Man lernt nie aus - am Retzhof

von Andreas Gruber 
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Im Grunde genommen war ich im Zwiespalt, ob ich am Schreib-Workshop im Retzhof teilnehmen sollte oder nicht. Ich hatte bereits zwei Bücher veröffentlicht, war für Literaturpreise nominiert worden, gab selbst Schreibkurse und hatte darüber hinaus genug Schreibbücher gelesen, dass man damit eine gesamte Bibliothek ausstatten konnte. Sollte ich nicht besser die vier Tage von Donnerstag bis Sonntag nutzen, um an meinen eigenen Texten weiter zu arbeiten?

Ich gab mir trotzdem einen Ruck und meldete mich an. Zwar blieb die Arbeit zu Hause liegen, doch einige brauchbare Tipps würde ich bestimmt mit Heim nehmen können ... weit gefehlt! An diesem Wochenende wurden meine Texte regelrecht zerpflückt und mir als Autor die sogenannten Wadeln nach vor gerichtet.

Was ich meinen eigenen Schreibschülern ständig predigte, erfuhr ich am eigenen Leib: Die Entwicklung eines Autors, die Ausbildung seiner Erzähltechnik und Stilkunst hören niemals auf!

Als Beispiel möchte ich die Erlebnisse eines intensiven Schreibtages wiedergeben:

 

Am Freitag teilt sich die siebzehnköpfige Teilnehmerschar nach dem Frühstück in drei Gruppen. Da wir unter der Leitung von Andreas Findig als erste Gruppe in den Garten marschieren, nehmen wir die Bänke mitsamt dem kreisrunden Holztisch in Beschlag.

Es ist ein herrlich sonnig warmer Tag im Mai. Mit Sonnenbrillen und in kurzen Hemden sitzen wir über unsere Texte gebeugt. Die Arbeit beginnt: Sieben Texte werden analysiert. Die Bandbreite reicht von Raumschiff-Schlachten, über bizarre Laborprojekte, eigenwillige Computerprogramme, unheimliche Zeitreisen bis zu einer merkwürdigen Science-Fiction-Katze, die mehr als eine bloße Katze ist.

Die Frage, weshalb ein bestimmter Text funktioniert, ist genauso wichtig, wie die Frage, warum ein gewisser Text nicht funktioniert. Was sind die Dreh- und Angelpunkte einer Geschichte? Ist die Story überhaupt plausibel? Gibt es Widersprüche im Text? Mit welchen Fehlern wiegt man seinen Leser in den Schlaf? Mit welchen Tricks fesselt man den Leser?

Sind die einzelnen Szenen für den Leser verständlich? Wird zu viel erklärt, festgestellt und dem Leser vorgekaut? Wann braucht eine Geschichte mehr Details, wann ist es besser, weniger zu zeigen?

Eifrig kritzeln wir in unsere Hefte. Beispiele gibt es am laufenden Band. Direkt die Stiltricks an den Geschichten zu üben, ist besser als jeder theoretische Vortrag.

Werden Charaktere anschaulich in die Geschichte eingeführt? Sind die Dialoge plausibel, packend und interessant geschrieben? Wie lässt der Autor den Leser in die Erzählperspektive schlüpfen, sodass der Leser alles hört, sieht, riecht, fühlt und schmeckt, was der Protagonist empfindet? Wie formuliert man packende Dialoge?

Wie vermeidet man Füllwörter, Floskeln, Klischees und Wortwiederholungen? Was schreibt man kursiv, was unter Gänsefüßchen? Stimmen die Zeiten, Präpositionen und Nebensätze? Wie wird der Text flüssiger, verständlicher, anschaulicher? Hinkt ein bestimmter Vergleich im Text? Ist er überhaupt angebracht? Stärkt die Metapher den Text, oder schwächt sie ihn?

Nicht bloß einmal nickt Andreas Findig und hebt die Augenbrauen. "Ich verstehe, was du dem Leser sagen willst", antwortet er auf unsere Erklärungen, was wir mit dem Text zum Ausdruck bringen wollen. "Aber genau das will ich sehen! Das musst du mir vor Augen führen! Erkläre es mir nicht, zeige es mir!"

Am Abend bin ich ausgelaugt. Mir raucht förmlich der Schädel, das Handgelenk schmerzt vom Schreiben und viele Gedanken kreisen mir durch den Kopf. Doch in keiner Minute habe ich das Gefühl gehabt, in der Schulbank zu sitzen und einem Frontalunterricht zu lauschen. Andreas Findig gab uns die Möglichkeit, gemeinsam mit ihm an den Texten zu feilen. Er führte uns exakt dahin, wo wir erkannten, was am Text funktionierte und was daran nicht passte oder grob daneben lag.

Vieles wurde an diesem Tag besprochen, diskutiert, über Bord geworfen und neu gelernt. Nicht alles ist hängen geblieben ... kann es auch gar nicht ... doch es wurde für gut befunden und im Unterbewusstsein gespeichert. Wenn wir demnächst zur Tastatur greifen und neue Raumschiff-Schlachten entwerfen, bizarre Laborprojekte beschreiben, eigenwillige Computerprogramme kreieren, unheimliche Zeitreisen schildern und merkwürdige Science-Fiction-Katzen durch die Stadt laufen lassen, werden die Kenntnisse aus dem Workshop zu Tage kommen und zu wirken beginnen.

Doch eines kann uns der Workshop – so gelungen er war – leider nicht abnehmen: Wir müssen uns schon selbst hinsetzen und schreiben. Denn wie bereits Raymond Queneau formulierte: Nur schreibend wird man Schriftsteller!

Und Dank dieses Workshops werden in Zukunft bestimmt bessere und spannendere Geschichten geschrieben.

 

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Copyright © Mai 2002 by Andreas Gruber

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Science Fiction-Schreibwerkstatt Schloß Retzhof