriffs Nation (= „Schicksalsgemeinschaft“, die auf gemeinsame Abstammung,
gemeinsame Geschichte und Tradition, Religion etc. zurückgeht) ist in der Regel
eine eher politische Fiktion, aber es gibt einen realen Kern der Ethnogenese
bzw. Nationsbildung, einen Nukleus, der die ethnische Zugehörigkeit bewirkt
(hat).
Für eine Volksgruppe bzw. für ein Volk (in der
Wissenschaft Ethnie oder Ethnos) stehen als wichtigste
Charaktermerkmale nicht anthropologische, sondern eindeutig soziokulturelle im
Vordergrund. Kultur wird im weitesten Sinn als ein wechselseitiger in sich verflochtener
Komplex aus Sprache, Religion, Wertnormen und Bräuchen verstanden, an denen die
Angehörigen einer solchen gesellschaftlichen Großgruppe gemeinsam teilhaben.
Eine solche Definition entzieht romantischen Vorstellungen jede Grundlage, erst
die Politisierung der Sprache, ausgehend vom nicht
immer richtig verstandenen Herder’schen Nationsbegriff „Volk gleicher Zunge, daher Volk gleicher Kultur“, hat die
modernen (Sprach- bzw. Kultur-) Nationen hervorgebracht und mit der gemeinsamen
Hochsprache zu einem national- und kulturpolitischen Zusammenschluss oft recht
heterogener Teile eines größeren Sprachgebietes zu einer Sprach- bzw.
Kulturnation geführt.
Der deutsche Begriff Ethnie beruht auf dem griechischen Wort Ethnos, was eigentlich ʻVolkʼ
bedeutet. Deren Name, das Ethnonym kommt von griechisch ἔθνος
éthnos ʻVolk, Volksgruppe, Bevölkerungʼ und ὄνυμα
ónyma neben ὄνομα
ónoma ʻNameʼ (diese Variante in der Bezeichnung Onomastik ʻNamenforschungʼ).
Andere Ausdrücke sind ethnischer Name, Volksname, Volksgruppenbezeichnung
oder Stammesbezeichnung. Die zugrundeliegenden Begriffe Ethnos bzw. Volk, Nation sind schwierig
abzugrenzen, dem entsprechend sind die Namensbegriffe oft in mehreren dieser
Sinne in Gebrauch. Die Bezeichnungen umfassen vielfach sowohl
siedlungsgeographische als auch bevölkerungsgeographische Aspekte. Zwischen Ethnonym
und Glottonym (dem Namen der verwendeten Sprache) besteht in vielen
Fällen nur ein historischer Zusammenhang, z.B. Deutscher/Deutsch, Engländer/Englisch
oder (Neu-) Persisch in den
Varietäten Fārsī (Iran), Darī (Afghanistan) und Tadschikisch
(Tadschikistan) sowie Tatisch (Dagestan [RUS] u. Azǝrbaycan).
Außerdem muss das Ethnonym nicht mit der verwendeten Sprache übereinstimmen, z.B.
sprachen die Römer Latein oder sprechen
die Iren und Schotten heute überwiegend englisch.
Ethnonyme
sind nicht immer hinsichtlich ihrer Herkunft sicher zu deuten und oft weiß man
auch nicht genau, wie ein Stamm oder Volk entstanden ist, also wie die Ethnogenese verlaufen ist. Diese widerspiegelt
sich oft den Ethnonymen. Meist traten neue Völker und Stämme plötzlich – sozusagen
über Nacht – ins Licht der Geschichte – sie waren eben da, was vorher war,
liegt im Dunkeln. Hier spielen dann oft traditionell-volkstümliche
Vorstellungen eine Rolle, die man versucht, mit linguistischen und historischen
Fakten in Verbindung zu bringen, was freilich nicht immer gelingt. So weiß man
bis heute nicht, was der Name unserer (sprachlichen) Vorfahren Bajuwaren ʻBaiernʼ wirklich
bedeutet, bloß das zweite Element (-waren) ist klar, es bedeutet
ʻEinwohnerʼ – aber die Frage nach dem ʻwovonʼ muss offen
bleiben, dazu später. Wie wir noch sehen werden, gibt es auch für die Namen der
Slawen und Nemci, wie die Deutschen bei den Slawen genannt werden, mehrere
Deutungsmöglichkeiten. Eindeutig sind nur solche Ethnonyme, die von einem geographischen
Begriff abzuleiten sind, wie z.B. Italiener,
Niederländer, Malteser, wobei aber zu beachten ist, dass der geographische Begriff
selbst in vielen Fällen von einem Ethnonym kommt, z.B. Frankreich nach dem germanischen Stamm der Franken oder die Türkei
nach den (erst im Mittelalter) eingewanderten Türken. Weiters ist zu unterscheiden zwischen Eigenbezeichnung oder Autonym
(zu autós ʻselbstʼ) und Fremdbezeichnung
oder Xenonym (zu xénos
ʻfremdʼ), z.B. nennen wir die ʻHellenenʼ Griechen und die sich selbst suomalaiset nennenden Menschen
ʻFinnenʼ.
Es
gibt also Selbst- oder Eigenbezeichnungen und Fremdbezeichnungen. Während
Eigenbezeichnungen immer positiv gewertet werden – und insofern wesentlicher
Bestandteil der Identität einer Volksgruppe sind – oder allgemeinen Charakter
haben, sind Fremdbezeichnungen oft abwertend und werden dann Ethnophaulismen genannt. So leiten sich
beispielsweise etliche Eigenbezeichnungen schlicht von dem jeweiligen Wort
ʻMenschʼ ab (z.B. Roma
ʻMensch, Mannʼ, Bantu ʻMenschenʼ,
Magyar s.u.) nach dem Prinzip „wir
und die anderen“ (vgl. Schweden, altschwed.
Svéar, Svíar ʻdie eigenenʼ zu german. sw- < indogerman. *su̯o- ʻselbst, eigenʼ,
vgl. latein. suus, slaw. svoj sein, ihrʼ), während
Fremdbezeichnungen oft abwertend sind, z.B. griechisch bárbaroi ʻStammlerʼ
für die nichtgriechischen Völker. Wir kennen dies aus den deutschen
Bezeichnungen Böhme (gesprochen
[bemm]) für Tscheche oder heute Zigeuner für Roma. Im Deutschen gibt es darüber hinaus viele mundartliche
Bezeichnungenn, die abwertend gebraucht werden wie Polaken, Krawåten, Katzelmacher oder Tschuschen. Von anderen Volksgruppen sind die Bezeichnungen Welsch (urspr. für keltische Völker,
vgl. u.a. Wales und Wallis) und Windisch übertragen, die zwar ursprünglich neutral, heute aber eher
negativ besetzt sind. Bei
Fremdbezeichnungen kommmt oft die Benennung eines Volkes nach einer seiner
Untergruppen vor, z. B.
französisch allemand ʻDeutscherʼ nach den Alemannen oder finnisch saksa ʻDeutschlandʼ/saksalainen
ʻdeutsch/Deutscherʼ nach den Sachsen.
Bei den Slawen heißen die Deutschen nemci
o.ä., wozu ich noch kommen werde.
Ethnonyme
lassen sich in drei Gruppen einteilen:
(1)
Von geographischen Bezeichnungen
abgeleitet. So z.B. Italiener oder Niederländer.
(2)
Vom Kern der Ethnogenese, also jener
Gruppe, die der neu entstandenen Gemeinschaft den Namen verlieh, so z.B. Franzosen und Russen.
(3)
In der Mythologie, also in Sagen
u.dgl. begründet, was oft nicht wissenschaftlich eindeutig nachweisbar ist.
Nach einer Abstammungssage wird beispielsweise die Selbstbezeichnung der
Tschechen von dem mythischen Führer Čech
abgeleitet, der die Tschechen zur Zeit der Einwanderung in die neue Heimat
geführt haben soll. Die älteste Version dieser Sage überlieferte um 1120 der
Chronist Cosmas von Prag in seiner Chronica Boemorum. Dieser Name könnte die
Kurzform zu einem Personennamen sein, etwa zu Česlav (ähnlich wie Vach
zu Václav ʻWenzelʼ oder
Bildungen wie staroch statt stařec
(Greis) und brach statt bratr (Bruder).
Sehen wir uns also einige
Ethnonyme näher an, wie den Namen unseres Stammes, der Baiern, dessen Herkunft unklar ist. Sie sind seit Mitte des 6. Jhdts.
nachweisbar und aus verschiedenen Gruppen zusammengewachsen. Traditionell erklärt man ihn als *Baia-warjōz
< *Baiahaim-warjōz – wo auch immer dieses Baia zu suchen ist. Am überzeugendsten
war bei diesen Erklärungsversuchen ein Zusammenhang mit Böhmen, lat. Boiohaemum.
Eine romanische Deutung schlugen meine Kollegen W. Mayerthaler und O.
Kronsteiner vor: *Pago Ivaro umgeformt
zum Einwohnernamen *Pagivari o.ä.;
das wären dann die ʻSalzachgauerʼ mit dem alten romanischen Namen der
Salzach (Ivaro < lat. Ivarus/Iuvarus wie Iuvavum
ʻSalzburgʼ). Scheitert aber an unüberwindlichen lautlichen und
überlieferungsgeschichtlichen Tatsachen. Zuletzt hat Pichler-Stainern die
Baiern als ʻLodenträgerʼ erklärt (zu *bai- ‘grobes Wollzeug, Loden’, also nach der Kleidung). Parallelen
gäbe es genug, so gibt es skythischen Stamm Tigraxauda
‘die Spitzmützen’. Hier können auch die Sachsen
genannt werden, deren Stammesname sich von ihrer charakteristischen Bewaffnung
mit einem Kurzschwert (germ. *sahsa-)
herleitet. Vielleicht können auch die Langobarden
als Beispiel dienen, wenn ihr Name von einer Waffe abgeleitet wird, die als
‘langstielige Streitaxt mit bartähnlichem Widerhaken’ beschrieben werden kann.
‘Langbärte’ waren sie nämlich keine…
Der
Begriff Hellenen wurde im spätantiken Oströmischen Reich zunächst nur
noch für die Anhänger der alten griechischen Kulte, später für alle
Nichtchristen gebraucht, fand dann gegen Ende des Reichs jedoch auch wieder für
die Griechischsprechenden Verwendung (Plethon 1418: „Wir sind … der Abstammung
nach Hellenen. Dafür zeugt sowohl die Sprache als auch die von den Vätern
ererbte Bildung“). Die Griechen der Neuzeit verwenden in Anknüpfung an ihre
Sprache und die historische Bezeichnung des Landes, in dem sie leben (antikes
Griechenland) wieder den Begriff Έλληνες Héllēnes bzw. neugr. Éllines ʻHellenen‘.
Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff Hellas eher literarisch für Griechenland verwendet, er findet sich
auch in Begriffen wie Hellenismus als
Spätphase des antiken Griechenland und Philhellenen
als Freunde Griechenlands, sowie des Panhellenismus
als politisches Modell.
Die
lateinische Bezeichnung Graeci geht auf die Griechen zurück,
die im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Italien, der späteren Magna Graecia,
siedelten und sich selbst als Graikoí (Γραικοί)
oder ähnlich bezeichneten. Bei Homer ist der Name einer böotischen Stadt
namens Graia
(Γραῖα) belegt, Bei Aristoteles (Metaphysik,
1.352) findet sich die älteste Quelle für die griechische Bezeichnung Graikoi
(Γραικοί). Er erwähnt die Einwohner des zentralen
Epirus, die ursprünglich Griechen
(Γραικοί) geheißen hätten und erst später Hellenen genannt worden seien. Diese
Ansicht bestätigen weitere Quellen, in der Parischen Chronik (die auf der Insel
Paros gefunden wurde und den Zeitraum von ca. 1580 bis ca. 300 v. Chr. umfasst)
wird gar das Jahr 1521 v. Chr. für den Zeitpunkt der Umbenennung der Griechen
in Hellenen angegeben.
Der
lateinische Begriff Graeci
wurde schließlich etymologisch zur Grundlage der Bezeichnung des Volkes in fast
allen Sprachen, wenn auch daneben Hellenen
meist ebenfalls existiert. Der neugriechische Aufklärer Adamantios Koraïs
schlug vor, den Begriff anstelle von Roméï wieder einzuführen. Denn im
Byzantinischen bzw. Oströmischen Reich (griech. Basileia tōn
Rhōmaiōn Βασιλεία
τῶν Ῥωμαίων
ʻKaiserreich der Römerʼ) bezeichneten sich die Einwohner auch nach
dem Ende der Antike weiterhin als ʻRömerʼ (später und neugriechisch
auch Romií Ρωμιοί), aber nach dem Schisma
in Abgrenzung zur Römischen Kirche häufiger wieder als Griechen (Graikoi
Γραικοί). Noch heute wird der Begriff von
Griechen gebraucht, wenn die orthodoxe, byzantinische Tradition des Volkes
betont werden soll. Die Griechen des Mittelalters werden auch allgemein als Byzantiner bezeichnet. Auch im
Türkischen und Arabischen wurde der Begriff Rumi für die Griechen
gebraucht, beispielsweise im Koran. Östlich Griechenlands wurde der Stamm der Ionier
namensgebend für die Griechen, bei den alten Persern Yauna, und der
Begriff drang in alle Sprachen des Perserreichs. In der Folge verbreitete sich
die Bezeichnung letztlich in der ganzen muslimischen und weit in der indisch
beeinflussten Welt, Beispiele sind arabisch يوناني,
Yūnānī, türkisch Yunan usw. Im Grunde die gleiche
Erscheinung wie französisch allemand ʻDeutscherʼ nach den Alemannen oder finnisch saksalainen
ʻDeutscherʼ nach den Sachsen.
Der
Name der Kroaten (in der Selbstbezeichnung Hrvati) ist bis
heute nicht überzeugend geklärt, er scheint jedoch iranischer Herkunft zu sein.
Über die Einzelheiten einer solchen iranischen Etymologie existieren jedoch
verschiedene Hypothesen, als älteste Belege für eine solche Form werden zwei
Grabinschriften in griechischer Schrift aus dem 2./3. Jahrhundert n. Chr.
benannt, die in Tanais am Asowʼschen Meer gefunden wurden und die die
Namen ΧΟΡΟΑΘΟΣ (Horoathos),
ΧΟΡΟΥΑΘΟΣ (Horouathos)
enthalten. Dieser Theorie zufolge handelt es sich um ein iranisches Ethnonym
aus dem Raum der Skythen nördlich des
Schwarzen Meeres, das im Falle der Grabinschriften auch als Personenname
gebraucht und später von den nordwestlich benachbarten Slawen übernommen worden
sei. Die Kontakte zwischen slawisch- und iranischsprachigen Gruppen in diesem
Raum sind durch Lehnwörter iranischer Herkunft im Slawischen sowie durch in
indogermanische Zeit zurückreichende Gemeinsamkeiten belegt (so entspricht z.B.
das slaw. Wort für ʻGottʼ bogъ
genau dem iranischen baga-). Nach Max
Vasmer soll *chъrvat- auf ein altiranisches *(fšu-)haurvatā
ʻViehhüterʼ zurückgehen. Nach einer neueren Etymologie von Oleg N.
Trubatschow ist *chъrvat- hingegen auf eine iranische Form *harvat-
zurückzuführen, die aus iranisch *har-, älter *sar- ʻFrauʼ
und einem Adjektivsuffix *-ma(n)t-/-va(n)t- bestehen soll. Die
Form *harvat- sei demzufolge etymologisch identisch mit dem Namen der Sarmaten, der auf *sar-ma(n)t-
zurückgeführt wird. *harvat- bzw. Sarmaten bezeichnet danach
ursprünglich ein matriarchalisches Volk, das von Frauen regiert wird, wie für
die Sarmaten der Antike in griechischen Texten berichtet wird. Einer anderen
Hypothese zufolge soll der Kroatenname nicht auf ein aus dem Iranischen ins
Slawische entlehntes Ethnonym zurückgehen, sondern auf die Bezeichnung für eine
Gruppe innerhalb der Führungsschicht des Awarenreiches. Das Ethnonym erscheint
in den ältesten überlieferten Quellen in den Formen Hrъvate, Hrvate
(kirchenslawisch), Χρωβάτοι
(Hrobatoi) (griechisch) und Chroati, Croati oder Crauati
(lateinisch). Es wird in verschiedenen Quellen auch bei West- und Ostslawen
erwähnt, also auch außerhalb des Siedlungsgebietes der heutigen Kroaten. So
erwähnen einige Quellen einen Stamm der Chorwaten in Böhmen, andere
sprechen von Kroaten bzw. Weißkroaten (Белые
Хорваты) zwischen Pruth und Dnjestr
(z. B. die Nestorchronik). In Kärnten werden um das 10. Jahrhundert Kroatengaue
erwähnt. Daher wurden die Slowenen von kroatischen Nationalromantikern im 19.
Jhdt. auch als Alpenkroaten
bezeichnet. Der byzantinische Kaiser und Geschichtsschreiber Konstantin
Porphyrogennetos teilt uns mit, dass die Kroaten
deshalb so heißen, weil sie alles Land besitzen. Also ein Hinweis auf eine Führungsschicht
– leider ohne nähere sprachliche Anhaltspunkte.
Die
Eigenbezeichnung der Ungarn ist von Fremdbezeichnungen
für diese grundverschieden. Der Begriff magyar taucht schon im 9. und
10. Jahrhundert in islamischen Quellen auf und ist wahrscheinlich ein
Kompositum aus magy (< ugrisch *mańćε = ʻMensch,
Mann, Geschlechtʼ) und er(i) (ebenfalls ʻMensch, Mann,
Geschlechtʼ). Der Name bezeichnete anfangs nur einen von sieben
halbnomadischen Stämmen, die im 9. sowie im beginnenden 10. Jahrhundert
räuberische Überfälle in Europa (bis über die Pyrenäen) unternahmen. Der Name
„Ungarn“ gelangte vermutlich aus dem Slawischen in die anderen europäischen
Sprachen. Das slawische Wort lässt sich auf eine türkische Stammesbezeichnung onogur
ʻdie 10 Stämmeʼ (< on ʻzehnʼ + ogur ʻStammʼ)
zurückführen, woraus dann unsere Bezeichnung Ungar bzw. lateinisch hungarus wurde. Davon z.T. auch der
Familienname Hunger neben Ungar u. Unger.
Das
Ethnonym der Franken folgt einem
häufigen Motiv bei germanischen Stammesnamen nach einer charakteristischen
Eigenart oder Eigenschaft und hängt mit einem alten Wort für „kühner Mann,
Krieger“ zusammen, man sah sie auch als die „Habgierigen, Ehrgeizigen, Mutigen,
Kühnen“. Die Bedeutung des neuhochdeutschen frank im Sinne von ʻfreiʼ
entstand zur Zeit der Merowinger im romanisierten Herrschaftsgebiet der Franken
und beruht vermutlich auf dem Stammesnamen, denn im Gegensatz zum Römer oder
Gallier war ʻder fränkische Mannʼ schlichtweg ʻder Freieʼ,
woraus sich französ. franc als Substantiv und Adjektiv herleitetet. Erst
im 15. Jahrhundert wurde die deutsche Bedeutung ʻfreiʼ für frank aus dem Französischen entlehnt.
Doch
nun zum Namen deutsch – er ist
Ethnonym und Glottonym und er ist auch namenkundlich eindeutig und klar. Der
Begriff deutsch leitet sich von althochdeutsch diutisc (älter *þeodisk)
ab, was ursprünglich ʻzum Volk gehörigʼ bedeutete (germanisch þeudā,
althochdeutsch diot[a] ʻVolkʼ, worauf auch das Element Diet- in vielen deutschen Vornamen beruht).
Mit diesem Wort wurde vor allem die germanische Volkssprache im Gegensatz zum
„Welschen“ (s.o.) der romanischen Nachbarvölker bezeichnet, also dem (Alt-)
Französischen oder Italienischen und auch zum Latein der christlichen Priester
im Gebiet der germanischen Stämme und Völker. Diese Bezeichnung wurde ins
Italienische als tedesco und ins
Englische als Dutch übernommen, wurde
dort aber später zur Bezeichnung für das (niederdeutsche Holländische oder genauer) Niederländische.
Der Name deutsch bezeichnete also
ursprünglich die germanische Dialekte sprechenden Einwohner des Ostfränkischen
Reiches im Gegensatz zur romanisierten Oberschicht im Westfränkischen Reich,
dem Vorläufer des heutigen Frankreich. Aus dem Ostfränkischen Reich entstand
dann das „Heilige Römische Reich“ deutscher Nation (dieser Zusatz erst seit dem
15. Jhdt.), das vielfach verkürzt auch „Deutsches Reich“ genannt wird, welcher
Name aber erst 1871 „amtlich“ wurde.
Der Name der Slawen bezieht sich im
deutschen Sprachgebrauch auf die Gruppe der slawischen Völker (ähnlich wie die
Begriffe Germanen und Romanen), in den slawischen Sprachen selbst
kann er auch für einzelne slawische Nationalitäten stehen, z.B. Slowenen. So bedeutet slovenski im Slowenischen
ʻslowenischʼ und slovenský
im Slowakischen ʻslowakischʼ; hingegen ist slovanski im Slowenischen ʻslawisch (im Allgemeinen)ʼ und
slovinský im Slowakischen
ʻslowenischʼ; ihre Muttersprache nennen die Slowenen slovenščina und die Slowaken slovenčina, die jeweils andere
Sprache heißt dann slovaščina
bzw. slovinčina. – „Motiv“ für
diese Eigenbezeichnungen ist die Tatsache, dass diese beide Nationalitäten
„slawisch“ sprachen, im Gegensatz zu ihren deutschen und ungarischen Nachbarn –
so auch slovinski in Dalmatien im
Gegensatz zum Italienisch-Venezianischen.
Im
„Urslawischen“ hat der Name der Slawen *slǎv’āne
gelautet, das den griechischen Namensformen
Σκλαυηvoί bzw.
Σκλαβηvoί Sklavenoí, gekürzt Σκλάβoι Sklávoi, zugrunde liegt. Ins Lateinische
ist er als Sclaveni, Sclavini, Sclavi übernommen
worden. Der griechische Anlaut skl- ist
dem Umstand zu verdanken, das die ungewohnte Gruppe sl- im Anlaut vermieden wurde. Im ältesten slawischen Schrifttum
erscheint der Name als slověne. Altkirchenslawisch
o ist erst relativ spät aus
urslawisch ă entstanden, wie es
einerseits frühe Lehnwörter aus dem Romanischen ins Slawische zeigen, z.B. lateinisch păgānus > slawisch poganъ ‘Heide’ oder Tragurium
(italienisch Traù, τραγούριον
Tragúrion) > Trogir
sowie Cattarum > Kotor ‘Städte an
der adriatischen Küste’), andererseits die Wiedergabe slawischer Namen in
anderssprachigen Denkmälern (wie eben der Slawenname selbst oder etwa der
Personenname Dabramuzli, jünger Dobromyslъ bzw. der Ortsname Osterwitz in Kärnten, slowenisch Ostrovica, urkundlich 860 Astaruuiza, sowie in Lehnwörtern, z.B.
finnisch akkuna entlehnt aus slawisch
okъno ‘Fenster’.
Der
Slawen-Name ist auf dem Boden des slawischen Sprachgebietes mehrmals
anzutreffen und war auch der Name der Bewohner jenes slawischen Reiches, das
als „Großmährisches Reich“ in die Geschichte eingegangen ist, in dem die
Einführung des Christentums durch Kyrill und Method erfolgt ist. Dieses Reich
ist durch den Einbruch der Ungarn Ende des 9. Jhdts. zerstört worden, doch an
den Rändern dieses im Raume Mähren-Pannonien zu lokalisierenden Reiches hat
sich der Slawenname in den Ethnonymen Slowenen
und Slowaken und im Namen der
Landschaft Slawonien bis heute
erhalten; früher war er auch in anderen Regionen verbreitet, wie z.B. im Namen
der Slowinzen in Pommern und der Nowgoroder Slovenen um den Ilmensee (in
Russland). Dieser allgemeine Name der Slawen leitet sich von einem
Gewässernamen ab und der Wortbildungstypus -’ane/-ěne
ist nur von geographischen Objekten denkbar, z.B. Pol’ane ‘Feldbewohner’, Drěvl’ane
‘Waldbewohner’ (dieses auch im Namen der Draväno-Polaben
an der Elbe, tschechisch Labe,
polnisch Łaba, enthalten), Poločane ‘Anwohner an der Polota’,
sowie in Kärnten *Karant’ane,
latinisiert Carantani o.ä. ‘Bewohner
der Gegend um Carantum’, auf einem
keltisch-romanischen Ortsnamen mit der Bedeutung ‘Stein, Fels’ beruhend
(gemeint ist der Mons carentanus, der
alte Name des Ulrichberges).
Der
Name der Slawen beruht – wie übrigens auch andere Völkernamen, z.B. die
baltischen Völker Letten und Litauer oder slawische Stämme wie Morav’ane ‘Mährer’ [March], Narentani [Narenta/Neretva], Bužane [Bug], Poločane [Polota] usw., antike Völker und Stämme wie Hiberi/Iberi [Ebro], Ambidravi [Drau]
u.v.a.m. – auf einem alten Gewässernamen Der zugrunde liegende Gewässername
lautete etwa *Slova, zur
indogermanischen Wurzel *k’leu-/k’lō(u)-/k’lū- ‘spülen, rein machen’, vgl. griechisch
κλύζω klýzō
‘spülen’, lateinisch cluō ‘reinige’,
cloāca ‘Abzugskanal’, keltische
Gewässernamen Cluad, Clut (vgl.
englisch Clyde) usw.; andere
slawische Gewässernamen, die dieses Wort enthalten, sind u.a. Sluja (Smolensk), Sława, Sławica (Polen), Slavnica (Serbien), man beachte auch den Beinamen des Dnepr,
altrussisch Словутичь Slovutič. Mit Ausnahme von Slavnica liegen alle genannten Gewässernamen
in dem Gebiet, das von Jürgen Udolph als Urheimat der Slawen sehr
wahrscheinlich gemacht wurde: das Gebiet nördlich der Karpaten. Der zufällige
Anklang des Stammesnamens slověne an
slawisch slovo ‘Wort’ bzw. sluti, slovǫ ‘genannt werden,
heißen’ (davon abgeleitet slava ‘Ruhm’,
das auch in vielen traditionellen slawischen Personennamen vorkommt, z.B. Vladislav ‘Ladislaus’, Bolesław, Vác(es)lav ‘Wenzel’ usw.) ließ ihn zur allgemeinen Bezeichnung für
die Angehörigen der slawischen Sprachen aufsteigen, daneben war er auch an
einzelne slawische Stämme bzw. Völker gebunden. Das Namensglied -slav beruht auf der ähnlich klingenden,
aber dennoch verschiedenen idg. Wurzel *kʼleu̯-
ʻhörenʼ (im Sinne von ʻwovon man hört > berühmtʼ) wie
auch griech. -klēs
-κλης. Als Gesamtname muss diese Bezeichnung bereits im 6.
Jhdt. gedient haben, sonst wären Quellenbelege wie Sclavi, qui Winidi nominantur ‘Slawen, die Wenden genannt werden’
oder Sclavi, qui dicuntur Quarantani
‘Slawen, die Karantanen genannt werden’ oder Sclavi Behemenses et Marahenses ‘Böhmische und Mährische Slawen’
nicht denkbar.
In
Anlehnung an die verbreitete Ansicht, unser Wort Sklave (und seine Entsprechungen
in den anderen germanischen und in den romanischen Sprachen) leite sich von der
lateinisch-griechischen Form Sclaveni
ʻSlawenʼ als ʻkriegsgefangene, unterworfene Slawen’ (>
ʻSklavenʼ) her, wird behauptet, dass dieses Wort ursprünglich
ʻunterworfener, tributpflichtiger Gegnerʼ bedeutet habe. Doch die
Gleichsetzung des Ethnonyms Slawe mit
der Bezeichnung Sklave ist keineswegs
gesichert. Viel spricht dafür, dass es sich um einen Zufall handelt, ganz
abgesehen davon, warum sollte ausgerechnet der Slawenname zum Sklavenbegriff
werden, gab es doch genügend andere Völkerschaften, die unterworfen und
geknechtet wurden. Normalerweise entwickelt sich die Bedeutung
ʻSklaveʼ aus Bezeichnungen wie ʻKnecht, Unfreier, Höriger, Unterworfener,
Handelsware, Gefangener u.dgl.ʼ und nur ganz selten aus Ethnonymen.
Übrigens wurden schon im Altertum, z.B. von den Griechen und Römern,
Kriegsgefangene gleich welcher Herkunft als Sklaven verkauft. Der byzantinische
Geschichtsschreiber Prokopios berichtet, dass Römer und Goten die gegenseitigen
Gefangenen als Sklaven behandelten, und von den Sklavenen (Σκλαβηvoί)
ʻSlawenʼ sagt er, dass sie bei ihren Raubzügen ins Byzantinische Reich
selbst Gefangene zu Sklaven gemacht haben. Im Griechischen gibt es das Wort
σκύλoν (skýlon) ʻKriegsbeuteʼ; insbesondere
die dem Feind abgenommene Rüstung wird so bezeichnet. Davon wird das Verbum
σκυλεύω (skyléuō) bzw. mittelgriechisch
[skilévo] oder σκυλάω [skiláo] ʻKriegsbeute
machenʼ gebildet, wovon ein neues Wort
*σκυλάβoς [skilávos] ʻkriegserbeuteter
bzw. gefangener Mannʼ abgeleitet wurde, das latinisiert über *scylávus > sclavus geworden ist, woraus dann unser heutiges Sklave wurde. Die Riva degli Schiavoni in Venedig bedeutet daher ʽSlawen-Ufer’,
weil dort die slawischen Händler und Seeleute aus Dalmatien und dem
Kvarner/Quarnero (die ihre Sprache im Gegensatz zur italienischen slovinski nannten) anlegten und ihre
Waren feilboten. Venedig hatte ja mannigfaltige Beziehungen zum südslawischen
Raum, insbesondere zu Dalmatien. Ein interessanter Kärntner Familienname (ein
Herkunftsname) ist Telesklav, die Wiedergabe
eines romanischen della sclava o.ä.,
eine mundartliche Entsprechung von standarditalienisch Della Schiavo/-a ‘aus dem slawischen Raum stammend’. In norditalienischen
Mundarten und im Furlanischen ist Konsonant
+ l so erhalten und nicht wie sonst im Standard-Italienischen zu -i- geworden. Doch nun zum Namen der
Deutschen in den slawischen Sprachen.
Die
volksetymologischen Verknüpfung des Namens der Slawen mit slovo ‘Wort’ ist wohl eine der Ursachen, dass das Wort němьci ‘die
Deutschen’ als ‘die Stummen’ interpretiert wurde, weil es als Gegenstück zu slověne ‘die Redenden’ die
Ableitung von slovo zu stützen
schien. In den etymologischen Wörterbüchern der slawischen Sprachen wird němьci vielfach zu
urslawisch němъ ‘stumm’ gestellt, freilich meist auch unter
Hinweis auf andere Deutungen: Für die „redenden“ Slawen waren die „stummen“
Deutschen unverständlich – volksetymologisch durchaus nachvollziehbar. Doch
waren die anderen Nachbarn der Slawen nicht auch „stumm“ – warum gerade die
Anwendung dieses Wortes auf die Deutschen? Andere Germanen wie z.B. die
Skandinavier werden in der Nestorchronik Rusь ‘Wikinger’ (zu altnord. roþs-menn
ʻRudererʼ), Varjazi ‘Waräger’
(zu altnord. væringr ʻAngehöriger eines Männerbundes als
Weggefährte bzw. Teilnehmer an einer Handelsfahrt o.ä.) und Svei ‘Schweden’ (< altschwed. Svéar, Svíar) genannt, also Entlehnungen aus den german. Eigenbezeichnungen.
Zur Zeit der Nestorchronik hatte man mit den Germanen im Westen nur wenig
Kontakt, wenn auch in ihr die Bezeichnung němьci vorkommt. Verstand man darunter etwa
die Germanen im pannonischen Raum, oder die Franken? Es ist also die Frage
berechtigt, welche Germanen damit gemeint waren bzw. ob es überhaupt die
Deutschen waren, da die Bezeichnung deutsch
für die kontinentalgermanischen Dialekte gegenüber dem romanischen
Altfranzösischen (und dem Romanischen überhaupt) erst im 10./11. Jhdt.
allgemein geworden ist (s.o.).
Das slawische Wort němьcь ‘Deutscher’ (altrussisch němьčinъ, russisch nemec, slowenisch Nemec) kann zwar zu dem
in einigen slawischen Sprachen vorkommenden Wort němъ ‘stummer
Mensch’ gestellt werden, dies ist aber nicht zwingend, denn es ist auch eine
(sehr entfernte) Verwandtschaft mit der germanischen Stammesbezeichnung Nemetes (möglicherweise keltischer
Herkunft) möglich. Als Etymologie ist die indogermanische Wurzel *nem- ‘weiden’ wahrscheinlich. Auch
Tacitus erwähnt einen Stamm Nemetes
am Rhein, weiters nennt der arabische Geograph Al-Mas’ūdī einen
slawischen (!) Stamm namens Nāmdžīn,
der – den (slawischen) Dudleben benachbart – an der Donau lebt und der der
tapferste und reiselustigste von allen sein soll. Dieser Name ist auch in
einigen Ortsnamen bezeugt: Nemčice
(bei Nitra/Neutra), Nemecká (1281 Nempti, 1320 Nemethy, bei Banská Bystrica/Neusohl) und Nemešany (bei Košice/Kaschau) – alle in der heutigen Slowakei. Der byzantinische Historiograph
Porphyrogennetos nennt das zu seiner Zeit überwiegend warägische Novgorod Nemogardas (Νεμογαρδάς).
Daraus kann man schließen, dass das Wort něm-
im Slawischen ein Ethnonym war, das erst später in seiner Bedeutung auf die
Deutschen übertragen wurde. Zunächst haben nur die südlichen Slawen und ihre
Nachbarn, die Ungarn und Rumänen, diese Bedeutung übernommen: ungarisch német und rumänisch neamţ (Plural Nemţi) sowie auch osmanisch-türkisch nemçe. Sprachgeographisch stammt dieses Wort aus dem Süden der
slawischen Urheimat, zumal die nördlichen Nachbarn der Slawen andere
Bezeichnungen für die ‘Deutschen’ verwenden: litauisch vokietis, lettisch vācietis
(wohl ein altes Ethnonym, aus baltisch *vōkiō, verwandt mit finnisch Vuojo-la ‘Gotland’, vielleicht mit dem Volksstamm Vagoth bei Jordanes zusammenhängend), estnisch saksalane, finnisch saksalainen (letztere beide bedeuten ursprünglich ‘sächsisch’).
Was bedeutet nun slawisch němьcь ursprünglich wirklich? Wir
müssen uns nur im Klaren sein, was der Wortstamm něm- ursprünglich bedeutet haben kann. Den breitesten
Bedeutungsumfang hat der ins Rumänische entlehnte Wortstamm neam:
1. ‘Geschlecht’; 2. ‘Geschlecht, Stamm, Familie’; 3. ‘Geschlecht,
Volk(sstamm)’; 4. ‘Verwandtschaft, Familie’; 5. ‘Verwandter’. – Davon: nemeş
‘Edelmann’; neamţ (Plural nemţi) 1. ‘Deutscher’; 2.
‘Ausländer’. Im Ungarischen gibt es mehrere Wörter: nem ‘Genus, Gesamtheit der gleichnamigen Gattungen; Geschlecht,
Sippe’; nemzet ‘Nation’, nemes ‘edel’ – aber entlehntes: német ‘deutsch’ (mit langem Vokal, wozu néma ‘stumm’ passt, eine Widerspiegelung
der slawischen Volksetymologie!). Daraus folgt, dass nem und német nicht
verwandt sein können bzw. zwei verschiedene Wörter sind.
Die Wurzel /nem/ in den drei Sprachen lässt sich
unter einer sehr allgemeinen Bedeutung ‘Geschlecht, Volksstamm’ zusammenfassen.
Ableitungen davon führen zu den gehobenen Schichten der Bevölkerung, also zum
‘Adel’, was auch im Polabischen (dem ausgestorbenen Elbslawischen) greifbar ist
– dort bedeutet das dem gemeinslawischen němьcь entsprechende
Wort ‘Adeliger, Herr’. Die ersten politischen Kontakte zwischen slawischen
Herrschaftsgebieten und den „Deutschen“ fanden im west- (Mähren) oder
südslawischen Bereich (Karantanien und
Reich des Kocelь am
Plattensee) statt; dies war das Frankenreich, in dem der Stamm bzw. die Gruppe
der Franken das Sagen hatten und die herrschende Schicht waren (und nicht die
Baiern, Alemannen oder Sachsen), sie waren die ‘Herren’, die mit einem der
Wurzel /nem/ zugehörigen Wort bezeichnet wurden. Dafür spricht auch die
Existenz der dieses Element enthaltenden Ortsnamen in der Slowakei, auch die
Breite der Bedeutung des Wortes im Rumänischen weist darauf hin. Zu
privilegierten Oberschichten führt ja auch der Name der Kroaten, die deshalb so heißen, ‘weil sie viel Land besitzen’ – nach dem byzantinischen Historiographen Porphyrogennetos (leider ohne nähere Angaben). Ähnliche
Vorstellungen können diesen dazu bewogen haben, das zu seiner Zeit überwiegend
warägische (also nordgermanische)
Hовъгородъ (Novgorod) Nemogardas (Νεμογαρδάς)
zu nennen, Zentrum des Herrschaftsgebietes Gardarike
‘Burgenreich’, wo eben die germanischen Herren inmitten ihrer slawischen
Untertanen saßen, um später selbst als Rusь bzw. οἱ
ʽPῶς
(hoi Rōs) zu einem slawischen Volk zu werden (Vorfahren der heutigen Russen).
Der Wortstamm slawisch něm- ist also wahrscheinlich ein Lehnwort, das ursprünglich etwa
‘Adel, Oberschicht’ bezeichnet hat, das beim Vorstoß des Frankenreiches über
seine südöstliche Peripherie hinaus (Mähren, Pannonien, Krain) zur Bezeichnung
seiner Einwohner wurde, volkstümlich an das ähnlich klingende němъ ‘stumm’ angelehnt und so dann mit
seiner neuen Bedeutung ins Ungarische und Rumänische weiter entlehnt wurde und
schließlich bis ins Türkische (und Arabische) gelangte. Karl-May-Lesern ist ja
die Figur Kara Ben Nemsi (etwa)
ʻKarl der Deutscheʼ bekannt.
Ein anderer Name für die Slawen
ist Windisch, die alte deutsche
Bezeichnung für ‘slawisch’, im Norden Wendisch
(z.B. im Namen der Wenden ‘Sorben’ in
der Lausitz). „Windisch“ ist auch der alte Name für unsere südlichen Nachbarn. Die
zahlreichen Ortsnamen mit „Windisch…“ weisen auf ehemalige slawische bzw.
slowenische Bevölkerung hin, im Gegensatz zu Namen mit „Deutsch…“ wie z.B. Deutschlandsberg (Steiermark) gegenüber Windisch Landsberg, heute Podčetrtek (Slowenien). Deutsch Windischgraz (Slowenien) heißt auf
Slowenisch Slovenj Gradec im
Gegensatz zur steirischen Landeshauptstadt Graz,
die einst Bairisch Graz (13./14.
Jhdt.) hieß. St. Michael am Zollfeld
(Kärnten) hieß zur Zeit der Monarchie Deutsch
St. Michael im Gegensatz zu Windisch
St. Michael, heute St. Michael ob der
Gurk, slowenisch aber (wie auch früher) Slovenji
Šmihel. Bei allgemein bekannten Namen ist dann der Zusatz entfallen wie bei
der Landeshauptstadt Graz, aber auch Deutsch-Griffen im Gegensatz zu Griffen (Kärnten) oder Windischgarsten und Garsten (Oberösterreich). Windisch
Bleiberg hatte früher den Partner Deutsch
Bleiberg (heute: Bad Bleiberg).
Früher bezeichneten auch Slowenen, wenn sie auf Deutsch schrieben, ihre
Sprache oft als windisch, z.B. Oswald
Gutsmann in seinem Deutsch-Windischen
Wörterbuch (Klagenfurt 1789). Im Wörterbuch selbst wird Slav und Windischer mit slovenc, Windisch mit slovenji und slovenski, Slavisch mit slovenski übersetzt. Das erste gedruckte
slowenische Buch, der Katechismus von Primus Truber (Primož Trubar, 1550),
hatte den deutschen Titel Catechismus in
der windischenn Sprach. Die Eigenbezeichnung slowenisch ist erst nach 1848 in der deutsche Gemeinsprache als
Fachausdruck allgemein üblich geworden und wurde dann auch amtlich für die
Sprache verwendet. Daneben blieb windisch
umgangssprachlich bestehen und dieses Wort hat im Laufe der Zeit einige weitere
Bedeutungen angenommen, die ihm ursprünglich nicht zukamen, was näher auszuführen
hier zu weit führen würde. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass es kein
volkstümliches Wort im Slowenischen für windisch
gibt, nur fachsprachliches vindišar
ʻWindischerʼ (als politischer Begriff).
Die ältesten Belege für die Bezeichnung Windisch (auch wendisch ‘sorbisch’) scheinen in den alten Volksnamen Venedi (bei Plinius) bzw. Veneti (bei Tacitus) bzw. Uenédai (bei Ptolomäos) vorzuliegen. Verfehlt ist
die Hypothese der Herkunft der Slowenen von den alten Venetern, wie dies
mitunter behauptet wird. Alte Namen leben oft weiter, auch wenn
sich die Bevölkerungsverhältnisse geändert haben, z.B. deutsch welsch/walisch ‘romanisch’ (keltischer
Herkunft, vgl. Wales in
Großbritannien, auch im Namen der alemannischen Walser erhalten), Ägypter
(verwandt mit dem Namen der Kopten,
heute für die arabisch sprechenden Einwohner Ägyptens, das offiziell Arabische Republik Ägypten heißt),
griechisch Gallía ‘Frankreich’
(eigentlich ‘Gallien’), slawisch Makedonija
‘Mazedonien’ (Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien, heute selbständiger
Staat mit überwiegend slawischer Bevölkerung; die namengebenden antiken
Mazedonier sind schon vor Christus in den Griechen aufgegangen) oder illyrisch (gelehrt für ‘serbokroatisch’
bis ins 19. Jhdt.) – nur so ist erklärbar, dass man mitunter in
mittelalterlichen Quellen ...qui
antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur (‘...die in jener Zeit genannten Wandalen heißen aber
jetzt Wenden oder Winuler’) lesen kann. Nach dem gotischen Geschichtsschreiber
Jordanes haben die Germanen ihre östlichen Nachbarn Wenden, Winden benannt, worauf dann Wenden (heute Sorben)
bzw. Winden, windisch (heute Slowenen, slowenisch) zurückgeht. Die
Etymologie bzw. Herkunft dieses Namens ist unklar, doch es gibt Versuche, ihn
mit slawisch *vętji ʻmehr,
höherʼ als *ven(e)tes
ʻAngehörige einer Kriegerkasteʼ zu verbinden. Darauf beruht auch
finnisch venäjä ʻRussenʼ,
doch das im Finnischen der Volksbezeichnung Russen
entsprechende Wort heißt Ruotsi,
dieses bezeichnet aber nicht diese, sondern die Schweden; der Name der Russen
geht bekanntlich selbst auf einen alten (germanischen) Beinamen der Wikinger
bzw. Waräger zurück – ähnlich wie auch die Franzosen
nach dem germanischen Stamm der Franken
(s.o.) benannt sind. Namenkunde kann somit „linguistische Archäologie“
sein!
Um auf den Titel meines Vortrages „Was uns die Namen der
Völker verraten“ zurückzukommen: die gebrachten Beispiele zeigen sehr
deutlich, dass die Entstehung der einzelnen Völker viel komplexer ist als wir
uns dies vorstellen. Jedes Ethnonym reflektiert nur einen Teil jenes Puzzles,
aus dem die so benannte Ethnie und deren Sprache erwachsen ist.
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