Slawen/Slowenen/Windische und Deutsche/Nemci

Namenkundliche Bemerkungen zu diesen Benennungen

(lt. Schriftenvereichnis Nr. 352)

© Heinz-Dieter Pohl


1. Allgemeines; der Name deutsch

Der Name deutsch ist zugleich Ethnonym und Glottonym (Sprachenname). Der Name der Slawen bezieht sich im deutschen Sprachgebrauch auf die Gruppe der slawischen Völker (ähnlich wie die Begriffe Germanen und Romanen), in den slawischen Sprachen selbst kann er auch für einzelne slawische Nationalitäten stehen (z.B. Slowenen [So bedeutet slovenski im Slowenischen ʻslowenischʼ, im Slowakischen ʻslowakischʼ; hingegen ist slovanski im Slowenischen ʻslawisch (im Allgemeinen)ʼ und slovinsky im Slowakischen ʻslowenischʼ; ihre Muttersprache nennen die Slowenen slovenščina und die Slowaken slovenčina, die jeweils andere Sprache heißt dann slovaščina bzw. slovinčina. – „Motiv“ für diese Eigenbezeichnungen ist die Tatsache, dass diese beide Nationalitäten „slawisch“ sprachen, im Gegensatz zu ihren deutschen und ungarischen Nachbarn]). Ethnonyme sind die Namen der Völker, Volksgruppen oder auch Stämme bzw. der einzelnen Ethnien oder ethnischen Gruppen. Die Ethnonymie ist ein Teilgebiet der Namenforschung und beschäftigt sich v.a. mit deren Deutung und Begriffsgeschichte. Ein Glottonym ist der Name einer Sprache, der meist von einem Ethnonym abzuleiten ist, aber damit nicht immer gleichgesetzt werden kann, z.B. Englisch neben EngländerEnglisch wird ja nicht nur in England gesprochen. Oder Deutsch und Deutscher – letzteres bezieht sich auf die Einwohner Deutschlands, aber auch in Österreich und der Schweiz wird deutsch gesprochen, wie Österreicher sind also „Deutsche“ nur im sprachlichen Sinn, nicht aber im politischen. Die Iren wiederum sind zweisprachig: einer Mehrheit mit englischer Muttersprache steht eine Irisch sprechende Minderheit gegenüber.

Ethnonyme sind nicht immer hinsichtlich ihrer Herkunft sicher zu deuten und oft weiß man auch nicht genau, wie ein Stamm oder Volk entstanden ist, also wie die Ethnogenese verlaufen ist. Oft traten neue Völker und Stämme pötzlich ins Licht der Geschichte – sie waren eben da, was vorher war, liegt im Dunkeln. Hier spielen dann oft traditionell-volkstümliche Vorstellungen eine Rolle, die man versucht, mit linguistischen und historischen Fakten in Verbindung zu bringen, was freilich oft nicht gelingt. So weiß man bis heute nicht, was der Name unserer (sprachlichen) Vorfahren Bajuwaren ʻBaiernʼ wirklich bedeutet, bloß das zweite Element (-waren) ist klar, es bedeutet ʻEinwohnerʼ –­ aber die Frage nach dem ʻwovonʼ muss offen bleiben. Wie wir weiter unten sehen werden, gibt es auch für die Namen der Slawen und Nemci ʻDeutschenʼ mehrere Deutungsmöglichkeiten. Eindeutig sind nur solche Ethnonyme, die von einem geografischen Begriff abzuleiten sind, wie z.B. Italiener, Niederländer, Malteser, wobei aber zu beachten ist, dass der geografische Begriff selbst in vielen Fällen von einem Ethnonym kommt, z.B. Frankreich nach dem germanischen Stamm der Franken oder die Türkei nach den (erst im Mittelalter) eingewanderten Türken. Weiters ist zu unterscheiden zwischen Eigenbezeichnung und Fremdbezeichnung, z.B. nennen wir die ʻHellenenʼ Griechen und die sich selbst suomalaiset nennenden Menschen ʻFinnenʼ. Fremdbezeichnungen werden oft zu pejorativen (also abwertenden) Benennungen, so sind windisch für ʻslowenischʼ oder zigeunerisch für ʻRomaniʼ oder ʻRomanesʼ heute obsolet und werden vielfach auch abwertend verwendet; am stärksten ist dies bei mundartlichen Bezeichnungen zu beobachten, z.B. Krawṓt ʻKroateʼ, Böhm [bemm] ʻTschecheʼ oder Polák ʻPoleʼ. 

Der Name deutsch selbst ist namenkundlich eindeutig und klar. Der Begriff deutsch leitet sich von althochdeutsch diutisc (älter *þeodisk) ab, was ursprünglich ʻzum Volk gehörigʼ bedeutete (germanisch þeudā, althochdeutsch diot[a] ʻVolkʼ [Darauf beruht auch das Element Diet- in vielen deutschen Vornamen]). Mit diesem Wort wurde vor allem die germanische Volkssprache im Gegensatz zum „Welschen“ der romanischen Nachbarvölker bezeichnet, also dem (Alt-) Französischen oder Italienischen und auch zum Latein der christlichen Priester im Gebiet der germanischen Stämme und Völker. Diese Bezeichnung wurde ins Italienische als tedesco und ins Englische als Dutch übernommen, wurde aber im Englischen zur Bezeichnung für das (niederdeutsche Holländische oder genauer) Niederländische. Der Name deutsch bezeichnete also ursprünglich die germanische Dialekte sprechenden Einwohner des Ostfränkischen Reiches im Gegensatz zur romanisierten Oberschicht im Westfränkischen Reich, dem Vorläufer des heutigen Frankreich. Aus dem Ostfränkischen Reich entstand dann das „Heilige Römische Reich“ deutscher Nation (dieser Zusatz erst seit dem 15. Jhdt.), das vielfach verkürzt auch „Deutsches Reich“ genannt wird, welcher Name aber erst 1871 „amtlich“ wurde.

 

2. Der Name der Slawen

Im „Urslawischen“ hat der Name der Slawen *slǎv’āne gelautet, das den griechischen Namensformen Σκλαυηvoί bzw. Σκλαβηvoί Sklavenoí, gekürzt Σκλάβoι Sklávoi, zugrunde liegt, ins Lateinische ist er als Sclaveni, Sclavini, Sclavi übernommen worden. Der griechische Anlaut skl- ist dem Umstand zu verdanken, das die ungewohnte Gruppe sl- im Anlaut vermieden wurde. Im ältesten slawischen Schrifttum erscheint der Name als slověne. Altkirchenslawisch o ist erst relativ spät aus urslawisch ă entstanden, wie es einerseits frühe Lehnwörter aus dem Romanischen ins Slawische zeigen (lateinisch păgānus > slawisch poganъ ‘Heide’ oder Cattarum > Kotor ‘Stadt an der adriatischen Küste’), andererseits die Wiedergabe slawischer Namen in anderssprachigen Denkmälern (wie eben der Slawenname selbst oder etwa der Personenname Dabramuzli, jünger Dobromyslъ  bzw. der Ortsname Osterwitz in Kärnten, slowenisch Ostrovica, urkundlich 860 Astaruuiza, sowie in Lehnwörtern, z.B. finnisch akkuna entlehnt aus slawisch okъno ‘Fenster’).

Der Slawen-Name ist auf dem Boden des slawischen Sprachgebietes mehrmals anzutreffen und war auch der Name der Bewohner jenes slawischen Reiches, das als „Großmährisches Reich“ in die Geschichte eingegangen ist, in dem die Einführung des Christentums durch Kyrill und Method erfolgt ist. Dieses Reich ist durch den Einbruch der Ungarn Ende des 9. Jhdts. zerstört worden, doch an den Rändern dieses im Raume Mähren-Pannonien zu lokalisierenden Reiches hat sich der Slawenname in den Ethnonymen Slowenen und Slowaken und im Namen der Landschaft Slawonien bis heute erhalten; früher war er auch in anderen Regionen verbreitet, wie z.B. im Namen der Slowinzen in Pommern und der Nowgoroder Slovenen um den Ilmensee (in Russland). Dieser allgemeine Name der Slawen leitet sich von einem Gewässernamen ab und der Wort­bildungstypus -’ane/-ěne ist nur von geografischen Objekten denkbar, z.B. Pol’ane ‘Feld­bewohner’, Drěvl’ane ‘Waldbe­wohner’ (dieses auch im Namen der Draväno-Polaben an der Elbe, tschechisch Labe, polnisch Łaba, enthalten), Poločane ‘Anwohner an der Polota’, sowie in Kärnten *Karant’ane, latinisiert Carantani o.ä. ‘Bewohner der Gegend um Carantum’, auf einem keltisch-romanischen Ortsnamen mit der Bedeutung ‘Stein, Fels’ beruhend (gemeint ist der Mons carentanus, der alte Name des Ulrichberges).

Der Name der Slawen dürfte also auf einem alten Gewässernamen beruhen (wie übrigens auch andere Völkernamen, z.B. Letten und Litauer, slawische Stämme wie Morav’ane ‘Mährer’ [March], Narentani [Narenta/Neretva], Bužane [Bug], Poločane [Polota] usw., antike Völker und Stämme wie Hiberi/Iberi [Ebro], Ambidravi [Drau] u.v.a.m.). Der zugrunde liegende Gewässername lautete etwa *Slova, zur indogermanischen Wurzel *k’leu-/k’lō(u)-/k’lū- ‘spülen, rein machen’, vgl. griechisch κλύζω klýzō ‘spülen’, lateinisch cluō ‘reinige’, cloāca ‘Abzugskanal’, keltische Gewässernamen Cluad, Clut (vgl. englisch Clyde) usw.; andere slawische Gewässernamen, die dieses Appellativ enthalten, sind u.a. Sluja (Smolensk), Sława, Sławica (Polen), Slavnica (Serbien), man beachte auch den Beinamen des Dnepr, altrussisch Словутичь Slovutič. Mit Ausnahme von Slavnica liegen alle genannten Gewässernamen in dem Gebiet, das von J. Udolph [in seinen „Studien zu den slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen“, Heidelberg 1979] als Urheimat der Slawen sehr wahrscheinlich gemacht wurde: das Gebiet nördlich der Karpaten. Der zufällige Anklang des Stammesnamens slověne an slawisch slovo ‘Wort’ bzw. sluti, slovǫ ‘genannt werden, heißen’ (davon abgeleitet slava ‘Ruhm’, das auch in vielen traditionellen slawischen Personennamen vorkommt, z.B. Vladislav ‘Ladislaus’, Bolesław, Vác(es)lav ‘Wenzel’ usw.) ließ ihn zur allgemeinen Bezeichnung für die Angehörigen der slawischen Sprachen aufsteigen, daneben war er auch an einzelne slawische Stämme bzw. Völker gebunden. Als Gesamtname muss diese Bezeichnung bereits im 6. Jhdt. gedient haben, sonst wären Quellenbelege wie Sclavi, qui Winidi nominantur ‘Slawen, die Wenden genannt werden’ oder Sclavi, qui dicuntur Quarantani ‘Slawen, die Karantanen genannt werden’ oder Sclavi Behemenses et Marahenses ‘Böhmische und Mährische Slawen’ nicht denkbar.

In Anlehnung an die verbreitete Ansicht, unser Wort Sklave (und seine Entsprechungen in den anderen germanischen und in den romanischen Sprachen) leite sich von der lateinisch-griechischen Form Sclaveni ʻSlawenʼ als ʻkriegsgefangene, unterworfene Slawenʼ, also ʻSklavenʼ her, wird behauptet, dass dieses Wort ursprünglich ʻunterworfener, tributpflichtiger Gegnerʼ bedeutet habe. Doch die Gleichsetzung des Ethnonyms Slawe mit der Bezeichnung Sklave ist keineswegs gesichert. Viel spricht dafür, dass es sich um einen Zufall handelt, ganz abgesehen davon, warum sollte ausgerechnet der Slawenname zum Sklavenbegriff werden, gab es doch genügend andere Völkerschaften, die unterworfen und geknechtet wurden. Normalerweise entwickelt sich die Bedeutung ʻSklaveʼ aus Bezeichnungen wie ʻKnecht, Unfreier, Höriger, Unterworfener, Handelsware, Gefangener u.dgl.ʼ und nur ganz selten aus Ethnonymen. Übrigens wurden schon im Altertum, z.B. von den Griechen und Römern, Kriegsgefangene gleich welcher Herkunft als Sklaven verkauft. Der byzantinische Geschichtsschreiber Prokopios berichtet, dass Römer und Goten die gegenseitigen Gefangenen als Sklaven behandelten, und von den Sklavenen (Σκλαβηvoί) ʻSlawenʼ sagt er, dass sie bei ihren Raubzügen ins Byzantinische Reich selbst Gefangene zu Sklaven gemacht haben. Im Griechischen gibt es das Wort σκύλoν (skýlon) ʻKriegsbeuteʼ; insbesondere die dem Feind abgenommene Rüstung wird so bezeichnet. Davon wird das Verbum σκυλεύω (skyléuō) bzw. mittelgriechisch [skilévo] oder σκυλάω [skiláo] ʻKriegsbeute machenʼ gebildet, wovon ein neues Wort *σκυλάβoς [skilávos] ʻkriegserbeuteter bzw. gefangener Mannʼ abgeleitet wurde, das latinisiert über *scylavus > sclavus geworden ist, woraus dann unser heutiges Sklave wurde [nach G. Korth, Zur Etymologie des Wortes ‘Slavus’ (Sklave). Glotta. Zeitschrift für griechische und lateinische Sprache 48(1970), 146f.].

 

3. Slawisch němьskъ ‘deutsch’, slowenisch Nemec ʻDeutscherʼ

Die volksetymologischen Verknüpfung des Namens der Slawen mit slovo ‘Wort’ ist wohl eine der Ursachen, dass das Wort němьci ‘die Deutschen’ als ‘die Stummen’ interpretiert wurde, weil es als Gegenstück zu slověne ‘die Redenden’ die Ableitung von slovo zu stützen schien. In den etymologischen Wörterbüchern der slawischen Sprachen wird němьci vielfach zu urslawisch němъ ‘stumm’ gestellt, freilich meist auch unter Hinweis auf andere Deutungen: Für die „redenden“ Slawen waren die „stummen“ Deutschen unverständlich – volksetymologisch durchaus nachvollziehbar. Doch waren die anderen Nachbarn der Slawen nicht auch „stumm“ – warum gerade die Anwendung dieses Wortes auf die Deutschen? [Die Griechen nannten beispielsweise alle Nicht-Griechen Barbaren, Bedeutung ursprünglich etwa ʻnicht korrekt sprechende Leute, Stammlerʼ]. Andere Germanen wie z.B. die Skandinavier werden in der Nestorchronik Rusь ‘Wikinger’, Varjazi ‘Waräger’ und Svei ‘Schweden’ genannt. Zur Zeit der Nestorchronik hatte man mit den anderen Germanen im Westen nur wenig Kontakt, wenn auch in ihr die Bezeichnung němьci vorkommt. Verstand man darunter etwa die Germanen im pannonischen Raum, oder die Franken? Es ist also die Frage berechtigt, welche Germanen damit gemeint waren bzw. ob es überhaupt die Deutschen waren, da die Bezeichnung deutsch für die kontinentalgermanischen Dialekte gegenüber dem romanischen Altfranzösischen (und dem Romanischen überhaupt) erst im 10./11. Jhdt. allgemein geworden ist (s.o.). 

Das slawische Wort němьcь ‘Deutscher’ (altrussisch němьčinъ, russisch nemec, slowenisch Nemec) kann zwar zu dem in einigen slawischen Sprachen vorkommenden Wort němъ ‘stummer Mensch’ gestellt werden, dies ist aber nicht zwingend, denn es ist auch eine (sehr entfernte) Verwandtschaft mit der germanischen Stammesbezeichnung Nemetes (möglicher­weise keltischer Herkunft) möglich. Als Etymologie ist die indogermanische Wurzel *nem- ‘weiden’ wahrscheinlich. Auch Tacitus erwähnt einen Stamm Nemetes am Rhein, weiters nennt der arabische Geograph Al-Mas’ūdī einen slawischen (!) Stamm namens Nāmdžīn, der – den (slawischen) Dudleben benachbart – an der Donau lebt und der der tapferste und reiselustigste von allen sein soll. Dieser Name ist auch in einigen Ortsnamen bezeugt: Nemčice (bei Nitra/Neutra), Nemecká (1281 Nempti, 1320 Nemethy, bei Banská Bystrica/Neusohl) und Nemešany (bei Košice/Kaschau) – alle in der heutigen Slowakei. Der byzantinische Historiograph Porphyrogennetos nennt das zu seiner Zeit überwiegend warägische Novgorod Nemogardas (Νεμογαρδάς). Daraus kann man schließen, dass das Wort něm- im Slawischen ein Ethnonym war, das erst später in seiner Bedeutung auf die Deutschen übertragen wurde. Zunächst haben nur die südlichen Slawen und ihre Nachbarn, die Ungarn und Rumänen, diese Bedeutung  übernommen: ungarisch német  und rumänisch neamţ (Plural Nemţi) sowie auch osmanisch-türkisch nemçe. Sprach­geographisch stammt dieses Wort aus dem Süden der slawischen Urheimat, zumal die nördlichen Nachbarn der Slawen andere Bezeichnungen für die ‘Deutschen’ verwenden: litauisch vokietis, lettisch vācietis (wohl ein altes Ethnonym, aus baltisch *vōkiō, verwandt mit finnisch Vuojo-la ‘Gotland’, vielleicht mit dem Volksstamm Vagoth bei Jordanes zusammenhängend), estnisch saksalane, finnisch saksalainen (letztere beide bedeuten ursprünglich ‘sächsisch’).

Was die Wortbildung anbelangt ist das substantivierte Ethnonym němьcь zu němъ ‘stumm’ eher ungewöhnlicht; eine Parallele dazu ist ostslawisch polovьci ‘Kumanen’ (Name eines nach Südrussland und auf den Balkan vordringenden Turkvolkes, eigentlich ‘die fahlen oder blassen’, vom Adjektiv plavъ bzw. polovъ). Sonst werden mit dem Wortbildungselement -ьcь (> -ec) Einwohnerbezeichnungen und Ethnonyme nur von Substantiven gebildet wie z.B. kitajec ‘Chinese’(zu Kitaj ʻChinaʼ), ukrainec ‘Ukrainer’, slovenec ‘Slowene’ usw., was relativ jung zu sein scheint, da solche Bezeichnungen in den ältesten Quellen nicht vorkommen. Meist sind es für nicht-slawische Völker aber entlehnte Namen wie Svei ‘Schweden’, Urmane ‘Normannen’, Rusь (eigentlich ‘Waräger, Schwede’, s.u.), Rimljane ‘Römer’ usw.

Was bedeutet nun slawisch němьcь ursprünglich wirklich? Wir müssen uns nur im Klaren sein, was der Wortstamm něm- ursprünglich bedeutet haben kann. Den breitesten Bedeutungsumfang hat der ins Rumänische entlehnte Wortstamm neam: 1. ‘Geschlecht’; 2. ‘Geschlecht, Stamm, Familie’; 3. ‘Geschlecht, Volk(sstamm)’; 4. ‘Verwandtschaft, Familie’; 5. ‘Verwandter’. – Davon:  nemeş ‘Edelmann’; neamţ (Plural nemţi) 1. ‘Deutscher’; 2. ‘Ausländer’. Im Ungarischen gibt es mehrere Wörter: nem ‘Genus, Gesamtheit der gleichnamigen Gattungen; Geschlecht, Sippe’; nemzet ‘Nation’, nemes ‘edel’ ­– aber entlehntes: német ‘deutsch’ (mit langem Vokal, wozu néma ‘stumm’ passt, eine Widerspiegelung der slawischen Volksetymologie!). Daraus folgt, dass nem und német nicht verwandt sein können bzw. zwei verschiedene Wörter sind.

Die Wurzel /nem/ in den drei Sprachen lässt sich unter einer sehr allgemeinen Bedeutung ‘Geschlecht, Volksstamm’ zusammenfassen. Ableitungen davon führen zu den gehobenen Schichten der Bevölkerung, also zum ‘Adel’, was auch im Polabischen (dem ausgestorbenen Elbslawischen) greifbar ist – dort bedeutet das dem gemeinslawischen němьcь entsprechende Wort ‘Adeliger, Herr’. Die ersten politischen Kontakte zwischen slawischen Herrschaftsgebieten und den „Deutschen“ fanden im west- (Mähren) oder südslawischen Bereich  (Karantanien und Reich des Kocelь am Plattensee) statt; dies war das Frankenreich, in dem der Stamm bzw. die Gruppe der Franken das Sagen hatten und die herrschende Schicht waren (und nicht die Baiern, Alemannen oder Sachsen), sie waren die ‘Herren’, die mit einem der Wurzel /nem/ zugehörigen Wort bezeichnet wurden. Dafür spricht auch die Existenz der dieses Element enthaltenden Ortsnamen in der Slowakei, auch die Breite der Bedeutung des Wortes im Rumänischen weist darauf hin. Zu privilegierten Oberschichten führt ja auch der Name der Kroaten, die deshalb so heißen, ‘weil sie viel Land besitzen’ – nach dem byzantinischen Historiographen Porphyrogennetos (leider ohne nähere Angaben). Ähnliche Vorstellungen können diesen dazu bewogen haben, das zu seiner Zeit überwiegend warägische (also nordgermanische) Hовъгородъ (Novgorod) Nemogardas (Νεμογαρδάς) zu nennen, Zentrum des Herrschaftsgebietes Gardarike ‘Burgenreich’, wo eben die germanischen Herren inmitten ihrer slawischen Untertanen saßen, um später selbst als Rusь bzw. oἱ ʽΡῶς (hoi Rōs) zu einem slawischen Volk zu werden (Vorfahren der heutigen Russen).

Der Wortstamm slawisch něm- ist also wahrscheinlich ein Lehnwort, das ursprünglich etwa ‘Adel, Oberschicht’ bezeichnet hat, das beim Vorstoß des Frankenreiches über seine südöstliche Peripherie hinaus (Mähren, Pannonien, Krain) zur Bezeichnung seiner Einwohner wurde, volkstümlich an das ähnlich klingende němъ ‘stumm’ angelehnt und so dann mit seiner neuen Bedeutung ins Ungarische und Rumänische weiter entlehnt wurde und schließlich bis ins Türkische (und Arabische [Karl-May-Lesern ist ja die Figur Kara Ben Nemsi (etwa) ʻKarl der Deutscheʼ bekannt]) gelangte [Näheres und weiterführende Literatur s. H.D. Pohl, Überlegungen zum Namen slaw. němьskъ ‘deutsch’. In: Schweiger, G. (Hg.), Indogermanica. Festschrift Gert Klingen­schmitt. Taimering (bei Regensburg), Schweiger VWT-Verlag 2005 [2006], 505-511].

 

4. Zum Begriff  „Windisch“

Im Laufe des 19. Jhdts. entwickelte sich  das slowenische Nationalbewusstsein (ähnlich wie auch bei den meisten anderen europäischen Völkern) und es entstand der Gedanke, alle slowenischen Länder verwaltungsmäßig zusammen­zufassen, freilich im Rahmen der Mon­archie, was aber dennoch eine Teilung des Lan­des Kärnten bedeutet hätte, der sich selbst auch führende Kärntner Slowenen widersetzt haben (z.B. der Abgeordnete zum Kärntner Landtag Dr. Matthias Rulitz). Unter den Kärntner Slowenen kam es gegen Ende des 19. Jhdts. zur Heraus­bildung zweier Lager: eines nationalen und eines deutschfreundli­chen. Ersteres stimmte am 10. Oktober für Jugo­slawien, letzteres für Österreich (gemeinsam mit jenen Slowenen, die im SHS-Kö­nigreich ihre nationalen Träume nicht verwirklicht sahen).

Abstimmungsergebnis in der Zone I

10. Oktober 1920:             59% gültige Stimmen für Österreich / 41% für Jugoslawien

Volkszählung 1910:         68,6% slowenische / 31,4%  deutsche „Umgangssprache“

Beide zusammen machen die slowe­nischsprachige Minderheit aus. Die deutsch­freundlichen bzw. „Kärnten treuen“ oder „österreichbewussten“ Slowenen wurden schon vor dem Ersten Weltkrieg „Windische“ genannt und nannten sich z.T. auch selbst so; zu einem Politikum wurden die „Windi­schen“ seit den 1920er Jahren. Sie sind aber eindeutig (rein sprachlich gesehen) Slowenen („Sprachslowenen“), bekennen sich aber nicht ausdrücklich zum slowenischen Volks­tum, v.a. politisch nicht. Die Mundarten dieser beiden Gruppen unterscheiden sich nicht voneinander; Unterschiede zwischen beiden Gruppen ergeben sich nur durch die Kenntnis der slowenischen Schriftsprache, die jenen Personen fehlt, die Schulunterricht nur auf deutsch erhalten haben. Diese Gruppe dürfte bei der Volks­abstimmung 1920 den Ausschlag gegeben haben, dass diese für Österreich günstig ausgegangen ist. In der Folge wurden sie vom damaligen Kärn­ten als „Heimattreue Slowenen“ bezeichnet, von der slowenischen Presse aber „Renegatenfi­guren“ genannt. Dies muss man wissen, um die Hintergründe richtig verstehen zu können, wenn es um die so genannte „Windischen-Theorie“ geht. Diese wurde (spätestens) in der nationalpolitischen Ausein­andersetzung der 1920er Jahre geboren, indem man bei der Erklärung des Verhal­tens von rund 40% der ab­stimmungsberechtigten Kärntner Slowenen am 10. Oktober 1920 ethnische, sprachli­che, bewusstseinsbildende und soziologische Kriterien miteinander vermengte – vor allem in der Tagespolitik.

Mit der „Windischen-Theorie“ ist automatisch auch die Frage ver­knüpft, ob das „Windi­sche“ etwa eine vom Slowenischen verschiedene Sprache sei. Weit verbreitet ist die Ansicht, die Sprache der „Windi­schen“, Windisch, sei eine deutsch-slowenische Mischsprache, die mit der auf den Krainer Mundarten beruhenden slowenischen Schriftsprache nichts zu tun habe. Doch in zweisprachigen Regionen und Gesell­schaften ist es die Regel, dass die bodenständige Volkssprache von der überregionalen Staats- und/oder Verkehrssprache massenhaft Lehnwörter und Einflüsse bezieht. Entscheidend ist aber die Gramma­tik: die Grammatik des „Windischen“ ist die slowenische, identisch sind auch Hilfswörter und Grundwortschatz. Aus sprach­planerischen und -ästhetischen Gründen mag man Fremdein­flüsse als etwas Negatives betrachten (wir kennen dies aus der heutigen Diskussion um die Anglizismen im Deutschen) – linguistisch gesehen sind sie normal und natürlich. Eine zwei­sprachige Gesellschaft wäre arm, wenn es keine Sprachgrenzen überschreitende Kommunikation gäbe, auch wenn dies oft zu Lasten der jeweils kleineren Sprachgemeinschaft geht. Doch diese Feststellung darf nicht dazu verleiten, die eine Sprache, weil größer und mächtiger, als „wichtig“ einzuschätzen, die andere Sprache, weil kleiner und weniger durchschlagkräftig, als „unbe­deutend, regional, provinziell“ (usw.) zu betrachten, denn jede Sprache, egal ob „klein“, ob „groß“, ist ein Stück Menschheits­geschichte und Teil des kulturellen Erbes der Region, das zu bewahren lohnt. Aber einmal eingetre­tener Sprachwechsel ist (leider) unumkehrbar, er ist mit einem Verlust an kultureller Identität verbunden und führt nicht sofort zum Aufgehen in einer neuen Identität: dies dauert meist eine Generation. Personen im status assimilationis wären noch in der Lage, unter entsprechenden Bedin­gungen ihrer Muttersprache treu zu bleiben. Wenn in zweisprachi­gen Gebieten Ver­schiebungen von der einen zur anderen Sprache zu beobachten sind, zeigt dies ganz besonders deutlich, wie verbunden beide Sprachen sind, gehören sie doch zum historischen Erbe des Landes. Hier ist im Falle Kärnten für „Windisch“ als eigene Sprache, auch als „Mischsprache“, kein Platz: das Erbe kann nur „deutsch“ oder „slowe­nisch“ sein, beide sind für Kärnten konstitutiv und historisch gewachsen. „Windisch“ er­scheint als ein soziologisch und linguistisch nur schwer fassbarer vorübergehender Zustand, der an Einzelpersonen oder einzelne Fa­milien (die sich im status assimilationis befinden) gebunden ist, nicht aber an gefühlsmäßig zusammengehörige (ethnische) Gruppen.

Die zahlreichen Ortsnamen mit „Windisch…“ weisen auf ehemalige slawische bzw. slowenische Bevölkerung hin, im Gegensatz zu Namen mit „Deutsch…“ wie z.B. Deutschlandsberg (Steiermark) gegenüber Windisch Landsberg, heute Podčetrtek (Slowenien). Deutsch Windischgraz (Slowenien) heißt auf Slowenisch Slovenj Gradec im Gegensatz zur steirischen Landeshauptstadt Graz, die einst Bairisch Graz (13./14. Jhdt.) hieß. St. Michael am Zollfeld (Kärnten) hieß zur Zeit der Monarchie Deutsch St. Michael im Gegensatz zu Windisch St. Michael, heute St. Michael ob der Gurk, slowenisch aber (wie auch früher) Slovenji Šmihel. Bei allgemein bekannten Namen ist dann der Zusatz entfallen wie bei der Landeshauptstadt Graz, aber auch Deutsch-Griffen im Gegensatz zu Griffen (Kärnten) oder Windischgarsten und Garsten (Oberösterreich). Windisch Bleiberg hatte früher den Partner Deutsch Bleiberg (heute: Bad Bleiberg).

Windisch ist die alte deutsche Bezeichnung für ‘slawisch’, im Norden Wendisch (z.B. im Namen der Wenden ‘Sorben’ in der Lausitz). „Windisch“ ist auch der alte Name für unsere südlichen Nachbarn. Früher bezeichneten auch Slowenen, wenn sie auf Deutsch schrieben, ihre Sprache oft als windisch, z.B. Oswald Gutsmann in seinem Deutsch-Windischen Wörterbuch (Klagenfurt 1789). Das erste gedruckte slowenische Buch, der Katechismus von Primus Truber (Primož Trubar, 1550), hatte den deutschen Titel Catechismus in der windischenn Sprach. Die Eigenbezeichnung slowenisch ist erst nach 1848 in der deutsche Gemeinsprache als Fachausdruck allgemein üblich geworden und wurde dann auch amtlich für die Sprache verwendet. Daneben blieb windisch umgangssprachlich bestehen und dieses Wort hat im Laufe der Zeit einige weitere Bedeutungen angenommen, die ihm ursprünglich nicht zukamen, wie dies oben skizziert wurde [Dazu s. H.D. Pohl, Die ethnisch-sprachlichen Voraussetzungen der Volksabstimmung. Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven. Hg. von H. Valentin, S. Haiden u. B. Maier im Auftrag des Landes Kärnten. Klagenfurt, Heyn 2002, S. 181-188. – Dazu siehe http://members.chello.at/heinz.pohl/Volksabstimmung.htm. – Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass es kein volkstümliches Wort im Slowenischen für windisch gibt, nur fachsprachliches vindišar; die Bezeichnungen nemčur und nemškutar stehen eher für ʻDeutschtümlerʼ].

Die ältesten Belege für die Bezeichnung Windisch (auch wendisch ‘sorbisch’) scheinen in den alten Volksnamen Venedi (bei Plinius) bzw. Veneti (bei Tacitus) bzw. Uenédai (bei Ptolomäos) vorzuliegen [Verfehlt ist die Hypothese der Herkunft der Slowenen von den alten Venetern, wie sie im Buch J. Šavli - M. Bor, Unsere Vorfahren, die Veneter, Wien 1988, dargelegt wird]. Alte Namen leben oft weiter, auch wenn sich die Bevölkerungsverhältnisse geändert haben, z.B. deutsch welsch/walisch ‘romanisch’ (keltischer Herkunft, vgl. Wales in Großbritannien, auch im Namen der alemannischen Walser erhalten), Ägypter (verwandt mit dem Namen der Kopten, heute für die arabisch sprechenden Einwohner Ägyptens, das offiziell Arabische Republik Ägypten heißt), griechisch Gallía ‘Frankreich’ (eigentlich ‘Gallien’), slawisch Makedonija ‘Mazedonien’ (Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien, heute selbständiger Staat mit überwiegend slawischer Bevölkerung; die namengebenden antiken Mazedonier sind schon vor Christus in den Griechen aufgegangen) oder illyrisch (gelehrt für ‘serbokroatisch’ bis ins 19. Jhdt.) – nur so ist erklärbar, dass man mitunter in mittelalterlichen Quellen ...qui antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur (‘...die in jener Zeit genannten Wandalen heißen aber jetzt Wenden oder Winuler’) lesen kann. Nach dem gotischen Geschichtsschreiber Jordanes haben die Germanen ihre östlichen Nachbarn Wenden, Winden benannt, worauf dann Wenden (heute Sorben) bzw. Winden, windisch (heute Slowenen, slowenisch) zurückgeht. Die Etymologie bzw. Herkunft dieses Namens ist unklar, doch es gibt Versuche, ihn mit slawisch *vętji ʻmehr, höherʼ als *ven(e)tes ʻAngehörige einer Kriegerkasteʼ zu verbinden. Die Etymologie bzw. Herkunft dieses Namens ist unklar, doch es gibt Versuche, ihn mit slawisch *vętji ʻmehr, höherʼ als *ven(e)tes ʻAngehörige einer Kriegerkasteʼ zu verbinden. Darauf beruht auch finnisch venäjä „Russen“. doch das im Finnischen der Volksbezeichnung Russen entsprechende Wort heißt Ruotsi, dieses bezeichnet aber nicht diese, sondern die Schweden; der Name der Russen geht selbst auf einen alten (germanischen) Beinamen der Wikinger bzw. Waräger zurück – ähnlich wie auch die Franzosen nach dem germanischen Stamm der Franken (s.o.) benannt sind. Namenkunde kann somit „linguistische Archäologie“ sein!

 

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