Der Liebhaber

von Marc-Ivo Schubert  
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Alana hielt Hof. Auf ihrem Thron aus Diamant schwebte die  Tochter des Hohen Kaisers und Herrscherin über die Äußeren Provinzen des Reiches zwei Meter über dem Boden. Aus kalten, grünen Augen blickte sie auf ihre Untertanen hinab: Vertreter der Völker von hundert Planeten, Diplomaten, Angehörige von Handelsdelegationen, Ratsmitglieder, Mili­tärs, Bitt­steller und Speichellecker; bunte Kleider neben schlichten Gewändern, modische Garderobe neben einfachen, zweck­mäßigen Uniformen. Ein Stimmgewirr aus tausend Kehlen erfüllte den Saal, ein Quietschen und Girren, Rufen und Schrillen, und über allem verwoben sich Körperausdünstungen und Parfüms der Angereisten zu einem Mischmasch aus Gerüchen, der sich schwer auf die Lungen legte.

Prinzessin Alana krauste die wohlgeformte Nase, tippte mit feingliedrigen Fingern auf einige Tasten der in ihren Thron eingelassenen Konsole und genoß den Strom kühler Luft, der aus verborgenen Düsen über ihren schlanken Körper strich. Dann beugte sie sich entschlossen vor. Es war an der Zeit, den ersten Sprecher aufzufordern. Doch ehe sie ein entsprechendes Zeichen geben konnte, fiel ihr Blick auf Hofmeister Yerk, der sich eilig durch die Menge nach vorne drängte, an den vor dem Thron postierten Männern der Kaiserlichen Garde vorbeiquetschte und vor der Prinzessin auf die Knie sank. Alana drückte weitere Tasten, und ihr fliegender Sitz sank nach unten.

"Euer Erhabenheit! Juwel des mächtigen Menschenvolkes!" keuchte Yerk mit quittengelbem Kopf – Zeichen seiner großen Aufregung. "Die Dunkelwolke. Die verborgenen Planeten, die Eure Kundschafter in den unerforschten Regionen jenseits der Provinzen entdeckten!"

"Immer ruhig, mein lieber Hofmeister", sagte die Prinzessin mit glockenheller Stimme. "Ihr bringt Nachricht von meiner Flotte? Die Planeten sind eingenommen und haben sich dem Reich unterworfen?"

"Nein, das nicht, Hohe Herrscherin." Yerk kratzte sich verlegen an einem seiner drei Ohren. "Die Welten der Dunkelwolke sind von Energieschirmen umgeben, die unsere Schiffe nicht durchdringen können."

"Aber sie wurden zur Kapitulation aufgefordert?"

"Sie reagierten nicht auf unsere Funksprüche. Doch vor Kurzem startete ein gewaltiges Raumschiff von einem ihrer Planeten, raste ohne Mühe durch unsere Verbände und ging mit unfaßbarer Geschwindigkeit in den Überlichtflug."

Prinzessin Alana beugte sich vor. "Fand man heraus, wohin es wollte?"

"Hierher, Herrscherin. Es hat sich bereits mit einer kurzen Funkbotschaft angekündigt."

"So werden sie uns einen Vertreter ihrer Regierung geschickt haben."

"Nicht ganz." Yerk straffte sich, Empörung im Blick. "Es ist wirklich unerhört, Eure Hoheit. In ihrem Spruch heißt es, sie hätten der Prinzessin des Reiches einen Liebhaber gesandt – und er ist bereits hier!"

 

*

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich Yerks Bericht von den zuvorderst Stehenden durch die Menge. War es zuvor laut ge­wesen, so summte und brummte es jetzt wie in einem Bienen­stock. Dann öffneten sich die Flügel des großen Tores. Schlagartig wurde es still. Tausend Augenpaare richteten sich auf das Wesen, das nun den Saal betrat. Und aus tausend Augen starrte es kalt zurück.

"Insektoid!" entfuhr es Prinzessin Alana, die ein optisches Verstärkungsfeld aktiviert hatte, um den unerwarteten Besucher von Beginn an deutlich sehen zu können. Noch nie waren Menschen auf intelligente Insektenabkömmlinge gestoßen.

Sie war nicht weniger verblüfft als jeder andere der An­wesenden, die schweigend eine Gasse bildeten. Auf vielen Ge­sichtern zeigten sich neben Verwunderung auch Erschrecken, Furcht, sogar Abscheu. Lediglich Haushofmeister Yerk war sichtlich fasziniert - Insekten waren seine große Leidenschaft, und Prinzessin Alana erinnerte sich mit Schaudern an das erste und letzte Mal, daß sie seinem Drängen nachgegeben und sich seine umfangreiche Sammlung angeschaut hatte.

Dem Fremden war nicht anzumerken, ob er all diese Reaktionen überhaupt zur Kenntnis nahm. Mit unbe­weg­ter Miene durchquerte er den weiten Saal in schreck­li­cher, unmensch­licher Eleganz, fast, als schwebe er. Hauch­dünne Stoffe in düsterem Rot umflossen dabei seinen Körper, ohne von diesem mehr als schwammige Konturen preiszugeben. Doch allein der mächtige, linsen­förmige Schädel, schwarzgelb gestreift, voll schrun­diger, schleimig glänzender Warzen und mit kräftigen Kieferzangen bewehrt, ließ keinen Zweifel an seiner Abstammung. Die Männer der Kaiserlichen Garde packten grimmig ihre Waffen fester.

"Halt!" rief Prinzessin Alana, als der Besucher nur noch wenige Schritte entfernt war.

Und tatsächlich blieb er stehen, verbeugte sich – es sah aus, als neige sich ein Stab nach vorne, um sich dann lang­sam wieder aufzurichten -, und sagte mit schnarrender, wenig modulierter Stimme: "Erlaubt mir, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Tsymm, und ich stamme von den Welten, die Ihr die Planeten der Dunkelwolke nennt. Ihr habt eure Kriegsschiffe dorthin beordert, um sie in Besitz zu nehmen."

Prinzessin Alana flog ein wenig empor, bis ihr Thron Tsymm überragte. "Das tat ich", sagte sie dann. "Denn mein Vater, der Hohe Kaiser, ist Herr über alle bekannten Planeten unserer Galaxis." Und ironisch fügte sie hinzu: "Eure Welten sind uns nun ebenfalls bekannt."

"Ich verstehe, was ihr meint." Tsymm verneigte sich er­neut. "Dennoch muß ich mich eurem Ansinnen verweigern. Ich empfehle Euch, Eure Schiffe abziehen, ehe wir ihrer überdrüssig werden."

"Ihr empfehlt – nein, Ihr droht mir!" Alanas Antwort klirrte kalt wie Eis. "Seit tausend Jahren herrschen wir Menschen. Noch jedes Volk wurde unserem Reich untertan. Ver­traut nicht zu sehr auf Euere Schutzschirme, mit denen Ihr Eure Welten unserem Zugriff entzieht. Über kurz oder lang werden wir sie beiseite fegen." Sie schnippte mit  den Fin­gern. "Einfach so! Ihr werdet uns nicht aufhalten können."

"Das können wir. Und das werden wir." Ein drittes Mal verneigte sich Tsymm, und als er danach weitersprach, klang er  nicht weniger frostig als die Prinzessin zuvor. "Vor tausend mal tausend Jahren herrschte mein Volk in dieser Galaxis, bis es des Herrschens müde wurde. Danach lebte es tausend mal tausend Jahre im Verborgenen, um sich nur mehr der Forschung, der Philosophie und den schönen Künsten zu widmen. Nun seid ihr Menschen gekommen, um unsere Ruhe zu stören. Schreckt uns nicht auf aus dieser Ruhe. Weckt nicht unseren Zorn, denn sonst wird es am Ende still, sehr still über den Menschenwelten!"

Beinahe wäre Alana aufgesprungen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig daran, daß ihr Thron gut anderthalb Meter über dem Boden schwebte. "Ha!" brüllte sie zornig. "Tausend mal tausend Jahre! Glaubst du, ich beuge mich einem Insekt? Gardisten! Ergreift ihn!"

Sofort schnellten die Männer vor, doch ehe sie den Fremden erreichten, ließen sie ihre Waffen fallen, griffen sich an die Schläfen und brachen wimmernd zusammen.

"Sie können mir nichts anhaben", sagte Tsymm. "Aber ich sehe, daß Ihr und Euer Volk aggressiv und unbeherrscht seid. Da bleibt nur ein Weg, einen Krieg zu vermeiden: als ausgewiesener Liebhaber werde ich Euch als Faustpfand mit mir nehmen." Er senkte den Kopf, und der Thron sackte nach unten.

"Niemals!" Alana streckte abwehrend die Hände vor, nackter Ekel verzerrte ihr Gesicht. "Ehe ich dich auch nur berühre, bringe ich mich lieber um!"

Einen Augenblick stand Tsymm starr und steif vor der Prinzessin, dann ertönte ein lautes Fiepen, die Beißzangen schlugen klackend aneinander, sein ganzer Körper begann unter den wallenden Gewändern zu zucken: Tsymm lachte. Alana starrte ihnen fassungslos an.

"Liebhaber!" rief er, kaum daß er sich beruhigt hatte. "Ihr mißversteht mich, Prinzessin. Ich bin ein ausgewiesener Liebhaber aller hominiden Lebensformen – und Ihr werdet eines meiner schönsten Exponate sein!"
 

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Copyright © Mai 2002 by Marc-Ivo Schubert  


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