Figur am Rand
(je 150x150cm, 2012-2017)
Meine künstlerische Arbeit zeichnet sich bislang durch eine konsequente Beharrlichkeit an einzelnen Bildmotiven aus. Die „Männerbilder“ handeln genaugenommen nur von einem Mann, der Modell steht, und er war kein Renaissance-Jüngling, er war Dichter für experimentelle Literatur und ich dokumentierte via Malerei seine letzten zehn Lebensjahre. Er ist 2017 im Alter von 57 Jahren gestorben.
Mich interessiert Haut in all ihren Farbschattierungen, als Membran zwischen innen und außen, auch als Reflektor des jeweiligen Umfelds. Die großen Hautflächen z.B. eines Rückens erlauben ganz andere malerische Lösungen als die Feingliedrigkeit von Gesicht oder Händen. Haut ist etwas individuell Buntes, Verletzliches, Vergängliches, individuell Duftendes, das sich unter dem Einfluss von Wärme und Licht ständig in Veränderung befindet. Zusätzlich ist Haut konfrontiert mit Kleidung oder einem Raum mit Möbeln. Die Begegnung der Haut mit der Umwelt – des menschlichen Körpers mit dem Raumkörper – und die Umsetzung dessen in Malerei interessieren mich seit meinem Studium. Die ursprüngliche Motivation für den Beginn der Arbeit an den Männerbildern war außerdem, mein Männerbild für mich selbst sichtbar zu machen und auf die Probe zu stellen.
Während der Arbeit an einem Bild bekomme ich immer Lust, dasselbe Motiv in eine andere Farbigkeit getaucht oder von einem anderen Blickwinkel aus gesehen nochmals zu probieren und vielleicht noch besser auf den Punkt zu bringen. Das Konzept der Wiederholung eines Motivs verdichtet den Arbeitsprozess und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, bei der Arbeit ganz bei sich zu sein sowie im idealen Fall von sich selbst „abzuheben“, um intuitiv nach neuen Bildlösungen greifen zu können.
Ich gehe immer von Motiven aus, die ich nach langem Überlegen und Ausprobieren in meinem Atelier inszeniere. Bei der Umsetzung dessen in mein gemaltes Bild reduziere ich mich aber auf jene Details, deren Ausführung mich hauptsächlich interessieren. Aus den dadurch entstehenden Fragmenten versuche ich neue Zusammenhänge in einer irritierenden Perspektive zu entwickeln.
Bereits die Wahl des Modells ist eine gesellschaftspolitische Frage: wie jung, gestylt und ästhetisch ansprechend muss ein Modell sein? Bei einer Vernissage in Italien 2011 wurden meine Männerbilder als Gegenreaktion auf den schönheitsoperierten Berlusconi interpretiert und deshalb als subversiv wahrgenommen.
Galeristen in Österreich haben mir wiederum nahegelegt, auf junge, hübsche, wenig bekleidete weibliche Modelle umzusteigen, weil das viel besser verkäuflich sei.
Ich versuche mit Hilfe der Malerei einen ehrlichen Standpunkt gegenüber dem Leben und dem mich umgebenden Umfeld zu finden. Thema wird, was mir mein Leben zuträgt, mich interessiert, inspiriert und berührt. Wenn Betrachter darauf mit Offenheit reagieren, fühle ich mich am richtigen Weg.
Das Schrille, Schockierende ist nicht mein Bedürfnis. Es ist für mich nicht nötig, mit Hilfe einer schmerzvollen Pose des Modells Spannung ins Bild zu bringen. Spannung setze ich eher in den Dialog zwischen dargestellter Figur und dem Umraum: In die Fragen, ob der Körper seine Umgebung dominiert, oder wie weit er an den Rand gedrängt werden kann. Ob er Teil des Raumes ist oder dem Raum fremd bleibt und verloren geht.
Und an Trends und Moden in der Malerei – wie der fetzigen, tropfend-rinnenden Malweise – passe ich mich nicht an.
Es war nicht geplant, zehn Jahre lange dasselbe Modell zu malen. Es ist wohl eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen uns entstanden.
Wenn HJ Zauner ins Atelier kam, trank er zuerst einmal eine Tasse Kaffee bevor er sich in eine gemeinsam gefundene Pose begab: Zuerst hatte ich eine Bildidee, dann schauten wir gemeinsam, wie diese Pose zu ihm passt und ob er sie längere Zeit durchhalten würde. Nachdem ich die Leinwand selbst hergestellt und mit Buntstift die Bildkomposition festgelegt habe, baue ich meine Bilder gerne in transparenten, ineinandergelegten Farbschattierungen auf. Ich arbeite nur in Ölfarben, weil sie immer wieder Zeit zum Trocknen brauchen. Die Trockenzeiten sind wichtige Pausen, in denen ich das in Entstehung befindliche Bild kennenlernen, dem subjektiv spontanen Beginn eine objektive Richtung geben kann.
Für mich war nicht vorherzusehen, dass wir so lange miteinander arbeiten würden. Das hat sich eher daraus ergeben, dass HJ Zauner immer wieder motiviert war, sich unentgeltlich als Modell zur Verfügung zu stellen, wobei er auch der einzige Mensch in meinem Umfeld ist, der mit seiner Zeit so großzügig umgehen kann. An einem Bild arbeite ich durchschnittlich drei Monate, für „Figur am Rand“ in vierzehn-tägigen Intervallen je zwei Stunden mit Modell.
Ein Foto kann die Hautfarben, so wie ich sie am Modell sehe, nicht sichtbar machen. Die lebendige, sich in ständiger Veränderung befindliche Wirklichkeit ist die spannendste Herausforderung für mich.
Rosa war Zauners Lieblingsfarbe und zu besonderen Anlässen wie z.B. zu seinen Lesungen trug er einen rosa Overall. Da es im Winter im Atelier ziemlich kalt ist, hatte ich die Idee, diesen Anzug mit seiner rosa Draperie in das Bild mit einzubeziehen. Rosa wird von Kindern, wenn sie Menschen oder Gesichter malen, als Hautfarbe benützt. Es war für mich interessant, den Farbkörper – mein gemaltes Geflecht von Hauttönen wie grün, lila, orange, rosa, braun und rot – der Fläche eines extrahierten Hautähnlichen Tons gegenüberzustellen. Der rosa Anzug hat etwas sehr Fleischliches und wirkt wie eine weibliche Verkleidung.
Bei der freien (d.h. ohne technische Hilfsmittel) Übertragung des Gesehenen auf die Leinwand passieren Ungenauigkeiten und zugleich Präzisierungen, die für den Entwicklungsprozess des Bildes sehr interessant sein können.
Fotos sind Abbilder, Kopien des Gesehenen, eingefrorene Augenblicke. Malerei kann jedoch während eines längeren Zeitraums Gesehenes in Farben, in die Materialität von Farben und Linien und in einen persönlichen Pinselduktus übersetzen.
In einigen Bildern habe ich versucht, mit den Gegenständen des Raumes im Sinne von Zauners Sprachverständnis umzugehen: die Dinge auf das, was mich momentan an ihnen interessiert hat, zu reduzieren und sie lustvoll mit Anderem aus dem Umfeld zu kombinieren. In der Serie „Figur am Rand“ versuche ich auch, den Körper selbst in dieser Weise mit seiner Umgebung zu verflechten.
Das Malen nach Modell ist ein interaktiver Prozess. Auch wenn der Großteil des Bildes in Abwesenheit des Modells entsteht, fließt die Stimmung während der Sitzungen und was währenddessen erzählt wird in die Bilder ein.
Obwohl die allgenmeinen Regeln der räumlichen Perspektive vorwiegend eingehalten werden, kippt die mit Auslassungen arbeitende Malweise mitunter den Hintergrund in den Vordergrund, wodurch die Figur in einen wagen, fragilen Zwischenraum gerät. Der Zwischenraum bezeichnet die Balance zwischen dem Raum als ersehntem Rückzugsort nach eigenem Geschmack und dem Raum als Ort der Einsamkeit und des Scheiterns an sich selbst. Der Raum als Ort, an dem Desorientierung sichtbar wird.
Ergänzt wird die Malerei von Objekten, die aus Materialien wie Malfetzen, Tuben oder Rasierklingen bestehen, welche während des Malens als Abfall übrigbleiben. Hier werden Reste als Reliquien inszeniert, welche durch ihre Titel wie „weiß, nackt“, „Haut“ oder „die Starken schauen ums Eck“ poetische Assoziationskraft entwickeln.
Diese Objekte fließen zum Teil in der Serie „Figur am Rand“ auch wieder in die gemalten Bildräume ein: in „Hey“ sitzt die Figur beispielsweise in einem von gespannten Schnüren definierten Raum, den ein gemalter Malfetzen ziert.
Für die letzten Bilder der Serie „Figur am Rand“ wurde ein assoziatives Objekt absurden Charakters gebaut, bestehend aus einer Bananenschachtel, einer Luftmatratze und zwei Birnen, das als solche Figur das Modell herausfordert oder auch ersetzt.
HJ Zauner war als Künstler ein inspirierendes Modell, vielleicht könnte man auch Muse (Muser?) sagen. Aber die Bildfolge „Figur am Rand“ dokumentiert auch mein Ringen, die Bilder von seiner Präsenz zu befreien. Ein halbes Jahr vor seinem Tod habe ich die Zusammenarbeit mit ihm beendet.
Zum Tod von Hansjörg Zauner, veröffentlicht in Literatur und Kritik, Ausgabe 3/2018, (Judith Zillich)
Seit dem Tod von Hansjörg Zauner am 30. Juni 2017 versucht mein Mann, seine Erinnerungen an ihn in Worte zu fassen, was schwierig ist und ihm nur teilweise gelingt, da er Hansjörg Zauner fast ausschließlich von meinen gelegentlichen Erzählungen kennt. Seine Beharrlichkeit diesbezüglich erstaunt und interessiert mich.
Von Leuten, die Hansjörg nicht kannten, wurde ich gefragt: ist dein Mann nicht eifersüchtig, wenn du dich in deiner Arbeit derart intensiv mit einem anderen Mann auseinandersetzt? während Freunde, die Hansjörg kannten, fragten: wie hältst du das nur so lange aus?
Bei einer Herbst-Wanderung durch den Wald schlägt mir mein Mann wieder einmal vor, einen Text über Hansjörg zu schreiben, bevor die Erinnerung an ihn verlorengeht. Kaum jemand hätte ihn so gut gekannt wie ich – meint er.
Ich habe ihn in zehn Jahren hundert Mal gemalt, das ist genug – meine ich… Da unser Sohn noch im Tragetuch gesessen ist, muss es wohl 14 Jahre her sein, als mein Mann, dem Hansjörg Zauner aufgrund eines Künstlerportraits im Standard ein Begriff war, ihn bei einem Fest angesprochen und uns bekannt gemacht hat. Es stellte sich heraus, dass er in dem Haus wohnte, in dem sich neuerdings mein Atelier befand und wir trafen uns danach öfter zufällig im Stiegenhaus. Als ich auf der Suche nach einem Modell war, vermittelte er mir eine Freundin, bei der er Shiatsu nahm.
Nach zwei Jahren übersiedelte diese nach Brüssel, ich war auf der Suche nach einem neuen Modell und um die Zeit zu überbrücken, habe ich Hansjörg zu einem Portrait eingeladen, das ich ihm danach geschenkt habe. Erst einige Zeit danach hatte ich die Idee, ein großes Bild von ihm zu malen. Er war sofort dafür. Nimm dir alle Zeit der Welt, hat er gemeint, als er für dieses Bild drei Monate lange kommen musste, bis es endlich fertig war. Mit dem Bild hat sich die Idee für ein weiteres Bild entwickelt: diesmal eine andere Farbe, eine andere Haltung, ein anderer Hintergrund…
Die Sitzungen verliefen immer gleich und es war wichtig, einen vereinbarten Termin einzuhalten, auch wenn ich Kopfweh hatte oder es aus irgendwelchen Gründen momentan ungünstig war. Da ich zu Beginn unserer Zusammenarbeit nur die Zeit zur Verfügung hatte, in der meine Kinder im Kindergarten waren, haben die Sitzungen zehn Jahre lange von 09:15 bis 12:00 gedauert. Ich musste am Weg zu meinem Atelier an seiner Wohnung vorbei, wo er dann schon hinter der Türe sitzend und an seinen Texten korrigierend auf mich gewartet hat. Sehr oft sollte ich dann noch in seine Wohnung kommen, um neue Arbeiten zu betrachten, von denen Dieser und Jener schon ganz begeistert sei. Ich musste mich meistens überwinden, in diese Wohnung hineinzugehen, weil ich die Luft darin nicht einatmen wollte. Mein Zögern hat ihn geärgert: wieso bleibst du immer vor der Türe stehen? Wegen mir ist im Winter warme Luft in den Gang entwichen, wo er doch mit dem Heizen so sparsam war.
Während er sich danach im Atelier an den Tisch setzte, um zu berichten, was sich in der Zeit seit unserer letzten Sitzung ereignet hatte, habe ich schnell Kaffee gekocht, wobei ich nicht zu lange mit dem Rücken zu ihm stehen sollte. In den ersten Jahren wollte er zum Kaffee einen Teller voll verschiedener Schokoladen, die er ziemlich gierig aufgegessen hat. Ein Rest der Schokolade war dann die weitere Zeit als Rand an seinem Mundwinkel zu sehen, und da er während des Erzählens immer heftig gestikulierte, war der Boden um seinen Sitzplatz danach mit Schokolade verbröselt. Nach ein paar Jahren wollte er lieber einen Krapfen zum Kaffee haben, und während der letzten Zeit gar nichts mehr. Manchmal habe ich ihm Lebensmittel geschenkt, ihn aber nie als Modell bezahlt.
Bei seinen Ausführungen kam dann unweigerlich die Frage: wer, meinst du, hat gestern angerufen? Um mir beim Raten zu helfen gab er Hinweise wie: Eine, die sich nur ganz selten meldet, oder: du kennst ihn auch. Diese Art von Fragespiel habe ich gehasst, nicht zuletzt, weil dieses Spiel nur er spielen durfte, er wäre bis zuletzt nicht in der Lage gewesen, die Namen meiner Kinder oder meines Mannes zu nennen.
Nebenbei habe ich dann begonnen, auf die Uhr zu schielen, denn nach einer dreiviertel Stunde konnte ich ihn in seine Position setzen und mit dem Malen beginnen. Denn eine dreiviertel Stunde hat es auch gedauert, bis im Winter das Atelier warm genug war, um zumindest die Socken auszuziehen, damit ich beispielsweise mit dem Malen der Füße beginnen konnte…
Inzwischen gingen seine Ausführungen weiter. Wenn ich Pech hatte, berichtete er bis zu einer Stunde lange, in welchem Supermarkt gerade welches Sonderangebot zu kaufen war, was er sich heute nach der Sitzung wie kochen würde, was er sonst noch gerne essen wollte, mit wem er wo was gegessen hatte und wie teuer oder billig das gewesen war. Welche neuen Lokale es in der Nähe gibt und in welchem er gerne ein Mittagsmenü ausprobieren und wie viel das kosten würde, wenn er dazu nur ein Glas Wasser bestellen könnte. Wann er dafür wieder einen Fasttag oder einen ein-Euro-Tag einlegen würde. Wie oft er derzeit ins Rhiz gehen kann und wie viel Bier er sich dort erlaubt oder wer ihn auf ein Bier eingeladen hat…Und dass er im Waschsalon war und wann es wieder einen Termin für Shiatsu gibt, der hoffentlich nicht wieder verschoben wird. Da es in seiner Wohnung weder eine Dusche noch warmes Wasser gab, musste vor Shiatsu noch Zeit sein für den Besuch des Tröpferlbads... Dabei wurde mir die Zeit lang und ich schielte manchmal zur Uhr um zu sehen, wie lange diese Sitzung noch dauern würde.
Besser war die Stimmung, wenn er darüber berichtete, welche Preise ihm bereits verliehen worden waren und welche er gerne noch bekommen würde. Wer welchen Preis bekommen hat, obwohl er oder sie ihn gar nicht verdiente. Mein Part dabei war, super zu sagen oder: den bekommst du bestimmt auch noch. Was mich aber von Anfang an fasziniert hat, war diese Sicherheit, mit der er sich als Künstler begriffen hat, die Beharrlichkeit, mit der er seine tägliche künstlerische Arbeitsroutine vollzog und auch seine Begeisterung über seine Erfolge, obwohl seine Bücher kaum gelesen wurden und bei seinen Lesungen gegen Ende seines Lebens hin fast kein Publikum mehr war. Von seinem künstlerischen Eigensinn habe ich viel für meine eigene künstlerische Entwicklung gelernt, abgeschnitten, wie man so sagt. Er war begeistert über das „typisch Zaunerische“ in seiner Sprache und war stolz auf seinen Anklang bei Frauen, wenn er bei seinen Lesungen mit seinem rosa Overall bekleidet als rosaroter Panther der österreichischen Literaturszene auftreten konnte. Nur ein einziges Mal hörte ich ihn bedauernd sagen: ich würde ganz andere Texte schreiben, hätte ich in meinem Leben in einer Beziehung gelebt.
Wirklich gelungen fand ich die Sitzungen, in denen er irgendwann zum Thema Familie oder Liebe gefunden hat oder ich ihn dahin lenken konnte. Da kam er auf die Idee, seine diversen Buchtiteln auf Kellnerinnenschmerzen1, Kellnerinnenschmerzen2…umzubenennen oder er begann Gedichte von Bachmann oder Neruda zu zitieren. In seinen verhältnismäßig wenigen Erinnerungen beschrieb er sich als einsames, schüchternes, emotional vernachlässigtes Kind. Sein Vater hat sich weder für ihn interessiert noch für ihn Alimente bezahlt. Es gab nur zwei oder drei kurze Treffen mit ihm, und als einziges Geschenk eine abgelaufene Tafel Schokolade. Seine alleinerziehende Mutter hatte keine Zeit, etwas mit ihm zu unternehmen, und konnte auch am Abend nicht bei ihm sein, da war die Wohnung abgesperrt und Hansjörg weinte vor der verschlossenen Türe, bis er traurig alleine ins Bett ging, während die Mutte im Gasthaus an der Kassa saß. Da war ein Opa, der die selbe Rechtschreibschwäche hatte wie er, der „daneben ton hot“ und seiner Frau dann die Abschiedsbriefe an seine Ex-Geliebten diktieren musste. Seine Mutter, die aufgrund ihrer Tüchtigkeit das Angebot bekam, in die Schweiz zu gehen, das aber abgelehnt hatte, weil sie ihren Bruder in der Obertrauner Fleischerei nicht im Stich lassen konnte. Hansjörg, der im Sommer beim Servieren geholfen hat, während die anderen Kinder Ferien hatten, und so schnell serviert hat, dass er von einem Gast als Nachwuchstalent für Leichtathletik entdeckt wurde. Sein Leben als Schüler in der Hauptschule B-Zug, wo ihm ein Lehrer angedroht hat, er müsse in der heißen Sonne stehen, bis ihm schwarz vor den Augen würde. Hansjörg, der nach einer Ohrfeige von seiner Mutter die Nerven verlor und mit Baldriantropfen wieder beruhigt werden musste. Der mit seiner Mutter in Wien in die Oper ging, wo er von der Loge aus auf das Publikum hinunterspuckte. Seine Cousinen, die im selben Haus wohnten, mit denen er gerne wie mit Geschwistern aufgewachsen wäre, was seine Tante jedoch verhindert hat, er durfte nicht mit ihnen spielen und musste nach der Schule alleine zur „Tante Hö“ essen gehen. Diese Tante habe ihn leider nur verwöhnt, ihm alles durchgehen lassen und ihn mit Süßigkeiten gefüttert, während seine Mutter in der Fleischerei gearbeitet hat. Kam er dann nach Hause, bekam er schwarzen, kalten Kaffee zu trinken. Und dann noch der Krampus, den er am Ehering als unecht erkannte und all die traditionellen Feste in Obertraun…
Sitzungen mit solchen Themen sind schnell vergangen, und wenn ich ihn dann um 12:00 unterbrechen musste, um meine Kinder abzuholen, fand er es schade: was, so spät ist es schon? Während solcher Sitzungen hatte ich gute Ideen für meine Malerei, das Arbeiten war spannend und ich habe mich auf die nächste Sitzung gefreut, die dann aber möglicherweise gar nicht gelungen war, weil er dann alles besser wissen wollte und beim kleinsten Einwand meinerseits aggressiv in die Höhe gegangen ist, als könnte er es kaum fassen, wie dumm ich bin. Zum Selbstschutz habe ich meinen Gesprächsbeitrag gegen Ende unserer Zusammenarbeit daher, so es möglich war, auf aha, hm oder gut und super reduziert.
Nach jeder Sitzung hat Hansjörg im Vorbeigehen einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel auf mein Bild geworfen, es hat ihn nie interessiert, was und wie ich ihn male, und wir haben auch nie über meine Arbeit gesprochen. Ich vermute, meine Malerei hat seinem Begriff von Avantgarde nicht entsprochen, beziehungsweise war es ihm vielleicht auch zu nahe und er wollte sich selbst nicht vorgeführt sehen. Ihn hätte interessiert, wie viele Bilder es schon sind, da mir das aber egal war, habe ich sie erst nach seinem Tod gezählt.
Gegen Ende seines Lebens hat Hansjörg Zauner immer häufiger besorgt festgestellt: meine Kontakte verdünnen sich. Er litt unter seiner Einsamkeit, die um Weihnachten am schlimmsten war. Auch unsere Sitzungen habe ich während der letzten zwei Jahre von ein Mal wöchentlich auf zwei Mal monatlich reduziert, da seine Figur nur mehr einen kleinen Teil in meinen Bildern einnehmen sollte, während die Einrichtungsgegenstände meines Ateliers und insbesondere eine Luftmatratze als seine Gegenspieler mehr Platz auf der Leinwand beansprucht haben. Mit dem Jahreswechsel 2016/17 habe ich unsere Zusammenarbeit dann beendet. Ihm das mitzuteilen war schwierig, und ich habe es lange vor mir hergeschoben, aber meine Aggression gegen ihn und seiner Präsenz in meinen Bildern wurden zu groß. Gekränkt hat er den Kontakt zu mir daraufhin gemieden, bis er innerhalb weniger Wochen so schwach war, dass er seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte und Hilfe beim Einkaufen benötigte. Ein paar Wochen lang habe ich dann mitunter täglich bei ihm vorbeigeschaut, um zu sehen, wie es ihm geht und ihn zu ermutigen, das Bett zu verlassen und selbst aus dem Haus zu gehen, um körperlich nicht so abzubauen. Ich hatte den Eindruck, dass er körperlich gesund war, aber wie ein Kleinkind versorgt werden wollte, und zwar hauptsächlich von mir, denn sonst schien kaum jemand mehr da zu sein. Aber ich wollte keine Mama für ihn sein, und meine Hilfe war auf das Nötigste reduziert. Wenn ich auf seine Aussage: ich habe ja niemanden mehr außer dir, Vorschläge machte, dort und da Hilfe zu holen, hat er es strikt abgelehnt. „Eine Erfolgsmeldung oder die Zusage für ein Staatsstipendium würde mir nochmals Kraft geben.“
Ende Juni habe ich mich von ihm verabschiedet, weil ich zu einem Symposium nach Salzburg eingeladen war. Wer weiß, ob wir uns danach nochmals sehen werden, hat er gemeint. Bestimmt, habe ich gesagt, das wird schon wieder. Wenige Tage danach ist er in seiner Wohnung gestürzt, wobei sein Oberschenkelhals gebrochen ist. Wenige Stunden nach der erfolgreichen Operation ist er – ich vermute aus Schwäche – gestorben. Kurz davor muss er die Absage für ein Staatsstipendium erhalten haben.
Bei seinem Begräbnis in Obertraun lerne ich seine Cousine kennen, die das Bild vom armen, einsamen kleinen Hansjörg nicht stehen lassen will: er kann als kleines Kind gar nicht alleine in der Wohnung gewesen sein, weil bis zu seinem siebten Lebensjahr die Oma ebenso dort gewohnt hat. Und bei allen Ausflügen waren seine Cousinen immer mit dabei, jeder im Dorf hätte gedacht, sie wären Geschwister. Nach der Schule war sie auch mit bei der Tante zum Essen und Aufgabe machen und überhaupt wäre HJ aufgewachsen wie ein Prinz, braungelockt habe er auch so ausgesehen. Alles, was ein Kind seiner Zeit an Spielzeug haben konnte, hat er gehabt. Alle Geburtstage wurden an Hansjörgs Geburtstag auf einmal gefeiert, und es gab immer nur Hansjörgs Lieblingstorte.
Der Bürgermeister erinnert sich in seiner Grabrede an eine Episode des Indianer-Spielens, in der Hansjörg von den Buben an einen Baum gefesselt wurde, rund um ihn hätten sie Strohballen platziert, die dann angezündet wurden, bevor die Buben davonliefen. Hansjörg habe erbärmlich um sein Leben geschrien, bis zum Glück eine Frau vom Ort gelaufen kam, um ihn zu befreien. Dass Hansjörg ein Kind war, das gemobbt wurde, hat er mir nie erzählt.
Judith Zillich im Gespräch zu den Männerbildern, Videointerview, Reichmann, 2017
Videointerview 2017 by Reichmann
unzeitgemäß und leistungsfeindlich, Gespräch von Joannes Rauchenberger mit Judith Zillich, Springer Verlag Kunst und Kirche, 03/2010
Die Künstlerin Judith Zillich über das Archaische des Kinderkriegens, über Entschleunigung, Sinnlichkeit und über intime Malerei.
In der Stillphase mit ihren beiden Kindern malte die seriell arbeitende Wiener Künstlerin Judith Zillich täglich am Abbild ihrer Babys. Welche Erfahrung sie dabei im Atelier und in der Rezeption mit Kuratorinnen machte, warum sie das Mutterthema für ein im besten Sinne unzeitgemäßes Thema hält, wie sie Variationen der Balance zwischen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz gerade am Thema der Haut malerisch umsetzt und warum sie frühere Madonnenbilder durchaus kritisch sieht, erzählt Judith Zillich im Gespräch mit „Kunst und Kirche“.
KuK: Frau Zillich, Ihre künstlerische Arbeit zeichnet sich bislang durch eine konsequente Beharrlichkeit an einzelnen Bildmotiven aus: Derzeit sind es Männerbilder. Aber es ist genaugenommen nur ein Mann, der Modell steht, und er ist kein Renaissance-Jüngling, sondern durchaus reifen Alters –50-jährig… Was fasziniert Sie an einer so kontinuierlichen malerischen Arbeit am Körper?
JZ: Mich interessiert Haut in all ihren Farbschattierungen, als Membran zwischen innen und außen, auch als Reflektor des jeweiligen Umfelds. Die großen Hautflächen z. B. eines Rückens erlauben ganz andere malerische Lösungen als die Feingliedrigkeit von Gesicht oder Händen. Haut ist etwas individuell Buntes, Verletzliches, Vergängliches, individuell Duftendes, das sich unter dem Einfluss von Wärme und Licht ständig in Veränderung befindet. Zusätzlich ist Haut konfrontiert mit Kleidung oder einem Raum mit Möbeln. Die Begegnung der Haut mit der Umwelt – in den Stillbildern sind es beispielsweise Haut und Kleidung der Mutter – und die Umsetzung dessen in Malerei interessieren mich seit meinem Studium.
Anfangs war es Ihr Gesicht. Danach Ihre Kinder. Und immer ist es eine ganze Anzahl von Bildern, die daraus hervorgehen. Welcher Zugang zur Malerei ist das für Sie?
Bereits während der Arbeit an einem Bild bekomme ich Lust, dasselbe Motiv in eine andere Farbigkeit getaucht oder von einem anderen Blickwinkel aus gesehen nochmals zu probieren und vielleicht noch besser auf den Punkt zu bringen. Es ist faszinierender Weise unmöglich, ein Bild zu wiederholen. Nicht einmal eine exakte Kopie eines gemalten Bildes ist mir gelungen. Aber das Konzept der Wiederholung eines Motivs verdichtet den Arbeitsprozess und bietet gleichzeitig die Möglichkeit – vielleicht ähnlich wie bei der Meditation eines Gebets – ganz bei sich zu sein sowie im idealen Fall von sich selbst „abzuheben“.
Die Vernetzung mit Freunden und Kollegen ist in diesen ersten Jahren als Mutter aber zu kurz gekommen. Obwohl ich mit meiner Arbeit zufrieden war, bin ich, was die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit betrifft, im Vergleich zu manchen kinderlosen Kolleginnen und Kollegen ein bisschen in Vergessenheit geraten. Als Mutter und Künstlerin musste ich zu dieser Tatsache einen Standpunkt suchen, um nicht unzufrieden zu werden. Ich musste lernen, von Lob und Anerkennung sehr unabhängig zu werden und – so idealistisch das klingen mag – den Sinn und die Freude an der Arbeit in der Arbeit selbst zu finden.
Von mir aus hätte ich Lust, Tag und Nacht nur mehr im Atelier zu sein um zu malen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass mein innerer Ofen dabei ausgeht und sich eine Art burn-out einstellt. Die Kinder helfen mir, eine gesunde Balance zwischen Input und Output in meinem Leben zu wahren.
Werden Mütter mit kleinen Kindern auf einer Kunst-Akademie eigentlich akzeptiert? Welche Rollen haben Frauen mit Kindern dabei eigentlich zu spielen?
Einige Künstlerinnen, die sich zugunsten der Kunst gegen Kinder entschieden haben, thematisieren in ihrer künstlerischen Arbeit ihren Verzicht. Dem Mutter-Kind-Thema entkommt kaum eine Frau im Lauf ihres Lebens, so oder so. Ohne Mitarbeit und Unterstützung des Vaters wäre es mir jedoch nicht möglich gewesen, von der Geburt der Kinder an neben dem Mutter-Sein Künstlerin zu bleiben und die Kinder neben allen Strapazen auch zu genießen.
Die Gesellschaft erwartet, dass mit der Geburt eines Kindes das große Glück ins Leben einer Frau hereinbricht – zumindest die Werbung suggeriert solche Bilder. Die „Kunstszene“ erlebe ich so, dass sie von einer Frau beinahe erwartet, an einem Kind zu scheitern, und sollte sie das „Kind-Haben“ thematisieren, dann als Belastung oder als Angst vor einem Kind. Wir leben in einer kinderfeindlichen Gesellschaft, und das zeigt sich nach meinen Erfahrungen auch in der Kunst.
In meinen Bildern sind aber weder unreflektiertes Glück (lachender Mund, strahlende Augen) zu sehen, noch die reine Belastung. Zu sehen sind Variationen der Balance zwischen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz. Körperliche Nähe durch das Tragen – Distanz durch das kleine, abschneidende Format und die Anordnung von Kleidung im Bild. Zu sehen ist, was ich gesehen habe. Ich bin nicht mit fertigen Vorstellungen auf meine Motive zugegangen, sondern habe mich ihnen ausgesetzt und quasi abgemalt, was sie in mir ausgelöst haben.
Im Englischen meint „Mothering“ einen viel umfassenderen, dynamischeren Prozess des Leben-Bringens und in das Leben Hineinbegleitens. Ist dieser andere Begriff, „Mutter“ zu umschreiben für Sie auf das Inspirationsmodell des/der Kunstschaffenden produktiv umzulegen?
Das romantische Künstlerbild, das immer noch nachwirkt, sieht einen Künstler vor, der sich für seine Berufung opfert. Inspiration bezieht er aus dem Leiden und aus seinen die Gesellschaft verstörenden Grenzüberschreitungen, die daraus resultieren. Insofern erfüllt er eine Rolle, die die Gesellschaft von ihm erwartet, die sie vielleicht sogar benötigt, weil ihr der Künstler in dieser Rolle transzendente Überschreitungen abnimmt. Glück ist nicht vorgesehen. Ein sexuell ausschweifendes Leben passt ins Bild des ruhelos Suchenden. Seine Kinder darf er zugunsten seiner Berufung vernachlässigen. Das romantische Künstlerbild erlaubt dem Künstler lebenslängliche Pubertät, er muss für nichts Verantwortung übernehmen.
Ich will mich als Künstlerin hingegen mit dem Leben in seiner gesamten Breite auseinandersetzen. Am meisten sagen kann ich zu erlebten körperlichen und seelischen Erfahrungen. Und ich will mich im Versuch einer ganzheitlichen Entwicklung als Künstlerin und Frau von den Interessen des Kunstmarkts und den Erwartungen der Gesellschaft, die sich in eng umgrenzten Rollenzuschreibungen äußern, nicht beschneiden lassen.
Welchen Stellenwert hat die Langsamkeit in Ihrer Arbeit? Was an Ihrer Arbeit u. a. berührt, ist das Nicht-Spektakuläre, dem Ihre Zuwendung gilt. Ohne Zitat, ohne Anlehnung, ohne Ironie. Selbst Erzählerisches wird ausgespart: nur das Schlafen und das Trinken sind da, eine extreme Verlangsamung des Lebens, das man im Anblick eines Säuglings offenbar lernt. Vor diesen Stillbildern malten Sie rund 250 Selbstbildnisse. Welchen Wert hat die Arbeit des Seriellen in Ihrer Kunst, kann man sich das fast mantra-artig vorstellen?
Das Interessante am „Kinder-Kriegen“ war für mich als Künstlerin das Herauskippen aus einem leistungsorientierten, geradlinigen, kopflastigen Leben (immer/besser/mehr) in eine körperliche, unkalkulierbare, verlangsamte, von sinnlichen Bedürfnissen und Begrenzungen bestimmte Zeit, wobei ich aber an der Leistung des regelmäßigen Malens festgehalten habe. Gebären und Stillen sind etwas Archaisches, Subversives, Tierisches, Unkultiviertes – in vielerlei Hinsicht ein reicher Fundus für Kunstschaffende. Zugleich aber sind diese Tätigkeiten auch unzeitgemäß und leistungsfeindlich. Die Gesellschaft scheint ihnen auszuweichen – im Gegensatz beispielsweise zu Darstellungen von Pornographie und Gewalt, die ihren Platz in Ausstellungen und Museen gefunden haben.
Die Entschleunigung, die man mit einem Säugling erlebt, entspricht aber auch meiner generellen Herangehensweise an die Malerei: an den kleinen Stillbildern habe ich durchschnittlich je eine Woche gearbeitet. Nachdem ich die Leinwand selbst hergestellt und mit Buntstift die Bildkomposition festgelegt habe, baue ich meine Bilder gerne in feinen, ineinandergelegten Farbschattierungen auf. Ich arbeite nur in Ölfarben, die immer wieder Zeit zum Trocknen brauchen. Die Trockenzeiten sind wichtige Pausen, in denen ich das im Entstehungsprozess befindliche Bild kennenlernen, dem subjektiv spontanen Beginn eine objektive Richtung geben kann. Am Medium der Malerei faszinieren mich das Handwerkliche sowie die Möglichkeit, von technischen Hilfsmitteln unabhängig arbeiten zu können.
Malten Sie Ihre Stillbilder eigentlich nach Fotos? Haben Sie konkrete Hilfsmittel? Wie kann man sich diesen Prozess des Malens mit einem Kind vorstellen? Hat man als Mutter in dieser Zeit überhaupt die „Muse“ so konsequent seine eigenen Kinder zu malen?
Fotos sind ein Abbild, eine Kopie des Gesehenen. Malerei jedoch übersetzt Gesehenes in Farbe und bewirkt beim Betrachter die Illusion, etwas zu erkennen. Malerei lebt vom Dialog mit dem Betrachter wobei der Zugang zu einem Bild je nach Bildungsund - Erfahrungshintergrund des Betrachters verschieden ist.
Ich male nie nach Fotos, weil sie mich als Vorlage langweilen. Die lebendige, sich in ständiger Veränderung befindliche Wirklichkeit ist eine spannendere Herausforderung für mich. Bei den Tragetuch-Bildern bin ich mit dem eingeschlafenen Kind vor dem Spiegel gesessen. Beim Stillen habe ich – während das Kind auf meinen Knien gelegen und von meiner Armbeuge gehalten wurde – in einer Hand das Bild und in der anderen Hand die Pinsel gehalten. Diese Bilder sind alle zur Zeit des Mittagsschlafs entstanden. Ich konnte gemeinsam mit dem eingeschlafenen Kind täglich ca. eine Stunde lang in einer Stellung verharren und arbeiten. Anstrengend war das schon, manchmal bin ich für ein paar Minuten im Sitzen reagieeingeschlafen. Ich habe damals gelernt, in kurzer Arbeitszeit sehr konzentriert viel weiterzubringen. Während ich für die Malerei ein lebendes Modell brauche, entwickle ich meine Tonskulpturen in einem rein intuitiven Prozess. Die Skulpturen drücken körperliche Befindlichkeiten aus, die über das Gesehene hinausgehen.
Mehr als 150 Bilder entstanden während der Stillphasen Ihrer beiden Kinder, das ist in anbetracht der Strapazen in dieser Zeit eigentlich eine unglaubliche „Arbeitsleistung“. Auch fällt eine typische Farbigkeit zwischen dem Inkarnat der Hautfarbe und dem zart pastelligen Blau auf. Sie zeigen hier Ihre Meisterhaftigkeit als Malerin, der es auch um Probleme der reinen Malerei geht: die Beobachtung der Realität, die Umsetzung in formale Strukturen, das immer gleiche quadratische Format. Das scheint über rein psychische Empfindlichkeiten hinauszugehen. Und doch…
Die Kraft der Malerei resultiert aus dem Umstand, dass man nur malen kann, was man selbst empfunden oder verstanden hat. Für ein Foto kann es genügen, intuitiv abzudrücken, ohne über die fotografierte Szene Bescheid zu wissen. Als Malerin muss ich bereits vor Arbeitsbeginn viele Entscheidungen treffen und zu den Fragen der Bildgröße, dem Bildausschnitt, meinem Verhältnis zum Dargestellten, der Bildkomposition und der Frage: was wird weggelassen, was hinzugefügt, einen eigenen Standpunkt beziehen. Nicht zuletzt muss man darüber nachgedacht haben, ob es überhaupt Sinn macht, ein Bild zu malen und ob eine Figur im Bild behauptet werden kann. Das Format des Quadrats hat etwas in sich Ruhendes, da es keine Richtung vorgibt. Für Portraits eignet sich das Quadrat, um den Kopf nach oben hin abzuschneiden, um unnötige Informationen außerhalb des gezeigten Bildes zu belassen.
Ihre Mutter-Kind-Bilder haben natürlich eine unwiderstehliche Analogie zur Tradition der Madonnenbilder abendländischer Malerei. Aber der kleine Unterschied ist doch die Künstlerin selbst, die eben kein Maler, sondern eine Malerin, die nicht das Muttersein an sich in ein Thema projiziert, sondern die ganz hautnah Mutter ist.
Madonnen wurden fast ausschließlich von Männern gemalt, wobei das Kind u. a. als Puppe, Fremder, Erwachsener oder Liebhaber der Mutter dargestellt wurde, woraus sich eventuell Rückschlüsse auf die Mutter-Sohn-Beziehungen der Künstler ziehen lassen. Zum Teil sind für die Madonnen Männer Modell gestanden. Ich hingegen habe mich selbst in partnerschaftlicher Beziehung zu meinen Kindern gemalt.
„Romantische“ Mutterbilder sind hierzulande noch immer mit dem Schatten des Nationalsozialismus belegt. Und war es in den 70-er, 80-er Jahren lange Zeit verpönt, ein Kind zu haben, ist es inzwischen schick geworden mit einem Kind am Boulevard zu prahlen. Wie soll man da als Künstlerin reagieren? Und: Ist die archaische Erfahrung des Gebärens, Stillens, Sorgens nicht so stark, dass es affirmative – wörtlich übersetzt bestärkende – Bilder braucht?
Ich male nicht, um Politik in die eine oder andere Richtung zu machen. Ich versuche, mit Hilfe der Malerei einen ehrlichen Standpunkt gegenüber dem Leben und dem mich umgebenden Umfeld zu finden. Thema wird, was mir mein Leben zuträgt, mich interessiert, inspiriert und berührt. Wenn Betrachter darauf mit Offenheit reagieren, fühle ich mich am richtigen Weg. Für das „objektive Urthema“ interessiere ich mich nach wie vor. Immer wieder zeichne ich Madonnen-mit-Kind Darstellungen anderer Künstler früherer Epochen ab, besonders interessant finde ich Holzskulpturen zu diesem Thema aus dem Mittelalter. Und ich habe schon das Gefühl, zu diesem Urthema einen sinnvollen Beitrag geleistet zu haben.
Die Stillbilder liegen nun schon einige Jahre zurück. Nimmt man da ein Stück Geschichte hervor, wenn man sie wieder zeigt? Wie ist das Verhältnis von subjektiv Erlebtem als Mutter, die zugleich Malerin war und den Bildern, die ein „objektives“ Urthema gestalten?
Tragetuch- und Stillbilder mit meinem zweiten Kind wollte ich u. a. aufgrund von Zeitnot auf das Wesentlichste reduzieren, also kleiner und konkreter malen, während die Serie zum ersten Kind malerischer ist und meine das Kind haltende Hand in die Komposition miteinbezogen ist. Das Subjektive ist gerade in diesen Bildern sehr reduziert, da ich ja nur malen konnte, während die Kinder geschlafen haben. Die Kinder waren während des Malens mit ihren Augen nicht aktiv präsent. Die physische Ähnlichkeit mit meinen Kindern war mir nicht das Wichtigste, wobei man sich vielleicht prinzipiell an Gesichter weniger erinnern kann als an das, was man beim Anblick eines Gesichts empfunden hat. Obwohl die Bilder konkret sind, gehen sie über das Gesehene hinaus. Einige meiner Stillbilder habe ich auch im Nachhinein in einer abstrakteren Variante nochmals gemalt um zu sehen, was sich verändert hat.
Das Gespräch führte Johannes Rauchenberger
Springer-Verlag kunst und kirche 03/2010 23
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Frau, Interview und Text von Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Kunstzeitschrift Vernissage, 2006
B. B-B.: Seit 2003 sind beim Stillen, Tragen und Schlafen ihrer Kinder mehr als 200 gemalte und gezeichnete Säuglings- und Kinderportraits und auch Tonskulpturen entstanden. Was ist daran nach wie vor so interessant?
J. Z.: Die Beziehung zwischen Mutter und Kind betrifft und berührt mich zur Zeit am meisten. Nur wenn ich von etwas berührt bin, kann ich in meiner Arbeit Intensität vermitteln. Außerdem ärgert und motiviert mich, dass anscheinend für jedes Thema im aktuellen Kunstdiskurs ein Platz gefunden wird (an Brüsten nuckelnde Männer?). Lediglich wenn man sich positiv mit dem Thema „Kind“ auseinandersetzt, scheint man wirklich gegen den intellektuellen Geschmack zu verstoßen und an einem Tabu zu kratzen.
B. B-B.: Das Thema Mutter und Kind ist historisch von den Nazis und in Österreich und Deutschland bis heute auch durch die Politik konservativer Parteien missbraucht worden. Die letzte Phase, die sich positiver mit dem Thema befasst hat, war die des so genannten „radikalen Feminismus" in den sechziger- und siebziger Jahren. Damals hat man sich an die Urzeit-Darstellungen von Muttergöttinnen erinnert. Man dachte damals, dass es vor der patriarchalischen Weltordnung eine matriarchalische gegeben haben könnte. Da wir nach wie vor auch im Christentum in einer Männerkultur leben, ist das Thema natürlich allgemein unbeliebt. Intime Dinge wie Geburt oder Tod werden ja auch aus der Gesellschaft und dem Denken verdrängt, weil sie schmerzlich und unangenehm sind. Ich gebe zu, dass ich mir zuerst mit dem Thema auch schwer getan habe – als Vertreterin einer Generation, die Kinderlosigkeit wollte. Aber wie alles, was man sich genau anschaut, hat sich das durch die Betrachtung geändert. Bei GaleristInnen kommt die Angst dazu, solche Themen nicht verkaufen zu können.
Was unterscheidet denn die letzten Bilder von den Ersten?
J. Z.: Die letzte Serie ist kleiner und dichter geworden, da ich auch im Atelier die Zeit intensiver nutzen muss. In den Tragetuchbildern beschäftige ich mich erstmals mit der Begegnung der Gesichter von Mutter und Kind. Das Motiv ist die Linienführung, die sich zwischen den Gesichtern ergibt. In der Bildkomposition hat mich die Präsenz meines Blickes im Bild interessiert, obwohl nur mein Mund (mit Nasenlöchern) am Bild zu sehen ist.
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Unter dem Titel „Leander schläft“ werden jene Werke zusammengefasst, auf denen Judith Zillichs Sohn allein von oben gesehen schlafend erfasst ist. Der damit zusammenhängende Zeitablauf seiner Loslösung beginnt aber mit der Gruppe von Spiegelbeobachtungen des wachsenden Bauches, dieser folgen die symbiotischen Stillbilder; dann erst jene des Kindes allein aus der sogenannten „Vogelperspektive“ des Erwachsenen. Eine Wahrnehmungsuntersuchung nach dem eigenen Erleben der Mutter umfasst den Sehkreis in Art von Ernst Mach, Physiologe des Wiener Kreises, dessen Perspektivkonstruktion schon Maria Lassnig oder Max Peitner beeinflusst haben, vom eigenen Augenwinkel auszugehen.
Katalogtext zu Selbstportraits, Judith Zillich, 2001
Das Anziehende an Malerei ist für mich die unzeitgemäße, zeitaufwendige Herstellung eines nicht reproduzierbaren Einzelstücks. Von der Herstellung der Leinwand bis zum letzten Pinselstrich kann ich alleine darüber verfügen, was auf und mit der Leinwand passiert, unabhängig von technischen Einrichtungen, ohne Labor, ohne großen Kostenaufwand und ohne Hilfe von Fachleuten. Außerdem fasziniert mich, daß sich zur Abbildung der rein optischen Bildrealität zusätzlich unvermeidlich die innere, emotionale Wahrnehmungsrealität ausdrückt. Die Divergenz zwischen Objektivem und Subjektivem beinhaltet unendlich
viele Umsetzungsmöglichkeiten. Den Grenzen dieses Spielraums möchte
ich mich so langsam wie möglich nähern.
Mit der thematischen Konzentration auf Selbstportraits wiederhole ich eine Bildsituation, wodurch ich mir Zusammenhänge bewußt machen will, um etwas zu vertiefen und schließlich verändern
zu können.
Das Malen von sich selbst erzieht zu Ehrlichkeit.
Die lange Traditionsgeschichte von Malerei macht es schwierig, von dieser Kultur zu lernen, ohne in der Wiederholung bewährter Bildlösungen stecken zu bleiben. Indem ich alte, mich aber sehr ansprechende Vorgangsweisen und Maltechniken an „mir selbst“ anwende, versuche ich auch, dazu einen zeitgemäßen, eigenen Zugang zu finden. Denn dort, wo ich Gesehenes nur zitiere, stellt sich Unbehagen ein. Sich selbst zu thematisieren ist eine Möglichkeit, den "eigenen Stil" zu entwickeln, ohne alles Bisherige auf den Kopf stellen zu müssen.
Als ich begonnen habe, vor dem Spiegel zu arbeiten, wollte ich mir vor allem das Gegenüber eines rund um die Uhr verfügbaren
Modells sichern. Gegen das so entstandene Bedürfnis nach Selbstthematisierung stand immer meine Abneigung, Privates nach außen zu tragen. Diese
Ambivalenz ist für mich nach wie vor anregend. Sie schlägt sich in möglichst knapp gewählten Bildausschnitten nieder
und phasenweise entstehen Bildgruppen, in denen das Gesicht verfremdet ist. Beispiel dafür sind Portraits, die ich über Häkelstrukturen
gemalt habe. Die Gesichtskonturen vermischen sich mit dem Häkelmuster. Nur bei frontaler Beleuchtung wirkt das Portrait durch seine Farben,
während bei schräger Beleuchtung die Malerei im Schatten der Häkelstruktur untergeht.
Der Gesichtskörper formuliert sich zwischen der Hintergrundfläche
des Raumes und der davon farblich abgehobenen Vordergrundfläche
des Kleidungsstückes. Die vielschichtigen Farbschattierungen der
Haut bringen Räumlichkeit in das flächig angelegte Bild. Während
der Hals in der Vordergrundfläche steckt, ragt der Kopf oft aus
der Bildfläche hinaus. Das Gesicht korrespondiert mit dem Halsausschnitt
und neigt sich gegen den linken, rechten oder oberen Bildrand
Seit ich 1998 mit dem Malen von 30x30cm großen Portraits begonnen habe, präsentiere ich immer mehrere Bilder in Beziehung zueinander. Das neunteilige Würfelportrait ist das Ergebnis des Versuchs, mehrere Portraits auf einem dreidimensionalen Objekt unterzubringen. Diese Arbeit soll vom Betrachter angegriffen werden, der erst durch ein Wenden der einzelnen Würfel die sechs verschiedenen Portraits entdecken kann, woraufhin ein bevorzugtes Portrait aufgedeckt oder aus verschiedenen Teilstücken ein individuelles Bild zusammenstellt
werden könnte. Dieser Prozeß ist spannend, denn hierbei wird nachvollziehbar offensichtlich, daß jeder Betrachter seinen persönlichen
Zugang zu meinen Portraits findet. An dieser Portraitvariante waren für mich sowohl der kubistische Effekt als auch die abstrakten Momente der einzeln herausgegriffenen Würfelteile überraschend und unbeabsichtigt.
Schon mit Würfeln beschäftigt, war die nächste Intention, ein ganzes Gesicht auf nur einen - an sich dafür zu kleinen und dem Kopf durch seine Kantigkeit unangemessenen - Würfel zu projizieren, wodurch zumeist eine Gesichtseite verkürzt ist und die Augen auf
eine Nebenseite gekippt sind.
Um aber nicht in der Sicherheit des Konzeptuellen und der handwerklichen Routine stecken zu bleiben, um die Dynamik der Malerei wieder stärker zu spüren, bin ich mit meinem Thema zuletzt doch auf größere Formate übergegangen. Die Malerei entwickelt sich dabei zu einem eigenwilligen Gegenüber, einer Persönlichkeit, die nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt, welche begreifen und unterwerfen zu wollen man süchtig wird, ohne je zu wissen, ob man nicht das Opfer seiner eigenen Ideen geworden ist.
Judith Zillich, Wien im Sommer 2001
Ein Gespräch von J.Z. mit S.P., Katalogtext von Judith Zillich, 2001
S.P.: Warum wählst Du für die Umsetzung Deiner Selbstportraits das Medium der Malerei?
J.Z.: Das Anziehende an diesem Medium ist für mich das Unzeitgemäße: die zeitaufwendige Herstellung eines nicht reproduzierbaren Einzelstücks. Die Malerei ist ein völlig anarchistisches Medium, denn von der Herstellung der Leinwand bis zum letzten Pinselstrich kann ich ganz alleine darüber verfügen, was auf und mit der Leinwand passiert, unabhängig von technischen Einrichtungen, ohne Labor, ohne großen Kostenaufwand und ohne Hilfe von Fachleuten. Außerdem drückt sich in der Malerei zur Wahrnehmung der rein optischen Bildrealität zusätzlich unvermeidlich eine innere, emotionale Wahrnehmungsrealität aus. Die Divergenz zwischen Objektivem und Subjektivem scheint unendlich viele Umsetzungsmöglichkeiten zu beinhalten. Dieser Spielraum fasziniert mich und macht mich neugierig: wie weit kann ich gehen?
Die Malerei entwickelt sich zu einer eigenwilligen Persönlichkeit, die nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt, die zu begreifen und unterwerfen zu wollen man süchtig wird, ohne je zu wissen, ob man nicht das Opfer seiner eigenen Malerei geworden ist und somit selbst von der Malerei unterworfen wird.
S.P.: Du arbeitest also ohne weitere Hilfsmittel völlig auf dich gestellt und verwendest außerdem auch dich selbst als Modell: ist das nicht einengend?
J.Z.: Ja schon, aber ich beabsichtige, mir sehr engen Spielraum zu geben, um innerhalb sehr eng gesteckter Grenzen in die Tiefe zu gehen oder durch die Wiederholung des Immergleichen mir etwas bewußt zu machen. Für mich ist eine künstlerische Entwicklung nur durch konsequente Wiederholung möglich.
Die Wiederholung bezieht sich auch auf den Malprozeß selbst, denn ohne es genau begründen zu können, übermale ich oft ein scheinbar fertiges Bild immer wieder, bis sich plötzlich die Sicherheit einstellt, daß der Prozeß abgeschlossen ist. Die Bedürfnisse wiederholen sich.
S.P.: Verwendest du dich als Modell, um dir ein Denkmal zu setzen?
J.Z.: Die Ewigkeit interessiert mich nicht. Mich interessiert mein Leben und meine Wahrnehmung, die ich mit Hilfe von Malerei verdichten will. Aber mein Bedürfnis nach Selbstthematisierung steht immer in Spannung mit meinem Widerwillen und meiner Angst vor Selbstprostituition. Diese Ambivalenz schlägt sich in möglichst knapp gewählten Bildausschnitten nieder. Wie um etwas für mich zu behalten, sind die meisten Portraits abgeschnitten, verwischt, überschrieben oder in eine das Gesicht übertönende Farbfläche gesetzt.
S.P.: Jedes der Portraits vermittelt eine spezifische Atmosphäre und auch immer wieder eigene Ansätze von Lösungsmöglichkeiten für Malerei. Worum geht es dir in der Malerei?
J.Z.: Einerseits um das Spiel von Formen, die sich z.B. aus dem Halsausschnitt, der Frisur und der Kopfdrehung ergeben und andererseits um das Abwägen komplementärer Farbtöne. Um die Frage, wie sich ein Gesichtskörper zwischen Vordergrund- und Hintergrundfläche behaupten kann und mit welchen Methoden ich ein Gesicht wie weit zurücknehmen kann. Wie viel Verfremdung verträgt das Sujet ohne dabei seinen Charakter zu verlieren?
S.P.: Welche Bedeutung hat dabei das Wort oder die Schrift in deiner Arbeit?
J.Z.: Schrift holt eine zusätzliche Bedeutungsebene in das Bild. Zum Beispiel rückt durch das Einritzen des Wortes „Farbe“ in den Hintergrund, dieser in den Vordergrund. Das Wort „Farbe“ wirft in der Farbfläche die Frage auf, was Farbe eigentlich bedeuten kann oder bedeuten soll und zugleich thematisiere ich die Sprachlosigkeit von Farbe und meinen geschlossenen Mund.
Der wiederholte Schriftzug „danke für´s hinschauen“ hingegen thematisiert den Blick des Bertachters.
S.P.: Manche Bilder sind auch nicht beschrieben sondern gezeichnet von dem Muster der Bettwäsche, auf der du zum Teil malst.
J.Z.: Ja, die genähten Teile der Bettwäsche wirken von unten durch das Gesicht durch und haben für mich die Bedeutung einer Tätowierung von innen her.
Judith Zillich, Sommer 2000
Stuhl-Körper, Besitzerinnen, Katalogtext von Judith Zillich, 2000
Thema dieser Serie ist das Sitzen des Körpers und das Verhältnis der Figur zu ihrem Sitzgerät - in dieser Reihe ein gekürzter Jugendstilstuhl mit längsgerichteten Stäben - wird variiert: der Körper vom Stuhl zum Ornament geschnitten, auf nackter Leinwand, im Blickfang, ersoffen in Terpentin oder in grüner Farbe, gekippt und schließlich im Abflug ...
Mich interessiert vor allem Haut als Farbträger von Malerei, die sich hier in einem Dialog von grünen, violetten und orangen Farbwerten formuliert. Die Haut bildet in einem logischen Farbschema den Körper, der isoliert von seiner Umwelt existiert. Die aus der Haut extrahierten Grün- und Blauwerte beschreiben als einfärbige Flächen sowohl den Raum als auch das im Raum befindliche Möbel, den Stuhl. Der Stuhl bildet einerseits mit seiner Lehne einen innerhalb des Bildes gerahmten Ausschnitt, der den Blick des Betrachters anzieht, arbeitet sich aber andererseits als verdeckendes Ornament in den Körper ein. Durch die Einarbeitung der Struktur der Stuhllehne und deren Schatten verselbständigen sich Teile des Körpers, und der Körper selbst wird zu einem Ornament.
Den Eindruck von Räumlichkeit vermittelt nur die gemalte Haut, die wie der Inhalt eines Sandwiches zwischen Stuhl und Hintergrund gequetscht ist. Da Vorder- und Hintergrund sich auf eine Farbfläche reduzieren, scheint die Stuhllehne den Körper stellenweise zu durchschneiden.
In dieser Serie verzichte ich auf Gesichter. Der vom Bildrand angeschnittene Kopf bietet jedoch Platz für eine dunkle Fläche von Haaren, in Farbe und Struktur ein Fremdkörper und als solcher ein wichtiger Akzent im Bild.
(In dieser, wie in allen Serien, gibt es kein Ausgangsbild und keinen Höhepunkt. Es geht um ein Ausloten von farblichen, formalen und inhaltlichen Möglichkeiten anhand der wiederholten Situationsbeschreibung des auf einem Stuhl sitzenden Körpers.)
Besitzerinnen
Thema dieser Serie ist die auf einem weißen Küchenstuhl sitzende Figur und ein Spiel mit klassischen Posen. Abstraktion wird durch Weglassen erreicht.
Erstmals befindet sich der ganze Körper auf dem Bildträger formuliert. Wieder ist er vom "besessenen" Sessel beschnitten, allerdings bekommen Sessel und Hintergrund keine weitere Farbe zugeteilt, sie bleiben als grundierte Leinwand belassen. Der Körper genügt sich teilweise schon im ausgemalten Fragment. Neu ist die Darstellung eines Gesichtes, das aber konturlos bleibt, sich als Fläche von Haut nicht aufdrängt, aber durch seine Unbestimmtheit an Intensität und Ausdruckskraft gewinnt. Das Gesicht ist eine Fläche des Körpers, und der Körper wird zum Gesicht.
Diese Bilder und die dargestellten Körper leben von der Struktur der Grundierung, die Unregelmäßigkeiten aufzeigt, die der hauchdünn aufgetragenen, dünngewischten Farbfläche fehlt und eine große Transparenz und Tiefe innerhalb des Körpers zur Folge hat. (Das Finden dieser Lösung für die Darstellung von Haut freut mich sehr, da die sonst üblichen Lösungsversuche dieses Jahrhunderts mit expressiven, farb- und fettvollen Gesten meinem Eindruck von Haut nicht entsprechen.) Die so gemalte Haut scheint genauso verletzlich zu sein wie menschliche Haut, und die dünnen Farbschichten werden genauso schnell bleichen und an Farbkraft verlieren, wie natürliche Haut altert.
Der Raum beginnt sich in kalten und warmen Flächen zu formulieren: So wie in den S.Ps. das Gesicht hängt jetzt der Körper zwischen zwei Farbflächen, die hier vom Stuhl strukturiert sind.
"Leander schläft"
Seit 1998 war und ist das Selbstportrait mein zentrales Thema. Die Geburt meines Sohnes hat mich dann zu einer Serie von Stillbildern angeregt, in denen sich das Beziehungsfeld zwischen Mutter und Kind erschließt. Als solches greife ich hier eines der ältesten Themen der bildenden Kunst auf, untraditioneller Weise zeigt sich die Szene jedoch aus der Sicht der Mutter selbst. Das Kind ist den Selbstportraits ähnlich ins Bild gesetzt und beschreibt sich selbst in seiner Haltung zu Kleid und Brust der Mutter.
Der Mittagsschlaf meines Sohnes ist mittlerweile zu meiner fixen Arbeitsphase geworden, in der er mir als Modell zur Verfügung steht. Nach den symbiotischen Stillbildern läßt die Serie "Leander schläft" das Kind eigenständig werden.