Introvertierte Menschen sind
weder schüchtern, ungesellig, arrogant noch krank
Eine wenig verstandene
Randgruppe
(Die
Typentheorie kann helfen!)
Ein Alltagsbeispiel
Neulich in einer TV-Sendung wurde ein Schauspieler von der
Moderatorin nach seiner Schüchternheit befragt und was er denn
dagegen getan hätte. Alle Zeichen sprachen allerdings dafür,
dass der Schauspieler gar nicht schüchtern ist, sondern einfach
nur zu den introvertierten Menschen gehört.
Dieses alltägliche Beispiel zeigt leider, dass in der
öffentlichen Wahrnehmung die Introvertiertheit noch immer mit
Schüchternheit verwechselt wird. Introvertierte werden oft als
auch als arrogant, ungesellig oder „nicht normal“ angesehen.
Durch die Brille der extrovertierten Welt (immerhin besteht
etwa 75 % der Bevölkerung aus extrovertierten Menschen!)
betrachtet zeigt der Introvertierte diverse Symptome, die auf
den ersten Blick und unreflektiert unter Umständen sogar
krankheitswertig (als Anzeichen für Autismus, Depression,
Phobie) erscheinen mögen.
Eine wenig verstandene Randgruppe
So kann es geschehen, dass sich introvertierte Menschen selbst
als eine wenig verstandene Randgruppe empfinden. Sie fragen sich
„Was stimmt mit mir nicht?“
So erzählt Carolina Asuquo-Brown, Coach und Psychotherapeutin
aus Frankfurt von einer Klienten, die mit der Befürchtung in die
Praxis kommt, an einer Depressionen oder Phobie zu leiden, weil
sie sich im Gegensatz zu ihrem Umfeld auf Massenveranstaltungen
unwohl fühlt und manchmal am liebsten die Flucht ergreifen
würde, wenn sie von jemanden angesprochen wird, den sie nicht
kennt. „Ich fühle mich in diesen Momenten total überfordert und
möchte nur noch nach Hause, zu einem schönen Glas Wein und einem
ruhigen Gespräch mit meinem Mann.“
Introvertierte mögen oft keinen „Small Talk“. Sie sehen Small
Talk als Zeitverschwendung an, es sei denn, ihr Gesprächspartner
ist ihnen noch fremd. So die Aussage eines Klienten „Das
oberflächliche Reden mit fremden Menschen ermüdet mich
unheimlich". „Wenn ich aber mit meinem besten Freund
zusammensitze, können wir bis in die Nacht angeregt reden und
ich habe Spaß daran."
Introvertierte
sind stille Beobachter und nehmen sich Zeit, sich mit ihrer
Umgebung zu befassen und sie zu analysieren. Sie erfassen den
Charakter des Gegenübers schnell, denn er kann hervorragend
Körpersprache lesen. Er ist ein außergewöhnlich guter Zuhörer
und kann sich sehr gut in die Lage eines anderen versetzen. Weil
er sich nicht leicht durch Oberflächlichkeit ablenken lässt,
kann er sich sehr gut konzentrieren und beobachtet Dinge, die
den meisten Menschen entgehen.
Da introvertierte Menschen neurologisch eine niedrigere
Stimulus-Toleranz haben, reagieren sie auf Reize oder Stimuli
von außen anders und empfindlicher, als die meisten Menschen in
ihrem Umfeld (es sei denn, sie sind selbst introvertiert) es
erwarten.
Viele Introvertierte sind hochbegabt
Während
Introvertierte in der Gesellschaft zwar eine Minderheit
darstellen, bilden sie die Mehrzahl der hochbegabten Menschen.
Es gibt eine Menge Pioniere in der Geschichte der Menschheit,
die introvertiert waren. Albert Einstein, Charles Darwin, Isaac
Newton, Carl Gustav Jung sind nur ein paar von ihnen. Auch viele
hervorragende Künstler und Schauspieler sind introvertierte
Menschen, die auf der Bühne glänzen.
Kennen Sie sich wirklich?
Die meisten Menschen behaupten, sich selbst gut zu kennen. Auch
wenn jemand vermutet, dass man eher extrovertiert ist, so muss
derjenige nicht unbedingt auch wissen, welche Verhaltensweisen
sich daraus ergeben und vor allem welche Schlussfolgerungen
daraus für das eigene Berufs- und Privatleben zu ziehen sind, um
entsprechend seinem eigenen Wesen ein erfülltes Leben zu leben.
Denn aus diesem Wissen lassen sich wichtige Erkenntnisse
ableiten, wie zum Beispiel die persönlichen Energiequellen,
Stress- und Motivationsfaktoren, Stärken und Schwächen,
Führungsstil, Karrierewege, usw.
Wie gehen Sie mit „andersartigen“ Menschen
um?
Wenn man sich selbst nicht so gut kennt, wird es darüber hinaus
dann noch schwieriger, wie man mit „andersartigen“ Menschen
respektvoll umgeht und erfolgreich kommuniziert, weil die
Ursachen für viele zwischenmenschliche Konflikte meist in der
Persönlichkeit liegen und aufgrund von Unwissenheit dann gar
nicht erkannt werden können.
In der Schule leider nicht gelernt
Um fair zu sein, muss man natürlich anmerken, dass es leider in
unseren Schulen kein Fach „Persönlichkeit und
Persönlichkeitsentwicklung“ gab, in dem wir einen respektvollen
und wertschätzenden Umgang mit Menschen lernen hätten können.
Später im Leben ist es dann so, dass man erkennt, dass man
entweder zu den „Glücklichen“ gehört, denen es immer unbewusst
gelingt, mit Menschen gut auszukommen oder man sich bewusst mit
diesem Thema beschäftigt, um zwischenmenschlichen Konflikten auf
die Spur zu kommen.
Ein Erfolgsgeheimnis
Als Erfolgsgeheimnis kann man sagen: Wer Unterschiede im
Verhalten zwischen verschiedenen Personen bewusst wahrnimmt,
über seine eigenen Präferenzen Bescheid weiß und die der anderen
erkennt, respektiert und in seinem persönlichen Verhalten
berücksichtigt, wird in seiner Umgebung besser zurechtkommen und
erfolgreicher sein – sei es im Beruf oder im Privatleben.
Die Typentheorie von Carl Gustav Jung kann
helfen
In der modernen Wissenschaft geht das Konzept der Typentheorie
auf den Schweizer Arzt und Psychoanalytiker Carl Gustav Jung im
Jahre 1920 zurück. Jung war davon überzeugt, dass jeder Mensch
zwar einzigartig ist, dass es aber dennoch gewisse Funktionen im
menschlichen Verhalten gibt, die gleich sind und aufgrund derer
man voraussagen kann, wie sich eine Person verhalten wird. Es
kommt auf die Präferenzen an, die der einzelne hat. Jeder Mensch
hat eine bevorzugte Weise, in der er wahrnimmt und beurteilt.
Diese Wahrnehmung wird wiederum beeinflusst von der Einstellung,
mit der jemand die Welt erlebt. Man hat entweder eine Präferenz
für die Außenwelt der Mitmenschen oder Dinge (außenorientierte
bzw. extrovertierte Einstellung) oder eine Präferenz für die
Innenwelt der Ideen und Gedanken (innenorientierte bzw.
introvertierte Einstellung).
Basierend auf der Typentheorie von Jung wurde die
Persönlichkeitsanalyse Myers Briggs Typenindikator (MBTI®)
entwickelt und der Fragebogen erstmals 1961 veröffentlicht. Seit
1991 gibt es auch eine deutsche Version. Der MBTI® ist ein
Instrument zur Selbst- und Menschenkenntnis, zur Schärfung der
Wahrnehmung sowie zur Überprüfung der persönlichen
Lebenssituation. Der MBTI® ist ein Indikator, wie Sie sich
selbst einschätzen, welche Präferenzen Sie haben und wie diese
Präferenzen Ihr Verhalten, Ihre Entscheidungen sowie Ihre
Arbeitssituation und Ihren Karriereweg beeinflussen. Die
Kenntnisse aus dem MBTI führen für den einzelnen zu mehr
Verständnis für sich selbst und zu einer besseren
Selbsteinschätzung und Selbstakzeptanz, zu mehr persönlicher
Zufriedenheit und seelischer Gesundheit und zu mehr Toleranz und
Verständnis gegenüber anderen Menschen.
Was ist Introvertiertheit?
„Kennen Sie jemanden, der jeden Tag einige Stunden Einsamkeit
braucht? Der ruhige Gespräche über Gefühle oder Ideen liebt,
dynamische Präsentationen vor großem Publikum halten kann, aber
sich in kleinen Gruppen oder beim Smalltalk nicht wohl fühlt?
Jemand, der auf Massenveranstaltungen gezerrt werden muss und
dann den Rest des Tages benötigt, sich davon zu erholen? Wenn
ja, meinen Sie, dass diese Person zu ernst sei oder fragen Sie
ihn, ob alles in Ordnung sei? Und halten Sie ihn für abgehoben,
arrogant, unhöflich? Verdoppeln Sie Ihre Anstrengungen, um ihn
dort herauszuholen? Dann sind die Chancen hoch, dass Sie einen
Introvertierten vor sich haben und nicht richtig mit ihm umgehen
können.
Introvertierte sind nicht notwendigerweise schüchtern.
Schüchterne Menschen sind ängstlich oder furchtsam im sozialen
Umfeld, Introvertierte sind dies eher nicht. Vielmehr sind
Introvertierte jene Menschen, die andere Menschen anstrengend
finden. Extrovertierte tanken durch andere Menschen Energie und
welken, wenn sie alleine sind. Sie werden durch und mit sich
gelangweilt. Wenn man einen Extrovertierten für zwei Minuten
alleine lässt, greift er zu seinem Handy. Im Gegensatz dazu
müssen Introvertierte, nachdem wir eine oder zwei Stunde
Gesellschaft genossen hatten, abschalten und sich wieder
aufladen. Das ist kein antisoziales Verhalten. Es ist kein
Zeichen einer Depression. Es muss nicht medikamentös behandelt
werden. Für Introvertierte ist Einsamkeit genauso erholsam wie
Schlaf und nahrhaft wie Essen.“
(Ein Auszug aus dem Artikel „Caring for Your Introvert“ von
Jonathan Rauch, Autor und Korrespondent für die Zeitschrift The
National Journal Magazine in Washington, der im März 2003 im
Magazin „The Atlantic Monthly“ erschienen ist)
Extrovertierte sind für Introvertierte leicht zu verstehen, weil
sie redegewandt so viel Zeit darauf verwenden, zu erzählen, wer
sie sind und man ihnen häufig nicht entkommen kann. Das
funktioniert allerdings nicht umgekehrt. Extrovertierte haben
wenig oder gar keine Vorstellung, warum jemand allein sein muss.
Sie nehmen an, dass Gesellschaft, speziell die ihre, immer
willkommen ist.
Tatsache ist
einfach, dass beide einfach unterschiedlich ticken. Es gibt kein
Falsch oder Richtig. Ein introvertierter Mensch wird einfach
durch andere Teile des Gehirns motiviert und stimuliert.
Die Energiequelle macht den Unterschied
Die magische Frage lautet „Woher nehmen Sie Ihre Energie auf
bzw. wie laden Sie Ihre Batterien auf?“
Eine wichtige Anmerkung: Menschen sind sowohl introvertiert als
auch extrovertiert und deshalb nicht beschränkt auf die innere
oder äußere Welt. Aber dennoch gibt es eine natürliche Vorliebe
(= Präferenz oder Neigung) für Introversion oder Extraversion so
wie es eine Vorliebe für Rechts- oder Linkshändigkeit gibt.
Extrovertierte beschäftigen sich
mit der Außenwelt
betrachten
andere Menschen als Energiequelle
sind von der Außenwelt abhängig
sind leicht kennen zu lernen
fühlen sich einsam, wenn sie nicht mit anderen zusammen
sind
suchen Interaktion
geben dem Leben Farbe
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oder
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Introvertierte beschäftigen sich
mit der Innenwelt
betrachten Alleinsein als Energiequelle
sind nicht von der Außenwelt abhängig
sind schwer kennen zu lernen
bevorzugen die Privatsphäre
ihre Energie stammt aus internen Vorräten an Ideen
geben dem Leben Tiefe
|
Extrovertierte
-
Sind Nach-Denker, sie verstehen das Leben, wenn sie es
erlebt haben, sie erkennen durch Handeln;
-
zeigen sich meist entspannt und zuversichtlich, sind
handlungsorientiert, springen ins kalte Wasser und lassen
sich bereitwillig auf neue Erfahrungen ein;
-
ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit orientieren sich am
Geschehen in ihrer nächsten Umgebung, Realität begreifen sie
im Umgang mit ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt,
bringen den Geist mit, der formt und gestaltet, Handeln und
Leistung „konkret" ist ihre Sache, sie pendeln vom Tun zum
Überlegen und wieder zum Tun;
-
lassen sich bereitwillig auf die von außen auf sie
zukommenden Ansprüche ein, das ist in ihren Augen das Leben;
-
sind verständnisvoll und zugänglich, oft gesellig, sie
fühlen sich eher zu Hause in der Welt der Mitmenschen und
der Dinge als in der Welt der Ideen;
-
lassen sich begeistern, was nicht mit Leidenschaft
verwechselt werden sollte, sie lassen ihren Dampf im
Vorübergehen ab;
-
zum Ausgleich sollten sie im Laufe der Zeit ihre
introvertierte Seite entwickeln.
Introvertierte
-
sind Vor-Denker, sie werden erst dann aktiv, wenn sie es in
ihrem Innern verarbeitet haben;
-
sind eher zurückhaltend und stellen die Dinge in Frage, sie
erwarten Tiefgang, sie warten, bis sie das Neue und noch
nicht Erprobte ausgelotet haben;
-
äußern sich nicht sofort, sie konzentrieren sich auf das,
was in ihrem Innern vorgeht, ihre eigentliche Welt ist die
Innenwelt.
-
kultivieren ihren Geist, sie produzieren Ideen und abstrakte
Gedanken, sie pendeln ständig hin und her zwischen
Überlegen, Handeln und Überlegen - in der Reihenfolge;
-
wehren zunächst ab, wenn Ansprüche von außen auf sie
zukommen;
-
sind hintergründig und nicht leicht zu durchschauen, oft
schweigsam und zurückhaltend, sie fühlen sich mehr zu Hause
in ihrer Innenwelt als in der äußeren Welt, in der sie es
mit Mitmenschen und Dinge zu tun haben;
-
können heftig und leidenschaftlich sein, sie halten ihre
Emotionen zurück und bewachen sie so sorgfältig wie
hochexplosiven Sprengstoff;
-
brauchen für ihre Entwicklung und für ihr Wohlbefinden den
Ausgleich von Extraversion.
Tipps für Introvertierte
Schon allein das Wissen um die eigene Introvertiertheit und
„normal“ zu sein, kann wie eine Erlösung wirken. Sich Ruheräume
zu schaffen in Form von Entspannungstechniken oder Atemübungen
unterstützen den Spannungsabbau und verschaffen darüber hinaus
die dringend benötigten Auszeiten von äußeren Stimuli. Wichtig
für einen Introvertierten ist, in sich hinein zu hören und sich
bewusst zu werden, wann sie sich zurückziehen müssen, um ihre
Akkus aufzutanken. Dies sollte idealerweise schon präventiv
geschehen. So ist es zum Beispiel eine gute Idee, den Abend vor
einem besonders wichtigen oder hektischen Arbeitstag bewusst als
Entspannen und Loslassen zu sehen. „Schutz“ und „Abgrenzung“ ist
ein Lebensthema für Introvertierte. Die Grenzen der eigenen
Belastbarkeit zu kennen und zu schützen ist ein wichtiges
Lernziel für Introvertierte. Ein weiteres ist, die äußere Welt
nur so weit einzulassen, wie es dem Introvertierten gut tut.
Zu lernen, dass es in Ordnung ist, auf der Party nur so lange zu
bleiben, wie es einem Freude macht, und eben zu gehen, wenn die
Gespräche ermüdend werden und die Laune sinkt. Dass es in
Ordnung ist, die Freundin am Telefon zu bitten, das lange,
intensive Telefonat auf morgen zu verschieben. Dass es in
Ordnung ist, keinen riesigen Kreis von Bekannten zu haben, aber
dafür zwei oder drei enge Freundschaften.
Es ist völlig in Ordnung, introvertiert zu sein!
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