Die Fortführung unserer Recherchen vor Ort führte uns vom Tagliamento an den Unterlauf des Isonzo. Von Monfalcone in Richtung Görz (Goricia) gibt es viel zu besichtigen. Die Hügel St Elia und Sei Busi, der blutig umkämpfte Monte San Michele, die Stadt Görz selbst, weiter nördlich Oslavia und die Höhen Sabatino, Monte Santo und San Gabriele markieren den Verlauf der ehemaligen Frontlinie.
All diese Orts- und Flurnamen helfen dem geneigten Leser bei der Nachsuche, da in den gängigen Straßenkarten lediglich Redipuglia als Ausflugsziel vermerkt ist. Die Fahrt in den Karst mit Ausflügen zu Fuß hat ihren besonderen Reiz. Richtungsgefühl und Nase sind gefragt. Genaues Kartenmaterial war kaum zu bekommen.
Grobe Handskizzen nach dem Kartenwerk von "Österreich-Ungarns letzter Krieg" und Passagen eines unveröffentlichten Tagebuches dienen als Anhalt. So wird Geschichte in der heute fast lieblichen Landschaft zur beklemmenden Realität. Unzählige Reste von Feldbefestigungen und Gedenksteine mitten im Karst wirken in Verbindung mit zeitgenössischen Photos - auch ohne viel Phantasie - intensiv auf den Betrachter. Die leicht wellige Karstheide mit den vielen Büschen verliert schlagartig das hübsche Gesicht, realisiert man, daß jeder Busch eine ehemalige Stellung oder ein Trichter ist, in dem sich jetzt das Wasser länger hält.
Die Vorstellung, mit seiner dünnen Decke als Schlafgelegenheit, auf scharfkantigem Karstgestein zwischen den verwesenden Leichen seiner Kameraden jede Nacht darauf zu harren, sich seiner Haut wehren zu müssen oder im Gegenstoß möglichst viele "Andere" zu massakrieren, kommt ganz von Selbst. Ganz unabhängig von der Uniform - und vor Allem wenn man zwecks Perspektive in einen der Granattrichter steigt.
Sichtbare Zeugen des großen Sterbens in den 12 Isonzoschlachten sind der österreich-ungarische Soldatenfriedhof in Fogliano und das "Ehrenmal der 100.000" in Redipuglia.
An der Autobahn A4, zwischen Palmanova und Triest, befindet sich die Ausfahrt Redipuglia. Man folgt der SS 305 in Richtung Gradisca dŽIsonzo, durchfährt Redipuglia und findet etwa einen Kilometer nach dem italienischen Ehrenmal rechterhand einen Parkplatz.
Der österreich-ungarische Soldatenfriedhof in Fogliano
befindet sich gegenüber. Der Eingang trägt die Inschrift "Im Leben und im Tod vereint". Auf dem sehr gepflegten Friedhof ruhen 14.550 Gefallene der alten Armee. Die Anlage ist in ein Gräberfeld mit 2550 namentlich bekannten Soldaten und in drei Massengräber mit einmal 7000 und zweimal je 2500 Gefallenen gegliedert. Die Inschrift auf dem Massengrab an der Stirnseite
Der Friedhof wurde 1974 von der Feuerwehrjugend Steiermark und der steiermärkischen Landesregierung renoviert und 1989 von der Gemeinde Fogliano di Redipuglia und dem Österreichischen Schwarzen Kreuz in den jetzigen Zustand versetzt.
Redipuglia
Etwa einen Kilometer zurück in Redipuglia befindet sich das italienische Ehrenmal "Sacrario dei Centomila" (Heiligtum der Hunderttausend), der "Ehrenhain San Elia" und das "Museum der 3. Armee".
Für dieses Ensemble sollte man sich ausreichend Zeit nehmen.
Das Museum
birgt zahlreiche Fundstücke aus der Gegend, die Darstellung eines Frontabschnittes und reichhaltig Bildmaterial, Waffen und Gerät. Filmvorführungen und große Kartendarstellungen runden das Angebot ab. Ein dickes Wörterbuch ist empfehlenswert. Es werden hier 11 Schlachten dargestellt. Die bei uns sogenannte 12. Isonzoschlacht, der "Durchbruch", heißt in der italienischen Geschichtsschreibung "Battaglia di Caporetto", die Schlacht von Karfeit (Kobarid). Ausstellungskataloge gibt es leider nicht.
Der Ehrenhain am Colle San Elia (Höhe 44)
war seit 1923 der ursprüngliche italienische Soldatenfriedhof der "30.000 Unbesiegbaren der III. Armee". Heute erinnern einige repräsentativ ausgesuchte Grabsteine an die Eigenheit, an den Steinen persönliche Dinge der Gefallenen anzubringen oder einen Hinweis auf die Einheit zu geben. Auch die Inschriften in Versform zeugen von der hier gepflogenen Bestattung. Geschütze, Gedenksteine und Schützengräben machen den Gedenkpark zum Freilichtmuseum. Auf der Anhöhe befindet sich ein Obelisk aus der Ausgrabung in Aquilea, der an alle Gefallenen aller Kriege erinnern soll: " .ohne Unterschied in Zeit und Schicksal". Die restaurierten Schützengräben auf dem Hügel und auf der anderen Straßenseite stammen aus den ersten zwei Isonzoschlachten und wurden von Österreichern errichtet.
Der Zahn der Zeit und die Auflösung von Friedhöfen und Einzelbestattungen in der Umgebung führten zur Planung des Ehrenmales in Redipuglia und zur Errichtung des österreich-ungarischen Soldatenfriedhofs in Fogliano.
Die "Gedenkstätte der Hunderttausend"
wurde von Architekt Giovanni Creppi und Bildhauer Giannino Castiglione geplant und 1938 fertiggestellt. Hunderttausend Gefallene wurden exhumiert und kremiert um ihre letzte Ruhestätte im Ehrenmal zu finden.
Die stufenförmige Anlage befindet sich am Westhang des schwer umkämpften Monte Sei Busi (Höhe 111). Eine Besichtigung von "unten nach oben" bietet sich an, doch kann man auch durch die Ortschaft direkt auf die Anhöhe fahren.
Vom Museum kommend, betritt man die Anlage. Die Ketten an der Einfriedung sind vom Torpedoboot "Grado". 38 Bronzeplatten erinnern an die Schauplätze der blutigsten Kämpfe. Der gesamte Komplex stellt eine Schlachtordnung dar. 22 große Grabesstufen führen mit beidseitigen Treppen bergan.
Bevor man die Stufen erreicht, steht man vor dem Sarkophag des Herzogs von Aosta, dem Kommandeur der Dritten Armee. Der Herzog verstarb 1931 und es war sein Wunsch, bei "seinen Soldaten" beigesetzt zu werden. Sein Grab befand sich bis 1938 an der Stelle am Colle San Elia, wo heute der Obelisk steht.
Unmittelbar hinter dem 75 Tonnen schweren Monolith befinden sich die Urnen von fünf gefallenen Generälen. Die 22 Grabesstufen führen zu einer Votivkapelle am Gipfel. An den Stufen sind alphabetisch die Namen von 40.000 identifizierten Gefallenen auf Bronzetafeln verewigt. An den Stirnseiten der Stufen wiederholt sich fortlaufend das Wort "presente". Es entspricht unserem "Hier!" bei der Standeskontrolle. Beidseitig der Kapelle befinden sich Grabtafeln für jeweils 30.000 unbekannte Gefallene. Hervorgehoben sind 72 Marinesoldaten und 56 Zöllner.
An der Rückseite der Kapelle können noch zwei Ausstellungsräume mit Erinnerungsstücken besichtigt werden. Ein Gedenkraum ist den Trägern der "medaglia dŽ oro", der italienischen goldenen Tapferkeitsmedaille gewidmet.
Hinter dem Ehrenmal führt ein Weg zum "Observatorium" von welchem man die Gegend überblicken kann. Eine Landkarte aus Bronze zeigt die Frontlinien nach den jeweiligen Kämpfen.Hinter dem Ehrenmal führt ein Weg zum "Observatorium" von welchem man die Gegend überblicken kann. Eine Landkarte aus Bronze zeigt die Frontlinien nach den jeweiligen Kämpfen.
Beabsichtigt man die Gegend weiter zu erkunden, ist diese Tafel eine gute Quelle. In unmittelbarer Nähe liegen Stellungsreste beider Seiten einander in absurder Nähe gegenüber. Hier ist ein Ausgangspunkt, um in beide Richtungen fast ununterbrochenen Stellungen zu folgen.
Die ganze Anlage ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Auch die Pflege und der Veranstaltungskalender zeigen einen bei uns offiziell unbekannten Umgang mit der Geschichte und gefallenen Soldaten. Ein Vergleich mit Großbritannien drängt sich auf, wenn auch in anderer, spezifischer Art.
In einigen, eigentlich als seriös bekannten Reiseführern wird das Ehrenmal immerhin erwähnt, aber sinngemäß als "Gigantomanie des Faschismus" verrissen. Der erhobene Zeigefinger verfolgt den historisch Interessierten überallhin.
Größenwahnsinnig, gigantomanisch ? Lösen wir uns kurz vom "politisch korrekten" Gefasel und dem damit verbundenen flachen Zeitgeist. Architektur ist Geschmacksache.
Zum Vergleich stelle man sich die beiden Wiener Bezirke Währing und Döbling ohne Einwohner vor oder aber man reihe zweitausend Großraumbusse aneinander.
Die Eröffnung des Denkmales fiel in die Regierungszeit von König Viktor Emanuel III und Benito Mussolini. Das ist dort auch so vermerkt, weil es eben Faktum ist. So setzten hier Italien und der Frontkämpfer Mussolini den toten Kameraden ein Denkmal. Wenige hundert Meter entfernt fiel sein bester Freund, Fillipo Corridoni, und er selbst wurde verwundet.
Die Anlagen an den Schauplätzen bei Verdun und an der Somme haben bemerkenswerte Ausdehnungen. Für Berlin war ein Triumphbogen mit den Namen aller deutschen Gefallenen des 1. Weltkrieges geplant, auch von einem Frontkämpfer. Die Feierlichkeiten am "Remembrance Day" in London sind mehr als beeindruckend.
In der modernen Literatur zum Thema Weltkriege findet sich die Aussage, "der 1. Weltkrieg war das kollektive Trauma einer ganzen Generation". Aus dieser Sicht werden nicht nur Großbauten leichter verständlich.
Jetzt können die "politisch Korrekten" aufheulen, wenn sie immer noch Nichts verstanden haben.
Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, daß Redipuglia ein gutes Stück innerhalb der österreichischen Grenzen von 1915 liegt. Das Seebad Grado war seinerzeit eine sehr beliebte österreichische Sommerfrische. Jesolo, Caorle und Lignano lagen allerdings damals schon in Italien, immerhin seit 1867.
Ist das wichtig? Es soll lediglich aufzeigen, daß hier in nur 150 Jahren mehrmals die Grenzen - meist mit Soldatenblut - neu gezogen wurden. In der Geschichte ist das nur ein kurzer Augenblick.
Gemeinsames Forschen und das gemeinsame Gedenken an die Groß- und Urgroßväter, die gemeinsame Sicherung oder auch das Erzwingen des Friedens und der Schutz der engeren Heimat sind mein persönlicher Zugang zu einem gemeinsamen Soldatentum der europäischen Vaterländer.
Wie auch immer der persönliche Standpunkt sein mag, man kann nur aus der Geschichte lernen, wenn man sie kennt.
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Der Österreich-Ungarische Soldatenfriedhof in San Michele al Tagliamento, Astrid und Gerald Kerschbaum